Die Hexen von Asunquarth von Alaiya (Die Chroniken der Weltenwandler - Erdmagie) ================================================================================ Prolog: Völkermord ------------------ Vorwort: Wie bereits in der Kurzbeschreibung steht, habe ich diese Geschichte für den NaNoWriMo geschrieben und werde sie hier nun überarbeitet wöchentlich hochladen. Die Geschichte spielt im Weltenwandleruniversum, dass ich bereits für ältere Geschichten und für RPGs benutzt habe. Um es simpel auszudrücken waren die Weltenwandler ursprünglich dazu da, das Gleichgewicht zwischen den verschiedenen Dimensionen zu wahren, aber jetzt... Das kommt ja schon im Prolog ;) Und noch was: Ich weiß, dass das System in einigen Punkten ziemlich an Star Wars erinnert. Faktum ist jedoch, dass ich von Star Wars nur den Titel kannte, als ich mir die ganzen Hintergründe des Multiversums erdachte. Worum es ging, was ein Jedi ist usw. wusste ich damals nicht ^^" (Die Hintergründe bestehen schon seit 2001 oder 2002...) Naja, genug des Vorwortes. Ich wünsche euch viel Spaß mit der Geschichte und freue mich über Feedback! :D ♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣♠♣ Prolog Ich kniff die Augen zusammen, um in der Dunkelheit besser sehen zu können. Ein Problem, das einige der mir folgenden Soldaten nicht hatten, waren sie doch Wesen der Dunkelheit, während ich, auch wenn ich ihr Anführer war, nur ein Mensch war, so dass mir die pechschwarze Nacht, die uns umgab, ebenso Probleme bereitete. Ebenso hatte ich auch der matschige Untergrund und das Gestrüpp, das uns immer wieder den Weg versperrte, zu kämpfen. Mir selbst war diese Mission zuwider, wie die meisten Sachen, die uns der Rat in den letzten zwei Jahren auftrug. Immer mehr Rassen und Clans mussten sich entweder seiner Machtgier hingeben und wurden ausgelöscht, während auch einige Welten langsam ihrem Untergang entgegen liefen. Das Chaos war ausgebrochen, schon vor vier Jahren, als der Schlüssel zur Zeit komplett erwachte und man erkannte, dass dies nie hätte geschehen sollen. Doch was wäre sonst gewesen? Sie wäre gestorben… „Abeth“, sprach mich einer der in eine mit Magie durchwebten halbledernen, halb aus Stoff bestehenden Rüstung an. „Wohin sollen wir gehen?“ Abeth war das Wort, was die Wandler für das verwendeten, dass bei den Menschen Offizier oder Anführer hieß. Meister, denn auch wenn ich ein Mensch war, war ich mächtiger als die meisten von ihnen. Sonst wären sie keine einfachen Soldaten. Die leicht glühenden Augen des Mannes verrieten mir, dass er zu den Gestaltwandlern gehörte und wahrscheinlich tatsächlich die Gestalt eines Nachttieres annehmen konnte. „Wir sollten das fest Land bald erreichen“, erwiderte ich nur. „Marschiert weiter vorwärts.“ Er nickte nur und wandte sich der Gruppe zu, die er anführte. Diese Welt war Asunquarth und auch sie hatte sich dem Rat widersetzt. Nun, nicht die Welt an sich, aber der Klan der Erdhexen, die hier lebten. Sie gehörten den Kegarth an. Einer humanoiden Rasse, aber doch verschieden von den Menschen. Es gab nicht viele von ihnen und laut den Informationen, die ich gefunden hatte, waren sie fast alle Erdmagier oder Wassermagier. Sie lebten meist in Wäldern oder Sumpfgebieten wie hier und galten als fast ausgestorben, auch wenn ich eher annahm, dass sie in einer der fast gänzlich unbekannten Welten lebten. Auch von Asunquarth wussten wenige Wandler etwas – da diese Welt wie gesagt nicht zum Einflussgebiet des Rates zählte und auch nie gezählt hatte. Außerdem lebten neben dem Hexenklan hier nur Jighgs, eine Wasserliebende, nicht sonderlich intelligenz- oder magiebegabte Rasse. Völlig uninteressant… Im Gegensatz zu den Hexen. Es war zwei Mondumläufe des blauen Jimans auf Kores, der Welt des Klosters und des Rates, her, dass man eine Aufklärungstruppe recht mächtiger Magier hierher geschickt hatte, um die Hexen davon zu überzeugen, sich uns, der Armee des Rates, wenn man so wollte, anzuschließen, da es in letzter Zeit immer weniger mächtige Erdmagier gab. Ich war mir nicht sicher, ob es je Verhandlungen gegeben hatte, doch von den fünf gesendeten Magiern war nur einer lebend zurückgekehrt. Danach wurde beschlossen, ganz nach dem Motto, dass jeder, der uns nicht unterstützte, ein Feind war, den Hexenklan auszurotten, bevor es weitere Aufstände gab. Und auch, wenn ich mir sicher war, dass sie, wie so viele kleinere Klans, einfach in Ruhe gelassen werden wollten, war ich schließlich als Anführer der gut siebzig Mann starken Angriffstruppe ernannt worden. Wie sollte das noch weitergehen? Schließlich bemerkte ich, dass der Boden unter meinen Füßen an Festigkeit gewann, ehe sich auch das Dickicht lichtete und wir uns auf einer weniger verwucherten Grasebene befanden, die jedoch recht Bald wieder in einen Wald überging. Dort sollten die Hexen leben und immerhin war ihre Magie stark genug um zu verhindern, dass wir ein Tor direkt dort öffnen konnten. „Verhaltet euch ruhig“, befahl ich den Soldaten, unter denen sich auch einige Frauen befanden, und ging voraus. Durch das Siegel über diesem Gebiet, wunderte es mich, dass wir bisher nicht angegriffen wurden. Sie wussten mit völliger Sicherheit, dass wir hier waren, doch sie warteten worauf. Langsam sah ich mich um. So sehr mir die Politik des neuen Rates widerstrebte, blieb ich doch erst einmal meinem alten Motto treu: Wer sich den stärkeren anschließt, hat die bessere Chance zu überleben. Und: Besser der Tod anderer, als mein eigener. Und exakt in diesem Moment begann der Boden unter unseren Füßen zu beben, ehe sich einige Risse auftaten und Ranken hervortraten und nach einigen von uns griffen, während ein paar andere bereits in die Erdspalten gerutscht waren. „Verteidigt euch!“, rief ich, als auch schon die ersten Ranken in Flammen aufgingen und einige der Soldaten sich in die Lüfte erhoben. Luftmagier und Feuermagier waren im Kampf gegen Erdmagier oft im Vorteil, doch auch das Fliegen würde sie nicht vor den Ranken schützen. Pflanzenzauber waren für Erdmagier zwar möglich, doch war die Kontrolle des eigentlichen Elements die richtige Magie, die sie beherrschten. Und wie für viele Magier, die nicht das Element der Luft beherrschten, das Fliegen anstrengend oder unmöglich war, oder ich keine Frostzauber beherrschte, obwohl ich ein Kind des Wassers war, war es für sie anstrengend die Pflanzen zu kontrollieren und es würde sie daher an Verteidigungsstärke, die ihnen wohl eher zu eigen war, fehlen. „Die Bäume“, schrie ich der Angriffgruppe der Feuermagier zu. „Verbrennt sie!“ Im nächsten Augenblick steckten Feuerbälle die Äste der umstehenden Bäume und Sträucher in Flammen, die diese unwirkliche Nacht erhellten und gleichzeitig mit dem Geschrei fliehender Wildtiere anfüllten. Schnell griff der Brandt auch auf anstehende Bäume über, während die Feuermagier, geschützt von zwei der wenigen Erdmagier in unseren Reihen, weiter fortschritten und schließlich auch die ersten Bäume des Waldes entflammten. Die ersten dunkelhäutigen Flüchtlinge der Hexen rannten auf das Feld hinaus und fielen den Bogenschützen aus unseren Reihen, denen das Feuer bessere Sicht bot, zum Opfer, während im Wald scheinbar einige Wassermagier versuchten die Flammen zu ersticken, denn ich spürte, wie sich über den Wald eine Kugel aus Wasser sammelte und schließlich auf die Bäume hinabplatschte. Nun flohen auch meine Feuermagier zurück zum Rest der Truppen, da viele von ihnen das Wasser scheuten, so dass der Marsch durch den Sumpf zuvor ihnen ebenso verhasst war wie die Lache, die sich vom Wald aus jetzt in unsere Richtung ausbreitete. Erneut begann die Erde unter unseren Füßen zu beben, so dass nun wirklich alle, die die Fähigkeit zu fliegen beherrschten, sich in die Lüfte erhoben, wo sie jedoch von einer Salve Faustgroßer Wassertropfen, die mit irrsinniger Geschwindigkeit durch die Luft flogen getroffen wurden – zumindest einige von ihnen. Ich konzentrierte mich. Das Wasser in der Luft schien aus dem Sumpf und einer Art See zu kommen, wenn ich mich nicht irrte. Ich fühlte es, denn es war mein Element, genau so, wie es das der Hexen war. Die Frage war nur, wer es besser beherrschte, denn auch wenn die Hexen im Sumpf lebten, war ich in Hjidi, einer Welt, die praktisch nur aus Wasser bestand, aufgewachsen. Das Wasser hielt in der Luft inne, ehe es sich, so wie ich wünschte, direkt über mir sammelte. Ich spürte, wie die Hexen versuchten, es auseinander zu ziehen, doch da mir nun auch die Wassermagier in meinem Gefolge halfen, hatten sie keine Chance. Schließlich schoss ich das Wasser als eine dünne, sich kreisförmig durch die Luft ausbreitende Welle, weg, so dass es einige Bäume, auch im Wald zu fall brachte und damit den Hexen auch ein Teil ihres Schutzes nahm. „Vorwärts“, brüllte ich dann und die Soldaten schossen über den unebenen Boden oder durch die Luft voran. Nun erkannte ich zwei Dinge: Erstens beherrschte keine Hexe die Fähigkeit, Wasser zu Eis erstarren zu lassen – wahrscheinlich, weil sie hier kein Eis kannten. Zweitens waren sie auch unfähig zu fliegen oder nur zu schweben, denn es gab keine Luftmagier die es ihnen hätten lehren können. Daher begann auch ich nun zu schweben, da richtiges Fliegen im Moment zu viel Energie gekostet hätte. Wir waren nicht sicher, wie viele Hexen unsere Gegner waren, auch wenn der Klan nur auf ungefähr fünfzig Kopf geschätzt wurde. Es war immer besser, dass man sich seine Kraft sparte. Schreie aus dem Wald verkündeten, dass einige weitere Hexen starben oder kämpften. Auch brüllten die Anführer der einzelnen Untertruppen Befehle zu den unteren Soldaten herüber, ehe ich ihnen den Befehl gab, weiterhin in der Luft zu bleiben. So waren die Hexen uns am ehesten ausgeliefert, denn auch gegen das aus der Luft kommende Feuer konnten sie nichts tun. Die, die auf die offenen Flächen liefen, vielen Pfeil und Bogen zum Opfer und andere den Schwertern oder anderer Magie. Wie vermutet waren sie in der Minderzahl und uns somit beinahe schutzlos ausgeliefert. Es war ein reines Gemetzel gewesen, dass wurde mir vor allem dann klar, als ich das Schlachtfeld besichtigte und die Reste des Hexenlagers, das aus Zelten und einigen Höhlen in der Walderde, die an Tierbauten erinnerten, bestand, besichtigte. Wir zählten zweiundfünfzig Leichen. Der Großteil Frauen, nur etwa zehn Männer, wie es bei den Kergath wohl üblich war, da die hier die Frauen auch magisch begabter und somit mächtiger waren. Natürliche Selektion – doch hatte es ihnen geholfen? Auf unserer Seite gab es auch Verluste, doch diese beschränkten sich auf dreizehn Soldaten. Vier Feuermagier, ein Erdmagier, fünf Luftmagier und drei Wassermagier. Verluste, die im Rat niemanden interessieren würden, denn es war keiner der mächtigeren dabei. „Kommt mit“, befahl ich zwei beistehenden Soldaten, beziehungsweise einem Soldaten und einer Kriegerin. „Sehr wohl, Abeth“, erwiderten sie, während ich anderen den Befehl gab, in die anderen Richtungen auszuschwärmen, um nach weiteren Überlebenden der Hexen zu suchen, die man vor die Wahl stellen würde: Entweder schlossen sie sich uns an oder sie wurden getötet. Nein, es war kein schöner Kampf gewesen, sondern nur ein reines Niedermetzeln, das den Geruch von verbranntem Fleisch in der Luft zurück gelassen hatte. Auch während wir uns in Richtung Nordwesten bewegten, um Überlebende zu suchen, sahen wir einzelne Leichen. Nachdem man merkte, dass wir in der Überzahl waren und sie keine Chance gegen uns hatten, flüchteten sie, wurden verfolgt und getötet. Die Pfeile der Windkinder trafen auch im Gestrüpp und trotz Dunkelheit meist ihr Ziel. Doch weitere lebende Hexen sahen wir im Wald nicht. Schließlich, wir waren nicht lange gelaufen, wurden die Bäume und Büsche um uns herum weniger und gaben vor uns eine Lichtung frei. Weiches Gras gab unseren Stiefeln nach, als wir hinaus traten, und einen See in der Mitte des Platzes erblickten. Das war also der See, aus dem das Wasser stammte, mit dem sie uns zuvor angegriffen hatten. Er war nicht klein und wurde von einem Bach gespeist, der auf der anderen Seite aus dem Wald kam, während das Wasser unterirdisch weiterlief… Ich sah mich um. Es war niemand zu sehen, während sich der Himmel über uns langsam ins rötliche verfärbte und die beiden Monde Asunquarth verblassten. „Hier ist niemand“, meinte die blonde Kriegerin neben mir – eine Feuermagierin, wie ihre Orange-Rote Robe verriet. „Wir sollten zurückkehren.“ Doch ich gebot ihr mit einem Handzeichen zu warten. Es war nicht viel, doch ich spürte, dass hier noch jemand war. Und er war kein Jighg. Die Aura verriet mit ziemlicher Sicherheit, dass es sich um eine Hexe handelte. Vorsichtig trat ich näher an den See heran und sah mich erneut um. Die Haut der Hexen hatte einen Braunton, ähnlich dem von Baumrinden. Wenn sie im Wald war, würde ich sie nicht so schnell entdecken. Doch da erklang eine Stimme. „Ihr habt sie alle getötet, nicht?“, fragte sie, als ein Mädchen zwischen den Bäumen hervor trat und mir trotz des Sees, der uns voneinander trennte. Sie weinte nicht, wie man es von einem Kind, wie sie es war – vielleicht vier Jahre alt – erwartet hätte, sondern sah mich nur an. „Ein Kind?“, fragte die Kriegerin neben mir und eine Flamme erschien in ihrer Hand. Ich wusste wieso: Kinder unter zehn Jahren wurden getötet, da sie nicht besser waren als jeder normale Erdmagier. Sie hatten die Kunst ihrer Magie zumeist nicht erlernt und waren im Moment keine Hilfe. Widersinnig, wie mir schien, da wir zumindest Erdmagier so dringend brauchten, egal mit welcher Ausbildung, doch so lautete der Befehl. Schon flog eine Flamme auf das Mädchen mit dem verfilzen, grünlich wirkendem Haar, zu, wurde aber in der Mitte des Sees von einer aufsteigenden Wasserwand gestoppt. „Abeth“, begann die Flammenmagierin, als sich eine Wasserblase um ihren Kopf bildete. Auch der andere Magier reagierte nicht schnell genug, ehe ihm dasselbe passierte und die beiden schnaubend zu Boden gingen. Er war ein Wassermagier doch konnte gegen mich nichts ausrichten, bis ihm mein Schwert durch die Brust steckte und er endgültig zu Boden ging, gefolgt von der Feuermagierin. Warum ich das tat, wusste ich in dem Moment nicht wirklich, doch mir war der vergangene Völkermord – so konnte man es schon nennen – so zuwider, dass ich nicht auch noch mit ansehen wollte, wie ein scheinbar unschuldiges Kind starb. Und das war der Gedanke von jemand, der versucht hatte seinen eigenen Bruder zu töten... „Was tut Ihr?“, fragte das Kind, als ich über den See auf es zukam. Als ich Nahe genug war öffnete ich ein Portal hinter dem Mädchen, das scheinbar nicht verstand, als ein Wasserarm es in die Schnittstelle nach Hjidi schubste, ehe sich das Tor schloss. Wenn der Rat mich jetzt beobachtete, war es wahrscheinlich das letzte, das ich tat… „Das kannst du nicht machen“, protestierte Nerû, der mir und dem Kind nach Sanbor gefolgt war, von wo aus ich sie wegbringen wollte. Er und die beiden Zwillinge Sanla und Senre, waren die einzigen, mit denen ich über mein Vorhaben, dass Hexenkind nach Verur zu bringen. Einer der freien Welten, eine Welt auf der zweiten Ebene, wo die Zeit schneller verging als hier. Ich sah ihn an. „Doch“, erwiderte ich. „Nachdem, was ich getan habe, bleibt mir ohnehin keine andere Wahl. Irgendwann wird es jemand herausfinden und sie werden mich töten.“ Daraufhin erwiderte er meinen Blick stumm. „Das was hier passiert wäre auch nicht in ihrem Sinne gewesen“, meinte ich. „Willst du die Spiele des Rates ewig mitspielen?“ „Das ist das beste“, antwortete er. „Ich will Barberas Leben nicht riskieren.“ „Aber es wird auch so zum Krieg kommen.“ Ich zuckte mit den Schultern. „Und dann seid ihr so oder anders in Gefahr.“ Damit wandte ich mit dem Zwillingspaar zu. „Und ich wisst, dass ihr euch nicht ewig aus der ganzen Sache werdet halten können. Kore weiß, dass ihr hier seid und sie kennen auch das Kloster.“ Sanla nickte. „Aber wir werden abwarten.“ Daraufhin seufzte ich und ging zur Wand des Raumes, wo das Kind, das seit ich es in Hjidi vor zwei Tagen wieder gefunden hatte, schlief, auf einer Bank lag. „Ich werde jetzt gehen“, meinte ich, schulterte das Kind und streckte eine Hand vor um ein Tor zu öffnen. „Wir werden sehen, ob wir uns sehen“, versuchte ich zu scherzen, ehe ich hindurch trat und mich in auf einer steinernen Treppe, an einer Art Pyramide befand, die aus einem dichten Dschungel dessen Gipfel jedoch schon unter mir waren, heraus ragte. Das alles gehörte zu dem Kloster Verurs, wobei Kloster hier hieß, dass es eine Ausbildungsstätte für Magier, Krieger und Weltenwandler war. Hier würde das Mädchen, wenn sie aufwachte, aufwachsen. Hoffentlich in Sicherheit, da Kore bisher nicht an dieser Welt interessiert war. Die Krieger dieses Klosters schlossen sich entweder den Armeen anderer Welten an oder verbrachten ihr Leben hier und meditierten. Sie waren keine Gefahr für den Rat. Ich war es schon, nach dem, was ich getan hatte. Denn ich war ein Krieger und ein Rebell, zumindest würde ich letzteres bald werden, um weiteres Chaos in den Welten zu verhindern. Solange es dazu noch ein Möglichkeit gab. Kapitel 1: Erdmagie ------------------- Kapitel 01: Erdmagie Sie sah die Jungen, die ihr gegenüberstanden an und seufzte. Das war schon das zweite Mal innerhalb von fünf Tagen, dass sie sie triezten oder dies zumindest versuchten. Sie standen im Inneren des Klosters von Verur, in einem Gang vor dem Trainingssaal und hatten sich in einem Halbkreis um sie – Yur – aufgebaut, und wollten sie nicht durchlassen. Nun, eigentlich war Yur für diese Jungen ein er, denn sie war ihr Leben lang als ein Junge erzogen worden und hier als einer aufgewachsen, weshalb ihr grünliches Haar auch auf wenige Millimeter zu Recht gestutzt worden war, wenn sie nicht eine Glatze trug. Aber auch, wenn sie das wahrscheinlich einzige Mädchen hier im Kloster war, in dem normal nur Jungen und Kinder unter zwölf Jahren großgezogen und ausgebildet wurden, war dies nicht das einzige, was sie von den anderen Tade – Auszubildenden – hier unterschied. Denn die meisten waren Menschen, Halbblütige oder Elfen, hatten meist helle Haut von verschiedenen Hellrot- und Gelbtönen, wenn nicht sogar reines weiß, während Yurs Haut eine dunkle Brauntönung hatte und im Sonnenlicht manchmal grünlich schimmerte, wie ein von Moos bewachsener Baum. Es war wirklich nicht zu verleugnen, dass sie anders war als die meisten hier. „Wo willst du hin?“, fragte Keigoth, einer der Jungen, ein großgewachsener Sechszehnjähriger Mensch mit blonden Haaren, und fuchtelte ihr mit einer Flamme vor dem Gesicht herum. „Zum Training, das wisst ihr“, erwiderte sie so ruhig wie möglich und sah ihn fest an. Daraufhin grinste er. „Ja, dass wissen wir. Beim alten Tattagreis Miras, der seinen kleinen Liebling Yur nicht mit den anderen bösen Jungs trainieren lassen will, richtig?“ „Rede nicht so über Meister Miras“, erwiderte sie. „Außerdem ist es verboten außerhalb der Hallen als Tade Magie zu benutzen“, kommentierte sie dann die Flamme, die auf seinem Finger hin und her tänzelte und bewies, dass er ein Flammenmagier war, ein äußert talentierter sogar, aber einer ohne Beherrschung, wie so viele Kinder des Feuers. „Sieh dich doch an, klein Yur“, meinte nun ein anderer der Jungen, dessen Name Zik war. „Du bist klein, hager und kannst kaum Kämpfen. Wie soll aus dir je ein Krieger werden? Selbst mit dem besten Training der Welt ein Ding der Unmöglichkeit!“ Das stimmte allerdings. Natürlich! Sie war ja auch kein Junge und leider nicht sonderlich groß gewachsen, so dass sie den meisten Tades ihres Alters nur bis zum Kinn reichte. Außerdem waren ihre Arme dürr, egal wie gut sie sich im Kampf mit dem Stab oder dem Schwert übte. Sie hatte einfach kaum körperliche Kraft und auch ihre Magie ließ noch zu wünschen übrig. Das lag jedoch auch daran, dass Miras einer der drei einzigen Meister der Erdmagie in diesem Kloster war. „Lasst mich vorbei“, erwiderte sie deshalb nur und versuchte sich an ihnen vorbei zu drängeln, wurde jedoch von Keigoth am Arm festgehalten. „Sonst was?