A Cold Night von abgemeldet ================================================================================ Kapitel 1: First Meeting ------------------------ Es war eine sternenklare Nacht, eiskalter Wind fegte über den Boden des von Stille gezeichneten Weges und ließ die Blätter der beinahe kahlen Bäume leise rascheln. Doch war es nicht das einzige Geräusch, das in dieser fast leblos wirkenden Nacht zu vernehmen war. Dumpfe Schritte, die regelmäßig im Rhythmus des Windes über den Boden strichen, füllten die Stille mit einer unheimlichen Atmosphäre. Der dichte Nebel, der wie an seidenen Fäden über den Baumkronen des Waldes hieng, machte es fast unmöglich weiter als ein paar Meter nach oben zu blicken. Seine aschfahle Haut schmiegte sich an den Nebelschleier und verschwand beinahe darin. Nur seine verwuschelten pechschwarzen Haare und seine bordeaux-farbenen Augen hoben sich sichtlich davon ab. Er wirkte elegant und unglaublich schön und doch auf eine gewisse Weise eher angsteinflößend als anziehend. Seine Hände hatte er, obwohl das Problem der Kälte nicht eines der seinen war, tief in den Taschen seines schwarzen Mantels vergraben. Seine markanten Gesichtszüge ließen ihn äußerst ernst aber auch auf eine gewisse Weise sehr jung erscheinen. Seine Haltung war erhaben, schon fast an Arroganz reichend. Zügig glitt er den Weg entlang, immer tiefer in den finsteren Wald. Es dürstete ihn. Und er wusste wer oder was dieses im Moment unerträgliche Verlangen stillen konnte. Das Blut eines warmen Menschenkörpers. Er hoffte, nein... er verlangte , dass sich irgendein unnützes Lebewesen in diesem verlassenen Wald verlaufen hatte und nun keine Chance mehr auf Widerkehr hatte. Je tiefer er in den Wald ging, desto dichter wurde die Nebelschicht über ihm und der Durst, der in ihm brannte. Er überlegte auf wen seine Wahl heute fallen würde. Wie der oder die Auserwählte wohl schmecken würde? Schon allein beim Gedanken daran lief ihm das Wasser im Munde zusammen. Seine spitzen Eckzähne, oder wie er es bevorzugte, Reißzähne ragten über die anderen Zähne seines Oberkiefers hinaus und liefen am Ende zu einer spitzen messerscharfen wie man es nennen könnte Klinge zu. Wie gern würde er jetzt mit diesen scharfen Reißzähnen die dünne Haut eines menschlichen Wesens durchdringen, es flehen und um den Tod betteln hören, da der Schmerz der diese Prozedur verursachen würde nicht mehr zu ertragen wäre. Er liebte es wenn sie um ihr, schon ab dem Zeitpunkt da er sie gesichtet hatte, beendetes Leben bettelten. Es gab ihm die Macht, die er haben wollte. Die Macht, die er in allen Zügen genoss. Er war ein, anders konnte man es nicht ausdrücken, sadistisches Monster. Über Leben und Tod zu entscheiden gab ihm die Genugtuung besser zu sein als die, die seine Spezies verschrieen. Sie ihres Heils durch ihr Gerede Blasphemie aller Existenz berauben wollten um sie in die Hölle zu schicken und nicht in die Arme des "Herren" wie sie ihn nannten. "Wer ist nun der Herr, da ich entscheide wer unter meinen Klauen stirbt und wem erlaubt ist sein schäbiges Leben weiter zu leben?", schnaubte er süffisant. Er schritt weiter, immer stur geradeaus, auf der Suche nach einer Fährte, die er verfolgen konnte. Und da war sie. Triumphierend beschleunigte er seine Schritte und steuerte auf die Stelle zu wo er den sachten Duft eines Menschens wahrnahm. Er musste sich durch wildes Gebüsch schlagen um die auf