Die Hexen von Asunquarth von Alaiya (Die Chroniken der Weltenwandler - Erdmagie) ================================================================================ Kapitel 4: Aussichtslose Kämpfe ------------------------------- Kapitel 04: Aussichtlose Kämpfe Die Nacht verstrich schlaflos für Yur, weshalb sie sich am nächsten Tag völlig erschöpft fühlte und sich erneut in den Wald zurückzog. Zumindest hier fand sie etwas Ruhe, um im Geäst eines Baumes zu dösen, doch fühlte sie sich noch beunruhigter, als am Tag bevor. Deshalb floh sie schließlich zurück in die Pyramide und zog sich dort in ihr Zimmer zurück. War es ihr schlechtes Gewissen gegenüber dem Meister, das sie nicht ruhig liegen ließ, oder die Ungewissheit, was nun des Weiteren mit ihr passiere würde? Vielleicht würde ihr Lehrer ja doch Gnade vor Recht ergehen lassen, wie er es so oft tat, und nichts tun, doch an ihrem Gewissen würde auch das nichts ändern. Ruhelos wanderten ihre Gedanken umher, brachten wieder Fragen über sich und den Fremden Echsenjungen, aber keine einzige Antwort. Nur weitere Hast in ihrem Innern, wie ein Knoten, der ihre Organe in Beschlag nahm und nicht mehr loslassen wollte. Sie wollte hier liegen bleiben und bis ans Ende der Zeit warten, und gleichzeitig wollte sie losrennen – in den Wald nach draußen! Ein Schrei wollte sie verlassen, wurde jedoch von ihrem Kissen erstickt. Was war nur mit ihr los? Ihr Meister hatte Recht: Sie hatte sich verändert, doch das ging nicht von ihr aus sondern war einfach geschehen. „Ich will fort“, murmelte sie in die Leinen hinein und rollte sich zusammen. Warum ging sie nicht einfach? So viele Gedanken ihr auch durch den Kopf schwirrten, fiel sie irgendwann in einen unruhigen Schlaf, angefüllt mit wirren, zusammenhangslosen Bildern, die zu schnell wieder verschwunden waren, um sich einen Reim darauf zu machen und als sie schließlich aufwachte, waren sie auch schnell vergessen. Dafür hatte sich ein neues Gefühl in ihr breit gemacht, wieder, ohne dass es dafür eine Erklärung gab: Angst. Etwas verwirrt richtete sie sich auf und sah sich in ihrem Zimmer um, ehe ihr Blick zur Tür wanderte und sie endlich die Geräusche, die sie schon die ganze Zeit hörte und die sie wahrscheinlich aus dem Schlaf gerissen hatte, einzuordnen begann. Es waren Schreie! Nicht nur eine Person schrie, nein, es war das panischer Geschrei einiger Tades, das über die Gänge halte und sie warnte, als sie nahe Schritte hörte. Intuitiv zog sie sich an der Wand hoch zur Decke, ehe im nächsten Moment ein Mann die Holztür aufstieß und hereinkam. So eine Kleidung, die er trug, hatte sie hier noch nie gesehen: Ein kurzer roter Umhang, flatterte um seinen Körper herum, während ein weißes, scheinbar am Stück gewebtes Hemd seinen Oberkörper bekleidete und die Beine in eine verzierte orange Hose gekleidet waren. Es schien so etwas, wie eine Uniform zu sein. Für Magier? Oder für Soldaten? Jedenfalls war der spitzohrige Mann – wahrscheinlich ein Dämon – ein Feuermagier, wie die kleine glühende Kugel in seiner Hand verriet, die zu einer Flamme anwuchs, als er sich nervös umsah. Er gehörte auf keinen Fall zum Kloster und fand sich einen Moment später halb im Boden liegend wieder, so dass nur noch der obere Teil seines Kopfes hervorsah, gerade genug, dass er sehen und Atmen konnte – aber nicht schreien. Ohne abzuwarten, was nun passieren würde, kletterte Yur die Wand entlang und aus der Tür hinaus, im Gang wieder an der Wand entlang, wo die meisten nicht sofort hinsahen. So war es im Gebäude doch unüblich zu fliegen, da die vielen Felsen die Winde schwächten. Die Schreie waren allgegenwärtig und Yur beobachtete einige der Männer und Frauen in den verschiedenfarbigen Uniformen, wie sie durch die Korridore liefen und jede Tür aufstießen. