I need you von Crimson_Butterfly (Das Lächeln seiner Seele) ================================================================================ Kapitel 11: An empty wind ------------------------- Ich saß auf einem Stuhl … nun, zumindest nahm ich an, dass es sich um einen Stuhl handelte. Er hatte vier Beine, einen Sitz und eine Rückenlehne, also konnte es nur der besagte Gegenstand sein. Ein Frösteln lief mir über den Rücken. Während ich mich zur Aufmerksamkeit zwang, weil meine Gedanken abzuschweifen drohten, sondierte ich meine Umgebung. Wo zum Teufel war ich eigentlich? Meine Augen huschten über Wände, einen Boden, Fenster und einige Einrichtungsgegenstände. Mein Verlangen herauszufinden, was überhaupt vor sich ging, führte zu einer weiteren erstaunlichen Entdeckung. Ich hatte keine Ahnung, wer ich eigentlich war. OK, tief durchatmen und ganz ruhig bleiben. Ich hatte zwar keine Ahnung, wo ich mich befand, oder wer ich war, aber ansonsten war alles in Ordnung ... hoffte ich. Nach einem tiefen Atemzug versuchte ich mich zu erinnern – an irgendwas. Ich schaute an mir hinunter. Jedenfalls schien ich eine Frau zu sein, die in das untergehende Licht der Sonne guckte und in einem getäfelten Raum, von der Größe eines Schlafzimmers, hockte. Das ergab doch alles keinen Sinn – mein Verstand erfasste Stuhl, Fenster, Wände und einen Boden, sogar Gebrauchsgegenstände und Möbel, ich begriff den Unterschied zwischen den Geschlechtern, aber ich erkannte mich selbst nicht. Was zum Teufel war hier los? Schwungvoll erhob ich mich. Meine rechte Schulter und die rechte Gesichtshälfte schmerzte, nur warum tat es weh? Es klang bereits ab und nur ein dumpfes pochen blieb zurück, aber die Frage nach dem Wieso war damit nicht geklärt. Wohl Restbeschwerden vom Sturz. Vorausgesetzt, dass ich überhaupt gefallen war. Zumindest hatte es ganz den Anschein und das verwirrte mich noch mehr. Diese ganzen Eindrücke waren mir unheimlich. Aus irgendeinem Grund konnte ich mühelos meine Lage analysieren und sogar Schlüsse daraus ziehen, doch ich erinnerte mich weder an meinen Namen noch an meine Lieblingsfarbe, daran, was ich gerne aß, wie alt ich war, oder wie der Mädchenname meiner Mutter lautete. Nein, halt. Das wusste ich. Corvey. Mit gerunzelter Stirn fragte ich mich, warum, zum Teufel, das in mein Bewusstsein vordrang. Seufzend ging ich durch das Haus. Möbel aus Messing und Marmor vom Feinsten, teure Utensilien, und alles war lupenrein sauber. Der, der hier lebte – ich? – musste ziemlich betucht sein. Entweder hatte ich eine gute Reinigungsfirma oder einen Putzfimmel. Oder beides. Falls ich hier überhaupt lebte. Und die Badezusätze zum Beispiel stammten auch nicht gerade aus dem CVS um die Ecke. Noch mehr Überraschung. Ich kannte eine nationale Drogeriekette, aber nicht mich selbst. Ich trat vor einen Standspiegel und sah hinein. Eine sehr attraktive Frau mit nackenlangen Haaren, glatt und schmutzigbraun, eisblauen Augen und blasser, makelloser Haut - nahezu fehlerlos – schaute mich an. Dieser Jemand trug ein gelbes Kleid mit Spagettiträgern. Aus einem Grund, den ich nicht verstand, drehte ich den Oberkörper. Meine rechte Schulter wies einen blauen Fleck auf, vermutlich vom Sturz, und auf meiner linken Schulter verlief eine Narbe. Die konnte nicht vom einem Sturz stammen. Soweit ich es beurteilen konnte, war sie schon ein paar Jahre alt. Unwillkürlich fragte ich mich, wie ich sie mir zugezogen haben könnte. Langsam begab ich mich in den nächsten Raum. Anscheinend war es – ja was eigentlich? Jedenfalls ein weiteres Zimmer voller Möbel, mit einer Holztäfelung und einer hohen Decke. Auf der mir gegenüberliegenden Seite befand sich eine große Uhr, deren Ticken mir eine Gänsehaut über den Rücken jagte. Zersplittertes Glas lag auf dem Boden. Scheinbar waren die Fenster eingeschlagen worden … aber warum? Mein Blick wanderte weiter und ich setzte vorsichtig einen Fuß vor den anderen. Als ich den Raum betreten hatte, war ich der Meinung gewesen, dass die Standtuhr in einer Nische stünde, aber nun erkannte ich, dass es der Eingang zu einem Vestibül oder Saal oder so etwas war. Tatsächlich fand ich dort eine Tür – eine Holztür aus massiver Eiche, mit einem Kupferring als griff, die ein wenig offen stand. Am Windzug gemessen, der durch den winzigen Spalt hereinwehte, war es durchaus möglich, dass eine Böe den Eingang aufgedrückt hatte. Ich wollte hinausgehen, blieb dann aber zögernd stehen. Es wurde draußen dunkler. Dieser wunderschöne Himmel, die kräftigen Farben, purpurrot und gelb, bedeuteten, dass die Sonne unterging. Als ich mich umschaute, entdeckte ich gleich mehrere Schalter an der Wand. Instinktiv wollte ich sie anknipsen. Aber ich kam nicht dran. Warum waren sie soweit oben? Plötzlich sprangen die Lichter an und ich blinzelte überrascht. War es gerade noch finster gewesen, leuchtete es jetzt taghell. Wer immer dieses Anwesen erbaut hatte, ihm lag daran, dass sich die Bewohner auch nachts draußen umsehen konnten. Eine vernünftigen Vorsichtsmaßnahme, denn der Wald, denn ich jetzt erkennen konnte, ließ darauf schließen, dass ich mich mitten im Nirgendwo befand. Jede, wie auch immer gearbeitete Beleuchtung, musste vom Haus ausgehen. Stirnrunzelnd erkannte ich, dass auf dem erleuchten Vorhof des Anwesens, mehrere Personen standen Verunsichert trat ich hinaus, verschränkte die Arme vor der Brust und betrachtete reglos die Fremden, die in einer kleinen Gruppe zusammenstanden und leise miteinander Sprachen, ohne mich zu beachten. Warum wirkten sie so groß und weshalb waren diese Leute so seltsam angezogen? Hatten wir Karneval? Moment … was war Karneval? "Hallo?" Ich sprach nur, um den klang meiner eigenen Stimme zu hören, denn diese war wir genauso fremd. Ein anderes Geräusch ließ mich zusammenfahren, ein großer Schwarm Vögel, die meine Frage wohl als Aufforderung nahmen, stieben alle gleichzeitig in den Abendhimmel davon. Kopfschüttelnd machte ich kehrt, um wieder ins Haus zu gehen. Zu einem, weil mir diese Leute unheimlich waren, zum anderen weil es einfach zu kalt war, als dass ich ohne weiteres noch eine Ewigkeit lang draußen herumstehen konnte. Es begann aufzufrischen und ein starker Wind begann die toten Blätter raschelnd hochzuwirbeln, so dass es aussah, als wenn sie von einer geistigen Kraft in Bewegung gesetzt werden würden. Plötzlich stand Alec neben mir, ganz in schwarz gekleidet, und blickte von oben auf mich herab. Seine flüssigen, effizienten Bewegungen erschienen mir unwirklich, und doch empfand ich dabei eine ungewöhnliche Vertrautheit, als hätte ich es früher öfter gesehen. Wieso wusste ich, wer er war? Ich kannte seinen Namen und war mir sicher, dass er kein Fremder war, doch das war alles. Wie seltsam … Der rechte Träger meines Kleides rutschte von meiner Schulter und ich zog ihn wieder hoch. Seine tiefe, melodische Stimme, die leicht gedämpft klang, sagte einen Namen. Angel? Hieß ich so? War ich diejenige, die er meinte? Wenn ich schon zuvor nicht gewusst hatte wer ich war, wo ich mich befand und wer diese anderen Leuten waren, jedoch annahm dass meine Erinnerungen bald zurückkamen, hing ich jetzt in einem Zustand der absoluten Verwirrtheit fest, der dafür sorgte, dass ich mich vor Misstrauen verspannte. Ich hatte auf meinen Füßen gestanden und jetzt saß ich auf seiner Hand und fror mir so ziemlich den Arsch ab. Hatten wir nicht noch Sommer anstatt Winter? Warum war es dann so kalt? Mein gelbes Kleid schien der Witterung kaum angemessen. Eigentlich hielt ich mich noch nicht lange draußen auf, doch es genügte, um mich zum Eisblock erstarren zu lassen. Meine Zähne schlugen klappernd und schmerzhaft aufeinander, weshalb