Private Paparazzo -Reloaded! von lady_j ================================================================================ Kapitel 3: Bandagieren ---------------------- ~~~~~~~~~~~~ oh, fragt mich bloß nicht, was das mit der anspielung auf tarantino soll. es hatte mich damals beschäftigt, das ist alles. und es ist witzig...irgendwie. ~~~~~~~~~~~~ I want to run away never say good-bye I want to know the truth instead of wondering why I want to know the answeres no more lies I want to shut the door and open up my mind (Linkin Park) Garland Zetwalds Anwesen erinnerte an eine Anordnung riesiger Würfel. Einige waren schneeweiß verputzt, andere bestanden teilweise oder gänzlich aus Glas. Hinter dem Gebäude erstreckte sich der Infinity-Pool, der heute ein schwarzer Spiegel für die dunklen Wolken war. Alles in allem erkannte man deutlich, dass Garland Geschmack für klare, moderne Linien hatte. Die Zetwalds waren eine alte englische Adelsfamilie. Neben dem immensen Vermögen, dass sie im 18. Jahrhundert durch die Kolonialherrschaft Englands gemacht hatten und erfolgreich durch beide Weltkriege hatten retten können, zählte ihr Name heute außerdem als bekannte Sportmarke. Garland Zetwald als Geldverdiener seiner Sippe klebte also ebenso fest an der Hiwatari-Company wie die Iwanovs, die jedoch wohl eher als Parasiten ihres mächtigen Wirts angesehen werden konnten. Tala Iwanov und Garland Zetwald hatten schon lange vor Kais Antritt die Hiwatari zu ihren Gunsten und so weit wie möglich zu lenken versucht. Es war also nicht verwunderlich, dass diese beiden jungen Herren, kaum dass Kai zum Chef seiner Firma ernannt worden war, zu dessen besten Freunden wurden. Ihre Dreiecksbeziehung wirkte sich positiv aus, jedoch größtenteils zu Zetwalds und Iwanovs Gunsten. Die Partygemeinschaft hatte heute, ob des Wetters, nach drinnen ausweichen müssen. Im unterirdischen Geschoss des Zetwaldschen Anwesen befand sich ebenfalls ein großer Swimming-Pool im griechischen Stil, mit Mosaiken und Säulen, und der ein oder andere Jacuzzi, in dem sich Mädchen tummelten. Ihr Gekreisch und das Lachen der zu ihnen gehörenden Erben neureicher Familien drang bis nach oben ins Wohnzimmer, wo Kai hinter den Panoramafenster stand und zu der Terrasse und den Infinity-Pool hinaus sah. Es würde Regen geben. Die Wolken waren bedrohlich dunkel, das Zwielicht zeichnete alle Schatten scharf und verschluckte die Farben. In Kais Glas klirrten die Eiswürfel. Während draußen die Welt ihrem Untergang nahe schien wurde Kai in solchen Momenten immer ganz ruhig. Gelassen ließ er die Kälte, die durch das Glas drang von seiner Haut Besitz ergreifen und wartete auf die ersten Regentropfen. Noch war die Wasseroberfläche glatt wie ein Spiegel oder wie ein dunkler Marmorboden, so dass er ohne zu zögern darauf zu spaziert wäre und versucht hätte, über das Wasser zu laufen, im festen Glauben, es sei Stein. Sein Befinden war an einen seltenen Tiefpunkt gelangt. Schier alles wurmte Kai; vielleicht waren die Veränderungen der letzten Zeit schon zuviel für ihn? Immer hin hatte er seiner letzten Vertrauensperson, Tala, kurzerhand die Freundschaft gekündigt und ihn gegen seinen Sekretär ausgetauscht. War er zu leichtsinnig gewesen? Und doch fühlte er, dass er Kinomiya alles erzählen konnte, ohne dass dieser mehr dazu sagte, als nötig war. Tala hatte immer versucht, ihn auf seinen Job zu fokussieren. Kai spürte, dass er Ablenkung brauchte. Er merkte es, wenn er aus dem Fenster sah und in die Ferne schweifte; er merkte es, wenn er sich in der Bibliothek bei den Bildbänden herumdrückte und wenn er sich jeden Tag ein Bisschen eingeengter fühlte von Arbeit, Kameras, Personen. „Ach, hier bist du!