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihr breit, als ihr klar wurde, dass diese Leute schon einige Magier des Klosters getötet hatten. Sie waren hier um zu töten. Aber wieso? Und was waren das für Leute? Eine Frau in blauer Gewandung, die gerade unter ihr herlief, sah plötzlich auf, als sich im nächsten Moment Eis um die Finger des Mädchens breit machte und sie den Halt am Gestein verlor. Hart auf den Boden aufgeschlagen, schaffte sie es trotzdem, sich irgendwie wieder aufzurappeln und die dunkelhaarige Frau – scheinbar ein Mensch – mit wütendem Blick anzusehen. Derweil strichen ihre Finger über den Fels hinter ihr, in der Hoffnung dort eine Hilfe zu finden. „Wolltest du fliehen?“, fragte die Frau in der Sprache der Wandler. Yur sah sie nur mit zusammengekniffenen Augen an, während einige Wassertropfen in der Luft um die Hand der Frau zu hingen schienen und diese umspielten. Also war sie eine Wassermagierin und eine Weltenwandlerin? Zumindest mussten Wandler bei diesen Kriegern dabei sein, sonst hätten sie nicht herkommen können. „Und, was bist du?“, fragte die Wassermagierin weiter. Weiterhin antwortete das Mädchen nicht, als die Frau ihr ein kühles Lächeln schenkte. „Willst du mit uns kommen?“ „Was?“ Yur sah sie verwirrt an. „Jeder der uns begleitet wird leben“, versprach die Frau, als Yur aus den Augenwinkeln eine andere Bewegung wahrnahm. Es war Mur, der mit einem Schwert bewaffnet und halb mit Fell bewachsen auf die Frau zusprang, jedoch mitten im Sprung von einem Eispfeil, der sich aus den schwebenden Tropfen gebildet hatte, durchbohrt wurde. Im selben Moment zogen Arme aus Felsen die Frau an die Wand und dann in das Gestein hinein. Einen kurzen Blick war das Mädchen noch der Werratte zu, doch der langsam schmelzende Pfeil ragte mitten aus seiner Brust. Er war tot. Da kamen zwei andere Fremdlinge auf sie zu, beide in diese merkwürdigen Uniformen gekleidet, doch ehe sie verstanden was geschah, folgten auch sie der Magierin in die Wand. Yur konnte kaum glauben, was hier gerade geschah. Sie hatte diese Menschen wohl getötet, aber auch Mur, den sie eigentlich nicht mal leiden konnte, war tot und irgendwie versetzt ihr auch das einen Stich in der Brust. Was taten diese fremden Magier hier? Wieso töteten sie wahllos Tades und was hatten die Worte der Frau zu bedeuten? Mitkommen – sie begleiten? Wohin? Nun kletterte sie nicht weiter die Wände entlang, sondern lief am Boden, immer wieder steinige Dornen hinter sich aus dem Fels wachsen lassend, die eventuellen Verfolgern den Weg abschneiden würden. Auch wenn sie sich sicher war, dass einige dieser Fremden in der Pyramide waren und sie auf sie treffen würde, egal in welche Richtung sie lief. Doch das brachte sie zur nächsten Frage: Wo wollte sie überhaupt hin? Wenn die Angreifer hier überall waren, gab es keinen sicheren Platz! Also: Warum lief sie und vor allem: Warum lief sie nach unten in die Pyramide hinein, wo sie doch wahrscheinlich draußen im Dschungel am sichersten war. Während sie weiter rannte und zwei weitere Magier in der Wand verschwinden ließ versuchte sie nachzudenken. Es musste einen Grund geben und vor allem eine Rettung! Wo waren denn nur die Meister? Sie würden es sicher mit den