be my magician von Magical_Yaku ================================================================================ 1858: Die Geschichten der Wolken (2) - Wolkenlos ------------------------------------------------ III. 1858 Die Geschichten der Wolken (2) - Wolkenlos Mit offenem Mund stand der kleine Junge im feuchten Sand und starrte in den schier unendlich tiefen Nachthimmel mit den Millionen von Sternen. An seinen Knien und Händen und den hochgekrempelten Hosen, dem Hemd und Wangen und Haaren klebten Sand und Salzkristalle. Das Wasser kitzelte seine Zehen und machte ihn glücklich. Tatsächlich machte ihn kaum etwas glücklicher als Meer und Sand und viele Sterne. »Harmony!!« rief ihn eine Frauenstimme. Er wirbelte herum und hüpfte ihr mit leuchtenden Augen entgegen. »Mama!!« Seine Mutter hob ihr Kleid an und stapfte durch den Sand. »Du sollst doch nachts nicht allein ans Wasser! Davon, dass du schlafen solltest, ganz zu schweigen.« Doch er überhörte sie und hielt sich fröhlich am Stoff ihres Kleides fest, als sie einander erreichten. »Siehst du die vielen Sterne? Meinst du, sie bleiben so? In zwei Tagen ist doch Neumond, dann kommen doch bestimmt die Fische wieder, oder? Oder?« Sie legte ihm beruhigend die Hand auf den Schopf. »Sicher, sicher. Du wirst sie bestimmt fliegen sehen. Aber dafür musst du jetzt schlafen!« Sie verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf und schob ihn Richtung Hinterland, wo gleich hinter einer Reihe Schilf und Gras das flache Haus ihrer Schwester stand, bei welcher sie ihre Sommerferien verbrachten. Harmony war bereits voraus gerannt, doch die junge Frau lief behutsamer. Anna Snow teilte die Freude ihres Sohnes nicht. Wenn sie den Blick hinter sich wandte zum Meer oder nach oben in den dunklen Himmel, legte sich ein schmerzvoller Ausdruck auf ihr Gesicht. Für sie gab es dort keine Sterne mehr. Sie würde auch die fliegenden Fische nicht sehen können. Am folgenden Tag konnte Harmony kaum stillsitzen und streifte singend durch die Schilffelder am Strand und, obgleich es ihm seine Mutter und Tante Jinnee verboten hatten, die Straßen des kleinen Fischerdorfes. Am Hafen schaute er einem alten Mann beim Angeln zu, bei den abladenden Fischkuttern wartete er auf Katzen und ließ sich wie eine von ihnen mit geräuchertem Fisch füttern. Irgendwann wurde er müde und kehrte zum Strand vor Tante Jinnee’s Haus zurück. Dort lag er eine Weile und ließ sich die Sonne auf den Bauch scheinen, hörte den Möwen zu und den Wellen und wunderte sich, wohin die Wolken zogen. Immer waren sie rastlos. Wurden sie niemals müde? Gingen sie nie nach Hause? Doch! stellte er freudig fest und kugelte sich. Sicher waren sie zuhause und schliefen, wenn der Himmel leer war! Was auch sonst? Er kuschelte seine Backe in den Sand, als er plötzlich eine Bewegung bemerkte. An diesem Strand stand noch ein zweites Haus, oben auf der Klippe, zu der er nicht gehen durfte. Er setzte sich ordentlich hin und schaute. Man hatte ihm erzählt, dass dort niemand wohnte. Doch was er sah, täuschte ihn sicher nicht. Der Junge sprang auf und lief Richtung Klippe. Seine Neugier verlieh ihm anfangs flinke Füße, aber der Weg stellte sich als viel länger heraus, als er gedacht hatte und durch den Sand bergauf zu steigen, strengte seine kurzen Beine furchtbar an. Dazu kamen Hitze und Durst. Er seufzte und ließ sich plumpsen. Tante Jinnee’s Haus lag erstaunlich klein in dem