For Want of Evidence von Glasschmetterling (A The Dark Knight Fanfiction) ================================================================================ Kapitel 5: The Scent of Blood ----------------------------- For Want of Evidence – Chapter 5: The Scent of Blood Einen Augenblick oder zwei benötigte sie, um ihre zitternden Finger, ihre schwankende Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen, doch die Überraschung in ihrem Blick blieb, als sie Commissioner Gordon anblickte, der zurückstarrte. „Wollen Sie mir sagen, was Sie mit ihm angestellt haben, Detective?“ Seine schlechte Laune war noch immer nicht verschwunden, doch damit hatte sie auch nicht vernünftigerweise rechnen können – die Wahrscheinlichkeit, dass er durch die Tatsache, dass sie dem Verdächtigen wenigstens einige vollständige Sätze hatte entlocken können, nur noch wütender wurde, war vergleichsweise viel höher gewesen. Und doch... sie seufzte. „Wie Sie sicherlich sehr genau gesehen haben, habe ich gar nichts mit ihm angestellt, Commissioner. Ich bin nicht einmal dazu gekommen, den Mund aufzumachen.“ „Was sollte das dann heißen, Skipper Thomas?“ Gordon schnaubte fast vor Wut, und doch war sie in diesem Augenblick weder willens noch in der Lage, auf seine Gefühle Rücksicht zu nehmen. „Ein alter Spitzname. So nannten mich meine Kollegen bei der Innenrevision in Chicago manchmal.“ „Und woher weiß der das?“, fragte er mit einer abfälligen Geste zur Glasscheibe, hinter der sich der Verdächtige verbarg. „Wenn ich das wüsste, wäre ich nicht halb vom Stuhl gefallen, als er mich so genannt hat... Sir.“ Von Objektivität keine Spur mehr – Sarkasmus brach aus ihr heraus wie Wasser, das sie eigentlich hinter Dämmen halten wollte. Angestrengt riss sie sich zusammen. „Wie auch immer... ich denke nicht, dass es besonders relevant ist, um die Bezirksrätin zu finden...“ „Und wenn ich anders denke?“ „Dann ist das Ihnen als Leiter der Ermittlungen selbstverständlich freigestellt, und ich werde jegliche Frage beantworten, die Sie zu diesem Thema haben, Sir.“ Endlich klang sie wieder professionell, doch sie spürte, dass die Sache sie nicht loslassen würde... nicht, bevor sie wusste, wer oder was dahintersteckte und was zum Teufel sie selbst damit zu tun hatte. Irgend jemand wollte die Angelegenheit auf eine persönliche Ebene ziehen, dessen war sie sich sicher – und sie sollte verdammt sein, wenn sie das zulassen würde. Gordon zog die Augenbrauen hoch. „Für den Anfang reicht wohl eine Frage, Detective. Woher haben Sie diesen dämlichen Spitznamen eigentlich?“ „Wegen meinem Boot, Sir.“ „Ihrem was?“ „Meinem Boot, Sir“, wiederholte sie geduldig, die Situation schien die Denkfähigkeit des Commissioners ernstlich zu beeinflussen. „Meinem Segelboot, um genau zu sein. Als meine Kollegen herausgefunden haben, dass ich eines besitze, war das ihre Art, mich damit aufzuziehen.“ Gordon schüttelte den Kopf. „Wenn das alles ist, dann haben Sie wohl recht, wenn Sie behaupten, dass das nichts mit dem Fall zu tun hat... und dann haben Sie Besseres zu tun, als Smalltalk zu betreiben, Thomas. Oder zumindest hoffe ich das.“ Sie nickte, das hatte sie wirklich, DuPres überprüfte gerade die Informationen, die sie über Winona Jeffries hatten, und sie wollte die Frau kurz danach zu sich bitten, um persönlich mit ihr zu sprechen. Sie war immerhin die beste – und vorläufig einzige – Verdächtige, die sie hatten, und sie wollte ihm die Angelegenheit nicht alleine überlassen... er war zwar ein guter Junge, aber immer noch ein Junge. „Natürlich, Sir.