Fremden aufnehmen können. Aber bisher hatte sie niemanden von ihnen gesehen, nur drei Tades war sie "begegnet" und die waren tot gewesen. Ermordet. Schließlich durchzuckte sie eine Erinnerung: Die Worte des einen Magiers, die sie belauscht hatte. Die Meister hatten in ihrem Streit, vom Rat gesprochen und sie war sich damals schon sicher gewesen, dass es sich dabei um den Rat der Weltenwandler handeln musste. Sie hatten gesagt, dass der Rat Kyssan wollte, weil dieser ein Seher war, selbst wenn das Mädchen bisher noch immer nicht verstanden hatte, was das heißen sollte. Aber es ergab Sinn: Sie waren wegen Kyssan hier und vielleicht auch, weil sich Tänon oder er sich für Verur – so wie der eine Magier gesagt hatte – gegen den Rat gestellt hatte. Vielleicht hing alles damit zusammen... Doch das erklärte noch immer nicht, warum sie keinen Meister fand. Dafür wusste sie jetzt, wo sie hinmusste: Die Zimmer der Reisenden, die seit langem nicht mehr gefüllt waren, wo momentan aber Kyssans Nachtlager war. Wenn sie den Jungen wollten, musste er von hier weg. Aber wie? Ihre Gedanken liefen ununterbrochen im Kreis. Was sollte sie nun genau machen? Beim Laufen rettete sie ständig ihre Intuition, die sie Magie anwenden ließ, noch bevor Yur den Gegner sah, und die sie die ganze Zeit in die richtige Richtung laufen ließ, bis sie im Korridor der Reisenden stand. „Kyssan!“, rief sie lauthals, auch wenn sie sich so verriet. „Kyssan?“ Sie sah sich um und weiter hinten im Flur die Leichen zweier Angreifer. Also hatte sich hier jemand verteidigt. Vielleicht ein Meister? „Kyssan?“, schrie sie erneut, als sie von hinten gepackt wurde und man sie in einen Raum zog, wo sie im nächsten Moment in das selbst erschrockene Gesicht Tänons blickte. Hinter ihm stand Kyssan, dessen Augen mal wieder zu sehr dünnen Schlitzen verengt waren, als er das Mädchen musterte. „Was machst du hier?“, waren die ersten Worte des Elfen, als er die Tür behutsam schloss. „Wie kommst du hierher?“ Ihr war klar, dass seine Worte eigentlich lauten sollten: Wie kann es sein, dass du noch lebst? Hast du dich ihnen angeschlossen? Aber das ignorierte sie. „Meister Tänon“, keuchte sie erleichtert und sah sich hektisch im Raum um. „Meister Tänon! Was geht hier vor? Was sind das für Leute?“ Beide sahen sich verwirrt an, ehe der Wassermeister aufatmete. „Wie kann es sein das du noch lebst, Tade Yur?“ „Ich bin von den Schreien erwacht, kurz bevor einer von ihnen in mein Zimmer kam...“ Langsam kroch die Verzweifelung von ihrem Herzen in ihre Kehle hinauf und ließ sie kurz und tränenlos aufschluchzen. „Ich habe ihn im Boden versinken lassen und einen anderen getötet. Nein, drei der anderen. Sie haben auch welche der anderen Tades getötet und… Ich wusste nicht was ich tun sollte.“ Etwas überfordert sah sie der Elf an, tätschelte ihr dann aber beruhigend den Arm. „Ist gut...“, murmelte er und zog sie weiter in das kleine Zimmer hinein, wo Kyssan sie stumm musterte. Tänon lauschte scheinbar, ehe er sich wieder ihr zuwandte. „Hör mir zu, Yur“, sprach er leise. „Es werden bald weitere von diesen Kriegern hier herunter kommen. Ich werde sie nicht ewig aufhalten können, verstehst du.“ Bemüht ruhig nickte sie. „Diese Fremden gehören zum Rat der Weltenwandler und ich habe sie hierher gelockt, als ich Kyssan vor seiner Familie gerettet habe“, erklärte er ihr weiter. „Vor seiner Familie?