Die Hexen von Asunquarth von Alaiya (Die Chroniken der Weltenwandler - Erdmagie) ================================================================================ Kapitel 15: Vergangenheit ------------------------- Das erste Mal seit langer Zeit, genau genommen das erste Mal in ihrem Leben, wachte Yur in einem weichen Bett in einem kleinen Raum auf. „Dir geht es wieder besser“, stellte eine Stimme fest. Das Mädchen brauchte wie immer etwas, um sich zu ordnen, vor allem, da sie das erste Mal seit einer scheinbaren Ewigkeit ohne Schmerzen erwachte. Doch dann fiel ihr wieder ein, was in Tiath passiert war. Sie erinnerte sich wieder an die Rebellen. Vorsichtig, da sie nicht damit rechnete, dass es ihr möglich war, richtete sie sich auf, um sich genauer umzusehen. Der Raum war recht dunkel, da nur durch zwei Schlitze kurz unter der Decke Licht von draußen hineindrang. Jedoch reichte es, da der Raum tatsächlich für kaum mehr als das Bett, in dem sie lag, einen Nachttisch und einen Stuhl platz bot. Aber auf den Stuhl saß jemand - ein ihr unbekanntes Gesicht, was sie jedoch weniger wunderte. Sie musterte den Mann, der vor ihr saß. Ein Mensch, das war ihr sofort klar. Ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, dessen mittellanges Haar, wie auch sein kurzer Bart, von grauen Strähnen durchzogen war. Seine Wangenknochen standen hervor und unter den Augen und auf seiner Stirn, waren einige Falten zu erkennen, doch trotzdem sah er sie mit einem gewissen Wohlwollen in den grauen Augen an. „Wer seid Ihr?“, fragte sie vorsichtig. „Wo bin ich hier überhaupt?“ Der Mann seufzte. „Es freut mich, dass es dir besser zu gehen scheint.“ Er lächelte sie knapp an, da dies eine Mimik zu sein schien, die sein Gesicht selten zierte. „Du bist eine Kegarth, nicht?“ Sie nickte verwirrt, da er sie fragte anstatt ihre Fragen zu beantworten. „Ja, ich glaube schon.“ „Wie ist dein Name?“ Kurz zögerte sie. „Yur...“ Dann wiederholte sie ihre Frage von zuvor. „Und wer seid Ihr?“ „Mein Name ist Wakeil“, antwortete er. Erneut schwieg sie und befand für sich, dass der Name merkwürdig klang. „Und wo bin ich hier?“, erkundigte sie sich dann. Nun war es an ihm zu schweigen, ehe er ihr antwortete: „Diese Welt wird Hyujian genannt.“ Sie nickte nur erneut, da ihr auch dieser Name natürlich nichts sagte. Stattdessen entdeckte sie nun den Krug auf dem Nachttisch neben ihr und ein seltsames, durchsichtiges Gefäß, das neben diesem stand und wohl zum Trinken gedacht war. „Bist du durstig?“, fragte Wakeil, dem ihr Gesichtsausdruck nicht entgangen war und schüttete etwas Wasser in das Trinkgefäß, bevor er ihr es reichte. „Danke“, murmelte sie nur und trank ein paar Schlucke, da sich ihr Mund noch immer sehr trocken anfühlte. Langsam wurden jedoch ihre Gedanken nun klarer. Ihr fiel auf, dass ihre Arme verbunden waren und sie saubere Kleidung trug. Jemand hatte sie wohl gewaschen und ihre Wunden verarztet. Jedoch brauchte sie etwas, ehe ihr noch etwas anderes klar wurde: Der Mann neben ihr sprach mit ihr in der Sprache von Verur und nicht in der Sprache der Wandler, also wusste er wo sie herkam. „Was...“, murmelte sie und überlegte kurz, wie sie die Frage formulieren sollte ohne all zu neugierig zu klingen. „Ihr wisst, woher ich komme?