be my magician von Magical_Yaku ================================================================================ 1874: Die Geschichten der Wolken (1) ------------------------------------ 1874 Die Geschichten der Wolken (1) »Und, was erzählen sie dir heute?«, fragte sie erwartungsvoll und ließ sich neben ihn in die Mauernische plumpsen. Doch er blickte sie nur kurz mit seinen hellblauen Augen an und wandte dann den Blick zurück in die Ferne. Soweit man sehen konnte, war alles grün. Hügel, ein paar Bäume. So grün. Irgendwo begann der Horizont und das Grün mündete in graue Wolken, die sich über den gesamten Himmel erstreckten. So weit man sehen konnte. Die Luft war schwer vom Geruch des nahenden Regens. Des erwarteten Regens. In ihren Erinnerungen war es jedes Mal dasselbe Bild. Er saß in der Mauernische mit angezogenen Beinen und blickte dem Regen entgegen. Nur war er inzwischen gewachsen. Das Profil war nicht mehr das eines Kindes. Als sie ihn das erste Mal hier traf, war es Zufall gewesen. Sie wollte ein bisschen herum laufen, um einen freien Kopf zu bekommen, als sie ihn in der Nische entdeckte. Sie hatte ihn immer für seltsam gehalten, weil er nicht gut mit den anderen Schülern auskam und eher mit den Erwachsenen zusammen war. Doch neugierig wie sie war, fragte sie ihn trotzdem, was er dort machte, und er antwortete: ‚Ich höre den Wolken zu.’ – ‚Wirklich? Und was erzählen sie dir?’ Sie hatte es nicht wirklich ernst gemeint, ihr Verdacht hatte sich schließlich bestätigt und er schien tatsächlich seltsam zu sein. Doch nach einem Seufzen, begann er ihr eine Geschichte zu erzählen. Sie wusste nicht, ob er sie wirklich von den Wolken hörte, wie er sagte, oder von den Erwachsenen oder sich selbst ausdachte. Es war auch nicht schwer, ihr eine interessante Geschichte zu erzählen, da sie im Gegensatz zu den anderen Kindern hier nicht die Schule besuchte. Sie gefiel ihr, seine Geschichte. Und wie er sie erzählte. Seine Stimme hatte sich über die Jahre verändert, war tiefer und ein wenig rauer geworden. Aber das fügte dem Klang nur eine weitere Schicht hinzu. So unterkühlt und ruhig wie er erzählte, war es trotzdem warm und liebevoll. Wann immer es nach Regen aussah und sie Zeit hatte, kam sie hierher, um ihn in der Nische der Mauer, die das Schulgelände umgab, aufzusuchen und ihm zuzuhören. Doch heute schien anders zu sein als sonst. Der erste Tropfen fiel vor sie aufs Gras und schnell folgten die nächsten. Ein leises Prasseln und die Grenze zwischen Gras und Himmel verwischte immer mehr. »Da ist er«, sagte er neben ihr. Aber statt wie sonst weiter zu schauen, legte er den Kopf auf die Knie und schloss die Augen. »Ne, Cecil, was ist los? Geht’s dir nicht gut?« fragte sie besorgt. Doch er antwortete nicht. »Cecil!« hakte sie nach. »Mir ist heute nicht nach reden«, antwortete er schließlich. »Geh nach Hause.« »Mag ich aber nicht. Wenn ich jetzt rausgehe, werd ich doch nass!« Sie betrachtete die braune Erde in ihrer Nische, die an den Rändern zum Gras auch langsam feucht wurde. »Wenn du keine Geschichte hast, ist das okay. Aber dann sag wenigstens, was los ist. Ist was passiert? Bist du krank?« Er öffnete die Augen und schaute, als wollte er etwas sagen, schloss sie nach einer Weile aber wieder ohne sich zu regen. Sie seufzte und lehnte sich an die Mauer. Dem Regen zuzusehen ohne dabei eine Geschichte zu hören, war langweilig. Als sie schon dabei war weg zu dösen, bemerkte sie seinen Blick. »Du solltest einfach nach Hause gehen«, sagte er ruhig, die blauen Augen auf sie fixiert. »Ich hab’s dir gesagt, ich mag nicht nass werden.« »Erstens ist das keine Ausrede und zweitens wirst du eh nicht nass. Ich meinte richtig nach Hause. Ich finde, fünf Jahre sind lang genug. Ich hab keine Lust mehr, jemandem Geschichten zu erzählen, der sie nicht hören kann.« »W-was meinst du? Ich kann dich absolut ausgezeichnet hören. Ich …« Ihr Gesicht war verstört. Irgendwo in ihrem Inneren regte sich etwas. Er beobachtete sie genau und kletterte schließlich aus der Nische. Sofort wurden seine weißen Haare und Sachen von dicken Tropfen benetzt. Er streckte ihr die Hand entgegen. »Wenn du nicht alleine gehen willst, bringe ich dich heim.« Sie schüttelte erst den Kopf. Sie wollte nicht in den Regen und was er sagte, war nicht wahr. Und doch … schließlich reichte sie ihm die Hand und trat hinaus. Wie er gesagt hatte, berührte sie der Regen nicht. »Trotzdem …«, begann sie trotzig. »Ich kann dich hören, alle deine Geschichten, ich hab dir immer zugehört!« »So«, sagte er und blickte auf sie herab. Die nassen Haare klebten an seiner Stirn als er ihr über die Wange strich. »Du kannst nicht mal mehr weinen … Von all den Geschichten, erinnerst du dich an eine einzige?