I need you von Crimson_Butterfly (Das Lächeln seiner Seele) ================================================================================ Kapitel 4: Awakening -------------------- Wie eine undurchdringliche Milchsuppe schwammen die Nebelschwaden um mich herum. Am dunklen Nachthimmel stand ein blasser Vollmond, der sein spärliches Licht großzügig über die Landschaft verteilte. In Gedanken versunken starrte ich in das Wasser des Stadtbrunnens. Bisher hatte sich Dr. Fernstein nicht bei mir gemeldet. Aber wahrscheinlich konnte ich auch nicht erwarten, dass er die ganzen Unfallberichte und Krankenhausuntersuchungen innerhalb von 4 Tagen durchging. Ich brannte darauf zu erfahren, was dieser Möchtegern-Arzt herausgefunden hatte. Das hieß, wenn sich dieser Trottel den Fall noch einmal anschaute und nicht irgendwelche leeren Versprechungen gemacht hatte, um mich los zu werden. Ich würde ihm noch eine Woche geben. Ich hatte zweieinhalb Jahre gewartet und nach Antworten gesucht. Wenn ich in den nächsten vierundzwanzig Stunden keine Nachricht bekam, würde ich daran nicht sterben. Nachdenklich hob ich den Schirm und warf einen Blick in den dunklen Himmel. Wann hörte es endlich auf zu regnen? Von diesem schlechten Wetter konnte man Depressionen bekommen. Aber Niedergeschlagenheit war bereits Teil meines Lebens und deshalb konnte ich damit besser umgehen, als die meisten in meiner Altersklasse. Diese Gedanken verwerfend setzte ich meinen Spaziergang fort. Ich hatte einfach etwas frische Luft gebraucht. Diese innere Unruhe, die ich mich befiel, seit ich im Krankenhaus meine Unterlagen zur erneuten Kontrolle abgegeben hatte, raubte mir den Schlaf. Ich sah auf meine Armbanduhr und hörte in der Ferne die Kirchenglocke Mitternacht schlagen. Kein Wunder, dass ich seit Stunden keinem Passanten mehr begegnet war. Theoretisch gesehen störte mich diese Einsamkeit nicht. Ich fühlte mich sogar ganz wohl dabei, wenn ich allein sein konnte. Ungerne sah ich anderen Menschen in die Augen oder setzte mich mit ihrer bloßen Anwesenheit auseinander. Oft hielt ich mich an Orten auf, die kaum Besucht wurden. Der Stadtpark gehörte dazu. Praktisch gesehen bekam ich ein flaues Gefühl in der Magengegend. Zu dieser späten Stunde konnte selbst das leiseste Geräusch Furchteinflößend sein. Ich sollte zusehen, dass ich auf den schnellsten Weg nach Hause ging. Wer wusste schon, welche Drogenkranke Junkies sich noch auf der Straße aufhielten. Erschrocken schrie ich auf, als ich etwas rascheln hörte. Ich musste mich beruhigen. Kein Grund zur Panik. Niemand war hinter mir her. Meine Fantasie spielte mir bloß einen Streich. Das war nur der Wind, der durch das Blätterdach eines Baumes strich. Langsam aber sicher war ich einem Herzinfarkt gefährlich nahe. "Guten Abend." Ich zuckte zusammen und blieb wie erstarrt stehen. Als würde ich mich Tod stellen. "Geht es dir nicht gut, Angel?" Verwirrt runzelte ich die Stirn und warf einen Blick über die Schulter. War das nicht Alec seine Stimme gewesen? Aber hinter mir war niemand. Litt ich wieder unter Halluzinationen? Verunsichert wollte ich weitergehen. "Hier oben." Erneut verharrte ich mitten in der Bewegung und sah mich um. Doch auch diesmal konnte ich ihn nicht entdecken. Ich musste definitiv in meine Wohnung, bevor ich einen Hysterischen Anfall bekam. "Ich bin keine Einbildung, Angel. Heb doch einfach Mal deinen hübschen Kopf, du kleines dummerchen." Wie hatte er mich gerade genannt? Ein Muskel in meiner Wange zuckte. Und wie wahrscheinlich von ihm vorausgeplant, erwachte Augenblicklich der Zorn in mir und er hatte mich zur Weißglut getrieben. Ich vergas meine Angst und das wollte er damit erreichen. Inzwischen konnte ich ihn ganz gut einschätzen, um das beurteilen zu können. Aus einem mir unbegreiflichen Grund richtete ich die Augen gen Horizont und als ich das Gesicht ein Stück nach links wendete, hatte ich den Kerl in meinem Blickfeld, auf den noch eine saftige Ohrfeige wartete. Mit