“ In den Schatten im hinteren Bereich des großen Raumes tat sich ein helles Rechteck auf, in dem sich Garlands Gestalt abzeichnete. Kai drehte sich nicht um, beobachtete seinen Freund jedoch in der Spiegelung des Fensters. Es schien, als hätte er ihn gar nicht bemerkt; deshalb fühlte Garland sich dazu verpflichtet zu räuspern, obwohl es ihm etwas peinlich war. Er war froh, dass in diesem Moment Tala hinter ihn trat. „Du hast ihn gefunden!“, stellte er zufrieden fest und dann, an Kai gewandt: „Ich hätte wissen müssen, dass du dich wieder verziehst! Na los, komm her und setz dich!“ Er schob sich an Garland vorbei und machte es sich auf dem weißen Ledersofa bequem. Kai drehte sich langsam um, wandte den Blick von der Glätte des Poolwassers ab. Ihn in seinem momentanen Zustand anzusprechen war schwierig, ein Gespräch zu führen fast unmöglich. Dennoch ließen seiner Freunde nicht locker. Sie nahmen ihn in die Mitte und sahen ihn von beiden Seiten her aufmunternd an. „Wir müssen reden.“ Draußen fielen die ersten Regentropfen. Sein erster wirklicher Freund war ein Psycho gewesen. Dieser Name war keine wissenschaftliche Erklärung für ein geistiges Leiden dieses Jungen, sondern eine simple Feststellung Kais gewesen. An Vieles konnte er sich heute nicht mehr erinnern, jedenfalls nicht, wenn er es versuchte. Nur manchmal überrollten ihn die Gedanken an Psycho wie seltsame Dejá-vues. Psycho hatte ihm gezeigt, wie man sich selbst pierct. Oder wie man selber Tatoos sticht. Von ihm hatte Kai den Phönix auf die Oberseite des linken Daumengelenks gestochen bekommen. Es hatte verdammt lange gedauert und verdammt weh getan, aber nie zuvor hatte Kai einen so fein gearbeiteten Phönix gesehen. Es war Psycho gewesen, der morgens um sechs mit ihm auf Wohnblöcken gesessen und Gitarre gespielt hatte, bis Kai lautstark verkündete, er würde das auch lernen wollen. Gitarre spielen. Psycho war auch geduldig gewesen, hatte sich alles angehört, was Kai zu sagen hatte und ihm keine dummen Ratschläge gegeben, es sei denn, er hatte darum gebeten. Psycho wollte auch keine Geheimnisse aus ihm herauskitzeln, was anders herum auch der Fall war. Im Endeffekt kannten sie sich wohl nicht besonders gut. Psycho war weggegangen. Nach Thailand. Oder Korea, oder er war schon bis nach Indien gekommen. Irgendwo da steckte er jedenfalls. Kai war ihm nicht mal böse gewesen, als er einfach nicht mehr da war. Er hatte ja gewusst, dass Psycho irgendwann abhauen würde. Er hatte ihn in seltenen, guten Erinnerungen behalten. „Such dir ein Mädel!“, schlug Garland vor. „Such dir einen Kerl!“, meinte Tala. „Ja, und dann fahr in die Karibik!“ „Oder bleib´ einfach mal ein paar Tage in deiner Wohnung und entspann dich!“, ergänzte Tala schnell und warf Garland einen warnenden Blick zu. Seiner Meinung nach sollte Kai nicht einmal allein sein Zimmer verlassen, bei den Drohungen, die er jeden Tag lesen musste. Eine Reise ins Ausland hielt er für das wahrscheinlich Abwegigste, was ihr Freund sich hätte einfallen lassen können. Tala legte freundschaftlich einen Arm um Kai. „Ist übrigens schön, dass du nicht mehr beleidigt bist“, raunte er. Garland hob die Augenbrauen. „Wisst ihr, ich glaube, ihr solltet das unter vier Augen besprechen.“ Sein Blick dazu sagte noch etwas wie: „Ich habe die Situation geschaffen, jetzt mach was draus!