Wolfsmoon von cookiie (Die Legende der letzten Götter) ================================================================================ Prolog: Die Legende der letzten Götter -------------------------------------- Verloren im schwarzen Nichts der Einsamkeit Bist du umgeben von Dunkelheit, die sich langsam bis in dein Herz frisst Denn du hast vertraut und wurdest verraten, geglaubt und wurdest belogen, erkanntest die Wahrheit erst, als es zu spät war, nun liegst du am Boden, um dich herum wird immer noch Blut vergossen, solange, bis der Letzte deiner Art vernichtet wurde. Doch du nimmst diese Dinge schon lange nicht mehr wahr, hörst nicht mehr die gequälten Schreie, die langsam verstummen, schmeckst das Blut auf deinen Lippen nicht mehr, denn es ist vertrocknet, siehst nicht mehr, wie ein Krieger nach dem anderen fällt, denn deine Augen sind verschlossen, verschlossen vor der Welt und ihrem Leid, fühlst nur noch den eiskalten Regen auf deiner Haut, und spürst den brennenden Schmerz in deinem Herzen, versuchst nicht mehr an ihn zu denken, doch kannst du dein Herz nicht täuschen, denn deine zerstörte Seele wird nie vergessen, was an jenem Tag passiert ist dieses Geschehnis wird für immer an deine Seele gebunden sein, selbst wenn dein Körper stirbt und diese Welt verlässt, so ist deine Seele unvergänglich und sie wird an deinen Nachfolger, deine „Tochter“ weitergegeben, und so wird sich durch sie entscheiden, ob die Welt der Götter durch Liebe gerettet oder erneut durch Verrat in den Tod gestürzt wird. ... Die Zeit wird kommen, wenn die Tochter in ihre Welt zurückkehrt und das Schicksal allen Lebens wird von ihr und der Entscheidung des zweiten Nachfolgers abhängig gemacht. So steht es geschrieben und so wird es geschehen. Denn das, ist die Legende der letzten Götter. Kapitel 1: Hanako ----------------- „Er ist so wunderschön!“. Sie saß still auf dem Fensterbrett und starrte fasziniert auf den silbrig leuchtenden Vollmond, durch dessen Licht die ganze Nacht erhellt wurde. Die strahlende Scheibe am Firmament schien sie zu rufen. Als wolle er ihr etwas sagen, doch seine „Geschichte“ wurde von dem leisen Rauschen des Windes übertönt und trug auf diese Weise das Geheimnis des Mondes mit sich hinfort. So dachte es sich das Mädchen, auch wenn es wusste, dass diese Vorstellung absurd war, gefiel ihr dennoch der Gedanke daran. Und deshalb folgte sie wie jeden Tag seinem Ruf, saß am Fenster und blickte hinaus in die dunkle Nacht, während sie den Geräuschen um sich herum lauschte. Sie konnte stundenlang so verharren, ohne den Blick von dem runden „Etwas“ am Abendhimmel abzuwenden. Solange, bis ihre Lider immer schwerer und schwerer wurden und unter ihrer Erschöpfung langsam zufielen, bis man nur noch das leise und gleichmäßige Atmen des Mädchens hörten konnte. „Aufstehen Mädels, los, bewegt euch“, hallte es am frühen Morgen in den schmalen Gängen des St. Helen Waisenhauses. Die friedliche Stimmung der vergangenen Nacht, wurde durch die strenge Stimme der Erzieherin namens Frau Puck gebrochen. Die jungen Frauen schlüpften, nachdem sie wie immer so rüde geweckt wurden, müde aus ihren Betten und streckten sich gähnend. Auch im kleinsten Einzelzimmer des Waisenhauses erwachte langsam wieder das Leben. Hanako öffnete nun ebenfalls ihre noch bis vor kurzem geschlossenen Augen. Sie kletterte vorsichtig und noch im Halbschlaf das Fensterbrett hinunter, auf dem sie gestern eingeschlafen war. Das Mädchen blickte sich noch ein bisschen benommen in dem karg eingerichteten Zimmer um, während sie mit ihren Augen den kleinen Raum nach ihrer Kleidung durchsuchte. Langsam setzte sich Hanako in Bewegung, nach dem sie ihre Sachen immer noch nicht ausfindig gemacht hatte und wünschte sich sogleich, dass ihre Socken nicht diese diversen Löcher aufweisen würden. Denn der hölzerne Boden war kalt und splittrig. Doch leider musste sie feststellen, dass es um ihre restlichen Kleidungsstücke nicht besser bestellt war. Das Mädchen hatte vollkommen verdrängt, dass es noch die Löcher in ihrer abgenutzten Schuluniform flicken wollte, aber das war jetzt auch egal. Es blieb keine Zeit mehr übrig, um das noch zu erledigen. Dann musste es eben so gehen. Hanako sah sich noch einmal in dem morschen, alten Zimmer noch ihrem kaputtem Rucksack um und fand ihn schließlich in der hinteren Ecke, in der Nähe der leicht verschimmelten Wand. Das Mädchen ekelte sich schon lange nicht mehr vor diesem Gestank und dem heruntergekommenem Raum, den sie ihr Eigen nennen durfte. Sie hatte sich schon längst an daran gewöhnt. Es war trister Alltag geworden. Denn es hätte auch nichts genutzt etwas dagegen zu unternehmen. Was hätte ein Mädchen, von zarten 16 Jahren auch schon gegen so eine strenge, egoistische Erzieherin ausrichten können. Ihr Leben lag in ihrer Hand und das wusste Hanako genau. Sie hatte