“ Sie verließ den Raum und nahm auf dem Weg zu ihrem Büro noch eine Kanne Kaffee mit, sie hatte das Gefühl, dass ihre Tasse auf dem Schreibtisch die einzige persönliche Note darstellte, die sie dort hinterlassen hatte und seufzte. Mittlerweile sollten ihre Sachen aus Chicago langsam ankommen sein, immerhin war es bereits zwei Tage her, dass sie bei der Umzugsgesellschaft angerufen hatte, und irgendwann... „Ma'am?“ „Ja?“ Morgan hatte an ihren Schreibtisch gelehnt auf sie gewartet, die dunkelhaarige Polizistin betrachtete sie mit einem fast misstrauischen Blick in ihren Augen. „Ich habe Officer Jeffries gründlich durchleuchtet. Ihre Finanzen sehen ziemlich übel aus, ihr Mann zahlt nicht für ihre beiden gemeinsamen Kinder, aber letzten Monat muss sie irgendwoher eine Menge Geld bekommen haben, denn plötzlich waren alle ihre Rechnungen bezahlt.“ „Und Sie meinen, das hat sie sich dazuverdient, indem sie das GCPD an die Mafia verkauft hat?“ Morgan zuckte mit den Schultern. „Ich meine gar nichts, Ma'am – außer, dass es interessant wäre, mit ihr zu sprechen. Ich habe sie hergebeten.“ „Ausgezeichnet. Was ist mit unseren anderen Verdächtigen?“ Sie schenkte sich selbst und ihren Leuten Kaffee ein, DuPres saß wie so gut wie immer vor dem Computer und verfolgte das Gespräch mit interessiertem Blick. „Wir arbeiten daran... aber es ist noch immer der Großteil aller Polizeibeamten, die auch nur in der Nähe des Balls waren, zu überprüfen... und das sind verdammt viele. Und dann kommt noch der Fall McVeigh hinzu, die Kapazitäten des Präsidiums sind schon fast ausgelastet und eine Routineuntersuchung – denn offiziell sind wir das ja auch – bekommt da nicht gerade überragende Priorität zugeordnet.“ „Darüber wollte ich eigentlich...“ Sie zögerte und hielt inne, nein, es würde nichts bringen, wenn sie ihren Leuten davon erzählte, dass sie es nicht einmal geschafft hatte, Gordon um zusätzliche Kapazitäten zu bitten, da seine – durchaus verständliche – schlechte Laune den Anlauf von vornherein vereitelt hatte. „Wie auch immer. Sie machen ausgezeichnete Arbeit, alle beide“, setzte sie mit einem Seitenblick auf DuPres hinzu, der vor Freude um einige Zentimeter zu wachsen schien, „und ohne Sie wäre ich sicherlich nicht so schnell so weit gekommen.“ Die nächste Stunde verbrachte sie damit, die Akten von Polizeibeamten durchzusehen, sie betrachtete Datenblätter, sah Fotos, Einträge über Disziplinarverfahren, Belobigungen, Degradierungen... und nichts erregte ihre Aufmerksamkeit in einer Art und Weise, die auf irgendwelche Unregelmäßigkeiten hingewiesen hätte, auf besondere Umstände, die einer besonderen Untersuchung bedurften. Ein leises Pochen an die Glasscheibe der Tür ließ sie aufblicken, hinter den geklebten Buchstaben, die merkwürdigerweise ihren eigenen Namen formten – die Beschriftung war ihr bis jetzt noch nicht aufgefallen – spähten zwei helle, blaue Augen durch die geöffneten Blenden in ihr Büro. „Jeffries?“ Morgan blickte ebenfalls in die Richtung, aus der das Geräusch ertönte, und nickte. „Ich glaube, ich hol mal neuen Kaffee. DuPres, Sie kommen mit.“ „Aber warum? Ich bin doch gerade...“ „Weil ich jemanden brauche, der mir beim Tragen hilft, ich kann die volle Kanne doch nicht ganz alleine heben.“ Der beißende Sarkasmus, gepaart mit einem Seitenblick, der die Bezeichnung schon längst nicht mehr verdiente, in Thomas' Richtung, ließ auch bei DuPres die Relais klicken. „Oh. Natürlich. Ich verstehe.“ „Hat ja auch lange genug gedauert...“ Noch immer ein wenig brummig öffnete Morgan die Tür, und Officer Winona Jeffries trat ein, sie wirkte schon fast zu dünn und zu filigran, um eine Polizistin sein zu können. Thomas legte die Akte von Lieutenant Hedges beiseite, um aufzustehen und ihr die Hand entgegenzustrecken. „Officer Jeffries.