Schilffeld. Der Weg zurück war weit. Er konnte nicht umkehren. Nur noch ein kleines Stück. Das andere Haus war schon fast vollständig. Das karminrote Dach, das sich scharf gegen den blauen Himmel abzeichnete, und der Wetterhahn. Das weiße Gestein und die grünen Rahmen der Fenster. Aber Harmony’s Beine mochten nicht mehr und seine Zunge klebte. Er legte den Kopf in den Sand und beschloss sich ein wenig auszuruhen, bevor er das letzte Stück zurücklegte. Wer auch immer sich in dem Haus bewegte, würde sicher nicht so schnell verschwinden. Und wenn musste er erst an ihm vorbei. Zufrieden legte er schützend einen Arm über sein Gesicht und schlief sofort ein. Als er wieder erwachte, roch es seltsam. Und seine Wange tat weh. Das war nicht der weiche Sand, sondern rauer Stoff und Staub. Aber es war kühl und es ging ihm besser. Harmony öffnete die Augen und schaute. Er lag auf einem alten dunkelgrünen Teppich, nicht weit von ihm entfernt sah er wohl die kugeligen Füße eines Möbelstücks. Er drehte den Kopf und setzte sich langsam auf. War er etwa in dem Haus auf der Klippe? Rechts neben ihm ragte ein Tisch empor und weiter hinten auf einem Kanapee waren zwei lange, übereinander geschlagene Beine. Der Junge sah den Mann mit großen blauen Augen an. »Du brauchst nicht schauen wie ein Schaf«, antwortete dieser. »Ah!« machte Harmony daraufhin. »Mein Name ist Harmony Snow. Freut mich Sie kennen zu lernen.« Der Alte musterte ihn skeptisch, wandte sich aber schnell wieder seinem Buch zu. »Wie heißen Sie?« fragte der Junge unbeirrt. Und als der Mann ihn ignorierte, fragte er einfach noch einmal mit derselben kindlichen Geduld. »Wie heißen Sie?« Schließlich seufzte der Mann und antwortete ihm grimmig. »Shaun Eldis.« »Wohnen Sie hier? Wissen die Leute aus dem Dorf, dass Sie hier sind?« »Natürlich! Das ist schließlich mein Haus.« »Warum erzählen sie mir dann, dass hier niemand wohnt?« Shaun Eldis blinzelte ihn an. »Weil ich nicht von Kindern wie dir belästigt werden will.« »Oooh!« machte Harmony, schien aber unbeeindruckt. »Warum haben sie mich dann hergebracht?« »Was soll ich bitte deiner Mutter erzählen, wenn man deine ausgetrocknete Leiche in der Nähe meines Hauses findet?« »Dann sind Sie doch ein netter Mensch!« »Bin ich nicht. Ich gehe nur unnötigem Ärger aus dem Weg. Sie hat so oder so schon genug Sorgen.« »Huh?« »Dass du keinen Vater hast, wird dir sicher nicht entgangen sein? Und ihre schlechten Augen? Keine Ahnung, wie sie das anstellen will, wenn sie bald gar nichts mehr sieht. Ohne Mann, mit einem Balg zuhause. Gibt es da Beihilfen?« Er blätterte um. »Naja, ich kenn mich in dieser Welt ja nicht aus, sie wird schon wissen, was sie tut.« Harmony saß immer noch auf dem Boden und blickte ihn mit großen Augen an. Er hatte nicht verstanden, was der alte Mann ihm sagen wollte. Shaun Eldis war schon drauf und dran ihn wieder für seinen Schäfchenblick zu rügen, da schob sich plötzlich ein Ohr und eine Nase hinter dem Kanapee hervor und der Ausdruck des Jungen wechselte schlagartig. »Katze!!« quiekte er begeistert und krabbelte zu ihr hinüber. »Darf ich sie streicheln?« »Wenn du weiter so laut bist, wird sie dich aber nicht mögen.« »Sie ist ein Mädchen? Hallo, kleine Katze. Ich bin Harmony Snow. Und wie heißt du?«, strahlte er sie an. Mädchen, dachte sich Shaun Eldis. Alte Dame traf es besser. »Ihr Name ist Io.