Private Paparazzo -Reloaded! von lady_j ================================================================================ Kapitel 5: Zu dritt ist man weniger zweisam ------------------------------------------- I don't know where I am, and I don't really care, I look myself in the eye, there's no one there. I fall upon the earth, I call upon the air, but all I get is the same old vacant stare. (Keane) Die große Veränderung in Kai Hiwataris Leben kündigte sich nach ihrem Beschluss durch viele kleinere Veränderungen in den Wochen davor an. Es zeigte sich in Tagesgewohnheiten, beispielsweise beim Frühstück: Jeder Mensch hat seine Lieblingsbrötchenhälfte. Einige mögen die untere (denn sie wird meistens dicker geschnitten), andere favorisieren die obere (weil sie knuspriger scheint). Kai hatte immer die obere gemocht; eigentlich behauptete er fest, dass es ihm egal wäre, welche Seite vom Brötchen er nun verspeiste, aber bei der oberen schien der Belag ihm immer besser zu schmecken. Vielleicht, weil die obere Hälfte nun einmal knuspriger ist. Oder, weil man sich so seine Lieblingsseite bis zum Schluss aufsparen kann (denn es wird ja meist die untere zuerst gegessen). Oder auch, weil die untere Hälfte an ob Konferenzen unmenschlich früh beginnenden Morgen für ihn aussah, wie eine Camembertschachtel oder gar ein Schiffsrumpf –und wer will schon gern eine Schachtel oder ein Schiff essen? Er mochte also die obere Hälfte. Zumindest bis zu dem Sonntagmorgen, nachdem er den Entschluss gefasst hatte, die Reise zur Insel seines Großvaters anzutreten und sein Leben zu verändern. Aus dem Radio war ein Gute-Laune-Lied gekommen, das ihm schon fast unheimlich gute Laune gemacht hatte, als er ganz unbewusst zur zweiten unteren Brötchenhälfte gegriffen hatte, anstatt zu einer der oberen. Ähnlich belief es sich auch mit dem Frühstücksei: Es gibt dabei so viele Kombinationsmöglichkeiten. Man kann es weich oder hart oder mittel gekocht essen. Man kann es köpfen, auf dem Tisch aufschlagen oder mit dem Löffel oder Messerrücken. Bis zu einem Donnerstag, eine Woche nach dem Brötchensonntag, mochte Kai es mittel gekocht und schlug es mit dem Löffel auf. In dem Moment, als er aber am Tisch saß, hatte er scheinbar all dies vergessen. Er wunderte sich nicht, und sprach auch danach nicht mit der Küche, warum er ein hartes Ei bekam. Er köpfte es einfach schwungvoll und aß es. „Kinomiya? Auf ein Wort.“ Es war Montag, und Hitoshi stand noch etwas verschlafen vor Hiwataris Tür, wie immer ausgerüstet mit einem Stapel Papier unter dem Arm. Als er hinter ihm Iwanovs Stimme vernahm, drehte er sich langsam um. Tala stand im Halbdunkel des Ganges und beäugte ihn nachdenklich; als er die gehobenen Augenbrauen des Sekretärs bemerkte, streckte er die Hand aus und winkte ihn mit dem Zeigefinger heran. „Also schön, verraten Sie mir, wie Sie das gemacht haben!“, forderte er, als nur noch drei Schritte zwischen ihnen lagen. „Was gemacht?“ „Sie kommen so gut klar mit Kai“ Er betonte den Namen wie zum Beweis, dass er ihrem Chef trotz allem näher stand als Hitoshi. „Wie machen Sie das? Ich meine, wenn wir jetzt so viel Zeit miteinander verbringen...weil wir drei die einzigen Menschen sind, die wir sehen werden...nun, ich dachte...es ist vielleicht nicht gut, wenn ich nicht begreife, wie Kai tickt, bevor wir auf die Insel gehen.“ „Soso, ich dachte immer, Sie beide kennen sich schon so lange?