“ „Ma'am.“ „Setzen Sie sich doch.“ Unruhig zog sie sich den Stuhl heran, den Morgan soeben verlassen hatte, ihre hellen Augen über den sommersprossigen Wangen huschten wie die eines kleinen Vogels durch den Raum, immer auf der Suche nach Gefahren. Als Thomas keine Anstalten machte, ein Gespräch zu beginnen oder eine Frage zu stellen, sondern sie einfach musterte, vertiefte sich ihr Unbehagen noch weiter, bis sie schließlich zögerlich erklärte: „Sie wollten mich sprechen, Ma'am?“ „Ja... wegen der Sache beim Polizeiball, Officer Jeffries. Sie waren doch für die Koordination zuständig?“ Die Aussage war als Frage formuliert, und die Frau nickte, dankbar, selbst etwas sagen zu dürfen. „Ja... ich saß im Funkwagen, mit einem genauen Plan des Gebäudes, und habe die Sicherheitsteams koordiniert. Wenn es irgendwo Probleme gab, sollte ich Leute hinschicken, das natürlich so, dass möglichst keine Lücken in der Überwachung des Gebäudes und der Umgebung entstanden... aber wie Sie gesehen haben, hats nicht funktioniert...“ Ihre Geste zu Thomas' Wange war fast unmerklich gewesen, doch nun zuckte ihre eigene Hand empor, noch immer zeigten sich leichte Schürfwunden von den Splittern der zerstörten Glaswand... merkwürdig, sie selbst hatte kaum mehr daran gedacht. Vielleicht, weil es in ihrer Wohnung noch keinen Spiegel gab. „Es ist niemandem etwas passiert, Jeffries.“ Gegen ihren Willen spürte sie, wie Mitleid mit der Frau in ihr aufkam, doch sie schluckte die Empfindung, so rasch sie es vermochte. „Erzählen Sie mir einfach, was an dem Abend passiert ist.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Ich glaube, das weiß keiner so wirklich genau, Ma'am. Am Anfang... am Anfang standen Peters' Scharfschützen auf den umliegenden, niedrigeren Dächern...“ „Peters?“ Thomas zog die Augenbrauen hoch, Gordons Leute waren ihr nicht so bekannt, wie sie ihr eigentlich sein sollten, und mit diesem Namen konnte sie absolut nichts anfangen. „Sergeant Shuna Peters – sie hat die Teams geleitet, wenn ich mich richtig erinnere.“ Unsicher, ob sie fortfahren durfte, schwieg Jeffries für einen Augenblick, dann nickte sie, wie um sich selbst zu ermutigen. „Sergeant Wang hat die Officers kommandiert, die direkt in und um den Ballsaal stationiert waren, und die Koordination mit Mr Fox übernommen. Er ist Mr Waynes... Stellvertreter, oder vielleicht eher Babysitter, wenn man bedenkt, mit welchen Geschichten er immer in den Klatschblättern auftaucht... auf jeden Fall hat er dafür gesorgt, dass wir alles bekommen haben, was wir gebraucht haben, um die Sicherheit der Veranstaltung zu gewährleisten. Die Außentrupps hat Sergeant Zimmerman koordiniert, sie standen vor dem Haus und haben die Gegend eigentlich recht wirkungsvoll abgeriegelt, zumindest, als die Gäste auf dem roten Teppich eingetroffen sind. Danach wurden die Bestimmungen natürlich gelockert.“ Jeffries verzog das Gesicht, so als ob sie gerade einen besonders widerlichen Vertreter aus dem Reich der Insekten entdeckt hätte. „Was natürlich im Nachhinein nicht besonders intelligent war.“ Wieder machte sie eine Pause, vielleicht, um ihre Gedanken zu sammeln, dann seufzte sie. „Und natürlich war da noch Lieutenant Hedges, der war für den gesamten Einsatz zuständig und war den größten Teil des Abends bei mir im Wagen. Nur...“ „Verzeihen Sie, wenn ich Sie unterbreche, Officer, aber... dafür, dass das eigentlich nur ein Routineeinsatz war, haben Sie sich die Einzelheiten verdammt gut gemerkt. Ist das sonst auch immer so?