Nebel über Hogwarts von Glasschmetterling ================================================================================ Kapitel 35: Realitäten ---------------------- Nebel über Hogwarts – Kapitel 35: Realitäten Nur wenige Tage nach dem Vollmond setzte heftiger Schneefall ein, der den tristen, grauen Matsch, in den sich die Ländereien verwandelt hatten, unter hohen Wehten von weißen Flocken vergrub und alle Schüler nach draußen lockte, um den üblichen Aktivitäten, die mit diesem Wetter einhergingen, nachzugehen – natürlich nur unter erheblicher Bewachung. Auch das Quidditch-Training wurde vom Wetter nicht beeinflusst, ein kleiner Schneesturm war nichts, das Claire Rowan davon abgehalten hätte, ihre Mannschaft bis zur Erschöpfung anzutreiben. Das kalte, schlecht besuchte Matsch zwischen Ravenclaw und Slytherin, das die Slytherins mit einhundertneunzig zu siebzig für sich entschieden, schien sie nur noch mehr zu motivieren, und das bei Minusgraden, die jeden normalen Menschen eher an flauschige Socken als an Bewegung im Freien denken ließen. Auch ihre Babysitter, wie die Mannschaft sie getauft hatte, bestehend aus drei Auroren des Ministeriums, schienen James' Unmut über seine Kapitänin zu teilen. James hatte den dumpfen Verdacht, dass das Verbot jeglichen Trainings, das Dumbledore wegen des Wetters Anfang Dezember aussprach, zumindest ein bisschen mit ihrer Intervention zu tun hatte, auch wenn er das Claire gegenüber nicht erwähnte – auch ausgebildete Auroren waren nicht vor Unfällen gefeit. Auch wenn er es nie ausgesprochen hätte, er war froh über die Pause, die sich ihm bot, denn ganz im Gegensatz zu den Gerüchten, die über ihn in Umlauf waren, lernte sogar er gelegentlich, und der Arbeitsaufwand war seit September kontinuierlich angestiegen. Gemeinsam mit den nächtlichen Rundgängen, die er zwei Mal die Woche unternahm, um nach Gefahren und Unruhestiftern Ausschau zu halten, fühlte er sich ganz schön erschöpft, auch ohne dass Claire ihn schreiend und schimpfend über das Quidditch-Feld jagte. Und natürlich waren da auch noch die Vollmonde, an denen es immer schwieriger wurde, zu Remus nach draußen zu gelangen, besonders jetzt, nach dem Angriff auf Hogsmeade. Zwei Mal wären sie fast erwischt worden und selbst Sirius musste zugeben, dass die Angelegenheit mittlerweile sehr riskant wurde – nicht so sehr, weil sie die Strafen fürchteten, sondern weil sie Angst hatten, dass Remus' Geheimnis vielleicht entdeckt werden könnte. James wusste, was für eine Katastrophe das für seinen Freund wäre, wie sehr Werwölfe in der magischen Gesellschaft noch immer gehasst und verachtet wurden, und das war ein Schicksal, das er niemandem wünschte. Vielleicht sogar nicht einmal Severus Snape. Remus' monatliche Verwandlung war auch der Grund, wieso er gerade in seinem Bett lag und die Karte des Rumtreibers betrachtete, auf der sich kleine Tintenpünktchen durch die gezeichneten Gänge des Schlosses bewegten. Schon seit ihrer Beinahe-Katastrophe vor zwei Wochen wechselten sie sich damit ab, die Routen, Schichtwechsel und Wachen der Auroren und der Patrouillen zu beobachten, in der Hoffnung, vielleicht einen Schwachpunkt zu finden. Leider hatten sie bis jetzt nichts entdeckt, nicht einmal mit den Informationen, die James und Remus beisteuern konnten, weil sie ja auch selbst an den Kontrollen teilnahmen. Aber irgend etwas musste es... Lily Evans. Severus Snape. Die beiden Namen brachten zuerst nur eine kleine Saite in seinem Kopf zum klingen, wie die aller anderen Schüler, die er kannte – bis ihm die merkwürdige Kombination auffiel und er dem kleinen Kerkerraum, in dem sie sich befanden, einen weiteren Blick widmete. Und da waren sie – Lily und Schniefelus, dicht nebeneinander, so dicht, dass es eigentlich nur einen Grund dafür geben konnte. Für einen Moment fühlte er sich wie erstarrt, während die Gedanken in seinem Kopf im Kreis rasten, zu dem Versprechen, das er Snape abgerungen hatte, zu Lilys abweisendem Verhalten, zu dem geheimnisvollen Fremden vom Halloweenball. Doch der Augenblick ging ebenso schnell