fiel die Kinnlade bis zum Boden und meine Augäpfel drohten mir aus den Höhlen zu springen. Unschuldig grinste er mich an. Dieser Lebensmüde Spinner stand doch tatsächlich auf einer Straßenlaterne und hatte die Hände in den Hosentaschen, als wäre dieser Balanceakt das normalste der Welt. Er ging in die Knie und verschränkte die Finger ineinander. Mir wurde schon vom zusehen Schwindelig. "Ist das nicht eine schöne Nacht?", fragte er beinahe verträumt. Ich stemmte meine freie Hand in die Hüfte. "Kommen Sie da runter sonst prügel ich Sie Windelweich." Er wusste, dass das eine leere Drohung war. Er tat trotzdem, was ich ihm befahl. Nur nicht so, wie ich das wollte. Alec wählte den direkten Weg und verließ seinen Platz, indem er einfach runtersprang. Geschmeidig wie eine Katze landete er auf den Füßen. Meinen Lippen entfloh ein spitzer Schrei. Ich hatte selbst das Gefühl zu fallen. Mir wurde übel, in meinem Kopf drehte sich alles und mein Hinterteil schloss auf schmerzhaft Art und weise Bekanntschaft mit dem Asphalt. Mein Schirm wurde von einer Böe erfasst und davon geweht. Ich stieß einen Gotteslästernden Fluch aus. Alec beugte sich über mich und lächelte mich frech an. Wenn sein aufregender Anblick meine Sinne nicht streicheln würde, dann hätte ich ihm, für seine Unverschämtheiten, längst den Kiefer gebrochen. Doch er war wie mein ganz persönliches Rauschmittel. Einem Aphrodisiakum nicht unähnlich. Es verlangte mich heftiger nach ihm, als ich jemals bereit wäre zuzugeben. "Geht es dir gut, Angel?" Vor dem Licht des Mondes hob sich seine Gestalt wie die dunkle Silhouette in einen Schattenspiel ab. Mir jagte ein kalter Schauer über den Rücken. Bevor ich reagieren konnte hatte sich sein Arm bereits um meine schmale Taille gelegt. Er zog mich auf die Beine und hielt mich länger in seinen Armen als unbedingt nötig. Ein Blitz fuhr über den Himmel. Donnerschläge folgten. Ich spürte wie mir heiß das Blut in die Wangen stieg. "Lassen Sie mich los!", fauchte ich ärgerlich und zog die Augenbrauen bedrohlich zusammen. Meine wütende Miene schien Bände zu sprechen, denn in Sekundenschnelle sanken seine Hände an seine Seiten und er trat einen Schritt zurück. Alec schien verstummt. Ich hatte mit einer Erwiderung gerechnet, stattdessen hielt er den Mund. Meine langen, blonden Haare, nass vom Regenwasser, klebten mir an Kopf und Schulter und ich besah mir meine durchgeweichte Kleidung. Erst jetzt drang die Tatsache in mein Bewusstsein, dass ich erbärmlich fror. Ich verschränkte die Arme vor der Brust und begann zu zittern. Meine Zähne schlugen klappernd aufeinander. Ich wollte nur in eine heiße Wanne und in mein Bett, bevor ich mir den Tod holte. Zu meiner Überraschung hockte sich Alec auf den Boden nieder. "Steig auf", meinte er seufzend. "Ich will nicht, dass du dir eine Grippe holst." In seiner Stimme lag Sorge oder bildete ich mir das ein? Ich runzelte die Stirn und betrachtete seinen einladenden Rücken. Wie einfach wäre es sein Angebot anzunehmen. Jedoch war ich zu stolz, um mir meine eigene Schwäche einzugestehen. Ich biss mir auf die Unterlippe und schüttelte den Kopf. Kampflustig reckte ich das Kinn in die Höhe und ging an ihm vorbei. "Vergessen Sie es! Ich kann selber laufen." Einen letzten Rest Würde bewahrend unterdrückte ich den Impuls die Schultern hochzuziehen und meinen Atem als kläglichen Wärmespender zu missbrauchen. Er packte meinen Arm und zwang mich dazu stehen zu bleiben. Ich drehte mich zu ihm um und betrachtete Alec Provokativ. "Sei nicht so verdammt stur, Angel", sagte er emotionslos. "Sonst versohle ich dir vor versammelter Gemeinde deinen Po." Seine gleichmäßigen, reglosen Gesichtszüge wurden von seinem verärgerten Tonfall lüge gestraft. "Soll das ein ...?" Er unterbrach mich. Ohne auf meinen lautstarken Protest zu achten, warf er mich über seine Schulter, als sei ich ein Seesack, und blieb unbeeindruckt, als ich mit den Beinen zu strampeln begann und mit den Fäusten um mich