“ Es gelang Thomas nicht, das Misstrauen vollkommen aus ihrer Stimme zu verbannen, und mit einer bewussten Anstrengung glättete sie die steile Falte auf ihrer Stirn. „Naja... nein. Aber, ich meine... es ist wie mit, ich weiß nicht, dem Elften September oder... oder der Ermordung von John F. Kennedy... jeder weiß noch ganz genau, was er gemacht hat, als es passiert ist oder er es erfahren hat, erinnert sich an die Umstände, als wär es gestern gewesen, und ich denke, hier ist es genauso. Immerhin war es der erste Einsatz, den ich versaut hab... Ma'am.“ „Versaut? Inwiefern?“ „Naja, vorher ging alles glatt und da... da treffe ich eine falsche Entscheidung, und diese Hurensöhne... tschuldigung“, sie verbesserte sich rasch, „ich meine natürlich, die Verdächtigen, finden in einem Augenblick die Schwachstelle und gehen dadurch ins Gebäude. Vielleicht hatte ich auch einfach nur Pech.“ Die Angelegenheit schien sie wirklich zu beschäftigen und Thomas zuckte mit den Schultern, wirklich sicher ließ sich so etwas nie sagen, wenn man es mit Polizisten zu tun hatte, die in ihrem Leben wohl schon mehr Vorstellungen von unehrlicher Reue gesehen hatten als die Eltern von Teenagern. „Was ist passiert?“ „Ich bekam unklare Aussagen von meinen Leuten am Nebeneingang, ich dachte, vielleicht randaliert jemand – zumindest hatte ich das Gefühl, dass es so klang, vielleicht ein betrunkener Gast – und ich dachte, ich schicke am besten zwei der drei Officers an der Nottreppe hinüber. Sie waren die nächste Gruppe und Sie wissen ja, wie Betrunkene sind – man weiß nie, was sie im nächsten Moment tun werden, also dachte ich, es eilt. Außerdem hatten wir schon ein oder zwei ähnliche Vorfälle an dem Abend gehabt... ich hab es also nicht für ein Risiko gehalten. Aber da hab ich mich wohl getäuscht, Ma'am.“ „Wer hatte am Nebeneingang das Kommando?“ Thomas warf einen Blick auf ihre Unterlagen. „Officer O'Leary, Ma'am. Lieutenant Hedges hat immer in den höchsten Tönen von ihr gesprochen, also dachte ich nicht, dass sie vielleicht übertreiben könnte oder dass ihr einfach nur stinklangweilig ist.“ „Und was ist dann pas-“ „Detective Thomas!“ Morgans dunkler Kopf schien im Türrahmen zu schweben, sie machte sich nicht einmal die Mühe, ganz einzutreten und Aufregung ließ sie schneller atmen. „Ja?“ Ihre Stimme klang so ruhig und gelassen wie immer, oder zumindest hoffte sie das inständig. „Der Commissioner möchte Sie dringend sprechen, Ma'am. Wirklich dringend!“ Für einen Augenblick wollte sie einwenden, dass besagter Commissioner sie bei einem – ebenfalls wirklich dringenden – Verhör störte, doch dann verkniff sie sich die Worte und warf lieber einen zusätzlichen Blick auf Morgan. Die Frau wirkte aufgeregt, fast... verstört und bei ihrem stoischen Wesen musste die Angelegenheit von wirklich extremer Wichtigkeit sein, um sie zu einer solchen Reaktion zu veranlassen. Jeffries wirkte verwirrt, aber auch ein wenig erleichtert, es war offensichtlich, dass sie nicht besonders gerne mit Thomas gesprochen hatte und dass ihr auch der abschließende Händedruck unangenehm war – fast genauso sehr wie die Ankündigung, das Gespräch demnächst fortsetzen zu wollen. „Der Commissioner ist in seinem Büro, Morgan?“, fragte sie, nachdem der Officer verschwunden war, doch ihre Untergebene schüttelte sacht den Kopf. „Nein. Draußen wartet ein Streifenwagen auf Sie. Sie haben Bezirksrätin McVeigh gefunden.