American Vampire von CurlyHair ================================================================================ Kapitel 13: Wer bin ich und wer bist du? ---------------------------------------- Ich stand vor dem riesigen Wandspiegel, mein Angesicht war ein trüber Fleck auf dem glänzenden Gegenstand, mein Spiegelbild war matt im Vergleich mit Athanasias neben mir. Ein kleines Wesen im riesigen Universum, ebenso unnütz wie ein einzelnes Sandkorn. Schweigend und ratlos stand ich vor unseren Ebenbildern. Ich betrachtete meines genau. Gerne hätte ich die Person gesehen, die Athanasia beschrieb, aber da war nur dieses unbedeutende Mädchen. Weder Anmut noch Schönheit war zu erkennen. Da war nur ich. Das Spiegelbild meiner Nachbarin zeigte mir, was ich nie sein würde, was ich nie haben würde. Eleganz, Schönheit, Perfektion. Es tat weh, diese Unterschiede so deutlich vor Augen zu haben. Ich schlug zu und der Spiegel zersplitterte unter meiner Faust. Meine Brust bebte, ich würgte Tränen hoch, die niemals zu sehen sein würden. Da war nichts in mir, dass meiner Wut und Trauer hätte Ausdruck verleihen können. Dieser Körper war tot, es war nicht der Körper, den ich kannte. Er war mir fremd, ich gehörte nicht zu ihm. Mein Leben war fort. "Tut... tut mir Leid. Ich glaube ich brauche etwas Zeit für mich", verkündete ich leise, "Macht euch keine Sorgen, ich komme wieder - denke ich." Mit dieses Worten verließ ich das große Anwesen und rannte in den Wald. Besinnungslos und frei. Du fragst dich stets wo komm ich her, Du fragst dich stets wo geh ich hin Du fragst dich stets wo bin ich. Du antwortest täglich und verstehst es nicht. Als ich diesen Klang vernahm blieb ich abrupt stehen. Ich schaute mich um, lauschte genau, aber scheiterte bei dem Versuch jemanden zu erkennen. Diese Stimme schien aus dem Nichts zu kommen, sie kam immer aus dem Nichts. Es war jene Stimme, die ich in Notre-Dame hörte, die Stimme die ich danach immer wieder einmal hörte, aber der ich nie einen Sprecher zuordnen konnte. "Wer ist da?", fragte ich in den Wald, wohl wissend , dass niemand antworten würde. Da war niemand, ich war völlig allein. Vermutlich wurde ich nur paranoid, nichts weiter. ...wo komm ich her... Das Echo der Stimme hallte in meinem Kopf. Ja, wo kam ich her? Ich komme aus Detroit, Michigan. Brachte mich diese Antwort weiter? Nein. ...wo geh ich hin... Wenn ich das wüsste, wäre ich jetzt nicht hier. Das brachte mich auch nicht weiter. ...wo bin ich... Sieht aus wie ein Wald. Er lag irgendwo in den Niederlanden. Half mir diese Information? Auch nicht! Du antwortest täglich und verstehst es nicht. Vollkommen korrekt. Was sollte ich daran auch verstehen, diese Informationen passten zusammen wie Feuer und Eis. Erschöpft ließ ich mich am Ufer eines kleinen Sees nieder. Es war keine körperliche Müdigkeit, sondern rein geistige. Nicht nur mein Körper war tot, mein Geist schien ihm folgen zu wollen. Ich hatte mir sterben immer leicht vorgestellt. Die Augen schließen und den letzten Atemzug tun. Leben war schwer und Sterben anscheinend auch. Eine Straße lag vor mir, nur einen winzigen Teil war ich bereits gegangen, denn dieser Weg war endlos, führte ins ungewisse Nichts. So sehr ich rannte und mich bemühte das Ende zu erreichen, es zumindest zu sehen, so sehr verzweifelte ich auch