« Die Katze schielte kurz hinauf zu ihrem Herrchen und rieb dann ihren Kopf an Harmony’s Knie, woraufhin der Alte einen verächtlichen Laut ausstieß. Der Junge war selig und vergrub seine Nase dem schwarzen Fell. »So weich«, freute er sich. Dann hielt er inne und setzte sich auf. »Ich hab Durst! Darf ich was trinken?« Der Alte verdrehte die Augen. »Auf dem Tisch.« Also hüpfte Harmony zum Tisch, nur um dem Mann kurz darauf einen finsteren Blick zuzuwerfen. »Viel zu hoch.« »Pfff«, machte der nur und las weiter. Aber Io kam Harmony zur Hilfe und sprang erst auf einen Stuhl und dann auf die Tischplatte. Der Junge tat es ihr nach, freute sich zwischendurch an der grünen Sitzpolsterung und erreichte endlich das einzelne Glas Wasser. Wenig später tobten die beiden lautstark durch das Haus. Shaun Eldis’ Gesicht war nur etwas grimmiger als sonst. Die Stirnfalten waren tiefer und die Mundwinkel angespannt verzogen und der rechte Fuß wippte nur nervös auf und ab. Aber Kind und Katze Einhalt zu gebieten, erschien ihm zu anstrengend. So fuhr er mit seinem Buch fort und übte sich in Ignoranz. Bis er sich irgendwann die Augen rieb und es zuklappte. Es war zu dunkel geworden zum Lesen. Er erhob sich ächzend, klopfte seinen dünnen Mantel glatt und trat hinaus auf die Terrasse. Die Sonne war bereits halb hinter dem Horizont versunken, malte Meer und Himmel noch hellgelb und tieforange bis violett. Der alte Mann seufzte, als er Harmony und Io zusammengerollt auf einem der beiden Sessel liegen sah, die unter dem kleinen Vordach standen. Welche Dreistigkeit, stellte er fest, das passte zu ihm. Er setzte sich auf den zweiten Sessel und beobachtete das Meer. Weiße Schaumkrönchen kräuselten sich auf der Oberfläche, ein kleiner Kutter tuckerte Richtung Hafen. Die Wolken zogen langsam nach Nordwesten und nahmen Master Shaun’s Gedanken mit. Eine Weile noch, dann begann ein kühler Wind zu wehen. Die Haustür fiel zurück ins Schloss und eine junge Männerstimme erklang. »Ich bin wieder da, Meister.« »Wird auch Zeit«, brummte dieser und ging zurück ins Wohnzimmer seinem Schüler Lauryn Halo entgegen. »Wieso? Ist was passiert?«, fragte Lauryn Halo mit großen Augen und streifte dabei auch das Wasserglas auf dem Tisch. Der alte Mann wandte sich schaudernd wieder ab. Diesen Blick hatte er heute oft genug sehen müssen. Er winkte Lauryn ihm auf die Terrasse zu folgen. »Kannst du ihn nach Hause bringen?« fragte er auf Harmony deutend. Der andere zuckte kurz zusammen, nickte dann aber. »Wie kommt es, dass er hier ist?« »Gah«, machte der Alte nur. Woraufhin Lauryn lachte. »Io scheint ihn jedenfalls zu mögen. Ist selten, oder? Dass sie zu Fremden so zutraulich ist?« »Das ist gar nicht selten. Sie sieht hier bloß nicht viele Fremde.« »Natürlich«, der Jüngere grinste und nahm Harmony behutsam auf den Arm, um ihn nicht zu wecken. »Ich geh dann mal.« Schnell ließ er das Haus hinter sich. Der Sand knirschte leise im Einklang mit dem stetigen Rauschen der Wellen. Die schmale Mondsichel war nicht hell genug den Weg zu zeigen. Doch Lauryn kannte ihn aus dem Herzen. Er lebte schon viele Jahre hier mit seinem Meister. Hatte Harmony oft am Strand spielen sehen. Doch seine kalte Nase jetzt am eigenen Hals zu spüren, war ungewohnt. Und dann auch wieder nicht. Roch sein Haar doch genauso wie das seiner Mutter. Lauryn klopfte an die Tür von Jenifer Snow’s Haus. Erschreckend schnell wurde die Tür aufgerissen und eine junge Frau mit blassem Gesicht und tiefblauen Augen starrte ihn an. »Lauryn …«, stotterte sie. Die Grillen zirpten. »Tut mir leid«, antwortete er. »Er hat sich wohl zu uns nach oben verirrt und mein Meister hat es nicht für nötig gehalten ihn wieder rechtzeitig nach Hause zu schicken. Wenn ich eher zurück gekommen …« »Natürlich«, lächelte Anna müde und nahm ihm ihren Sohn ab. »Danke, dass du ihn hergebracht hast.