When Love Tends To Become A Problem (LILEY) von EmiLy_RoHan (Remember, It Still Remains A Gift) ================================================================================ Kapitel 10: Gott, Gib mir mein Leben zurück ------------------------------------------- WHEN LOVE TENDS TO BECOME A PROBLEM - REMEMBER, IT STILL REMAINS A GIFT LILEY Kapitel 10 Mein Leben ist ein Schutthaufen. Es ist in sich zusammen gefallen und das war logisch betrachtet der letztlich einzige Ausweg. Keine große Überraschung. Vielleicht – wahrscheinlich – habe ich sogar darauf gewartet, bis es denn endlich passiert. Na ja, immerhin hat es satte fünf Jahre gedauert, bis ich eingeknickt bin. Niemand hat mich schreien, toben, seufzen hören, niemand konnte mich je auch nur durchschauen. Ich bin ein Meister der Tarnung, des Verschleierns, habe niemand hinein gelassen. Die vielen Nächte, die ich geweint und gerufen habe. Um Hilfe gerufen, nach jemandem, der mich endlich rettet. Völlig allein, verlassen. Eigentlich habe ich nicht um Hilfe gebeten, das habe ich nie getan. Ich habe immer nur gehofft. Gehofft darauf, dass irgendwann einmal jemand näher hinsehen würde. Näher als bisher. Ich habe nicht vor dieses Mal um Hilfe und Beistand zu bitten. Ich komme auch sehr gut alleine klar... Und irgendwann ist Hoffnung auch nicht mehr ausreichend. Manchmal muss man Dinge selbst in die Hand nehmen. Auch wenn das bedeutet, zu sterben. Als mein Leben endgültig zerbrach, war ich 12 süße Jahre alt. Ich ging mit raschen Schritten auf die 13 zu und mein Leben hätte erfüllter kaum sein können. Ich hatte zwei wundervolle, beste Freunde und mein Bruder würde auch bald zu mir zurück kommen. Bald wäre alles wieder so geworden, wie es von vornherein hätte sein sollen. Ich hatte ihn so sehr vermisst... Und mein Leben war nicht dasselbe gewesen ohne ihn. Auch ohne sein depressives Selbst. 2 Jahre waren seitdem vergangen und ich hatte ihm jede Woche geschrieben. Jeden Freitag, soweit ich mich erinnere. Auch wenn er mir fast nie geantwortet hatte und er mich nicht ein einziges Mal hatte sehen wollen, ich habe ihm weiter Briefe geschickt. Ich wollte ihn an meinem Leben teilhaben lassen. Wollte ihm zeigen, dass ich ihn nicht vergessen hatte und dass ich ihn immer noch liebte. Dass er immer noch mein Bruder war. Vielleicht wollte er auch einfach nicht, dass ich ihn so sehe. Er hatte es wahrscheinlich schwerer als ich in diesen Jahren. Er war wohl viel mehr allein, als ich es mir überhaupt vorstellen kann. Unsere Mutter hat ihn auch nicht oft besucht, dort wohin er gekommen war. Eine sehr renommierte Psychiatrie. Trotzdem konnte ich meinen Gedanken nie um die Tatsache stricken, dass mein Bruder vielleicht nicht mehr gewesen wäre, wenn ich ihn nicht gestoppt hätte. Bis heute ist dieser Fleck meines Lebens kein Grund für mich, mich damit zu brüsten. In der Anstalt stellte sich dann schließlich heraus, dass die Sache mit Dad tiefer in seinem Kopf verankert gewesen war, als wir angenommen hatten. Er konnte den Gedanken nicht entkommen, hatte er mir erklärt. Er fühlte sich ungeliebt und allein. Ihm fehlte der männliche Part in seinem Leben. Ich fühle mich ihm jetzt näher denn je. Ich weiß genau, wie er empfunden haben muss. Den Gedanken nicht entkommen können, Erinnerungen neu durchleben. Zusammenbrechen. Ja, ich weiß ganz genau, wie er das meint. Und ich damals? Na ja, mein Leben war auch ohne jegliche Erinnerungen an meinen Vater ein relativ Vergnügliches. Ich habe ihn nie vermisst, er war ja kein Teil meines Lebens. Und meine Mutter? Die saß in ihrem Schlafzimmer am Telefon und beredete mit einer Freundin, dass sie doch sowieso nie Kinder hatte haben wollen. Das war der Tag an dem sie anfing Ohrenstöpsel zu tragen, wenn sie Nachts schlief. Ach nein, stimmt gar nicht. Das war drei Wochen später... aber alles der Reihe nach. Ich habe immer alles durchgestanden, ich musste mich nie beklagen. Ich hatte keinen Grund. Denn bis dahin hatte ich schließlich die zwei besten Freunde, die ich mir nur wünschen konnte. Natürlich mein lieber Oliver. Er war immer meine größte Stütze, mein Halt. Aber natürlich war auch er für mich da. Mein Jake. Mit ihm konnte ich immer am besten über alles reden. Über alles, außer über diese eine Sache, die mich schon immer definierte und die mich immer daran hinderte, so zu sein, wie alle anderen. Mein kleines, großes Geheimnis. Das in mir, dass mir zu der Zeit mehr Angst machte, als irgendetwas sonst. Man sollte meinen, irgendwann hätte auch selbst jemand auf den Trichter kommen müssen. Mit ca. 11 Jahren hatte ich herausgefunden, dass ich lesbisch bin. Und in einer Welt, in der ich es nicht kannte, weil niemand darüber sprach, fühlte ich mich unglaublich allein. Niemand wusste davon, nur einer. Sonst niemand. Ich hatte meinem Bruder davon geschrieben, in einem der wenigen Briefe, auf die er dann sogar tatsächlich geantwortet hat. Wenn auch nur mit einem einzigen netten Satz, der mich trotzdem jedes Mal so mit Glück und Zuversicht erfüllte, wie ich kaum sagen kann. „Es ist okay.