“, fragte die Erdmagierin verwirrt, doch der Elfenmeister gebot ihr zu schweigen. „Der Rat wollte ihn bereits vorher, weil er die Kräfte der Seher braucht und so konnten sie uns hier wohl auch finden“, fuhr er rasch fort. „Wir sind ihnen bisher egal gewesen, doch da wir gegen sie gehandelt haben – jedenfalls werten sie Kyssans Rettung so – haben sie uns zu ihren Feinden erklärt. Sie werden mit uns so verfahren, wie mit allen, die für sie als feindlich gelten: Entweder schließt man sich ihnen an oder man wird getötet.“ „Aber...“, begann sie, wurde aber erneut zum Schweigen gebracht. „Kyssan darf nicht nach Kore kommen“, erklärte der Elf. „Er muss von hier weg und zwar schnell.“ „Wie?“, keuchte sie verzweifelt. „In eine andere Welt“, fuhr der Elf fort. „Wieso ist er dann noch hier?“, fragte sie. „Ihr seid doch ein Wandler, Meister Tänon.“ „Das bin ich“, erwiderte er. „Doch es gibt Magie, die diese Fähigkeiten unterdrücken kann...“ Verwirrt sah Yur ihn an. „Was? Aber wie?“ Doch der Elf schüttelte den Kopf. „Du kennst die unterirdischen Gänge zu den Wachtürmen?“, fragte er sie. Stumm nickte sie. „Bring ihn dorthin“, befahl er ihr. „Einige der anderen Meister sind dort und haben auch einige der Tades in Sicherheit gebracht. Randem wartet auf Kyssan, er sollte dort draußen ein Tor öffnen können.“ „Aber wieso... Ihr könnt doch...“, setzte sie an, doch der Elf winkte den Sanbok nur zu ihr herüber. „Ich werde ihnen eine falsche Fährte legen. Sie können mir leichter folgen als dir, denn sie kennen meine Magie.“ Dieses Mal nickte sie weiter nur, ohne zu verstehen, was der Meister dort redete. Im nächsten Moment sammelte sich Wasser aus den Wänden um den Elfen herum, ehe sich neben ihm auf einmal eine Figur bildete, die kurz darauf die Gestalt Kyssans annahm. „Lauft!“, sagte er Elf nur und riss vor ihnen die Tür auf. Noch einmal sah das Mädchen ihn verwirrt an, doch dann griff sie Kyssan bei den Fingern, wogegen er sich dieses Mal scheinbar nicht wehrte und rannte links aus dem kleinen Raum hinaus, weiter dem hier recht breiten Gang folgend. Ja, sie kannte die Wege zu den Wachtürmen, doch war sie sich nicht sicher, ob sie diese auf Anhieb finden würde. Auch war es ihr ein Rätsel, warum der Meister von hier aus kein Portal öffnen konnte? Und wieso konnten sie nicht einfach das Dauerportal in der Pyramide verwenden? Aber im nächsten Moment wurde ihr es klar: Man würde vermuten, dass sie durch das Portal flohen und ihnen so einfach folgen können. Jedenfalls ahnte sie das, auch wenn sie von diesen Schnitten zwischen den Welten nicht sonderlich viel verstand. Ein letztes Mal sah sie zu dem Elfen, der mit Kyssans Ebenbild in die andere Richtung lief. Sie verstand seinen Plan doch war sich nicht sicher, ob er aufgehen würde. Zumindest würde sie ihr bestes geben, um dazu beizutragen. Ihr Blick wandte sich ihrem Gefährten zu, der scheinbar immer noch nicht mit ihr sprechen wollte und stattdessen einfach neben ihr her trottete. So beschleunigte sie einfach ihren Schritt und rannte die Gänge entlang, die weiter nach unten führten, dorthin, von wo aus sie nach außen kommen würde. Nach einer Weile riss der Echsenjunge sich ohne ein Wort von ihr los und begann auf allen vieren in einer Art springendem Lauf neben ihr her zu rennen, so dass sie noch schneller als zuvor vorankamen. Es war ein Glück, dass sie beide schnell laufen konnten, wie sie sehr bald feststellen, als Zungen aus Wasser und Feuer hinter ihnen herauftauchten und sie zu ergreifen versuchten, so dass auch Yur, die sich im Laufen nicht wirklich auf ihre Magie konzentrieren konnte, kaum wehren konnte, doch schließlich