“, gab Hitoshi, der nicht umhin kam, seine offensichtliche Überlegenheit zu genießen, zurück. „Nun, ich mache eigentlich nicht viel...es ist das Zuhören, glaube ich. Kai Hiwatari ist besser zu verstehen, wenn man ihm zuhört, anstatt auf ihn einzureden.“ Daraufhin schwieg Iwanov sich aus. Womöglich hatten Hitoshis Worte Eindruck auf ihn gemacht, obwohl der Sekretär es nicht wirklich für möglich hielt, dass sein Gegenüber sich nicht schon mit dieser Möglichkeit auseinander gesetzt hatte. Nachdem sie sich, in ihre jeweiligen Gedanken verstrickt, eine Weile lang taxiert hatten, nickte Iwanov Hitoshi langsam zu, als ob er verstünde. Just in diesem Moment ließ das Knacken der sich öffnenden Tür ihren Blickkontakt abreißen. Kai trug ein grünes Hemd, das noch nie jemand an ihm gesehen hatte. Er warf noch einen letzten, kontrollierenden Blick über die Schulter, während er aus dem Zimmer trat, und so hatten seine beiden Untergebenen genügend Zeit, wieder den für sie typischen Abstand zueinander einzunehmen. Als Kai sich ihnen zuwandte, war alles wie immer, doch auf Talas Nasenwurzel war eine kritische Furche entstanden. „Das steht dir überhaupt nicht!“, meinte er mit Fingerzeig auf das Hemd. „Dir auch einen guten Morgen“, antwortete Kai schnippisch und nahm dem Sekretär danach die Papiere aus der Hand. Sie wechselten ein kurzes Lächeln, das auf Tala wie eine Strafe für seine Bemerkung wirkte. Er konnte nur ergeben mit den Augen rollen. Sie verbrachten den Vormittag als Zuhörer langer Vorträge über die gegenwärtige Situation auf dem Weltmarkt und die Position der Company im Gewirr des Welthandels. Um neun Uhr hörte Kai noch aufmerksam zu; um elf ließ er das hintere Ende seines Bleistifts unruhig auf der Tischplatte klacken; kurz vor dreizehn Uhr bemerkte er ein gleichmäßiges Atemgeräusch, das verriet, dass Kinomiya auf seinem Platz hinter ihm eingeschlafen war. Ein kurzer Blick zur Seite zeigte ihm dazu einen Tala, der in seinem Sitz versteinert schien –er schlief wohl mit offenen Augen. Kai beugte sich zu ihm. „Wie hat Garland dich eigentlich davon überzeugen können, mich doch ins Ausland zu bringen?“, flüsterte er. Angesprochener zuckte zusammen und blinzelte ein paar Mal, bevor er sich auf den Tisch stützte, um Kai ins Ohr raunen zu können: „Er hat gemeint, dass du im Ausland schwerer zu finden seist. Ich hatte nur daran gedacht, dass du die, wie soll ich es ausdrücken...die schützenden Mauern des Herrenhauses verlässt und die Firma nicht rechtzeitig an Ort und Stelle sein kann, wenn du zu weit von hier entfernt bist. Wenn wir dich aber verschwinden lassen, so ist das noch sicherer. Niemand kann den Ort zuvor mit was auch immer präparieren, weil einfach niemand weiß, dass du dort sein wirst! Wenn es keine Verbindung deiner Person mit dem Ort gibt, wer soll denn darauf kommen, dass du ihn je betreten wirst?“ „Aber Voltaire hat diese Insel gekauft. Ist das denn keine Verbindung?“, hakte Kai nach, denn dieses kleine Detektivspiel gefiel ihm inzwischen besser als der Vortrag. Tala hob wissend den Zeigefinger. „Ja, aber das war privat. Er hat das Geschäft hier im Haus abgewickelt, noch bevor es Zentrale wurde. Und der alte Butler, der Voltaires Partner umsorgt hat, ist seit langen Jahren tot.“ „Und der Partner?“ „Tot. Seine kleine Firma ist mit ihm untergegangen.“ „Mein Gott. Muss es mir gefallen, dass du mehr über die Geschäfte meines Großvaters weißt, als ich?“ „Fang nicht schon wieder damit an!