“, fragte er grinsend, sich dessen Bewusst, dass der einzige junge Erdmagier im ganzen Kloster sich meist vorbildlich an die Regeln hielt, und war sich daher sicher, dass Yur ihn nicht angreifen würde. „Sonst könntest du ein paar Sonderstunden beim Sammeln verbringen“, meinte eine Stimme von hinter ihm, die vom Elfen Adir kam, der als Aufseher der Tades galt und gerade scheinbar auf dem Weg zur Bibliothek war. Sammeln bedeutete soviel, wie mit einigen Jüngeren durch den Dschungel zu ziehen, um Früchte und Pilze von den Bäumen zu suchen, die den Hauptbestandteil der Nahrung im Kloster darstellten. Auch die anderen beiden Jungen, neben Zik und Keigoth, sahen ihn an und nickten auf einmal nur stumm. Der Elf sah sie an. „Komm mit mir, Keigoth“, meinte er dann und lief einfach weiter, woraufhin der normal freche Menschenjunge nichts anderes tun konnte, als ihm zu folgen, da ihn die Luftmagie des um einiges älteren Meisters dazu zwang. „Vielen Dank, Meister Adir“, rief Yur ihm nur überschwänglich hinterher, ehe sie in den nächsten Gang verschwand, bevor die anderen Jungen ihr folgen konnten. Die Gänge im Inneren und unter der riesigen Pyramide, die den Hauptteil des Klosters darstellte, bildeten fast eine Art Labyrinth aus Gängen. Der helle Stein, aus dem das Gebäude scheinbar gehauen – nicht gebaut – war, war von dünnen gelblichen Äderchen durchzogen, die ununterbrochen phlorezierten und so überall ein sehr dämmriges Licht verbreiteten, während auf den Gängen und in den Hauptteilen jedoch Fackeln die Umgebung erhellten. Ihren Schritt immer weiter beschleunigend lief Yur nun zum westlichen, äußeren Teil des Tempels, wo Miras wahrscheinlich bereits auf sie wartete. Es wäre nicht das erste Mal, dass er sie wegen Unpünktlichkeit rügen würde, auch wenn sie dieses Mal wirklich nichts dafür konnte. Tatsächlich fand sie den Greis bereits auf der Terrasse vor, als sie auf diese hinaus trat. Dort saß er im Schneidersitz und starrte auf einen der Sträucher, die am Rand des Balkonähnlichen Vorbaus gepflanzt waren und momentan mit fingerkuppengroßen Blüten bestück waren. Die Veränderung war kaum zu bemerken, doch während er da saß, öffnete sich eine der Knospen für einen Augenblick, ehe sie sich langsam wieder schloss. Ruhig trat Yur hinter ihn und wartete darauf, dass er sie ansprach. „Du bist spät dran, Mädchen“, erwiderte er, nachdem sich die steinerne Schiebetür hinter ihr geschlossen hatte, was nur Erdmagier, für die dieser Balkon vorbehalten war, seit der alte Meister hier lebte, bewerkstelligen konnten. Miras war der einzige im ganzen Kloster, der wusste, dass Yur ein Mädchen war, denn er war derjenige gewesen, der sie aufgezogen hatte. Fast so etwas wie ein Vater oder Großvater, auch wenn sie es nie wagen würde, ihn so zu nennen. Er hatte ihr auch schon als kleines Kind eingeprägt, dass niemand je erfahren durfte, dass sie kein Junge war, auch wenn sie diese Geheimhaltung nicht verstand. Immerhin gab es noch ein zweites Kloster, das mit diesem verbunden war, auf Verur. Das Kloster der Frauen, wo Mädchen nach ihrem zwölften Lebensjahr hinkamen, wenn sie nicht ohnehin schon dort großgezogen worden waren. Warum sie bei den Männern aufgewachsen war, hatte sie nie verstanden, auch wenn sie sich nicht wirklich als Mädchen fühlte. Doch sie wusste, dass eine Zeit kommen würde, in der sich das ändern würde. Irgendwann würden auch ihr Brüste wachsen, glaubte sie zumindest. Sicher war sie sich nicht, immerhin war sie – das war ganz offensichtlich – kein Mensch. Ebenso wenig ein Elf, Lycantrop oder Dämon. „Es tut mir leid, Meister Miras“, entschuldigte sie sich schließlich für ihre Verspätung und verbeugte sich. Der Alte winkte ab. „Setz dich, Yur“, erwiderte der alte Mann nur, woraufhin sie sich hinter ihn kniete, da er sich noch immer nicht zu ihr umgedreht hatte, und schwieg, wie man es ihr beigebracht hatte. „Hattest du wieder Streit?“, fragte Miras schließlich und drehte sich, ohne eine offensichtliche Bewegung, zu ihr um. „Streit?“ Sie sah auf ihre Füße. „So kann man es nicht sagen. Es war wieder Keigoth. Aber wir haben nicht gestritten.“ Der Alte grinste sie an. „Er muss noch lernen sein Temperament zu beherrschen“, meinte er. Daraufhin erwiderte sie nichts. Sie war an die Streiterei mittlerweile gewöhnt und verhielt sich, wenn die Jungen wieder kamen, ruhig und ließ sie reden. Selbst Keigoth würde niemals wagen, ihr eine ernsthafte Verbrennung zuzufügen, da die Strafe dafür wohl mehr als grausam wäre. „Wie ich höre, hast du dich im Schwertkampf nicht verbessert“, fuhr Miras schließlich fort. Betrübt nickte sie. „Leider, Meister“, murmelte sie. „Ich fürchte, die Jungen haben insofern Recht, dass ich nicht sonderlich stark bin.“ „Und die Magie?“, fragte der Erdmagier. Sie sah ihn fragend an, woraufhin er auf die Büsche vor sich deutete, von denen einer den anderen gegenüber zurück geblieben schien. „Lass ihn wachsen.“ Stumm nickte sie und rutschte auf den Knien näher an das Gewächs heran, ehe sie begann sich zu konzentrieren. Sie spürte das Leben in der Pflanze, wie es durch die dünnen Ästchen und die Blätter floss, und versuchte sich darauf zu konzentrieren. Wachse, dachte sie und konzentrierte sich auf nur einen der Äste. Wachse! Sie spürte die Energie, wie sie aus ihr in den Boden floss, in die Pflanze hinein und spürte, wie diese darauf antwortete. Der Busch wollte wachsen, wollte die nebenstehenden noch übertreffen und begann sich mit ihrer Energie zu strecken, was ein Lächeln auf ihrem Gesicht hervor rief. Doch da floss die Energie wieder in sie zurück und der Ast verdorrte. Sie seufzte. „Es tut mir leid“, hauchte sie. „Ich fürchte, dass auch die Pflanzen mir nicht besonders liegen.“ Miras seufzte, denn er wusste, dass das Mädchen nur eine Art der Erdmagie wirklich gut beherrschte. Eine ungewöhnliche Art, denn sie verstand es die Erde unter ihren Füßen als Waffe zu nutzen und anstatt Pflanzen- Steinarme nach jemanden greifen zu lassen oder Mauern entstehen zu lassen, die den Gegner zerdrückten. Während andere eine Erdspalte entstehen ließen, die sich im Kampf zum Gegner hin öffnete, erzeugte sie ein Loch direkt unter ihm. Man konnte es nicht leugnen, dass die Magie des braunen Elements eigentlich zum Heilen und zur Verteidigung gedacht war, doch sie benutzte sie, wie von einer inneren Wut getrieben, zum Angriff, so ausgeglichen sie nach außen hin schien. Auch zeigte sie sich im Erlernen dieser Dinge sehr ungeduldig, so ruhig sie auch das Triezen der älteren Jungen entgegennahm. Auch sie wusste das, doch egal, wie sehr sie sich bemühte, gab es diese Augenblicke, wo etwas in ihr dagegen aufbegehrte das beherrschte Kind zu sein – der beherrschte junge Erdmagier, der sie eigentlich auch sein wollte. Das gehörte, der mangelnden Kraft erschwerend hinzukommend, bei allen Kämpfen auch zu ihren großen Schachpunkten: Sie griff an, anstatt auf den anderen zu warten. „Versuch es noch einmal“, meinte der Alte schließlich und sah sie aufmunternd an. Einige Zeit später, die Sonne war bereits darin begriffen ihren Dienst für heute zu beenden, verließ sie ihren Meister völlig ausgelaugt und machte sich auf den Weg zu dem kleinen Zimmer, welches sie allein beherbergte. Es war nur klein, weshalb es, wie die meisten Zimmer hier, nur zum Schlafen benutzt wurde. Ihr Bett war ebenfalls in den Stein gehauen – eine Liege, auf der ein dünnes mit Blättern gefülltes Kissen lag, das als Matratze diente. Als eigentliches Kissen benutze sie ein zusammengewickeltes Laken, während sie sich mit einem weiteren zudeckte. Seufzend ließ sie sich auf die Matratze fallen und sah an sich hinab. Das gelbweiße Gewand klebte feucht an ihrem Körper, da auch Magie körperlich anstrengte. Zu gerne hätte sie jetzt die Bäder im unteren Teil des Klosters aufgesucht, doch sie musste bis zum Einbruch der Nacht warten, bis die meisten Tape und Magier schliefen. So wechselte sie nur das Gewand und begab sich mit einem weiteren Seufzen auf den Weg zum Speisesaal, wo die meisten Tape zu dieser Zeit ihr Abendmahl zu sich nahmen. Das Training hatte sie deprimiert, denn so sehr sie sich auch bemühte, verdorrten die Pflanzen, an denen sie ihre Kräfte probierten oder wucherten unkontrolliert, wenn sie wuchsen. Seit fast zehn Jahren, ja eigentlich solange sie denken konnte, übte sie diese Dinge mit Miras, doch schon seit zwei Jahren hatte sie das Gefühl gar keine Fortschritte mehr zu machen. Mittlerweile war sie fast dreizehn Jahre alt und ihre Fähigkeiten waren weit hinter denen der anderen zurück geblieben. „Das Leben ist wertvoll“, pflegte ihr Meister immer zu sagen. „Du musst lernen es in dich aufzunehmen und es gleichzeitig zu geben.“ Das wusste sie ja, doch sie wusste nicht wie und Magie war keine Sache, die man durch einfache Erklärungen lernte. Man musste es selbst erlernen, dass hatte sie mittlerweile eingesehen, so wie sie sich andere Fähigkeiten selbst angeeignet hatte. Fähigkeiten, die verletzten, doch heilen konnte sie nicht. Manchmal hasste sie ihre eigene Ungeduld! Doch da war noch etwas anderes in ihr, was sie nicht unterdrücken konnte. Mit jedem Jahr, dass sie heranwuchs war es unleugbarer geworden, dass sie kein Mensch war, wie die anderen. Sie wusste nicht einmal, was sie war, weshalb die Gleichaltrigen irgendwann begonnen hatten sich Spottnamen für die Rasse, die sie angeblich darstellte, auszudenken. Aber wer konnte es ihnen verdenken? Die Färbung ihrer Haut war nicht menschlich, denn obwohl es natürlich auch dunkelhäutige Menschen und Lycantropen gab, war das braun ihrer Haut nicht normal. Zumal auf ihre Haut mehr und mehr Schuppen abzeichneten, wie bei einer Schlange. Auf jeden Fall nicht normal und nicht sonderlich schön anzusehen. Auch ihre Fingernägel waren hornig und entwickelten sich langsam zu Krallen, wie es zumindest schien. Nein, mit dem Körperbau der Menschen konnte sie sich genau so wenig vergleichen, wie mit der Zierlichkeit der Elfen. Und auch Dämonen, die ihren Körper zumeist verändern konnten, hatten lieber eine schöne Gestalt – eine menschliche. Etwas wie sich selbst, hatte sie noch nie gesehen. Weder lebendig, noch in einem der Bücher oder auf einer Schriftrolle aus der Bibliothek skizziert. Auch den Meistern schien es da nicht anders zu gehen. Sie war unbekannt, wie auch die Erdmagie, die sie einsetzte. Aber das wollte nichts heißen, denn auch sie wusste, dass die Zahl der Erdmagier seit Jahren immer weniger wurde. Es schien fast, als würde diese Magie aussterben, gab es auch wenige Rassen, die reine Erdmagier hervor brachten. In alten Büchern hatte sie gelesen, dass Elfen früher sehr bewandt in dieser Magie waren, doch das war schon seit hundert Jahren oder mehr – denn nicht in allen Welten verging die Zeit gleichschnell – nicht mehr so. Die meisten Elfen die sie kannte, waren gute Luft oder Wassermagier, die auch, wenn sie oft ausgeprägte Heilungsfähigkeiten hatten, die normal der Erdmagie zugesprochen hatte, das feste Element nicht beherrschte. Andere Welten… Sie war sich sicher, dass sie nicht von hier stammte. Nein, das war eine mehr als offensichtliche Tatsache. Doch wie sie hierher kam, das wusste sie nicht. Sie kannte nichts anderes als das Innere der Pyramide und den Dschungel, der diese umgab. Noch nie war sie durch ein Portal in eine andere Welt geschritten und es war ihr auch strengstens untersagt, dies zu tun. Außerdem gab es zwar ein dauerhaftes Portal weit unter dem Kloster, doch wurde dieses immer von zwei Meistern strickt bewacht und es war verboten sich ihm nur zu nähren. Und sie selbst war keiner der so genannten Weltenwandler – Magier, die fähig waren selbst Portale zwischen den Welten zu erschaffen. Vielleicht würde sie niemals diesen Ort verlassen können… Was wollte sie auch wo anders? An sich mochte sie diesen Ort, beziehungsweise hatte sie Angst ihn zu verlassen, da sie nicht viel über die anderen Welten wusste. Das einzige, was sie wollte, war zu erfahren, was sie war. Angeblich war es ohnehin gefährlich, in andere Welten zu reisen, sagte man. Sie hatte welche der älteren im Kloster munkeln gehört, dass es Löcher in den Welten gab. Und Chaos. Manche Welten, so hatte sie gehört, verschwanden einfach, ein Phänomen das es erst seit kurzer Zeit gab, doch allein die Vorstellung jagte ihr Angst ein. Was passierte, wenn eine Welt einfach so verschwand? Was war mit den Leuten dort? Wie konnte das überhaupt sein? Aber vielleicht war es ja auch nur ein Gerücht, oder sie hatte es falsch verstanden – wie so vieles. Ja, sie wusste wirklich noch nicht viel, über die Welt um sie herum und noch weniger über die anderen Welten. Aber vielleicht würde sie irgendwann doch einmal dorthin reisen? Vielleicht könnte sie irgendwann einem Wandler folgen, auch wenn sie hier bleiben wollte, und würde dann herausfinden, was sie war. Und dann? Sie wusste es nicht, doch Miras hatte ihr etwas schon oft gesagt: „Jeder hat seine Rolle im Gefüge der Zeit und der Welten zu spielen. Denn nichts ist so, wie es ist, ohne einen Sinn zu haben.“ Ja, vielleicht war es ja auch Bestimmung, dass sie so schwach war. Vielleicht… Sie seufzte. Vielleicht machte sie sich auch falsche Hoffnungen. Ja, vielleicht war sie ja auch verflucht oder ein Wesen der Dunkelheit – selbst wenn sie nicht wusste was das hieß, sie hatte zumindest in Büchern davon gelesen. Aber wieso sollte ein Fluch auf ihr lasten? Schon in ihren frühsten Erinnerungen war sie so gewesen, wie sie jetzt war, und damals war sie noch ein kleines Kind. Wer würde ein Kleines verfluchen? Beziehungsweise – wieso sollte jemand das tun? Nein, sie war sich sicher, dass es noch andere wie sie geben musste. Irgendwo… Denn was sollte sie tun, wenn nicht hoffen? Irgendwann musste sich doch etwas ändern! Kapitel 2: Echsen ----------------- Kapitel 02: Echsen Ein weiteres Jahr verging in Verur und mittlerweile war Yur vierzehn, wenngleich sie noch immer nicht mehr über die Magie, ihre Rasse, ihre Herkunft oder die anderen Welten wusste. Und noch immer war kein Weltenwandler in diese Welt gekommen. Es war, als wären sie völlig von den anderen Welten abgeschnitten. So, als würden sie oder die anderen nicht existieren. Auch hatte sich an Yurs Zustand nicht viel geändert. Sie war nicht menschlicher geworden, eher im Gegenteil. Die Schuppen ihrer Haut waren glatter geworden, aber gleichzeitig deutlicher zu erkennen. Außerdem standen die Knochen an ihren Gelenken nun merkwürdig spitz hervor. Ja, selbst ihre Magie- oder Schwertkampfkenntnisse hatten sich nicht in die Richtung verändert, in die sie es sich wünschte, wenngleich ihre Kraft zugenommen hatte. Doch dadurch war ihr Kampfstil noch unbeherrschter geworden und es war für die geschickten anderen Jungen ein Leichtes geworden, sie mit wenigen Schlägen zu besiegen. Allerdings war es auch nicht der Schwertkampf, den sie nun weiter übte, sondern der waffenlose Kampf, da ihr Körper sich langsam in eine völlig andere Richtung entwickelte als sie angenommen hatte. Obwohl er durch die nervorstehenden Knochen so eckig und ungelenk aussah, konnte sie sich auf die merkwürdigsten Arten verbiegen und kletterte immer geschickter Bäume, aber auch Wände hinauf, solange diese nicht zu glatt waren. „Da ist ja unser Echsenkind wieder“, hörte sie die Stimme von Zik hinter sich, die verkündete, dass er und die beiden Lycantropen Gozan und Mur sich näherten. Keigoth hatte mittlerweile aufgeben müssen, an dem Mädchen, das er für einen Jungen hielt, zu kleben wie eine Fliege, um sie, beziehungsweise ihn aufzuziehen, da er zu einem der Wächter der Türme ernannt war, die draußen im Wald standen, denn die Sicherheitsmaßnahmen um das Kloster herum waren im letzten halben Jahr verschärft worden. Daher sah er sie bei weitem nicht mehr häufig genug, um sie wegen irgendwelcher Dinge aufzuziehen, was ihr wiederum nur Recht war. „Wo will das Echsenkind denn hin?“, fragte Gozan, der selbst halb Ratte war, und lehnte sich vor ihr gegen die Wand. „Das geht dich nichts an, Rattenjunge“, erwiderte sie spitz, als ich auch Mur, der ein Jahr jüngere Bruder Gozans, den Weg versperrte. Die beiden relativ kräftig gebauten Jungen von siebzehn und sechzehn Jahren reichten um den gesamten schmalen Gang zu versperren, während der nicht so kräftige Zik sich hinter ihr aufbaute. „Jetzt sag schon, Echsenjunge“, meinte er. „Sei doch nicht so unfreundlich.“ „Ich frage mich nur, wer unfreundlich ist“, erwiderte sie, ohne sich zu ihm umzudrehen und blieb einen halben Meter von den beiden Lycantropen entfernt stehen. „Tse, ganz schön frech für einen Außenseiter.“ Mur grinste sie breit an und zeigte dabei seine sehr authentischen Rattenzähne, während er die Arme vor dem Körper verschränkt hatte. Sie zuckte nur mit den Schultern. „Denkt doch, was ihr wollt, aber lasst mich vorbei.“ „Aber, aber“, begann Zik. „Kein Aber“, erwiderte sie. „Ihr dürft mich nicht angreifen, also lasst mich in Ruhe.“ „Wie wär’s mit einem kleinen Kampf?“ Der älteste der drei Jungen hinter ihr legte ihr die Hand auf die ebenfalls ziemlich spitze Schulter, woraufhin sie ihn doch über seinen Arm hinweg ansah. „Was für einen Kampf?“, fragte sie. „Egal, ich werde dich überall schlagen, Schwächling“, antwortete er. „Aber ich muss mich auf nichts einlassen.“ Sie wollte sich von seiner Hand befreien, doch er drückte noch fester zu, woraufhin sie ihn anfauchte. „Lass mich ihn Ruhe, Zik, du handelst dir nur wieder Ärger ein.“ „Willst du petzen, Feigling?“ Da begann Gozan zu kichern. „Ach, du kennst unseren Yur doch. Ein kleines, hässliches, feiges, schwaches Echsenkind.“ „Kein Wunder, dass du hier allein bist“, meinte Zik bestätigend. „Halt’s Maul!“, rief sie, bei weitem nicht mehr so beherrscht, wie sie es noch ein Jahr vorher war. Da hatte sie diese Worte ignorieren können, doch die Unruhe in ihr hatte immer mehr zugenommen – nahm beinahe mit jedem Tag zu. „Was?“, fragte er und grinste sie an. „Du kennst keine Familie. Wahrscheinlich wurdest du ausgesetzt, hmm? Vielleicht bist du aber auch verflucht – wüsste nicht, was du sonst sein solltest, Echsenkind!“ Im nächsten Moment flog er rückwärts durch den Gang und schlug schließlich hart auf dem Boden auf, ehe Yur die Wand hinauf und dann die Decke entlang flüchtete. Ein paar Schritte hinter den Rattenmenschen ließ sie sich auf den Boden fallen und rannte dann auch schon weiter, in Richtung des Hauptganges, der in die steinerne Halle führte – die Eingangshalle des Klosters. Sie war ohnehin auf dem Weg dorthin gewesen, da sie sich in letzter Zeit viel ihrer freien Zeit, die sie sich auch manchmal nahm, im Dschungel verbrachte. Dort war sie meist allein, musste sich nicht verstellen und wurde in Ruhe gelassen. Außerdem konnte sie sich dort freier bewegen, als im engen Inneren der Pyramide. Es war so einfach die Bäume hinauf zu klettern und zwischen den Gipfeln, deren Äste oft ineinander übergingen, hin und her zu springen. Die Jungen verfolgten sie nicht, auch wenn sie jetzt schon wusste, dass sie für den Angriff auf Zik würde später büßen müssen. Da ihr das Sammeln leicht fiel, wahrscheinlich mit zusätzlichem Training oder der Jagd. Auch deswegen war es besser, sich im Dickicht des Dschungels für eine Weile in Sicherheit zu bringen. Doch soweit kam sie nicht, denn schon als sie sich der steinernen Halle näherte, hörte sie die aufgeregten Rufe, die, wie sie einen Moment später erkannte, von einem der Elfenmeister kamen. Dieser war schon seit einiger Zeit verschwunden gewesen und man hatte gesagt, dass er in einer anderen Welt war, immerhin besaß er die Fähigkeiten eines Wandlers. Aber erst als sie das Wesen auf seinem Rücken erkannte, wurde ihr klar, was das bedeutete. Meister Miras war der erste der anderen Meister, der zur Stelle war und den Fremden, den der Elf Tänon hatte gerade zu Boden gleiten lassen, begutachtete. „Er scheint etwas Fieber zu haben“, hörte Yur ihren Lehrer sagen, da sie mittlerweile nur noch wenige Schritt von ihnen entfernt stand, was sie jedoch erst bemerkte, als Miras sie ansah und herwinkte. „Yur“, sagte er. „Lauf zu Jiranu. Sag ihm, er soll kommen und welche seiner Schützlinge mitbringen. Ein Sanbok braucht seine Hilfe.“ Das Mädchen verstand nicht, hinterfragte den Auftrag aber auch nicht, sondern lief los. Sie konnte es allerdings nicht lassen noch einmal einen genauen Blick auf das fremde Wesen zu werfen, das noch mehr Ähnlichkeit mit einer Echse hatte, als sie selbst. Dann rannte sie los. Jiranu, ein Halbblut und der zweite Erdmeister des Klosters, war der oberste Heiler und leitete eine Art Krankenstation, wo er alles von Trainingsblessuren, über Vergiftungen, hin zu Krankheiten behandelte, auch wenn sich die meisten Sachen nach kurzer Zeit erledigt hatten. Zu seinem großen Wehleiden war unter den Tades kein anderer Erdelementar, von Yur abgesehen, und diese konnte nicht heilen. So war seine einzige Unterstützung ein Menschlicher Ausbilder, der ebenfalls die Erde kontrollierte und einige Tades, die sich halbwegs auf Heilungsmagie verstanden. „Meister Jiranu“, keuchte Yur, als sie bei den um einiges unter der Eingangshalle und am äußeren Rand der Pyramide gelegenen Pflegezimmern ankam und den Heiler erblickte. Seufzend drehte sich der ältere Mann mit den Dämonenaugen, um. „Was hast du, Kind?“ Die Vierzehnjährige brauchte etwas, um ihre Gedanken zu ordnen, ehe sie erklärte. „In der steinernen Halle. Tänon ist zurück und er hat einen Fremden bei sich. Meister Miras sagte ein Sanbok. Sie sollen ihm helfen. Der Meister sagte, er hätte Fieber.“ Daraufhin rieb sich der Halbblütige am Kinn. „Ein Sanbok…“, murmelte er, ehe er sich zwei ihrer Gehilfen, beide Tades, zu sich rief und sich mit ihnen auf den Weg zur Eingangshalle machte. Yur zögerte. Sollte sie mitgehen? Eigentlich ging die Sache sie ja nichts an, doch das fremde Geschöpft hatte sie neugierig gemacht. Die braunorangene grobschuppige Haut, die ihr um so viele ähnlicher war, als die Haut aller anderen hier im Kloster. Aber Yur wollte nicht als neugierig oder aufdringlich gelten. Sie würde ohnehin nur im Weg sein, wenn sie die Echse hinab brachten. Ja, sie würden ihn – oder war es eine sie? – hierher bringen. Also konnte sie auch hier warten. So setzte sie sich, wie gelernt, im Schneidersitze in einer Ecke auf den Boden und wartete darauf, dass sich die Schritte, die erst vor kurzem verklungen waren, wieder näherten. Zumindest drang hier durch die Öffnungen in der Wand das Licht von draußen hinein, was die Räume um einiges freundlicher erscheinen ließ, als die inneren Räume des Gebäudes. Auch war die Luft um einiges besser; sogar die süßen Düfte des Obstes auf den Bäumen, wurden vom Wind hinein geweht. Sie fragte sich, was der Fremde genau war. Sanbok… Das Wort hatte sie nie gehört, jedenfalls konnte sie sich nicht daran erinnern. Es kam ihr wie eine Ewigkeit vor, bis sie endlich hörte, wie sich fünf Paar Füße, wenn sie nicht irrte, näherten. Vorsichtig stand sie auf, und sah, wie man die auf einer Trage liegende Echse in den benachbarten Raum brauchte, und ging, als niemand hinaus kam, vorsichtig zur Tür. Gerade in dem Moment stob ein Halbelf, einer der beiden Tades, die den Echsen getragen hatten, hinaus – scheinbar um etwas zu holen. „Was machst du hier?