gelang ihnen die beiden Angreifer abzuhängen, indem sie eine weitere Wand erschuf, die sie eine Weile aufhalten würde, auch wenn die Erdmagierin wusste, dass es den Wassermagiern wohl möglich wäre, diese zu durchbrechen. Es verschaffte ihnen zumindest einen Vorsprung. Schließlich kamen sie in die große Halle der Wächter, die vor dem Raum des Portals gelegen war, doch die Tür, die zum Portal führte, war verschwunden. Stattdessen lag vor der braunen, etwas gelblich schimmernden Wand, ein weiterer Leichnam, den das Mädchen als den Jiranus erkannte. Er hatte die Tür wahrscheinlich verschwinden lassen. „Wo geht es lang?“, fragte Kyssan neben ihr, während sein Blick zwischen den drei Tunneln, die von ihr fortführten, hin und her wanderte. Auch Yur war nicht sicher, wo nun Randem auf sie wartete. Davon hatte der Elf nicht gesprochen und es gab insgesamt neun Wachtürme um die Pyramide herum. Alle waren gleichweit von dem Gebäude entfernt, also: Wo sollte der Luftmeister sein? Hektisch sah sie zwischen den Gängen hin und her, und schlug schließlich die Richtung des am weitesten links von ihnen gelegenen ein, als ihre Füße auf einmal in die Luft traten. „Was...“, keuchte sie, doch der Sanbok, der wie sie in der Luft schwebte, knurrte nur. „Ein Luftmagier“, murmelte er, auch wenn ihr das bereits klar war. Da trat einer der Fremden – sie kannte sie Rasse nicht, doch sein Körper war komplett mit dunklen Federn besetzt, wie der eines Vogels – aus der zweiten Treppe, die nach unten führte, hervor und sah sie aufmerksam an, sagte jedoch nichts, vielleicht unfähig zu sprechen. Verzweifelt dachte das Mädchen nach. Sie konnte die Erde nicht beherrschen, solange sie nicht auf ihr stand und die Winde, die ihr Angreifer kontrollierte, hielten sie in der Luft und sorgten dafür, dass sich Angst in ihrem Innern breit machte. Nein, das war kein besonders angenehmes Gefühl für sie. „Der Seher“, hauchte das Vogelwesen und legte den Kopf schief, wobei seine dunklen Augen merkwürdig aufblitzten. Es trug eine helle Robe, war sonst nicht bekleidet und hatte statt Beinen merkwürdige, mit Klauen besetzte Glieder. Auch so etwas hatte Yur noch nie gesehen. „Und ein Kind...“ Die Stimme dieses Wesens klang kratzig, als würden spitze Krallen über glattes Gestein fahren. „Lasst uns runter“, schrie sie, was dem Fremden nur ein merkwürdiges Lachen entlockte. Verdammt, durchfuhr es die Erdmagierin. Was sollte sie jetzt machen? Sie musste auf den Boden kommen, sofort, denn sie ahnte, dass der Fremde sie nicht am Leben lassen würde. Dafür war sie nicht wichtig genug. Kyssan entfernte sich, genau so machtlos wie sie, von ihr und schwebte nun fast über den Fremden, als sich plötzlich Ranken an diesem emporschlängelten und den Körper durchbohrten, ehe einen Moment später ein Schwall dunkelblauen Blutes auf den Boden platschte und das Wesen tot in den Pflanzen hängen blieb. „Meister Miras!“, rief das Mädchen, dass diese Magie zu gut kannte aus, als sie wankend auf dem Boden aufkam. Dieses Mal war sie zumindest nicht ganz gestürzt, obwohl sie die Winde von einem Augenblick auf den anderen losgelassen hatten. Glücklich darüber, dass ihr Meister scheinbar noch lebte und dasselbe auch für sie und den sich nun ebenfalls vorsichtig aufrichtenden Kyssan galt, sah sie sich um, als der Alte sich an einem der Felsen zeigte. „Wie habt ihr das gemacht?“, fragte sie darauf bezogen, dass sie ihn zuvor nicht gesehen hatte, doch er schüttelte nur den Kopf. „Geht, schnell“, keuchte er und hielt sich mit der linken Hand die rechte, nun armlose Schulter, während das Blut über seine Finger ran. „Was...