Nebel über Hogwarts von Glasschmetterling ================================================================================ Kapitel 29: Ein Apfelbaum im Walde ---------------------------------- Nebel über Hogwarts – Kapitel 29: Ein Apfelbaum im Walde Lily sah atemberaubend aus, und er hatte Mühe, sie nicht die ganze Zeit anzustarren, sondern auch mit ihr zu sprechen, sie anzulächeln, ihr Komplimente zu machen. Dass eine so wunderschöne Frau mit ihm auf einen Ball ging, fühlte sich noch immer an wie ein Traum, und dass sie es gerne tat, dass sie Freude daran hatte, ihn zu sehen, wirkte noch surrealer auf ihn. Während des Einzugs in die Große Halle und während des Abendessens hatte er das Gefühl, auf einer Wolke zu schweben, unberührt von der Realität. Wenn nicht diese nagende Ahnung gewesen wäre, dass nichts in seinem Leben je gut ging, dass es immer jemanden oder etwas gab, das alles kaputt machte, wäre er sogar fast glücklich gewesen. Der erste Moment, der sein Hochgefühl ein wenig dämpfte, kam, als Dumbledore die Tische zur Seite rückte und Platz für eine Tanzfläche machte. Severus hatte bis jetzt wenig Gelegenheit gehabt, Walzer zu üben, auch wenn Devers ihm ein wenig geholfen hatte, und er spürte, wie die Nervosität durch jede seiner Poren nach draußen drang. Er wollte mit Lily tanzen, ja, aber er hatte auch Angst, sie zu blamieren oder auf ihre Füße zu treten oder – noch schlimmer – von Potter und seinen Kumpels ausgelacht zu werden. „Kommst du?“, fragte Lily leise und griff nach seiner Hand, nahm ihm damit die Entscheidung ab. Er wollte diese Berührung nicht verlieren, nicht, wenn die Alternative plötzlich so einfach, so trivial schien. Als er nickte, zog sie ihn von ihrem Tisch, der in einer der hinteren Ecken der Großen Halle stand, nach vorne, schlängelte sich mit ihm zwischen den anderen Schülern hindurch. Während sie ihren geschützten Winkel verließen, spürte Severus, wie sich die Aufmerksamkeit der anderen auf sie richtete, hörte gewisperte Kommentare, sah, wie Finger auf sie zeigten. Er hatte damit gerechnet, dass sie auffallen würden, immerhin war Lily Schulsprecherin und er einer der wenigen Ballgäste, die eine Maske trugen, die das ganze Gesicht verdeckte. Womit er nicht gerechnet hatte, war die Art der Aufmerksamkeit, die ihm nun plötzlich zuteil wurde. Nicht die abschätzigen, fast bemitleidenden Kommentare, die herablassenden Blicke, die er sonst erntete, wenn andere Schüler sich für ihn interessierten, sondern ein wenig Neugier, ein wenig Interesse, ab und zu auch ein wenig Bewunderung. Dieses berauschende Gefühl, vollkommen neu für ihn, trug ihn zwischen den anderen Schülern hindurch und leitete seine Schritte, als die ersten Takte der Musik erklangen und er seine eine Hand an Lilys Hüfte legte, während er mit der anderen nach der ihren griff. Aus dem Augenwinkel konnte er erkennen, wie James Potter, der mit Lilys bester Freundin Emily tanzte, ihm böse Blicke zuwarf, doch in diesem Moment kümmerte ihn das überhaupt nicht. Devers würde in ein paar Minuten auftauchen und die Rumtreiber von ihm ablenken, und dann wäre er alle Sorgen um seine Identität los, müsste keine Angst mehr haben, dass Potter herausfinden könnte, wer er war. „Sie halten dich für einen Ravenclaw“, flüsterte Lily ihm zu, während sie sich näher an ihn lehnte, und er lächelte leicht. „Das war auch so geplant“, entgegnete er, auf seiner Maske waren die vorherrschenden Farben neben Schwarz Blau und Silber, um genau diesen Eindruck zu erwecken. Ab und zu spürte er, wie sich Blicke in seinen Rücken bohrten, über seine Gestalt huschten, während sie tanzten, doch merkwürdigerweise fühlte er sich nicht bedroht oder so, als ob er gleich angegriffen werden würde. Er glaubte, dass das mit der Maske zu tun hatte, mit dem Wissen, ein Mal, ein einziges Mal, nicht für seine Handlungen verantwortlich gemacht zu werden, sich nicht den Rumtreibern und ihren unfairen Anschuldigungen stellen zu müssen. Und das bringt ganz neue Möglichkeiten mit sich... Er hielt den Gedankengang auf, bevor er sich richtig in seinem Kopf ausbreiten konnte. Dies war Lilys Abend, für sie hatte er all diesen Aufwand auf sich genommen, und nicht, um irgendwelchen kleinlichen, kindischen Rachefantasien nachgeben zu können. „Was ist?