“, fuhr er sie an, als er sie entdeckte. Sie rang um Worte, doch dann erklang Miras Stimme aus dem Raum. „Lass sie zu mir“, befahl er dem Jungen, woraufhin dieser nur mit der Schulter zuckte und in dem Raum, in dem Yur zuvor gewartet hatte, verschwand. So trat das Mädchen in den Raum, wo Tänon, Jiranu und Miras um das merkwürdige Wesen herum saßen und der Heiler es untersuchte. „Der Junge steht unter Schock“, stellte er fest und zuckte mit den Schultern. „Aber er schläft nur. Das Fieber ist nicht hoch. Es wird ihm sicher schnell wieder besser gehen, wenn er nur ein paar Tage Ruhe bekommt.“ „Gut.“ Tänon schien beruhigt und seufzte. „Was ist mit ihm eigentlich geschehen?“, fragte der Heiler nun, woraufhin der Elf einen Blick zu den beiden Tades – der zuvor gegangene war gerade zurückgekehrt – und Yur warf. „Das sollten wir woanders besprechen“, meinte er. Die anderen beiden nickten daraufhin nur. Schließlich winkte der Halbdämon den elfischen Tade zu sich und ließ sich von ihm das Pulver reichen, das er gerade geholt hatte. Dieses gab er in eine bereits bereitstehende Wasserkaraffe, wo es sich schnell und mit einem hörbaren Zischen auflöste. „Yur“, begann Miras. Sie nickte. „Ja, Meister?“ „Kümmer’ dich um den Jungen, solange er noch ohnmächtig ist“, beauftragte sie ihr Lehrer. „Aber…“ Sie wollte widersprechen. „Ich gehöre nicht zu den Heilern.“ Es wäre rechtens gewesen, wenn einer der Gehilfen Jiranus sich um den Echsen kümmerte, auch wenn sie es gerne gemacht hätte. „Doch ich bitte dich darum“, erwiderte ihr Meister, was von einem Nicken des Heilers unterstützt wurde, der gerade versuchte mit einem Glas etwas der Flüssigkeit ins Maul des Echsen zu füllen. Daraufhin verbeugte sich das Mädchen. „In Ordnung.“ „Gut.“ Halb seufzend, halb stöhnend richtete sich ihr Meister auf und legte ihr eine Hand auf die Schulter. Dann verließ er das Zimmer, vom Elfen gefolgt. Eine Handbewegung des Heilers vertrieb auch die beiden wartenden Tades, ehe sich Jiranu noch einmal ihr zuwandte. „Sag bescheid, wenn er aufwacht oder sein Fieber doch steigen sollte.“ Gehorsam nickte sie. „Ansonsten möchte ich, dass du ihm wenn es dämmert noch einmal eine Tasse des Trankes zu trinken gibst.“ Damit zeigte er auf die Karaffe, was die Erdmagierin erneut mit einem Nicken beantwortete. „Ich kann mich auf dich verlassen, Yur?“, fragte Jiranu, als er aufstand. „Sehr wohl, Meister“, erwiderte das Mädchen und verbeugte sich erneut. „Gut…“, murmelte der Halbdämon und verließ schließlich ebenfalls den türlosen Raum, ließ Yur mit dem Fremden allein. Sie verstand nicht, was das sollte, auch wenn sie ahnte, dass ihr Meister ihre Neugierde bemerkt hatte und sie deshalb mit dem Sanbok hatte alleine lassen wollen. Dem ersten Wesen, das zumindest entfernt Ähnlichkeit mit ihr hatte. Seufzend setzte sie sich auf den Schemel neben der hölzernen Liege, auf der man das Wesen abgelegt hatte, und starrte es an. Sie hatten von diesem Wesen als einen „er“ gesprochen, also war es wohl ein Junge. Aber was genau war ein Sanbok? Vom Äußeren gehörte er nicht derselben Rasse an wie sie. Die Haut war heller und noch unnatürlicher gefärbt und sein Gesicht war im Gegensatz zu ihrem nicht annährend Menschlich. Er hatte eine Art längliche, spitzzulaufende Schnauze, wobei der obere Teil etwas größer schien, als der Unterkiefer. An der Spitze waren zwei Atemlöcher zu erkennen, während die Schuppen hier noch horniger waren, als im restlichen Gesicht. Die Augen waren geschlossen und so zwei längliche Schlitze, während der hinten etwas rundlichere Kopf scheinbar keine Ohren besaß. Allerdings hingen einige breitere Hautstücke wie Haare locker am Hinterkopf herum, vier davon solang, dass sie zusammen gebunden waren. Der restliche Körperbau war ebenfalls nicht sehr menschlich. Seine Arme waren sehr breit, wurden zu den Händen hin sogar noch breiter, während an diesen nur jeweils drei hornige Finger zu erkennen waren. Auch unterschieden sich die Hände nicht großartig von den Füßen, während seine Beine merkwürdig gebogen waren. Neben dem Körper hing ein längerer Schwanz hinab, an dem die Schuppen dicker zu sein schienen, als am restlichen Körper. Nein, so ein Wesen hatte auch Yur noch nie gesehen. Doch irgendwie fühlte sie sich mit ihm verbunden. Vorsichtig griff sie mit ihrer Hand nach seinen hornigen Fingern. Obwohl er angeblich Fieber hatte, fühlte er sich führ sie eher gespenstisch kühl an. Aber vielleicht lag seine Körpertemperatur normal weit unter der von Menschen? Weiter starrte sie ihn an. Warum war er hier? Würde es ihr Meister ihr verraten, wenn sie ihn fragte? Wohl eher nicht, sonst wären die Lehrmeister nicht gegangen, um zu reden. Doch warum? Er gehörte genau so wenig hierher, wie sie… Einige Zeit verging und erst, als das Licht um sie nun gänzlich verschwunden war, wurde Yur wach und sah sich um. Sie musste eingeschlafen sein. Etwas benommen sortierte sie ihre Gedanken, als der ohnmächtige Echsenjunge vor ihr sie Erinnerungen zurückholte. Ja, sie sollte sich um ihn kümmern. Sie hatte ihm eigentlich in der Dämmerung etwas von dem Trank, den Jiranu gebraut hatte, geben sollen. Hastig füllte sie etwas von dem dickflüssigem, aber durchsichtigem Gebräu in den Lehmbecher, den der Heiler auf dieselbe steinerne Fläche gestellt hatte, wie die Karaffe, und wollte es in das Maul des Sanbok flößen, als er den Kopf auf einmal bewegte, so dass sie in ihrem Schreck den Becher fallen ließ. Er begann zu zucken und murmelte etwas vor sich hin, doch sie verstand die Sprache nicht. Was sollte sie jetzt tun? Verschreckt wich sie zur Tür zurück, als sie weitere Stimmen von draußen hörte. Die Meister waren hier wahrscheinlich noch irgendwo! Am besten würde sie Tänon oder Jiranu holen. Sie wussten zumindest, was mit dem Jungen los war. Also rannte sie aus dem Zimmer, den Gang entlang, in sie Richtung, aus der die Stimmen kamen, dem nächsten Gang, der in das Innere des Klosters hinein führte. Es gab hier so viele Räume, die nie oder wenig genutzt wurden… Aus einem Raum, dessen Eingang mit Tüchern verhängt war, wie man es meist auch bei den Krankenzimmern tat, war der schwache Schimmer vieler Fackeln oder eines großen Feuers zu erkennen und von hier kamen auch die Stimmen, die zugegebener Maßen ziemlich aufgebracht klangen. „… raushalten“, war der erste Fetzen den sie verstand. „Wenn sie den Schlüssel finden, wird alles noch viel schlimmer, als es jetzt ist“, erkannte sie dann Tänons Stimme. „Wenn…“, erwiderte jemand anderes. Noch eine andere Stimme war zu vernehmen: „Wir haben solange überlebt, weil wir auf keiner Seite stehen.“ „Das ist dem Rat mittlerweile egal“, antwortete ein wieder anderer, an dessen Aussprache man jedoch erahnen konnte, dass es ein Dämon war, da er die Konsonanten besonders betonte, wie es sich diese oft angewöhnt hatten. „Wir sollten ihn nicht weiter provozieren.“ „Sie hätten den Jungen ausgenutzt, wie auch die anderen Seher“, verteidigte sich Tänon nun, als Yur Schritte im Gang hörte. Nun war ihr zumindest klar, dass sie über den Echsenjungen sprachen, sonst wäre es nicht Tänon der sich verteidigen müsste. Aber was sollte das heißen – ein „Seher“? Die Schritte kamen näher und bogen aus der anderen Richtung in den Gang ein, so dass das schuppenhäutige Mädchen sich gerade noch rechtzeitig die Wand hinaufziehen konnte und im relativen Schatten an der Decke verschwand, nur hoffen, dass man ihren Umriss vor der leuchtenden Wand nicht bemerkte. Doch tatsächlich ging der ältere Tade, der aus der anderen Richtung kam, einfach unter ihr hinweg, ohne ihr auch nur die Spur von Aufmerksamkeit zu schenken, so dass sie sich wieder dem Gespräch im Raum widmen konnte. Dabei gehörte sie normal nicht zu denen, die lauschten. Dachte sie zumindest. „… kann nicht hier bleiben“, fuhr einer der Ankläger fort. „Was sollen wir sonst tun?“, erwiderte der Elf. „Bringen wir ihn zurück nach Zjetu, wird man ihn töten. In den anderen Welten wird er sehr wahrscheinlich in die Hände des Rates fallen.“ „Und wenn schon.“ Jemand räusperte sich gewichtig. „Ich zweifle ohnehin, dass der Schlüssel noch existiert. Wie erklärt Ihr euch sonst das Chaos, das in letzter Zeit entstanden ist? Sollte der Schlüssel das nicht ordnen?“ „Vielleicht gibt es dieses Chaos auch, weil der Schlüssel erwacht ist?“ „Wie sollte das sein?“ Yur verstand nicht wirklich, wovon sie redeten, doch trotzdem lauschte sie gespannt noch immer unter der Decke hängend. Was war das für ein Schlüssel von dem sie da sprachen? Und wie konnte ein Schlüssel erwachen? Nein, sie hatte kaum eine Ahnung, weshalb sich die Meister stritten. „Das steht jetzt nicht zur Debatte“, beendete der Dämon, dessen Stimme das Mädchen schon vorher gehört hatte, die Diskussion. „Wir sollten uns jetzt nur überlege, was wir mit dem Jungen machen. Kyssan war sein Name?“ Da horchte die Erdmagierin auf. „Kyssan?“, flüsterte sie. Das war also der Name des Jungens. Noch aufmerksamer als zuvor spitzte sie die Ohren, als sie ein kleiner Stein an der Hüfte traf und sie erschrocken von der Decke plumpste und im nächsten Moment in die Augen Miras’ sah. „Du hast gelauscht, Yur?“, fragte er ernst, woraufhin sie unbewusst den Kopf einzog. „Ich…“, begann sie und wollte sich eine Ausrede einfallen lassen. Daraufhin schüttelte ihr Meister den Kopf. „Du solltest bei dem Jungen bleiben.“ „Ja“, murmelte sie. „Ja, genau… Ich, der Junge hat im Schlaf begonnen zu zucken und sich zu bewegen, daher wollte ich Meister Jiranu holen.“ „Und hast dann gelauscht, als du das Gespräch gehört hast“, beendete der Erdmagier. „I-Ich“, stotterte sie, senkte dann aber den Kopf. „Ja… Es tut mir leid. Aber er…“ Der alte Menschenmann schüttelte den Kopf und packte sie bei der Schulter. „Geh zu dem Jungen zurück. Wir werden später darüber reden.“ Er seufzte. „Was ist los mit dir, in letzter Zeit? Du verschwindest, greifst andere Tade an und lauscht… Früher hast du dich besser als irgendwer an die Regeln gehalten.“ „Es tut mir leid, Meister“, murmelte sie nur bedrückt und rannte schließlich zu dem Krankenzimmer zurück, wo sie, als sie zur Liege sah, in ein paar vollkommen schwarzer Augen blickte. Der Echsenjunge saß aufrecht auf der Liege und starrte sie mit einem Ausdruck auf seinen schuppigen Gesichtszügen an, den sie nicht deuten konnte. Sein Körper zitterte und er atmete noch etwas unregelmäßig, doch er war aufgewacht. „Wer bissst du?“, zischelte er und wich ein Stück vor ihr zurück, so dass er mit dem rundlichen Rücken ganz an der Wand saß. Überrascht wie sie war, brauchte Yur etwas, bis sie eine Antwort zu Stande bekam. „Mein Name ist Yur.“ „Wass willssst du?“ Weiterhin misstrauisch zog er sich noch etwas weiter zurück. „Nichts“, erwiderte sie und schüttelte den Kopf, ehe sie vorsichtig auf ihn zuging. „Ich… Ich sollte mich um dich kümmern. Du hattest Fieber“, sagte sie unsicher. „Das hat man mir gesagt… Ich… Geht es dir wieder besser?“ Etwas an seinem Gesicht wurde unsicher. „Fieber?“, fragte er und wandte den Blick ab, um sich um Raum umzusehen, was er wahrscheinlich auch schon gemacht hatte, bevor sie gekommen war. „Das sagte man mir.“ Erneut ging sie ein Stück auf ihn zu und stellte sich schließlich unsicher neben die Liege. „Glaub mir, ich will dir nicht tun… Ich meine… Warum sollte ich?“ Diese Frage zog längeres Schweigen nach sich, ehe er schließlich tief ein und ausatmete. „Wo bin ich hier?“ „Im Kloster der Magier von Verur“, antwortete sie. „Du bist hier sicher…“, fügte sie dann noch hinzu, auch wenn sie selbst nicht wirklich wusste, ob das stimmte. Nachdem was sie gehört hatte, gab es zumindest Gründe daran zu zweifeln. Lange Zeit sah er sie mit seinen länglichen, wirklich komplett schwarzen Augen an, bevor er sich wieder vorsichtig hinlegte und ihr ohne ein weiteres Wort den Rücken zuwandte. „Was…“, begann sie vorsichtig, doch er schien wieder zu schlafen, zeigte jedenfalls keinerlei Reaktion als sie ihn leicht an der Schulter berührte. Seufzend sank sie auf den Schemel zurück und sah auf seinen Rücken. Er schien verängstigt zu sein, so dass sie zu gerne gewusst hätte, was mit ihm zuvor passiert war, auch wenn es sicherlich mehr als unfreundlich war danach zu fragen. Sie erinnerte sich an Tanöns Worte. Wenn man ihn zurück bringt nach… Irgendein Name, vielleicht der Name der Welt oder des Landes, aus dem der Echse kam… Wenn man ihn dorthin zurück brachte, würde man ihn töten. Aber wieso sollte man so etwas tun? Hatte dieser Junge, Kyssan, irgendetwas verbrochen? Was sollte es sonst für einen Grund geben ihm das Leben zu nehmen? Und der Rat von dem sie gesprochen hatten… War damit der Rat der Weltenwandler gemeint? Sie hatte in einem der Bücher von dessen Existenz gelesen, auch wenn sie nicht genau wusste, was das war. „Was ist mit ihm?“, fragte nun Jiranu, der herein kam. Erschrocken sah das Mädchen zu ihm auf. „Er ist kurz aufgewacht“, murmelte sie. „Aber jetzt schläft er wieder.“ „Das sehe ich“, erwiderte der Halbdämon unfreundlich und beugte sich über den Sanbok. „Geh zu Miras, Yur“, befahl er ihr dann. „Er will mit dir reden.“ Sie senkte den Kopf. „Sehr wohl“, murmelte sie und verließ ohne ein weiteres Wort den Raum, um zur Terrasse zu gehen, wo ihr Meister am wahrscheinlichsten auf sie wartete. Sie wusste, dass sie ziemlichen Ärger bekommen würde, zumal ihr Lehrer von dem Angriff auf Zik zu wissen schien. Aber das konnte sie jetzt nicht mehr ungeschehen machen, auch wenn es sie traurig machte, den gutmütigen alten Miras enttäuscht zu haben. Es gab Dinge, die sie einfach wissen wollte – wissen musste – und die ihr niemand erklärte. Sie konnte nicht ewig dumm in diesem Kloster warten, bis sich die Dinge von selbst klärten, auch wenn sie das lange gedacht hatte. So würde sie nie erfahren, was sie war. Oder? Die Unsicherheit in ihr war noch immer da. Kapitel 3: Die Sicht der Dinge ------------------------------ Kapitel 03: Die Sicht der Dinge Schmollend und mit einem schwer gefüllten Beutel beladen schleppte Yur sich einige Tage später die scheinbar unendlich lange Treppe zum Eingang des Klosters hinauf. Eigentlich machte ihr der Aufstieg nichts aus, doch ihr Körperbau war nicht sehr gut für das Tragen des Gewichts der vielen gesammelten Früchte geeignet, so dass sie schlussendlich froh war, als sie endlich die steinerne Halle erreichte. Bis heute hatte sie nicht verstanden, warum diese einen solchen Titel trug. Alles in diesem ganzen Kloster bestand aus Stein – jedenfalls fast alles. Alle Räume, die meisten Tische und natürlich die meisten Möbel. Ja, sogar einige Stühle waren nur aus dem Fels gehauen und daher für Nichterdmagier unverrückbar. Mittlerweile war sie sich sogar auch beinahe sicher, dass es Erdmagier gewesen waren, die dieses Bauwerk einst aus einem Berg oder ähnlichem geschaffen hatte, denn sie konnte sich nicht vorstellen, dass die Gänge mit Hammer und Meißel oder sonst irgendwelchen Werkzeugen in den Fels gehauen worden waren. Doch Erdmagie zusammen mit Wasser sollte dies bewerkstelligen können. Sie seufzte, wobei sie sich eigentlich glücklich Schätzen konnte, dass sie als Strafe ihre freie Zeit beim Sammeln und nicht beim Jagen oder Kampftraining verbringen musste. Trotzdem erfüllte es auch sie nicht gerade mit Freude, sich den halben Tag allein durch den Dschungel zu kämpfen und dabei den Beutel beständig auf den Rücken tragen zu müssen, der sie immer wieder gen Boden ziehen wollte, wenn sie kopfüber an einem Ast hing. Aber sie wusste, dass sie falsch gehandelt hatte, als sie lauschte, ebenso als sie Zik angegriffen hatte, doch allmählich raubten ihr die Jungen mit ihrer Lästerei den letzten Nerv. Das hatte sich leider auch nicht verbessert, nachdem sie ihn angegriffen hatte. Er brauchte scheinbar, um seine Lektion zu lernen. Dies bestätigte sich gerade zu, als sie um die nächste Ecke in einen der Hauptgänge, die weiter nach unten in die Pyramide führten, einbog und dort den Menschen mit seinem lycantropischem Gefolge und einem jungen Halbdämon vor Kyssan, der schon seit drei Tagen scheinbar wieder völlig gesund war, stehen sah. „Sag mir, Junge, warum bist du hier?“, fragte Zik, froh ein weiteres Opfer gefunden zu haben, wie es schien. „Du bist nicht einmal ein Magier, habe ich gehört.“ Was er sagte stimmte – so sah es bisher zumindest aus – und hatte sich sehr schnell zwischen den Tades herumgesprochen, seitdem sich Kyssan frei durch das Gebäude bewegen durfte und ein Zimmer zugeteilt bekommen hatte. Er war kein Tade, doch man hatte ihm trotz aller Befürchtungen erlaubt eine Weile zu bleiben. Mehr wusste die Erdmagierin nicht. „Nein, ist er nicht“, bestätigte Mur hinter dem Menschen. „Er ist ja auch kein Tade, aber die Meister schützen ihn ja.“ „Weil er zu schwach ist sich selbst zu schützen“, meinte Zik. Yur seufzte. Es war sicher gescheiter sich aus der Sache heraus zu halten, doch der Hass auf die anderen Jungen in Verbindung mit der Ähnlichkeit, die sie zwischen sich und dem Sanbok sah, ließ das nicht zu. „Lasst ihn in Ruhe“, rief sie den Gang entlang und lief etwas schneller auf sie zu. „Sieh einer an“, meinte der Menschenjunge daraufhin. „Da ist ja unser lauschender Schlangenjunge. Willst du deinen hässlichen Freund beschützen?“ „Er ist ein Sanbok“, erwiderte sie. „Oh, sie mal einer an, wie mutig unser Schlangenkind heute ist“, meinte Gozan und grinste mal wieder ähnlich dümmlich, wie er es immer tat. „Du hast wohl vergessen, was Zik letztens passiert ist“, antwortete sie gereizt. „Nein, aber ich weiß auch noch, dass selbst der Tattagreis Miras ziemlich sauer auf dich war deswegen“, sagte der Mensch nun und ging herausfordernd auf sie zu. „Oder willst du mich wirklich angreifen, kleiner Yur?“ „Wenn du mich und ihn“ – Sie machte eine Kopfbewegung in Kyssans Richtung – „…nicht in Ruhe lässt, dann könnte das tatsächlich passieren!“ „Soll das etwa heißen, dass unser Feigling mutig sein will?“ Sie verengte ihre Augen zu Schlitzen. „Treib es nicht zu weit.“ „Oh, passt auf“, warnte Zik seine Kameraden lachend, bevor er einen Moment bewegungslos an der Wand hing und sie ungläubig anstarrte. „Du weißt, dass es verboten ist“, keuchte er und versuchte sich aus dem Gestein, das seinen Körper halb umschlungen hielt, zu befreien. „Ja, und das war dir bisher meist recht egal“, erwiderte sie und griff nach Kyssans Hand, wenn man die drei gleichlangen Finger so bezeichnen wollte. „Komm!“, hauchte sie ihm zu und trat mit ihm zusammen die Flucht in den unteren Teil der Pyramide an, während die Lycantropen und der Halbdämon ungläubig auf den halbbegrabenen Menschen in der Wand starrten. Im Gegensatz zu ihr lief Kyssan auf eine merkwürdige holprige Art und Weise, die sie ahnen ließ, dass er sich wohl meist eher auf allen vieren fortbewegte. Das erklärte auch, warum Arme und Beine fast gleichlang waren. Schließlich blieben sie vor einer der Kammern, in denen die Früchte gelagert wurden stehen. „Wieso hast du dasss gemacht?“, fragte der Sanbok nun versucht ordentlich zu sprechen, was ihn aufgrund seiner langen dünnen Zunge sehr schwer zu fallen schien. „Weil sie endlich lernen sollen, dass ich nicht ihr Opfer bin“, erwiderte sie und starrte den Echsen an. „Ist es wirklich verboten, was du gemacht hast?“, fragte er daraufhin, was sie nur mit einem lang gezogenen seufzen beantwortete. „Und wenn schon… Das ist mir egal“, erwiderte sie. „Ich habe diesen Ort satt… Was wollen sie denn groß tun?“ Daraufhin erwiderte er nichts. „Lass dich einfach nicht auf sie ein“, meinte sie dann zu dem Jungen, der sie wie alle anderen für männlich hielt. Damit öffnete sie die hölzerne Tür zur Kammer und leerte ihren Beutel achtlos in die nächste hölzerne Kiste, ehe sie versuchte Kyssan ein aufmunterndes Lächeln zu schenken, was er jedoch nicht beantwortete. „Hast du keine Familie?“, fragte er. Yur senkte den Blick. „Das weiß ich nicht“, murmelte sie. „Ich bin schon hier, seit ich denken kann. Meister Miras hat mich mehr oder weniger großgezogen.“ Erneut schwieg er, bis sie ihn fragte: „Und du?“ „Ich möchte nicht darüber reden“, erwiderte er, was sie erneut seufzen ließ. Sie lehnte sich ihm gegenüber an die Wand des Ganges und sah ihn gedankenverloren an, nicht wissend, ob sie ihn auf das Gehörte ansprechen sollte oder nicht. Er schien einiges in seiner Vergangenheit erlebt zu haben, schloss sie aus seiner Ruhe und dem verängstigten Zittern, dass er gezeigt hatte, als er aufgewacht war. Schließlich siegte jedoch die Neugierde in ihr und sie räusperte sich vorsichtig. „Du… bist ein Seher?“ Seine Augen verengten sich noch weiter, als es ohnehin normal war. „Woher weissst du das?“ Er sah sie wohl mit einigem Misstrauen an. „Ich habe es… zufällig belauscht“, gab sie zu. Sein Blick wanderte von ihr weg. „Was heißt das?“, fragte sie weiter. „Dasss würdest du nicht verstehen, Bursche“, zischte er, wobei er grade das letzte Wort in die Länge zog. „Aber“, begann Yur, doch der Sanbok wandte sich zum Gehen. „Es ist besser, wenn du mich in Ruhe lässt“, meinte er und ging in die Richtung, aus der sie kamen. „Aber“, setzte sie an, doch er ließ sie einfach stehen, ohne dass sie klüger war als zuvor. Trotzdem ahnte sie, dass sich noch mehr hinter dem Echsenjungen, der wohl etwas älter war als sie, vielleicht sogar einige Jahre, verbarg, als sie am Anfang angenommen hatte. Niemand wollte ihr sagen, was das Wort „Seher“ bedeutete, denn es hieß sicher mehr, als dass er nicht blind war, und jedes Mal, wenn sie versuchte einen der Meister darauf anzusprechen, wurde ihr eisernes Schweigen entgegen gebracht. Aber eigentlich hatten sie auch Recht: Es ging sie eigentlich nichts an, denn sie hatte mit Kyssan nichts zu tun, so verbunden sie sich ihm auch fühlte. Sie war eine Außenseiterin im Kloster, die sich im Moment noch mehr als jemals zuvor wünschte, woanders hin gehen zu können. Ja, selbst Mirage würde sie eher allein lassen, als länger hier zu bleiben. Eigentlich fühlte sie dem Alten gegenüber auch nicht mehr das, was sie einst empfunden hatte. Nein, sie wollte nur eins: Endlich wissen was hier vor sich ging! Die Worte, die sie beim Lauschen gehört hatten, hatten sie gleichsam geängstigt, wie auch neugierig gemacht. Was war das für ein Chaos, von dem sie sprachen? Warum sollte der Rat sie angreifen? Was war ein Seher? Warum wollte man den Sanbok töten? Was war das für ein geheimnisvoller erwachter Schlüssel? Wie war das alles miteinander verbunden? Und je öfter sie über diese Sachen nachdachte, desto rätselhafter erschienen sie. Aber irgendwo musste es Antworten geben! „Wieso?!