Private Paparazzo -Reloaded! von lady_j ================================================================================ Kapitel 2: Vergangen -------------------- I was alone, falling free, trying my best not to forget what happened to us, what happened to me, what happened as I let it slip I was confused by the powers that be forgetting names and faces Passers by were looking at me, as if they could erase it Baby, did you forget to take your meds? (Placebo) Von jenem Tag an, da sie zusammen auf dem oberen Deck des Busses gesessen und dieses tiefschürfende Gespräch geführt hatten –von jenem Tag an brachte Kai Hiwatari seinem Sekretär größeres Vertrauen entgegen als Tala Iwanov. Zwar war er peinlich darauf bedacht, ihre Beziehung nicht noch einmal über das offensichtlich geschäftliche hinauszubringen, doch Tala war nicht dumm. Er bemerkte sehr wohl die Kälte, die ihm entgegen schlug, sobald Kai ihn auch nur ansah. Der Chef misstraute ihm, war viel vorsichtiger geworden. Nie wieder sprach er mit ihm über seine Sorgen, wie an dem Morgen des Tages, an dem sie sich gestritten hatten; seine Probleme waren ihm nur noch körperlich anzusehen. Auch zeigte er kein Interesse mehr an ihrer Affäre, was Tala sehr bedauerte, denn er sehnte sich sehr wohl noch nach der Nähe des anderen. Mit der Zeit bemerkte er, wie Kai ihm zu fehlen begann. Er hatte sich an seine exzentrische Art gewöhnt, so dass er sie nun nicht missen mochte. So kam es schließlich, dass er einmal meinte, er würde Kai um eine Ecke gehen sehen, und er folgte ihm. Hinter der Ecke befand sich ein Gang, und der führte direkt zu einer Tür, diese zu einer Treppe, jene wiederum in den Keller. Ehe Tala noch einen klaren Gedanken gefasst hatte, stand er schon im Dunkeln. Wieder war ihm, als würde der ihm nur allzu vertraute Schatten vor ihm her huschen, viele lichtlose Korridore entlang. Kai wollte ihn wohl entweder zum Narren halten, dachte er, oder ihn zur unterirdischen Bibliothek führen. Sie hatte ihren Platz unter der Erde bekommen, als im Herrenhaus keiner mehr für Bücher gewesen war, als Computer und Mitarbeiter hergemusst hatten, als man keine Ruhe mehr hatte finden können in dem großen Gebäude. Zu diesem Zeitpunkt also war die Anhöhe hinter dem Herrenhaus ausgehöhlt und die Bibliothek dorthin verschafft worden. Tala eilte die Flure entlang. Kai war schnell, denn immer, wenn er meinte, er könnte nach ihm greifen, wenn er um eine Biegung trat, war der andere schon längst weg. Keuchend blieb er schließlich stehen; lehnte sich gegen die kalte Steinwand. Tala wusste nicht weiter. War er etwa verrückt geworden –war Kai doch nur eine Illusion gewesen, ein Irrlicht, das ihn in die Tiefe geführt hatte, damit er jetzt hier stand wie betäubt und allein mit seinen zehrenden Gedanken? Neben ihm war die Tür der Bibliothek ein Stück geöffent. Seltsam, wie er es hinnahm, obwohl sie sonst fest verschlossen war. Er überlegte sogar, ob er hineingehen und sich in ein beliebiges Buch vertiefen sollte, um sich abzulenken. Tala schrak zusammen, als Kais Schatten sich aus dem viel schwärzeren Dunkel hinter der Tür löste. Er trug einen Bildband über die britischen Inseln unterm Arm. Diesmal bekam Tala keine Gänsehaut von seinem Blick. „Du bist also doch hier...“, stellte er müde fest. „Und du?“, fragte Kai zurück, „Warum verfolgst du mich?“ „Ich...weiß nicht genau...“ „Eine unangebrachte Ausrede, findest du nicht?