“ Das waren immer seine einzigen Worte. Ich weiß bis heute nicht, ob er das damals auch so meinte. Ob er wirklich selbst daran glaubte, dass alles okay war. Oder ob er sich als mein großer Bruder nur dazu verpflichtet fühlte mir das zu sagen und mich zu trösten. Damals war es mir egal. Ich hatte meinen Bruder und ich hatte meine Freunde, auch wenn er nie mehr schrieb als drei einfache Worte. Alles was ich von ihm bekam waren ein paar lausige Worte auf ein Blatt Papier gekritzelt und eingepackt. Aber ich war ihm nicht böse. Nein, im Gegenteil. Ich wollte immer nur, dass er wieder zu mir zurück kommt und mich nicht wieder mit meiner Mutter allein lässt. Das er nur ein einziges Mal mein großer Bruder ist und mich beschützt, mehr wollte ich nicht. Das war alles. Sie trank hin und wieder. Nicht schlimm, sie war nicht abhängig, sie war auch nie richtig betrunken, glaube ich. Aber vielleicht versuche ich auch nur die ganze Sache herunter zu spulen, immerhin ist sie immer noch meine einzige Mutter und sie wird es auch immer bleiben. Egal wie sehr sie mich hasst, weil ich nicht so bin, wie sie mich gerne wollte. Man kann sich seine Familie eben nicht aussuchen. Aber nein, sie war nicht diejenige, die mich schlug und mich zum weinen brachte. Zum schreien. Sie hat mich nie angefasst, nicht einmal mit einer Kneifzange. Sie hat mich ja nicht einmal angesehen. Und das tat mehr weh als eine Ohrfeige. Das Gegenteil von Liebe ist nicht Hass, es ist Gleichgültigkeit. Jake war mein bester Freund. Ich habe ihn geliebt wie einen Bruder. Er war mein großer Bruder, solange Matt nicht in Reichweite war. Er hat immer Mist mit mir und Ollie gemacht und wir hatten jahrelang nie Probleme und meistens viel Spaß. Bis ich mich entschloss die Karten endlich auf den Tisch zu legen und Klar-Schiff zu machen. Ich konnte die beiden nicht länger belügen. Gott, heute weiß ich, wie einfältig ich damals war. Ich hätte meinen Mund halten sollen, ich hätte schweigen müssen. Ich hätte besser nie etwas gesagt... Es war etwa zwei Wochen vor meinem Geburtstag und vielleicht ist das ja auch der Grund, warum ich seitdem jeden einzelnen davon abgrundtief gehasst habe. Es war ein Freitag, ein beschissener Freitag und der schlimmste Tag meines Lebens. Noch schlimmer sogar als der Tag, an dem mein Bruder fast gestorben wäre. Und jetzt seht mich an, was ist nur aus mir geworden, weil die Welt so intolerant und brutal ist? Jetzt hat mich das Leben auch endlich geschafft und zerbrochen. Und zwar zur Gänze, dieses Mal kann ich mich nicht wieder auf rappeln und weiter kämpfen. Dieses Mal werde ich liegen bleiben, ich bin geschlagen. Ich habe verloren. •◘○ Hannah Montanas 'Nobody's Perfect' lief durch Mileys ganzes Auto und sie musste sich zurückhalten nicht laut mit zu singen. Eigentlich war ihr jetzt gar nicht nach singen, aber der Song war zu ansteckend und sie hatte die Lyrics schon so oft aufgeführt, dass sie sich kaum dagegen wehren konnte oder wollte. Sie kannte den Text in und auswendig und sie liebte es auf der Bühne zu stehen und umjubelt zu werden. Gerade eben hatte ihr Freund etwas Furchtbares erlebt und sie dachte darüber nach, wie viel Glück sie hatte, Hannah Montana zu sein? Oh nein, das sollte sie wirklich nicht. Sie seufzte leise und traurig. Immer noch zerbrach sie sich den Kopf, was Lillys Bruder gemeint hatte. Er hatte Jake angeschrien er sollte dafür bluten, was er Lilly angetan hatte. Aber was genau hatte er denn Lilly so Schreckliches getan? Die Skaterin hüllte sich schließlich auch behaglich in Schweigen und wollte nichts davon erzählen. Aber wenn Matt Truscott schon so weit ging Jake fast umzubringen, dann musste es etwas Furchtbares gewesen sein. Sie mochte sich gar nicht ausmalen, was zwischen den beiden passiert sein mochte. Kurz erzitternd bog die Pop-Prinzessin in Lillys und ihre Straße ein. Hoffentlich war die Blondine zu Hause, Miley wollte ihr nämlich einen kleinen Besuch abstatten um ein paar Sachen klar zu stellen. Sie musste einfach wissen, warum sich alle so seltsam benahmen, wieso sie die einzige zu sein schien, die nichts davon wusste und wieso Matt es getan hatte. Das Auto kam ruckelnd zum Stillstand. Miley bewegte