“ So wütend wie jetzt hatte sie Miras noch nie gesehen, als er vor ihr auf der Terrasse stand und sie mit funkelnden Augen ansah. „Wieso hast du das getan?“ „Es tut mir leid“, murmelte sie schon das fünfte oder sechste Mal. „Ich konnte mich einfach nicht mehr beherrschen…“ „Wieso?“ „Zik hat übertrieben! Er hat kein Recht mich anzugreifen und schon gar nicht Kyssan!“, rief sie aus. „Er sollte endlich lernen, dass er mit mir nicht alles machen kann, was ihm beliebt!“ „Es ist für Tades verboten Magie gegen andere Tades einzusetzen!“, predigte ihr Meister, erntete aber nur einen trotzigen Blick. „Das war Zik und Keigoth auch schon immer egal!“, erwiderte sie wütend, woraufhin der alte Mann seufzte und sich schließlich vor ihr auf den Boden setzte, ihr bedeutend dasselbe zu tun. „Was ist mit dir los, Yur?“, fragte er dann ruhig. „In der letzten Zeit hast du dir sehr verändert… Du bist ungeduldiger und gereizter, als du es je warst.“ Das ließ sie schweigen. Wie sollte sie ihm das erklären? Irgendetwas sagte ihr, dass er sie nie würde verstehen können, da er ein Mensch war und vor allem wusste, wer er war. Außerdem hatte er ihr nie erzählt, wo sie herkam, egal wie sehr sie gebettelt und gefleht hatte. Zwar gab er vor, dies nicht zu wissen, doch das glaubte sie nicht… Nicht wirklich, sonst wüsste außer ihm noch wer, dass sie ein Mädchen war. Und hätte er sie, wie er vorgab, einfach gefunden, hätte es keinen Grund gegeben, sie als Jungen zu erziehen. Dann hätte man sie auch ins Kloster der Frauen geben können und ihr nicht eingeschärft, sich wie ein Junge zu verhalten. „Sag es mir“, forderte der Alte Mann nun schärfer. „Es gibt niemanden, der so ist, wie ich“, erwiderte sie bloß. „Und ich will auch nicht mehr so sein, wie die anderen. Ich bin ich und ich habe keine Lust mehr so zu sein wie Ihr und die Meister mich formen wollt. Ich will endlich wissen.“ Sie schüttelte den Kopf. „Ihr könnt das nicht verstehen.“ „Du musst dich in Geduld üben, dann wirst du deinen Platz finden“, antwortete ihr Meister, woraufhin sie mit geballten Fäusten aufstand. „Das sagt Ihr mir schon seit Jahren, doch es passiert nicht! Ich kann so nicht ewig weitermachen! Ich will wissen, was vor sich geht…“ Sie starrte auf ihre nackten Füße hinab, deren Zehnen mittlerweile länger waren als die der andere, so dass sie mit ihnen auch Sachen greifen konnte. „Dieser…“ Kurz musste sie überlegen. „Sanbok ist mir ähnlicher als irgendjemand hier im Kloster! Vielleicht kann er mir helfen… Ich weiß es nicht…“ Wütend über sich selbst, biss sie sich auf die Lippen. „Aber ich will es wissen! Ich will auch wissen, was er ist… Wieso…“ Ohnmächtig rang sie nach Worten und schrie schließlich kurz auf. „Ach, ich könnt das nicht verstehen! Verdammt! Niemand wird das verstehen!“ Kurz wollte sie sich zur Tür wenden, tat es dann aber doch anders und sprang über den Rand des Balkons an die schräge Wand der Pyramide, die sie schnell hinunterkletterte, ehe sie ein ganzes Stück tiefer in das Geäst eines Baumes sprang und darin verschwand. Sie wusste, dass sie ihren Meister enttäuscht hatte, aber sie konnte nicht anders. Diese furchtbare Unruhe in ihr, wollte nichts anderem mehr Platz machen, beherrschte sie mit jedem Tag mehr und verhinderte nach und nach auch ihren Schlaf. Die Beine an sich gezogen und sich gleichzeitig mit den Füßen festkrallend saß sie ein Stück tiefer im Dschungel in der Krone eines der riesigen Bäume. Es war noch nicht all zu lange her, da hatte sie sich gefürchtet diesen Ort zu verlassen doch nun war ihr klar, dass sie nichts mehr ersehnte als das. Freiheit – würde sie die in anderen Welten finden? Sie wusste es nicht, denn das einzige, was sie aus den Welten kannte waren die Beschreibungen der Bücher… Doch alles war besser, als auf ewig hier zu bleiben. Die Frage die blieb, war, wie sie dorthin kam… Es musste bald etwas passieren. Irgendwas… Doch ewig konnte es nicht so bleiben, dachte sie und senkte den Kopf auf ihr spitzes Knie hinab. Ja, es musste einfach etwas passieren. Mit dem Einbruch der Nacht wechselten die Geräusche des Waldes und andere Vögel nahmen den tagaktiven die Aufgabe ab, ein grandioses Geschrei zu verbreiten und damit die ganze Gegend zu erfüllen. Natürlich etwas, von dem man innerhalb des Gesteins nichts hörte, doch Yur war nicht in der Pyramide sondern saß auf deren Spitze und starrte auf den Wald, der ein ganzes Stück unter ihr verlief, hinab. Seit dem vergangenen Vorfall hatte sie nicht wieder mit ihrem Meister gesprochen und würde es auch nicht mehr tun, doch sie wusste auch so, dass es möglich war, dass sie nicht weiter unterrichtet wurde. Das war zumindest die Strafe, die auf ungebührliches Verhalten seinem Meister gegenüber des Öfteren stand. Auch wenn sie Miras einzige Schülerin war… Die Beine an den Körper gezogen sah sie auf das, was unter ihr war, hinab. Sie hatte keine Höhenangst, was allerdings auf die meisten Magier zutraf. Viele von ihnen konnten fliegen, und wer fliegen wollte, durfte die Höhe nicht scheuen. Doch Erdmagier waren darin nicht besonders bewandelt, auch wenn Yur sich schon öfter gefragt hatte, wie sich das anfühlen musste, nicht länger an den Boden gebunden zu sein. Das Gefühl grenzenloser Freiheit und doch war man selbst, wenn man fliegen konnte gebunden, denn solange man kein Wandler war konnte man die Welt, in der man war, nicht verlassen und würde doch nicht mehr sehen als dieselbe Welt, denselben Planeten und denselben Himmel. Selbst wenn sie zu bezweifeln wagte, dass der Himmel in anderen Welten sich großartig unterschied. Würde sie das jemals erfahren? Ein Seufzen entfuhr ihr und sie zog ihre Beine näher an ihren Körper heran, was nur ging, da die Spitze der Pyramide etwas abgeflacht war, so dass sie hier gut sitzen konnte. Ihr Blick glitt über die Landschaft vor ihr. Soweit sie sehen konnte nur die grüne unregelmäßige Fläche, die die Kronen der Bäume bildeten. Ein paar Löcher, wo Bäume gestorben waren und woanders ragte eine einzelne Spitze hervor, wie es auch die zwei Wachtürme taten, die sie von hier aus erkennen konnte. Dieser Dschungel war alles, was sie in ihrem Leben gesehen hatte… Dabei musste es selbst in dieser Welt auch noch was anderes geben! Doch sie zweifelte, dass man jenseits des ewigen Waldes anders auf sie reagieren würde, wie hier. Denn wenn es solche Wesen wie sie hier gäbe, wären sie auch im Kloster bekannt. Nein, sicher gab es hier nichts, was ihr auch nur ähnlich war. Bis auf den Echsenjungen – Kyssan. Aber vielleicht redete sie sich das auch nur ein, weil er ebenfalls so komplett anders schien, als alles andere hier im Kloster. Da zog etwas ihren Blick auf sich und sie sah auf die herausstehende Ebene, vor dem Portal, von der aus die Treppe in den Wald hinab führte. Dort stand eine Gestalt und sah sich um und hinter ihr konnte sich nur eine Person verbergen: Der Sanbok. Außer ihm besaß niemand im ganzen Kloster eine Schnauze. Sie lächelte sanft. Zu gerne hätte sie jetzt mit ihm geredet, doch sie ließ es sein, nachdem er sie am Mittag so unsanft abgewiesen hatte. Sie wusste nicht warum, doch er schien mit niemanden reden zu wollen und wohl oder übel würde sie das akzeptieren müssen. Trotzdem sah sie auf seine Gestalt hinab, die sich unsicher hin- und herbewegte, ganz so als würde ihn etwas belasten und dieselbe Unruhe wie Yur hätte von ihm Besitzt ergriffen. Nein, sie wollte sich sicher nur weitere Ähnlichkeiten zwischen ihm und ihr einreden, die nicht vorhanden waren. Die Frage, was ihn bedrückte, blieb. Wenn er es ihr doch nur erzählen würde… Da wandte sich seine Schnauze in ihre Richtung, ganz so, als hätte er sie gesehen, aber sie ergriff schon – ohne zu wissen warum – die Flucht an der hinteren Außenwand des Klosters hinab, wo er sie nicht entdecken konnte. Kapitel 4: Aussichtslose Kämpfe ------------------------------- Kapitel 04: Aussichtlose Kämpfe Die Nacht verstrich schlaflos für Yur, weshalb sie sich am nächsten Tag völlig erschöpft fühlte und sich erneut in den Wald zurückzog. Zumindest hier fand sie etwas Ruhe, um im Geäst eines Baumes zu dösen, doch fühlte sie sich noch beunruhigter, als am Tag bevor. Deshalb floh sie schließlich zurück in die Pyramide und zog sich dort in ihr Zimmer zurück. War es ihr schlechtes Gewissen gegenüber dem Meister, das sie nicht ruhig liegen ließ, oder die Ungewissheit, was nun des Weiteren mit ihr passiere würde? Vielleicht würde ihr Lehrer ja doch Gnade vor Recht ergehen lassen, wie er es so oft tat, und nichts tun, doch an ihrem Gewissen würde auch das nichts ändern. Ruhelos wanderten ihre Gedanken umher, brachten wieder Fragen über sich und den Fremden Echsenjungen, aber keine einzige Antwort. Nur weitere Hast in ihrem Innern, wie ein Knoten, der ihre Organe in Beschlag nahm und nicht mehr loslassen wollte. Sie wollte hier liegen bleiben und bis ans Ende der Zeit warten, und gleichzeitig wollte sie losrennen – in den Wald nach draußen! Ein Schrei wollte sie verlassen, wurde jedoch von ihrem Kissen erstickt. Was war nur mit ihr los? Ihr Meister hatte Recht: Sie hatte sich verändert, doch das ging nicht von ihr aus sondern war einfach geschehen. „Ich will fort“, murmelte sie in die Leinen hinein und rollte sich zusammen. Warum ging sie nicht einfach? So viele Gedanken ihr auch durch den Kopf schwirrten, fiel sie irgendwann in einen unruhigen Schlaf, angefüllt mit wirren, zusammenhangslosen Bildern, die zu schnell wieder verschwunden waren, um sich einen Reim darauf zu machen und als sie schließlich aufwachte, waren sie auch schnell vergessen. Dafür hatte sich ein neues Gefühl in ihr breit gemacht, wieder, ohne dass es dafür eine Erklärung gab: Angst. Etwas verwirrt richtete sie sich auf und sah sich in ihrem Zimmer um, ehe ihr Blick zur Tür wanderte und sie endlich die Geräusche, die sie schon die ganze Zeit hörte und die sie wahrscheinlich aus dem Schlaf gerissen hatte, einzuordnen begann. Es waren Schreie! Nicht nur eine Person schrie, nein, es war das panischer Geschrei einiger Tades, das über die Gänge halte und sie warnte, als sie nahe Schritte hörte. Intuitiv zog sie sich an der Wand hoch zur Decke, ehe im nächsten Moment ein Mann die Holztür aufstieß und hereinkam. So eine Kleidung, die er trug, hatte sie hier noch nie gesehen: Ein kurzer roter Umhang, flatterte um seinen Körper herum, während ein weißes, scheinbar am Stück gewebtes Hemd seinen Oberkörper bekleidete und die Beine in eine verzierte orange Hose gekleidet waren. Es schien so etwas, wie eine Uniform zu sein. Für Magier? Oder für Soldaten? Jedenfalls war der spitzohrige Mann – wahrscheinlich ein Dämon – ein Feuermagier, wie die kleine glühende Kugel in seiner Hand verriet, die zu einer Flamme anwuchs, als er sich nervös umsah. Er gehörte auf keinen Fall zum Kloster und fand sich einen Moment später halb im Boden liegend wieder, so dass nur noch der obere Teil seines Kopfes hervorsah, gerade genug, dass er sehen und Atmen konnte – aber nicht schreien. Ohne abzuwarten, was nun passieren würde, kletterte Yur die Wand entlang und aus der Tür hinaus, im Gang wieder an der Wand entlang, wo die meisten nicht sofort hinsahen. So war es im Gebäude doch unüblich zu fliegen, da die vielen Felsen die Winde schwächten. Die Schreie waren allgegenwärtig und Yur beobachtete einige der Männer und Frauen in den verschiedenfarbigen Uniformen, wie sie durch die Korridore liefen und jede Tür aufstießen. Ein merkwürdiges Gefühl machte sich in ihr breit, als ihr klar wurde, dass diese Leute schon einige Magier des Klosters getötet hatten. Sie waren hier um zu töten. Aber wieso? Und was waren das für Leute? Eine Frau in blauer Gewandung, die gerade unter ihr herlief, sah plötzlich auf, als sich im nächsten Moment Eis um die Finger des Mädchens breit machte und sie den Halt am Gestein verlor. Hart auf den Boden aufgeschlagen, schaffte sie es trotzdem, sich irgendwie wieder aufzurappeln und die dunkelhaarige Frau – scheinbar ein Mensch – mit wütendem Blick anzusehen. Derweil strichen ihre Finger über den Fels hinter ihr, in der Hoffnung dort eine Hilfe zu finden. „Wolltest du fliehen?“, fragte die Frau in der Sprache der Wandler. Yur sah sie nur mit zusammengekniffenen Augen an, während einige Wassertropfen in der Luft um die Hand der Frau zu hingen schienen und diese umspielten. Also war sie eine Wassermagierin und eine Weltenwandlerin? Zumindest mussten Wandler bei diesen Kriegern dabei sein, sonst hätten sie nicht herkommen können. „Und, was bist du?“, fragte die Wassermagierin weiter. Weiterhin antwortete das Mädchen nicht, als die Frau ihr ein kühles Lächeln schenkte. „Willst du mit uns kommen?“ „Was?“ Yur sah sie verwirrt an. „Jeder der uns begleitet wird leben“, versprach die Frau, als Yur aus den Augenwinkeln eine andere Bewegung wahrnahm. Es war Mur, der mit einem Schwert bewaffnet und halb mit Fell bewachsen auf die Frau zusprang, jedoch mitten im Sprung von einem Eispfeil, der sich aus den schwebenden Tropfen gebildet hatte, durchbohrt wurde. Im selben Moment zogen Arme aus Felsen die Frau an die Wand und dann in das Gestein hinein. Einen kurzen Blick war das Mädchen noch der Werratte zu, doch der langsam schmelzende Pfeil ragte mitten aus seiner Brust. Er war tot. Da kamen zwei andere Fremdlinge auf sie zu, beide in diese merkwürdigen Uniformen gekleidet, doch ehe sie verstanden was geschah, folgten auch sie der Magierin in die Wand. Yur konnte kaum glauben, was hier gerade geschah. Sie hatte diese Menschen wohl getötet, aber auch Mur, den sie eigentlich nicht mal leiden konnte, war tot und irgendwie versetzt ihr auch das einen Stich in der Brust. Was taten diese fremden Magier hier? Wieso töteten sie wahllos Tades und was hatten die Worte der Frau zu bedeuten? Mitkommen – sie begleiten? Wohin? Nun kletterte sie nicht weiter die Wände entlang, sondern lief am Boden, immer wieder steinige Dornen hinter sich aus dem Fels wachsen lassend, die eventuellen Verfolgern den Weg abschneiden würden. Auch wenn sie sich sicher war, dass einige dieser Fremden in der Pyramide waren und sie auf sie treffen würde, egal in welche Richtung sie lief. Doch das brachte sie zur nächsten Frage: Wo wollte sie überhaupt hin? Wenn die Angreifer hier überall waren, gab es keinen sicheren Platz! Also: Warum lief sie und vor allem: Warum lief sie nach unten in die Pyramide hinein, wo sie doch wahrscheinlich draußen im Dschungel am sichersten war. Während sie weiter rannte und zwei weitere Magier in der Wand verschwinden ließ versuchte sie nachzudenken. Es musste einen Grund geben und vor allem eine Rettung! Wo waren denn nur die Meister? Sie würden es sicher mit den Fremden aufnehmen können. Aber bisher hatte sie niemanden von ihnen gesehen, nur drei Tades war sie "begegnet" und die waren tot gewesen. Ermordet. Schließlich durchzuckte sie eine Erinnerung: Die Worte des einen Magiers, die sie belauscht hatte. Die Meister hatten in ihrem Streit, vom Rat gesprochen und sie war sich damals schon sicher gewesen, dass es sich dabei um den Rat der Weltenwandler handeln musste. Sie hatten gesagt, dass der Rat Kyssan wollte, weil dieser ein Seher war, selbst wenn das Mädchen bisher noch immer nicht verstanden hatte, was das heißen sollte. Aber es ergab Sinn: Sie waren wegen Kyssan hier und vielleicht auch, weil sich Tänon oder er sich für Verur – so wie der eine Magier gesagt hatte – gegen den Rat gestellt hatte. Vielleicht hing alles damit zusammen... Doch das erklärte noch immer nicht, warum sie keinen Meister fand. Dafür wusste sie jetzt, wo sie hinmusste: Die Zimmer der Reisenden, die seit langem nicht mehr gefüllt waren, wo momentan aber Kyssans Nachtlager war. Wenn sie den Jungen wollten, musste er von hier weg. Aber wie? Ihre Gedanken liefen ununterbrochen im Kreis. Was sollte sie nun genau machen? Beim Laufen rettete sie ständig ihre Intuition, die sie Magie anwenden ließ, noch bevor Yur den Gegner sah, und die sie die ganze Zeit in die richtige Richtung laufen ließ, bis sie im Korridor der Reisenden stand. „Kyssan!“, rief sie lauthals, auch wenn sie sich so verriet. „Kyssan?“ Sie sah sich um und weiter hinten im Flur die Leichen zweier Angreifer. Also hatte sich hier jemand verteidigt. Vielleicht ein Meister? „Kyssan?“, schrie sie erneut, als sie von hinten gepackt wurde und man sie in einen Raum zog, wo sie im nächsten Moment in das selbst erschrockene Gesicht Tänons blickte. Hinter ihm stand Kyssan, dessen Augen mal wieder zu sehr dünnen Schlitzen verengt waren, als er das Mädchen musterte. „Was machst du hier?“, waren die ersten Worte des Elfen, als er die Tür behutsam schloss. „Wie kommst du hierher?“ Ihr war klar, dass seine Worte eigentlich lauten sollten: Wie kann es sein, dass du noch lebst? Hast du dich ihnen angeschlossen? Aber das ignorierte sie. „Meister Tänon“, keuchte sie erleichtert und sah sich hektisch im Raum um. „Meister Tänon! Was geht hier vor? Was sind das für Leute?“ Beide sahen sich verwirrt an, ehe der Wassermeister aufatmete. „Wie kann es sein das du noch lebst, Tade Yur?“ „Ich bin von den Schreien erwacht, kurz bevor einer von ihnen in mein Zimmer kam...“ Langsam kroch die Verzweifelung von ihrem Herzen in ihre Kehle hinauf und ließ sie kurz und tränenlos aufschluchzen. „Ich habe ihn im Boden versinken lassen und einen anderen getötet. Nein, drei der anderen. Sie haben auch welche der anderen Tades getötet und… Ich wusste nicht was ich tun sollte.“ Etwas überfordert sah sie der Elf an, tätschelte ihr dann aber beruhigend den Arm. „Ist gut...“, murmelte er und zog sie weiter in das kleine Zimmer hinein, wo Kyssan sie stumm musterte. Tänon lauschte scheinbar, ehe er sich wieder ihr zuwandte. „Hör mir zu, Yur“, sprach er leise. „Es werden bald weitere von diesen Kriegern hier herunter kommen. Ich werde sie nicht ewig aufhalten können, verstehst du.“ Bemüht ruhig nickte sie. „Diese Fremden gehören zum Rat der Weltenwandler und ich habe sie hierher gelockt, als ich Kyssan vor seiner Familie gerettet habe“, erklärte er ihr weiter. „Vor seiner Familie?“, fragte die Erdmagierin verwirrt, doch der Elfenmeister gebot ihr zu schweigen. „Der Rat wollte ihn bereits vorher, weil er die Kräfte der Seher braucht und so konnten sie uns hier wohl auch finden“, fuhr er rasch fort. „Wir sind ihnen bisher egal gewesen, doch da wir gegen sie gehandelt haben – jedenfalls werten sie Kyssans Rettung so – haben sie uns zu ihren Feinden erklärt. Sie werden mit uns so verfahren, wie mit allen, die für sie als feindlich gelten: Entweder schließt man sich ihnen an oder man wird getötet.“ „Aber...“, begann sie, wurde aber erneut zum Schweigen gebracht. „Kyssan darf nicht nach Kore kommen“, erklärte der Elf. „Er muss von hier weg und zwar schnell.“ „Wie?“, keuchte sie verzweifelt. „In eine andere Welt“, fuhr der Elf fort. „Wieso ist er dann noch hier?“, fragte sie. „Ihr seid doch ein Wandler, Meister Tänon.“ „Das bin ich“, erwiderte er. „Doch es gibt Magie, die diese Fähigkeiten unterdrücken kann...“ Verwirrt sah Yur ihn an. „Was? Aber wie?“ Doch der Elf schüttelte den Kopf. „Du kennst die unterirdischen Gänge zu den Wachtürmen?“, fragte er sie. Stumm nickte sie. „Bring ihn dorthin“, befahl er ihr. „Einige der anderen Meister sind dort und haben auch einige der Tades in Sicherheit gebracht. Randem wartet auf Kyssan, er sollte dort draußen ein Tor öffnen können.“ „Aber wieso... Ihr könnt doch...“, setzte sie an, doch der Elf winkte den Sanbok nur zu ihr herüber. „Ich werde ihnen eine falsche Fährte legen. Sie können mir leichter folgen als dir, denn sie kennen meine Magie.“ Dieses Mal nickte sie weiter nur, ohne zu verstehen, was der Meister dort redete. Im nächsten Moment sammelte sich Wasser aus den Wänden um den Elfen herum, ehe sich neben ihm auf einmal eine Figur bildete, die kurz darauf die Gestalt Kyssans annahm. „Lauft!“, sagte er Elf nur und riss vor ihnen die Tür auf. Noch einmal sah das Mädchen ihn verwirrt an, doch dann griff sie Kyssan bei den Fingern, wogegen er sich dieses Mal scheinbar nicht wehrte und rannte links aus dem kleinen Raum hinaus, weiter dem hier recht breiten Gang folgend. Ja, sie kannte die Wege zu den Wachtürmen, doch war sie sich nicht sicher, ob sie diese auf Anhieb finden würde. Auch war es ihr ein Rätsel, warum der Meister von hier aus kein Portal öffnen konnte? Und wieso konnten sie nicht einfach das Dauerportal in der Pyramide verwenden? Aber im nächsten Moment wurde ihr es klar: Man würde vermuten, dass sie durch das Portal flohen und ihnen so einfach folgen können. Jedenfalls ahnte sie das, auch wenn sie von diesen Schnitten zwischen den Welten nicht sonderlich viel verstand. Ein letztes Mal sah sie zu dem Elfen, der mit Kyssans Ebenbild in die andere Richtung lief. Sie verstand seinen Plan doch war sich nicht sicher, ob er aufgehen würde. Zumindest würde sie ihr bestes geben, um dazu beizutragen. Ihr Blick wandte sich ihrem Gefährten zu, der scheinbar immer noch nicht mit ihr sprechen wollte und stattdessen einfach neben ihr her trottete. So beschleunigte sie einfach ihren Schritt und rannte die Gänge entlang, die weiter nach unten führten, dorthin, von wo aus sie nach außen kommen würde. Nach einer Weile riss der Echsenjunge sich ohne ein Wort von ihr los und begann auf allen vieren in einer Art springendem Lauf neben ihr her zu rennen, so dass sie noch schneller als zuvor vorankamen. Es war ein Glück, dass sie beide schnell laufen konnten, wie sie sehr bald feststellen, als Zungen aus Wasser und Feuer hinter ihnen herauftauchten und sie zu ergreifen versuchten, so dass auch Yur, die sich im Laufen nicht wirklich auf ihre Magie konzentrieren konnte, kaum wehren konnte, doch schließlich gelang ihnen die beiden Angreifer abzuhängen, indem sie eine weitere Wand erschuf, die sie eine Weile aufhalten würde, auch wenn die Erdmagierin wusste, dass es den Wassermagiern wohl möglich wäre, diese zu durchbrechen. Es verschaffte ihnen zumindest einen Vorsprung. Schließlich kamen sie in die große Halle der Wächter, die vor dem Raum des Portals gelegen war, doch die Tür, die zum Portal führte, war verschwunden. Stattdessen lag vor der braunen, etwas gelblich schimmernden Wand, ein weiterer Leichnam, den das Mädchen als den Jiranus erkannte. Er hatte die Tür wahrscheinlich verschwinden lassen. „Wo geht es lang?