“ Ihre Stimme war sehr leise, da sie die Frage sehr vorsichtig stellte. Der Mann, dessen Körperbau verriert, dass er wohl ein Krieger war, ließ ein Seufzen hören und musterte sie. „Man sagte mir, dass sie ein Kegarthmädchen in Tiath gefunden haben...“, erwiderte er. „Du hast im Schlaf gesprochen und das war die Sprache von Verur, die übrigens der Sprache dieser Welt nicht unähnlich ist.“ Für eine kurze Weile dachte sie über seine Worte nach, ehe sie schließlich nachhakte. „Aber was heißt das?“ „Du kommst aus der Pyramide in Verur, nicht?“, antwortete der Mann, woraufhin sie nur mit weiterem Nicken reagierte und vorsichtig wieder etwas trank. Anschließend herrschte Schweigen, denn auch Wakeil schien nachzudenken, während er sie ansah. Außerdem erschien ihr die Situation als zu merkwürdig, so dass sie nichts zu sagen wusste. Nur innerlich wunderte sie sich, woher dieser Mann sie wohl kannte. Wieso schien es ihm so viel zu sagen, dass sie die Sprache von Verur sprach? Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. „Ihr kennt mich, oder?“, fragte sie erneut. „Also woher? Was wisst ihr über mich?“ Sie konnte nicht vermeiden, dass erneut ihren Worten eine gewisse Verzweifelung zu entnehmen war, denn sie wusste noch immer nicht alles, was sie über sich wissen wollte. Und was sie wusste war nicht sicher. „Man kann es so sagen“, erwiderte der Mann. „Aber das ist eine lange Geschichte.“ Er seufzte und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht solltest du erst einmal etwas Essen. Es war zu müheselig dich wieder gesund zu bekommen, als dass du uns nun noch vor Hunger umkippst“, versuchte er zu scherzen und wollte aufstehen, doch sie griff nach seiner Hand. „Nein, ich will es wissen“, sagte sie. „Bitte, sagt es mir. Was wisst Ihr über mich?“ „Hat es keinen Zeit?“, meinte er, aber sie schüttelte heftig den Kopf. „Ich weiß nichts...“, murmelte sie. „Jedenfalls nicht viel.“ Die Aussicht, dass dieser ältere Mann ihr vielleicht sagen konnte, wer sie war, hatte im Moment sowohl den Hunger als auch ihre Sorgen aus ihrem Bewusstsein vertrieben. Stattdessen sah sie ihn flehend an, ehe er mit einem weiteren seufzen die Arme auf die Beine legte. „Es ist wirklich eine lange Geschichte“, murmelte er. „Vor allem, wenn du nichts weißt...“ „Bitte“, wiederholte sie und er nickte. „Nun, ich nehme an, Miras hat dich großgezogen.“ „Kanntet Ihr ihn?“, entfuhr es ihn. Er nickte. „Sei ruhig und hör zu. Du solltest geduldiger sein.“ Das erinnerte sie an die Worte ihres Meisters. Kannte Wakeil ihn also wirklich? Der Mann seufzte und begann erneut: „Nun, eigentlich ist die Geschichte nicht so lang. Ich...“ Er pausierte, denn die Worte schienen ihm nicht angenehm zu sein, wie sie an seinem Gesicht ablesen zu können glaubte. „Ich habe vor einiger Zeit - ich weiß nicht einmal wie lange es genau her ist, vielleicht zehn Jahre - noch führ den Rat gekämpft. Ich gehörte schon zu den Magiern des Rates, bevor sich die Zeiten änderten, aber auch danach war ich noch einige Zeit lang einer der Befehlshabende zwischen den Magiern dort.“ Sein Blick wanderte zu den Spalten unter der Decke und er strich sich über sein Kinn. „Aber wie viele sah ich, wie sinnloser die Dinge, die wir tun sollten wurden. Wir wurden immer öfter geschickt, um zu töten oder zu unterwerfen und meist taten wir es, aus Angst um unser Leben oder einige auch, weil ihnen eine andere Perspektive fehlte“, murmelte er und räusperte sich, schwieg dann aber erneut. „Aber was hat das mit mir zu tun?