keine Eltern oder sonstige Verwandte zu denen sie hätte gehen können. Das Mädchen war stets allein, seit sie sich erinnern konnte, immer einsam. Die anderen mieden und verspotteten sie und das Mädchen versuchte es zu ignorieren. Sie blieb stets freundlich, doch glücklich war sie so nicht. Diese Umstände waren hart, doch die 16-jährige wusste sich nicht wirklich zu wehren. Durch ihre Kindheit hatte Hanako gelernt, das es das Beste war, sich zurückzuziehen und die anderen mit ihr machen zu lassen, was sie wollten. Es war ihre Art und Weise damit umzugehen. Sie war wie ein aufkeimender Samen, der sich erst seinen Weg durch den dreckigen Schlamm hart erkämpfen muss, bevor er ans ersehnte Sonnenlicht gelangt und die lebensnotwendige Wärme spüren kann. Wie eine zarte Blume, die Leid und Schmerz kannte und deren Schönheit so nur noch heller erstrahlte. Denn das Mädchen war zwar nicht hässlich, doch trotzdem hatte sie einen Makel, wenn es nach der Meinung der Anderen ging. Es waren ihre Augen, ihre bildhübschen, großen Augen, deren einziger „Fehler“ es war, das sie anders waren und zwar rot, blutrot. Viele dachten sie hätte diese Augenfarbe aufgrund einer schweren Krankheit, weshalb sich auch der größte Teil der Menschen von ihr fern hielt. Denn sie war anders und wer nicht der Norm entsprach, wurde mit Abneigung und Ablehnung bestraft. Doch egal was die anderen auch immer sagen oder tun würden, es konnte ihr nichts mehr anhaben. Das Mädchen war mit den Jahren stark geworden und hatte aus ihren Fehlern gelernt. Aber leider kann man Stärke nicht mit Gefühlen wie Glück und Liebe gleichsetzen. Nach außen hin versuchte sie fröhlich zu wirken und hatte sich selbst innerlich abgehärtet, aber Schmerz ist nun mal ein Bestandteil des Lebens und kann nicht einfach vergessen werden. Doch trotz alldem hatte Hanako immer das Gefühl, nicht allein zu sein. Denn jeden Tag, wenn sie in den halb zerbrochenen Spiegel in ihrem Zimmer blickte und durch ihre mittellangen, silbrig glänzenden Haare strich, sah sie nicht nur ihr eigenes hübsches Gesicht, sondern stellte sich immer vor, dass die Person, die sie im Spiegel anblickte, ihre liebevoll lächelnde Mutter wäre. Diese Vorstellung machte das Mädchen irgendwie glücklich und gab ihr Kraft. Denn die Rotäugige wusste, sie war nicht allein, es durfte einfach nicht so sein. So schaffte sie es auch trotz all dieser Umstände weiterzumachen und nicht aufzugeben. Hanako konnte es sich selbst nicht erklären, aber auch wenn sie weinte, war das nicht aufgrund ihrer Einsamkeit, denn diese hatte sie gelernt zu ertragen. Das Mädchen war traurig, wenn sie an ihre Vergangenheit dachte, denn sie konnte sich an nichts erinnern, es war alles wie ausgelöscht und wie jeder andere wollte auch sie wissen, wo sie herkam. Und eins wusste die Weißhaarige, wenn sie es schaffen würde, sich wieder an alles zu erinnern, so hätte ihr Leben einen Sinn. „Warum dauert das denn so lange?“, rief Frau Puck erneut. Man konnte schon einen leichten Anflug von Zorn aus ihrer Stimme heraushören. Die Mädchen waren immer noch dabei sich umzuziehen, alle bis auf Hanako, die sich schon für die Schule fertig gemacht hatte. Sie war jeden Tag die Erste, die das Gebäude verließ, da sie nicht wie die anderen mit dem Bus fahren konnte. Denn die Weißhaarige war die Einzige, die auf eine andere Schule ging, als der Rest und die Leiterin des Waisenhauses wollte nicht noch extra für sie einen Bus mieten, so war doch schon der für die Anderen eine hohe Ausgabe. Also musste Hanako den Umweg durch den Wald nehmen, doch das störte sie eigentlich recht wenig, denn sie liebte das Rauschen des Flusses, an dem sie auf dem Weg zur Schule immer vorbeikam. Ebenso lauschte sie gerne dem Gesang der Vögel und beobachtete einfach gerne die friedliche Umgebung. Denn an diesem Ort fühlte sie sich sehr wohl. Hanako wusste selbst nicht warum, aber dort gab es so viele Dinge, die sie irgendwie glücklich stimmten. Vielleicht lag es an der ungewöhnlich zutraulichen Art der Tiere, die ihr gegenüber nicht das geringste Anzeichen von Angst hatten. Sie fürchteten sich auch nicht vor der Nähe zu Hanako und ließen sich sogar ohne Scheu von ihr streicheln, wobei sie sich vor jedem anderen Menschen in Acht nahmen. Aber Hanako war eben nicht wie jeder andere, sie war einfach anders und das bemerkten auch die Tiere, sogar, wenn es ihre Mitmenschen nie bemerken würden. Kapitel 2: Die Begegnung ------------------------ „Ding Dong“. Als sie endlich das ersehnte Geräusch hörte und die Schule damit beendet war, machte sie sich lächelnd auf den Weg zurück. Doch schon von weitem sah sie vor dem Waldeingang etwas auf dem Boden liegen. Hanako ging in Richtung des kleinen Etwas und erkannte, das es eine junge Katze war, deren Pfote blutete. Das Mädchen lief sofort auf das verletzte Tier zu, als sie es bemerkt hatte. „Du armes Ding, was ist denn mit dir passiert?