For Want of Evidence von Glasschmetterling (A The Dark Knight Fanfiction) ================================================================================ Kapitel 13: Home ---------------- For Want of Evidence – Chapter 13: Home Detective Elizabeth Thomas betrat ihr Büro mit dem Anklang eines Lächelns auf den Lippen, sie hatte sich bereits eine große Tasse Kaffee geholt und trug sie nun langsam vor sich her, bevor sie sie auf einem Magazin abstellte, von dem sie beim besten Willen nicht wusste, woher es eigentlich kam. „Morgen.“ „Guten Morgen, Ma’am.“ DuPres blickte vom Computerbildschirm auf und grinste fröhlich, die gute Stimmung, die im gesamten Polizeipräsidium herrschte, hatte auch auf ihre Einheit abgefärbt und selbst Morgan ließ sich ab und zu zu einem Lächeln hinreißen. „Morgen.“ Die Frau warf Thomas einen zutiefst missbilligenden Blick zu und zog vorsichtig das Klatschmagazin, auf dessen Cover sie ihren Kaffee abgestellt hatte, unter der Tasse hervor, Bruce Waynes Gesicht wurde nun von einem braunen, ringförmigen Fleck verunstaltet, doch die blonde Frau neben ihm war zum Glück heil geblieben. Über dem Bild konnte sie gerade noch die Überschrift „Milliardär mit Chanteuse gesichtet“ erkennen, bevor Morgan ihre Zeitung in einer Schublade des Schreibtisches in Sicherheit brachte. Thomas schüttelte den Kopf. „Warum schreiben die Magazine eigentlich noch, wenn Bruce Wayne mit einer neuen Frau ausgeht? Das ist doch schon vollkommen normal...“ Sie verkniff sich die Frage, warum jemand wie Morgan eigentlich ein Klatschblatt wie dieses las, sondern tröstete sich mit der Tatsache, dass sie wenigstens gute Arbeit machte und ihre privaten Interessen sie nichts angingen – immerhin wussten die beiden auch nichts von ihrer Familie oder ihrem Boot. Morgan grinste. „Nun... immerhin ist er der reichste Mann der Stadt, Junggeselle und seinen Lebenswandel kann man nur als... interessant bezeichnen. Ich meine, vor zwei Jahren ist er mit dem gesamten russischen Ballett, das hier gastiert hat, auf einem Segelschiff abgehauen.“ „Ja... also wenn das kein Skandal war, dann weiß ich auch nicht“, fügte DuPres fröhlich hinzu, seine gute Laune schien nachgerade chronisch zu sein und Thomas wusste nicht genau, ob das daran lag, dass er fast alle seine Pausen mit Officer O’Leary in der Kantine verbrachte – oder daran, dass er überhaupt wieder Pausen hatte. „Immerhin sind die letzten Vorstellungen deswegen abgesagt worden... und alle haben sich darüber aufgeregt. Fast so wie damals, als er seine Gäste hinausgeworfen hat, nur um danach sein Haus anzuzünden.“ Thomas zog die Augenbrauen hoch, sie konnte die Leidenschaft, mit der ihre beiden Officers die Irrungen und Wirrungen im Leben von Bruce Wayne diskutieren, nicht wirklich nachvollziehen – die Geschichten erinnerten sie zu sehr an Seifenopern wie Dallas oder The Denver-Clan, als dass sie sich dafür hätte begeistern können. Zwar ging es hier um echte Menschen, aber die Geschichte wirkte viel zu gekünstelt und aufgesetzt, als dass sie auch nur die Hälfte der Gerüchte glauben konnte, die über den Mann in Umlauf waren. Allerdings musste sie zugeben, dass er, als sie auf dem Polizeiball ein paar Worte mit ihm gewechselt hatte, durchaus interessierter gewirkt hatte als der Rest der Geldelite von Gotham – doch dieser kleine Pluspunkt in ihrem Bild von ihm war durch die Tatsache wieder wettgemacht worden, dass er sich in Begleitung von drei Frauen befunden hatte... nun, zumindest den dreien, die sie entdeckt hatte. Sie zuckte mit den Schultern, Morgan und DuPres ließen sich noch immer über die bessere Gesellschaft der Stadt aus und sie sank in ihren Schreibtischstuhl. „Wenn wir schon dabei sind... könnten wir zum anderen Thema kommen, über das ganz Gotham redet? Dem Thema, an dem wir eigentlich arbeiten sollten?