sich langsam, fast bedenklich, als wolle sie nicht, dass jemand sie sah. Was allerdings absolut kindisch war. Es gab Tage, da lebte sie praktisch bei den Truscotts. Am letzten Wochenende hatte sie hier sogar übernachtet. Obwohl sie jedoch protestiert hatte, hatte Lilly darauf bestanden, dass sie selbst auf dem Sofa und Miley im Bett schlafen würde. Es war einer der besten Tage seid Langem für die Brünette gewesen und dafür war sie unendlich dankbar. Lilly sorgte irgendwie dafür, dass sich die Pop-Prinzessin zugleich verstanden, geliebt und wohl behütet fühlte. Eine der Empfindungen, auf die Miley nicht mehr verzichten wollte. Nie wieder. Sie würde schon dafür sorgen, dass die Blondine immer bei ihr blieb. Bei Jake fühlte sie sich zwar ähnlich, aber Lilly gab ihr das Gefühl, ohne Gegenleistung zu geben und einfach nichts zu erwarten. Jake dachte bei allem, was er tat, vor allem zuerst an seine eigene Belohnung hinterher. Er tat nichts, ohne etwas dafür haben zu wollen. Miley klingelte an der großen, schweren Vordertür und wartete, aber nichts rührte sich dahinter. Sie sah keine Bewegungen durch das Küchen- oder Wohnzimmerfenster und auch sonst schien alles ruhig aus dem Haus vor ihr zu sein. Das beunruhigte sie. Sie hatte extra den Rest des Unterrichts geschwänzt, um nach der Blonden zu sehen. Schließlich hatte sie auch zwei Schwinger abbekommen und wie Miley die Gute kannte, hatte sie ihre Verletzungen völlig außer Acht gelassen und lief jetzt blutend durch die Gegend. Miley blickte sich langsam um. Lillys Skateboard lehnte unberührt an der Wand der Veranda und auch ihr Auto stand auf dem Hof. Solange sie nicht zu Fuß unterwegs war, musste sie doch zu Hause sein... oder etwa nicht? Irgendetwas war los. Das wusste die Pop-Prinzessin. Ein weiteres Mal läutete sie, aber noch immer gab niemand Antwort. Ohne wirklich daran zu glauben, dass Lilly wirklich so fahrlässig sein konnte, drückte sie die Türklinke runter. Doch sie wurde überrascht. Die Tür sprang mit einem leichten Klicken auf und Miley setzte vorsichtig einen Fuß in die anscheinend ausgestorbene Wohnung. Sie verzog das Gesicht, als ihr etwas entgegen schlug. Es war ein beißender, Metall ähnelnder Geruch, den sie nicht gleich einordnen konnte, obwohl sie sich sicher war, ihn schon einmal gerochen zu haben. Er schien von oben zu kommen. „Lilly? Lilly, bist du da?“, sie rief den Namen der Blonden ein paar Mal, aber noch immer lag das Haus tot und kalt vor ihr, niemand antwortete. Kein Härchen rührte sich. Allmählich wurde Miley zappelig. Mit den Händen spielend, machte sie ein paar Schritte auf die Treppe zu und lugte in Wohnzimmer und Küche. Auf dem Küchentisch lag Lillys Schultasche und ein Taschentuch voller Blut. Miley riss ihren Blick davon los und ließ auch das leere Wohnzimmer hinter sich, in dem nichts lag, außer Lillys Lederjacke. Von ihrem Blickwinkel aus konnte sie allerdings sehen, dass die Badezimmertür im ersten Stock halb offen stand. Das war komisch. Lilly achtete sonst peinlich genau darauf, dass diese Tür geschlossen blieb. Sie hatte Miley einmal erzählt, sie konnte es nicht ausstehen, wenn sie von ihrem Zimmer aus – welches genau gegenüber lag – in den weißen Raum starren musste. Von ihrem Bett aus konnte man es nämlich ganz genau erkennen. Lilly allerdings sorgte immer dafür, dass ihre eigene Zimmertür offen blieb. Das machte jedoch keine Probleme, denn ansonsten war ja ohnehin nie jemand zu Hause, der sich daran hätte stören können. Etwas unsicher stieg Miley die Stufen höher, bis sie endlich nach fünf Minuten oben angekommen war. In ihr tobte ein Kampf. Was, wenn Lilly sie gar nicht sehen wollte? Immerhin war ihr Bruder nur wegen Jake, Mileys Freund, ausgetickt und würde jetzt wahrscheinlich Probleme mit dem Gesetzt bekommen. Und was war, wenn Lilly zu dem Schluss kam, dass sie nicht mehr mit Miley befreundet sein wollte, weil sie mit Jake ging? Denn was auch immer Jake getan haben mochte, es saß der Skaterin offenbar noch in den Knochen und würde so bald wohl auch nicht verschwinden. Für wen der beiden würde sie sich dann entscheiden? Die Tür zu ihrer Linken war nur angelehnt und die Pop-Prinzessin streckte die Hand nach der Klinke aus. Das war Lillys Zimmer, aber wieso war die Tür zu? Das sah ihr nicht ähnlich. Andererseits wollte sie vielleicht einfach nur ein wenig Ruhe haben nach diesem Kampf – auch noch gegen ihren eigenen Bruder – und hatte sich deswegen ein wenig hingelegt? Es war auch gut möglich, dass sie schlief und deswegen die Klingel nicht gehört hatte. Doch sie wurde wieder überrascht. In dem Bett am anderen Ende des Zimmers lag