mir bereits der Kiefer weh tat. Wortlos spielte ich meine Situation herunter und presste die Lippen aufeinander. "Es tut mir Leid, Angel", sagte Alec und senkte die Lider. "Ich konnte deine Erinnerungen nicht mehr zusammenhalten." Ich neigte den Kopf zur Seite und runzelte verwirrt die Stirn. Alec strahlte eine professionelle Ruhe aus, weshalb mir ein kalter Schauer über den Rücken kroch und sich in der Gegend meiner Lenden verteilte. Ich tendierte dazu, darin das Schrecklichste zu sehen, was mir je wiederfahren war. Doch wenn man bedachte, dass ich mich gerade mal an die letzten dreißig Minuten meines Lebens erinnern konnte, war das keine große Leistung. Das ich auf einem Stuhl aufwachte, ohne zu wissen, wer ich war, was ich hier tat, oder warum mir das alles seltsam bekannt vorkam, obwohl ich keine Ahnung hatte, ob ich jemals hier gewesen war - zumindest nahm ich das an - konnte ich nur zu dem Schluss kommen, die ganze Situation mit dem Wort 'Verrückt' zu erklären. Aber vielleicht war das ja auch völlig normal für mich. Wenn Alec, wie ich fest annahm – warum konnte ich es nicht mit Gewissheit sagen? - zu meinem täglichen Leben gehörte, könnte es Routine sein, dass solche Dinge passierten. Aber ein Gedächtnisverlust war bestimmt keine Gewohnheit. Eine Sekunde später lag eine wärmespende Decke auf meinen Schultern, in die ich mich zu kuscheln begann. "Was meinst du?", fragte ich wachsam. "Du hast bereits fast alles vergessen, oder?" Mit einem zartgliedrigen Finger strich er mir durch die Haare und ein bedauerndes Lächeln umspielte seine Lippen. "Bitte verzeih mir, Angel." Alec musterte mich auf eine Art und Weise, dass ich mir keine angemessene Reaktion vorstellen konnte. Zumal ich keine Ahnung hatte, in welcher Beziehung er zu mir stand. Schon wieder belegte er mich mit diesem Namen … Angel … Nun, zumindest hatte ich angenommen, dass ich mich besser fühlen würde, sobald mir jemand sagte, wie ich hieß, doch dem war blöderweise nicht so. Es warf nur weitere Fragen auf, mit denen ich mich nun konfrontiert sah und dessen Antworten sich meinem Verstand entzogen. Verdammt! Frustrierender Weise hatte ich keine Möglichkeit, etwas auf seinen Wahrheitsgehalt hin zu überprüfen. Mein Gedächtnis war noch immer löchriger als ein Schweizer Käse … ich wusste zum Beispiel, dass die Chicago White Sox die World Series, ein Baseball-Spiel gewonnen hatten, in irgendeinem Jahr, aber ich konnte mir den Sport nicht vorstellen oder mich an die Regeln erinnern. Ich schürzte nachdenklich die Lippen. "Ich weiß nicht Mal, warum du dich entschuldigst", entgegnete ich ärgerlich. "Was ist hier eigentlich los?" Er grinste frech und seine wunderschönen Augen funkelten geheimnisvoll auf. "Komm, ich möchte dir jemanden vorstellen." Wieso beantwortete er meine Frage nicht? Warum hatte ich das beängstigende Gefühl, dass ich schon wieder von null anfangen musste? Alec steuerte auf eine wunderschöne Frau zu, die sich bei den anderen komischen Gestalten aufhielt. Seufzend ließ ich meinen Blick über ihr Gesicht schweifen. Sie hatte so etwas … Vertrautes an sich, aber ob das gut oder schlecht war, vermochte ich nicht zu sagen. Im Moment war ich einfach nur für jede Art von Bekanntschaft dankbar, da sie mir ein bisschen Sicherheit bot. Ein etwas verunsichertes Lächeln umspielte meine Lippen. "Angel … das ist Caithryn Nikles", sagte Alec beinahe ehrfürchtig und ich begann mich über den Ton in seiner Stimme zu wundern. "Deine Mutter." Vor meinem geistigen Auge sah ich einen weißen Mamorstein, in dem genau dieser Name eingraviert war. Er stand auf einem Grab voller Blumen. "Aber sie ist doch tot!", rief ich wie aus der Kanone gefeuert und fragte mich ernsthaft, ob diese Idee von dem Bild herrührte, das mir im Kopf herum spuckte. "Ich kann nicht sterben, mein Schatz", sagte Caithryn weich und