Holz und Elfenbein von Tatheya ================================================================================ Kapitel 3: ----------- Kapitel 3 Nach zwei Wochen an seiner neuen Hochschule saß Alexis in dem großen Konzertsaal des Konservatoriums. Der Raum hatte einfach das gewisse Etwas und war nicht bloß eine Ansammlung von Holz und Metall. Unnötig zu erwähnen die Akustik ebenfalls außerordentlich gut war. Kein Wunder also, das hier fast jede Woche Aufführungen stattfanden. Er war zu früh gekommen und wartete auf die übrigen Kursteilnehmer und den Professor. Jetzt stand eine andere Gruppe Schüler um das Instrument herum versammelt. Es waren noch Anfänger, kleine Jungen und Mädchen, die ihre Ausbildung an der Orgel gerade begonnen hatten. Der Lehrer erklärte ihnen den Grundaufbau einer Orgel: „Falls es inzwischen noch jemand nicht wissen sollte: Auf den Manualen spielt man mit den Händen, das Pedal ist für die Füße.“ „Und wie hält man sich dann fest?“, wollte ein Schüler mit ungläubigem Ton in der Stimme wissen. „Rutscht man dann nicht vom Sitz während man spielt?“ Der Lehrer lachte und auch Alexis schmunzelte. Nur zu gut erinnerte ihn dies an seine eigenen ersten Spielversuche an der Orgel. Es schien ihm als ob das schon vor einer Ewigkeit gewesen war. Damals hatte er sich kaum aufrecht halten können, hatte immer Angst gehabt er würde von der Orgelbank rutschen, sobald er anfing mit den Füßen das Pedal zu spielen. Der Junge hatte schon Recht. In der Tat konnte man sich nirgends festhalten, wenn man mit den Händen und Füßen gleichzeitig spielte und es dauerte eine gewisse Zeit bis man sein Gleichgewicht gefunden hat und noch länger bis die Bewegungen ein gewisses Maß an Eleganz besaßen. Andere würden dies für unnötig erachten, da in der Regel der Organist den Blicken der Leute verborgen war. Alexis jedoch hielt es für sehr wichtig, es gab nichts Schlimmeres als einen Organisten, der breitbeinig an einer Orgel saß und auf die Pedal eintrat als ob er einen Käfer zertreten wollte. Das Geräusch von eiligen Schritten auf dem Parkett ließ ihn aufsehen. Soeben hatte eine Frau den Saal betreten und sie winkte ihm zu als sie ihn dort sitzen sah. Valerie stammte ebenfalls aus England und bereits letzte Woche hatten sie Abends zusammen gegessen. Sie kannten sich seit einigen Jahren und waren gute Freunde geworden, seit sie zusammen eine Konzertreihe in England gespielt hatten. Sie hatte sich damals mehr erhofft und er war gezwungen gewesen ihr zu erklären, dass er schwul sei und sie sich keine Hoffnungen machen sollte. Zum Glück hatten sie diesen peinlichen Moment beide gut überwunden und waren Freunde geblieben. „Endlich kommt frischer Wind in den Kurs. Es gibt da ein paar Leute, denen muss dringend jemand zeigen, wie man richtig Orgel spielt.“ Sie machte eine abfällige Handbewegung als sie neben ihm Platz genommen hatte. „Tsk, und wenn ich darauf keine Lust habe?“ „Ach komm schon. Hast du etwa deinen Biss verloren? Das kannst du mir nicht weißmachen! Außerdem haben wir schon Wetten darüber abgeschlossen, ob du besser als Giles bist. Er ist bis jetzt der Star gewesen.“ Sie kannte ihn einfach zu gut. Er grinste, dies war eine Herausforderung ganz nach seinem Geschmack. „Wie sind die Quoten?“ Valerie lächelte: „Sie stehen gut für dich.“ Es war ein gutes Gefühl zu wissen, dass man ihm offenbar so viel zutraute. Alexis war stolz auf sein Können und er wusste, dass er gut war. Wahrscheinlich rührte sein enormes Selbstbewusstsein daher. Aber wer sich bei jedem Konzert oder CD-Einspielung in die Gunst der Kritiker begab, benötigte auch ein gutes Selbstbewusstsein. Langsam stießen die anderen Studenten zu ihnen. Die Stimmung war freundlich, aber auch angespannt. Schnell ergaben sich die ersten Gespräche und Hände wurden geschüttelt. Doch die Unterrichtsstunde über Barocke Orgelmusik, die nun folgte, sollte noch Vielen in Erinnerung bleiben. Fugen des alten, zeitlosen