“ „Ja...doch...“, meinte Tala schwach. Jetzt wo er vor ihm stand wusste er nicht, was er Kai sagen konnte. Es tat gut, dass ihm nicht fröstelte. Kai sprach ganz normal mit ihm, zeigte sogar wieder ein wenig Gefühl, und Tala fühlte sich von dieser kaum spürbaren Wärme eingelullt und schläfrig. Was war Kai Hiwatari nur für ein Mensch, der bei anderen durch simple Worte die größten Gefühlswallungen auslösen konnte? „Ich will, dass alles wird wie vorher“, brachte Tala hervor und fühlte sich dabei wie ein kleiner Junge, der sich mit seinem Sandkastenfreund gezankt hatte. „Warum war dieser Streit neulich anders als die anderen? Wenn du nicht willst, dass ich so viel mit Voltaire berede, dann tue ich das nicht mehr. Warum verträgst du dich nicht?“ „Es ist nicht so einfach, wie du denkst. Voltaire war nur der Auslöser. Ich will es eben nicht“, antwortete Kai. Tala machte eine wegwerfende Handbewegung: „Das gilt nicht. Es geht um den Sekretär. Was kann Kinomiya dir geben, was ich dir nicht bieten kann?“ „Der Sekretär? Was sollte dich denn besser machen als ihn? Du und ich hatten nur eine Affäre!“ „Wir sind Freunde!“ „Ah“, stellte Kai fest. „Es geht dir um Vertrauen. Ich vertraue dir nicht mehr, Tala. Es...tut mir leid, ehrlich. Aber ich kann mir dir gegenüber nichts mehr von der Seele reden, habe ich festgestellt. Dazu brauche ich einen Menschen, der das aushalten kann. Dir wird es irgendwann zu viel.“ Tala war wie vor den Kopf gestoßen. Nicht allein, dass Kai sofort durchschaut hatte, was sein eigentliches Anliegen war –außerdem hatte Tala selbst nicht mal so genau gewusst, was er eigentlich von Kai wollte, es war ihm jedoch schlagartig klar geworden bei den letzten Sätzen des anderen– auch seine Worte erstaunten ihn und trafen ihn tief. Nie hätte er gedacht, Kai würde ihm so viel bedeuten und es schaffen, ihm mit seinem Lächeln einen solchen Schmerz zuzufügen wie in diesem Moment. Wie erstarrt ließ er Kai lächeln, ließ ihn gehen, ließ einfach zu, dass er hier im Dunkeln verlassen wurde. Erst viel später, als schon bunte Flecke vor seinen Augen zu tanzen begannen, weil sie die Schwärze um sich herum nicht mehr sehen konnten, regte Tala sich wieder. Er wollte sich Kai nicht so einfach wegnehmen lassen –denn an alledem war doch nur einer Schuld, Kinomiya, dieser Sekretär! „Er hat dir also Kai...ausgespannt“ Garland Zetwalds Stimme klang nahezu belustigt. Obwohl Tala ihn nicht sehen konnte war er sich sicher, dass am anderen Ende der Telefonleitung ein süffisantes Grinsen sein Gesicht durchzog. „Nicht ausgespannt, nein. Es geht hier nicht um die Affäre, Garland, sondern um Vertrauen!“, resümierte er Kais Worte ungeduldig. „Aha. Und dieses Vertrauen willst du ausgerechnet auf einer Party wiederbekommen?“ „Eine Party ist in letzter Zeit zu der einzigen Möglichkeit geworden, Kai ohne Kinomiya zu sehen!“ Außer dem Knacken der Leitung war eine Weile nichts mehr zu hören. Zeit genug für Tala, einmal mehr Bilder von Hitoshi und Kai vor seinem inneren Auge vorbei ziehen zu lassen. Die beiden pflegten ihre Freundschaft nicht wirklich. Kai schien dem Sekretär nicht mehr Aufmerksamkeit entgegenzubringen als irgendeiner anderen Person, aber da war etwas zwischen den beiden, das Tala sich nicht erklären konnte. Sobald sie sich trafen –und das mussten sie eigentlich tun, sobald Kai seine Zimmer verließ– ging eine Veränderung