daran. Ewigkeit. Endlosigkeit. Da würde es nie einen Schluss geben, ich hatte nichts zu erwarten. Wofür lebt man denn noch, wenn man unsterblich ist? Ergibt 'Leben' dann überhaupt noch einen Sinn? Ich lebte nicht mehr, ich existierte nur. Mein Geist war für ewig an diesen Körper gebunden und mit ihm an diese Erde. Wozu gab es Vampire? Wozu gab es überhaupt 'Leben'? Die Erde wäre ein friedlicher Ort ohne uns. Vielleicht. Wer konnte das schon wissen? Ich betrachtete das blasse Gesicht, das sich im Wasser spiegelte. Es war verzerrt von den zarten Wellen, wenn der Wind das Wasser bewegte. Luft und Wasser wirkten zusammen, wirkten auch zusammen mit der Erde. Sie ließen alles wachsen und gedeihen. Nur das vierte Element, das Feuer, passte nicht hinein. Es zerstörte. Die Welt, die Menschen - sie gehören zusammen. Meine Art - wir waren das Feuer, gehörten nicht hier her. Das Gesicht im Wasser hatte goldbraune Augen, aber sie waren matt. Trüb geworden durch Trauer und Zweifel. Das Spiegelbild hätte als schön bezeichnet werden können, mit den rotblonden Haaren und den feinen Gesichtszügen. Aber der Blick war leer und trostlos. Von Kummer überzogen. Wann hatte sich dieser schwere Schleier über den Schimmer meiner Augen gezogen? Ich erinnerte mich an den Moment, als ich meine Augen zum ersten Mal golden sah. Vorher wäre ich beinahe verzweifelt, aber dann fasste ich Mut, fand diese Augen schön. Damals glaubte ich, dass ein Vampirleben nicht grässlich sein musste. Danach hatte ich Paula und die anderen getroffen. Ich war glücklich; glücklich bis Casimir zurückkam und mich von meinen Freunden trennte, von Glück und Geborgenheit. Hatten meine Augen schon in jenem Moment angefangen trüb zu werden? Darauf hatte ich nie geachtet. So hoffnungslos war mir meine Lage erschienen, allein in einem fremden Land, weit entfernt von der Heimat. Heimat. Zuhause. Ich spürte einen stechenden Schmerz in meiner Brust. Zum ersten Mal seit langer Zeit erkannte ich den Verlust. Das Monster in mir war nicht der wilde grausame Vampir, nein, das Monster war größer. Das Gefühl allein zu stehen, ohne Halt weit weg von den stützenden Wänden. Ich war kein grausamer Vampir, ich war ein verlorener. Diese Tatsache war beinahe noch schwerer zu ertragen. Verlust und Einsamkeit. Betrübt ging ich zurück. Athanasia erwartete mich sehnsüchtig, umarmte mich und hielt mich lange Zeit fest. Sie hätte sicher geweint, wäre es ihr möglich; aber auch sie war zu dieser Gefühlsregung nicht im Stande. Wir waren alle arme Seelen, die von der Zeit und vom Tod vergessen wurden. Obwohl wir hier waren, zusammen, war jeder von uns eine einsame verlorene Seele. Calogero hatte gesagt, dass jeder Vampir seine eigene Geschichte hat und dennoch ist es stets die gleiche. Er hatte Recht, wir alle haben verloren, wurden vergessen und hingen in der Unendlichkeit fest. Norwegen Ich blieb bei Athanasia und Fergus. Jahre zogen ins Land, die Menschen um uns herum alterten, die Gesellschaft veränderte sich. Die Zeit eines Umbruchs brachte Veränderungen mit sich. Nachdenkend stand ich auf einer Klippe, unter der sich ein großer Fjord entlang zog und schaute in den Nachthimmel. Wolkenfrei. Der Vollmond erleuchtete die Finsternis und in der Ferne hörte ich Athanasia im Haus Harfe spielen. Es war ein melancholisches Stück. Traurig erinnerte mich