Meisters Bach waren für Alexis nichts Neues. Erstens gehörten sie zum Handwerkszeug jedes Organisten und zweitens liebte Alexis die Musik dieser Epoche. Diese Opulenz, Verschwendung und Leidenschaft, die diese gesamte Epoche ausgemacht hatte. Ein besonderes Stück Bachs‘ sollte heute analysiert werden und Giles schlug vor, dass Alexis es doch ihnen alle vortragen könnte. Sicherlich nicht ohne Hintergedanken, alle wollten sein Können testen und waren gespannt auf seinen Stil. Selbst Professor Stevens ließ die Studenten ihren kleinen Wettbewerb ausfechten und war wohl selbst nur allzu gespannt darauf Alexis spielen zu hören. Dieser musterte seinen härtesten Konkurrenten, wenn er denn Valeries Aussagen Glauben schenken wollte. Giles grinste ihm nur zu und zog eine Augenbraue nach oben. Nun, sie waren alle neugierig, das konnte Alexis verstehen. Er ging auf die Herausforderung ein. Die Noten, die man ihm zum Spielen vorlegte - es war die Fantasie und Fuge in g-moll von Bach - schob er auf die Seite. „Ich kann es auswendig.“, meinte er beiläufig. Ein Raunen ging durch die sieben Kommilitonen und selbst Professor Stevens schien überrascht. Die Fuge galt schließlich als eine der schwersten von Bach. Alexis sammelte sich einige Momente. Es war als ob er die Melodie des Stückes ganz klar hörte. Seine Finger zuckten schon als ob er die ersten Töne spielen würde, obwohl er die Tasten noch nicht berührt hatte. Wie stets, nahm er nicht mehr wahr, was um ihn herum geschah, wenn er spielte. Es gab für ihn nur noch das Instrument, über das er – und nur er allein - bestimmte. Alexis fand, dass dies etwas unheimlich Ehrliches war. Entstanden Fehler, dann war nur er selbst daran Schuld und niemand anders. Er war für den Erfolg und den Misserfolg verantwortlich. Im Gegensatz zu einem Orchester, wo es von den zahlreichen Musikern und ihrem Zusammenwirken abhängig war. Der letzte Akkord verklang im Raum und langsam holte ihn wieder die Realität ein. Ein leichtes Lächeln umspielte seine Lippen, als er den respektvollen Applaus hörte. Einem anderen wäre es vielleicht peinlich gewesen, doch Alexis wusste, dass er sehr gut gespielt hatte. Applaus war da schon angebracht. „Was soll ich Ihnen überhaupt noch beibringen, Mister Arrowfield?“, fragte Professor Stevens scherzhaft. „Du siehst ziemlich zufrieden mit dir aus.“ Valerie packte gerade ihre Unterlagen zusammen. Die übrigen Kommilitonen waren bereits gegangen und sie waren alleine im Saal. „Mhm, ja. Definitv.“ Alexis streckte sich und grinste. „Aber jetzt habe ich Hunger. Gehen wir essen?“ „Gute Idee.“, nickte sie und gemeinsam machten sie sich auf den Weg zur Mensa. Einem spontanen Impuls folgend fragte er sie: „Hast du eigentlich Federico Batist in den letzten Tagen gesehen?“ Eigentlich war Alexis froh darum, dass der junge Pianist sich wohl zur Zeit nicht am Konservatorium aufhielt. Es verhinderte, dass er sich zu viele Gedanken darüber machte, was genau er gegenüber dem Studenten empfand. Sie schien indes über diese Frage nicht im Geringsten verwundert zu sein. „Ich glaube, er ist in den USA.“ Alexis entfuhr ein fragendes Geräusch und sie zuckte nur mit den Achseln. „Ja, er ist sehr beschäftigt.“ Sie warf einen Blick auf den Speiseplan der Mensa, der neben der Eingangtür angebracht war. „Magst du Linsensuppe, Alex?“ „Nein, nicht im Geringsten.“ „Das dachte ich mir.“ Sie zog sich ihre Jacke an, die sie bis jetzt über dem Arm getragen hatte. „Komm, ich zeig dir ein nettes, kleines Bistro gleich um die Ecke. Da essen wir häufiger und die Preise sind recht studentenfreundlich.“ „Hört sich gut an.“ „Besser als Linsen ist es allemal.