vorbei, wie er gekommen war, wich einer Hektik, die er selbst nicht ganz verstand und die er beobachtete wie ein Gefühl, das zu jemand anderem gehörte. Er stopfte die Karte in seine Umhangtasche, griff nach seinem Zauberstab und riss die Vorhänge seines Himmelbettes auf, bevor er die Treppen in den Gemeinschaftsraum hinunterhastete und einen kurzen Blick über die roten Sessel warf. Sirius war nicht hier und er ignorierte Remus und Peter, die in einer Ecke Hausaufgaben machten und ihn irritiert ansahen – er wusste, was sie von seiner Idee, die sich noch gar nicht richtig in seinem Kopf entwickelt hatte, halten würden. Ohne noch einen weiteren Gedanken zu verschwenden, stürmte er durch das Portraitloch nach draußen und hastete die vielen Treppen nach unten, lief weiter und weiter, während die Bilder in seinem Kopf verrückt spielten. Zu den Ideen, die seine Beine noch mehr antrieben, gehörte die Vorstellung, dass Schniefelus und Lily dort unten im Kerker standen, eng umschlungen und sich küssend – und dass er sie gleich stören würde... Noch nie hatte er die Katakomben unter Hogwarts so schnell erreicht wie an diesem Abend, doch als er in den Bereich kam, in dem er das Klassenzimmer vermutete, musste er seine Schritte zwangsläufig verlangsamen, um einen schnellen Blick auf die Karte des Rumtreibers werfen zu können. Da! Hinter dieser Tür waren sie, und ihm blieb noch ein kurzer Moment des Zweifels, der allerdings so schnell verging, dass er sich später kaum mehr daran erinnern würde. Dann drückte er die Klinke nach unten und stieß die Tür mit Wucht auf. Das erste, was er sah, als er den Raum betrat, waren Schniefelus und Lily, die hinter einem großen, blubbernden Kessel auseinanderstoben, die Augen auf ihn gerichtet. Snape hatte bereits seinen Zauberstab gezogen, während Lily ihn nur anstarrte, ungläubig – bis sich die Wut langsam auf ihren Zügen ausbreitete. Trotzdem war es Snape, der zuerst sprach. „Was willst du hier?“, spuckte er aus und James konnte fast zusehen, wie sich rote Flecken auf seinen blassen Wangen ausbreiteten. „Dasselbe könnte ich dich fragen!“, entgegnete er, doch von der ruhigen Kühle, die er eigentlich angestrebt hatte, blieb nichts übrig im Angesicht seiner Wut – er fauchte die Worte fast. „Du hast versprochen, dass du sie in Ruhe lässt!“ Snape schnaubte. „Das nennst du ein Versprechen? Wenn du jemanden aus der Überzahl heraus hinterrücks angreifst und ihm dann ein Nicken abpresst? Aber das ist ja deine Spezialität, du warst schon immer eine feige, kleine...“ „NENN MICH NICHT FEIG!“ Die Worte waren aus seinem Mund gekommen, ohne dass er sie gedacht, sie bewusst geformt hätte, und fast war er überrascht. „Du bist hier doch derjenige, der sich ohne schwarze Magie nicht sicher fühlt, der unbedingt in ein Haus voll dreckiger, kleiner Schlangen wollte! Schon als Kind!“ Der Zauberstab in Schniefelus' Hand zuckte bedrohlich und in einer schnellen Bewegung zog James seinen eigenen, richtete ihn über den noch immer blubbernden Kessel auf seinen Gegner. „Und Lily wolltest du mit dir ziehen! Aber sie ist nicht so eine wie du, sie weiß, auf welcher Seite sie steht, auch wenn sie gerade ein wenig verwirrt ist!“ „Als ob sie sich mit einem solchen IDIOTEN wie dir abgeben würde! Sie möchte einen INTELLIGENTEN Mann, keinen, der nur über Quidditch und die dummen, gefährlichen Streiche seiner SPEICHELLECKER redet!“ „Wenigstens HABE ich Freunde, im Gegensatz zu dir, und keine beschissenen sadistischen TODESSER, die andere Leute UMBRINGEN, nur weil es ihnen SPASS macht! Und ich geh jede Wette ein, du bist auch einer von ihnen, du schleimiges ARSCHLOCH!“ „SECTUMSEMPRA!“ „CONFRINGO!“ „PROTEGO!“ Der Schild schoss zwischen sie, blockte ihre Zauber ab, die in die Einrichtung einschlugen und Tische und Stühle zu Staub zerfallen ließen, und sie beide wandten sich nun Lily zu, die sie während ihres Streits vollkommen vergessen hatten. Mit ausgestrecktem Zauberstab stand sie da, die grünen Augen funkelnd, und James fiel siedend heiß wieder ein, dass sie eine der wenigen Schülerinnen war, die sich in Verteidigung gegen die Dunklen Künste gegen mehrere Gegner behaupten konnten. „HABT IHR BEIDE EIGENTLICH VOLLKOMMEN DEN VERSTAND VERLOREN?