“ Die Weißhaarige überlegte kurz, was sie jetzt tun sollte, da kam ihr die Idee. Hanako riss sich den Ärmel von ihrer Schuluniform ab, dann holte sie ihre Wasserflasche aus ihrer kaputten Büchertasche. Sie wollte die Wunde reinigen und dann mit dem Kleidungsstück verbinden. „Oh nein, das ist viel zu dreckig. Das kann ich nicht auf die Verletzung geben, sie wird sich nur entzünden“. Kein Wunder, schließlich stammte ihr Zutrinken aus dem Waisenhaus, in dem Hygiene nicht gerade groß geschrieben wurde. Denn die Kontrolleure ließen sich nur allzu gern von Frau Puck bestechen. Also musste das Mädchen irgendwo anders Wasser herbekommen. Da fiel ihr der kleine See, der sich im Zentrum des Waldes befand, ein. Die Rotäugige hatte ihn vor ein paar Monaten entdeckt und nahm die Katze vorsichtig in ihren Arm, während sie dem Tier beruhigend zuredete. Doch das kleine Etwas hatte keine Angst vor ihr und so konnte sie es ohne weitere Anstrengungen schnell zu der Wasserstelle tragen. Zuerst musste die Weißhaarige durch das Dickicht, danach einen versteckten Pfad entlang, der sich zwischen zwei riesigen, eng bei einander stehenden Tannen befand. Anschließend führte der Weg durch ein dicht verwuchertes Gebüsch, durch das sie sich vorsichtig zwängte, bis sie nach 20 Minuten angekommen war. Immer noch behutsam trug sie das Kätzchen an das Ufer und schöpfte mit ihrer Hand etwas von dem erstaunlich klarem, hellblauen Wasser aus dem See. Doch als sie das Wasser auf die Pfote des Tieres tropfen ließ, geschah etwas sehr Seltsames. Die Flüssigkeit leuchtete kurz hell auf und die Wunde verschloss sich daraufhin langsam, bis sie nach kurzer Zeit ganz verschwunden war. Erstaunt blickte das Mädchen auf die Pfote und konnte es einfach nicht fassen. „Was ist da gerade passiert? Wie konnte es so schnell verheilen?“, schoss es ihr durch den Kopf. So etwas hatte Hanako in ihrem ganzen Leben noch nicht gesehen. Immer noch verwundert setzte sie die Katze auf den Boden, die daraufhin auch langsam hinter einer kleinen Böschung verschwand. Währenddessen näherte sich die Rotäugige vorsichtig diesem scheinbarem „Wunderwasser“, denn sie vermutete, dass dieser See irgendetwas mit dem merkwürdigem Geschehnis zu tun haben musste. Anders konnte es sich das Mädchen einfach nicht erklären. Doch eigentlich sah er nicht anders aus, als andere Gewässer, außer das dieser besonders sauber war und wunderschön blau strahlte. Sie saß noch eine Weile da und beobachtete wie sich das Wasser ruhig im sanften Wind hin- und herbewegte. Es war ein gleichmäßiger Rhythmus, so beruhigend, dass Hanako beinahe dabei eingeschlafen wäre. Doch die Weißhaarige wurde durch ein knacksendes Geräusch aufgeschreckt, das ganz aus ihrer Nähe kam. Sie ging davon aus, dass es die kleine Katze von vorhin war. Aber als sich die Rotäugige umdrehte, blickte sie in die großen, gelb funkelnden Augen eines pechschwarzen Wolfes, der nur einen Meter von ihr entfernt stand. Dieser starrte sie erst überrascht an, da er bestimmt keinen Menschen an diesem versteckt gelegenen See erwartet hatte, doch dann begann das Tier wütend zu knurren und die Zähne zu fletschen. Das Mädchen starrte ihr Gegenüber mit vor Schreck geweiteten Augen an und sie spürte, wie ihr Herz immer schneller unkontrolliert in ihrem Brustkorb auf und ab raste. „Was soll ich nur tun?“, war ihr einziger Gedanke. Hanako durfte nicht panisch werden, doch das war leichter gesagt als getan. Aber um zu fliehen war das Mädchen sowieso viel zu perplex und so verharrte sie regungslos in ihrer gebückten Stellung und wartete nervös die Reaktion des Tieres ab. Jedoch schien dieses, nach jeder weiteren Sekunde in der es die Rotäugige mit seinen Blicken fixierte immer ruhiger zu werden. Der Wolf begann nach seiner ersten wütenden Impulsreaktion wieder langsam sein Maul zu schließen, während er seine Nase aufgeregt in der Luft hin und her bewegte und anscheinend begann, sich genauer auf den Duft der Weißhaarige zu konzentrieren. Solch ein Verhalten hatte die 16-jährige wirklich nicht erwartet, dennoch half es dabei, dass ihre anfängliche Angst erst in Verblüffung und anschließend in Neugierde umschlug. Auch wenn das Mädchen noch misstrauisch war und ihr Gegenüber nicht aus den Augen ließ, entspannten sich ihre Muskeln langsam wieder und ihr Körper signalisierte ihr, dass die Gefahr vorüber war. Hanako ließ sich erleichtert auf ihre Knie fallen und atmete einigermaßen beruhigt aus. Währenddessen bewegte sich das Tier langsam auf sie zu, es schien ihren Geruch endlich zugeordnet zu haben und anscheinend war er ihm vertraut. Denn nachdem der Wolf schließlich vor dem Mädchen stand, blickte sie ihm in die gelben Augen, die nicht mehr Wut ausstrahlten, sondern eine ungewöhnlich Wärme und Friedlichkeit. Als die Weißhaarige das sah, konnte sie nicht anders als ihre Scheu zu vergessen und ihrem Gegenüber lächelnd über den Kopf zu streicheln. „Na, jetzt magst du...