nicht Lilly, sondern ihr Bruder. Seine Augen waren fest geschlossen und er schnorchelte leicht. Neben ihm lagen ein gerötetes Tuch und eine Schale mit rotem Wasser. Offenbar war Jake nicht der einzige gewesen, der geblutet hatte. Lilly hatte Jake beschützt, obwohl sie ihn nicht ausstehen konnte. Sie hatte ihren eigenen Bruder niedergeschlagen, nur um Mileys Freund zu retten. Was ging in ihrem Kopf nur vor? Die Brünette wusste, dass Lilly nichts lieber getan hätte, als Jake selbst eine mitzugeben. Aber sie hatte es nicht getan. Wieso? Der Geruch kam nicht von hier, er kam von weiter unten vom Gang. Er war stärker wahrzunehmen als im Erdgeschoss, er wurde noch klarer und er jagte Miley einen Schauer über den Rücken. Wenn sie doch nur wüsste, wo sie das schon einmal gerochen hatte? Sie konnte nicht umhin sich zu fragen, was Lilly angestellt haben mochte, was so einen Geruch verursacht hatte. Miley zog ihren Kopf zurück und schloss leise hinter sich die Tür, um den Schlafenden dahinter nicht zu stören oder gar zu wecken. Sie musste zugeben, sie fürchtete sich ein wenig vor der so kaltblütigen Art des jungen Mannes, mit der er zugeschlagen hatte. Ohne an seinem Lächeln zu zweifeln oder es auch nur zu verlieren... Bis Lilly eingegriffen hatte. Leicht erzitternd drehte sie sich wieder dem Badezimmer zu. Sie konnte von ihrer Position aus nicht direkt sehen, was darin war. Aber eine Sache irritierte sie. Was war dieses schwarze Etwas, das hinter der Tür hervorlugte? Sie erstarrte. Konnte das möglich sein? Ihre Augen weiteten sich vor Schreck, als sie es erkannte. Tatsächlich... Es war ein Fuß! Sie rannte zum Badezimmer, riss die Tür noch weiter auf und... ihr Herz hörte auf zu schlagen. Sie konnte nicht mehr atmen. Nein, das konnte nicht sein. Das durfte nicht sein. Das war unmöglich, sie musste halluzinieren. Das hier konnte nicht real sein, sie musste es sich einreden. Lilly lag da. Leblos. Sich nicht rührend. Tränen auf ihren hohlen, blassen Wangen. In ihrem eigenen Blut... •◘○ Wie sagte schon Jesus? Es geht nicht wie in „Auge um Auge, Zahn um Zahn“, Gott sagt, man soll dem, der einem Böses antut, keinen Widerstand leisten. Wer dich bittet, dem gib und wer von dir borgen will, den weise nicht ab. Matthäus 5, 38-42. Idealvorstellungen, die ich jetzt, wo ich näher darüber nachdenke, zum kotzen finde. Gott ist einfältig, glaubt er denn wirklich, irgendjemand könnte so leben? Ich habe mich nicht gewehrt, ich habe sie nicht abwehren können. Ich habe es über mich ergehen lassen, ohne genau zu wissen, wann der Schmerz wieder nachlassen würde. Wieso sollte ich mich nicht wehren, wenn mich jemand versucht umzubringen? Ich gebe und ich borge, sicher, aber ich will nicht untergehen in dieser Welt. Ich meine, ich wollte es nicht... Seit dem Freitag – mein Geburtstag – an dem sie kamen, wollte ich nicht mehr so schwach sein. Ich habe versucht stärker zu sein. Ich habe nach Kraft gesucht. Aber ich war nicht mehr glücklich. Ich habe alles mit einer Kälte hingenommen, die mich manchmal selbst erschreckte, und die mich in manchen Fällen Nachts zum weinen brachte. Vielleicht wollte meine Mutter nicht, dass noch ein anderes ihrer Kinder in der Psychiatrie endete, denn genau das war der Zeitpunkt an dem sie anfing, mich völlig auszuschließen. Sie wollte mich nicht hören, sie wollte nie wissen, was mit mir los war. Sie hat lieber Augen und Ohren abgeschlossen. Gott hat schon Recht, sich zu wehren führt eigentlich nur zu mehr Schmerz. Schmerz der am Ende genau dazu führt, dass wir sterben. Und am Ende.. war ich doch allein. Nicht allein spielen, was? Bullshit, sage ich euch. Der Freitag und der Montag, von dem ich immer wieder spreche. Der Montag, an dem ich das erste Mal das gesamte Ausmaß meiner Dummheit erkannte und mein 13. Geburtstag, ein Freitag, der dem letzten Horror vor zwei Jahren glich. Ich kann schlecht darüber sprechen, meistens finde ich nicht die richtigen Worte. Ich kann kaum sagen, wie sehr ich mein altes Leben vermisse und wie sehr ich mich dafür hasse, ihm damals vertraut zu haben. Ich habe mich in ihm getäuscht, ich habe mein Pferd auf den falschen Freund gesetzt. Jake und ich hatten uns getroffen, ein Samstag wie jeder andere auch. Er wollte mir unbedingt etwas Wichtiges erzählen und ich hatte selbst den Gedanken im Hinterkopf, den ich aussprechen musste, bevor ich noch irgendwann implodiert wäre. Ihr habt ja keine Ahnung, wie es ist, ein so großes Geheimnis jeden Tag vor dem besten Freund verstecken zu müssen. Oder vielleicht doch? An diesem Samstag trafen wir uns in seinem Haus. Seine Eltern waren auf Geschäftsreise, wie so