mit ihrem Chef vor. Tala erinnerte es an von Kaffee zittrige Hände, die ganz plötzlich ruhig werden wie die eines Chirurgen. Wahrscheinlich war dies das Vertrauen, von dem Kai gesprochen hatte, das zwischen ihnen eigentlich nur im Bett geherrscht hatte. „Hör zu, Zetwald“, seufzte er schließlich, „Dir liegt doch auch etwas daran, dass unser Dreiergespann mit Kai noch eine Weile hält. Der Mann ist im Moment ein Wrack, und das wirkt sich schlecht auf alles aus, was um uns geschieht. Und wer weiß, was er Kinomiya in seinem Wahn alles erzählt. Also lass‘ uns ihn auf dieser Poolparty wieder zur Vernunft bringen!“ „Na schön“, meinte Garland einsichtig. „Ich glaube zwar immer noch, dass lediglich dein Stolz angekratzt ist, aber was soll‘s? Ein Kai, dessen Gedanken alle beisammen sind, ist mir auch allemal lieber. –Etwas anderes: Kinomiya. Das ist doch der Kinomiya, oder? Porno-Hiro?“ Tala lachte. „Ja, genau der.“ „Aber Kai und Hiro waren doch Spinnefeind...?“ „Schon. Aber Kai hat abgeschlossen mit den letzten Jahren. Er behandelt ihn wie einen Sekretär eben. Und Hiro...keine Ahnung. Wir sind uns ja alle ein wenig fremd geworden, meinst du nicht? Ich meine, was wäre, wenn dir jetzt plötzlich...hm, sagen wir...Brooklyn gegenüber steht? Nicht nur das. Es gehen jeden Tag mehrere Drohungen ein. Jemand will der Firma an den Kragen, und Kai ist in Gefahr. Ich habe ihm nichts davon erzählt; ich will es auch nicht. Doch jetzt, wo er Kinomiya mehr vertraut als mir komme ich nicht mehr an ihn ran.“ „Tala, du Idiot!“, schimpfte Garland, „Da tun sich ja ganz neue Aspekte auf! Warum druckst du so rum, wenn die Firma in Gefahr ist? Dir ist doch klar, was das bedeutet? Wir müssen Kai wegschaffen!“ „Aber er wird uns nicht glauben, wenn wir ihn ohne Grund außer Landes bringen wollen! Überhaupt: außer Landes! Das ist noch gefährlicher! Nein...Zuerst brauche ich sein Vertrauen wieder. Und da kommst du ins Spiel: Ich schleppe ihn auf deine Party, weg von Kinomiya und wir kümmern uns um ihn.“ „Willst du ihm nicht doch sagen, was los ist?“ „Nein“ Tala rieb sich mit Daumen und Zeigefinger den Nasenrücken. „Mit den Drohungen muss ich selbst fertig werden. Das ist mein Job.“ „Das ist dein verdammter Stolz.“ „Mag sein. Aber ich fürchte, mir liegt doch etwas mehr an meinem Chef als Sex.“ Zur gleichen Zeit saßen Kai und Kinomiya in einem Teeladen in der Innenstadt. Kai hatte ein dieses Mal ein absolut illegales Geschäft abschließen müssen, und das tat er nur außerhalb der Basis. Eigentlich hätten sie danach auf dem direkten Weg wieder ins Herrenhaus zurückkehren sollen, doch Kai stand der Sinn nach anderem. So war die mit Panzerglas ausgestattete Limousine vor dem Teeladen geparkt worden. „Wenn ich gewusst hätte, dass Sie das Herrenhaus gar nicht verlassen dürfen...“, murmelte Hitoshi, „Ich hätte Sie von der Stadtrundfahrt neulich abgehalten.“ Kai verzog den Mund, rührte aber weiter in seinem Earl Grey mit Milch. „Quatsch“, sagte er, „Das ist nichts als eine übertriebene Vorsichtsmaßnahme. Wissen Sie, wie oft ich schon allein in der Stadt unterwegs war? Und nie ist etwas passiert!