“ „Natürlich, Ma’am.“ DuPres wirkte fast ertappt von ihren Worten, doch Morgan lächelte nur und wechselte so gut wie übergangslos das Thema. „Wir haben die letzten Finanztransaktionen von Hedges, bevor er festgenommen wurde, noch einmal überprüft. Dass er – vor allem nach dem Ball und nach der Entführung von McVeigh – jeweils größere Geldbeträge erhalten hat, haben wir ja schon bereits bewiesen und Staatsanwalt Doors als Beweis übergeben. Aber ich hab mir die kleineren Dinge noch mal angesehen, die Ausgaben im Supermarkt oder die Barabhebungen... und mir kommt vor, er verbraucht mehr Geld, als er eigentlich sollte.“ Thomas zog überrascht die Augenbrauen hoch. „Wenn ich auf einen Schlag mehr als das Jahresgehalt meines Bosses bekommen würde, dann würde ich auch mehr ausgeben, als ich eigentlich sollte, Morgan... das können Sie mir glauben.“ DuPres schüttelte den Kopf. „Aber nicht, wenn Sie unbedingt vermeiden wollen, dass irgendein Verdacht auf Sie fällt. Ich meine, Ihre Kollegen und Ihre Freunde würden sich doch wundern, wenn sie plötzlich über Ihre Verhältnisse leben.“ „Ein interessanter Gedanke...“, Thomas lehnte sich in ihrem Stuhl zurück, „aber da kommt die Frage nach Hedges’ Persönlichkeit auf. Denken Sie, er würde das Geld auf der Bank lassen... oder gleich damit angeben?“ Morgan schüttelte den Kopf. „Wenn man bedenkt, dass er es geschafft hat, uns mehrere Wochen – und während einer laufenden Korruptionsermittlung – hinters Licht zu führen, dann würde ich zur zweiten Möglichkeit tendieren. Außerdem werden normalerweise keine Vollidioten Lieutenants des GCPD.“ Thomas verkniff sich einen nicht besonders schmeichelhaften Kommentar über Verräter, denen es hier ganz offensichtlich nicht schwer fiel, diese Position zu erreichen. „Nur stellt sich dann die Frage, was er mit den Mehrausgaben gemacht hat, meinen Sie nicht auch?“ „Natürlich“, entgegnete Morgan, „aber darum spreche ich das Thema hier auch an... ich hoffe, jemand anderer hat mehr Ideen als ich.“ Sie nahm einige Blätter aus dem Ausgabefach des Druckers und reichte sie sowohl ihrer Vorgesetzten als auch ihrem Kollegen und Thomas musterte sie neugierig, Hedges hatte kleinere Beträge bei verschiedenen Geldautomaten abgehoben, doch als sie auf die Daten schaute, runzelte sie die Stirn. Warum sollte jemand zwei Mal innerhalb von zwei Stunden zwanzig Dollar abheben, wo er sich doch auch einen Weg sparen konnte, indem er vierzig oder fünfzig Dollar abhob? „Das ist merkwürdig...“, meinte sie langsam und runzelte die Stirn. „Wirklich merkwürdig.“ Morgan nickte. „Genau deswegen bin ich darauf aufmerksam geworden – es kam mir einfach unlogisch und kompliziert vor, aber eine Idee, warum er das gemacht haben könnte, hab ich auch nicht.“ Thomas lächelte leicht. „Trotzdem war es gute Arbeit, wirklich gute Arbeit... ich denke, es würde sich lohnen, diese Spur zu verfolgen... können Sie irgendwie herausfinden, in welchen Geschäften und an welchen Geldautomaten er war?“ „Ist nicht besonders schwer“, bemerkte DuPres eifrig, „man muss sich nur die Daten besorgen, eine große Karte von Gotham und viele Pins.“ „Nun, dann würde ich vorschlagen, Sie machen sich an die Arbeit, meinen Sie nicht auch?“ Ihre Leute nickten eifrig, doch Morgan hielt danach für einen Moment inne. „Und, Ma'am?“ „Ja?“ „Das Ergebnis der forensischen Untersuchung und der Obduktion von Officer Jeffries ist da...“ Sie reichte Thomas die Akte und sie schlug sie auf, überflog die Zeilen. „Sie ist ermordet worden.