häufig und er war alleine mit seiner sechs Jahre älteren Schwester zu Hause. Ich hatte sie immer vergöttert und sie war das erste Mädchen gewesen, an dem ich je etwas gefunden hatte. Das erzählte ich Jake natürlich nicht, aber manchmal kam ich nur zu ihm, um sie zu sehen. Tiffany Ryan. Als ich sein Haus an diesem Tag betrat, war mir noch nicht klar, dass es das letzte Mal sein würde, während wir beide noch Freunde waren. Ich würde ihn verlieren und mit ihm meine Anonymität. Meine wohl behütete Art und mein Leben, wie ich es bisher gekannt hatte. Bis heute habe ich keine Ahnung, was er mir überhaupt erzählen wollte, denn er drängte mich mit einem Lächeln zuerst die Karten auf den Tisch zu legen. Ich kann mich noch genau an den Schimmer von Hoffnung in seinen Augen erinnern, und wie schnell dieses Leuchten verschwunden war, sobald ich geendet hatte. „Jake?“, er starrt mich nur an, aus seinen großen vor Verwirrung und Schock geweiteten Augen. Ich zappele mit meinen Händen herum und suche nach einem kleinen Anzeichen dafür, dass ich ihn nicht völlig abstoße. Aber ich finde keines. Er sitzt nur da und guckt, seine Hände zu Fäusten geballt und seine Augenbrauen zusammengezogen. Ich warte auf den Ausbruch. Darauf, dass er mich anschreit und mir sagt, ich soll aus seinem Haus verschwinden, weil ich ihn anwidere und er nichts mehr mit mir zu tun haben will. Aber dieses Schweigen, diese blanke Wut und dieser intensive Blick. Das ist viel schlimmer als jeder Schrei. Ich sollte vielleicht besser gehen. Er sollte erst einmal darüber nachdenken. Plötzlich hatte sich sein großes Wohnzimmer gar nicht mehr so geräumig angefühlt. Tatsächlich fühlte ich mich eingeschnürt, es war alles so eng und luftundurchlässig. Und ich bin raus gerannt. Fünf Minuten lang angestarrt zu werden und dabei zuzusehen, wie sich die Wut in ihm aufstaute, konnte selbst ich nicht ertragen. Wir sprachen nicht mehr mit einander. Ein Wochenende lang ignorierte er mich. Nicht, dass ich wirklich versucht hätte, mit ihm zu reden. Ich wollte die ganze Sache erst einmal ein bisschen sacken lassen. Wollte ihm Freiraum geben, damit er in Ruhe über alles nachdenken kann. Wollt ihr die Wahrheit wirklich hören? Ich hatte Angst vor seiner Reaktion. Ich hatte immer schon Angst. Als mich Sonntag Abend allerdings Oliver anrief und meinte, er müsse mich sofort sehen, hatte ich schon das Gefühl, etwas konnte nicht stimmen. Oliver rief mich nie so spät an. Er lag um diese Zeit normalerweise schon im Bett und träumte von kleinen Häschen und dem Weihnachtsmann. Also traf ich mich mit ihm, versuchte ein bisschen aus ihm schlau zu werden. Jake war wütend. Er war außer sich, er schien mich regelrecht zu hassen. Er hatte wutentbrannt vor Olivers Tür gestanden und war ausgerastet. Ich habe keine Ahnung, ob er wirklich so homophob ist, oder ob da noch etwas anderes war, was ich ihm mit meiner Orientierung angetan hatte. Ich hatte nie den Mut ihn zu fragen. Ich bin ein Feigling. •◘○ Heiße Tränen liefen ihre Wangen hinab, als sie auf der Bank im Krankenhaus saß und leise vor sich hin weinte. Ihr Gesicht hatte sie in den Händen vergraben und ihre Schultern zitterten vor lauten Schluchzern. Ihr Maskara war über ihr ganzes Gesicht verteilt und sie reagierte nicht auf die leisen Worte ihres Vaters, der seinen Arm um ihre Schulter gelegt hatte und versuchte sie zu trösten. Nie in ihrem Leben hatte sie mehr Angst gehabt als jetzt in diesem Moment. Lilly hatte viel Blut verloren, sie versuchten mittlerweile sie zu stabilisieren. Miley konnte das Gefühl nicht loswerden, dass das alles ihre Schuld war. Sie hätte mit Lilly gehen sollen, sie hätte sie gleich verarzten und verhindern sollen, dass noch mehr passierte. Sie ballte die Hände zu Fäusten und stieß einen unterdrückten Schmerzensschrei aus. Bei dem Gefühl Lilly zu verlieren... neue Tränen stiegen in ihre Augen und sie wischte sie etwas unsanft mit dem Handrücken weg. Lilly musste einfach leben, da war so vieles, was Miley ihr sagen wollte. Zum Beispiel, dass sie die Skaterin brauchte. Zum Lachen, zum weinen. Einfach für alles. Robbie Ray zog ein frisches Taschentuch aus der Tasche und wischte die Tränen vom Gesicht seiner Tochter. Er sah genauso traurig aus, wie sie sich fühlte, auch wenn er nicht weinte und auch keine Miene verzog. Miley wusste nur zu genau, wie gern ihr Vater die junge Skaterin hatte. „Sie wird es schaffen Miley, sie ist stark.“, seine Stimme zitterte leicht und obwohl es so schien, als ob er noch mehr zu sagen hatte, schloss er seinen Mund. Vermutlich hatte er Angst, seine Stimme könnte brechen und sein Damm nachgeben, den er um sich gebaut hatte, um den Schock zu verdauen. „Sie will es nicht schaffen Daddy, Lilly hat aufgegeben. Wieso hätte sie sich sonst die Pulsadern aufschneiden sollen?