“ zu Tala, dann erhob er sich, raschelte über den groben Teppich und schloss leise die Tür. Kai hatte noch immer nichts gesagt. „Was ist nur los mit dir?“, fragte Tala, mehr rhetorisch als dass er eine Antwort erwartet hätte. „Du hast dich so verändert. Ich glaube bald, ich kenne dich nicht. Es...es macht mir langsam Sorgen, weißt du.“ „Was ist meine Lieblingsfarbe?“, fragte Kai unvermittelt. „Wie bitte?“ „Du sagst, ich bin dir fremd geworden? Vielleicht siehst du ja erst jetzt, wie ich wirklich bin. Wolltest du es vorher nicht sehen? Oder habe ich es nicht gezeigt, was meinst du? Wer hat Schuld? Ich fühle mich gut, ja“ Er nickte wie zur Bestätigung, „Ich fühle mich manchmal sogar sehr gut. Also- kennst du meine Lieblingsfarbe? Komm schon, es ist doch so eine einfache Frage.“ „Das ist nicht gerecht“ Tala konnte nicht sagen, warum diese Worte aus seinem Mund kamen. Sein erster Gedanke war gewesen, einfach eine Farbe zu nennen, vielleicht Dunkelblau, weil Kai einmal gesagt hatte, er fände Dunkelblau beruhigend. Aber die Worte, die ihn verrieten, waren schneller gekommen. Kai seufzte. „Es ist Rot“, meinte er schlicht, „Wie dein Haar.“ „Rot. Natürlich. Woher sollte ich wissen?“ Müde strich er sich über das Gesicht. Kai wartete. „Ich...ich weiß nicht, Kai“, fing Tala schließlich wieder an, „Aber ich komme mir vor wie damals.“ „Wovon redest du?“ „Der Anfang. Dein erster Tag in der Company. Dein...Anblick.“ Jetzt sah Kai das erste Mal zu ihm auf, mit dieser Miene, die so unergründlich war und einem doch jedes Wort entlocken konnte. Unter solch einem Blick durfte man nicht lügen, und alle fielen darauf herein. Der plötzliche Gedanke an Kinomiya versetzte Tala einen kurzen Stich, wie die Erinnerung an ein Problem, das man bis dahin verdrängt hatte. „Du hast dich nicht verändert“ sagte er, und es klang wie eine ungläubige Feststellung, „Bis heute bist du so geblieben, wie du es warst, als wir uns wiedersahen.“ „Und?“, fragte Kai. „Es hat dir doch gefallen, dass ich so war. Meine Art...die verbleichende Farbe in meinem Haar...die Vorträge, die ich dir im Halbschlaf hielt...“ Fast genüsslich leckte er sich die Lippen, schien das ganz unbewusst zu machen, rief damit ein Dejá-vue nach dem anderen hervor. Unwirsch verscheuchte Tala die Bilder mit einem Kopfschütteln. „Das kannst du nicht machen, Kai! Die Firma kann nichts anfangen mit einem Chef, der das geistige Alter von zwanzig hat!“ –„Dann übernimm du doch die Firma!“, rief Kai verzweifelt, „Mir liegt an alledem nichts, das siehst du doch! Ich weiß nicht, was gut und richtig ist, ich weiß nicht einmal, was ich hier tue –warum muss ausgerechnet ich hier sitzen, wo es doch so viele andere gewollt und verdient hätten?“ Er sah ihn an, nur an, nicht hinein, und ließ ihn auch nicht in sich hinein; seine Worte waren das innigste, das Tala seit langem von Kai gehört hatte. „Du weißt genau, dass das nicht geht...“, sagte er. „...Ja. Aber es ist doch nicht verboten, es sich zu wünschen.“ „Ich verrate schon nichts.“ „Darüber mache ich mir keine Sorgen“, meinte Kai. Da war noch etwas übrig von dem, was er einmal für Tala empfunden hatte. Von der Freundschaft, oder der Zugehörigkeit, oder wie immer man es nennen mag. Der Tiefpunkt seiner Laune, der seit Tagen an seinen Nerven zehrte, wurde langsam überwunden. Das hier war wahrscheinlich ein sehr kleines Problem, sah man einmal von der Fülle von existentiellen Fragen ab, die er sich Tag für Tag stellte; und doch hatte ihn dieses kleine Problem die letzten Tage über getriezt und hatte nach Lösung verlangt. Zwar war er noch wankelmütig, dennoch glaubte er, dass es vielleicht möglich war, Kinomiya und Tala an seiner Seite zu akzeptieren. Er schloss kurz die Augen. „Ich mag dich“, sagte er beim Öffnen, „Das ist keine Liebe, und ich vertraue dir nicht mehr –aber ich mag dich, vielleicht, wie die Konserve einer schönen Erinnerung. Ah, ich rede wirres Zeug.