“ Sie keuchte, nachdem sie die Worte gebrüllt hatte, so laut sie konnte, und das Echo von den Wänden des Kerkers widerhallte. „MERKT IHR ÜBERHAUPT, WAS FÜR SCHEISSE IHR REDET?“ Ihre Wut schien noch immer nicht aufgebraucht und sie machte den Eindruck, als ob sie kurz davor wäre, sie zu verhexen – genau das Gegenteil von dem, was James beabsichtigt hatte, als er hier herunterkam. Wenn er überhaupt irgendetwas beabsichtigt hatte und nicht nur einem dumpfen Reflex gefolgt war, einem Impuls, dem sein bewusstes Denken erst jetzt mühsam hinterherhinkte. „STREITET EUCH DARUM, WER VON EUCH BESSER IST, UND MERKT DABEI GAR NICHT, DASS IHR BEIDE ARROGANTE, CHAUVINISTISCHE IDIOTEN SEID! ICH KANN SELBST ENTSCHEIDEN, MIT WEM ICH BEFREUNDET SEIN WILL, WEN ICH MAG, WEN ICH NICHT MAG, MIT WEM ICH MEINE ZEIT VERBRINGE. UND BEVOR IHR DAS NICHT BEGRIFFEN HABT, WILL ICH EUCH BEIDE NICHT WIEDER SEHEN, HABT IHR DAS VERSTANDEN?“ Ihre Stimme überschlug sich und aus ihrem Zauberstab entkam ein kleiner Blitz, der zischend zwischen den Phiolen auf dem Arbeitstisch einschlug und einige der kleinen Glasfläschchen zerschlug, bevor sie an ihnen vorbeirauschte und die Tür hinter sich zuschlug. Für einen Moment herrschte absolute Stille, nur durchbrochen durch das leise Prasseln des Feuers und das Blubbern des Zaubertranks in seinem Kessel, dann griff Snape hastig nach seinem Umhang und stürmte an ihm vorbei hinaus, ohne ihn auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Merkwürdigerweise hatte James nicht das Bedürfnis, diesen Mangel in seiner Abwehr auszunutzen und ihm einen Fluch hinterherzujagen, sondern fühlte sich nur leer und ausgepumpt, so als ob er jedes Gramm Wut, jede Unze Hass, die er in sich hatte, gerade in dieses Schreiduell gelegt hätte. Jetzt war nichts mehr übrig von diesen Gefühlen, nur die brennende Scham, die sich seinen Hals hinaufschlich und sich in seinen Wangen einnistete, Scham und Leere. Er hatte gut dastehen wollen vor Lily, hatte sie vor dem schleimigen Idioten retten wollen, der ihr zu nahe trat, und was hatte er erreicht – sie hasste ihn noch mehr als zuvor, hatte all ihre Wut auf ihn, all ihre Abneigung gegen ihn ausgesprochen. Und auf eine merkwürdige, paradoxe Weise waren diese Gefühle für James damit real geworden, hatten sich von diesem entfernten Status des Wissens, von dem man sich distanzieren konnte, hinuntergeschlichen in sein Herz, wo er jetzt begriffen hatte, dass Lily ihn nicht ausstehen konnte. Dass sie ihn nicht ausstehen konnte – und dass er sie liebte, wirklich liebte, nicht nur attraktiv fand oder für sie schwärmte oder sich für sie interessierte. Liebte – und dass diese Liebe wahrscheinlich niemals eine Chance bekommen würde, weil er es schon versaut hatte, bevor sie überhaupt entstanden war. Erschöpft ließ er sich auf einen der Schulstühle sinken, er verstand nicht, was Lily an Snape fand, wieso sie ihn mochte – aber irgendetwas musste es sein, dass der Slytherin hatte und das ihm fehlte, irgendetwas... aber es machte keinen Unterschied mehr. Sie hasste ihn, würde ihn niemals ein zweites Mal ansehen, herausfinden, dass er sich geändert hatte, versuchte, sich zu ändern, und das nur für sie. Niemals. Kurz blickte er sich um, sah die verschiedenen Arbeitsplätze, die vorbereiteten Zaubertrankzutaten, die Messer, die Brettchen, die Phiolen, und es war wie ein Einblick in das Leben der Lily, die zu sehen er sich nie die Mühe gemacht hatte. Dann schloss er die Augen, schüttelte den Kopf und erhob sich, machte sich auf den Weg in den Gryffindorturm, ohne sich noch einmal umzusehen. Dieses Labor, diese Momente gehörten ihr und nicht ihm, und er fühlte sich wie ein Eindringling, wenn er sie noch länger ansah – er hatte keinen Platz in ihrem Leben, und wenn er geglaubt hatte, dass es jemals einen für ihn geben würde, dann war er ein Idiot gewesen. Genau wie sie es gesagt hatte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)