“, Mileys Stimme klang buttrich und verschnupft, aber vor allem verzweifelt. Eben genau so, wie sie sich im Moment fühlte. Wieso hatte Lilly versucht sich das Leben zu nehmen? War es wegen der Sache mit ihrem Bruder? Aber wieso sollte sie sich denn umbringen wollen, nur weil Matt Jake verprügelt hatte. Die Surferin hasste Jake. „Wenn ich doch nur wüsste, was mit der Kleinen los ist.“, hörte sie ihren Vater sagen. Er sprach genau das aus, was auch sie sich schon die ganze Zeit, noch bevor die beiden hier zusammen saßen, fragte. Ihr Vater war etwa dreißig Minuten später zu der Pop-Prinzessin gestoßen. „Das fragen wir uns doch alle, oder?“ Miley nahm das Taschentuch von ihrem Vater und tupfte die letzten Tränen von ihrem Gesicht. Sie hatte die letzten 40 Minuten lang geweint und ihre Augen fühlten sich weich und unförmig an. Als hätte all das Salz sie verbrannt und zugelassen, dass sie sich unter dem Druck ihrer Hände verformten. Ob das möglich war? Im Grunde genommen schien ihr nun alles denkbar. Wenn es in dieser Welt sein konnte, dass man ihr ihre beste Freundin weg nahm, die sie über den letzten Monat lieben gelernt hatte, dann wunderte sie nichts mehr. Sie sah ihren Vater an. „Daddy, holst du mir vielleicht einen Kaffee? Ich will hier nicht weg...“, sie sah ihn nicken und starrte dann auf ihre Hände, die noch immer das zerknüllte Papiertuch hielten. Ihre Muskeln verkrampften sich. Sie wollte nichts sehnlicher als wieder Lillys Hände auf ihrem Gesicht spüren zu können. Die warmen, weichen Handflächen, die sie trösten würden und die ihr auf ihre ganz eigene Weise sagen würden, dass alles gut ausgehen wird. Aber vielleicht würde sie diese Hände nie mehr spüren. Wie zum Teufel hatte sie nicht mitkriegen können, dass es Lilly so schlecht ging? Sie war immerhin ihre beste Freundin, sie sollte in der Lage sein, solche Dinge zu bemerken. Sie ballte ihre linke Hand zur Faust und schloss fest die Augen, um neuerliche Tränen zu vermeiden. Wo Mrs. Truscott wohl war? Miley war sich sicher, dass das Krankenhaus sie informiert haben musste. Miley und Robbie Ray waren keine Angehörigen, die beiden sollten eigentlich gar nicht hier sein. Eigentlich sollten Lillys Mutter und ihr Bruder Matt hier sitzen und um das Leben der Skaterin bangen. Aber sie waren nicht in Sicht. Matt Truscott wahrscheinlich immer noch in Lillys Bett und Heather Truscott sonst wo in der Weltgeschichte. War es ihnen denn gleich, dass ihre Schwester und Tochter in diesem Zimmer ihren letzten Atem aushauchte? Miley wollte es nicht in den Sinn. Ihr Magen verkrampfte sich schmerzhaft, als sie daran dachte, dass sie nie wieder Lillys klares, fröhliches Lachen hören würde. Sie nie wieder ihr Lächeln sehen oder sie umarmen konnte. Lilly würde vielleicht für immer verschwinden. Würde fort sein. Würde gehen und einen großen Teil von Mileys Herzen mit sich nehmen. Dorthin, von wo sie nie wieder zurück kommen würden. Lilly würde WEG sein. Ein keuchendes Geräusch zog sie aus ihren Gedanken, als sie den Kopf hob und Oliver auf sich zu rennen sah. Er war völlig außer Atem und auch seine Augen schwammen in Tränen. Auch wenn es nicht so aussah, als ob er wirklich schon geweint hatte. Er wischte sich schnell über die Augen, dann schnappte er nach Luft. „M-Miley... Lilly...? Was ist... p-passiert?“, er ließ sich auf den Stuhl neben sie fallen, fixierte sie aber mit einem nicht minder festen Blick. Mileys Augen suchten den Boden. Ihr Herz war entzwei gebrochen, als sie Lilly dort hatte liegen sehen. Sie wollte nicht, dass auch Ollies Träume in Zukunft von dieser Szenerie heimgesucht würden. „Lilly... hat v-versucht sich das Leben z-zu nehmen...“, ihre Stimme stockte für einige Sekunden und er legte eine zitternde Hand auf ihre Schulter, um sie zum weitererzählen zu ermutigen, „Sie.“, sie räusperte sich. „Sie hat sich die Pulsadern aufgeschnitten.“, eine einzelne, kleine Träne rollte ihre Wange herunter und im nächsten Moment fand sie sich in einer festen Umarmung wieder. Vielleicht wollte der Junge mit dem wilden, braunen Haar einfach nicht, dass sie sah, wie ihm selbst dicke Tränen aus den Augen fielen. Aber sie konnte sie fühlen, sie landeten in ihrem Nacken. Sie schmiegte sich an ihn. „Ich v-versteh es einfach nicht, Oliver. W-Wieso wollte sie nicht bei mir bleiben? Habe ich irgendetwas falsch gemacht?