“, stimmte sie zu. Sie redeten über Belanglosigkeiten während sie den Campus verließen. Gelegenheit genug für Alexis sich den kurzen Luxus zu erlauben, seine Gedanken schweifen zu lassen. Er wusste nicht genau, was es war, das ihm an Federico so ins Auge gesprungen war und warum er damals im Büro für ein paar Sekunden das Atmen vergessen hatte. Was ihn am meisten daran ärgerte, das er überhaupt so auf Federico regiert hatte. Wie ein unschuldiger, unerfahrener Schuljunge! Als ob er dafür nicht schon längst zu alt wäre. Mit sechzehn hatte er begonnen sich mit seiner Homosexualität auseinander zu setzen und in den letzten zehn Jahren hatte er so einige Erfahrungen gesammelt. Gute und schlechte, doch nichts hatte ihn auf so etwas vorbereitet. Alexis musste sich fragen, ob er es überhaupt wagen sollte. Nein, er ging schon wieder zu weit. Er sollte Federico erst einmal etwas Besser kennen lernen. Womöglich fand er den Pianisten bei der zweiten und dritten Begegnung schon nicht mehr so faszinierend und anziehend. Er hielt Valerie die Tür zum Bistro offen und ließ ihr den Vortritt. „Ah, sie mal da.“, raunte sie leise und zeigte auf einen Tisch in der Ecke des Raumes. Alexis war jemand, der durchaus an göttliche Fügung glaubte und so war er versucht es als solche zu deuten als dort niemand anderes als Federico Batist saß. Er war in Begleitung eines anderen jungen Mannes und bevor Alexis zu Valerie etwas sagen konnte, steuerte sie bereits auf den Tisch zu. „Salut, Claude.“ „Ah Val.“ Federicos Begleiter erhob sich und tauschte mit ihr zwei Küsschen auf der Wange. „Danke für das Rezept, meine Mutter war begeistert.“ „Das sagte ich dir doch!“, sie tat entrüstet, so als ob sie nie daran gezweifelt hatte. „Habt ihr etwas dagegen, wenn wir uns zu euch setzen?“ Federico gähnte, das dritte Mal in einer Minute, und versuchte sich dabei nicht den Kiefer auszurenken. Er beteiligte sich kaum an dem Geplauder der drei anderen, er fühlte sich einfach viel zu gerädert. Aber kein Wunder, es war nicht nur der Jetlag. Die Tage, die er in den USA verbracht hatte, waren schließlich auch kein Urlaub für ihn gewesen. Nicht nur einen Meisterkurs hatte er belegt, sondern auch ein Konzert an der Juilliard School in New York gegeben. Sein Flug zurück war nur zwei Stunden nach Konzertende gegangen und vielleicht würde Federico morgen online nach den Kritiken in der Times suchen. Ja, das würde er als erstes erledigen, sobald er genug Schlaf bekommen hatte. Dann musste er sich um die ganze Wäsche kümmern und in drei Wochen, so erinnerte er sich dumpf, war ein Konzert in Paris. Aber immer alles Schritt für Schritt, beruhigte er sich. Er hatte gehofft das ausgiebige, späte Frühstück hätte seine Lebensgeister wieder etwas geweckt. Allerdings fühlte er sich jetzt noch träger. Erneut gähnte er. „Trinkst du das noch?“, fragte er Claude und deutete auf dessen Glas Prosecco, den es als Beigabe zum Frühstücksmenü gegeben hatte. Claude zog eine Schulter nach oben. „Nimm es wenn du willst.“ Er stürzte es in einem Zug hinunter und nibbelte an dem letzten Schokoladenmuffin, den er sich bis jetzt aufgehoben hatte. Verstohlen beobachtete er, wie Alexis damit begann das mehrstöckiges Sandwich auf seinem Teller mit Messer und Gabel zu bearbeiten. Warum so umständlich? Federico fand es irgendwie amüsant. Warum nahm Alexis das Sandwich nicht einfach in die Hand und biss davon ab? Das ging doch auch schneller. Aber Federico war auch aufgefallen, wie Alexis Valerie den Stuhl zurecht gerückt und ihr die Tür aufgehalten hatte. Wahrscheinlich war Alexis einfach an gute Umgangsformen gewöhnt oder hatte eine außerordentlich gute Kinderstube genossen. Valerie betrachtete Federico kopfschüttelnd als dieser erneut gähnte. „Wieso legst du dich nicht einfach schlafen?“ „Nein, du weißt doch, den Jetlag bekämpft man am besten, indem man sich an den Tagesrhythmus anpasst. Das heißt ich muss nur noch...“ Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. Das Ziffernblatt zeigte 6.30 Uhr und verdutzt schüttelt er den Kopf. Er hatte vergessen die Uhr wieder auf Ortszeit zu stellen. „Wie viel Uhr ist es jetzt?