« »Mh.« Eine Wolke schob sich vor den Mond und der Wind frischte auf. »Ist noch etwas?« fragte die junge Frau. Lauryn’s Blick schweifte über ihren dünnen Handgelenke und das firme Kinn, die blassroten, zusammengepressten Lippen, das lange, nussbraune Haar. »Du hast mir nicht mal erzählt, wie er heißt.« »Das hast du doch inzwischen sicher oft genug gehört?« »Aber das ist nicht dasselbe!« »Oh! Aber ich höre auch zum ersten Mal, dass dich das interessiert.« »Huuh? Natürlich interessiert es mich!« »Woher soll ich das wissen?« »Ist das nicht normal?« Anna schnaufte. »Bei euch Zauberern ist doch nichts normal.« »Ah«, machte Lauryn. »Ja.« Sie schauten sich an. Ein bisschen erhitzt mit roten Backen, aber die Atmosphäre fühlte sich besser an als zuvor. Schließlich sagte Anna: »Er heißt Harmony« Und Lauryn grinste und antworte: »Ist das nicht ein seltsamer Name für einen Jungen?« »Und er ist genauso albern wie du!« Sie boxte ihn zwischen die Rippen. »Ich bin doch nicht …«, versuchte er noch zu widersprechen, doch sie fiel ihm scharf ins Wort. »Leugne nicht!« Dann trat sie einen Schritt zurück hinter die Schwelle. »Und ich gehe jetzt rein. Er ist nämlich auch schwer. Ich hoffe für euch, dass Master Shaun ihm nicht irgendwelchen Unsinn erzählt hat.« »Das hat er bestimmt.« Sie seufzte und ergriff die Türklinke. »Gute Nacht.« »Gute Nacht.« Die Tür schloss sich und es wurde wieder still. Lauryn Halo legte den Kopf in den Nacken und atmete durch. Sie war immer noch dieselbe. Und er musste lachen. Irgendwann löste er sich vom Haus um den Rückweg anzutreten, zog die Schuhe aus und watete barfuß durch den weißen Sand. Zum ersten Mal seit langem wunderte er sich, ob er die fliegenden Fische in der nächsten Nacht wohl sehen würde. Und trotzdem roch es nach Regen. * Der nächste Tag verlief erstaunlich ruhig. Harmony lag im Sand und rührte sich kaum, schaute den Wellen zu und ein paar Möwen, die bei den Felsen nach Fischen pickten. Trotz des bewölkten Himmels konnte man weit sehen. Wegen des bewölkten Himmels konnte man weit sehen, wurde man erst gewahr, wie weit er war. Hinter einer Wolke kam immer noch eine nächste und eine nächste bis das Meer schließlich den Himmel bedeckte. Das war der Horizont. So weit. So weit. Jemand setzte sich neben ihn. Das weinrote Kleid seiner Mutter. »Die Wolken sollen nach Hause gehen«, maulte er eintönig. Anna streichelte sein Haar. »Das werden sie. Bis heute Nacht ist noch genug Zeit.« »Wir werden sie zusammen sehen, oder?« »Ja.« »Der Opa hat gesagt, deine Augen seien schlecht.« Anna erschrak und Harmony kletterte an ihr auf und blickte ihr ins Gesicht. »Das … eh …«, stotterte sie, bevor sie sich wieder fing. »Es stimmt, meine Augen werden immer schlechter. Aber … letztes Jahr habe ich sie gesehen, also sehe ich sie dieses Jahr vielleicht auch noch …« »Vielleicht …«, wiederholte ihr Sohn und sank an ihre Brust. »Tut mir leid …« Ihre Herz zog schmerzhaft. »Wirst du dann blind werden?« »Wahrscheinlich … Irgendwann.« »Kann man das nicht heilen?!