nun vor ihm liegende kleine Lichtung zu kommen. Als ob die Natur es ihm noch leichter als ohnehin schon machen wollte, hatten sich die Nebelschwaden an dieser Stelle gemildert und ließen das Mondlicht durch die Äste der Bäume fallen. Und genau in der Mitte der Lichtung, wie ein Schwein auf einem Servierteller mit Beilage und Apfel in der Schnautze, saß sie. Ihr Duft hat mich also hierher geleitet. Was für eine Ironie des Schicksals, dass etwas, das sie nicht in geringster Weise ändern können mich zu ihnen fürt... dachte er amüsiert. Es war ein kleines Mädchen, das vielleicht gerade sieben Jahre alt, so schien es, mit dem Rücken zu ihm gekehrt auf dem seichten Waldboden saß. Langes rotes Haar, das ihr bis zur Taille reichte, verdeckte den größten Teil ihres kleinen, weichen Körpers. Er hatte es nicht nötig sich anzuschleichen, sie hätte ohnehin keine Chance gehabt zu flüchten. Er wusste wie er sie täuschen konnte, jahrhunderte lange Ausübung hatte dies bewiesen, und es kam ihm nicht sonderlich kompliziert vor, da sie hier nun ganz alleine auf einer kleinen Lichtung tief im Herzen des Waldes saß. "Hey du, Kleine?" Sie verlagerte ihr Gewicht auf ihre Knie und versuchte mit ihre kleinen schwachen Ärmchen halt zu finden. Sie drehte sich langsam um und fiel abrupt wieder zu Boden. Er zuckte bei ihrem Anblick leicht zusammen, wenn auch kaum merklich. Sie trug ein weißes zerrissenes Kleid, (zumindest das, was davon übrig war), ihre Füße waren nackt. Ihre langen Haare, die ihr an manchen Stellen ins Gesicht hingen und über ihren Körper fielen konnten auch nicht verdeckten was sich bei ihrem Anblick bot. Ihr zerbrechlicher Körper war übersäht von blauen Flecken und alten Hemmatomen, die noch nicht richtig verheilt waren. Sie hatte Schrammen und Kratzer im Gesicht, einer, der sich sogar vom Ende ihrer Augenbraue über ihre Wange bis zu ihrem Kinn hinabzog. Ihre Augen waren geschlossen, als wollte sie verbergen was sich dahinter lag. Ihre blasse Haut brachte die ganzen Narben auf ihren Armen und Beinen noch besser zur Geltung. Sie hatte Blätter und Gras in den Haaren und ihr Kleid war befleckt mit Dreck und Grasflecken, und an manchen Stellen war es mit verwischten roten Flecken beschmiert. Blut? Er hatte schon Schlimmeres gesehen, doch dieser Anblick hatte ihm sichtlich Schock ins Gesicht gebrannt. Die feinen Linien seines Gesichtes waren verzerrt und er versuchte sich wieder auf sein ursprüngliches Vorhaben zu konzentrieren. Ist sie eben verletzt... Ich werde sie sowieso töten, wahrscheinlich mache ich ihr so die Schmerzen, die sie hat erträglicher. Aber selbst wenn nicht... was kümmert mich das? Sie ist letztendlich auch nur ein stinkender Mensch,dachte er. Sein Willen festigte sich und er trat einen Schritt näher und öffnete seinen Mund um seine spitzen Klauen zum Vorschein zu bringen. Sie hätte aufspringen, egal wie wenig Kraft sie noch hatte, und weglaufen sollen, doch sie blieb ganz ruhig sitzen. "Natürlich sie sieht ja auch nichts...", murmelte er leise. Er kniete sich jetzt neben sie um zu entscheiden von welcher Seite ihres Halses er sie besser erwischen konnte. Ihre Kehle pulsierte, das Blut floss unter ihrer Haut durch ihre winzigen Adern. Noch winziger als sie selbst schon wirkte. Ihr Herz schlug ruhig und langsam. Ungewöhnlich für eine Situation wie diese. Selbst wenn sie nichts sehen konnte müsste sie die Gefahr, die von ihm ausging wahrnehmen. Sie