“, fragte Kyssan neben ihr, während sein Blick zwischen den drei Tunneln, die von ihr fortführten, hin und her wanderte. Auch Yur war nicht sicher, wo nun Randem auf sie wartete. Davon hatte der Elf nicht gesprochen und es gab insgesamt neun Wachtürme um die Pyramide herum. Alle waren gleichweit von dem Gebäude entfernt, also: Wo sollte der Luftmeister sein? Hektisch sah sie zwischen den Gängen hin und her, und schlug schließlich die Richtung des am weitesten links von ihnen gelegenen ein, als ihre Füße auf einmal in die Luft traten. „Was...“, keuchte sie, doch der Sanbok, der wie sie in der Luft schwebte, knurrte nur. „Ein Luftmagier“, murmelte er, auch wenn ihr das bereits klar war. Da trat einer der Fremden – sie kannte sie Rasse nicht, doch sein Körper war komplett mit dunklen Federn besetzt, wie der eines Vogels – aus der zweiten Treppe, die nach unten führte, hervor und sah sie aufmerksam an, sagte jedoch nichts, vielleicht unfähig zu sprechen. Verzweifelt dachte das Mädchen nach. Sie konnte die Erde nicht beherrschen, solange sie nicht auf ihr stand und die Winde, die ihr Angreifer kontrollierte, hielten sie in der Luft und sorgten dafür, dass sich Angst in ihrem Innern breit machte. Nein, das war kein besonders angenehmes Gefühl für sie. „Der Seher“, hauchte das Vogelwesen und legte den Kopf schief, wobei seine dunklen Augen merkwürdig aufblitzten. Es trug eine helle Robe, war sonst nicht bekleidet und hatte statt Beinen merkwürdige, mit Klauen besetzte Glieder. Auch so etwas hatte Yur noch nie gesehen. „Und ein Kind...“ Die Stimme dieses Wesens klang kratzig, als würden spitze Krallen über glattes Gestein fahren. „Lasst uns runter“, schrie sie, was dem Fremden nur ein merkwürdiges Lachen entlockte. Verdammt, durchfuhr es die Erdmagierin. Was sollte sie jetzt machen? Sie musste auf den Boden kommen, sofort, denn sie ahnte, dass der Fremde sie nicht am Leben lassen würde. Dafür war sie nicht wichtig genug. Kyssan entfernte sich, genau so machtlos wie sie, von ihr und schwebte nun fast über den Fremden, als sich plötzlich Ranken an diesem emporschlängelten und den Körper durchbohrten, ehe einen Moment später ein Schwall dunkelblauen Blutes auf den Boden platschte und das Wesen tot in den Pflanzen hängen blieb. „Meister Miras!“, rief das Mädchen, dass diese Magie zu gut kannte aus, als sie wankend auf dem Boden aufkam. Dieses Mal war sie zumindest nicht ganz gestürzt, obwohl sie die Winde von einem Augenblick auf den anderen losgelassen hatten. Glücklich darüber, dass ihr Meister scheinbar noch lebte und dasselbe auch für sie und den sich nun ebenfalls vorsichtig aufrichtenden Kyssan galt, sah sie sich um, als der Alte sich an einem der Felsen zeigte. „Wie habt ihr das gemacht?“, fragte sie darauf bezogen, dass sie ihn zuvor nicht gesehen hatte, doch er schüttelte nur den Kopf. „Geht, schnell“, keuchte er und hielt sich mit der linken Hand die rechte, nun armlose Schulter, während das Blut über seine Finger ran. „Was...“, begann Yur schockiert und sich plötzlich darüber im Klaren, dass der alte Mann sterben würde, wenn ihn nicht bald jemand heilte. „Was ist mit euch, Meister...?“ „Frag nicht“, erwiderte er. „Bring Kyssan von hier fort.“ „Aber Meister, ich kann doch nicht...“, setzte sie an, als der Meister aufschrie. „Doch, du kannst“, brüllte er sie an. „Du verstehst noch gar nichts von den Welten, also tu einfach, was man dir sagt. Meister Randem ist im südwestlichen Turm.“ Nun bildeten sich doch Tränen in ihren Augen und rannen über ihre Schuppen. „Ihr werdet sterben, Meister“, flüsterte sie, doch er sah sie nur mit seinen alten, traurigen Augen an. „Geh einfach“, hauchte er, als eine Ranke aus dem Boden trat und seine eigene Brust durchbohrte. Im nächsten Augenblick verlosch das Licht in seinen Augen und er sackte zu Boden. Geschockt schrie Yur unartikuliert auf, wollte zu dem alten Mann rennen, wurde aber von Kyssan festgehalten. „Lass mich!“, kreischte das Mädchen und wollte sich losreißen, doch die schwarzen Echsenaugen sahen sie ernst an. „Wir müssen hier weg“, zischelte er. „Sofort!“ „Aber…“, begann sie. „Du wirst nichts mehr für ihn tun können.“ Sie senkte den Blick und schluchzte. Zwar wusste sie, dass die Worte des Echsen die Wahrheit waren, doch konnte sie das einfach nicht einsehen. Dieser alte Mann hatte sie großgezogen und das letzte Mal, dass sie mit ihm geredet hatte, war sie nicht sonderlich freundlich zu ihm gewesen. Und jetzt war er tot?! „Wie kommen wir zum südwestlichen Turm?“, fragte Kyssan weiter und zerrte an ihrem Arm. Verzweifelt wischte sie sich die Tränen aus dem Gesicht, auch wenn immer wieder welche nachliefen. „Folge mir“, hauchte sie und lief langsamer als zuvor zum mittleren Gang vor ihnen, der gen Süden führte. Das Tunnelsystem unter der Pyramide war schier unendlich und wurde für jemanden, der sich nicht auskannte schnell zum Labyrinth. Yur, die selbst noch nie in den Wachtürmen gewesen war, hatte sich jedoch eine Zeit lang hier öfters herumgetrieben, weswegen sie zumindest wusste, in welche Richtung sie laufen musste. Immer wieder bemerkte sie, wie Kyssans Blick zur ihr herüberwanderte und sich dann wieder auf den Weg vor ihnen konzentrierte. Unbewusst hatte sie ihre Arme um den Körper geschlungen, als wollte sie sich selbst zusammenhalten. Das, was sie gesehen hatte, seitdem sie aufgewacht war, reichte eigentlich um sie für ein Leben zu verschrecken, doch jetzt musste sie weitergehen. Sie mussten schnellstmöglich zu Randem kommen, der zu den Meistern dämonischen Blutes gehörte. Aber was würden sie dann machen? Würde der Meister sie in die andere Welt begleiten und durfte sie überhaupt dorthin? Irgendwie musste sie sich von dem Bild des toten Miras ablenken. „Wie weit ist es noch?“, fragte Kyssan. „Nicht mehr sehr weit“, erwiderte sie, während ihre Geschwindigkeit mittlerweile normales Gehtempo war. Sie seufzte. Jetzt war keine Zeit zu trauern, auch wenn ihr Herz das nicht verstehen wollte. Da ließ sie ein Geräusch zusammenschrecken und sorgte dafür, dass sie sich hastig umsah. Sie konnte das Gefühl nicht erklären, aber etwas sagte ihr, dass ihr noch ein weiterer Magier war und zwar einer dieser Fremden. „Lauf schneller“, rief sie den Sanbok zu, woraufhin dieser wieder auf alle Viere ging und voran trabte. Auch sie beschleunigte ihren Schritt und rannte hinter dem Echsen her, als neben ihnen erneut Arme aus Wasser erschienen und kleine dünne Pfeile aus Eis an ihnen vorbei flogen, was ihnen verriet, dass es Wassermagier sein mussten, die sie verfolgten. Doch das brachte ihnen jetzt auch nichts, zumal der Tunnel zu breit war, als dass Yur, die ohnehin schon völlig erschöpft war, den Weg hätte versperren können. „Da lang“, befahl sie und zeigte auf einen kleinen Seitengang, in dem sie erneut steinige Dornen aus den Wänden wachsen ließ. Irgendwo hier musste die Treppe sein, die zur Oberfläche führte. Der Gedanke ließ sie nicht mehr los und sie sah sich noch einmal genau um. Dieser Gang war im Gegensatz zum Inneren der Pyramide kaum von den phlourezierenden Adern durchzogen, was das Dämmerlicht fast undurchdringlich machte. Nun sah sie jedoch das dunkle Loch am Ende des Ganges, als ihnen ein Mann mittleren Alters, den Yur als den Menschenmeister Randem erkannte entgegengelaufen kam und, als er sie erreicht hatte, eine Druckwelle aus Luft in Richtung der Verfolger schickte Dankbar ergriff Yur seine Hand, als er sie die Treppe hochzog, während der Sanbok weiterhin auf allen vieren schneller als sie oben war. „Kannst du die Treppe versperren?“, fragte der dunkelhaarige Mann sie. Stumm nickte sie und ließ am Fuß der Treppe eine dünne Wand entstehen. Mehr brachte sie – müde wie sie war – nicht mehr zu Stande. „Was sollen wir jetzt machen?“ „Kommt mit“, erwiderte der Windmagier nur und ging in Richtung des Randes der Lichtung, auf dem der Wachturm stand. Dort erstreckte sich der düstere Dschungel, dessen tägliches Zwielicht nun in der Nacht zu einer undurchdringlichen Dunkelheit geworden war. „Der Wachturm…“, begann das Mädchen, doch ein Nicken des Meisters sagte ihr, dass sie einfach mitkommen sollte, wie es Kyssan bereits tat. Also folgte sie ihm – etwas anderes blieb ihr nicht übrig und ging in das Gestrüpp des Waldes hinein. Warum führte der Magier sie soweit in den Wald? Wieso konnte er nicht hier ein Tor öffnen? Doch als sie etwas hinter sich hörte, dass einer Explosion nicht unähnlich klang, wurde offensichtlich, warum er das tat: Auf der Lichtung waren sie ein leichtes Opfer für die Angreifer und vielleicht schon gefunden bevor das Tor offen war. Schließlich blieb der Wandler zwischen zwei hohen Büschen stehen, die selbst bei Wesen, die im dunklen zum Sehen fähig waren, Sichtschutz bieten würden, stehen. „Tretet ein Stück zurück“, meinte der Mann, woraufhin sie sich an den Baum hinter ihm zurückzogen. Dann streckte er die Hand vor seinen Körper und begann sich, zu konzentrieren. Ein leuchtender weißer Punkt erschien in der Luft, als der Baum an dem Yur und Kyssan standen auf einmal in Flammen aufging. „Meister!“, rief das Mädchen, doch der Mann schenkte ihr nur einen kurzen Blick, bevor er die Augen ganz schloss. Im nächsten Moment breitete sich der Punkt zu einer halbmannsgroßen Fläche aus, die einem Fenster ähnelte, konnte man durch sie hindurch etwas anderes sehen als den Wald, nämlich eine Wüste. „Geht!“, rief der Mann, als ein Feuermagier des Rates neben ihnen erschien und ebenfalls die Büsche in Flammen steckte. Kyssan sprang wie ihm gesagt wurde, durch das Loch, indessen Yur noch zwischen den beiden Männern hin und her sah. Sollte sie nicht eigentlich helfen? Doch Randem packte sie nur am Nacken und schubste sie durch das Fenster hindurch. Im nächsten Moment schlug sie auf heißem Sand auf und sah sich um. Aber vom Fenster war keine Spur mehr zu sehen… Kapitel 5: Verloren in der Wüste -------------------------------- Kapitel 05: Verloren in der Wüste Verwirrt und verständnislos sah Yur sich um. Ihr Gehirn brauchte etwas, um das, was geschehen war und was sie nun sah, einzuordnen. Im letzten Moment war sie noch von der nächtlichen Dunkelheit des Waldes gefangen gewesen und nun saß sie am helligten Tag in einer Wüste, wo weit und breit nichts anderes zu sehen war als Sand. Über ihr ein strahlendblauer Himmel ohne Wolken. Die Luft stand geradezu vor Hitze, so dass sie kaum klar sehen konnte. Nicht weit von ihr entfernt saß Kyssan im Sand, war allerdings wesentlich gefasster als sie und sah sie abwartend an, während sie immer noch kein Wort hervor brachte. Langsam realisierte sie, dass sie nicht nach Verur zurück konnte, da sich das Portal – so etwas hatte sie noch nie gesehen! – hinter ihnen geschlossen hatte. Sie erinnerte sich noch, an den Feuermagier, der sie entdeckt hatte und wie Meister Randem, den sie selbst kaum kannte, sie durch das Portal gestoßen hatte. Und nun war sie hier und wusste nicht einmal wo „hier“ genau war. „Wo sind wir hier?“, fragte sie daher an Kyssan gewandt, der nur den Kopf schüttelte. „Ich weiß nicht mehr als du.“ Sein Blick wanderte über die Dünen die sie umgaben. „Aber ich fürchte, dass wir hier nicht bleiben können.“ Mit einem Nicken bestätigte sie seine Worte und kam schwankend auf die Beine. Der wenige Schlaf der letzten zwei Tage und die Flucht hatten sie erschöpft, so dass sie sich fragte, wie lange sie noch würde laufen können. „Geht es dir gut?“, erkundigte der Sanbok sich nach einer Weile verhalten und richtete sich kurz auf, da er die ganze Zeit Arme und Beine zum Laufen benutzte, wenn man ihn ließ. Müde nickte sie. „Ja“, murmelte sie und folgte ihm die Düne hinauf. Dann schwiegen beide, so dass sie von einer geradezu unheimlichen Stille umgeben wurden, denn außer ihnen war nichts hier, was hätte ein Geräusch von sich geben können. Da waren nur der Sand, der seichte, kaum vorhandene Wind, der schier endlose Himmel und das Ungute Gefühl, das Yur schon eine ganze Weile erfüllte. Die Hitze machte ihr weniger aus, da es auch im Dschungel um das Kloster herum ähnlich heiß war, aber dort war es eine schwüle Wärme, die einen immerzu umgab. Das war jedoch nicht das schlimme, nur die Aussicht, dass es hier nichts zu trinken oder zu essen geben würde, machte ihr Angst. „Du bist ein Erdmagier“, versuchte Kyssan nach eine Weile ungeschickt ein Gespräch zu beginnen. Sie überlegte kurz. Es war mittlerweile klar, dass sie nie wieder zum Kloster zurückkehren würde, jedenfalls glaubte sie nicht daran, weshalb es egal war, wenn er die Wahrheit erfuhr. „Eine Erdmagierin“, erwiderte sie leise. Er sah zu ihr hinauf. „Magierin?“, fragte er, ehe er sich schließlich ganz aufrichtete, so dass er sogar ein Stück größer war als sie. „Dann bist du ein Mädchen?“ Stumm war ein weiteres Nicken die einzige Antwort, die er bekam. „Warum hast du als Junge gelebt?“ Nun schien doch einige Neugierde in seiner Stimme zu liegen. „Das weiß ich selbst nicht“, murmelte sie. „Ich weiß nur, dass man mir, seit ich denken kann, eingeprägt hat, dass ich mich wie ein Junge verhalten soll. Nur Miras…“ Beim Aussprechen dieses Namens erfüllte sie wieder dieser Schmerz. „Er war derjenige, der mich großgezogen hat und der einzige, der wusste, das ich ein Mädchen war. Aber er hat mir nie, nie gesagt, woher ich bin…“ Kurz brach sie ab und sah auf die schuppigen Finger. „Ich weiß ja nicht einmal was ich bin.“ „Was du bist?“, hakte der Junge nach. „Ich weiß nicht, welcher Rasse ich angehöre…“ Der Sanbok zischte kurz, schwieg dann aber, während sie die Füße weiter durch den Sand nach vorn schoben. Eine Weile später versuchte das Mädchen es noch einmal mit der Frage, die sie schon die ganze Zeit interessieren: „Warum bist du hier? Ich meine… Du hast doch eine Heimat, nicht?“ „Das ist eine lange Geschichte“, murmelte er nur. „Es geht mich auch nichts an…“, hauchte sie und warf den Blick wieder auf ihre Füße. Während sie liefen verlor Yur jegliches Zeitgefühl. Das einzige, was sie spürte, war diese unendliche Hitze, die ihre Schuppen, so schien es ihr, austrocknen wollte. Alles um sie herum schien zu irreal und mit jedem Schritt, begann sie mehr und mehr an ihrem Verstand und der Wahrhaftigkeit der Situation zu zweifeln. Träumte sie vielleicht nur? Doch ihr schmerzender Körper ließ dies sehr unwahrscheinlich erscheinen. Außerdem konnte sie sich an keinen Traum erinnern, in dem sie wirklich müde war. Jetzt aber drohte die Müdigkeit sie einfach einschlafen zu lassen. Ja, sie wollte sich am liebsten in den Wüstensand legen und für eine Ewigkeit schlafen, doch sie ahnte, dass es ihr Tod wäre. Erneut kam ihr der Gedanke, wie wenig sie doch wusste. Von Wüsten hatte sie, wie von den meisten anderen Dingen auch, bisher nur gelesen und vielleicht einzelne getuschte Zeichnungen gesehen. Das reichte nicht aus, wurde ihr nun klar. Sie wusste nicht, wie sie sich orientieren sollte und woher sie etwas zu trinken bekam, dabei klebte ihre Zunge schon unangenehm an der Munddecke. Wie lange könnte sie das aushalten? Mühsam versuchte sie sich an die Dinge, die sie über Wüsten gelesen hatte, zu erinnern, doch ihr kam einfach nichts in den Sinn. Der Gedanke an Wasser und Schlaf beherrschte ihren Verstand. Sie sah zu dem nun seit einiger Zeit wieder schweigendem Kyssan. Bildete sie sich das ein oder waren auch seine Bewegungen langsamer und unkontrollierter geworden? Wie lange würde es dauern, bis die Nacht hereinbrach? Ihre Schatten waren erst kürzer und dann länger geworden, also war es in dieser Welt morgen gewesen, als sie ankamen, aber vielleicht hatte sie sich das nur eingebildet. Vielleicht war sie einfach zu ausgelaugt um zu denken. Erneut wanderte ihr Blick zu dem neben ihr her trottenden Sanbok. Sie war sich sicher, dass seine Bewegungen mühseliger wirkten als kurz zuvor. „Geht es dir gut?“, fragte sie heiser. „Ja“, murmelte er. „Ich bin die Hitze gewohnt…“ „Wirklich?“, hakte sie vorsichtig nach, da sich erneut ein undeutbarer Gesichtsausdruck auf seine Schuppen gelegt hatte. „Ja… Dort von wo ich komme ist es auch immer trocken gewesen… Wenngleich, nicht so.“ Seine Schnauze richtete sich auf, als würde er schnüffeln. „Wie dann? Wie hieß die Welt aus der du kommt?“ Yur war sich sicher, dass Meister Tänon einen Namen genannt hatte, doch sie wusste nicht, ob dass wirkliche seine Heimatwelt war. Schließlich schien er an das Reisen durch die Welten gewohnt zu sein. Zumindest hatte ihn das Tor nicht so verwundert wie sie. „Metal…“, murmelte er nur. „Das… Kannst du dir nicht vorstellen, fürchte ich.“ Sie runzelte die Stirn. „Wieso?“ „Du kennst nichts anderes, als Verur, nicht?“ „Nein“, erwiderte sie. „Dann wirst du es dir nicht vorstellen können“, tat er es ab. „Es gibt Welten, die sehr viel anders sind, als deine Heimat.“ Doch das Mädchen wollte nicht locker lassen. „Wie anders?“ „Ich sagte doch, das kannst du dir nicht vorstellen.“ Damit versuchte er, seine Schritte zu beschleunigen, blieb kurz darauf jedoch zitternd stehen. „Ist wirklich alles in Ordnung?“, fragte Yur besorgt und streckte eine Hand aus, um ihn zu berühren, aber er wich vor ihn zurück. „Alles bestens“, keuchte er und stärkte seinen Rücken, der einen Moment zuvor durchgehangen hatte. „Es wäre besser, wenn wir vor Einbruch der Nacht Schutz finden“, sagte er dann zum Himmel schauend. „Wieso?“, fragte sie verwirrt. „Es wird… sehr kalt werden“, antwortete er. „Also komm.“ Etwas langsamer als vorher bewegte er sich voran, jedoch auf eine Art, die ihr sagte, dass er erst einmal nicht weiter mit ihr sprechen würde. Also blieb ihr nicht viel anderes übrig als ihm zu folgen und sich ihre eigenen Gedanken zu machen. Natürlich gab es vieles, von dem sie nichts wusste, erkannte sie zum sicherlich hundersten Mal in ihrem Leben. Aber wieso er es ihr dann nicht erklären wollte, konnte sie nicht verstehen. Warum sollte sie nicht fähig sein, sich etwas vorzustellen? Seufzend beschleunigte auch sie ihre Schritte und beschloss ihn nicht weiter darauf anzusprechen. Ja, es ging sie wirklich nichts an. Vielleicht wäre es wirklich das Beste gewesen, wenn sie in Verur geblieben wäre – selbst wenn das ihren Tod bedeutet hätte. Nicht, dass sie sich diesen wünschte, aber gerade war sie sich nicht sicher, ob die Wüste nicht dasselbe bedeutete, nur auf eine qualvollere Art und Weise. Immer wieder verschwamm das Bild vor ihren Augen, wobei sie nicht sicher war, ob dies durch die aufsteigende Hitze verursacht wurde oder von ihrer Schwäche. Vielleicht auch von beidem. Wenn das, was Kyssan sagte, stimmte und es in der Nacht kalt werden würde, sehnte sie die Nacht geradezu herbei. Wie kalt war für den Echsenjungen kalt? Auf jeden Fall wohl auf eine angenehme Weise, dachte sie und wünschte sich ein Gewand, das die Wärme abhielt, was das dünne Leinenhemd genau so wenig tat, wie die Leinenhose. Weiterhin spielte ihr Hirn ihr Streiche, wollte die Sachen die Geschehen waren, einfach nicht wahr haben. Dabei hatte sie in der Zeit der vergangenen Mondumläufe begonnen zu zweifeln, ob sie Verur jemals vermissen würde, aber gerade vermisste sie selbst Keigoth und Zik, die nun wohl beide tot waren. Wie alle anderen auch. Sie musste an etwas anderes denken! Nur woran? Hilfe oder Ablenkung suchend sah sie sich abermals um. Zumindest gab es im Gegensatz zu dem Ort, wo sie angekommen waren, hier nun auch etwas anderes als Sand, wenngleich das nur Steine waren. Steine und mittelgroße Felsbrocken. Doch alle genau so glühendheiß, wie die gelblichen Körner, über die sie zuvor gelaufen waren. Der Fels hatte eine leicht rötliche Färbung, die in der Sonne fast zu glühen schien, wenngleich auch das nur eine Einbildung war. Seufzend legte sie den Kopf kurz in den Nacken, ehe sie weiterging, da der Sanbok ihr fragend den Kopf zuwandte. Die Zeit verging scheinbar gleichzeitig unendlich langsam und gleichzeitig schnell. Yur wagte es nicht mehr Kyssan nach seinem Befinden zu fragen, auch wenn das Gefühl blieb, dass er sich eigentlich nur noch voran quälte. Immerhin war es noch nicht allzu lange her, dass das Fieber ihn befallen hatte. Vielleicht war er nicht ganz gesund gewesen oder war genau so erschöpft wie sie. Vielleicht hatte es aber auch mit dem zu tun, was ihr niemand sagen wollte. Damit, dass er ein Seher war? Vielleicht schwächte ihn dieses – was auch immer es war – ja. Sie hatte keine Ahnung… Deswegen schwieg sie weiter, auch als die Sonne endlich den Horizont erreichte und der Himmel sich allmählich ins grünliche verfärbte, ehe er begann Stück für Stück dunkler zu werden. Und da merkte Yur auch, was der Sanbok zuvor gemeint hatte, mit der hereinbrechenden Kälte, die, als es dunkel wurde sehr plötzlich kam und ihren Körper fast erstarren ließ. Um sie herum gab es immer noch nichts, was ihnen vor der Kälte hätte Schutz bieten können, denn da waren immer noch nur Felsen, Steine und viel Sand. Keine Pflanzen und auch noch immer kein Wasser, das nun aber ohnehin wohl zu Eis gefroren wäre. Dafür war sie sich jetzt sicher, dass die Bewegungen des Echsenjungen anders waren als zuvor. „Was ist mit dir?