“, begann Yur schockiert und sich plötzlich darüber im Klaren, dass der alte Mann sterben würde, wenn ihn nicht bald jemand heilte. „Was ist mit euch, Meister...?“ „Frag nicht“, erwiderte er. „Bring Kyssan von hier fort.“ „Aber Meister, ich kann doch nicht...“, setzte sie an, als der Meister aufschrie. „Doch, du kannst“, brüllte er sie an. „Du verstehst noch gar nichts von den Welten, also tu einfach, was man dir sagt. Meister Randem ist im südwestlichen Turm.“ Nun bildeten sich doch Tränen in ihren Augen und rannen über ihre Schuppen. „Ihr werdet sterben, Meister“, flüsterte sie, doch er sah sie nur mit seinen alten, traurigen Augen an. „Geh einfach“, hauchte er, als eine Ranke aus dem Boden trat und seine eigene Brust durchbohrte. Im nächsten Augenblick verlosch das Licht in seinen Augen und er sackte zu Boden. Geschockt schrie Yur unartikuliert auf, wollte zu dem alten Mann rennen, wurde aber von Kyssan festgehalten. „Lass mich!“, kreischte das Mädchen und wollte sich losreißen, doch die schwarzen Echsenaugen sahen sie ernst an. „Wir müssen hier weg“, zischelte er. „Sofort!“ „Aber…“, begann sie. „Du wirst nichts mehr für ihn tun können.“ Sie senkte den Blick und schluchzte. Zwar wusste sie, dass die Worte des Echsen die Wahrheit waren, doch konnte sie das einfach nicht einsehen. Dieser alte Mann hatte sie großgezogen und das letzte Mal, dass sie mit ihm geredet hatte, war sie nicht sonderlich freundlich zu ihm gewesen. Und jetzt war er tot?! „Wie kommen wir zum südwestlichen Turm?“, fragte Kyssan weiter und zerrte an ihrem Arm. Verzweifelt wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn immer wieder welche nachliefen. „Folge mir“, hauchte sie und lief langsamer als zuvor zum mittleren Gang vor ihnen, der gen Süden führte. Das Tunnelsystem unter der Pyramide war schier unendlich und wurde für jemanden, der sich nicht auskannte schnell zum Labyrinth. Yur, die selbst noch nie in den Wachtürmen gewesen war, hatte sich jedoch eine Zeit lang hier öfters herumgetrieben, weswegen sie zumindest wusste, in welche Richtung sie laufen musste. Immer wieder bemerkte sie, wie Kyssans Blick zur ihr herüberwanderte und sich dann wieder auf den Weg vor ihnen konzentrierte. Unbewusst hatte sie ihre Arme um den Körper geschlungen, als wollte sie sich selbst zusammenhalten. Das, was sie gesehen hatte, seitdem sie aufgewacht war, reichte eigentlich um sie für ein Leben zu verschrecken, doch jetzt musste sie weitergehen. Sie mussten schnellstmöglich zu Randem kommen, der zu den Meistern dämonischen Blutes gehörte. Aber was würden sie dann machen? Würde der Meister sie in die andere Welt begleiten und durfte sie überhaupt dorthin? Irgendwie musste sie sich von dem Bild des toten Miras ablenken. „Wie weit ist es noch?“, fragte Kyssan. „Nicht mehr sehr weit“, erwiderte sie, während ihre Geschwindigkeit mittlerweile normales Gehtempo war. Sie seufzte. Jetzt war keine Zeit zu trauern, auch wenn ihr Herz das nicht verstehen wollte. Da ließ sie ein Geräusch zusammenschrecken und sorgte dafür, dass sie sich hastig umsah. Sie konnte das Gefühl nicht erklären, aber etwas sagte ihr, dass ihr noch ein weiterer Magier war und zwar einer dieser Fremden. „Lauf schneller“, rief sie den Sanbok zu, woraufhin dieser wieder auf alle Viere ging und voran trabte. Auch sie beschleunigte ihren Schritt und rannte hinter dem Echsen her, als neben ihnen erneut Arme aus Wasser erschienen und kleine dünne Pfeile aus Eis an ihnen vorbei flogen, was ihnen verriet, dass es Wassermagier sein mussten, die sie verfolgten. Doch das brachte ihnen jetzt auch nichts, zumal der Tunnel zu breit war, als dass Yur, die ohnehin schon völlig erschöpft war, den Weg hätte versperren können. „Da lang“, befahl sie und zeigte auf einen kleinen Seitengang, in dem sie erneut steinige Dornen aus den Wänden wachsen ließ. Irgendwo hier musste die Treppe sein, die zur Oberfläche führte. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los und sie sah sich noch einmal genau um. Dieser Gang war im Gegensatz zum Inneren der Pyramide kaum von den phlourezierenden Adern durchzogen, was das Dämmerlicht fast undurchdringlich machte. Nun sah sie jedoch das dunkle Loch am Ende des Ganges, als ihnen ein Mann mittleren Alters, den Yur als den Menschenmeister Randem erkannte entgegengelaufen kam und, als er sie erreicht hatte, eine Druckwelle aus Luft in Richtung der Verfolger schickte Dankbar ergriff Yur seine Hand, als er sie die Treppe hochzog, während der Sanbok weiterhin auf allen vieren schneller als sie oben war. „Kannst du die Treppe versperren?“, fragte der dunkelhaarige Mann sie. Stumm nickte sie und ließ am Fuß der Treppe eine dünne Wand entstehen. Mehr brachte sie – müde wie sie war – nicht mehr zu Stande. „Was sollen wir jetzt machen?“ „Kommt mit“, erwiderte der Windmagier nur und ging in Richtung des Randes der Lichtung, auf dem der Wachturm stand. Dort erstreckte sich der düstere Dschungel, dessen tägliches Zwielicht nun in der Nacht zu einer undurchdringlichen Dunkelheit geworden war. „Der Wachturm…“, begann das Mädchen, doch ein Nicken des Meisters sagte ihr, dass sie einfach mitkommen sollte, wie es Kyssan bereits tat. Also folgte sie ihm – etwas anderes blieb ihr nicht übrig und ging in das Gestrüpp des Waldes hinein. Warum führte der Magier sie soweit in den Wald? Wieso konnte er nicht hier ein Tor öffnen? Doch als sie etwas hinter sich hörte, dass einer Explosion nicht unähnlich klang, wurde offensichtlich, warum er das tat: Auf der Lichtung waren sie ein leichtes Opfer für die Angreifer und vielleicht schon gefunden bevor das Tor offen war. Schließlich blieb der Wandler zwischen zwei hohen Büschen stehen, die selbst bei Wesen, die im dunklen zum Sehen fähig waren, Sichtschutz bieten würden, stehen. „Tretet ein Stück zurück“, meinte der Mann, woraufhin sie sich an den Baum hinter ihm zurückzogen. Dann streckte er die Hand vor seinen Körper und begann sich, zu konzentrieren. Ein leuchtender weißer Punkt erschien in der Luft, als der Baum an dem Yur und Kyssan standen auf einmal in Flammen aufging. „Meister!“, rief das Mädchen, doch der Mann schenkte ihr nur einen kurzen Blick, bevor er die Augen ganz schloss. Im nächsten Moment breitete sich der Punkt zu einer halbmannsgroßen Fläche aus, die einem Fenster ähnelte, konnte man durch sie hindurch etwas anderes sehen als den Wald, nämlich eine Wüste. „Geht!“, rief der Mann, als ein Feuermagier des Rates neben ihnen erschien und ebenfalls die Büsche in Flammen steckte. Kyssan sprang wie ihm gesagt wurde, durch das Loch, indessen Yur noch zwischen den beiden Männern hin und her sah. Sollte sie nicht eigentlich helfen? Doch Randem packte sie nur am Nacken und schubste sie durch das Fenster hindurch. Im nächsten Moment schlug sie auf heißem Sand auf und sah sich um. Aber vom Fenster war keine Spur mehr zu sehen… Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)