schlug. Kreischend und schreiend wand ich mich wie ein Aal. Wie hatte er es geschafft mir seinen Willen aufzuzwingen? Ich hatte mich dagegen gewehrt, mich von ihm anfassen zu lassen. Sichtlich durcheinander bemerkte ich überhaupt nicht, dass er sich mit einer Geschwindigkeit bewegte, die jenseits meiner Vorstellungskraft lag. Wärme suchend verkrampften sich meine Finger im Stoff seines Mantels und ich schmiegte mich fest an seinen Rücken. Mir war kalt. *** Als ich am nächsten Morgen aufgewacht war, hatte ich ausgezogen in meinem Bett gelegen. Verschreckt hatte ich darüber nachgedacht, was in der vergangenen Nacht passiert war. Tief aufseufzend war mir schließlich wieder eingefallen, das mich Alec vor der Haustür des Gebäudes abgesetzt hatte, in dem meine Wohnung lag. Und bevor er verschwunden war, hatte er mir noch seinen Mantel um die Schultern gelegt, obwohl diese Geste wirklich nicht nötig gewesen wäre. Kaum war ich in meinen vier Wänden angelangt, hatte ich meine durchnässten Klamotten verstreut auf den Boden liegen gelassen und war für zwei Stunden in der Badewanne verschwunden. Und jetzt stand ich wieder vor dem Grab von Caithryn Nikles. In den Händen ein Blumenstrauß. Ich strich mir eine widerspenstige Haarsträhne hinter das Ohr, die sich aus meinem Zopf gelöst hatte und kniete mich nieder, um die Blumen in eine Vase zu stellen. Wie immer wusste ich nicht, warum ich ihr Grab pflegte, aber ich fühlte mich dafür Verantwortlich. Als hätte ich diese Frau zu Lebzeiten vernachlässigt. Ich runzelte die Stirn und begann das Unkraut rauszuziehen, dass sich in der Erde breit zu machen begann. "Schwelgst du in Erinnerungen?", fragte eine samtweiche Stimme. Ich seufzte tief auf. Ich brauchte mich nicht umzudrehen, um zu wissen, wer hinter mir stand. "Was geht Sie das an?" Gleichgültig zuckte ich die Schultern. Inzwischen hatte ich mich daran gewöhnt, dass er mit ständig am Arsch klebte. Was hätte es mir gebracht Fragen zu stellen? Von ihm bekam ich nur Antworten, mit denen ich nichts anfangen konnte. Also vermutete ich, dass er ein Stalker oder dergleichen war. Aber wenigstens gab es wohl keinen Grund, um mich vor ihm zu fürchten. Aber es wurde ja auch behauptet, dass der erste Eindruck täuschen konnte. "Hast du Zeit, Angel?", fragte er unvermittelt und riss mich damit aus meinen Überlegungen. "Ich möchte dir etwas zeigen." Irritiert wandte ich ihm jetzt doch das Gesicht zu. Einen kurzen Augenblick verfiel ich in Grübeleien und betrachtete ihn eingehend. Mit dem Zeigefinger tippte ich gegen meine Lippen. Ich war zu Neugierig, um mir nicht anzusehen, was ihm scheinbar wichtig war. Das sagten mir zumindest seine perfekten Gesichtszüge. Ich stand auf und klopfte mir die Finger aus, an denen Dreck haftete. "Hoffentlich dauert es nicht zu lange", sagte ich skeptisch und beobachtete überrascht, wie sich seine langen, schlanken Finger um mein Handgelenk schlossen. Ich musste meinen Beinen den Befehl zum laufen erteilen, wenn ich nicht über meine eigenen Füße stolpern wollte. Er zog mich hinter sich her, ohne darauf zu achten, ob ich mit ihm Schritt halten konnte. Wahrscheinlich sollte ich ihm Mal einen ordentlichen tritt in den Hinter verpassen. Erst nach einem kurzen Moment bemerkte ich meine veränderte Umgebung. Erstaunt sah ich mich um. In diesem Teil des Friedhofs war ich noch nicht gewesen. Ich duckte mich unter den tief herabhängenden Zweigen einer Trauerweide hinweg. Sein Griff löste sich und als ich mich zu ihm umdrehte, war Alec verschwunden. Mein Blick wanderte über das weite, offene Feld voller Grabsteine. Meine Augenbrauen schossen in die Höhe, sobald ich meinen unerwünschten Schatten entdeckte. "Warum laufen Sie denn einfach weg?", wollte ich verärgert wissen. Er schwieg hartnäckig. In seinen Augen funkelte ein eigenartiges, ungezähmtes Licht, dass mich vor ihn zurückweichen ließ. Ein ungutes Gefühl machte sich in mir breit und jagte mir über den Rücken. Diese unerklärliche Angst