« »Bis jetzt nicht …« »Und Papa? Er ist doch Zauberer?! Kann er dir nicht helfen? Wieso ist er nicht hier?!« Harmony schaute sie mit großen blauen Augen an, erwartungsvoll, verzweifelt. Anna biss sich auf die Lippen. Warum erinnerte er sich an so etwas? Wann hatten sie das letzte Mal über seinen Vater gesprochen? »Selbst Magie kann nicht alles …« »Aber er hilft doch Menschen damit, wieso kann er dir nicht helfen?« Sie nahm ihn in den Arm und drückte ihn fest. »Weißt du, das frage ich mich auch so oft.« * Als endlich die ersehnte Nacht anbrach, blieb es dunkel. Kein Stern erhellte den Himmel, bedeckt von einer geschlossenen Wolkenschicht. Harmony lag auf dem Rücken und starrte nach oben. Müde, enttäuscht. Ein Teil seiner kleinen Welt schien heute zerbrochen. Dunkelheit. Enttäuscht war auch jemand anderes. So viele Jahre lebte er nun schon an diesem Strand, so viele Neumonde hatte er erlebt, auch wolkenlose. Aber das letzte Mal, dass er die fliegenden Fische gesehen hatte, war so lange her. Diese magischen Fische, die nur in sternenklaren Neumondnächten erschienen, die glitzerten wie Sterne im tiefschwarzen Meer. Ein zweiter Himmel. Doch nur wenige Menschen waren in der Lage, ihn zu sehen. Wer glaubte schon an die Existenz solcher Wesen. Lauryn Halo erhob sich aus seinem Sessel, atmete tief ein. Das einzige, was er tun konnte für seinen Sohn. Und pustete. Und sandte den entstehenden Wind mit einer Handbewegung in den Himmel. Die Wolken stoben auseinander, gaben den Blick auf die Sterne frei. Augenblicklich begann es auch auf dem Meer zu blitzen. Harmony traute seinen Augen kaum und schnellte auf. Ein leises Platschen kam zum stetigen Rauschen der Wellen hinzu. Kleine Körper mit zarten Flügeln, die das Sternenlicht einfingen. Der Junge starrte erst ungläubig, dann glücklich und zerrte seine Mutter neben ihm schon aufgeregt am Ärmel. Doch als er sie sah, erstarb sein Lachen wieder. Sie sah sie nicht. Sie verbarg ihr Gesicht in den Händen und weinte. Harmony sagte nichts und wandte sich wieder dem Meer und seinen Fischen zu, betrachtete sie ruhig. Es tat weh. Sie waren so schön, wie sie das Sternenlicht fingen und die Wassertropfen zum Glitzern brachten. Wie sie immer wieder dem Himmel entgegen strebten. So oft sie zurückfielen, immer wieder erneut sprangen und so hoch flogen. So schön, so irritierend schön. Die Nacht ging zu Ende und der erste Sonnenstrahl fiel über die Bucht. Harmony kletterte aus seinem Bett. Er war wohl irgendwann eingeschlafen und seine Mutter hatte ihn nach Hause getragen. Seine Mutter … Die Erinnerungen der Nacht wurden wieder lebendig. Er schob sich durch die Zimmertür, lief leise den Korridor entlang und schlüpfte durch die Haustür nach draußen, durchquerte das Schilffeld zum Wasser. Alles war still. Außer den Wellen war nichts zu hören. Kein Wind, kein Vogel. Nur der Atem des Jungen. Er stand im feuchten Sand und sein Herz schlug bis zum Hals. Der Himmel an diesem Morgen war eindrucksvoll, weiße flockige Wolken mit einem Hauch Gold, Rosa, Hellblau. Doch Harmony sah das nicht. Vor seinen Füßen wiegten die Wellen den toten Körper eines Fisches. Die Augen milchig weiß, das Maul geöffnet. Die fast transparenten Flügel bewegten sich stetig vor und zurück, als würden sie noch immer fliegen. Harmony fiel in den Sand, schlug die Arme vors Gesicht und schluchzte laut. Seine Fische waren gestorben. * »Jetzt siehst du, was du angerichtet hast«, meinte Master Shaun grimmig