“, erkundigte sie sich schließlich vorsichtig. „Es ist… nichts“, keuchte er. „Wirklich nichts…“ Sie schüttelte energisch den Kopf. „Du bewegst dich komisch – anders als zuvor. Irgendwas ist mit dir!“ „Wir müssen jetzt weiter“, antwortete er nur. „Wenn wir jetzt stehen bleiben, wirst du erfrieren…“ „Du kannst kaum noch laufen“, murmelte sie. „Es geht mir gut…“ Er wandte sich von ihr ab. „Es geht mir wirklich gut…“ „Deiner Stimme nach zu Urteilen eher nicht!“ Energisch streckte sie wieder die Hand nach ihm aus und dieses Mal konnte er ihr nicht ausweichen, als ihre Hand seine Schulter berührte und im nächsten Moment zurückzuckte. Vorsichtig bewegte sie ihre Finger. „Du glühst ja… Hast du wieder Fieber?“ „Nein“, erwiderte er, immer noch von ihr abgewandt. „Das kommt durch die Hitze hier.“ „Nein!“, schrie sie ihn auf einmal an, wütend darüber, dass er sie augenscheinlich belog. „Du bist krank! Dir geht es nicht gut… Du solltest dich ausruhen!“ „Das wird bei der Kälte aber keinen Unterschied machen“, antwortete er gereizt und begann mit dem grob geschuppten Schwanz in den Sand zu peitschen. „Es wird noch kälter werden und dann wird es uns beiden noch schlechter gehen!“ Kurz zögerte sie. „Aber…“, begann sie unsicher, da sie nicht wusste, was sie sagen wollte, zumal er in erster Linie Recht behalten würde. „Der Sand ist noch warm“, meinte sie schließlich. „Es sollte zumindest möglich sein, dass wir uns ein wenig ausruhen.“ „Du wirst einschlafen“, erwiderte er. „Nein, werde ich nicht.“ Dabei machte es sie sauer, dass er in ihr scheinbar einen Schwächling sah, so wie er sie behandelte. „Aber es hat keinen Sinn, wenn wir so weitergehen. Wenn du nicht mehr weiter kannst, dann…“ Sie ballte ihre Klauen zu einer Art Faust und sah auf den Boden, sich dessen bewusst, dass sie den plötzlichen Einschnitt in ihrem Leben diesem Jungen zu verdanken hatte, während die anderen in Verur mehr oder weniger wegen ihm tot waren. Daraufhin sah Kyssan sie nur eine Weile lang an, ehe er zu dem nächsten größeren Felsen trottete und sich neben diesen in den Sand legte. „Wir dürfen nicht zu lange rasten“, meinte er, als sie sich nun neben ihm ebenfalls auf den Boden legte, da es so am wärmsten war. Was ihr Angst machte, war der Gedanke daran, dass der Sand irgendwann auch ausgekühlt sein würde und es dann wohl noch kälter war, selbst wenn sie dann liefen. Zudem fühlte sich die Kälte noch schlimmer an, da ihr Magen knurrte und sie sich so schwach fühlte, wie schon seit einer halben Ewigkeit nicht mehr. Sie überlegte Kyssan zu fragen, warum er krank war, ließ es schließlich aber bleiben, da er ohnehin sehr wahrscheinlich abweisend, wie auf alle Fragen, reagieren würde. Daher sah sie aus den Augenwinkeln zum merkwürdig gefärbten, blaugrünem Himmel hinauf, an dem einzelne Sterne zu erkennen waren. Also sah der Himmel doch nicht in allen Welten gleich aus, dachte sie, da sie sich diese Frage nur zwei Tage zuvor gestellt hatte, als sie auf der Spitze der Pyramide gesessen hatte. Jetzt kam ihr das wie Jahre vor. Erneut musste sie mit den Tränen kämpfen, als sie an ihren toten Meister dachte und all die anderen, die den Angriff der Ratsmagier nicht überlebt hatten. Vielleicht waren einige auf das Angebot eingegangen, überlegte sie, doch das glich die Leichen, die sie gesehen hatte nicht aus. Der Ort, an dem sie aufgewachsen war und von dem sie sich die ganze Zeit weggesehnt hatte… Sie würde wohl nie wieder dorthin zurückkehren können. Plötzlich ließ ein Stöhnen des Sanbok sie aus ihren Gedanken fahren. „Was ist?“, fragte sie vorsichtig, als sie sah, dass heftiges Zittern seinen Körper durchfuhr und sein Gesicht – wenn man es so nennen wollte – von Schmerzen verzerrt schien. „Geht es dir schlecht…?“ Sie bekam keine Antwort, während sich der Echsenjunge zusammenrollte und immer weiter zitterte. „Was ist denn nur mit dir?“ Langsam machte sich die Besorgnis in ihr breit und erneut griff sie nach seiner noch immer erhitzten Schuppenhaut, unter der sie die Muskeln krampfen fühlte. Kurz öffnete er die Augen, die, wie es ihr schien, auf eine merkwürdige Art und Weise zu glühen schienen. Immer mehr krampfte er sich zusammen und lag nun fast zu einer Kugel gerollt vor ihr. „Kyssan…“ Verzweifelt sah sie sich um, als ob jemand da wäre, der ihr helfen könnte. Was sollte sie denn nur tun? Da keuchte er auf. „Pass auf…“, murmelte er, bevor er schließlich ganz in sich zusammen sackte. „Was…?“, murmelte sie und begann ihn zu schütteln. „Kyssan? Kyssan?“ Egal was sie machte – er reagierte nicht, so dass sie schließlich begann panisch zu werden. Sie war mit ihm völlig allein in einer Wüste in einer fremden Welt. Und er hatte zuvor Recht gehabt: Wenn sie hier bleiben würde, würde sie wahrscheinlich erfrieren. Aber sie konnte ihn auch nicht einfach liegen lassen. Zwar kannte sie ihn nicht wirklich, doch erstens hatten sich ihr Meister und auch die anderen im Kloster geopfert, damit er entkommen konnte und sicher war, und zweitens war er gerade der einzige, der ihr geblieben war. Was war nur mit ihm los? Er war auf jeden Fall zu schwer, dass sie ihn auch nur über eine kurze Strecke würde tragen können. Also würde sie hier bleiben müssen, doch was sollte sie gegen die Kälte machen, die mit jedem Augenblick stechender wurde. Schließlich ließ sie sich zurück fallen, um nachdenken zu können, was allgemein jedoch ein eher sinnloses Unterfangen war. Dafür fiel ihr nun auf, dass es nicht mehr so ruhig wie zuvor war, sondern ein immer wieder auf- und abschwellendes Dröhnen und Rauschen zu vernehmen war. Sie lauschte und richtete sich kurz darauf vorsichtig auf, um vielleicht zu sehen, was dieses Geräusch verursachte, da sie ein Tier oder ähnliches dahinter vermutete. Doch was sie sah, war nichts lebendiges, sondern eine dichte dicke Wolke, die um die eigene Achse zu wirbeln schien und geradewegs auf sie zukam, auch wenn sie einen Moment brauchte, um zu erkennen was es war: Ein Sturm, der den Sand aufgewühlt hatte und mit sich trug. Instinktiv warf sie sich zu Boden und zu ihm, als die ersten Sandkörner schon über sie hinweg peitschten und teilweise etwas an ihrer Haut kratzten, so dass sie ahnte, dass es gefährlich sein würde, diesem Wind noch länger ausgesetzt zu sein, vor allem für Kyssan, der nicht mehr in der Lage war, sich an einem Felsen zu schützen. Der Felsen! Mit ihrer letzten verbliebenen magischen Kraft konzentrierte sie sich auf das Gestein und ließ es, wie die Arme, sich so verformen, dass es halb über sie ragte und sie auch seitlich etwas schützte, und kauerte sich dann so neben dem ohnmächtigen Sanbok zusammen. Diese reine Schutzart der Magie lag ihr nicht, obwohl sie dasselbe tat, als wenn sie jemanden angriff, aber auch wenn es merkwürdig klang, war das Gefühl dahinter ein anderes. Sie begann zu zittern. Das Gestein war noch etwas warm, doch das war auch nicht der Grund für die Erschütterung ihres Körpers. Nein, es war die Verzweifelung, die nun über sie herein brach, da sie jetzt ganz allein war. Die letzte Sicherheit mit jemanden reden zu können war verschwunden. Was war, wenn der Sandsturm nicht aufhörte oder es noch kälter wurde? Sie wusste es nicht. Aber irgendwie musste sie durchhalten… Es musste einen Weg geben von hier wegzukommen. Es musste einen Weg geben, das hier zu überleben! Irgendeinen Weg… Warum hatte sie Meister Randem nur in diese Welt geschickt? Tränen begannen über ihre Wangen zu rinnen und ließen dort eiskalte Spuren zurück, da das Wasser die Haut noch mehr abkühlte. Was sollte sie nur tun? Das einzige was um sie herum blieb, war das Rauschen des Sturms und die Schmerzen ihres Körpers, gemischt mit der mit jeden Augenblick scheinbar zunehmende Erschöpfung, gegen die anzukämpfen schon fast sinnlos erschien. Aber sie musste bei Sinnen bleiben! „Verdammt“, murmelte sie, als das Rauschen begann ihren Kopf ganz in sich einzuhüllen. Es war, als wäre der Sturm in ihr drin. Wie lange hatte sie nicht geschlafen? Darauf wusste sie keine Antwort. Langsam merkte sie, wie die Schwärze, dunkler als die sie umgebene Finsternis des Felsschattens, sich langsam über ihre Sicht senkte und sie schließlich, nachdem sie sich noch einmal dagegen sträubte, zu Boden drückte, wo sie erschöpft liegen blieb. Kapitel 6: Das unterirdische Land --------------------------------- Kapitel 06: Das unterirdische Land Stimmen, es waren Stimmen, die Yur erwachen ließen. Doch es dauerte etwas, bis ihr klar wurde, wo sie war und was passiert war. Ja, die Wüste… Es war die unglaubliche Kälte, die noch immer herrschte und die sie daran erinnerte. Mittlerweile war auch der Fels über ihnen abgekühlt, so dass es keinen Schutz vor dem Erfrieren mehr gab. Es wunderte sie sogar, dass sie überhaupt noch lebte, wo sich ihre Knochen und Muskeln anfühlten wie eiserne Splitter, die in ihrem Körper saßen. Sie konnte sich nicht bewegen. Die Stimmen, die sie hörte, wurden immer wieder leiser und dann wieder lauter. Da waren auch Geräusche, wie das Auftreten auf dem halbsteinernen, halb sandenen Boden. Sie liefen hin und her. Aber warum? Yur verstand die Sprache, die man sprach, nicht, aber sie erkannte, dass vieles besser war, als weiterhin hier liegen zu bleiben und entweder zu erfrieren oder in der Mittagssonne – sollten sie am Morgen noch leben – zu vertrocknen. Außerdem war Kyssan, der als einziger noch Wärme ausstrahlte, scheinbar noch immer ohnmächtig. Auch wenn es ihre letzte Kraft kostete, ließ das Mädchen den Felsen, der sie schützte, auseinander fallen, so dass die, die dort waren, sie wohl sehen mussten. Vielleicht würden sie ihnen helfen und wenn nicht, war es auch nicht schlimmer als zuvor. Lautes Rufen, als ein Mann – jedenfalls glaubte die Erdmagierin, dass es ein Mann war – die beiden entdeckte und zu ihnen lief. Es wurde geredet und das Gefühl, sich nicht bewegen zu können vor Kälte erfüllte Yur mit Furcht. Verzweifelt versuchte sie den Kopf etwas zu wenden, damit sie den Mann ansehen konnte, doch es kostete sie unglaublich viel Mühe. Als sie es endlich schaffte, sah sie in ein mit gelbem Fell überwachsenes Gesicht und zwei orange Augen, die sie anstarrten, ehe dieses Wesen zwei weitere der, die es begleiteten zu sich winkte. Man zog sie von Kyssan weg und besah sich die beiden ausführlich, während aufgeregte gesprochen wurde. Konnten sie die Sprache der Wandler nicht? Nun, selbst wenn zweifelte das halberfrorene Mädchen daran, dass sie eine Antwort zustande gebracht hätte. Sie erfüllte nur ein Gedanke: Bitte, helft uns. Macht, was ihr wollt, doch bringt uns irgendwohin – dorthin, wo es warm ist! Um sie herum war es noch immer Nacht, obwohl sich der Himmel wie bei der Abenddämmerung nun wieder ins grünliche verfärbte. Also würde die Sonne bald aufgeben, aber damit auch wieder die trockene Hitze des Tages bringen. Wenn sie hier draußen blieben würden sie auf jeden Fall sterben und wenn hier Wesen lebten, dann gab es vielleicht einen Schutz vor dem unfreundlichen Klima. Sie musterte die fremden Wesen, wovon die beiden anderen jedoch weitaus mehr humanoide Züge hatten, als der Fellmann, aus dessen weiter heller Kleidung auch noch Tatzenartige Klauen ragten. Aber im Moment diskutierten die vier – mehr waren es insgesamt nicht – nur wild und mit vielen Gesten. Das Mädchen sah zu ihrem Begleiter, der wie ein Stein im Sand lag. Was hatte er nur? Warum war er ohnmächtig geworden? Sie fürchtete, dass wohl auch keiner der Fremden es ihr würde sagen können. Doch diese wandten sich nun schließlich ihr zu und der Fellmann griff ihr unter den Bauch, um sie hochzuheben, während sich zwei andere um den doch um einiges schwereren Sanbok kümmerten und ihn gemeinschaftlich hochhievten ehe sie seine Arme um die eigenen Hälse schlangen und ihn so aus dem Felsenfeld zogen, hinaus auf eine weitere Ebene, wo drei äußerst merkwürdige Reittiere standen, die Beine ähnlich denen von Insekten hatten. Jedoch hatten sie davon vier Paar und einen merkwürdigen länglichen Schwanz. Auf ihrem Rücken waren lederne Sattel befestigt und an diesen hingen wiederum einige Beutel. Noch immer diskutierten den Fremden. Erst als man ein Seil hervorholte und ihre Arme fesselte, ehe man sie auf den Sattel setzte und auch ihre Beine an diesem festband, verstand Yur, dass sie Gefangene waren. Aber besser gefangen als tot… Wobei: Konnte das nicht auch dasselbe bedeuten? Sie wusste nicht, was man mit ihnen machen würde, doch am Ende konnte sie jetzt ohnehin nichts mehr machen. Der Fellmann setzte sich vor ihr auf das Reittier, während man Kyssan zu einem anderen gebracht hatte. Die Sättel boten immer genau Platz für zwei Personen normaler Menschengröße, erkannte die Erdmagierin, während sie ängstlich zu dem ebenfalls gefesselten Sanbok sah, den die Seile jedoch auch mit auf dem Sattel hielten, da er es aus eigener Kraft wohl nie geschafft hätte. Dann gab der Mann vor ihr einen merkwürdigen Ton von sich, woraufhin das Tier sich in Bewegung setzte und schneller, als Yur es für möglich gehalten hätte, durch den Sand trabte, von den anderen beiden gefolgt. Vielleicht war ja der Mann mit dem Fell so etwas wie der Anführer dieser Gruppe, überlegte das Mädchen. Allerdings erkannte sie auch, dass sie das Wissen nicht weiterbringen würde, solange er keine Sprache sprach, die für sie verständlich war. Daher beschloss sie am Ende einfach abzuwarten, was passieren würde. Um Erdmagie anzuwenden hätte sie ohnehin auf dem Boden stehen müssen, was sie nicht tat, so dass sie erst einmal hilflos war. Ruhig sackte sie etwas in sich zusammen und beobachtete die Umgebung und die Fremdlinge, in deren Händen nun ihr Schicksal lag. Von allen waren nur die Gesichter zu erkennen und bei dem Mann vor ihr auch die Hände und Füße, da diese wohl nicht in Schuhe gepasst hätten und das Fell ihn ohnehin schon warm hielt. Die anderen waren in viele Tücher gewickelt, so dass man kaum ihre richtige Gestalt erkennen konnte. Ebenso wenig, war sich das Mädchen sicher, welcher Rasse sie angehörten, da zumindest ihr Gesicht voll und ganz menschlich schien. Ohren, Hände und Körperbau hätten mehr darüber verraten, doch all das war für sie verdeckt. Die Reittiere auf denen sie saßen, hatten eine merkwürdig glänzende Haut – oder was auch immer sie da zusammenhielt – die eigentlich dunkelblau oder schwarz zu sein schien, aber im schwachen Licht in den verschiedensten Farben glänzte. Ein Effekt, der sich noch verstärkte, als die Sonne aufging und auch langsam Wärme verbreitete. Dankbar für diese streckte sich das Mädchen etwas, da die Fähigkeit zur Bewegung langsam wiederkam. Zumindest die Nacht hatte sie überlebt. Jetzt musste sie abwarten, wohin diese Leute sie und Kyssan bringen würden. Selbst wenn sie ihnen etwas antun wollten: Vielleicht würde es ja doch eine Möglichkeit geben – wenn sie nur vorher etwas zu essen bekam. Noch immer krampfte sich ihr Magen an den Gedanken an etwas Essbares schmerzhaft zusammen, so hungrig wie sie war. Aber auch das würde wohl warten müssten bis sie das bisher unbekannte Ziel erreichten. Etwas huckelig ging es weiter durch den Sand und schneller als sie gedackt hätte, wurde es wieder so unbarmherzig heiß und trocken wie am Tag zuvor. Nun kam jedoch etwas, was für sie schon fast vielversprechend aussah, in Sicht und ihr Hoffnung gab: Ein größerer Fels. Groß genug sogar, um Schatten und etwas Abkühlung zu schenken. Erst als sie direkt davor standen erkannte sie den schmalen Tunneleingang, der in den nicht sonderlich großen Fels hinein führte. Ehe sie begriff beschleunigte das Insektentier, auf dem sie saß, seine Geschwindigkeit und raste geradezu in den Tunnel hinein. Obwohl der Fels von außen nicht sonderlich groß gewirkt hatte, war der Tunnel ziemlich lang und nur dank ihrer Erdmagie verstand Yur schließlich, dass sie eine leichte Senkung hinab ritten, wo nur die zwei Flammen die über das mittlere Tier, auf dem nur zwei der Fremden saßen, schwirrten Licht spendeten. Also war einer der beiden wohl ein Feuermagier, schloss sie daraus, während sie die unheimlich runde Röhre, durch die sie ritten, genauer besah. Es wirkte fast, als hätte man diesen Hohlraum aus dem Fels ausgestampft. Die Farbe des Gesteins veränderte sich auch, je weiter sie ritten und nach einer Weile bemerkte sie auch einige nur halb so große Tunnel, die von dem scheinbaren Hauptweg abwichen und in verschiedene Richtungen führten. Zudem wurde es auch wieder kälter, jedoch nicht auf sie unbarmherzige Art und Weise der Nacht, sondern eher angenehm, zumal die Luft auf immer feuchter wurde und ihre Haut entspannen ließ. Erleichtert schloss sie die ebenfalls trockenen Augen und wünschte sich jetzt nur noch Wasser zum Trinken, das sie zwar zwischendurch in dünnen Rinnsälen die Wände hinab laufen sah, aber an das sie so, gefesselt wie sie war, nicht kam. Wenn sie wartete, ergab sich vielleicht eine Möglichkeit, hoffte sie doch durch die Runde Form des Tunnels tropfte nichts auf den Weg hinab. Etwas beängstigend war die Dunkelheit schon, zumal der Weg zwischendurch doch etwas enger wurde, so dass ihre Füße teilweise unangenehm am Fels entlang schrammten und sie fürchtete, dass das merkwürdige Tier, dessen Schwanz nun über ihr hing, stecken bleiben würde. Doch gerade, als sie sich fragte, ob dieser skurrile Ritt jemals enden würde, wurde das Tunnel breiter und endete in einer Art Halle, die mit vielen Fackeln erhellt war. Am Ende, direkt gegenüber der Stelle, wo sie in diesen Raum gekommen waren, war ein weiterer dünner Durchgang in einen weiteren Saal – jedenfalls ahnte sie das, denn sie sah durch das Loch keine weitere Wand sondern nur oranges Licht, wie von Feuer. Die Fremden sprangen von den Reittieren hinab und man machte sie von dem Sattel los, ehe man sie unsanft zu Boden zerrte. Ihre Beine fühlten sich durch die lange Bewegungslosigkeit furchtbar an, so dass sie ins Wanken geriet, jedoch rechtzeitig wieder ins Gleichgewicht kam. Einer der menschlichen Reisenden hielt sie fest, während der Fellbewachsene zu einer weiteren Gruppe Fremden lief, die nicht viel anders bekleidet war, als er. Jedoch hatten sie die Häupter frei von Tüchern, so dass das Mädchen einen Elfen und einen normalen Menschen erahnen konnte. Mit ihnen redete er, bevor einer von ihnen, dessen Rasse das Mädchen aufgrund der merkwürdig schimmernden Haare nicht einzuordnen vermochte, in einen weiteren Gang verschwand. Zu gern hätte sie gewusst, was hier vor sich ging, doch zu fragen traute sie sich nicht. Außerdem war ihr Mund wahrscheinlich zu trocken um irgendwelche Worte zu formulieren. Aber da kam der Fellmann zusammen mit dem Elfen, den sie bereits vorher erkannt hatte, zurück. Erst jetzt merkte sie, dass auch andere in dem nicht sehr leeren Raum, in dem auch noch weitere der seltsamen Reittiere standen, ihre Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hatten und einige zu tuscheln begonnen hatte. Was würde jetzt passieren? Da besah der Elf sie sich und blickte dann zu dem Fellmann. „Kergath“, war das einzige Wort, das er zu ihm sagte, doch der mit dem fast katzenartigen Gesicht nickte. „Aber noch sehr jung“, fügte der Elf dann hinzu. „Es ist ein Wunder, dass sie noch lebt.“ „Wo kommt ihr her?“, fragte er dann plötzlich in der Sprache der Wandler. Überrascht, dass er scheinbar durchaus eine Sprache sprach, die ihr verständlich war, sah sie ihn an. „Was…“, keuchte sie, wobei ihre trockenen Lippen sie fast Schweigen ließen, da sie furchtbar aufeinander klebten. Daraufhin sah der Elf zu dem Felligen. „Sie ist fast verdurstet“, stellte er fest. „Ihr könnt sie nicht befragen… Die Trockenheit ist für sie fast der Tod.“ Yur verstand nicht. Worüber redeten sie? Und woher wusste dieser Elf, dass sie ein Mädchen war? „Aber woher sollen wir wissen, dass sie nicht zum Rat gehören?“, fragte der Fellmann misstrauisch, wobei er alle Rs erstaunlich lange rollte. „Es sind Kinder, Shanuk“, erwiderte der Elf. „Zudem gibt es von den Kergath nur noch wenige. Es würde mich wundern, wenn auch nur einer von ihnen zum Ratsgefolge gehört.“ Dankbar, dass er mit dem Anführer der Fremden – jedenfalls glaubte sie das noch immer – in der Wandlersprache sprach, so dass sie ihn verstand, nickte sie ihm leicht zu. Was sollte sie tun? „Vielleicht wollen sie, dass wir genau das glauben“, erwiderte der Fellige – scheinbar Shanuk genannt. „Vielleicht“, meinte der andere. „Aber ich bezweifle, dass sie die beiden hergeschickt hätten, hätten sie eine Wahl. Es gibt so viele Rassen, die in der Wüste besser überleben.“ „Und was sollen wir deiner Meinung nach mit ihnen tun?“ Shanuk klang ungehalten. „Bringt sie zu Maran“, erwiderte der Elf. „Der Junge ist ja halbtot und dem Mädchen geht es nicht viel besser. Shanuk, es sind Kinder“, wiederholte er dann mit einen Blick auf das misstrauische Gesicht des Fellmannes. „Sie gehören nicht zum Rat und selbst wenn können wir sie noch früh genug töten. Im Moment kann das Kind ja kaum noch stehen. Sie wird keine Magie benutzen können…“ „Aber“, setzte Shanuk an, doch dann zuckte er mit den Schultern. „Wie du willst, aber ich werde ein Auge auf sie behalten.“ Der Elf nickte nur und wandte sich dann an Yur. „Du solltest erst einmal etwas trinken“, meinte er freundlich. „Komm mit.“ Daraufhin sah das Mädchen zu Kyssan, den man in der Nähe der Wand auf den Boden gebettet hatte, und hoffte, dass der schwarzhaarige Mann ihre Geste verstand, da sie mittlerweile eingesehen hatte, dass sie nicht sprechen konnte. „Man wird sich um ihn kümmern“, erwiderte der Elf. „Man wird ihn zu einer Heilerin bringen“, erklärte er dann. „Du kannst auch zu ihr…“ Kurz schwieg er und lächelte sie an. „Sie wird sicher interessiert daran sein, dich kennen zu lernen.