“ Er fasste sich an die Stirn. „Damit kann ich leben“, murmelte Tala. Das schloss alles ein. Und dann sah er Kai wieder lächeln. Es war anders, als beim letzten Mal im Keller des Herrenhauses, rätselhaft, natürlich, aber irgendwie auch einladender, versöhnlicher. Das Problem schien gelöst. Sie mochten sich. Das Fenster wurde zerrissen wie ein Vorhang. Glassplitter stoben in alle Richtungen und sausten dicht an Kais Wange vorbei. Plötzlicher Druck in seinem Oberarm sagte ihm, dass er von Tala nach unten gezogen wurde, in den Schutz des Sofas, doch sehen tat er nur den gischtgleichen Glasschauer. „Runter!“, brüllte Tala, viel zu spät, denn sie hatten sich schon hinter die Lehne geduckt. „Scheiße!“, fluchte er dann, und mit leisem Schrecken sah Kai eine Waffe in seiner Hand aufblitzen. Er wollte ihm etwas zurufen, doch entferntes Knattern und dumpfe Kugeleinschläge in der Wand hinter ihnen schnitten Kai das Wort ab. Staub bildete sich. Als Tala sich aufrichten und das Feuer erwidern wollte hielt er ihn zurück und zischte: „Nicht!“ Kai griff nach einem Sitzpolster und begann an den Nähten zu zerren. „Was zum Teufel tust du da?!“, brüllte Tala über eine zweite, halbherzigere Salve hinweg. In diesem Moment gaben die Fäden nach, und Kai zog zwei Pistolen aus dem Schaumgummi. „Hat Garland mir verraten“, antwortete er, „Für Notfälle!“ Er warf Tala eine der Waffen zu, die dieser mit der freien Hand auffing und sofort begann, das Feuer blind zu erwidern. Kai währenddessen lud reflexartig seine Pistole. Er hörte Tala fluchen, und nur einen Augenblick später kam die silbrig glänzende Tokarev des anderen neben ihm auf dem Boden auf. „Garland hat schon gewusst, wozu die Knarren im Sofa gut sind!“, motzte Kai und hockte sich neben Tala. „Du hast immer zu wenig Munition!“ „Ach, halt die Fresse!“, schnaubte Tala und feuerte auch die zweite Waffe leer, weil er geglaubt hatte, eine Gestalt draußen gesehen zu haben. Seine Tat wurde mit einem kleineren Kugelhagel quittiert. „So, und jetzt lässt du mich das machen!“, zischte Kai und sprang auf. „Nein!“, brüllte Tala, doch da hatte er sich schon voll aufgerichtet und peilte einmal die Panoramafront ab, den Zeigefinger am Abzug. Eine gegnerische Kugel prallte am Fensterbrett ab. Tala schrie. „Oh Gott, Kai, duck dich doch!“ „Nein“, erwiderte Kai mit Grabesstimme. Da stürzte Tala sich auf ihn und rang ihn zu Boden; gerade noch rechtzeitig: Eine weitere Kugel zertrümmerte den Spiegel an der Wand hinter ihnen, wo Kai gerade noch gestanden hatte. Es grenzte an ein Wunder, dass er zuvor nicht zu Bruch gegangen war. Dann war nichts mehr zu hören außer Talas schweren Atemzügen. „Sie sind weg“, keuchte Kai halb unter ihm liegend und stieß ihn von sich weg, nur um schließlich auf dem zerfledderten Sofa zusammenzusacken. „Was zur Hölle noch mal war das denn eben?“, rief Tala außer sich. „Da hat jemand auf uns geschossen.“ „Nein, verdamm‘ mich eins, das hab ich nicht gemeint –was war mit dir los? Bist du denn völlig irre geworden? Du kannst doch nicht einfach aufspringen und...und...du hättest tot sein können, ehe du gestanden hättest!