“ Das Erste, was Detective Elizabeth Thomas auffiel, als sie die schmale Seitengasse betrat, war der Stuhl. Er wirkte fast grotesk deplatziert auf dem grobkörnigen Asphalt, seine Holzbeine hätten besser auf den Linoleumboden einer Küche oder das Parkett eines Esszimmers gepasst, als hierher, genau in die Mitte zwischen den Mülltonnen auf der einen und der Feuerleiter des angrenzenden Hauses auf der anderen Seite. Neben ihm sickerte ein dunkles Rinnsal aus Abwasser in den Kanal, verschwand tröpfelnd in der Tiefe und trug den Dreck der Gasse mit sich, Zigarettenstummel schwammen auf der Oberfläche wie tänzelnde kleine Nussschalen. Hinter ihr wurden gerade die gelben Bänder der Polizeiabsperrungen ausgerollt, Officers riefen in der kalten Abendluft und doch wirkte alles seltsam gedämpft, wie durch Watte, nur das Klacken ihrer Stiefel auf dem Asphalt drang unnatürlich laut und abgesetzt an ihre Ohren. Die Frau auf dem Stuhl wirkte fast, als ob sie schlief, ihr Kopf war wie entspannt nach vorne gesunken, sie schien ein kleines Nickerchen zu machen, bereit, sich wieder zu erheben, wenn die Tür hinter ihr knallte oder der Teekessel zu pfeifen begann. Nur ihre Hände streiften diesen Eindruck lügen, Handschellen ketteten sie an das Holzgitter der Lehne, dessen dunkle Farbe einen Kontrast zu dem Weiß ihrer Bluse setzte, das man durch die Lücken hindurch erkennen konnte. Blut tropfte langsam auf den Boden, hatte sich zu einer kleinen Pfütze gesammelt, der nächste Regen würde es in den Kanal spülen, gemeinsam mit den nächsten Zigarettenstummeln und der Plastiktüte und den Blättern, die wie verirrt vom Wind durch die Seitengasse getragen wurden. Ein weiterer Schritt, ein Klacken der Stiefel, ein Finger fehlte der Frau, sie konnte nun den blutigen Stumpf erkennen, der fast zur Gänze von der anderen Hand verdeckt wurde, rote Schlieren bedeckten die fast unnatürlich weißen Finger, zart, nicht gewohnt, mehr zu bedienen als einen Computer. Vorsichtig scherte sie zur Seite aus, sie achtete darauf, wohin sie trat, wollte nichts zerstören, was vielleicht noch für ihre Ermittlungen wichtig werden könnte. Ein Fuß vor den anderen, sie bewegte sich und doch hatte eine merkwürdige Starre sie ergriffen, eine Starre der Bewegung – sie hätte nicht aufhören können zu gehen, und wenn ihr Leben davon abgehangen wäre. Der feine, rötliche Schnitt zog sich wie ein Halsband vom Genick über den Kehlkopf, bis er aus ihrem Sichtfeld verschwand, das Blut war nur zögernd herausgetropft, so als ob sie schon tot gewesen wäre, als man ihn ihr beigebracht hatte, und glitzerte wie kleine, blutrote Karneole an einem Collier. Ihr Gesicht schien fast entspannt zu sein, so als hätte der Schrecken, den man ihr angetan hatte, mit der Zeit seine Wirkung verloren, so als wäre sie schließlich und endlich zu Gleichgültigkeit abgestumpft, die auf den menschlichen Geist umso furchtbarer wirkte, weil er nicht zu fassen vermochte, was einen Menschen dazu treiben konnte, dem eigenen Schicksal unberührt gegenüberzustehen. Das Messer in ihrem Bauch wirkte fast trivial, man hatte es nicht herausgezogen und das Blut war langsam um die Klinge herumgesickert, ihre ehemals weiße Bluse hatte es aufgesaugt und wurde nun von einem schaurigen roten Muster verziert, das Goldkreuz an der langen Kette, das auf ihrer Brust hing, ein Hohn an diejenigen, denen es etwas bedeutete. Detective Elizabeth Thomas erwiderte den starrten Blick von Bezirksrätin Sheryl McVeigh, ihr dunkler Blick war hart und starr und doch nichts im Vergleich zu jenem ihres Gegenübers, ihre Pupille hatte sich zu dunkler Schwärze erweitert, bis sie die Iris verdeckte, und bildete einen harschen Kontrast zu dem blutigen, roten Krater in ihrem Gesicht, aus dem man das andere Auge geschnitten hatte. Für einen Moment glaubte sie zu schwanken, doch dann fing sie sich wieder und sah auf, Gordon stand am Eingang der Gasse und begegnete ihrem Blick, ihm war anzusehen, dass er bereits hier gewesen war und mit einem letzten Salut für die tote Frau hastete sie zu ihm, floh beinahe vor dem schrecklichen Anblick. „Sie haben sie wirklich gefunden, Gordon...