“, sie konnte nicht zu Ende sprechen, denn auf einmal durchzog sie ein unheimlicher Schmerz von ihren Finger, durch ihren Arm, bis hoch zu ihrem Hals. „Ahhhhhhhhhh...,“ sie begann laut zu schreien, bis sich ihr ganzer Körper durch den Schmerz langsam taub anfühlte und Hanako dadurch das Bewusstsein verlor. Kapitel 3: Der Traum -------------------- Als sie wieder zu sich kam und ihre Augen langsam öffnete, erkundete das Mädchen mit ihrem Blick verwirrt ihre Umgebung. Die Weißhaarige lag vor den Toren des St. Helen-Waisenhauses, nicht weit vom Waldeingang entfernt. Auch der Mond stand schon am Abendhimmel und ließ die heruntergekommene Fassade des morschen Gebäudes in einem schimmernden weiß erstrahlen. „Wie bin ich hier hergekommen? War ich nicht noch vor kurzem im Wald? Und warum ist es auf einmal schon dunkel?“, fragte sich Hanako verwirrt. Doch da fiel es ihr wieder ein. Dieser pechschwarze Wolf. Das Mädchen hatte ihn berührt und plötzlich hatte sie ein stechender Schmerz durchfahren, woraufhin sie bewusstlos wurde. Während sie daran dachte, fasste sie sich mit ihrer Hand an die noch immer brennende Stelle am Hals, die sich sogar etwas warm anfühlte. Leicht benommen und etwas konfus, mobilisierte sie ihre letzen Kräfte und richtete sich langsam auf. Die Weißhaarige versuchte ihre wirren Fragen, die ihr im Kopf herumschwirrten, zu ordnen und einige, wenigstens etwas plausiblen Erklärungen dafür zu finden. Hatte vielleicht dieser große Wolf etwas damit zu tun? Jedoch verwarf sie diesen Gedanken gleich wieder. Woher sollte das Tier auch wissen, wo sie wohnte und warum hätte er sie mühevoll bis hier her tragen sollen? Es war einfach unmöglich. Doch Hanako zerbrach sich auch nicht mehr weiter den Kopf darüber, als sie sich wieder in Erinnerung rief, wie spät es schon war. Denn ihr größtes Problem war jetzt erst einmal, sich unbemerkt in das Waisenhaus zurückzuschleichen. Wenn Frau Puck herausfinden würde, dass das Mädchen sich nach sechs noch draußen herumtrieb, würde sie gewaltigen Ärger kriegen und dürfte mit saftigen Strafen rechnen. Also begab sich die Weißhaarige langsam und behutsam durch das Tor zum Vordereingang. Die Rotäugige öffnete die zum Glück noch nicht verschlossene Tür und versuchte möglichst lautlos über die alte, knarrende Treppe zu schleichen. Als sie endlich oben angekommen war, blickte Hanako auf die große Uhr, die etwas schief an der gegenüberliegenden Wand hing. Es war schon halb neun. Das Mädchen sollte sich lieber beeilen und begab sich schnell und geräuschlos in ihr kleines Einzelzimmer, das sich am Ende des Flurs befand. Dort konnte sie erst mal aufatmen. Glück gehabt. Das Abendessen hatte die Weißhaarige zwar schon längst verpasst, jedoch war dieser Umstand nicht sonderlich tragisch, da das „Gericht“ aus einem geruchlosen, undefinierbaren Brei bestand. Als sie sich wieder einigermaßen gesammelt hatte, warf die Rotäugige noch einen letzten Blick auf den strahlenden Mond und legte sich anschließend gähnend in ihr Bett. Während Hanako so da lag und immer noch über die merkwürdigen Geschehnisse des heutigen Tages nachdachte, merkte sie, wie sie langsam die Müdigkeit überkam, bis ihre Lider unter der schweren Last ihrer Erschöpfung zufielen. Anfangs atmete sie ruhig und gleichmäßig, bis sie auf einmal ganz unruhig wurde und sich ständig von einer Seite auf die andere rollte. Es war ihr Traum, der sie nicht losließ. So etwas hatte sie noch nie zuvor erlebt. Das Mädchen befand sich an einem ganz merkwürdigen Ort. Er sah vollkommen anders aus, als alle, die sie zuvor gesehen hatte, dennoch wirkte er so real. Er war so fremd und schien doch gleichzeitig so vertraut. Jedoch auf eine schreckliche Art und Weise, denn es war ein grausamer Anblick. Alles was sie hören konnte, war das Geräusch der aufeinanderschlagenden Klingen der Schwerter, die leiderfüllten Schreie und das laute Kampfgebrüll. Hanako befand sich mitten auf einem riesigen, ebenen Feld, auf dem eine fürchterliche, große Schlacht ausgetragen wurde. Überall um sie herum floss Blut und selbst der Boden hatte sich schon teilweise voll dieser dunkelroten Farbe gesogen. Es war fürchterlich. Das Mädchen konnte das Leid, den Schmerz, aber auch den Hass und die Gier nach Macht förmlich spüren. Die Weißhaarige konnte diese ganzen grausamen Emotionen nicht länger ertragen, es waren zu viele grauenvolle Gefühle auf einmal. Denn diese waren auch der Grund, warum sie etwas so unglaublich sinnloses wie Krieg hasste. Ja, sie hasste ihn und sie hasste, was er aus den Menschen machte. Selbst die liebste und bescheidenste Person, konnte durch ihn zur mordenden Bestie werden. Das war zu viel für das Mädchen. Es war einfach nur unglaublich