« »Ich … ich …«, stotterte sie, aber sie wusste, er hatte recht. Sie rieb sich mit dem Handrücken über die Augen wie sie es gewohnt war, doch er blieb trocken. Cecil, der noch immer ihre andere Hand hielt, setzte sich in Bewegung und zog sie hinter sich her. Zum Haupteingang durch das große eiserne Tor und weiter an der Mauer des Schulgebäudes entlang, vorbei an Bibliothek und Hof. Alles hatte dieselbe triste graue Farbe. Dieselbe wie der Himmel. Er hatte recht. Die seltsame von ihnen beiden war sie. Sie redete nicht mit den anderen Schülern, aber sie redete auch nicht mit den Erwachsenen. Überhaupt hatte sie keinen Umgang mit anderen und das, was sie den Tag über machte … was machte sie? »Alles nur Erinnerung«, erklärte er ihr. »Was du früher getan hast. Oder sogar eher, was du tun wolltest. Die einzige echte ist wahrscheinlich, dass du tatsächlich in der Mauernische gesessen und dem Regen zugesehen hast.« Sie durchschritten einen Gang durch den Nordflügel. »Und eines Tages saß ich an deinem Platz. Aber wie du jetzt bist, kannst du keine neuen Erinnerungen sammeln, deswegen ist es unnütz dir neue Geschichten zu erzählen.« Sie passierten den Garten hinter dem Hauptgebäude, aber sie hatte vergessen wie die Blumen rochen, die hier blühten. Als sie seinen Rücken betrachtete, wusste sie, dass er groß geworden war, dennoch fühlte es sich an, als wäre es schon immer so gewesen. Das Grün und das Grau und seine Stimme … »Wir sind da«, sagte er schließlich. Sie waren am Ende des Gartens angelangt. Weiter hinten konnte man bereits wieder die Außenmauer sehen. Und obwohl es noch mitten in einer weiten Wiese war, schien dieser Ort wie eine dunkle Ecke. Vielleicht lag es an der großen Weide, die mit ihren langen starken Ästen und Blättern den Himmel bedeckte. Im Schatten des Baumes stand eine alte Bank. Das Holz war bereits morsch. Er blickte sie an und ließ ihre Hand los. »Wir sind da.« Sie nickte und starrte auf die Bank. Sie hatte immer darauf gewartet, dass jemand sie abholen käme, wenn sie hier saß. Dass sie einmal hergebracht werden würde, ließ sie schmerzhaft lachen. »Es tut immer noch weh«, bemerkte sie traurig. »Tut mir leid. Ich muss lästig gewesen sein. Aber ich habe mich immer darauf gefreut dir zuzuhören.« »Es war lästig«, bestätigte Cecil. »Aber ist jetzt auch nicht mehr zu ändern. Das ist Vergangenheit.« Und er setzt sich auf die morsche Bank und seufzte. »Wie wär’s mit einer Gute-Nacht-Geschichte?« Sie blickte auf und ihre Augen leuchteten und sie hüpfte und machte es sich neben ihm auf ihrer Bank bequem. Und er begann zu erzählen. In derselben Art wie sonst auch. Unterkühlt und ruhig, gleichzeitig warm. Den Blick in die Ferne gerichtet. Nur die Szenerie war anders dieses Mal. Statt endloser grüner Hügel, alte Gemäuer, die in den Himmel ragten. Weiße und rote Blumen, die ihre Köpfe im Takt des Regens wiegten. Und Cecil stellte fest, dass auch dieser Ausblick seine Schönheiten hatte. Selbst dieser. Als er endete, lehnte ihr Kopf an seiner Schulter und sie starrte in die Wolken. »Ich habe wirklich lange gewartet …«, sagte sie. »Ich dachte, es wird nie jemand kommen, um mich abzuholen. Dass es allen egal ist, ob ich da bin oder nicht …« »Du dachtest … Ich bin gekommen.« »Mh.« »Um dich nach Hause zu holen.« »Mh. Ich gehe. Ich gehe jetzt.« Sie löste sich von ihm, woraufhin er aufstand. »Aber …«, sagte sie noch. »Warum erzählst du mir heute so eine traurige Geschichte?« Er wandte sich um zu ihr und betrachtete sie, vielleicht ein bisschen überrascht. »Das ist, was sie mir erzählt haben.« »Mh« machte sie noch einmal und schloss die Augen. »Wenn er es doch nur eher getan hätte …« Cecil stand noch eine Weile da und schaute. Irgendwann strich er sich den Regen aus dem Gesicht und drehte sich um. »Das ist Vergangenheit. Lass uns nicht mehr darüber reden.« Und er ließ die alte Bank und die Weide hinter sich, lief zurück durch die Blumenbeete in den Nordflügel. In der kühlen Halle begegnete ihm Servas Essex. »Woah, Cecil, du bist ja ganz durchnässt! Was hast du draußen getrieben?«, fragte ihn dieser. »Alice ist tot!« brach es aus dem Jungen heraus und der Regen mischte sich mit Tränen. Und auf das fragende Gesicht des Älteren hin fuhr er fort. »Harmony’s Freundin! Sie ist tot … Warum muss alles zerbrechen, was er in die Hand nimmt, dieser Idiot …« Er schluchzte heftig, doch Servas blickte ihn immer noch verständnislos an. »Woher …« »Sie haben es mir erzählt … Wenn er es doch nur eher getan hätte!« Er wischte sich mit dem nassen Ärmel das Gesicht und lief weiter den Weg, den er vorhatte zu gehen, einen Gang entlang, ein paar Treppen hoch, in sein Zimmer. Servas blieb leicht verwirrt unten zurück und blickte ihm nach. Da trat aus dem Schatten eines anderen Ganges Zenon French hervor und als er das Gesicht seines Freundes sah, wurde auch Servas klar, was passiert war. End of Act 1 Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)