“, sie fing jetzt wieder an unkontrolliert zu schluchzen und seine Arme schlossen sich noch etwas enger um ihren geschundenen Körper. Das war ihre größte Furcht, dass sie selbst der Grund für Lillys Leid gewesen war. Dass sie selbst die starke Blondine in den Tod getrieben hatte. Sie spürte, wie Oliver den Kopf schüttelte. „Shh, das alles ist nicht deine Schuld. Lilly könnte niemals dich für ihren Schmerz verantwortlich machen. Dafür liebt sie dich doch viel zu sehr...“, die Brünette fühlte, wie sich Olivers ganzer Körper anspannte, als wäre ihm etwas heraus gerutscht, was er nicht hatte sagen wollen. Miley beugte sich etwas von ihm weg und sah ihn durchdringend an. Lilly liebte sie? „Ich m-meine, du bist die beste Freundin, die sie seid Jahren hatte. Und sie würde es hassen, dich zu verlieren.“, er wich ihrem Blick aus und die Brünette zog eine Augenbraue hoch. „Oliver. Lilly liebt mich?“, dieser Gedanke vertrieb sogar für drei Sekunden den Schmerz aus ihrem Kopf. Wenn Lilly sie liebte, war sie am Ende doch der Grund für den Tod der Skaterin? Weil sie mit Jake zusammen war und die Surferin ein so großes Leid erfahren hatte, dass sie nicht mehr weiterleben wollte? Wegen einer Sache, die sie von innen aufzufressen schien? Das würde natürlich alles noch viel schlimmer machen. Daran hatte sie noch gar nicht gedacht. „Sie liebt dich wie eine Freundin. Sie will nichts von dir. Zur Hölle, wieso reden wir jetzt eigentlich darüber. Lilly liegt da drin und stirbt vielleicht!“, er ließ sie zur Gänze los und sprang auf, fing an hin und her zu gehen. Miley verfolgte ihn mit den Augen. Der brünette Junge war nervös, das konnte sie sehen. „Es ist wichtig, weil das vielleicht der Grund war, wieso sie sich überhaupt umbringen wollte!“, Mileys Verzweiflung verwandelte sich allmählich in Wut und sie sah den Jungen zornig an, bevor sie selbst aufsprang und ihn an den Schultern packte. „Oliver, liebt Lilly mich?!“ Miley wusste nicht genau, was sie machen sollte, wenn Lilly wirklich mehr für sie empfand. Es versetzte sie gleichzeitig in Schock und Freude. Wobei die Freude sich jedoch sichtlich in Grenzen hielt, denn sie war sich ziemlich sicher, dass sie sich darüber gar nicht zu freuen hatte. Nein, sie freute sich nicht. Das war doch alles nur Unsinn. Oliver machte den Mund auf um zu sprechen, doch genau in diesem Moment trat ein Mann in weißem Kittel hinter sie und die Pop-Prinzessin schubste den Jungen zur Seite, um mit dem Doktor sprechen zu können. „Sind sie Angehörige von Lillian Truscott?“, es war seltsam Lillys vollen Namen zu hören, aber Miley ignorierte es. Der Mann hob seinen Blick von dem weißen Klemmbrett in seiner Hand und fixierte die Brünette. Sie nickte rasch und obwohl der Arzt sie misstrauisch ansah schien er gewillt den beiden Antwort zu geben. „Ich fürchte, ich habe schlechte Nachrichten für sie...“ •◘○ Miley. Miley. Miley. Miley, ich hoffe du wirst glücklich ohne mich. Ja sicher wirst du das. Du wirst dir einen netten Ehemann suchen und bis in alle Zeit fröhlich leben. Du wirst mich vergessen und erkennen, dass die blonde Skaterin nur eine Einbildung deines Gehirns war. Ich hoffe nur, deine Kinder sind genauso schön wie du, damit ein paar mehr Jungen und Mädchen etwas zum schwärmen haben in Zukunft. „Lilly, da bist du ja endlich!“, Oliver rennt auf mich zu und zieht mich mit sich. Mein Arm tut an der Stelle weh, an der er mich gepackt hat und ich verziehe schmerzhaft das Gesicht. Ollie ist außer sich, was zur Hölle ist denn in ihn gefahren, dass er sich so benimmt? „Oliver, was ist los mit dir? Wieso wolltest du so unbedingt mit mir sprechen?“, er macht an der Bank in seinem Garten halt und drückt mich darauf, dann erst setzt er sich neben mich und sucht offenbar nach den richtigen Worten, denn er wird immer stiller. Sein Gesicht ist in Verzweiflung verzogen, als wisse er nicht recht, wie er anfangen soll. Das Thema, über das er reden will, scheint dieses Mal wirklich wichtig zu sein. „Okay, Lilly. Es geht um Jake und... um dich. Er, na ja, er hat mir alles erzählt. Bitte werd jetzt nicht sauer.“ Oliver wusste es. Oliver wusste von dem, was ich Jake erzählt hatte. Heute glaube ich, wollte er es gegen mich verwenden. Jake, meine ich. Er wollte, dass nicht nur er mich hasst, sondern auch mein anderer bester Freund. Er wollte, dass mich alle verlassen, die mir damals etwas bedeuteten. Und er und Oliver standen nun einmal ganz weit oben auf der Liste. Er wusste, dass er meine Familie nicht gegen mich aufbringen konnte. Meine Mutter hasste mich ohnehin schon, mein Vater war nicht greifbar und mein Bruder versauerte in einer Psychiatrie. Der einzige, der noch übrig blieb, war Ollie. Da hatte sich der Gute nur ein bisschen verrechnet, mit dem, was er vor hatte. Vielleicht wollte er meinen Freund gegen mich aufhetzen, aber er schaffte es einfach nicht. Anscheinend hatte er sich mit ihm gestritten und die beiden waren so wütend geworden, dass sie sich geprügelt haben. Hinten in Olivers Garten. Als er mir das erzählt hatte, musste ich ihn umarmen. Seitdem nenne ich Oliver meinen zweiten Bruder. Er ist vielleicht nicht mein Blutsverwandter, doch wir haben ja gesehen, was Blutsverwandtschaften einem manchmal antun können. Mein Bruder jedenfalls weiß, wovon ich rede. Aber das ist nicht der Grund, wieso ich mich umgebracht habe. Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass ich tot sein muss. Könnte ich hier sonst meine Geschichte erzählen? Ich hoffe nur, meine Mom ist diejenige, die mich findet und nicht Matt. Ich weiß nicht, ob er den Anblick seiner toten Schwester verkraftet. Nur ein einziges Mal soll sich meine Mutter nützlich machen. Das ist alles, worum ich ein letztes Mal bitte. Lass es nicht mein Bruder sein. Ich bin auf dem Parkplatz der Schule. Es ist spät, ich hatte eine Anhörung vor dem Schulleiter, denn inzwischen ist die ganze Sache auch schon zu ihm durchgesickert. Ich lasse meinen Blick sinken und seufze leise. Niemand redet mehr mit mir, ich bin ganz allein. An meinem eigenen Geburtstag. Oliver ist der einzige, der- „Hey Truscott! Na, wie lebt es sich so als Lesbe?! Du bist echt krank!“, ich sehe Brad auf mich zu stolzieren und zucke unwillkürlich zusammen. Brad ist groß und dafür bekannt, nicht einmal mit der Wimper zu zucken, wenn er zuschlägt. Was will er wohl von ausgerechnet mir? Eigentlich sollte es mich nicht wundern. Seit fast zwei Wochen lang geht das immerhin schon so. Nur wieso muss er ausgerechnet heute kommen? An meinem Geburtstag? „Was willst du, Brad?“, wow. Ich klinge mutiger, als ich mich fühle. Er ist nicht alleine, er hat zwei Freunde dabei. Dan und Bexter. Ich kenne die beiden nicht weiter, sie sind nur seine Anhängsel. Aber da ist noch jemand bei ihnen. Jemand, den ich kenne und den ich alles andere als wiedersehen will. Meine Miene verhärtet sich, als ich ihm direkt in die Augen schaue. Ich bin sehr klein, nicht einmal 1,55. Ich hoffe ich mache in ein paar Jahren noch einen Schuss nach oben, damit ich größer bin als sie alle und ihnen eins rein würgen kann. Obwohl ich mich das nie trauen würde. Ich war nie der mutige Typ. Hoffentlich ändert sich das irgendwann. Ich habe nie jemandem davon erzählt, was damals auf diesem Parkplatz passiert ist. Ich hatte zu viel Angst und später zu viel Scham. Ich habe versucht nicht weiter darüber nachzudenken. Aber wenn du jeden Tag in das Gesicht blicken musst, was dir das angetan hat, dann ist das ein schwieriges Unterfangen. Er hatte ja keine Ahnung, wie sehr er mir damals weh getan hat. Das ist die einzige Sache, für die ich mich in meinem Leben schäme, obwohl ich nicht einmal Schuld daran hatte. Ich lande auf dem Boden und schnappe nach Luft. Brad thront über mir, sein Fuß drückt auf meine Brust und er grinst dreckig. Es jagt mir einen Schauer über den Rücken und ich winde mich und versuche zu schlagen, doch er drückt nur noch fester. Ich bekomme kaum Luft. „Du brauchst dich nicht zu wehren, kleine Lesbe. Immerhin werden wir vier dir heute Nachmittag das Vergnügen bereiten zu sehen, was du alles verpasst. Mal sehen ob du danach immer noch an der Geschichte fest hälst und immer noch so stolz darauf bist abnormal zu sein.“, Brad holt aus und versetzt mir einen Faustschlag, der meine Lippe aufreißt. Wovon redet er da bloß? Ich bin nicht stolz darauf, ich habe Angst vor diesem Teil meiner Seele, wieso kann das niemand sehen? Und wie bitte wollen sie mir zeigen, was ich verpasse? „Was wollt ihr von mir?“, ich bin den Tränen nahe. Brad lächelt zuckersüß und schnippt einmal mit den Fingern. Dan und Bexter packen mich an den Armen und ziehen mich mit sich. Der einzige Wagen weit und breit ist ein schwarzer, riesiger SUV. Sie lassen mich dahinter fallen und ich reiße mir die Ellbogen auf. Die Umgebung ist Menschenleer und verlassen. Ich bin ganz allein mit ihnen. „Lasst mich gehen, ich habe euch doch nie was getan.“, Brad tritt mir ins Gesicht. „Uns vielleicht nicht, Miststück. Aber Jake. Und wer unseren Freunden eins rein würgt, dem würgen wir auch eins rein. Im wahrsten Sinne des Wortes.“, alle vier lachen und Brad öffnet den Verschluss seiner Jeans. Tränen laufen jetzt meine Wangen hinab. Ich weiß genau, was gleich kommen wird. Und heute, fünf Jahre später, steigen mir wieder Tränen in die Augen. Halt, warte. TRÄNEN? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)