blieb ganz ruhig sitzen und ihr Brustkorb hob und senkte sich leicht. Er kümmerte sich nicht länger um ihre Reaktion und beugte sich vor. Doch in diesem Augenblick öffnete sie ganz langsam, als würde sie dafür viel Kraft aufbringen, ihre Augen. Erneut hielt er inne. Ihre Iris war rabenschwarz, selbst hätte sie Pupillen gehabt, wären diese nicht mehr erkennbar gewesen. Ihre Augen waren blutunterlaufen und das Lid ihres rechten Auges war angeschwollen, es hing etwas nach unten. Er hatte schon Leichen gesehen, die lebendiger wirkten, und hätte sie sich vorhin nicht bewegt und könnte er ihr Herz nicht schlagen hören, wäre er davon überzeugt sie sei tot. Er beugte sich weiter zu ihr, doch nicht um das zu tun was er vorgehabt hatte, sondern um mit seiner, im Vergleich zu ihrer, riesiger Hand ihre Wange zu berühren. Sie zuckte verstört zusammen. Wahrscheinlich waren die blauen Flecke nicht die einzigen Stellen, die ihr wehtaten. Er wusste nicht wieso, aber dieses Kind hatte eine Wirkung auf ihn, wie es noch nie ein menschliches Wesen... nein, gar noch nie ein Wesen auf ihn gehabt hatte. Trotz seines Durstes konnte er seine Augen nicht von ihr abwenden. Was war mit ihr geschehen? Was hatte man ihr angetan? Und warum hatte man ihr das angetan? Alles Fragen, die ihn nicht kümmern sollten. Was interessierte ihn dieses minderbemittelte Geschöpf? Das Einzige was ihn wirklich kümmerte war er selbst. Diese Einstellung hatte er all die Jahrhunderte beibehalten. Der Grund, warum die Leute in seiner kleinen Stadt ihn mieden, der Grund weshalb er nach all den Jahren nie einen Begleiter gesucht hatte. Dieses winzige Geschöpf rief etwas hervor, dass er glaubte verloren zu haben. Egal wer oder was ihr das hier angetan hatte und was mit ihr geschehen war, er hatte den Drang dieses Wesen zu beschützen. Denn auf gewisse Weise war sie wie er... irgendwie anders. Das hieß nicht, dass er irgendwelche Sympathien für sie hegte. Sie war immerhin nur ein nutzloser Mensch... aber etwas in ihm musste sie beschützen. Dieses zerbrechliche Lebewesen, das nicht mal wenn es die Gefahr erkennen müsste, die Flucht ergriff. Vielleicht, weil sie keine Angst mehr davor hatte verletzt zu werden? Weil sie schon fast tot war, oder gar auf gewisse Weise tot ist? Er hatte noch nie jemanden gesehen, der seiner Seele so entrissen wirkte. Roar... was soll das? Was hat dieses Kind für eine Macht mich so zu binden, dachte er wütend. Wer ist sie, dass sie es wagt mich zu stoppen? Er blickte ihr in die Augen. Was er sah, war nicht das, was er erwartet hatte. Für ihn konnten diese seelenlosen Augen keine Tiefe besitzen. Doch man konnte durch diese Augen fast in sie hinein sehen. Wenn auch verschwommen. Es war, als würde der Nebel, der über den dunklen Wäldern hing, auch in ihren Augen Platz gefunden zu haben. Er konnte diese Tiefe nicht deuten, wenn er sich auch fast sicher war, dass diese auf Schmerz beruhte. "Wie heißt du?", fragte er leise, als würde bei zu lauten Tönen ihr Gehör auch noch brechen. Sie sah ihn jetzt an, und was in ihrem Ausdruck mitschwang konnte er wieder nicht deuten. Verwirrung? Unsicherheit? Er wusste es nicht. Statt ihm zu antworten sah sie ihn weiterhin unverbindlich an. "Kannst du nicht sprechen, Mädchen?". Sie lehnte ihren Kopf etwas nach links und machte eine winzige Bewegung nach oben. Es schien als würde dies ja bedeuten. Warum entsagte ihr sogar ihre Stimme? In