“ Er wurde fast hysterisch. „Du ahnst ja nicht, was du mir...was du uns damit antust! Ich habe für dich zu sorgen –aber das wird unmöglich, wenn du mir einen verfluchten Strich durch meine Rechnung machst. Wenn ich deinen Arsch nicht in Sicherheit bringen kann sitzt mein Arsch in der Scheiße, Gott verdammt noch mal, denk doch auch mal an andere!“ „Tala, ich weiß doch nicht, was ich gerade getan habe!“, fiel Kai ihm da ins Wort. „Was soll das heißen, du weißt nicht?“, fauchte er zurück. „Ich...ich weiß nicht, warum ich das gerade getan habe“, wiederholte Kai. „Ich hab es einfach gemacht. Mir fiel ein, was Garland mal gesagt hat, dass er die Knarren im Sofa hatte, und kaum hatte ich die Dinger in der Hand...ich weiß nicht“, sagte er noch einmal, „Ich weiß nicht, was passiert ist. Es war...wie ein Reflex. Voltaire hat mir eingetrichtert, ich solle lieber töten, als getötet zu werden, und das macht mir keine Angst –liegt wohl an der Familie, du kennst uns ja, wenn wir Skrupel hätten, wären wir schon nicht mehr hier– und da dachte ich, ich will nicht draufgehen, und habs einfach gemacht, einfach so, aber ich versteh das doch gar nicht, ich mein, was ist denn bloß passiert?“ Die ganze Zeit über hatte er immer wieder kurz die Hände gehoben, als wüsste er nicht recht, wohin mit ihnen. Er wirkte verwirrt, und Tala seufzte. Er hatte einen riesigen Fehler gemacht, als er Kai nicht weiter über die Warnungen und geplanten Anschläge unterrichtet hatte. Jetzt war es passiert, und Kai hatte sich selbst in Gefahr gebracht –nun musste Tala sich wohl oder übel erklären. „Kai...hör zu“, fing er behutsam an. „In letzter Zeit...kamen immer wieder Drohungen bei uns an.“ „Das weiß ich doch“, winkte Kai ab, doch Tala fiel ihm ins Wort: „Nein, du weißt nichts. Du kennst nur den Anfang, wo wir alle noch dachten, die Drohungen wären ein Scherz. Aber es ist schlimmer geworden. Es hat den Anschein, als wäre...jemand bestimmtes oder eine Organisation hinter dir her. Ich habe mit Voltaire geredet“ Hier zog Kai scharf die Luft ein. „und er meinte, ich solle dir nichts sagen. Ich sollte auf dich aufpassen.“ „Also war das gerade eben ein...ein Anschlag auf...mich?“ Kai klang ungläubig. „Jemand will mich töten?“ –„Sei doch nicht so naiv!“, brauste Tala auf, „Natürlich will jemand dich töten, du bist der Boss der Hiwatari-Company! Aber bleib ruhig“, fuhr er sanfter fort. „Wir bringen das in Ordnung.“ „Wie?“ „Ich denke mir etwas aus, wie wir dich am besten schützen. Ich versichere dir, es wird alles gut. Hab keine Angst.“ „Die habe ich nicht“, sagte Kai kühl, „Ich bin nur enttäuscht.“ Das eben erst erneuerte Band zwischen ihnen bekam einen kleinen Knacks, und sie beide fühlten es nun gleichzeitig, als sie sich stumm ansahen: Kai fragend und mit gerunzelter Stirn, Tala voller Reue. „Es tut mir leid...“, flüsterte er. Kai nickte: „Das muss ich jetzt wohl aushalten. Nichts zwischen uns wird sich dadurch ändern –es darf sich ganz einfach nicht ändern, das erfordert diese Situation. Mach einen Plan. Du wirst mich zu schützen wissen.“ In diesem Moment wurde die Tür von Garland aufgestoßen: „Oh Gott, ist alles okay mit euch?!