schmerzlich das ganze Leid hier zu sehen und deswegen wollte sie so schnell wie möglich weg. Ängstlich und der Verzweiflung nahe bewegte sie sich durch die kämpfende Masse. Dabei fiel auf, dass die Krieger keine moderne Kampfrüstung trugen, ihre Kleidung hatte nur eine gewisse Ähnlichkeit mit alten Samuraiuniformen, aber auch lediglich in Ansätzen. Ebenso waren auch die Waffen eher primitiv. Ihre Ausrüstung bestand aus langen, schweren Schwertern oder sie schossen mit spitzen Pfeilen auf ihre Gegner. Diese waren riesige, wolfsähnliche Tiere, mit drei langen buschigen Schwänzen und gefährlich spitzen Zähnen, die sie mörderisch gut einzusetzen wussten. Diese Kreaturen kämpften an der Seite von einer Frau mit langen, dunklen Haaren, die einem violetten Schimmer hatten. Sie trug ein langes, schwarz-lilanes Gewand und hatte blutrote Augen, genauso wie Hanako. Doch trotz dieser einen, unverkennbaren Ähnlichkeit wirkte die Gestalt auf das immer noch verängstigte Mädchen nicht gerade vertrauenswürdig. Nein, diese Frau strahlte eine unglaubliche Kaltherzigkeit aus und es schien ihr Spaß zu machen, wenn sich ihre silbernen Pfeile, die von zuckenden, violetten Blitzen umringt waren, durch das Fleisch ihrer Gegner bohrten. Und mitten in diesem Szenario des Schreckens, fiel der 16-jährigen eine weitere Frau mit silbrig glänzenden Haaren und langem, weißem Gewand auf. Das Mädchen konnte ihr Gesicht nicht sehen, dennoch bemerkte sie, dass diese ziemlich orientierungslos herumirrte. Erstaunt starrte Hanako die Weißhaarige an. Und sie hatte nur noch einen Gedanken, ein Ziel, auch wenn ihr nicht klar war warum, doch eins wusste sie, sie durfte die Frau nicht aus den Augen verlieren. Und so rannte Hanako ohne groß zu überlegen mitten in das Kampfgeschehen und versuchte ihr zu folgen. Doch in ihrer Eile übersah sie den großen Stein vor ihren Füßen und fiel auf den harten Boden. Als sie sich mühsam wieder aufrappelte, vernahm das Mädchen direkt hinter ihrem Rücken ein immer lauter werdendes Gebrüll. Sie drehte sich perplex um und sah erschrocken, wie einer der primitiv gekleideten Kämpfer mit erhobenem Schwert auf sie zu rannte. Verwirrt starrte die 16-jährige ihn an, doch sie war zu geschockt um auszuweichen und das einzige wozu sie noch in der Lage war, war ihre Augen fest zusammenzupressen und auf den Aufprall zu warten. Doch als das Mädchen diese nach einigen Sekunden wieder öffnete, befand sie sich wieder in ihrem Bett. Sie war aufgewacht und schweißgebadet, sodass ihr weißes Nachthemd an ihrem Körper klebte. Was hatte das alles zu bedeuten? All diese merkwürdigen Dinge die in letzter Zeit geschahen? War das wirklich nur ein Traum? Es hatte alles so real gewirkt. Diese Fragen ließen sie einfach nicht mehr los. Aber eins wusste sie genau, sie musste herausfinden warum das alles passierte. Kapitel 4: Der Neue ------------------- „Aufstehen Mädchen und zwar sofort!!!“ Frau Puck rannte schon am frühen Morgen Wut schnaubend durch die Hallen des Waisenhauses und weckte die Jugendlichen mit strenger Stimme. Sie hatte sich heute beim Aufstehen ihre Hand in der Tür eingezwängt und jetzt war diese äußerst schlecht gelaunt. Die Mädchen wussten was das für sie zu bedeuten hatte und schimpften über ihre unmenschliche Erzieherin. Die jungen Frauen diskutierten heftig über ihre Theorie, dass die Leiterin des Waisenhauses eine Gesandte des Teufels sein musste und auf die Erde gekommen war, um sie zu quälen. Zwar wussten die Jugendlichen selbst, dass das nicht der Wahrheit entsprach, aber mit wenigstens ein bisschen Humor, konnten sie die Schreckensherrschaft von Frau Puck besser ertragen. Denn diese ließ ihre Wut wie immer an den Mädchen aus und deshalb entfiel auch das Frühstück, die einzig genießbare Mahlzeit des St. Helen Waisenhauses, für sie. Doch Hanako bekam von dem morgendlichem Radau und den Wutanfällen der Erzieherin nichts mit, sondern schlief noch tief und fest. Aber genau das, sollte ihr zum Verhängnis werden. Denn als die sowieso schon stinksaure Frau mitbekam, dass die Weißhaarige die Frechheit besaß, noch in ihrem „gemütlichen“ Bett zu liegen, musste diese den Zorn der Erzieherin über sich ergehen lassen. „Was fällt dir ein, einfach noch zu schlafen, du faules Stück! Was glaubst du wer du bist? Denkst du, du kannst dir alles leisten? Steh sofort auf, sonst werd ich dir Beine machen!“, schrie die Leiterin wutentbrannt. Sie war so aufgebracht, das Hanako sogar ihre Adern unter der Schläfe pulsieren sah, nachdem sie durch deren strenge und laute Stimme aufgeschreckt war. „E...Entschuldigung Frau Puck. Es tut mir Leid, aber ich konnte gestern nicht richtig einschlafen und da...“ „Deine Gründe interessieren mich nicht. Zieh dich bloß schnell an und verschwinde. Ich will dein Gesicht heute nicht mehr sehn!