an Vergangenes. "Der Mensch ist nicht für Veränderungen gemacht, wir erst recht nicht", überrascht drehte ich mich zu Fergus um. Er lächelte. "Hängst du wieder deinem Selbst nach? Schwelgst in Erinnerungen?" Mit einem Nicken bejahte ich. "Unsere Gedankenwelt ist beeindruckend nicht wahr? Soviel Platz in einem Kopf, es ist fantastisch", meinte er, "Aber von Zeit und Zeit zeigt sich doch, dass es des Öfteren gut tut, Ruhe vorherrschen zu lassen. Erinnerungen sind für jene gemacht, die verzweifelt versuchen, die Vergangenheit an sich zu fesseln. Sind Wünsche und Hoffnungen nicht weitaus bedeutungsvoller?", fragte er. "Wünsche und Hoffnungen sind für jene die an ihrer Vergangenheit verzweifeln und sie nicht akzeptieren", entgegnete ich, was Fergus zum Lachen bracht. "Und wo lebst du dann?" "In der Gegenwart, weil es nicht gut ist nur seinen Wünschen nach zu leben." "Sprich nicht so etwas, denn erstens hängst du zu sehr im Alten fest, um das Jetzt zu genießen und zweitens ist ein Traum ein erstrebenswertes Ziel. Träumst du denn nicht?", fragte er und musterte mich neugierig. "Nein, ich wünsche mir nur endlichen Frieden, doch der Tod wäre eine zu himmlische Lösung. Vielleicht soll ich ja leiden für den Fehler den ich begangen habe", antwortete ich. "Du hast keinen Fehler begangen", behauptete Fergus. "Keinen von dem du weißt", ergänzte ich seufzend und schüttelte den Kopf. Er lachte wieder. "Und selbst wenn, ich bin sicher, deine Verwandlung hat nichts mit Justiz zu tun." "Ich habe schon einmal meine Wünsche über Dinge gestellt, die eigentlich bedeutender waren", erzählte ich, "Das Streben nach Träumen lies mich sehr tief fallen. Ich habe verloren, ich verliere immer, Fergus." Ich wollte mich umdrehen und gehen, einfach ein Stück gehen, um allein zu sein. Seine Hand hielt mich fest, zog mich in seine Arme und erst jetzt spürte ich das Beben, welches meinen Körper durchzog. Trockene Schluchzer würgte ich hervor, während Fergus beruhigend über meinen Kopf strich. So standen wir da. Zwei Vampire im Licht des Vollmondes und im Hintergrund spielte eine Harfe ein melancholisches Lied. Wir leben nicht für die Vergangenheit, leben nicht für die Erinnerung. Unser Leben besteht aus Taten, großen und kleinen, zwar nie vergessen sind die Alten, aber wichtig sind diese die wir gerade tun, denn sie berichtigen Fehler des Vergangenen. Ich blickte auf, schaute mich um. Es konnte nicht Fergus gewesen sein, die Stimme war tiefer gewesen, mit einem leichten französischen Akzent. Wer war nur dieser Verfolger, der mich heimsuchte? "Grace, alles in Ordnung? Du siehst aus als hättest du einen Geist erblickt", sprach Fergus mich an. "Können Vampire paranoid werden?", fragte ich. Diese Frage lag mir schon lange auf der Zunge, jetzt sprang sie hinaus und wollte die passende Antwort haben. Er wirkte verwirrt. "Ich weiß es nicht, ja vielleicht. doch warum fragst du? Geht es dir nicht gut?" Mit besorgter Miene musterte er mich. "Es geht mir gut", sagte ich schnell, "aber, aber ich höre ständig so eine Stimme und sobald ich nach jemandem Suche, ist niemand da. Ich werde verrückt!" Fergus lachte. "Du wirst nicht irrsinnig, sorge dich nicht. Was ist das für eine Stimme? Erkennst du sie wieder?" Ich schüttelte den Kopf und fand es auf einmal äußerst dumm von mir, das Thema angesprochen