“ Wie alle Räumlichkeiten der Angestellten befand sich Hitoshis Zimmer im untersten Stock des rechten Flügels des Herrenhauses. Weit weg von Hiwatari also. Draußen kroch Efeu die Wände hoch und bedeckte die Fenster. Der Sekretär hatte sie nicht frei geschnitten; er mochte das schummrig-grüne Licht tagsüber, denn es beruhigte ihn. Jetzt war es wie in einer Dunkelkammer. Nur der Laptop stanzte ein bläuliches Rechteck ins Zwielicht. Darauf unverändert zu sehen war Kais Schlafzimmer. Nachdem Hitoshi den Chef im Bild hatte auftauchen sehen –es musste so gegen halb eins in der Früh gewesen sein, und Hiwatari war auch gleich unter die Decke geschlüpft– war er in die kleine Küche gegangen, um sich einen Tee zu machen. Mit der Zeit hatte er es für sich einrichten können, dass er seinen Platz am Bildschirm für ein paar wenige Augenblicke verlassen konnte, doch nie wagte er zu denken, er könnte einen Abend ohne seine Nachstellungen verbringen. Denn noch immer schränkte ihn die Sucht nicht so ein, dass er sie für Hiwataris Freundschaft aufgegeben hätte. Hitoshi kehrte zum Laptop zurück, stellte seinen Tee ab, setzte sich. Kurz schweifte sein Blick über den Bildschirm, dann weiter zur Tasse. Plötzlich glitt er zurück und die Augen des Sekretärs weiteten sich: Hiwatari war verschwunden. Das Bett –leer, daneben auf dem Boden lag die Decke. Auf einmal war Hitoshis Kopf voller blitzschneller Gedankenströme darüber, was hätte passiert sein können. War Kai entführt worden? Hatte während seiner Abwesenheit ein Kampf stattgefunden, bei dem Kai vielleicht gar getötet worden war? War er vielleicht nur mal aufs Klo gegangen? Oder aus dem Fenster gesprungen, um sich umzubringen? Er verscheuchte diese letzte Möglichkeit wie eine Fliege. Wahrscheinlich würde Hiwatari gleich wieder im Bild auftauchen. Er verharrte einige Minuten lang starr vor dem Monitor, doch das blieb vergeblich. Er hätte wohl noch tagelang dort gesessen, und der Tee wäre langsam verdunstet, hätte es nicht leise geklopft. Hitoshi machte einen kleinen Hüpfer auf seinem Stuhl, so sehr hatte er sich erschrocken. Schnell blickte er um sich, registrierte aus den Augenwinkeln noch einmal den verräterischen Bildschirm und schloss das Fenster mit einem Mausklick. „Wer ist da?“, rief er dann.„Ich bin’s“, klang eine gedämpfte Stimme durch die Tür. Hiwataris Stimme. „Hi“, sagte er, als Hitoshi ihm die Tür geöffnet hatte, und, nach etwa einer Minute des Schweigens: „Ich hatte Lust auf ein Gespräch, und da musste ich an Sie denken. Darf ich reinkommen?“ „Oh, äh, natürlich“, stotterte der Sekretär und trat zur Seite. Nebenbei kam ihm kurz der Gedanke, ob seine kleine Wohnung auch aufgeräumt war, doch Hiwatari schien sich gänzlich wohl zu fühlen, wie er in der Mitte des Raumes stand und sich umsah. Lange nicht gesehen und doch wieder erkannt –so in etwa hätte man seinen Blick deuten können. Mit dem Geräusch der sich schließenden Tür blinzelte Kai. Wieder Stille. Kai ließ sich auf das eingeklappte Schlafsofa nieder, während Hitoshi zwischen Tür und Schreibtisch stehen blieb. Nervös nestelte der Sekretär an einem losen Faden am Hemdkragen herum und fragte sich, was man eigentlich zu tun hatte, wenn man ein guter Gastgeber sein wollte. Mit Sicherheit hatte er schon jetzt irgend etwas verpatzt, vielleicht Begrüßungsfloskeln oder eine bestimmte Geste. Mit einem Blick auf die dampfende Teetasse neben dem Laptop fiel ihm siedend heiß ein, dass man Gästen etwas zu Trinken anzubieten hatte. Gerade machte er den Anfang einer Bewegung zur Küche hin, da richtete Kai das Wort an ihn. Die Bewegung wurde zu einem erschrockenen Zucken. „Sie möchten wohl gar nicht wissen, über was ich reden möchte?“ „Hm“ Hitoshi hatte nicht wirklich daran gedacht. „Ja, schon. Über was?“ „Heute...nein, es war schon gestern“, stellte er mit einem Blick auf die Uhr fest, „wurde ein Anschlag auf mich verübt.