“ Ihre Stimme überschlug sich fast vor Wut und sie hob drohend die Hand. „Ja, ja wohl“, antwortete das Mädchen eingeschüchtert. Schnell zog sie sich an und machte sich hastig auf den Weg zur Schule. Die Weißhaarige beeilte sich zwar, aber trotzdem schaffte sie es nicht mehr rechtzeitig zu kommen. Nach zehnminütiger Verspätung erreichte Hanako endlich das Klassenzimmer und klopfte zaghaft an. „Herein“, antwortete eine tiefe Stimme von drinnen. Langsam öffnete die 16-jährige die Tür und trat ein. Der Englischlehrer blickte sie mit hochgezogener Augenbraue und aufforderndem Blick an, während er auf eine Erklärung für ihr verspätetes Auftreten wartete. „Entschuldigung, aber ich habe verschlafen“, gab das Mädchen kleinlaut von sich. „Schön dass du es doch noch geschafft hast zu erscheinen, Fräulein Hanako“, sagte er ironisch, während er in weitaus strengerem Tonfall ein „Setz dich“ beifügte. Ohne ein weiteres Wort begab sie sich schließlich auf ihren Platz. Als sie saß, fing der Lehrer auch schon wieder an zu reden: „Also, wie ich eben schon gesagt habe, das ist euer neuer Mitschüler. Sein Name ist Daisuke.“ Während er sprach, deutete er auf einen ziemlich großen, bestimmt so um die 1.80m hohen Jungen, mit mittellangen, schwarzen Haaren, diversen dunkelroten Strähnen und einem etwas längern Seitenpony, der im locker ins Gesicht hing. Dieser ließ seinen Blick einmal kurz durch die Klasse schweifen und beobachtete nur gelangweilt seine neuen „Kameraden“, bis er seine Aufmerksamkeit wieder auf Herrn Schuller richtete und ihn mit seinen eisblauen Augen ansah. Der Lehrer schlug ihm vor, sich doch kurz den anderen vorzustellen. Unfreiwillig folgte er der Anweisung seines neuen Klassenleiters und sagte kurz angebunden: „Ich bin Dai. 17 Jahre alt und so wie`s aussieht, werde ich wohl jetzt auf eure Schule gehn.“ Es herrschte ein kurzes Schweigen, bis Herr Schuller überrascht feststellte, dass der Schwarzhaarige seine „Ansprache“ bereits beendet hatte. „Ja, dann setz dich. Such dir einfach einen Platz aus“, sagte er schließlich. Noch einmal schaute der Angesprochene sich seine Mitschüler an, doch diesmal etwas genauer. Die Mädchen, die schon die ganze Zeit miteinander über den gutaussehenden Neuankömmling geredet hatten, blickten ihn auffordernd an, während sie ihm den freien Platz neben sich anboten, sofern sie keinen Banknachbarn hatten. Der männliche Anteil hingegen stöhnte, genervt von so einem Verhalten, laut auf, wobei doch auch ein kleines bisschen Neid herauszuhören war. Der Rest der 10d, der überhaupt nicht reagierte, schlief hingegen oder hatte die Ankunft von Daisuke vor lauter Geschwätz noch nicht einmal mitbekommen. Doch das alles schien den Schwarzhaarigen überhaupt nicht zu interessieren, denn er hatte sich schon langsam auf den Weg gemacht und setzte sich einfach auf einen Stuhl, ohne die Reaktion des anderen, der an diesem Zweiertisch saß, abzuwarten. Hanako, neben der sich der Junge nun befand, drehte sich leicht weg und versuchte ihm nicht ins Gesicht zu schauen. Er sollte nicht sofort ihre roten Augen bemerken, auch wenn sie etwas verwundert darüber war, das er sie überhaupt zur Kenntnis nahm. „So, dann können wir jetzt anscheinend endlich mit dem eigentlichem Unterricht beginnen.“ Sofort fing der Lehrer auch schon wieder an seinen Schülern von der neuen Grammatik zu berichten, die sie die nächsten zwei Wochen durchnehmen würden. Doch seine Klasse hörten ihm gar nicht zu, was diesmal nicht an seinem langweiligen Vortrag lag. Die Mädchen waren anscheinend viel zu sehr damit beschäftigt, sich über Dai zu unterhalten. Die Frage des Tages war für sie, warum er sich ausgerechnet neben dieses komische Mädchen gesetzt hatte. Dass die Weißhaarige einer auch nur beachtet, war ihnen neu. Nach 30 weiteren Minuten der Langweile, schlug endlich der Gong zur nächsten Stunde und eine braunhaarige Frau mit einer dicken Brille auf der Nase betrat den Raum. Als die Schüler die Person bemerkt hatten, ging ein allgemeines Stöhnen durch die Klasse. Na toll, die uninteressanteste Englischstunde aller Zeiten wurde durch die genauso „spannende“ Religionslehrerin abgelöst. „So meine Lieben", sagte sie mit schriller Stimme, "heute werden wir eine kleine Meditationsübung machen, um euer inneres Chi zu sammeln.“ „Ist die immer so?“ Überrascht von dieser Frage drehte sich Hanako schlagartig um und starrte in das Gesicht des Schwarzhaarigen, der ihr direkt in ihre blutroten Augen sah. Beschämt blickte sie zur Seite und flüsterte leise: „Naja, meistens.