vieler Hinsicht war sie das Einzige, mit dem sie sich wehren konnte. "Hast du denn einen Namen?", fragte er. Diesmal sah sie zu Boden. Ob das hieß, dass sie hatte besaß? Jeder Mensch, egal welcher Rasse oder Abstammung hatte doch einen Namen. "Wieso nicht?". Sie sah wieder auf und zuckte nur ganz leicht, als würde selbst das ihr Schmerzen bereiten, mit den Schultern. Er hatte ja von Anfang an gespürt, dass diese Nacht anders war. Die Stille, das... Unmenschliche.Aber das war mehr, als er jemals zu Träumen wusste. Dieses Kind, allein gelassen und verletzt, so verletzt, dass es längst ärztliche Hilfe aufsuchen hätte müssen, inmitten des kalten Waldes. Was ging hier vor? "Warum bist du allein?" fragte er. Und als ob diese Augen nicht ohnehin schon leer gewesen wären, so waren sie jetzt tot. Ausdruckslos sah sie ihn an, als wollte sie ihn damit bitten über dies zu Schweigen. Er kämpfte mit sich selbst und mit dem Gedanken etwas zu unternehmen. Was ging ihn diese ganze Sache an? - Aber etwas an ihr machte es ihm unmöglich sie hier zurückzulassen. Sein Blick fiel wieder auf das weiße zerfetzte Kleid, das sie trug. Sie musste doch furchtbar frieren. Immer noch nicht so recht wissend was er tat zog er seinen Mantel aus und legte ihn ihr um die Schultern, darauf bedacht ihr nicht wehzutun. Sie sah ihn fragend an. Anscheinend war sie es nicht gewöhnt, dass sich jemand um sie kümmert. Was zum Teufel, war mit diesem Mädchen passiert? Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden hatte er die Hände an ihrer Taille und hob sie so sanft wie er konnte in seine Arme. Sie wirkte jetzt nur noch mehr verstört. Was hat es mit diesem Kind nur auf sich?, fragte er sich. Entschlossen, dass die Antwort auf sein Handeln schlichtweg seine Neugier über ihr Geheimnis war, schloss er den Mantel an ihrer Hüfte um noch das letzte bisschen Haut in die Wärme des Mantels zu hüllen und machte sich auf den Weg zurück in die Stadt. Er war, wie die Menschen ihn nannten, ein wohlhabender Herr adliger Abstammung, der in einem einsamen Haus etwas abseits zum Rest der Stadt auf einem kleinen Hügel lebte. Es war natürlich kein Schloss, was auch zu sehr aufgefallen wäre unter den ärmlichen Verhältnissen der Kleinstadt, aber doch war es sein Thron. Sein Reich. Es war ein altes dunkles Gemäuer an dem sich an der Nordseite der wilde Efeu bis hinauf zum Dach schlengelte. Es sah edel aus und erinnerte an die Renaissance. Durch die Fenster konnte man die schwarzen Vorhänge leicht erkennen, die die weißen Fensterrahmen kontrastreich umrahmten. Auch die Inneneinrichtung erinnerte sehr an die Renaissance. Möbel wie Schränke und Regale waren schon wie im Mittelalter in die Wände der hohen Räume mit eingebaut. Als er wenig später mit dem Mädchen in den Armen genau vor diesem Haus angekommen war stieß er die Tür auf und betrat den ersten großen Raum. Den Flur. Es war ein langer Gang, an dem rechts und links offene kleine Torbogen in die verschiedenen Zimmer des Hauses führten. Ganz hinten links befand sich eine alte Treppe mit einem Geländer aus abgerundeten Holzpfählen, die ins obere Stockwerk führte. Er schenkte dieser jetzt jedoch wenig Beachtung und schritt durch die zweite Tür nach rechts in einen groß wirkenden Raum, dessen Wände mit vielen Gemälden geschmückt waren. Viele Regale standen an den Wänden und waren widerum mit Kerzenhaltern oder anderem geschmückt. Selbst die Kerzenhalter