“ Sie warf ihm einen fragenden Blick zu, doch er lächelte nur. „Komm mit mir mit“, meinte er. „Vertrau mir.“ Er hielt ihr auffordernd die Hand entgegen. „Du bist doch durstig, oder?“ Als Antwort nickte sie und ergriff nach einigem Zögern schließlich seine Hand, nicht ohne sich noch einmal zu dem Sanbok umzusehen. Sicher war sie sich nicht, ob sie dem Elfen vertrauen konnte, aber viel anderes blieb ihr im Moment nicht übrig, weshalb sie sich schließlich von ihm voran ziehen ließ auf den Durchgang in der Wand zu. „Mein Name ist übrigens Unin“, stellte sich der Mann vor, kurz bevor sie die Öffnung in der Wand erreichten. Sie bestätigte mit einem Nicken und blieb im nächsten Augenblick stehen wo sie war, um den Anblick der sich hier hinter dem breiten Durchgang bot, zu verarbeiten. Es war – ja, anders konnte man nicht sagen – eine unterirdische Stadt, bestehend aus vielen kleinen runden Häusern, die am Boden eines unglaublich großen, halbkugelförmigen Saals standen. Erhellt wurde das ganze von vielen durch die Luft schwirrenden Leuchtbällen. „Das ist die Stadt Nazsukam“, erklärte Unin ihr und zog sie sanft in Richtung einer Treppe die von der Erhöhung, auf der sie nun standen, hinunter führte. Vorsichtig stieg das Mädchen mit ihm hinab sich ungläubig umsehend. Die Häuser, die ebenfalls wie Halbkugeln geformt waren, hatten die verschiedensten Größen. Einige schienen auch, als hätte man mehrere der Gebilde aneinander gesetzt. Doch wer hatte das gemacht? Die Straßen hier waren eben, verliefen aber nicht gerade sondern in einem Slalomkurs um die Häuser herum, und waren befüllt von verschiedensten Wesen, von denen das Mädchen einige Arten noch nie gesehen hatte. Sie erkannte Sanbok wie Kyssan, aber auch ganz andere Arten. Da waren Wesen mit merkwürdigen ledernen Flügeln und dunkler Haut. Wieder andere hatten Federn und einige liefen auf vier oder sechs Beinen voran. Es war ein sehr buntes Treiben, doch sie zweifelte, dass diese Rassen alle in dieser Welt heimisch waren. Also warum lebten sie hier? Endlich hatten sie das scheinbare Ziel des Elfen erreicht, als sie vor einem größeren, hellem Haus standen. „Eine Taverne“, erklärte er ihr. „Komm.“ Damit trat er durch das türlose Loch in der Wand und wartete dort auf sie, als sie erneut zögerte ihm zu folgen, nicht sicher, ob das wirklich keine Falle war. Der vergangene Tag – ja, es war nur ein Tag gewesen! – hatte sie misstrauischer gemacht, als sie je gewesen war. „Es wird dir niemand etwas tun“, versprach Unin. Am Ende siegten Hunger und Durst, da aus dem Inneren des Gebäudes der köstliche Geruch von etwas Gebratenem kam, und sie folgte ihm in die Taverne. Sofort umgab Lärm und weitaus mehr buntes Treiben, wie auf der Straße, sie. Da waren teils hölzerne, teils aus einem anderen ihr unbekannten, schwarz glänzendem Material bestehende Tische. An diesen saß eine Vielzahl verschiedenster Wesen, alle relativ ausgelassen, wenngleich viele auch müde wirkten. Einige nickten dem Elfen freundlich zu und warfen ihr gleichzeitig weitere neugierige Blicke zu, als der Mann sie in einen etwas leereren Nebenraum geleitete. Dort drückte er sie auf eine steinerne Bank, an einem leeren Tisch. „Warte kurz hier“, sagte er dann und verschwand wieder in den Hauptsaal der Taverne. Kurz überlegte sie, doch dann blieb sie sitzen, auf das Knurren ihres Magens Rücksicht nehmend. Weiterhin misstrauisch sah sie sich um. Hier saßen immer noch ein paar andere Leute, unter anderem zwei mit ähnlich gelbem Fell wie Shanuk, auch wenn es sich teilweise um einige Nuancen unterschied. Da auch sie den Kopf nicht bedeckt hatte, erkannte sie außerdem eine Art Mähne und merkwürdig, am Kopf herabhängende Ohren. Außerdem erkannte sie noch einen Menschen und einen reinrassigen Dämon. Ansonsten war der kleine Raum leer. Die vier schenkten ihr auch nicht sonderlich viel Aufmerksamkeit, nachdem sie ihr jeweils einen kurzen Blick zugeworfen hatten, als der Elf sie hereinbrachte. Seufzend sah sie deshalb nun auf ihre dreckigen Hände, während das Licht des Feuers merkwürdige Schatten auf den Tisch malte und tanzen ließ. „Hier“, sagte der Elf, als er vor ihr einen großen Krug und einen Becher auf den Tisch stellte. „Trink erst einmal. Ich werde noch etwas zu essen für dich holen.“ Erneut sah sie ihn fragend an, doch wieder lächelte er nur, ehe er verschwand und sie allein mit dem Krug zurück ließ, dem sie einen misstrauischen Blick schenkte. Dann goss sie sich jedoch trotz allen Misstrauens und sehr ungeschickt etwas von der Flüssigkeit in den Becher, wobei sie einiges über den Tisch verkippte. Dessen ungeachtet kippte sie den leicht süßlichen Saft – zumindest nahm sie an, dass es ein Saft war – in den Mund und schluckte dankbar, denn das Getränkt löste ihre Lippen voneinander und erfüllte ihren Rachen wieder mit Feuchtigkeit, so dass sie gleich einen zweiten Becher nahm. Als Unin wiederkam hatte sie den Becher bereits drei Mal geleert und goss sich ein viertes Mal ein. „Du scheinst wirklich durstig zu sein“, meinte er weiterhin lächelnd, während ihr Blick schon gierig an der Platte in seinen Händen hing, auf der eine Art Backware und verschiedene Früchte lagen. Deshalb nickte sie nur und griff, kaum stand der Teller auf dem Tisch, direkt nach einer der merkwürdigen hellen und sehr weichen Früchte und stopfte sie in den Mund, da ihr Magen durch das Trinken zuvor nun noch mehr knurrte. Direkt folgte ein Teil des dünnen, runden Gebäcks. Seit fast zwei Tagen hatte sie nichts gegessen, so dass es wahrscheinlich egal gewesen wäre, was man ihr genau gegeben hätte, sie war dankbar darüber, überhaupt etwas zu bekommen, zumal die fremden Speisen, die zwar allesamt einen süßen Nachgeschmack hatten, doch sehr angenehm schmeckten. Schweigend sah der Elf dabei zu, wie sie Früchte und Gebäck abwechselnd hinunterschlang und zwischendurch nach dem Becher mit Saft griff, bis sie sich einiger Maßen besser fühlte und ihn wieder fragend ansah. „Geht es dir jetzt besser?“, fragte er. „Ja…“, antwortete sie, froh dass sie in Verur die Sprache der Wandler ebenso gelernt hatten, wie die dort ansässige Sprache. „Gut“, erwiderte er. „Warum habt Ihr das getan?“, stellte sie endlich die Frage, über die sie beim Essen nachgedacht hatte. „Warum habt Ihr mir geholfen? Und wird Kyssan sicher nichts geschehen?“ Noch immer umspielte ein sanftes Lächeln die dünnen Lippen Unins. „Nein, ihm wird nichts geschehen, das verspreche ich dir.“ Sie wartete, dass er auch ihre andere Frage beantwortete. „Weißt du, diese Welt…“ Er seufzte kurz. „Hier leben in erster Linie Flüchtlinge. Diese Stadt ist nicht die einzige in dieser Welt. Es gibt einige unterirdische Städte hier. Wie die meisten, die hierher kommen, saht ihr aus, als würdet auch ihr vor etwas fliehen.“ „Flüchtlinge?“, fragte sie, doch er schüttelte den Kopf. „Jetzt verrate du mir doch erst einmal deinen Namen und warum ihr hier seid.“ Kurz überlegte sie, da es ihr schwer fiel, sich an die Sprache zu erinnern. „Mein Name ist Yur und ich komme aus der Welt Verur…“ Erneut musste sie nachdenken, auch weil sie nicht genau wusste, was sie über die vergangenen Ereignisse erzählen sollte. „Das Kloster der Magier dort… Es… Der Rat… Ich weiß nicht, ob es der Rat war“, stotterte sie und merkte, wie auf einmal wieder Tränen ihre Augen füllten, als sie die Leichen vor sich sah, den toten Zik und ihren Meister, wie die blutige Ranke durch seine Brust ragte. „Tot“, flüsterte sie nur. „Sie sind alle tot…“ Der Elf tätschelte ihr nur beruhigend den Rücken. „Ich habe von der Welt noch nie gehört“, erwiderte er. „Aber hier seid ihr zumindest vor dem Rat sicher, auch wenn ich dir nicht sagen kann, ob sie es waren, die euch angegriffen haben.“ Darauf antwortete Yur nichts, die mittlerweile angefangen hatte zu schluchzen und sich verzweifelt mit den trockenen Händen die Tränen aus den Augen wischte. Jetzt, wo ein einzelner Gedanke wiedergekommen war, kehrten auch all die anderen Bilder aus dem Kloster zurück. Erst jetzt begann sie wirklich zu verstehen, dass sie alle tot waren, für immer tot! Und diese Fremden, die sie angegriffen hatte… Wieso hatten sie alle getötet? Warum taten sie so etwas? Niemand aus Verur hatte sie angegriffen – oder? Und wenn es wirklich so war, dass der Angriff erfolgte, weil Tänon Kyssan ins Kloster gebracht hatte – das war doch kein Grund gleich alle zu töten! „Wie sahen die Leute aus, die euch angegriffen haben?“, fragte der Elf nach einer Weile vorsichtig, auch wenn sie immer noch schluchzte. Zitternd griff sie nach dem aus einer Art Lehm gebrannten Becher und trank einen weiteren Schluck des Safts um sie so ein wenig zu beruhigen. „Sie…“, brachte sie mühsam hervor. „Sie trugen Roben… In der Farbe…“ Erneut unterbrach ein Anfall von Schluchzern sie. „In der Farbe der Magien“, endete sie schließlich. „Rot… Blau… Grün…“ Wieder schluchzte sie kurz auf. „Weiß…“ Gutmütig rieb er ihr über den Rücken und schwieg eine Weile, ehe er erneut begann. „Das hört sich tatsächlich nach Magiern des Rates an“, erwiderte er. „Ja, nach Magiern, nicht den normalen Kriegern. Hast du irgendeine Ahnung, weshalb sie euch angegriffen haben.“ Mit gesenktem Blick schüttelte sie den Kopf. „Das einzige, was ich weiß…“ Schon wieder musste sie sich unterbrechen, um von ihrem Schluchzen fast erstickt nach Luft zu ringen. „Kyssan… Ich glaube, sie wollten… Kyssan.“ Ein erneuter Versuch sich die Tränen aus dem Gesicht zu wischen scheiterte. „Sie wollen… ihn… Glaube ich…“ „Warum?“, fragte der Elf vorsichtig. „Seher…“, murmelte sie. „Sie haben gesagt… Er sei ein Seher…“ Und nun hatte Miras wohl auch keine Möglichkeit mehr ihr zu erklären, was das bedeutete. „Ein Seher?“, murmelte Unin daraufhin und rieb sich das Kinn. Sein Blick schweifte scheinbar in die Ferne, als würde er nachdenken, ehe er nach einer Weile seufzend den Kopf schüttelte und noch einmal über ihren Rücken strich. „Zumindest seit ihr hier erst einmal in Sicherheit. Euch wird nicht passieren.“ Damit stand er auf. „Wenn du nicht mehr hungrig bist, sollte wir zu Malan gehen.“ „Malan?“, fragte das Mädchen heiser. „Die Heilerin“, antwortete der Elf. „Dein Freund wird schon bei ihr sein und sie sollte sich auch um dich kümmern.“ Yur nickte nur und stand mit zittrigen Knien auf. Im Moment wollte sie eigentlich nur noch eines: Schlafen. Kapitel 7: Die Medizinerin -------------------------- Kapitel 07: Die Medizinerin Während Yur und Unin auf dem Weg zur Heilerin waren, begann das Mädchen sich immer mehr zu fragen, wie weit ihre Füße sie noch tragen würden, da sich ihre Beine mehr als nur wackelig anfühlten. Trotzdem beschwerte sie sich nicht und ging weiter, einen Fuß vor den anderen setzend. An sich war das kleine Haus der Heilerin nicht sehr weit von der Taverne entfernt, wenngleich es auch nicht weit vom Rand der riesigen Höhle gelegen war, in der die Stadt Nazsukam lag. Doch Yur kam es wie eine Tagesreise war, weshalb sie erleichtert war, als die Tür des runden Hauses geöffnet wurde. „Ich habe schon gewartet, Unin“, lächelte sie eine Frau an. In dem Moment wo sie die Heilerin sah, konnte das Mädchen die Augen nicht mehr von ihr lassen. Nicht, weil sie außerordentlich hübsch oder hässlich war, aber die Schuppen, die ihr größtenteils menschliches Gesicht zierten, waren ihr so bekannt, als würde sie in einen Spiegel blicken. Scheinbar verfilztes grünliches Haar hing über ihre Schultern. Konnte das sein? Irgendwo in ihrem Unterbewusstsein, hatte sie wahrgenommen, dass der Elf zuvor als er mit Shanuk sprach einen Namen genannt hatte. Ker… Wie war er noch gewesen? Konnte es etwa sein, dass man hier wusste, was sie war? Die Frau lächelte sie an. „Wer hätte das gedacht“, meinte sie. „Sie hatten also Recht.“ „Was…“, stotterte Yur. „Komm erst einmal rein, Kind“, erwiderte die Frau. „Mein Name ist Malan.“ Die Erdmagierin nickte nur leicht und ließ sich von der Älteren die Hand auf die Schulter legen und durch die Tür ins Haus ziehen. Sie wäre ohnehin zu müde gewesen, um sich wirklich zu wehren. „Willst du vielleicht auch noch einen Tee mit uns trinken, Unin?“, fragte die echsenhäutige Frau an den Elfen gewand, welcher daraufhin den Kopf schüttelte. „Ich werde euch morgen besuchen, aber Shanuk wird mit mir noch über die Sache reden wollen. Ich habe für die beiden gebürgt“, antwortete er und lächelte Yur noch einmal zu. „Daher werde ich besser gehen. Er ist nicht gerade für seine Geduld bekannt.“ Das beantwortete die Frau mit einem Nicken, ehe sie die Tür schloss. „Komm mit“, sagte sie zur Yur und griff nach ihrer Hand, so dass dem Mädchen, das ihr nur bis knapp unter die Brust reichte, nichts anderes übrig blieb, als ihr zu folgen. Sie schaffte es kaum, den Blick von der Haut der fremden Frau, die in ein rötliches, scheinbar gewebtes Gewand gekleidet war, abzuwenden. So viele Fragen stiegen gleichzeitig in ihr auf und wollten durch ihren Mund nach draußen preschen. Doch so viel sie auf einmal fragen wollte, so wenig kam doch heraus. Nicht mehr als ein leises völlig unartikuliertes Stottern verließ ihre Lippen, als sie mit der Frau zusammen eine Art Wohnraum betrat, auf dessen Boden einige Decken ausgebreitet waren. „Setz dich“, forderte die Fremde sie freundlich auf und drückte sie leicht auf den Boden. Hektisch versuchte das Mädchen ihre Gedanken zu ordnen. „Kyssan“, brachte sie schließlich hervor. „Wo ist Kyssan?“ „Der Sanbok?“, erwiderte die Heilerin Malan. „Er ist noch immer ohnmächtig, aber ich werde mein Bestes für ihn tun.“ Während sie sprach, füllte sie einen Lehmbecher mit einer scheinbar heißen Flüssigkeit aus einem Kessel. „Möchtest du Tee?“ Ein schwaches Nicken folgte von Yur, die die Medizinerin noch immer verwirrt ansah und es schließlich, als diese ihr gerade einen weiteren Lehmbecher in die Hand drückte, eine Frage zu Stande zu bekommen: „Was seid Ihr?“ Malan sah sie an. „Du weißt nicht, was du bist?“, erwiderte sie, da sie den Hintergrund der Frage scheinbar sofort verstand. „Wir sind Kegarth.“ „Kegarth…“, murmelte Yur. Diesen Namen hatte vorher Unin auch genannt. Also kannte man ihre Rasse hier tatsächlich! „Kegarth“, wiederholte sie. „Kegarth…“ „Wie kommt es, dass du nicht einmal weißt, welcher Rasse du angehörst?“, fragte die Heilerin nach einer Weile, in der das Mädchen den Becher in seinen Händen angestarrt hatte, und sah sie mit ihren gelben Augen an. Die junge Erdmagierin erwiderte den Blick und überlegte erneut, ob sie der Fremden wirklich vertrauen konnte, aber allein durch die Tatsache, dass sie nun endlich jemanden gefunden hatte, der so war, wie sie, begann sie schließlich zu erzählen. Sie erzählte der Frau, die nicht viel größer war als sie, von Verur und den anderen Jungen und von der Unruhe der letzten Zeit, bis sie schließlich erneut in Tränen ausbrach. All das nahm die Heilerin ruhig und nickend auf, bis sie das weinende Mädchen, nachdem es seine Erzählung beendet hatte, schließlich in einen kleinen anliegenden Raum brachte, dessen Boden fast komplett mit Kissen bedeckt war. „Du solltest dich erst einmal ausruhen“, meinte sie sanft zu Yur. „Du hast viel hinter dir.“ Erneute Unsicherheit befiel sie, doch Malan sah sie an. „Du brauchst Ruhe, Yur“, sagte sie. „Es wird dir nichts passieren, wenn du schläfst. Du bist hier sicher. Der Rat kennt diesen Ort nicht.“ Damit drückte sie sie erneut mit sanfter Gewalt zu Boden. „Schlaf, Mädchen, Schlaf…“ Noch einmal schenkte die Jüngere ihr einen beunruhigten Blick, doch sie konnte nicht verleugnen, dass sich die Kissen verführerisch weich anfühlten. Sie schaffte es nicht mehr noch länger gegen ihren ausgelaugten Körper anzukämpfen, der sich momentan nichts mehr ersehnte als Schlaf. So dauerte es auch nicht lange – kaum hatte die Heilerin die hölzerne Tür zu dem kleinen Zimmer geschlossen – bis das Mädchen in einen tiefen, glücklicher Weise traumlosen Schlaf verfiel. Als Yur aufwachte, fühlte sich ihr Körper wie gerädert an. Jeder einzelne Muskel und Knochen schien zu Schmerzen und sie brauchte eine Weile, um sich an das, was geschehen war, zu erinnern. Ja, sie war in der Stadt Nazsukam, erinnerte sie sich. Die Heilerin Malan, die wie sie eine Kegarth war. Mühsam schluckte das Mädchen, da sich ihr Mund schon wieder furchtbar trocken anfühlte. Wie lange hatte sie wohl geschlafen? In dem Zimmer, in dem sie sich befand, war es nun, wo die Tür geschlossen war, beinahe stockfinster. Nur durch einen kleinen Spalt zwischen Holz und Wand, drang etwas trübes Licht herein, doch es reichte, um zumindest ein wenig zu erkennen. Noch immer fühlte sie sich ausgelaugt, doch etwas besser als vor dem Schlaf. Sie hatte die Ruhe wirklich gebraucht, doch während sie hier nun saß, begann etwas anderes ihr Herz zu erfüllen: Sorge. Mühsam kämpfte sie sich auf und verließ den Raum mit immer noch wackeligen Beinen. Im Wohnraum – zumindest nahm sie das an, da sie hier gestern mit der Heilerin Tee getrunken hatte und der Raum wohl das größte Zimmer des Hauses war – war niemand zu sehen. Sie schluckte, um ihren Mund etwas zu befeuchten, ehe sie nach der Kegarth rief: „Malan?“ Ihre Stimme klang dabei doch noch sehr unsicher, während sie unbewusst aus der Fensteröffnung des steinernen Hauses sah, in die Stadt, in der es noch immer hell war. Wobei sie sich nicht sicher war, ob es in dieser Stadt mit den magischen Lichtern jemals dunkel wurde. „Malan?“, wiederholte sie, kurz bevor am anderen Ende des rundlich geformten Raumes, an dessen Decke Bündel verschiedener getrockneter Pflanzen hingen, eine weitere kleine Tür öffnete und die Heilerin sich zeigte. „Oh, du bist endlich aufgewacht“, meinte sie, als sie in den Raum kroch. Verwirrt erwiderte die Jüngere ihren Blick. „Wie lange habe ich geschlafen?“ „Etwas mehr als einen Tag“, antwortete Malan. „Willst du etwas essen oder trinken?“ Stumm und etwas beschämt wegen der Gutmütigkeit, die gegenüber ihr hier aufgebracht wurde, nickte das Mädchen. „Danke“, murmelte sie und setzte sich dieses Mal unaufgefordert auf eine der bunten Decken. Dann erinnerte sie sich jedoch daran, warum sie aufgestanden war. „Wie geht es Kyssan?“ Die erwachsene Frau seufzte. „Ich kann nicht viel sagen, aber er ist bisher nicht aufgewacht und sein Fieber ist auch nicht zurückgegangen.“ Sie warf einen Blick in die Richtung des Raumes, aus dem sie gerade gekommen war. „Ich habe mich gerade um ihn gekümmert, doch ich kann nicht viel tun.“ „Was hat er?“, fragte Yur, in der Zeit, in der Malan erneut Tee in einen der Becher einschenkte und etwas Brot aus einem Schrank, der scheinbar aus demselben Material gemacht war, wie das Haus, holte und aufschnitt. „Ich weiß es nicht“, erwiderte die Frau, als sie dem Mädchen den Becher in die Hand drückte und den Teller vor die im Schneidersitz überschlagenen Beine stellte. „Jedenfalls nicht genau. Das Fieber ist für einen Sanbok ungewöhnlich und er krampft im Schlaf…“ Um etwas antworten zu können schluckte das Mädchen schnell, fing dann aber an zu husten und goss schnell etwas Tee hinterher. „Wird es ihm wieder besser gehen?“ „Das werden wir sehen.“ Malan seufzte leise und setzte sich ihr gegenüber auf den Boden, von wo aus sie Yur schweigend beim Essen zusah. Trotz aller Sorge um den Echsenjungen, war der Appetit des Mädchens nicht geringer geworden, da sie durch den langen Schlaf schon wieder seit einiger Zeit nichts mehr gegessen hatte, was ihren ohnehin schon nicht sonderlich freundlich gesonnenen Magen noch böser gestimmt hatte. Auch wenn jeder Bissen Erleichterung brachte zog er sich immer wieder schmerzhaft zusammen. „Du bist also eine Erdmagierin?“, stellte Malan schließlich fest, denn Yur hatte ihr dies bereits am Tag zuvor erzählt, als sie von dem Kloster sprach. Die Angesprochene beantwortete die Frage nur mit einem Nicken, da sie noch immer mit Kauen beschäftigt war. Auch die Heilerin schwieg daraufhin wieder und schien nachzudenken, bis die Jüngere sie schließlich zwischen zwei Bissen fragte: „Wieso fragt Ihr?“ Daraufhin schenkte ihr die Ältere wieder ein Lächeln. „Du musst mich nicht so formal ansprechen“, meinte sie und schwieg erneut für eine Weile, ehe sie erklärte: „Du sagtest, dass deine Magie anders sei, als die der anderen im Kloster, wo du aufgewachsen warst.“ „Dort waren kaum Erdmagier“, murmelte das Mädchen, nachdem es endlich geschluckt hatte. „Ich war der einzige Tade – Schüler – der Erdmagie beherrschte.“ Ihre Stimme war leise, da sie erneut an die verlorenen Freunde dachte. „Man sagte mir, dass es nur noch wenige Erdmagier gibt.“ „Das stimmt“, erwiderte die Frau. „In den letzten Jahren sind es überall immer weniger geworden.“ „Warum?“ „Das weiß wohl niemand.“ Malan schüttelte den Kopf und sah zu dem Fenster hinüber. „Manche denken, dass es mit dem Verschwinden des Schlüssels zur Zeit zu tun hat. Aber ich denke eher, dass sich manche Dinge einfach mit der Zeit ändern. Denn das ist das einzige Gesetzt, dem die Zeit folgt: Sie verändert…“ Für einen kurzen Moment senkte sich ein Schatten über das Gesicht der Heilerin, ehe sie seufzte und wieder zu dem Mädchen sah. Dieses überlegte eine Weile, doch dann stellte sie eine weitere der Fragen, die sie die ganze Zeit quälten. „Was ist dieser Schlüssel? Ich habe davon nie etwas gehört, bis Kyssan in das Kloster kam.“ „Viel mehr als du weiß ich wahrscheinlich auch nicht darüber“, antwortete Malan. „Der Schlüssel zur Zeit ist angeblich das letzte Wesen, dass Zeitmagie beherrscht.“ „Wesen? Dann ist der Schlüssel lebendig?“ Die Heilerin nickte. „Jedenfalls habe ich von einigen Leuten solche Geschichten gehört.“ Kurz schwieg sie. „Da, woher ich kam, war diese Geschichte auch unbekannt, aber hier wird sie des Öfteren erzählt.“ „Was ist das für ein Wesen?