“ Nachdem die Klasse endlich auch diese Stunde einigermaßen gut überstanden hatte, freuten sich auch schon alle auf die wohlverdiente Pause, die durch einen weitern Gongschlag eingeläutet wurde. „Hm, schönes Tattoo“, bemerkte Daisuke während er an Hanako vorbeiging und durch die Tür Richtung Pausenhof verschwand, der ihm bereitwillig von ein paar anderen Mädchen gezeigt wurde, die er mit genervtem Blick ansah,während sie ihn mitzogen. Tattoo? Er hatte doch wohl nicht etwa sie gemeint. Hanako besaß doch so etwas überhaupt nicht. Verwirrt über diese Aussage, rannte sie zu einer der Mädchentoiletten im oberen Stockwerk und inspizierte vor dem Spiegel genau ihren Körper, als sie angekommen war. „Oh mein Gott. Er hat Recht.“ Verwirrt starrte sie auf die linke Seite ihres Halses, dort prangte ein schwarzes Tattoo, das die Form eines chinesischen Schriftzeichens hatte. Wie konnte das passiert sein? Bis vor kurzem hatte die Weißhaarige keins, da war sie sich sicher. Hanako dacht noch einmal über die Ereignisse der letzen Tag nach und dabei fiel ihr etwas auf. Genau diese Stelle hatte gestern Abend, nachdem sie den Wolf berührt hatte, so fürchterlich gebrannt. Immer noch völlig konfus starrte sie ihr Ebenbild im Spiegel an. Alles was in letzter Zeit geschah, war so merkwürdig. Was passierte da bloß mit ihr? Kapitel 5: Flirtversuche ------------------------ Etwas perplex bewegte sich die Rotäugige nun auch langsam Richtung Pausenhof, während sie immer noch in ihre wirren Gedanken vertieft war. So dass die Weißhaarige gar nicht bemerkte, dass gerade ein Mädchen hastig aus der linken Seite des Ganges gerannt kam und die beiden, aufgrund ihrer Unachtsamkeit, unglücklich zusammenstießen. „Au“, die 16-jährige war genau mit dem Kopf an die andere geknallt und landete unsanft auf ihrem Hinterteil. Sie rieb sich die schmerzende Stelle mit ihrer linken Hand, während sie sich mit der Rechten abstützte und langsam wieder aufstand. „Mach doch mal die Augen auf, du Trampel. Ich hätte mir wegen dir etwas brechen können. Du bist so unfähig“, schrie ihr Gegenüber wütend, die jetzt auch wieder auf den Beinen war und Hanako böse mit ihren Augen fixierte. Als die Weißhaarige die aufgebrachte Schülerin bemerkt hatte, stellte sie unglücklich fest, dass sie mit Kimberly, dem zickigstem, wenn auch beliebtestem Mädchen aus ihrer Klasse zusammengestoßen war. „Tut mir Leid“, sagte Hanako beschwichtigend. Aber die andere reagierte gar nicht darauf, stattdessen meckerte diese immer noch zornig, obwohl sie eigentlich genauso an dem Unfall Schuld war. Doch das interessierte Kimberly kein Stück und sie zischte drohend im Vorbeigehen: „Pass das nächste Mal gefälligst besser auf, du Freak. Sonst wirst du noch sehen was du davon hast.“ Die Rotäugige wusste genau wie arrogant und vor allem auch hinterhältig ihre Klassenkameradin war und ihr war klar, dass sie sich wirklich lieber in Acht nehmen sollte. Als Hanako ihr noch etwas verwirrt und eingeschüchtert hinterher blickte, vernahm sie einen lauten Gongschlag, dem eine ernste Männerstimme folgte. „Ich bitte kurz um Aufmerksamkeit für eine Durchsage“, drang es aus den Lautsprechern. „Aufgrund der Anfrage vieler Schüler wird ab kommender Woche das Angebot unserer Sport-AG ausgedehnt. Hinzugekommen ist die Möglichkeit des Erlernens asiatischer Kampfkünste. Besondere Priorität wird hierbei auf den Bereichen Karate und Taek-Won-Do liegen. Wer Interesse hat, meldet sich bitte in der zweiten Pause im Sekretariat. Danke für die Aufmerksamkeit.“ Nach einem leisen Rauschen herrschte ein kurzer Moment der Stille, bis ein zweiter Gongschlag ertönte und somit die dritte Stunde für heute angebrochen war. Das Mädchen begab sich nun schleichend zurück in ihr Klassenzimmer und nahm grübelnd neben dem Schwarzhaarigen Platz. Nachdem Hanako ihre Gedanken wieder einigermaßen geordnet hatte und sich langsam wieder auf das Hier und Jetzt zu konzentrieren begann, gab es noch eine Frage, die sie unbedingt beantwortet haben wollte. Also drehte sich mit schüchternem Blick zu ihrem Banknachbarn um und flüsterte leise: „Ähm, du, Daisuke?“ „Hmm“, antwortete der Angesprochene kurz, während er sich zu ihr wandte. „Weißt du zufällig was das chinesische Zeichen an meinem Hals bedeutet?“, fragte sie schließlich etwas selbstbewusster. Sichtlich überrascht darüber, dass Hanako sich anscheinend ein Tattoo hatte stechen lassen, ohne überhaupt dessen Bedeutung zu kennen, blickte er sie kurz etwas perplex an, bevor er sekundenspäter wieder mit sicherer Stimme antwortete: „Das ist das Zeichen für Licht“. Mit solchen Dingen kannte sich der Junge aus, schließlich war auch sein Name nicht gerade typisch deutsch. Aber trotzdem wurde er das Gefühl nicht los, dass er dieses Tattoo irgendwo schon mal gesehen hatte. Ebenso wie Daisukes Unterbewusstsein ihm seit seiner Ankunft in dieser Schule ständig weis machen wollte, dass er Hanako irgendwoher kannte. Doch er versteckte seine Verwirrung wie immer hinter einer gelangweilt wirkenden, fast emotionslosen Fassade. Der Schwarzhaarige wollte kein Vertrauen zu ihr aufbauen, zu niemandem. Er duldete die Menschen um sich herum und kam meistens auch mit ihnen klar, aber mehr würde es