wirkten unglaublich alt und passten zum Kronleuchter, der in der Mitte des Raumes an der Decke befestigt war. Unterhalb des Kronleuchters stand ein riesiges Sofa mit rotem Stoff bespannt, der mit Messingnägeln daran befestigt war. Direkt davor stand ein sechseckiger Tisch, dessen Füße aus kleinen hölzernen Säulen bestanden. Auf einem Regal im hinteren Bereich des Raumes neben einer großen Topfpflanze befand sich eine kleine Truhe. Sie war aus massivem Holz gemacht und mit Schlössern gesiegelt. Die Eisenplatten der Schlösser waren kunstvoll geschmiedet, der Zweck der Kiste wurde also zugleich zum Dekor. Er trat an das Sofa heran und legte sie vorsichtig darauf ab. So wie er das Mädchen aufgefunden hatte, sollte er erst einmal ein kleines Feuer machen. "Warte einen Moment", murmelte er. Als ob sie sich freiwillig bewegen würde..., fügte er in Gedanken hinzu. Er ging hinüber zum großen Kamin, in dem sich noch Reste des letzten Feuers befanden, schnappte sich ein paar Holzscheitel und warf sie mitsamt ein paar alten Zeitungen auf die zurückgeliebene Asche. Oben auf dem viereckigen Kamin lagen neben ein paar weiteren kleinen Truhen eine Schachtel mit Streichhölzern. Er nahm eines heraus und zündete es an der rechten Seite der Schachtel an, um es anschließend auf die Zeitungen zu werfen. Die Zeitungen fingen sofort Feuer und entflammten nach kurzer Zeit das Holz. Ein kleines Feuer brasselte nun im Kamin. Die Wärme auf seiner Haut war angenehm. Selbst wenn er nicht fror, war es doch ein wohltuendes Gefühl. Er drehte sich um und musste feststellen, dass das Mädchen ihr Gesicht ängstlich in seinem Mantel vergraben hatte. Er setzte sich neben sie aufs Sofa, wobei sie erneut zusammenzuckte. Er beugte sich vor und versuchte unter all den feuerroten Haaren ihr Gesicht zu finden. "Was hast du denn?", fragte er verwundert als er es schließlich gefunden hatte. Ihre schwarzen Augen irritierten ihn nach wie vor. Er hatte noch nie ein menschliches Wesen mit solchen Augen gesehen. War sie überhaupt menschlich? Sie sah ehrfürchtig zum Feuer hinüber und vergrub dann das Gesicht in seinen großen Händen. "Hast du Angst vor dem Feuer?", er sah sie fragend an. Als sie nicht antwortete akzeptierte er dies als ja, und als ein erneutes Rätsel. Er stand seufzend auf und wandte sich dann zur Tür hinter ihm. "Hast du Hunger?" Diese Frage dürfte sich eigentlich erübrigen... sie sieht nicht gerade danach aus als hätte sie vor Kurzem was gegessen, dachte er. Sie blickte auf und nickte heftig. "Na dann komm mal mit", sagte er. Sie stand auf und versuchte etwas unbeholfen in dem großen Mantel vorwärts zu kommen. Er kicherte leise und ging dann zu ihr um sie wie zuvor auf den Arm zu nehmen. Er ging durch den Bogen in die Küche. Wie auch der Rest des Hauses wirkte sie alt und doch edel. Die Schränke und Ablagen waren aus hellem Ahornholz. Er setzte sie auf die Ablage und öffnete den Kühlschrank. Auch wenn er ein Wesen der Nacht war so hatte er doch immer Lebensmittel zu Hause falls er unerwarteten Besuch bekommen sollte. Er nahm eine Packung Nudeln und eingefrorene Soße und legte sie neben dem Mädchen auf die Ablage. Er nahm einen der großen Töpfe und stellte ihn auf den kleinen Herd. Es dauerte nicht lange bis die Soße aufgetaut war und im Topf anfing zu köcheln. Er öffnete die Verpackung der Nudeln mit seinen Fingernägeln und schüttete ein paar in die Soße. Aus einem der Schränke, die