schnürte mir die Kehle zu. "Lies …", forderte er mich auf. "Was?" Er sagte nichts und deutete auf die Inschrift, die in den Grabstein gemeißelt worden war, vor dem wir standen. Nur zögernd begann ich zu lesen. "Emily MacRae. Geboren am 18 Januar 1944. Gestorben am 5 April 2001." Meine Lider weiteten sich entsetzt. Mein Herz setzte einen Schlag aus und das Blut hörte auf durch meine Adern zu fließen. Mir wurde Eiskalt und mir fehlte die Kraft zu sprechen oder mich länger auf den Beinen zu halten. Wie betäubt sank ich auf den weißen Kiespfad und starrte benommen auf die Worte, die meine Welt in Sekundenschnelle in Scherben schlugen. Ich hatte immer geahnt, dass ich nicht die war, für die ich gehalten wurde. Aber ich hatte nicht vermutet, dass ich die Identität einer Toten besaß und wenn das nicht schon schlimm genug wäre, sah es ganz danach aus, als wenn ich die von einer Soldatin bekommen hätte. Zitternd ließ ich den Tränen ungehindert freien Lauf. Ich wusste nicht warum ich weinte. Endlich hatte ich den entscheidenden Beweis, mit dem ich fordern konnte, dass mein Fall neu aufgerollt werden musste. Trotzdem konnte ich den Schmerz nicht verhindern, der in meiner Brust Einzug hielt. Jetzt hatte ich überhaupt keinen Namen mehr. Wer bin ich? Nur diese Frage beherrschte meine Gedanken, als ich schluchzend vornüber sank und die Arme beschützend um meinen Oberkörper schlang. "Du bist Tracy Nikles", durchdrang seine Stimme meine innerliche Verzweiflung. "Im Krankenhaus wurde deine Akte vertauscht." Ich wollte nichts hören und versuchte ihn zu ignorieren. Alec kniete neben mir nieder und legte die Hand auf meine Schulter. Er sollte mich nicht anfassen und deshalb schüttelte ich seine Finger ab. Obwohl ich mich dagegen wehrte nahm er mein Gesicht in seine Hände und starrte in meine Augen. Wie könnte ich mir seine unsichtbare Anziehungskraft nur jemals verbieten? "Schließ die Augen, Angel", flüsterte er sanft. Meine Wimpern legte sich Fächergleich auf meine Wangen, als ich seiner Aufforderung stumm nachkam. Und plötzlich fühlte ich seinen kühlen Atem auf meinem Mund. Alec berührte meine Lippen nur flüchtig, kaum spürbar, und doch konnte ich dieses unbeschreibliche Gefühl nicht in Worte fassen. Deutlich spürte ich seine Unzufriedenheit, als er sich von mir löste. Der Hauch eines Kusses hatte mir die Sinne benebelte und ich musste zunächst tief Luft holen, um in die Realität zurück zu finden. Aber als ich schließlich wieder aufsah war irgendetwas anders. Einen kurzen Moment entzog sich die Lösung meinem Verstand. Seufzend schaute ich direkt in seine Augen und stellte fest, dass sie mir fiel größer erschienen, als ich sie in Erinnerung hatte. In der giftgrünen Iris konnte ich mein Spiegelbild erkennen Ich schnitt eine Grimasse. Und als ich schließlich zu begreifen begann, weiteten sich meine Lider erschreckt und ich wich panisch zurück, Sicherheit suchend. Entsetzt musste ich feststellen, dass ich nicht fliehen konnte. Ein paar Zentimeter hinter mir, hörte der Boden auf und erst einen Sekundenbruchteil später wurde mir bewusst, dass ich mich gar nicht auf dem Boden befand. Ich saß in seiner Handfläche! Das war ein schlechter Albtraum, nur ein Scherz, mehr nicht. Wach auf! Wach auf!, schrie ich mich in Gedanken an. Hysterie wallte in meinem Herzen auf, als ich über den Rand lugte und feststellen musste, dass es bis zum eigentlichen Boden ziemlich weit nach unten ging. Ich redete mir selbst gut zu, aber ich schaffte es einfach nicht meinem Gehirn einzureden, dass das alles nur eine Halluzination war. Erschüttert drehte ich mich wieder zu ihm um, wobei ich mich so gut es ging an seinen Fingern festklammerte, aus Angst hinunter zu stürzen. "Das hätte eigentlich nicht passieren dürfen", wisperte Alec und grinste entschuldigend. "Es tut mir Leid, Angel." Ich blickte ihn an und im nächsten Augenblick wurde mir Schwarz vor Augen. Fortsetzung Folgt ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)