und kehrte zurück ins Haus um sich einen Morgentee zu brühen. Lauryn blickte geschockt auf die Oberfläche des Meeres, auf welcher viele kleine Punkte golden in der Sonne schillerten. Er verstand selbst nicht recht, wie es dazu gekommen war. Sie waren doch letzte Nacht geflogen wie immer, oder? Wieso verschwanden sie nicht einfach? Wieso starben sie auf diese Art? Es war, als wäre die Magie selbst gestorben. Der junge Zauberer schüttelte den Kopf und lief um das Haus herum, den Weg zum Strand hinunter. Er konnte das nicht glauben. Als er unten anlangte, verringerte er sein Tempo und näherte sich dem kleinen Jungen. Einen Moment noch musste er überlegen, was er sagte, dann sprach er ihn an. Harmony hob den Kopf. »Weinst du um die Fische?« Lauryn hockte sich neben ihn. »Mh.« »Sie waren schön letzte Nacht, oder?« »Sie konnten sie sehen?« »Ja. Seit langem mal wieder.« Harmony blickte traurig auf den leblosen Fisch vor ihm. »Wieso sind sie gestorben?« »… Ich weiß nicht.« Bedrückende Stille. »Heißt das, sie werden nie wieder fliegen? Ich werde sie nie wieder sehen können?« Lauryn schaute den Jungen an. Er ahnte, was in seinem Kopf vorging. »Vielleicht doch«, sagte er schließlich. Harmony sah ihn an. »Sie sind schließlich magische Fische, oder? Die können doch nicht auf so eine Weise sterben.« Er stand auf und lächelte. »Außerdem will ich, nachdem ich sterbe, ein fliegender Fisch werden und alle Menschen, die uns sehen, glücklich machen.« Endlich ein richtiger Zauberer werden. »Alleine fliegen ist schließlich doof.« Er spähte kurz über das Wasser, schlüpfte aus seinen Schuhen und lief ein Stück den Strand entlang. »Es gibt bestimmt einen Weg sie zurück zu bringen.« Harmony schaute ihm verwundert nach. Wie er die Hände aneinander legte und wieder entfernte und plötzlich ein Blatt Papier hielt, es mit Händen und Lippen flink im Gehen faltete. Schließlich knietief ins Wasser watete und mit irgendetwas leise sprach. Kleine goldene Blasen schwebten in die Luft, lösten sich auf. Der Junge beobachtete sie staunend. So etwas hatte er noch nie gesehen. Lauryn pustete und die letzten Blasen verschwanden. Er kehrte zurück zu Harmony, in den Händen das Papier. »Wenn ich sterbe«, sagte Harmony plötzlich entschlossen. »Werde ich Wind! Um die Wolken wegzuschieben und die Fische noch höher fliegen zu lassen.« Der Zauberer lächelte ihn an und hockte sich wieder neben ihn. »Das ist schön. Aber bis dahin musst du mir versprechen noch ganz lange zu leben. Wie dieser Fisch hier.« Er hielt ihm das Papier vor die Nase. Es war ein gefaltetes Schiff. Harmony nahm es skeptisch entgegen. »Das ist ein Fisch?« »Naja … Es ist schon ein Papierschiff, aber darin liegt die Seele eines fliegenden Fisches.« Und auf den verständnislosen Blick des Jungen, versuchte er zu erklären. »Der Fisch ist nicht wirklich tot. Sein Körper schon, aber seine Seele schläft jetzt im Körper dieses Schiffchens. Und wie gesagt, es sind magische Fische, vielleicht kann er sich also einen neuen Köper machen, wenn man ihn irgendwann zurück ins Wasser bringt.« Harmony betrachtete sein Schiff. Er wusste noch nicht, ob er das verstand. Er wusste nicht, was er darüber denken sollte. Aber das Papier fühlte sich schön an zwischen seinen Fingern. Die warme Morgensonne. Das Salz. Er schloss die Augen und legte es an seine Wange. »Es riecht nach Meer.« End of Act III Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)