“ „Ja. Die Abwehrverletzungen an den Armen und die fremde DNA, die man an dem Strick gefunden hat, legen das nahe. Allerdings hat die Analyse noch nichts ergeben, die Person, die es getan hat, ist also noch nicht auffällig geworden.“ Morgan wirkte nachdenklich, doch auf eine merkwürdige Art und Weise auch zufrieden, was Thomas nachvollziehen konnte – allerdings konnte sie sich des Gefühls nicht erwehren, dass sie ihre Ideale verkaufte, wenn sie nicht die Wahrheit über ihren Tod und die Hintergründe ans Tageslicht brachte. „Danke. Ich werde den Commissioner informieren.“ „Natürlich, Ma'am.“ Morgan schloss sich DuPres an und machte sich an die Arbeit, so unterschiedlich sie auch wirkten, gemeinsam leisteten sie Großartiges und Thomas war froh, von Gordon ein so ausgezeichnetes Team zugeteilt bekommen zu haben. Sie verließ den Raum und griff nach ihrem Handy, nun, da sie die Muße hatte, darüber nachzudenken, und nicht mehr jede Sekunde, in der sie nicht schlief, im Präsidium verbrachte, war ihr aufgefallen, dass fast zwei Wochen eine ziemlich lange Zeit waren für einen Umzugsservice, der ihr versprochen hatte, ihre Sachen fast augenblicklich zu liefern – und dass sie noch nicht nachgefragt hatte, was es damit auf sich hatte. Sie wählte die Telefonnummer auf der Visitenkarte, die sie gerade noch im Chaos ihrer Reisetaschen gefunden hatte, und wartete geduldig darauf, dass sich jemand meldete, schließlich hob eine – der Stimme nach – ausgesprochen junge Frau ab und fragte, nachdem sie den Firmennamen genannt hatte: „Was kann ich für Sie tun?“ „Mein Name ist Elizabeth Thomas und ich bin vor zwei Wochen von Chicago nach Gotham City gezogen... aber meine Sachen sind noch nicht hier und es hat sich bis jetzt niemand gemeldet.“ Die Sekretärin murmelte für einen Augenblick vor sich hin. „Thomas... Thomas... Chicago... ah, da haben wir Sie ja. Merkwürdig.“ Thomas konnte ihr Stirnrunzeln fast vor sich sehen. „Was ist merkwürdig?“ „Nun, dass hier steht, dass jemand Ihre Sachen bereits entgegengenommen hat... vor genau zwei Wochen... an der 88 Simpson Street in Gotham.“ Nun kletterten Thomas' Augenbrauen in Richtung ihres Haaransatzes. „Das ist vollkommen unmöglich.“ Sie erinnerte sich genau, sie war den ganzen Tag im Präsidium gewesen und nicht einmal nach Hause gefahren, um zu schlafen. Die junge Frau schien diese Aussage für einen Augenblick zu überdenken, dann bemerkte sie vorsichtig: „Nun... es steht in meinen Daten, Ma'am, ich kann also nicht viel tun... aber wenn Sie möchten, dann kann ich Sie mit dem zuständigen Fahrer verbinden.“ „Das wäre... nett.“ Sie verschluckte einen Kommentar über Fehler in Datensätzen, immerhin war bei ihr noch nichts angekommen und das schloss eigentlich aus, dass die junge Frau Recht hatte. Für einige Minuten hing sie in einer Warteschleife, dann meldete sich ein Mann, der deutlich ungerührter klang als seine Kollegin. „Ja?“ „Hier ist Detective Elizabeth Thomas“, wenn Titel jemals irgend etwas bewegen konnten, dann hoffentlich jetzt, „und Sie haben angeblich vor zwei Wochen meine Sachen nach Gotham geliefert, in die 88 Simpson Street.“ „Oh ja, der Trip nach Gotham, ich erinnere mich“, seine Stimme wurde fast von dem Rauschen des Verkehrs und dem Knattern des Motors verschluckt, „ist etwas kaputt gegangen?“ „Nein, das ist es ja – es ist nichts angekommen.“ „Woher haben Sie denn den Scheiß?“ Nach einer kurzen Pause schien er sich zu besinnen. „Verzeihung, Ma'am, ich wollte sagen... wie kommen Sie denn darauf?“ „Nun, ich wohne allein und ich habe Ihre Lieferung nicht entgegen genommen – haben Sie sich vielleicht in der Adresse geirrt?