etwas weiter oben in die Wände gebaut worden waren, nahm er einen Holzlöffel und begann in der Soße zu rühren. Sie beäugte ihn fasziniert und kuschelte sich noch tiefer in seinen Mantel. Als er aufsah merkte er, dass sie ihn ansah und wieder erschauderte er innerlich. Was hat man ihr nur angetan..?,fragte er sich. "Mädchen, woher kommen eigentlich all die Schirfwunden?". Sie sah ihn fragend an. Er deutete auf die verfärbten Stellen auf ihrer Haut und den Kratzer an ihrer Wange. Wieder wurden ihre Augen leblos und schienen praktisch durch ihn hindurchzusehen. Das Essen im Topf begann zu dampfen, also nahm er es vom Herd und leerte es in den Suppenteller vor ihm. Er öffnete eine kunstvoll verzierte Schublade und nahm silbernes Besteck heraus. Er nickte mit dem Kopf zur Tür hinter sich und wies sie an mitzukommen "Leg den Mantel ab, wenn er zu schwer ist", sagte er. Sie kletterte vorsichtig von der Anrichte und schüttelte den Kopf. Sie nahm den unteren Teil des Mantels in ihre kleinen Arme. Langsam und bedacht darauf nicht zu stolpern folgte sie ihm in den erhellten Raum. Er legte den Teller und das Besteck auf einen langen Tisch, der mit vielen Stühlen umstellt war. Die Stühle waren wie der Tisch aus dunklem Holz. Sie hatte hohe Lehnen, die wie die Sitzflächen mit Stoff überzogen waren. Sie hatten lange schwungvolle Armlehnen, die unterhalb der Sitzfläche festgemacht waren. Auf dem Tisch lag eine seidene Tischdecke auf der widerum eine Schale mit Obst stand. Er hob sie auf einen der Stühle und setzte sich daneben. "Iss", forderte er sie auf. Sofort hob sie eine ihrer kleinen Hände um damit in die Nudeln zu fassen und sie sich in den Mund zu schieben. Verwirrt sah er ihr dabei zu, wie sie sich schon zu schnell um vernünftig zu kauen immer mehr Nudeln in den Mund schob. "Das isst man mit Messer und Gabel?", es hörte sich mehr nach einer Frage an, als nach der gewollten Aussage. Sie sah auf und sah ihn schon fast empört an, als hätte er sie bei etwas lebenswichtigem unterbrochen. Widerwillig schluckte sie mit zusammengekniffenen Augen die Masse an Nudeln, die sie noch im Mund hatte, hinunter. Ihr Gesicht war verschmiert mit der roten Soße und in ihren vorderen Haarsträhnen hingen kleine Nudelstücke. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen. Sie legte den Kopf schräg und sah ihn an. Er legte ihr die Gabel in die Hand. Sie musterte die Gabel und sah dann wieder zu ihm "Weißt du nicht was das ist?", fragte er verwundert. Sie schüttelte den Kopf und beäugte dann das Messer auf der anderen Seite ihres Tellers. Ihre Augen weiteten sich und sofort schwang sie sich die Arme vors Gesicht. Er wusste wirklich nicht was an diesem kleinen Wesen ihn so fesselte aber sie beruhigte ihn auf gewisse Weise und ließ ihn jedes Mal zusammenzucken wenn sie auf etwas in dieser Art reagierte. "Was hast du denn?", er wusste nicht wieso, aber irgendwas an diesem Messer hatte sie ziemlich verstört. Er ergriff es sogleich und ließ es in seiner Tasche verschwinden. Erst wenige Sekunden später lukte sie vorsichtig durch ihre gespreitzten Hände. Er sah sie an als erwarte er, dass alle Antworten auf ihrer Stirn stehen würden. Dieses Kind ist ein einziges Rätsel, dachte er. Irgendwie bedrückte es ihn, dass er diesem so verletzlichen Kind nicht helfen konnte. Was war es nur, dass ihn so schwach machte? Was an ihr ließ ihn seinen Blick nicht mehr abwenden? Er nahm ihre