“ Er nahm einen großen Schluck, der ihm die Zunge verbrannte. Durch den Schmerz beruhigte sich sein Gemüt, und als wäre nichts geschehen stellte er die Tasse ab und legte das Kinn auf die gefalteten Fingerspitzen. Hitoshi wärmte sich die Finger an seinem Teeglas. Draußen war es kalt; die Sonne hatte sich den ganzen Tag nicht zeigen wollen. Abgehackte Wolkenränder spiegelten sich in Kais Augen, weil er jetzt aus dem Fenster sah, mit diesem kleinen Lächeln, das den Sekretär immer irritierte. In solchen Momenten wünschte er sich, in Hiwataris Kopf hinein sehen zu können, zu wissen, was er gerade dachte. „Möchten Sie ein Gespräch führen, Hiwatari?“, fragte er schließlich. Sofort kam Leben in Kais Körper. Er drehte sich wieder zu Kinomiya und sah ihn ganz interessiert an. „Gern. Beginnen Sie!“ „Nun...“ Hitoshi wusste nicht ganz, wie er anfangen sollte. „Ich fragte mich in letzter Zeit oft, warum wir uns siezen. Ich meine, es ist zwar schon eine Weile her, aber...naja...Ich finde, die Situation zurzeit ist etwas seltsam, irgendwie...“ Schon kam er nicht weiter. „Kafkaesk?“, half Kai. „Was ist kafkaesk?“ „Es ist wie in einer Erzählung von Kafka“, erklärte Kai. „Also...ich weiß nicht recht, wie ich es verständlich machen kann. Nehmen wir ein Beispiel: Sie sitzen hier und trinken Tee, und plötzlich kommt jemand und fragt Sie, was Sie sich denn erlauben, dass Sie hier sitzen und Tee trinken. So eine Situation ist kafkaesk.“ „Interessant. Und Kafka hat solche Situationen erzählt?“ „Ja. Es gibt meist einen Hauptprotagonisten, dem so etwas zustößt, und das beeinflusst dann sein ganzes Leben und Handeln. Zum Beispiel in „Der Prozess“: Joseph K. wacht eines Morgens auf, da kommt ein Mann in sein Zimmer und meint, er wäre verhaftet. Oder in „Die Verwandlung“. Da wacht ein Mann namens Samsa auf und stellt fest, dass er ein Käfer ist!“ „Oh mein Gott.“ Kinomiya musste unwillkürlich grinsen. „Nicht wahr?“, kicherte Kai. „Aber die Geschichten enden böse. Die Protagonisten lassen sich zu sehr davon beeinflussen. Sehen Sie, wenn man diesen ersten Umstand in Frage stellt funktioniert die ganze Geschichte nicht mehr.“ „Und Sie meinen, der Umstand, dass wir uns nicht siezen ist kafkaesk?“ „Nicht wirklich. Ich meine die konkrete Situation, als Sie vor mir standen, um sich zu bewerben und ich Sie einfach siezte. Das hat Sie bis heute verunsichert und Sie beeinflusst, hab ich nicht recht? Ich habe es wahrscheinlich nur aus Höflichkeit getan, aber Sie haben wohl gleich gedacht „Er ist doch ein alter Bekannter. Warum duzt er mich nicht?“ Aber Sie haben nie das Offensichtliche gesehen.“ „Das...das stimmt“, sagte Hitoshi verblüfft. „Und?“, fragte Kai daraufhin, „Wollen Sie diese Information nutzen und mir das „Du“ anbieten? Oder verbleiben wir wie bisher?“ Zu seiner eigenen Überraschung musste Hitoshi darüber tatsächlich nachdenken. Er hatte schon Lust, seinem Chef so nahe zu kommen wie Tala Iwanov, doch wurde er auch von Schuldgefühlen geplagt. Denn er hatte trotz allem nicht aufhören können, Hiwatari des nachts zu beobachten. Es war eben seine Sucht, er machten ihn süchtig, durstig wie noch nie. Nein. Es wäre nicht recht, wenn er diese halb geheuchelte Freundschaft führen würde, und so murmelte der Sekretär schließlich entschuldigend: „Ich genieße die Gespräche mit Ihnen, und Ihre Nähe, aber ich kann Ihr großzügiges Angebot noch nicht annehmen, glaube ich.“ Hiwatari lächelte nachsichtig. „Ich verstehe“, sagte er, und Hitoshi wusste nicht genau, ob er das ernst meinte oder es nur so sagte, um ihn nicht zu verunsichern. Kai Hiwatari war eben ein undurchschaubarer Mensch. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)