“ Dieses Spiel begann, ihr auf die Nerven zu gehen, ganz offensichtlich hatte alle Welt es darauf angelegt, sie für dumm zu verkaufen. „Sicher nicht.“ Der Mann klang fast entrüstet bei der Andeutung, dass er vielleicht einen Fehler gemacht hätte. „88 Simpson Street, rote Backsteine, drei oder vier Stockwerke und gegenüber ist ein leeres Grundstück.“ Sie zog die Augenbrauen hoch, die Beschreibung des Hauses, in dem sie wohnte, war akkurat – er musste also dort gewesen sein. „Und wer hat die Lieferung entgegengenommen?“ „Eine Frau... ziemlich hübsch, ein bisschen quirlig, rote Locken... sie sagte, sie wäre ihre Schwägerin und dass Sie kurz einkaufen wären, sie also die Sachen nehmen würde. Hat auch den Beleg unterzeichnet... hieß Anna, glaube ich.“ Wie betäubt beendete sie das Gespräch und ließ sich gegen die Wand sinken, die Beschreibung passte nur auf eine Frau, die sie kannte – auf Anna, die Frau, die für die Mafia die Geisel gespielt hatte und die zu identifizieren ihnen noch immer nicht gelungen war. Nur mit Mühe konnte sie einen Fluch unterdrücken, doch dann besann sie sich auf die Akten in ihrer Hand, Gordon wusste noch immer nicht, was mit Jeffries geschehen war und er musste es erfahren – und zwar möglichst bald. Im Notfall konnte sie auch ohne ihre Sachen auskommen, immerhin hatte sie das in den letzten beiden Wochen bewiesen und auch eine Wohnung ohne Möblierung wirkte irgendwie reizvoll, was ihr allerdings wirklich Sorgen machte, war, dass die Mafia damit bewiesen hatte, dass sie durchaus willens und in der Lage war, ihren Zorn auf sie – auf sie persönlich – zu richten. Bis sie Gordons Büro erreichte, war es ihr gelungen, sich wieder ein wenig zu fassen und ihre Hand zitterte kaum mehr, als sie anklopfte und eintrat; der Commissioner blickte auf. „Detective Thomas.“ „Sir. Ich habe die Akten über Officer Jeffries.“ „Ja?“ Sie spürte sein Interesse und sie reichte sie ihm stumm, er überflog die erste Seite und nickte nachdenklich. „Also Mord?“ „Die Untersuchung legt diesen Schluss nahe... allerdings bezweifle ich, ob wir es je mit absoluter Sicherheit wissen werden. Das ist so gut wie unmöglich, wenn ich daran denke, wie dicht geschlossen die Familie ihre Reihen hält.“ Gordon nickte langsam, dann bedachte er sie mit einem scharfen Blick, der ihr nicht besonders behagte. „Es gefällt Ihnen nicht, nicht wahr?“ „Nun, Sir, wenn ich ehrlich bin, dann nicht.“ Sie zuckte mit den Schultern. „Noch immer Ihre Ehrlichkeitsmasche?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete der Commissioner sie und sie schüttelte den Kopf, sie hatte das Gefühl, ihm ziemlich auf die Nerven zu gehen, und vermutlich stimmte das auch. „Sir, wenn ich im Umgang mit der Öffentlichkeit eine Erfahrung gemacht habe, dann die, dass jede Lüge früher oder später ans Tageslicht kommt.“ „Wenn nicht von selbst, dann auch mit Ihrer Hilfe, meinen Sie?“ Die Schärfe in seiner Stimme war unverkennbar und sie blickte zu ihm auf, für einen Moment verstand sie nicht, was er meinte, doch dann zuckte sie zusammen. „Das trauen Sie mir zu?“ Gordon musterte sie. „Ich traue Ihnen alles zu, was Sie in Chicago getan haben, Thomas, deswegen sind Sie hier... und ich erinnere mich da an eine Geschichte...“ Sie holte tief Luft und erwiderte seinen eisigen Blick mit Zinsen. „Es besteht ein Unterschied zwischen Indizien und Beweisen, Sir. Und in diesem Fall haben wir ganz eindeutig weder ein Geständnis von Officer Jeffries noch Fakten, die belegen, dass sie wirklich für den Überfall auf den Polizeiball verantwortlich ist. Nach allem, was wir wissen, kann auch Hedges dafür verantwortlich sein.