“, fragte sie. „Mehr als du glaubst.“ Er schenkte ihr erneut ein müde wirkendes Lächeln. „Kegarth beherrschen meistens Erd- oder Wassermagie“, fuhr er fort. „Weshalb dem Rat dran gelegen war, dass sich solche Echsenmenschen ihm anschlossen, denn... Du weißt sicher, dass es schon länger wenige Erdmagier gibt.“ Sie bestätigte mit einem Nicken und sah ihn gleichzeitig fragend an. „Es gab insgesamt damals noch vier größere Kegarthklans, die jeweils abgeschieden lebten. Unter ihnen auch der Klan von Asunquarth, der auch als Hexenklan bezeichnet wurde.“ Nun horchte Yur auf. Hatte Malan also recht gehabt? Im nächsten Moment spürte sie einen Stich in der Brust, denn mit dem Gedanken an die Heilerin kamen auch die Bilder von ihrem Tod zurück. Schnell verdrängte sie diese Gedanken, um dem Mann weiter zuhören zu können. „Aber wie die anderen Kegarth schlossen sie sich dem Rat nicht so einfach an und deshalb wurden wir schließlich nach Asunquarth geschickt...“ Wakeil verstummte und sah erneut auf die Spalte, durch die das Licht von draußen hereinfiel. „Ihr solltet sie töten?“, fragte Yur, die mittlerweile verstand worauf das ganze hinauslief. „Ja“, murmelte er. „Nein, wir haben sie getötet... Wir waren mehr Leute als sie und es war nicht all zu schwer sie zu töten.“ „Und ich...?“ Das Mädchen schenkte ihm erneut einen flehenden Blick, aber der Mann wich diesem aus. So herrschte erneut eine ganze Weile angespanntes Schweigen, dass drückend auf der Kegarth lastete, während sie versuchte im Gesicht des Mannes zu lesen. Schließlich fuhr er fort. „Du warst damals noch sehr jung und hattest dich wahrscheinlich im Wald versteckt. Vielleicht hatte dich auch jemand anderes versteckt. Ich weiß es nicht.“ Leise atmete er aus. „Als wir nach Überlebenden suchten fanden wir dich auf einer Lichtung und eigentlich hätten wir dich töten sollen...“ Er brach wieder ab und atmete erneut ein und aus. „Zumindest habe ich dich nach Verur gebracht und mich dadurch mit dem Rat angelegt, wenn man so will.“ Das Grinsen, was nun sein Gesicht zierte, wirkte falsch, ehe er kurz und scheinbar genervt aufstöhnte. „Warum erzähle ich dir das?“ Sie dachte nach. „Dann verdanke ich Euch mein Leben?“ Mit einer Handbewegung winkte er ab. „Du solltest etwas essen“, meinte er nur. „Aber...“, begann sie. „Kein Wort mehr“, antwortete er und stand auf. „Warte hier, unsere Heilerin wollte dich sehen, wenn du wieder auf bist“, meinte er dann und verließ fast fluchartig den Raum. Noch immer etwas verwirrt starrte Yur auf die geschlossene Tür und seufzte dann leise. Sie empfand diesen Mann als eigenartig, auch wenn sie ja eigentlich verstehen konnte, dass er nicht darüber reden wollte. Zumindest wusste sie jetzt mehr als vorher, insofern er die Wahrheit gesagt hatte. Es dauerte zumindest nicht lange, bis die Tür ohne vorheriges Klopfen aufschwang und eine Frau, ebenfalls ein Mensch, eintrat. Auch sie war nicht viel jünger als Wakeil, wie ihr Gesicht verriet, jedoch waren ihre Haare noch komplett hellbraun ohne eine Spur von Grau zu zeigen. „Dann scheint es dir soweit wieder gut zu gehen“, meinte sie ohne ein Wort der Begrüssung. Etwas überrascht nickte Yur