lächelte gütig. "Aber mein Tod musste inszeniert werden. Wie hätte ich jemanden erklären sollen, dass ich nicht älter werde?" Einen kurzen Augenblick sah ich sie irritiert an, bevor ich darüber nachgrübelte, ob ich beleidigt sein sollte, auch wenn ich nicht wusste, was mich auf den Gedanken brachte. "Du bist so groß geworden." Ich war noch immer skeptisch und stemmte die Hände in die Hüften. "Hör dir an, was sie zu sagen hat, Angel", flüsterte mir Alec sanft zu und zwang meine Wut damit zur Ruhe, auch wenn ich keine Ahnung hatte, warum ich zornig war und … enttäuscht. Warum? Ich starrte die mir fremde Frau an und schaffte es einfach nicht, meine Augen von ihr abzuwenden. Es war, als wäre sie einmal eine wichtige Person für mich gewesen, aber jedes Mal wenn ich glaubte, mich daran erinnern zu können, wer sie war, verschwand der Erinnerungsfetzen, ohne das ich ihn zu fassen bekam. Sie erwiderte meinen Blick nicht, als würde sie es nicht schaffen mich anzusehen, als hätte sie ein schlechtes Gewissen, ohne dass ich sagen konnte wieso. Wir schwiegen uns eine ganze Weile an, bis ich schließlich bemerkte, wie sich ihre Lippen bewegten, doch sie redete so leise, dass ich Mühe hatte sie zu verstehen Instinktiv beugte ich mich vor, doch bis auf ein paar Worte entging mit alles. "...tut mir Leid." Ich spürte, wie sich meine Stirn runzelte. Was tat ihr Leid? Was zum Teufel hatte sie getan? "Ich bin ein Todesengel und ich habe den Fehler begangen mich in einen Menschen zu verlieben. Wir haben ein Kind bekommen." Eine Träne hing an ihrer Wimper wie ein Tautropfen. Ihre Stimme zitterte und drohte zu versagen. Zunächst widerstand ich dem Impuls über diese alberne Geschichte zu lachen. "Irgendwann hatte mich Alec gefunden und mich streng daran erinnert wer ich war." Ein Schluchzen schüttelte ihren Körper. "Ich konnte nicht einmal sehen, wie du aufwächst." Todesengel? Sollte das ein geschmackloser Witz sein? Ein abfälliges Schnaufen meinerseits zeigte, wie wenig ich bereit war, diesen Unsinn zu glauben und ich sah dabei zu, wie Caithryn bei meinem Misstrauen innerlich zu zerbrechen schien. Ich wandte mich von ihr ab, als wenn ich plötzlich ein schlechtes Gewissen hatte. Ich hob den Kopf und sah zu Alec. Er erwiderte meinen Blick. Ruhige Zufriedenheit strahlten seine perfekten Züge aus, aber auch mit Sorge und Angst gemischt … Wieso denn? Er nahm mir vorsichtig die Decke ab, wobei es ihn herzlich wenig interessierte, dass ich mich daran festklammerte, zog etwas aus seiner Jackentasche und legte es mir über die Schulter. Überrascht drehte ich den Kopf. Es war ein schwarzes Kleidungsstück. Dem Stoff entstieg ein angenehmer Geruch, der meine Sinne beruhigte … Aber verdammt! Ich konnte mich nicht erinnern, wie das genannt wurde, was ich jetzt trug, obwohl ich wusste, dass es einen Namen hatte. Zu viele Fragen, nicht genug Antworten. Jedenfalls schien Alec älter zu sein als ich … Natürlich hatte ich keine Ahnung, wie alt ich war. Ich war mir nicht einmal sicher, wie alt ich aussah, selbst nachdem ich mich im Spiegel betrachtet hatte. Und wenn ich mein Gefühl richtig deutete, teilten wir etwas … auf intimer Ebene oder waren wir doch nur Arbeitskollegen oder so was? Ich vermochte es nicht zu sagen, trotzdem hatte er etwas an sich, dass mir das Gefühl gab, nicht allein zu sein … aber die Puzzelstücke fügten sich nicht zusammen. Noch nicht. Zumindest konnte ich jetzt noch eine Person ansprechen. Caithryn … Vielleicht fand ich heraus, was mir, verdammt noch Mal, überhaupt passiert war. Ich hatte ein starkes Déjà-vu, was dafür sorgte, dass ich kurz wankte und mich an Alecs Hand festhielt. Vor allem interessierte mich, warum alles größer war als ich. Von diesen Personen bis hin zu dem Rest meiner Umgebung. Fortsetzung Folgt ... Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)