“ Gordon zog die Augenbrauen hoch. „Sagen Sie das nur oder...“ Ihr Handy klingelte und sie griff danach, ein kurzer Blick auf das Display verriet ihr, dass die Nummer unterdrückt wurde und sie betrachtete es mit einem Stirnrunzeln, danach warf sie einen entschuldigenden Blick zum Commissioner. „Sir...?“ „Heben Sie ruhig ab, es könnte wichtig sein...“ Sie drückte den Annahmeknopf und hob das Handy zum Ohr. „Thomas?“ „Skipper.“ Die Stimme ließ sie zusammenfahren und für einen Moment schloss sie die Augen, sie kannte sie, sie kannte den Mann, der dahinter stand und doch konnte sie den Namen nicht aussprechen, obwohl er ihr doch auf der Zunge lag. „Wer sind...“ „Das wissen Sie genau, Skipper... und ich muss sagen, ich hätte mehr von Ihnen erwartet... Sie haben lange gebraucht, um herauszufinden, was mit Ihren Sachen geschehen ist...“ Vernehmlich saugte sie die Luft ein, es war ihr egal, dass der Mann am anderen Ende der Leitung es hörte, aber dieses Fitzelchen an Ruhe brauchte sie jetzt dringender, als sie in Worte fassen konnte. „Wer sind Sie?“ „Das müssten Sie ebenfalls bereits begriffen haben, Skipper – oder sind Sie in zwei Jahren Streifendienst so eingerostet, dass Sie keine einfachen Schlüsse mehr ziehen können?“ Der spöttische Tonfall, der ihr ebenso vertraut vorkam, konnte sie nicht mehr reizen – zu erschrocken war sie, zu sehr hatte der plötzliche Anruf sie aus der Bahn geworfen. Aus dem Augenwinkel ihres Verstandes bemerkte sie, dass Gordon sie angaffte, doch er lag so weit außerhalb ihres momentanen Denkens, dass sie ihn nicht einmal ignorierte. „Was haben Sie mit meinen Sachen gemacht?“ „Nun, Skipper... mit Ihrem ermittlerischen Gespür müssen Sie das schon selbst herausfinden... aber Sie können in die Asservatenhalle gehen und herausfinden, worauf McVeigh eigentlich wirklich saß.“ „Was zum Teufel...“ Die Worte hatten unvermittelt das Bild der Seitengasse, in der sie die Bezirksrätin gefunden hatten, in ihr Gedächtnis zurückgerufen und für einen Moment betrachtete sie es vor ihrem inneren Auge, irgend etwas übersah sie, irgend... „Vergessen Sie nicht, Skipper Thomas – ich bleibe Ihr Lieutenant.“ Das gleichmäßige Besetztzeichen, als er aufgelegt hatte, war fast eine Erlösung für sie und mit klammen Fingern schob sie ihr Handy zurück in ihre Tasche, sie spürte, dass sie zitterte, versuchte aber, es so gut wie möglich zu verbergen. „Detective?“ Gordon starrte sie an und sie blickte auf, nahm erst jetzt wirklich wahr, dass er überhaupt anwesend war. „Ja?“ Ihre Stimme klang belegt und er runzelte die Stirn. „Was zum Teufel war das?“, fragte er leise und wiederholte damit unbewusst ihre Worte von eben, doch sie schüttelte nur leicht den Kopf. „Wenn ich das wüsste, Sir.“ „Etwas Privates?“ Er schien durchaus bereit, diese Antwort zu akzeptieren, doch das konnte sie nun nicht mehr behaupten – nicht, nachdem der Mann, der gesagt hatte, der Lieutenant zu sein, auf einen aktuellen Fall Bezug genommen hatte. „Nein. Ich... ich denke, das war der Lieutenant.“ „Der Lieutenant?“ Gordon erhob sich halb aus seinem Stuhl und starrte sie an, die Nachricht schien ihn wirklich zu überraschen und ein Schatten der Blässe, die auf ihr Gesicht gekrochen war, schlich sich auch auf seine Züge. „Was wollte er?“ Sie zuckte mit den Schultern. „Er hat mir erklärt, dass er es fertiggebracht hat, meine Möbel, die eigentlich aus Chicago angeliefert werden sollten, mir vor meiner Haustür wegzuschnappen...“ „Vor ihrer Haustür?“, wiederholte Gordon, er wirkte erschrocken, „Sind Sie sich sicher?“ Sie nickte. „Direkt vor meiner Haustür... und er sagte, dass ich eigentlich wissen sollte, wer er ist – hat mich regelrecht verspottet damit.