Hände und umschloss sie mit den seinen. "Es ist alles in Ordnung, Kind. Iss weiter". Sie nahm ihre Hände zaghaft aus seinen, drehte sich wieder in Richtung Tisch und nahm eine der Nudeln in die Hand. Lächelnd schüttelte er den Kopf und nahm die Gabel, die sie fallen gelassen hatte. Er spießte ein paar Nudeln damit auf und hielt sie in ihre Richtung. Sie öffnete den Mund und schob die Nudeln mit den Lippen von der Gabel. Nachdem der Teller geleert war fasste sie sich an ihren Bauch und strich darüber. Er stand auf um ihren Teller, mitsamt dem Besteck, darauf bedacht das Messer sicher versteckt in seiner Tasche zu halten, zum Abwasch ins Waschbecken zu stellen. Er sah ihr zu wie sie, immer noch in seinen Mantel gehüllt, vorsichtig in Richtung Küche tapste. Er streckte den Arm aus und zog eines der Blätter aus ihren Haaren "Du solltest ein Bad nehmen", sagte er mehr zu sich selbst als zu dem Mädchen. Er nahm eine ihrer kleinen Hände und ging mit ihr hinaus auf den Flur, der Treppe entgegen. Er blieb davor stehen und schmunzelte. Er war sich nicht sicher, ob sie genug Kraft hatte die lange Treppe, mit den viel zu großen Stufen, hinaufzugehen. Geschwind nahm er sie wieder auf den Arm und trug sie nach oben. Auch jetzt standen sie wieder auf einer Art Flur, von der jeweils nach rechts und links ein paar Türen abgingen. Jedoch nicht so viele wie im Erdgeschoss. Er wählte die erste Tür rechts und betrat das Badezimmer. Die Wände waren weiß und eben. Der Boden war ausgelegt mit kalten Fliesen und an einer der Wände stand eine Badewanne. Sie war eher in die Breite als in die Länge gezogen. An einem kleinen Haken darüber hingen große Handtücher. Er setzte das Mädchen auf einen kleinen hölzernen Hocker und nahm ihr den Mantel ab. Der Mantel war nun warm, nicht mehr erfüllt von der Kälte seiner Erscheinung. Er drehte an einer der Armaturen des Wasserhahnes und ließ warmes Wasser in die Wanne laufen. Geschwind nahm er eine Flasche mit violetter Flüssigkeit aus dem Regal. Er öffnete sie und leerte ein bisschen in das warme Wasser. Sofort bildeten sich Blasen und Schaum an der Oberfläche und breiteten sich in der Wanne aus. Mit großen Augen erhob sie sich vom Hocker, ging zum Rand der Wanne und hielt eine ihrer Hände in den warmen Schaum. Begeistert zog sie ihre Hand wieder heraus und pustete den Schaum in seine Richtung. Er grinste. "Also zieh dein Kleid aus und wasch dich erst mal richtig", er nahm einen der Schwämme, die an einer Schnur an den Haken hingen, und warf ihn ins Wasser. Dann wandte er sich um und schritt durch die Türe hinaus in den Gang. Ich hoffe sie ertrinkt mir nicht..., dachte er schon fast amüsiert. Um in Reichweite zu sein, falls seine Vermutung eintreffen sollte, ging er anstatt nach unten ins Wohnzimmer, zum letzten Zimmer am Ende des Ganges. Die Wände des Raumes waren in goldenem beige gestrichen und die schwarzen Kerzenhalter in den Ecken des Zimmers waren ein guter Kontrast zum Rest des Raumes. Etwa in der Mitte der hinteren Wand stand ein riesiges Himmelbett mit schwarzem Bezug und seidener Bettwäsche. Er ließ sich darauf nieder und streckte sich. Er konnte nicht verstehen, was Menschen an diesen Betten so bequem fanden. Was gab es besseres als einen schönen alten Sarg? Seine Augenlider fielen zu. Er war furchtbar müde. Die Jagd diese Nacht hatte ihn müde gemacht. Er war durstig. Die blonde, verlockend wirkende Frau hatte ihm einfach