“ Er hatte schon immer Probleme damit gehabt sich die Zeitverschiebungen zu merken. Musste man nun die Uhr vor oder zurück stellen, wenn man Osten flog? Und um wie viele Stunden? „Ganz genau ist es 12.33 Uhr.“ Alexis saß neben ihm und schob den Hemdsärmel zurück, um es ihm zu zeigen. Valerie griff quer über den Tisch nach Alexis‘ Handgelenk. „Rolex?“, fragte sie. „Omega.“ „Wunderschön.“ Es klang durch und durch ironisch. „Es ist wirklich eine Omega.“, verteidigte sich Alexis, dann öffnete er den Verschluss der Uhr und zeigte sie Valerie. Claude lachte und Federico warf ihm einen schrägen Blick zu. Was war denn daran so lustig? Hatte er einen Insiderwitz verpasst? „Nun, ich werde einen Blick darauf haben und nicht auf deinen perfekten wohl geformten Hintern.“ Federico vergaß an dem Rädchen seiner Uhr zu drehen. Was hatte Claude da gerade von sich gegeben? „Ach? Ist er dir aufgefallen.“, erwiderte Alexis und nun lachten alle drei herzhaft los. Federico verstand den Witz nicht. Er fand es nur peinlich, das Claude hier versuchte Alexis anzubaggern. Wie sonst war es denn sonst zu verstehen, wenn ein Schwuler Komplimente über den Hintern eines anderen machte? „Du hast Casino Royal nicht gesehen, was?“, erbarmte sich Alexis endlich Federico aufzuklären. „Die Szene im Zug bevor sie in Montenegro ankommen.“ „James Bond?“ Federico konzentrierte sich wieder auf seine Uhr. Keine Omega, keine Rolex eine markenlose Billiguhr, die er einmal in einem Duty Free Shop gekauft hatte. „Nein, das ist nicht so ganz meine Richtung.“, murmelte er. Gerne wäre er noch länger im Bistro geblieben, aber Claude, Alexis und Valerie mussten zurück zu ihren Vorlesungen. „Gehst du heute ins Training?“, wollte Claude wissen als sie nach draußen traten. „Sehe ich so aus als ob ich heute Abend noch Sport treiben würde.“, gab er trocken zurück. „Na ja, ich dachte...“ „Warum gehst du nicht alleine hin? Du kennst die Leute doch.“ „Nein, alleine ist blöd.“ Claude stopfte die Hände in die Taschen seiner Jacke. „Warum schaust du auch immer nur zu, du könntest es ruhig selbst einmal probieren.“ In der Tat drückte sich Claude immer nur auf den Zuschauerrängen der Halle herum und beobachtete die Sportler bei ihren Übungen und Gefechten. „Zu anstrengend.“ „Faule Socke.“, lachte Federico. „Sein Hintern ist wirklich perfekt wohl geformt.“, murmelte Claude und es war unschwer zu erraten, dass er Alexis meinte, der ein paar Meter vor ihnen zusammen mit Valerie die Straße entlang lief. „Gott, was... lass seinen Hintern in Ruhe! Perfekt geformt, ja, ja.“, Federico war nicht so diskret wie Claude und Alexis drehte sich zu ihnen um. Er starrte Federico verdutzt an und grinste dann. Federico indes schüttelte den Kopf und machte abwehrende Handbewegungen, doch die Situation war ihm so peinlich, das er genau spürte wie er rot wurde. „Oh Fedri.“, Claude kicherte und Alexis hatte Federico noch immer fixiert, bevor er Valerie antwortete, die sich nach seiner nächsten Vorlesung erkundigt hatte. Wie es der Zufall wollte belegten die beiden wohl den gleichen Kurs und so verabschiedeten sie sich von Claude und Federico. Doch es war nicht zu übersehen, das Alexis seine Augen von Federico gar nicht mehr abwenden wollte. „Was sollte das?“, stieß er Claude an als sie alleine waren, der fand gar nichts dabei und murmelte etwas davon, das Federico eindeutig lockerer werden musste und nicht alles so ernst sehen sollte. „Was denkt er jetzt von mir?“ „Kann dir doch egal sein.“ Nein, besser er brach keine Diskussion vom Zaun, was nach Claudes Ansicht ‚egal‘ war und was nicht. Federico rieb sich über die Stirn, er hatte das Gefühl das hartnäckige Kopfschmerzen im Anflug waren. Vielleicht legte er sich jetzt doch am besten in sein Bett und zog die Decke über den Kopf. Alexis dachte, das er schmutzige Witze über dessen Hintern machte. Oder noch ungeheuerlicher, dass ihn Alexis jetzt auch noch für schwul hielt. Peinlicher konnte es für ihn heute nicht mehr werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)