“ „Und?“ Verwirrt blinzelte sie. „Und was?“ „Wissen Sie, wer er ist?“ Gordon wirkte fast gierig auf eine Antwort, doch sie schüttelte leicht den Kopf. „Nein... ich weiß nur, dass ich diese verdammte Stimme kenne... irgendwoher... und es mich wahnsinnig macht, dass es mir nicht einfällt.“ „Hat er sonst noch etwas gesagt?“ „Dass ich in die Asservatenhalle gehen soll und nachsehen, worauf McVeigh gesessen ist...“ Sie schloss für einen Moment die Augen und versuchte, sich die Straße zurück ins Gedächtnis zu rufen, doch ihr Verstand wehrte sich dagegen. „Da ist irgendetwas, und ich kann doch nicht den Finger darauf legen...“ Sie schüttelte den Kopf, um die Gedanken und Bilder und das merkwürdige, hohle Gefühl in ihrem Bauch loszuwerden und erhob sich langsam von ihrem Stuhl. „Ich... ich denke, das werde ich jetzt machen, Sir.“ Für einen Augenblick betrachtete er sie, dann bemerkte er langsam: „Ich denke, ich werde Sie begleiten – Sie sehen aus wie ein Leichentuch.“ „Ich...“ Sie wollte ablehnen, ein Commissioner hatte Besseres zu tun, als einem seiner Detectives die Hand zu halten, doch dann brachte sie es nicht fertig, abzulehnen – sie fühlte sich wirklich nicht besonders gut. Zudem musste sie zugeben, dass sie, obwohl sie nun bereits beinahe drei Wochen im Präsidium arbeitete, den Weg nicht einmal mit Karte und Kompass gefunden hätte. „Danke, Sir.“ Er brachte sie zur Tür und führte sie auch zum Lift, in der Kabine, die sie nach unten in den Keller trug, lehnte sie sich an die Wand und atmete tief durch. Der Tag... nein, die Woche hatte so vielversprechend angefangen, so... positiv, und nun hatte der nächste Schock sie eingeholt. Wo sie bis jetzt nur vermutet hatte, dass der Lieutenant es auf sie – auf sie persönlich – abgesehen hatte, so war dieser Gedanke nun zur Gewissheit geworden, einer Gewissheit, die sie nicht nur um sich selbst fürchten ließ. Wenn dieser Mann ihre Sachen in die Finger bekommen hatte, dann wusste er zweifellos auch, wo ihre Familie lebte, und das war es, das sie wirklich fürchten ließ. Sie hatte Eltern, sie hatte einen Bruder, eine Schwägerin, eine Nichte – und auch wenn sie weit weg, in Chicago lebten, so war doch nicht auszuschließen, dass der Arm des Lieutenants bis dorthin reichte, denn immerhin hatte er sie dort kennengelernt, dessen war sie sich mittlerweile sicher. Die Lifttüren öffneten sich und sie traten in einen kühlen, dunklen Gang in einem der untersten Stockwerke des Gebäudes, die niedrige Temperatur sollte offensichtlich die hier gelagerten Beweise vor Verfall schützen und Gordon führte sie zu einer Tür mit vergittertem Fenster, ein Officer saß davor und blickte überrascht zu ihnen auf. „Commissioner.“ Sie trugen ihre Namen in die Liste ein, die auf dem Tisch auflag, und schlossen die Tür auf, Thomas konnte eine große Anzahl von sperrigen Beweismitteln erkennen, im Hintergrund entdeckte sie sogar ein ausgebranntes Autowrack, Bänder trennten die verschiedenen Sektionen und doch zog der dunkle Holzstuhl sofort ihren Blick auf sich und sie trat fast zögerlich darauf zu. „Das ist er, nicht wahr?“ Gordon warf einen Blick auf die Beschriftung des Beweises, dann nickte er. „Ja.“ Thomas ging daneben in die Knie und betrachtete ihn nachdenklich, ihre Augen glitten über das gemaserte, dunkle Holz und blieben an den Stuhlbeinen hängen. „Scheiße.“ Ihr Kopf fiel fast willenlos in den Nacken wie bei einer Marionette, deren Fäden man durchtrennt hatte und sie spürte, wie sie um ihr Gleichgewicht kämpfen musste. „Verdammte Scheiße... 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