niemals für ihn geben. Der Junge wusste, dass blindes Vertrauen niemandem hilft. Man muss für sich selbst stark sein, allein, ohne Schwäche zu zeigen. So wurde es ihm sein Leben lang eingetrichtert und Daisuke war sich sicher, das es so am besten war. Denn auf diese Art und Weise könnte ihn kein Mensch auf dieser Welt mehr verletzen, solange er nur seine Gefühle hinter einer dicken Mauer verschließen würde. Mit einem freundlichem „Danke“ riss die Weißhaarige ihn aus seinen Gedanken und schaute den Schwarzhaarigen mit einem süßen Lächeln an. Bei diesem Anblick musste der sonst so verschlossene Junge, wenn auch ungewollt, schmunzeln. Dieses Mädchen war wirklich anders als andere und alles an ihr schien so vertraut. Doch Daisuke rief sich selbst zur Vernunft. Er sollte nicht so denken, das würde nicht gut enden. Denn Gefühle hatten für ihn bis jetzt nie zu etwas Positivem geführt und brachten immer nur Ärger mit sich und den wollte er soweit wie möglich vermeiden. In den letzen Minuten vor Schulende starrten alle gebannt auf die Uhr und warteten ungeduldig, dass sich der lange Zeiger endlich auf die 12 zu bewegte. Niemand interessierte sich mehr für den Unterricht und auch der Lehrer schien dessen Ende kaum noch erwarten zu können. Als dann endlich das heiß ersehnte Geräusch ertönte, stürmten alle Schüler erleichtert aus ihren Klassenzimmern und rannten zu ihren Bussen, die bereits vor den Schultoren warteten. Auch Daisuke schlenderte langsam in Richtung Ausgang. Er wusste nicht genau, welchen Bus er nehmen sollte, also beobachtete er, zu welchem die anderen aus seiner Klasse gingen, die ungefähr in dieselbe Richtung mussten. Aus den Augenwinkeln sah der Junge, wie Kimberly angerannt kam und hastig in eins der Gefährte einstieg. Der Schwarzhaarige tat es ihr gleich und setzte sich neben das Mädchen, dass ihm gerne Platz machte. „Hallo Daisuke, wie geht es denn unserem Neuen?“, startete sie einen Flirtversuch und blickte ihn verführerisch an. Doch ihr Zielobjekt drehte sich nur leicht zu ihr um und antwortete kurz „Gut“, bevor er seinen Blick wieder starr aus dem Fenster richtete. Mit so einer Reaktion hatte Kimberly nun wirklich nicht gerechnet. Er müsste doch Feuer und Flamme für sie sein, schließlich war Kimberly das hübscheste und beliebteste Mädchen an der Schule. Doch so leicht wollte sie sich nicht geschlagen geben und versuchte es erneut. „Sag mal Daisuke, woher kommt eigentlich dein ungewöhnlicher, nicht gerade deutscher Name? Er gefällt mir. Der Name passt so zu deinem außergewöhnlich gutem Aussehen.“ Aufreizend rückte sie ihre weiblichen Vorzüge ins richtige Licht und blickte ihm dabei mit einem gekonnten Wimpernaufschlag in seine eisblauen Augen. Doch diese ignorierten ihre Annäherungsversuche völlig und waren, nach einem kurzen Blick auf sein Sitznachbarin, wieder auf das Fenster des Busses gerichtet. Da entdeckte der Junge das weißhaarige Mädchen, das auf den großen Wald, etwas abseits von der Schule, zulief. „Hmm, Hanako geht also zu Fuß nach Hause“, bemerkte Daisuke anscheinend beiläufig. Kimberly, die erst etwas verwirrt über seine Aussage war, diese jedoch als Frage auffasste, antwortete in einem herabsetzendem Tonfall: „Ach die, die läuft durch diesen Wald. Hat wohl nicht genug Geld für einen Bus, unser armes Waisenkind.“ Mit einem höhnischen Lachen vollendete sie ihren Satz, bevor sie dem Schwarzhaarigem verführerisch ins Ohr flüsterte: „Aber lass uns nicht weiter über die reden. Das einzige was jetzt zählt, sind wir.“ Während sie noch weiterreden wollte, ignorierte der Junge sie und stand einfach auf. Er hatte genug von diesem dummen Geschwätz, das konnte sich Daisuke keine Sekunde länger antun. Noch nie war er so froh über eine Bushaltestelle gewesen. Auch wenn er hier eigentlich nicht raus musste, so ging er den Rest doch lieber zu Fuß. Das dämmliche Getue von Kimberly konnte er nicht länger ertragen. Im Laufen dachte er über die Worte des Mädchens nach. Hanako war also ein Waisenkind und ihr zu Hause musste irgendwo hinter dem Wald liegen. Und selbst wenn er es sich nicht eingestehen wollte, so fand er diese Information dennoch äußerst interessant, denn nun wusste er schon etwas mehr über dieses geheimnisvolle Mädchen. Selbst wenn er sich nicht darüber im Klaren war, warum das für ihn so eine Bedeutung hatte. ------------------------------------------------------------------------------- vll eine ganz kurze Anmerkung, falls es noch nicht klar rausgekommen ist, die Geschichte spielt Anfangs in Deutschland, jedoch sind die Namen von Hanako und Daisuke von mir bewusst gewählt worden, die restlichen Namen sind deutsch falls das jetz vll jemanden verwirrt hat und hier an dieser Stelle mal ein ganz liebes Dankeschön an alle treuer leser dankee --> ihr seid die Besten Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)