“, stöhnte Tala. „Sag mir lieber, ob du noch etwas für die Reise brauchst, damit ich es in der Stadt besorgen lassen kann!“ Kai seufzte. Tala hatte nichts, aber auch gar nichts verstanden. „Wieso nehmen wir nicht einfach Kinomiya und gehen zu dritt in die Stadt...shoppen?!“ Daraufhin blickte sein Gegenüber ihn ungläubig an. Man konnte förmlich sehen, wie er fieberhaft überlegte, ob er etwas falsches gesagt hatte, dass es Kai diese Antwort entlockt hatte. Schließlich durfte sein Chef in dieser Situation nicht einmal auf die Idee kommen, das Haus vor ihrer Reise zu verlassen. Sein spöttisches Lächeln half Tala ebenso wenig; ganz im Gegenteil: Es machte ihn nur verwirrter, als er es schon war, denn ein Lächeln Kais hatte in letzter Zeit alles bedeuten können. „Shoppen?“ Schließlich hob Tala zweifelnd eine Augenbraue. „Shoppen“, wiederholte Kai gelassen. „Na schön; warum habe ich mich noch gleich hierzu überreden lassen?“, fragte Tala einige Stunden später mehr verzweifelt denn resigniert. Er, Kai und Kinomiya befanden sich im größten Einkaufszentrum der Stadt und somit auch im größten Gedränge aus Touristen und Einheimischen. Was hier alles passieren konnte, schoss es Tala durch den Kopf. Er versuchte seine Paranoia zu unterdrücken, rückte jedoch ein Stück näher zu Kai, der neugierig in ein Schaufenster spähte und die Situation scheinbar genoss. Den Sekretär hatte er vor ein paar Minuten losgeschickt, um Sonnencreme zu kaufen. Kinomiya war in der Menge verschwunden und bis jetzt nicht wieder aufgetaucht. Tala begann zu schwitzen. Er war so etwas nicht gewohnt, wenn er sich etwas kaufte, dann in kleinen Boutiquen, die ob ihrer Preise nur wenige Stammkunden hatten. Da war es nie so voll. Aber Kai hatte sich ja nicht dazu überreden lassen, in die nobleren Läden zu gehen. „Was siehst du dir da eigentlich an?“, fragte er schließlich gereizt. „Eine Kamera.“ „Aha.“ Er starrte weiterhin Löcher in die Luft und die vorbeigehenden Käufer. „Wolltest du nicht mal Fotograf werden?“ Kai sah ihn aus seiner vorgebeugten Haltung heraus von unten an. Tala stutzte. „Ja...“, antwortete er zögerlich. Wieder schwiegen sie sich an, und Tala kam es trotz des Stimmengewirrs um sie herum sehr still vor. Er spürte, dass Kai noch etwas sagen wollte, ahnte förmlich auch, was es war. Aber er würde sich nicht dazu hinreißen lassen, als erster zu sprechen. Die Sache gehörte schließlich der Vergangenheit an. Tala Iwanov war kein Mensch, der in der Vergangenheit schwelgte. Neben ihm richtete Kai sich seufzend auf, so dass er einen Blick ins Schaufenster auf die Kamera erhaschen konnte. Das war ein wirklich gutes Gerät, da hatte Kai schon Recht. Und gar nicht mal so teuer... „Da kommt Kinomiya.“ Tala riss sich los und sah über die Schulter. Der Sekretär drängte sich durch die Menge auf sie zu und blieb schließlich keuchend vor ihnen stehen. „Das ist nicht mehr normal!“, stöhnte er, „Wenn Sie nichts dagegen haben, würde ich gern so schnell wie möglich hier raus!“ Natürlich hatte Tala gehofft, dass sie aus dem Shoppingcenter herausgehen und sofort zum Herrenhaus zurückkehren würden. Dementsprechend mürrisch blickte er drein, als er sich in einem Kaffeehaus drei Straßen weiter wiederfand, vor sich einen Irish Coffee. Kai und der Sekretär fühlten sich hingegen richtig wohl; der eine blätterte interessiert in einer Zeitung und der andere löffelte genüsslich den mit Kakaopulver bestäubten Schaum von seinem Milchkaffee. Gereizt rührte Tala in seiner Tasse. Ein unangenehmes Geräusch von Metall, das an Porzellan schabt, erfüllte die Stille. Schließlich sah Kai auf. „Jetzt entspann` dich doch mal!