“, fragte ihre Stimme leise an seinem Ohr und er schüttelte den Kopf – ihr gegenüber konnte er nicht zugeben, was er gerade gedacht hatte. „Nichts“, entgegnete er also und drehte sich noch einmal mit ihr. „Nur ein wenig nachdenklich.“ Sie tanzten für die nächsten Minuten und unterhielten sich leise, betrachteten die vielen Kostüme der anderen Schüler – Severus konnte unter anderem die Peverell-Brüder entdecken, genauso wie Merlin und Morgana, die engumschlungen vor dem Lehrertisch knutschten, und eine große Anzahl an magischen und Fabelwesen. Doch schließlich sah er aus dem Augenwinkel, wie Potter und Black ihre Tanzpartnerinnen an der Bowlenschüssel zurückließen und sich zwischen den anderen Paaren auf den Weg zu ihnen machten. Er hatte es gewusst – selbst verkleidet konnte er keinen geruhsamen Abend mit jemandem verbringen, ohne dass die beiden Idioten dazwischenfunkten. Eine kleine Bewegung, und Lily sah sie auch, ihre Augenbrauen zogen sich misstrauisch zusammen und er spürte, wie ihre Hand zu ihrem Zauberstab zucken wollte. „Ruhig“, murmelte er und zog sie aus der Mitte der Tanzenden, er wollte keinen Kampf vor den Augen von so vielen Lehrern und Vertrauensschülern riskieren. Doch einen Moment später sah er, wie Lily lächelte und winkte und ihn an der Hand nahm, um ihn zum Buffet zu ziehen. Zuerst fühlte er sich zu verdutzt, um klar zu denken, doch dann folgte er ihrem Blick und sah sich – das heißt, den verwandelten Devers – mit missmutiger Miene neben den Kürbishäppchen stehen. Potter und Black schienen ebenfalls bemerkt zu haben, was vor sich ging, und waren, nach einem letzten, bösen Blick zu Devers hin, zu ihren Partnerinnen zurückgekehrt, was Severus innerlich aufatmen ließ. „Das war knapp“, murmelte er, doch Lily schnaubte nur. „Die beiden hätten vor Dumbledore nichts Dummes versucht. Dafür sind sie viel zu feige. Und so etwas schimpft sich Gryffindors!“ In diesem Moment war Severus sehr froh, dass Potter und Black nichts von dem Mut hatten, für den die Gryffindors eigentlich gerühmt wurden, auch wenn er das natürlich niemals zugegeben hätte. Obwohl jetzt eigentlich kein Grund mehr bestand, steuerten sie gemeinsam auf Devers zu, ein Rückzieher jetzt, wo die beiden Plagen verschwunden waren, hätte auch verdächtig gewirkt, und Lily plauderte ein wenig mit dem anderen Slytherin, wobei sie so tat, als ob er Severus wäre. Sie war also herzlich, freundlich und lächelte viel. Gegen seinen Willen spürte er, wie die Eifersucht in ihm hochkroch, und das noch dazu vollkommen unbegründet – es war doch eigentlich er, mit dem Lily sich unterhielt, auf eine merkwürdige, verdrehte Art und Weise. Trotzdem konnte er nicht verhindern, wie seine Stimmung immer finsterer wurde, und als sie sich nach ein paar Minuten Smalltalk verabschiedete und Devers noch ein leises „Danke“ hinterherhauchte, wandte er sich nicht der Tanzfläche zu, sondern führte Lily lieber zum Buffet hinüber. „Sehe ich wirklich so missmutig aus?“, fragte er, während er nach einer Flasche Butterbier griff und einen Schluck nahm – seine Maske war glücklicherweise so verzaubert, dass sie nicht beim Essen und Trinken störte. Lily lachte nur. „Naja, nicht ganz so missmutig. Aber alles in allem ist ihm eine ganz gute Imitation gelungen, muss ich sagen.“ „Er ist ein Slytherin. Manchmal glaube ich, uns ist das Schauspielen angeboren.“ Vielleicht waren seine Worte unglücklich gewählt, denn Lily runzelte zur Antwort nur die Stirn und zog ihn wieder zurück auf die Tanzfläche, schweigend. Doch trotz der ein wenig gedrückten Stimmung fühlte sich Severus besser als meist – er war es einfach so gewöhnt, dass er immer irgendeinen Grund zur Sorge, zur Unzufriedenheit oder sogar zur Angst hatte, dass ihn ein wenig schlechte Laune nicht mehr aus der Bahn werfen konnte. Und während sie tanzten, besserte sich Lilys Stimmung zusehends, sie lächelte, lachte manchmal sogar, während sie sich über alles und nichts unterhielten, über ihre Pläne nach Hogwarts, über die Prüfungen, die gar nicht mehr so weit entfernt waren, über die anderen Schülerinnen und Schüler und über ihre Kostüme. Sogar Emily trafen sie kurz, während Potter auf der Suche nach neuen Getränken war, und obwohl Lilys beste Freundin ihn – und vor allem seinen Umgang – nie gemocht hatte, schenkte sie ihm heute sogar ein Lächeln und zwinkerte auf eine Art, die klar machte, dass sie wusste, was vor sich ging. „Du hast es ihr erzählt?