“ Er nickte. „Und ich wünschte fast, wir hätten es niemals getan.“ Beide schwiegen sie, der Augenblick gehörte McVeigh, auch wenn sie diese Frau nie gekannt hatte, so flößte ihr Tod ihr doch einen Respekt vor ihr ein, den sie vor einer Lebenden niemals gehabt hätte, ein Gedanke, der sie fast schaudern machte. „Woran ist sie gestorben?“ Ihre Frage klang absurd, das wusste sie, und doch musste sie es wissen, musste erfahren, was genau dieses so... sinnlose Leiden beendet hatte. „Sie ist verblutet, Thomas. Diese Hurensöhne haben sie hier gefesselt hingestellt und sie verbluten lassen, ganz langsam, innerlich... und uns erst einen Hinweis gegeben, als sie wussten, dass wir nichts mehr für sie tun können.“ Sie schloss für einen Moment die Augen, auch wenn mancher ihr vorgeworfen hatte, gefühllos zu sein, so war ihr doch Grausamkeit durch eben diese Eigenschaft fremd, aber nun... nun war sie dichter davor, einen Mord zu begehen, als jemals zuvor, wütender, als jede Ungerechtigkeit ihr gegenüber sie jemals gemacht hätte. „Diese Schweine.“ Gordon zuckte mit den Schultern. „Ein Mal, ein einziges Mal in meinem Leben muss ich feststellen, dass ich vollkommen einer Meinung mit Ihnen bin, Thomas.“ Sie blickte hinüber zu McVeigh, der Gerichtsmediziner stand neben ihr und untersuchte sie, ihre Position hatte sich kaum verändert, nur ihr Kopf hing nun unnatürlich zur Seite, wirkte nicht mehr so, als ob er ihr nur aufs Kinn gesunken wäre. „Wissen Sie, was merkwürdig ist, Commissioner?“ Er antwortete nicht, schwieg nur, und sie kniff für einen Moment die Augen zusammen, wie um das Bild zu verbannen, das sich ihr eingebrannt hatte. „Dass mich nicht die Leiche, oder das Blut, oder die Handschellen am meisten geschockt haben, als ich hierherkam, sondern... der Stuhl. Er hat mich erschreckt, ich hatte für einen Augenblick das Gefühl, dass er eigentlich nicht hierher gehört, ein wenig so, als ob an der Szenerie hier etwas vollkommen... falsch wäre. Wie in einem Albtraum, in dem man nach Hause zurückgeht und merkt, dass die Möbel eine andere Farbe haben und die Tapeten und alles so fremd wirkt...“ Gordon wirkte überrascht von ihrem Eingeständnis, fand sie, und im Grunde war sie das ebenfalls, doch der Schock des Moments, die plötzliche Erkenntnis über sich selbst, ihr... Abscheu darüber, dass sie den Blick für das verloren hatte, was wirklich wesentlich war... sie konnte es einfach nicht für sich behalten. Doch zu ihrer grenzenlosen Verwunderung nickte der Commissioner nur und legte ihr dann für einen Augenblick die Hand auf die Schulter, drückte sie sacht, dann ließ er sie los und nickte. „Der menschliche Verstand ist eine merkwürdige Sache... er reagiert oft nicht so, wie wir es uns wünschen, wenn er mit Situationen konfrontiert wird, die zu viel für ihn sind, die er nicht in den gewohnten Denkmustern verarbeiten kann. Machen Sie sich keine Sorgen... was Sie erleben, ist vollkommen normal.“ Sie nickte und sah ihm zu, wie er hinüber zum Gerichtsmediziner schritt, für einen Moment glaubte sie, einen dunklen Schatten über sich hinweghuschen zu sehen, doch auch er war wohl nur ein Produkt ihrer überreizten Wahrnehmung. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)