“ Tala ließ den Löffel klirrend auf die Untertasse fallen und verschränkte die Arme. „Du weißt ganz genau, dass ich es nicht mag, wenn du so...ungeschützt in der Öffentlichkeit bist“, sagte er. „Es wurde vor kurzem ein Anschlag auf dich verübt, Herrgott! Und du sitzt hier und schlürfst Kaffee, als wäre nichts passiert!“ „Das lenkt mich ab. Wenn ich im Herrenhaus versauere steckst du mich noch mit deiner Paranoia an!“ Fahrig knickte er die Zeitung zur Hälfte um und legte sie neben sich auf den Tisch. „Wir sind doch bald weg von hier.“ Der Unterton in seiner Stimme ließ erahnen, dass er schwer um seine Fassung gerungen hatte. Reuig biss Tala auf seine Unterlippe. Er wollte Kai nicht verärgern, aber er konnte nicht aus seiner Haut. Kinomiya blickte beunruhigt zwischen ihnen hin und her. „Nun streiten Sie sich nicht“, sagte er leise, als wäre dieser Satz eine Präventivmaßnahme. „Ich dachte, dieser Nachmittag sollte dazu dienen, dass wir uns aneinander gewöhnen.“ „Clever durchschaut“, meinte Tala mit einem bösen Grinsen, ohne den Blick von Kai zu wenden. „Dann ist also nicht nur mir aufgefallen, dass außer der Sonnencreme heute nichts gekauft worden ist. Ich dachte, wir wollten shoppen gehen, hm, Kai?!“ Angesprochener hob die Hände. „Na schön, ihr habt mich durchschaut. Und du gehst nicht mal an die Decke, Tala, jetzt, wo du weißt, dass du ganz umsonst zugelassen hast, dass ich mich in Gefahr bringe.“ „Du weißt ja gar nicht, wie gerne ich dir in Wirklichkeit die Zähne ausschlagen würde...“ Kinomiyas Lachen, das auf diese Bemerkung folgte, riss die Stimmung jäh ins Lächerliche. „Oh, Sie sollten sich mal sehen!“, prustete er. „Oder...oder hören, das wäre noch besser!“ „Kinomiya, wenn Sie so weiter machen, werde ich mich nie an Sie gewöhnen!“, knurrte Tala, wobei er das letzte Wort besonders betonte. Darauf warf ihm Hitoshi einen Blick zu, der ihn an ihr kurzes Gespräch diesen Morgen erinnern sollte und es auch tat. Tala selbst hatte dort bemerkt, dass ein Verständnis zwischen ihnen notwendig war, wenn auch nur um Kais willen. Nun musste er die Suppe auslöffeln. Er verdrehte die Augen und lehnte sich mit verschränkten Armen zurück. Kai war der Szene mit verhaltener Neugierde gefolgt. Hatte er es tatsächlich geschafft, dass sich seine beiden Reisegefährten langsam annäherten? „Wisst ihr...“, setzte er leise an. Sofort wandten sich Tala und Hitoshi ihm zu. „Vielleicht sollten wir endgültig zum „Du“ übergehen.“ Tala runzelte die Stirn; er begriff im ersten Moment nicht den Sinn dieser Aussage, bis ihm einfiel, dass Kinomiya ihn und Kai noch immer siezte. Auf dem Gesicht des Sekretärs hingegen machte die erste erstaunte Miene einem, wenn auch leicht ungläubigen, Lächeln Platz. „Das wäre...ausgezeichnet!“, stammelte er. Gespielt feierlich reichte Kai ihm über den Tisch hinweg die Hand. „Freut mich. Ich bin Kai.“ Und schüttelte die seine. Dann ließ er so los, dass Hitoshis Hand über seiner Tasse schwebte und in Talas Richtung zeigte. Dieser sah pikiert darauf, bis Kai ihn leicht anstubste. Grinsend beobachtete er, wie die beiden sich die Hand gaben. Sie berührten sich nicht länger als nötig, und sobald Hitoshi ihn losgelassen hatte, griff Tala nach seiner Tasse und stürzte den Rest Kaffee in einem Zug hinunter. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)