“, fragte er leise, während das Mädchen wieder zu ihrem unsäglichen Tanzpartner zurückkehrte, doch Lily schüttelte schnell den Kopf. „Nein – ich habe ihr gar nichts erzählt, und deswegen hat sie es erraten.“ Severus lächelte, manchmal war Lily wirklich zu naiv – aber vielleicht war es auch das, das er so sehr an ihr mochte, diese Unschuld, die er schon so lange verloren oder vielleicht auch niemals besessen hatte. „Sie scheint nichts verraten zu haben.“ Lily schüttelte den Kopf. „Und sie wird auch nichts verraten, immerhin hat sie es versprochen.“ Severus lächelte nur, er wollte nichts sagen zu dieser Art von Naivität, sondern warf einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr. Mitternacht näherte sich mit schnellen Schritten und damit auch der Moment, an dem die Schüler, die nicht zu erkennen waren, ihre Masken abnehmen sollten – etwas, das Severus um jeden Preis vermeiden wollte. „Möchtest du noch einen letzten Tanz mit mir?“, fragte er leise und als sie nickte, vermeinte er, ein wenig Enttäuschung in ihrem Blick zu sehen. Die Kapelle spielte einen langsamen Walzer und er zog Lily in seine Arme, hielt sie näher bei sich. Erst jetzt, als er die Worte ausgesprochen hatte, wurde ihm klar, dass dies wahrscheinlich wirklich sein letzter Tanz mit Lily sein würde. Zwar würde in zwei Monaten der Weihnachtsball folgen, aber er glaubte kaum, dass er dort mit seiner Maske würde auftauchen können, also müsste Lily mit jemand anderem gehen – ein Gedanke, bei dem er sich schon jetzt hilflos und eifersüchtig fühlte. „Was ist?“, fragte sie leise, sie schien seine gedrückte Stimmung zu spüren, doch er schüttelte nur den Kopf und streichelte vorsichtig über ihren Rücken. „Nichts“, antwortete er und sie gab sich damit zufrieden, legte den Kopf auf seine Schulter, anstatt weiter nachzufragen. Die letzten Takte der Melodie verklangen viel zu schnell und nur widerwillig löste er sich von Lily, begleitete sie durch die Tore der Halle nach draußen und die Treppen hinauf. Sie waren die einzigen, die sich bereits jetzt auf den Weg in den Turm gemacht hatten, alle anderen Schülerinnen und Schüler wollten den Ball wohl bis zum Schluss genießen, also hatten sie die Korridore für sich. Ihre Schritte hallten von den steinernen Wänden wider, doch Lily schien nicht in der Stimmung, zu sprechen, und auch Severus fühlte sich viel zu melancholisch und traurig, um lächelnd über belanglose Themen plaudern zu können. Schließlich erreichten sie die letzte Abzweigung von dem Portrait der Fetten Dame, an der Severus abbiegen musste, um über ein geheimes Treppenhaus zum Slytherin-Gemeinschaftsraum zu gelangen, und hielten beide im selben Moment an, unsicher, was sie jetzt sagen und tun sollten. „Ich...“, begannen sie beide gleichzeitig, unterbrachen sich aber sofort wieder, bis Severus Lily mit einer kleinen Geste bedeutete, als erste fortzufahren. „Ich... ich finde, es war ein wunderschöner Abend, Severus“, meinte sie leise, unsicher, und Severus glaubte, dass er noch nie etwas faszinierenderes gehört hatte als diese Worte. „Ich auch“, entgegnete er leise und tat etwas, das er bis jetzt nur zu sehr seltenen Gelegenheiten gewagt hatte – er griff nach ihrer Hand und drückte vorsichtig ihre hellen, schmalen Finger. „Danke, dass du mit mir getanzt hast.“ Sie antwortete nicht, sondern machte einen Schritt auf ihn zu, bevor sie sich auf die Zehenspitzen reckte und ihm einen vorsichtigen Kuss auf die Wange drückte – der erste Moment an diesem Abend, an dem er bedauerte, eine Maske zu tragen. „Gute Nacht, Severus“, wisperte sie an seinem Hals und er hob ihre Hand an seine Lippen, drückte einen vorsichtigen Kuss auf ihre weiche Haut, bevor er sie gehen ließ und ihr hinterher sah, wie sie sich auf den Weg zum Gryffindorturm machte. „Gute Nacht, Lily“, antwortete er schließlich, als sie schon fast außer Hörweite war, und schalt sich bereits im selben Moment dafür, dass er nicht die Worte gesagt hatte, die ihm schon so lange auf dem Herzen lagen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)