zu haben. "Was spricht diese Stimme denn?" "Naja, ich weiß oft nicht genau was sie meint. Es ist etwas rätselhaft. Jetzt eben sagte sie: 'Wir leben nicht für die Vergangenheit, leben nicht für die Erinnerung. Unser Leben besteht aus Taten, großen und kleinen, zwar nie vergessen sind die Alten, aber wichtig sind diese die wir gerade tun, denn sie berichtigen Fehler des Vergangenen.' Diese Aussagen sind verwirrend." Fergus dachte nach. "Athanasia meint dazu, dass dir vielleicht irgendjemand helfen möchte, dich selbst zu finden. Jemand begleitet deinen Weg ohne neben dir zu sein", sagte er dann. Ich hätte gleich darauf kommen können, dass er mit seiner Schwester sprach. Ihre Verbindung schien nicht trennbar zu sein. "Aber ich verstehe nicht, wie er das macht, nur ich höre diese Stimme, ihr nicht. Es ist auch keiner da, der spricht!", verzweifelte ich. Fergus lächelte mich beruhigend an. "Vermutlich ist es dein eigenes Unterbewusstsein, dass dir helfen möchte. Denn im Grunde kennst du die Antworten auf all deine Fragen. Du weißt wo die Antworten sind und wo du suchen musst." " 'Im Zweifelsfall sucht man dort, wo man schon gewesen ist' - hat mein Großvater immer gesagt", erzählte ich langsam. Fergus nickte sacht. "Ja eine sehr gute und alte Methode Dinge wieder zu finden." "Ich muss zurück, oder?", fragte ich seufzend und dachte an meine Heimat, an Amerika. Er nickte leicht. "Ja, sieht so aus, als hättest du dich dort verloren.." Wir schwiegen einige Augenblicke. Athanasia kam herbeigeeilt, ihr Haar flatterte durch die Luft, ihr Kleid raschelte. Sie nahm mich in den Arm, schweigend. Ihr Gesicht wirkte noch blasser im Mondlicht, ihre Haut war reinstes Weiß. Calogero sagte, dass Abschied und Wiedersehen ein endloser Kreislauf unseres Daseins wären. Das war wohl ein Vorteil der Ewigkeit, man hatte mehr Zeit Freundschaften mal ruhen zu lassen, mal zu pflegen. "Wir werden uns wieder sehen. Vielleicht nicht in den nächsten Jahren, vielleicht auch nicht in den nächsten Jahrzehnten, aber irgendwann ist der Moment da und wir dürfen uns gemeinsam freuen", sagte Fergus zum Abschied. Die McBeths kamen nicht mit nach Amerika, sie wollten zurück nach Aberdeen. Vermutlich war dies der beste Weg, denn diese Suche musste ich wohl alleine bestreiten. "Du fehlst mir bereits in diesem Moment", sprach Athanasia und nahm mich in den Arm, "aber du wirst stets in meinem Herzen sein und ich weiß, dass es dir gut gehen wird, eben weil ich es mir für dich wünsche. Alles Gute, ich hoffe du findest all die Antworten, die du begehrst." "Danke, ich danke euch beiden von ganzem Herzen." Keine Worte der Welt konnte bezeugen wie schwer dieser Abschied fiel. Ich hatte die ersten Vampire getroffen, die sich auf die Art ernährten wie ich, sie waren die ersten, die mich verstanden. Abschiede taten immer weh, auch wenn sie unausweichlich waren. Trennungen sind hart, denn man lässt nicht nur Freunde zurück, sondern man lässt einen Teil seines Herzens bei ihnen. Zögerlich stieg ich in das Flugzeug und begab mich an meinen Platz. Viele Menschen waren nicht an Bord und die wenigen Anwesenden machten mir nichts aus. Wir hoben ab und mit einem letzen Blick auf Europa, ließ ich wieder ein Stück meines Weges hinter mir zurück. Hosted by Animexx e.V. 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