“ Dem Sekretär blieb der Mund offen. Ohne wirklich zu wissen, was er tat, zog er sich den Schreibtischstuhl heran und setzte sich; im festen Glauben, etwas, das er in der Hand halten könne, würde Kai irgendwie helfen, wies er auf seine Teetasse und meinte: „Nehmen Sie. Ich habe noch nicht getrunken.“ „Danke.“ Kai klammerte, suchte die Wärme des Porzellans. Hitoshi wartete noch etwas, bevor er fragte: "Möchten Sie mir erzählen, wie es war?“ –„In der normalen Erzählweise oder nach Tarantino-Art?“, gab sein Gegenüber zurück. „Es war nämlich irgendwie so, wie in diesen Filmen von Tarantino. Vielleicht, weil ich keine Angst hatte. Ich habe mich nur erschrocken. Mögen Sie Tarantino-Filme? Mit Samuel L. Jackson. Hier...“ Er wedelte mit der Hand herum, als wolle er die Titel aus der Luft greifen, „Jackie Brown. Pulp Fiction. Haben Sie sie gesehen? Laufend wird geschossen und laufend sterben die Leute, am Ende ja meistens auch drei Viertel der Hauptakteure. Und Sam Jackson steht mitten im Massaker und brüllt ‚Wollt ihr meine Nigger sein?!‘, oder so ähnlich.“ „Und ich soll mir diesen Anschlag auf Sie so vorstellen? Hat man Sie denn gefragt, ob Sie der ‚Nigger‘ von jemandem sein wollen?“, fragte Hitoshi, um überhaupt etwas zu sagen, denn Hiwataris unzusammenhängendes Gerede erschien ihm mehr als kauzig. „Nein, um Gottes Willen.“ Tatsächlich lachte Kai kurz auf, fast so, wie es vor einiger Zeit auf dem Stadttourbus gewesen war. Vielleicht ein wenig ehrlicher. „Ich meine, ich habe mich gefühlt wie Sam Jackson. Ich hätte diese...Leute beinahe angebrüllt, als ich mit den Waffen in den Händen dastand, so etwas wie ‚Wollt ihr meine Weißbrote sein?!‘, die andere Bezeichnung wäre wahrscheinlich nicht zutreffend gewesen. Was ich sagen will, ist, dass ich mir selbst unheimlich war, als ich dort stand –ich hätte erschossen werden können– , aber ich konnte einfach nicht anders! Mein Körper hat von allein reagiert!“ „Sie meinen, Sie bringen sich selbst in Gefahr und können sich nicht gegen den Automatismus Ihres Körpers wehren“, fasste Hitoshi zusammen. Kai sah in erstaunt an. „Ja!“, sagte er, als täte sich ihm die Lösung eines Rätsels auf, „Genau so ist es!“ Daraufhin sah Hitoshi ihn wehleidig an. Ob sein Chef ein Trauma davongetragen hatte? Anders konnte er es sich nicht erklären, dass sein Gegenüber nach allem, was passiert war, sich ausgerechnet so benahm, wie er es tat. Aber vielleicht war das auch nur die Art, wie ein Kai Hiwatari mit einer solchen Situation umzugehen pflegte, eben weil ihm die Angst fehlte. „Es tut mir sehr leid, Hiwatari-san“, meinte er schließlich, „Aber ich weiß wirklich nicht, wie ich Ihnen helfen kann.“ „Hören Sie zu...“, murmelte Kai. „Hören Sie mir doch einfach zu... Tala meint, er würde einen Plan ausarbeiten, wie man mich vor weiteren Angriffen schützen könnte“, erzählte er nach einer kurzen, für den Sekretär etwas bedrückenden Pause weiter. „Ich hoffe nur, er weiß was er tut und denkt auch ein wenig an mich. Immerhin geht es hier nicht um seine oder Garlands Interessen.“ Hitoshi schnaubte zustimmend, und Kai hob leicht die Mundwinkel. Die Spannungen zwischen Tala und seinem Sekretär waren für ihn nicht unbemerkt geblieben, wie die beiden es vielleicht gehofft hatten. Tatsächlich wusste er, wie sehr Tala Kinomiya terrorisierte. „Ich verlasse mich auf Tala“, stellte Kai klar, „Ich muss es tun. Und nun lassen Sie uns über etwas anderes reden. Schließlich bin ich in Sicherheit, und jemand kümmert sich darum, dass ich es bleibe. Das ist das schöne an einem solchen Leben, wissen Sie: Das einzige, was man noch selbst tun muss ist aufs Klo gehen.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)