nur, als sich die Frau auf den Schemel setzte und nach ihrer Hand griff. „Dann lass mich 'mal deine Wunden sehen“, forderte sie Yur auf, begann aber gleichzeitig schon den Verband abzuwickeln. An ihren Händen und Unterarmen, dort wo der Dämon sie verletzt hatte, waren kaum noch Schuppen zu sehen, auch wenn die Wunden bereits verheilt waren und sich eine dünne Haut darüber gebildet hatte. „Scheint soweit gut zu heilen“, meinte die Frau dann lächelnd. „Du brauchst einfach noch ein wenig Ruhe, etwas vernünftiges zu essen und dann wird es dir schon wieder besser gehen.“ Immer noch etwas verdattert sah Yur sie an und nickte bloß. „Ich denke du kannst aufstehen?“, erkundigte die Ältere sich nun. „Ja“, murmelte Yur. „Gut“, erwiderte die Heilerin. „Ich habe dir etwas zum Anziehen mitgebracht. Du solltest etwas Essen kommen.“ Damit holte sie aus der Tasche, die sie bereits die ganze Zeit um die Schultern trug, etwas Kleidung, ein Leinenhemd und eine lederne Hose, hervor. „Zieh dich um, ich werde vor dem Zimmer warten.“ „Ja“, antwortete die Kegarth erneut, woraufhin die Frau aufstand und aus dem Raum verschwand. Seufzend stand Yur auf und begann sich zu bekleiden. Dann war die Frau eine Heilerin - war sie auch eine Erdmagierin? Gedankenverloren entledigte das Mädchen sich des langen Hemdes, das sie im Moment trug, und zog sich die neuen Sachen, die um die Hüfte herum etwas zu breit für sie waren, an. Sie waren nach Tiath gekommen um einen Heiler zu finden... Da zuckte sie auf einmal zusammen. Wie konnte sie das vergessen? Hastig rannte sie zur Tür und riss diese auf, woraufhin sie fast in die Heilerin und auch in Wakeil, der scheinbar ebenfalls vor der Tür gewartet hatte, lief. „Was hast du?“, fragte die Heilerin überrascht, als Yur ihr einen verzweifelten Blick schenkte. „Ihr seid eine Heilerin!“, rief sie aus. „Ja...“, begann die Frau, doch das Mädchen griff nach ihrer Hand. „Ihr müsst mir helfen, bitte“, flehte sie. „Ein Freund... Kyssan. Er ist vielleicht schon tot!“ Verdattert sahen die beiden Erwachsenen sie an, ehe Wakeil sie fragte: „Wer ist Kyssan?“ „Ein Sanbok“, erklärte Yur. „Ein Seher... Er lag in Sterben als wir von Naszukam aufbrachen. Wir wollten Hilfe holen und dann war der Rat dort und... Vielleicht ist er schon gestorben und dann...“ Tränen stiegen ihr erneut in die Augen und hastig wischte sie sich diese mit der noch sehr empfindlichen Hand fort. Es war offensichtlich, dass die beiden etwas brauchten um ihre Worte zu verstehen, ehe es erneut der Mann war, der sich dazu äußerte. „Naszukam - wo ist das?“ „Es ist eine Flüchtlingsstadt“, erklärte die Heilerin. „Neru weiß mehr darüber. Ich denke er wird auch wissen, wie man dorthin kommt.“ „Bitte“, flehte Yur nur erneut. Sie wusste ja nicht einmal, wie lange sie geschlafen hatte. Und genau so wenig wusste sie, auf welcher Ebene diese Welt lag, daher konnte es sogar sein, dass in der unterirdischen Stadt bereits Tage vergangen waren. Und dann war er sicher tot und dann war wirklich alles, alles vergebens gewesen. Im Moment spürte sie ihren leeren Magen, den sie kurz vorher noch schmerzhaft bemerkt hatte, nicht mehr. Sie versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken. „Bitte, ich muss zu ihm... Es muss ihm jemand helfen...“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)