nicht gereicht. Oder war es etwas anderes gewesen, das ihn diese Nacht nicht hatte ruhen lassen? Ihn weiter getrieben hatte, bis seine Suche durch das Entdecken des Mädchens besiegelt wurde? Bilder von ihren Verletzungen schossen ihm durch den Kopf. Wie konnte er nur herausfinden, was mit ihr geschehen war, wenn sie nicht sprechen konnte? Oder... nicht sprechen wollte? Er konnte sich nicht erklären, wer einem solch sanften unschuldigen Wesen etwas derart furchtbares antun konnte. Und wo waren ihre Eltern? Eltern, die sie hätten beschützen sollen. Er war wohl eingenickt, denn das Geräusch der knarrenden Tür ließ ihn aufschrecken. Das Mädchen streckte ihren Kopf durch die Tür und war anscheinend froh ihn gefunden zu haben. Sie hatte sich eins der Handtücher um ihren Körper gebunden. Ihre Haare wirkten durch die Nässe noch länger als sie es ohnehin schon waren. In dem unendlich wirkenden Schwall roten Haares waren jetzt keine Überreste von Blättern oder getrocknetem Schwamm mehr zu sehen, sondern nur noch der schimmernde Glanz im Licht der flackernden Kerzen. Tropfen fielen von ihren Haarspitzen auf den Holzboden und versickerten in den Spalten zwischen den Brettern. Ohne den Schmutz auf ihr wirkte sie rein. Schon fast wie ein engelsgleiches Geschöpf. Wären da nicht ihre schwarzen Augen, die jetzt auch noch furchtbar müde wirkten. Er überlegte einen Moment was er ihr zum Anziehen geben konnte, dann stand er auf und ging zum Schrank, der sich neben dem Himmelbett befand. Mit einem Ruck zog er die etwas klemmende Schranktür auf. Im Innern des Schrankes hingen Unmengen von Kleidungsstücken, Schuhen und auch seine Mäntel, sauber nebeneinander. Er schob die Kleiderbügel hin und her und nahm letztendlich eines seiner großen Hemden und eine kurze Stoffhose heraus. Mit ausgestrecktem Arm und einer kaum merklichen Bewegung warf er die Kleider aufs Bett. Das wird schon gehen für eine Nacht. Morgen werde ich mich mit ihr mal nach ein paar passenden Kleidern umsehen.., dachte er. "Du kannst das anziehen". Sie nickte und er half ihr in die, für sie übergroßen, Kleider zu schlüpfen. "Hier kannst du heute Nacht schlafen", sagte er und deutete auf das Himmelbett. Er ging zur Tür links neben einem der Bücherregale und öffnete sie mit dem Eisenschlüssel, den er an einer Kette um seinen Hals trug. Gerade als er den Schlüssel im Schloss umdrehte zupfte etwas an seiner Hose. Er wandte sich um und blickte nach unten um ihren fragenden Blick zu erwidern "Ich schlafe nebenan", meinte er ruhig. Sie wirkte noch etwas irritiert, ging jedoch zurück zum Bett, kletterte auf seine Kante und kuschelte sich in wenigen Sekunden in seine Kissen und die warme caramelfarbene Decke. Das Zimmer, das er bertreten hatte, war dunkel. Es gab keine Fenster und die Wände waren in einem tiefen Braunton gestrichen. Die einzige Lichtquelle waren die drei winzigen Kerzen, die schon fast bis auf den Grund abgebrannt waren. Vor ihm stand jetzt sein geliebter, aus dunklem Eichenholz bestehender Sarg. Seine Seiten waren mit verspieltem Relief verziert. Die Enden waren eher elegant und rundeten die ansonst glatte Oberfläche perfekt ab. Sein Inneres war aus weißem, weichen Stoff, der das Liegen darin sehr bequem gestaltete. Er glitt hinein und ließ den Deckel leise zuklappen. Er seuftzte und versank kurz darauf in einen tiefen traumlosen Schlaf. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)