“, fragte das Mädchen weiter. „Ich sagte doch, ich weiß nicht viel. Gesagt wurde mir nur, dass der Schlüssel wiedergeboren wird, nachdem er einmal gestorben ist. Und man wusste lange nichts davon, dass er noch existiert“, sagte Malan. „Genau deswegen denke ich auch nicht, dass das Verschwinden der Magie mit ihm zu tun hat.“ „Dann ist er wieder aufgetaucht“, schlussfolgerte Yur. „Wenn man sagt, dass er verschwunden sei.“ „Ja“, erwiderte die Ältere. „Angeblich war eine Magierin des Rates der Schlüssel, doch nachdem sie die Zeitmagie beherrschte ist sie verschwunden. Jedenfalls sagten das einige, die dem alten Rat angehörten.“ „Der alte Rat?“, harkte Yur nach, der sich mit allem was die Heilerin erzählte neue Fragen ergaben, so dass sie kaum wusste, in welcher Reihenfolge sie diese stellen sollte. Sie fühlte sich so unendlich dumm, sich all diese Dinge erklären lassen zu müssen, die so viele Leute scheinbar wussten. „Das war bevor du lebtest, denke ich“, meinte die Heilerin. „Doch früher war der Rat der Welten dafür da das Gleichgewicht zu erhalten. Es war wohl zur Zeit als der Schlüssel erwachte, dass ein neuer Rat gewählt wurde, wie es in Kore wohl in bestimmten Abständen üblich war… Und der neue Rat, also der aktuelle, begann Rassen und Stämme, die sich ihm widersetzten auszulöschen. Aber dann verschwand wohl auch der Schlüssel… Genaues weiß ich nicht darüber.“ Erneut schwieg die junge Magierin, während sie versuchte sich das, was ihr gerade erzählt worden war, vorzustellen. Allein die Tatsache, dass dieser ominöse Schlüssel tatsächlich ein lebendes Wesen war, erschien ihr als merkwürdig, wenngleich es einige andere Sachen klarer erscheinen ließ. Aber Zeitmagie… Davon hatte sich schon öfter gehört, doch diese Art der Magie galt schon lange als ausgestorben. Was musste es für eine Macht bedeuten die Zeit kontrollieren zu können! Aber wieso suchte der Rat dann nach diesem Schlüssel? Wollten sie ihn töten? Diese Fragen schienen sich auf ihrem Gesicht abzuzeichnen. „Ich denke der Rat will den Schlüssel für sich benutzen. Jedenfalls wenn es stimmt, dass sie nach ihm suchen. Die Anwesenheit des Sanboks scheint das allerdings zu beweisen.“ Genau! Eine weitere Frage, die sie schon vorher hatte stellen wollen, kam ihr in den Sinn. „Was bedeutet es, dass er ein Seher ist?“ „Seher sind Wesen die mit dem Meer der Zeit verbunden sind“, antwortete Malan. „Zumindest sagen das die, die an die Existenz dieses Ortes glauben.“ Yur nickte, um ihr zu zeigen, dass sie verstand was sie meinte, hatte man auch ihr einen anderen Glauben gelernt. Trotzdem wusste sie zumindest von den Geschichten über das Meer. „Jedenfalls können sie Dinge sehen, bei denen sie nicht dabei sind oder waren“, fuhr die Heilerin daraufhin fort. „Oder manchmal auch kommende Dinge.“ „Und sie können den Schlüssel sehen?“, fragte daraufhin das Mädchen. „Das weiß ich nicht.“ Malan schüttelte den Kopf. „Ich zweifle daran, da die meisten Seher wohl nicht fähig sind, ihre Visionen zu kontrollieren. Aber der Rat scheint drauf zu hoffen, wenn er die Seher jagt.“ Daraufhin wanderte Yurs Blick zur Tür, hinter der Kyssan lag. Er musste sicher schon eine Menge durchgemacht haben, so wie er in Verur reagierte, als sie ihn berühren wollte. „Willst du dich ein wenig um ihn kümmern?“, fragte die Heilerin schließlich. „Ich möchte noch Sachen zum Essen holen …“ Das Mädchen nickte bloß erneut. „Danke“, flüsterte sie dann. „Wieso?“ „Weil Ihr Euch um uns kümmert“, murmelte Yur. Da stand die Frau auf und tätschelte den kurzhaarigen Kopf des Mädchens. „Es gibt viele Leute, denen es schlecht geht und was sollte man tun, wenn man sich nicht gegenseitig hilft?“ Eine Weile später saß Yur neben dem weiterhin schlafenden und fiebernden Kyssan, der auf einem Bett in einem kleinen Zimmer lag. Eine Kerze auf dem Tisch neben ihr beschien sein immer wieder zuckendes Gesicht, während das Mädchen nicht umhin konnte, seine Hand zu halten. Dabei kannte sie ihn nicht, doch so wie er da lag, hatte sie Mitleid mit ihm. Sie hätte zu gerne etwas für ihn getan, aber sie wusste nichts, was ihr möglich gewesen wäre. Daher saß sie einfach nur da und hielt die dreifingrige Hand, welche, wie auch der Rest des Körpers, immer wieder zuckte. Ob er gerade wohl eine Vision hatte? Konnte das vielleicht ein Grund für seine Ohnmacht sein? Auch das konnte das Mädchen nicht sagen. Zu gerne hätte sie gewusst, warum er zuvor so abweisend reagiert? Sie hatte gemerkt, dass er über das Thema Familie nicht sprechen wollte und ahnte, dass sich dahinter mehr verbarg. Vielleicht bildete sie sich das aber auch nur ein. Was hatte Tänon noch gesagt? Wenn er ihn zurückbrachte würde man Kyssan töten. Die Frage war, ob die Welt, von der der Elf gesprochen hatte, die Heimatwelt von dem Sanbok war. Wenn ja könnte das heißen, dass seine Familie ihn töten wollte. Vermutungen! Sie hätte gerne mit ihm darüber gesprochen, doch selbst wenn er wach gewesen wäre – das wusste sie – hätte er ihr wohl kaum darüber erzählt. Ein merkwürdiges Gefühl erfüllte Yur. War es, weil sie endlich wusste, was sie war? Aber was würde jetzt weiter werden? Sollte sie hier in dieser Welt bleiben oder würde sie irgendwann weiterziehen? Noch immer hatte sie nur Teile von dem, was in den Welten vorging verstanden. Sie wusste jetzt, dass es da draußen wohl eine Art Krieg gab, dass Leute verfolgt und getötet wurden. Sie wusste auch, dass die Instanz, die ursprünglich alle geschützt hatte, die Wesen, die Yur geliebt hatte, getötet hatte. Doch nun? Wie würde es für sie weitergehen? Außerdem fragte sie sich noch immer, warum sie bisher nie auch nur etwas von den Kegarth gehört hatte. Auf der anderen Seite hatte sie hier in der Stadt allein einige Rassen gesehen, von denen sie ihm Kloster nichts gefunden hatte. Keine Zeichnungen in irgendwelchen Büchern oder Beschreibungen. Gar nichts. Aber es war wahrscheinlich auch unmöglich über alle Rassen ein Verzeichnis zu führen. Es gab in den anderen Welten sicher unendlich viele… Da ließ ein Klopfen sie aus ihren Gedanken hochschrecken und sie sah zur offenen Tür zum Hauptraum. Erneut wurde geklopft und sie begann sich zu fragen, ob es wohl in Ordnung wäre, wenn sie an die Tür ginge um nachzusehen. „Malan?“, fragte dann eine Stimme von draußen, die dem Mädchen bekannt vorkam. Jedoch brauchte sie eine Weile um zu erkennen, dass es die des Elfen war. Daher stand sie schließlich auf und schlich zur Tür. „Malan ist nicht da“, sagte sie durch den Türspalt, da sie nicht wusste wie weit die die Tür aufmachen durfte. Immerhin wusste sie nicht einmal wie es war in einem Haus – allein – zu leben. „Ah, Yur“, begrüßte der Elf sie. „Es geht dir augenscheinlich besser.“ „Ja“, bestätigte sie. „Dank Euch und Malan.“ „Wo ist sie?“, harkte Unin nach. „Sie wollte etwas zu Essen besorgen“, erwiderte sie. „Jedenfalls sagte sie das, als sie ging.“ „Nun“, meinte der Elf mit einem leisen Seufzen. „Ich wollte ohnehin eigentlich schauen, wie es dir geht.“ „Momentan fühlte ich mich eigentlich ganz gut“, antwortete sie. „Danke für Eure Besorgnis.“ Lachend winkte der Mann ab. „Du musst mich nicht so ansprechen. Ein ‚Du’ reicht vollkommen.“ Betreten sah sie zu Boden. „Und wie geht es deinem Freund?“, fragte Unin schließlich, woraufhin Yur den Kopf schüttelte. „Nicht besser“, erwiderte sie. „Er hat noch immer Fieber und Krämpfe. Ich mache mir Sorgen um ihn.“ „Dabei kennst du ihn noch nicht lange“, stellte er fest. „Ja“, antwortete sie. „Aber… Die anderen in Verur… Sie sind für ihn gestorben. Deshalb darf er nicht sterben.“ Der Elf nickte. „Das kann ich verstehen. Du bist ein gutes Mädchen.“ Erneut schenkte er ihr ein freundliches Lächeln. „Danke“, murmelte sie daraufhin erneut. „Kann ich reinkommen?“, fragte er schließlich, nachdem sie eine Weile geschwiegen hatte. „Ich weiß nicht“, stotterte sie. „Ich weiß nicht ob ich Euch…“ Sie erinnerte sich daran, worum der Elf sie gebeten hatte. „Ob ich… Ob ich euch einlassen darf. Ich weiß nicht wie Malan…“ „Malan hat immer eine offene Tür“, antwortete Unin. „Hätte sie keine Gäste hätte ich wohl nicht einmal geklopft.“ Yur zögerte. War das wirklich in Ordnung? Würde die Heilerin auch wirklich nicht sauer sein? Schließlich trat sie jedoch zur Seite und ließ ihn ein. Tatsächlich schien er sich ganz gut auszukennen, jedenfalls schloss sie das aus seinen sicheren Bewegungen, als er als erstes zur Tür zum Zimmer des Sanboks ging und hineinsah, ehe er sich mit einem weiteren Seufzen abwandte. „Ich hoffe für euch, dass es ihm bald besser geht“, meinte er. „Danke“, erwiderte sie und seufzte. „Eigentlich bin ich auch hergekommen, weil ich dachte, dass du noch ein paar Fragen hast über die Stadt“, sagte er nachdem erneut kurzes Schweigen geherrscht hatte. „Ich hätte dich auch rumgeführt, aber ich denke, du wirst jetzt wohl bei dem Sanbok bleiben wollen.“ „Das habe ich versprochen“, antwortete sie. „Du bist ein gutes Mädchen“, meinte der Elf daraufhin wieder und wieder schwiegen sie danach, bis Yur schließlich die Stimme erhob. „Ich habe bisher nicht gewusst, dass es noch jemanden so gibt wie mich“, murmelte sie. „Ich wusste ja nicht einmal was ich bin in diesem Kloster und mir sagen wollte es niemand.“ „Aber jetzt weiß du es“, stellte Unin fest, woraufhin sie nickte. Im Moment war sie froh, dass sie hier war und noch lebte. Doch auch während sie mit dem Elfen sprach, ließ sie die Frage über die Zukunft nicht los. Was sollte sie jetzt machen? Kapitel 8: Land der Erde ------------------------ Kapitel 08: Land der Erde Seufzend sah Yur zu Unin hinüber, der sich nun, wo die Heilerin wieder da war, um sich um Kyssan zu kümmern, ereifert hatte das Kegarthmädchen herum zu führen. Natürlich war ihr klar, dass er sie eigentlich nur von ihren trübseligen Gedanken abbringen wollte, doch erschien er ihr ein wenig zu gutmütig und um einiges redseliger als die Elfen, die in Verur lebten. Trotzdem musste sie zugeben, dass die Stadt beeindruckend war. Der Lehm, aus dem die Häuser gebaut waren, hatte viele verschiedene Töne, von einfachen hellbraun, über einen Beeschton, der fast weiß schien, und verschiedensten Stufen von rötlichem bis gelblichem Braun. Doch am verwunderlichsten erschien ihr, die sie nur die hohe Pyramide des Klosters kannte, die Architektur dieser Stadt, auch wenn sie sich nicht sicher war, ob man es so bezeichnen konnte. Es waren einige der größeren Häuser ähnlich gebaut, wie die Taverne, in der Yur am Vortag gegessen hatte. Wie Kugeln die man irgendwie ineinander geschoben hatte und die so eine Vielzahl an neuen, anderen Formen zu bilden schienen. Auch das die Kugeln verschiedenste Größen hatten, ließ das ganze sehr vielseitig und unendlich variierbar erscheinen. Und nun, wo sie weniger müde war und in der Halle hinauf sah, bemerkte sie auch die einzelnen mit Treppen oder Leitern verbundenen Kugelhäuser, die scheinbar aus den Wenden heraus gebaut zu seien schienen. Gleichzeitig fragte sie sich, wie hoch dieser Saal wo war, dessen Decke sie zwar sah, aber nicht abschätzen konnte. Und was waren das für leuchtende Kugeln die hier ihr Licht verbreiteten. „Wenn du Fragen hast“, bot Unin an. „Kannst du mich einfach fragen. Auch wenn ich natürlich nicht alles weiß.“ Daraufhin seufzte Yur nur wieder. „Nein“, bestritt sie dann. „Nein, ich werde schon fragen. Es ist nur…“ Eigentlich war ihr Kopf so voll mit so vielen anderen Sachen, hatte sie die Geschehnisse der vergangenen Tage noch immer nicht so recht verarbeitet. Ebenso wie sie auch noch keine Frage auf die Antwort, was sie in Zukunft machen wollte, gefunden hatte. „Ich weiß, dass du viele Sorgen hast“, erwiderte der Elf. „Aber manchen Dingen muss man Zeit lassen, damit sie sich von selbst ergeben. Egal wie angestrengt du über das Vergangene Nachdenkst, es wird dir nicht helfen. Diese Dinge sind geschehen.“ „Ich weiß“, murmelte sie und sah zu einer der schwebenden Lichtkugeln hinauf. „Aber im Moment weiß ich gar nichts mehr… Ich weiß nicht einmal, was ich als nächstes Machen soll…“ „Du kannst hier bleiben“, entgegnete Unin. „Genau so der Sanbok. Ihr könnt hier bleiben, wie die anderen Flüchtlinge auch.“ Schweigen war ihre einzige Antwort darauf, da sie nicht wusste, was zu sagen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto klarer wurde ihr eigentlich, dass sie nicht wieder an einem Ort bleiben wollte. Sie konnte es nicht, denn sie wusste, wenn sie es tat, würde diese Unruhe wiederkommen. Und am Ende würde ohnehin wieder etwas passieren. Doch was sollte sie sonst tun? Da draußen – nein, so konnte man es nicht sagen – in den anderen Welten herrschte Krieg und sie war eigentlich kaum mehr als ein Kind! Was sollte sie tun, außer sich irgendwo zu verstecken, denn in den Krieg zu gehen, und sei es nicht einmal in der Absicht zu kämpfen, hieß doch auf die lange Zeit nichts anderes als zu sterben. Außerdem konnte sie sich diese Sache, diesen Krieg, nicht einmal vorstellen! Wenn der Rat einfach Klans und Rassen auslöschte, die sich ihm widersetzten – wie viele waren dann schon gestorben? Auch fiel es ihr viel schwerer, als angenommen, sich diese verschiedenen Welten vorzustellen. Nun, wo sie diese Wüste über ihnen gesehen hatte und die vielen anderen Rassen in dieser Stadt, war ihr klar geworden, dass sich die Dinge doch nicht so ähnlich waren, wie sie zuvor immer gedacht hatte. Ja, vielleicht gab es sogar eine Welt, wo sie nicht einmal existieren konnte. Allein die Vorstellung daran, machte ihr Angst. Wie war es wohl für die Wandler? Konnten sie überhaupt kontrollieren, in welche Welt sie gingen? Zwar stand es so in den Büchern, doch so langsam begann sie an dem, was sie in ihrem Leben gelesen hatte, zu zweifeln. „Komm“, forderte Unin sie nun auf, als ihr so auffiel, dass sie in ihren Gedanken stehen geblieben war. „Woher kommen diese Tunnel und diese Höhle überhaupt?“, fragte sie. „Von den eigentlichen Bewohnern dieser Welt“, erwiderte der Elf. „Sie nennen sich selbst Arhakash…“ Er überlegte kurz. „Sie sind Insekten, wenn man so will. Doch sie beherrschen alle in gewissen Maßen eine Art von Erdmagie. Jedoch keine mächtige, keine wirkliche Magie. Sie können die Erde nur mit ihrer Kraft bewegen, verdichten und verändern.“ „Auch diese Höhle?“, fragte das Mädchen. „Nein, sie schaffen nur die Tunnel… Die Höhlen waren hier wohl schon immer da. Doch sie haben wohl auch geholfen, diese Häuser zu bauen.“ Erneut sah Yur sich um. „Wo leben sie? Ich meine… Insekten…“ Zwischen den Leuten, die sie umgaben hatte sie keine entdeckt, was sie wunderte, wenn diese Arhakash die ursprünglichen Bewohner der Welt waren. „In den Tunneln und kleineren Höhlen“, antwortete Unin ihr bereitwillig. „Sie haben keine besondert hoch entwickelte Kultur, weshalb sie sich mittlerweile auch meist von den Städten fern halten. Es sei denn sie werden um Hilfe gebeten, die sie selten abschlagen.“ Dies gab dem Mädchen eine Weile zu denken, während sie versuchte sich vorzustellen, wie diese Insekten wohl aussahen. Schließlich kam ihr jedoch eine weitere Frage in den Sinn: „Gibt es etwa noch weitere Städte wie diese?“ Der Elf nickte. „Einige, denn sie sind ideal um sich zu verstecken… Über die Jahre sind einige Wesen, die vor verschiedensten Dingen flohen oder deren Welt unbewohnbar geworden war, hergekommen und haben sie gegründet. Denn du musst hiervon wissen, um ein Tor zu öffnen. Wenn du nicht weiß, wo die Hohlräume sind, und unterirdisch ein Portal öffnest, wirst du wahrscheinlich mitten im Gestein landen.“ Bei dem Gedanken lachte er kurz auf. „Deswegen sind wir hier auch relativ sicher vor dem Rat. Zudem die Tunnel der Arhakash ein Labyrinth sind, für jeden der sich nicht auskennt. Selbst wenn sie eine Stadt finden, sie würden wahrscheinlich fliehen müssen, wollten sie nicht verhungern.“ Erneut schwieg Yur für eine Weile. „Wie lange kommen hier schon Wesen her?“ „Das weiß ich nicht“, antwortete Unin. „Doch diese Stadt bestand schon, als ich hierher kam.“ „Bist du ein Wandler?“, fragte sie daraufhin weiter. „Nein, ich besitze diese Gabe nicht“, murmelte er. „Aber die, mit denen ich herkam…“ Nun hakte sie wieder nach: „Wie lange ist das her?“ „Schon eine Weile…“ Jetzt schien es an dem noch so jung wirkenden Mann zu sein, gedankenverloren zur Decke aufzusehen und zu seufzen, ehe er das Thema wechselte: „Doch Malan ist eine Wandlerin.“ „Wann kam sie her?“, erwiderte das Mädchen sofort. Das Lächeln kehrte auf Unins Gesicht zurück. „Auch das ist schon eine ganze Weile her. Es war kurz bevor diese Städte den großen Zuwachs bekamen. Kurz bevor der Rat anfing Jagd auf so viele zu machen…“ Für einen Augenblick verstummte er. „Aber grade zu der Zeit hat sie gute Dienste geleistet.“ Auf diese Antwort hin schwieg Yur erneut eine Weile. Kurz überlegte sie, ob sie ihn nach Malans Vergangenheit fragen sollte, da er die Heilerin scheinbar sehr gut zu kennen schien, doch dann ließ sie es, da es ihr als klüger erschien, sie selbst zu fragen. Außerdem war es unhöflich, wenn sie es so tat. Allerdings war es eine Tatsache, die wahrscheinlich auch für Unin ersichtlich war, dass Yur sich gegenüber der anderen Kegarth befangen fühlte und nichts zu sagen wusste. Gleichzeitig fühlte sie sich aber auch mit den anderen Wesen dieser Stadt verbunden, denn sie war sich sicher, dass auch unter ihnen solche waren, die alles verloren hatten und aus ihrer Welt vertrieben worden waren. Da waren auch sicher welche, die eine Familie hatten und diese durch diesen doch sehr einseitigen Krieg verloren hatten. Ja, viele hatten sicher noch einiges mehr hinter sich als Yur. Diese lief in der folgenden Zeit schließlich hinter Unin her und hörte zu, wie er ihr von der Stadt erzählte. Tatsächlich gab es auch so etwas wie eine Liste, wo diejenigen, die in der Stadt lebten, aufgelistet waren, auch wenn diese ständig variierten, denn es gab wohl einige, die nur für eine kurze Zeit hierher kamen, ehe sie dann weiterreisten, weil sie in anderen Welten Wesen kannten oder gegen den Rat kämpfen wollten. Letzteres konnte Yur verstehen, wenn sie daran dachte, das jeder Gedanke an den Rat, den sie ja nicht einmal kannte, mit Wut erfüllte. Aber sie hielt daran fest, dass es Selbstmord war, sich gegen ihn zu stellen. Die ganze Meister Verurs waren gegen die Angreifer Schutzlos gewesen und ein einfacher Tade wie sie, der die Magie, die er beherrschen sollte nicht einmal wirklich kontrollieren konnte, wäre einfach nur sehr schnell tot. Wie Zik, der diese Wassermagierin angegriffen hatte und kurz darauf von einem Eispfeil durchbohrt worden war. Allein bei dem Gedanken zog sich das Innere des Mädchens unwillkürlich zusammen, was wohl auch an ihrem Gesicht abzulesen war. „Woran denkst du?“, fragte Unin. „Daran“, begann sie leise. „Daran wie rücksichtslos diese Magier in Verur getötet haben… Die Magier des Rates.“ „Ich weiß“, antwortete er. „Solche Geschichten habe ich schon von vielen hier gehört. Und scheinbar werden sie immer rücksichtsloser…“ Fragend sah sie ihn an. „Früher…“ Kurz unterbrach der Elf sich. „Als das alles begann, gab es einige Überlebende mehr… Aber mittlerweile geht es ihnen scheinbar nicht mehr darum zu unterwerfen. Mittlerweile löschen sie einfach nur aus.“ Der Gedanke ließ das Mädchen sich schütteln. Sie dachte an dieses merkwürdige Gefühl, was sie in Verur befallen hatte. Inzwischen war sie sich sicher, dass das der Tod gewesen war, der das ganze Kloster erfüllt hatte. Ein kaltes, angsteinflößendes Gefühl, an das sie jetzt nicht einmal mehr denken wollte. „Was hast du?“, erkundigte sich Unin sofort. „Es ist nur…“, begann sie. „Der Tod…“ Mehr brauchte sie anscheinend nicht zu sagen, denn der Elfenmann nickte und rieb, wie schon als sie hier angekommen war, über ihre Schulter, bevor er schnell das Thema wechselte: „Denk nicht so viel darüber nach“, meinte er und lächelte sie an. „Vielleicht sollten wir etwas essen, es wird schon bald Abend.“ „Woher weißt du das?“, erkundigte sich Yur, die hier unten sehr schnell das Zeitgefühl verloren hatte. „Wenn du hier länger bist“, antwortete er. „Beginnst du ein Gespür dafür zu entwickeln.“ Das Lächeln auf seinen Lippen wurde wieder zu einem Grinsen. „Du weißt wahrscheinlich nicht, was eine Uhr ist, nicht?“ Verwirrt schüttelte das Mädchen den Kopf. So einen Begriff hatte sie noch nie gehört, weshalb sie die folgende Frage schon in ihren Blick legte: „Was soll das sein?“ „Damit lässt sich die Zeit messen“, erwiderte er. „Die Zeit messen?“, hakte sie verwirrt nach, da ihr die Zeit als eine unberührbare, undefinierbare Einheit. Denn die Zeit konnte man weder sehen noch berühren – sie verging einfach. „Ja“, antwortete er. „Ich kann es dir später zeigen.“ Das nahm sie mit einem Schulterzucken auf und folgte ihm, als er in die Richtung der Taverne ging, in der sie auch schon am Vortag gegessen hatte, als sie ausgehungert hier angekommen war. So kam es, dass sie kurz darauf wieder in dem kleinen Nebenraum saßen, wo es, wie in der ganzen Taverne, nach gebratenen Fleisch roch und Yurs Magen erneut knurren ließ. „Woher kommt das Essen hier unten eigentlich?“, fragte sie, während sie von einer Keule irgendeines vogelähnlichen Tiers – zumindest ließ sie das die Konsistenz des Fleisches vermuten – abbiss und genüsslich kaute. „Das ist verschieden“, erwiderte Unin, der ebenfalls Fleisch von einer solchen Keule abriss, was gar nicht zu dem Bild passte, dass sich das Mädchen vorher von ihm gemacht hatte. Zumindest hätte sie nie erwartet, dass er mit den Händen aß. Wahrscheinlich, weil sie so etwas von Elfen nicht gewohnt war. Nun wartete sie, dass er schluckte und weiter sprach, was er jedoch erst nach einem Schluck aus seinem Becher tat. „Wir bauen hier unten einige Früchte, Kräuter und andere Pflanzen an“, antwortete er. „Es gibt einige Höhlen, die nur dafür genutzt werden.“ „Und Fleisch?“, fragte Yur weiter. „Wenn wir kein Fleisch von den Würmern und Wesen leben, die sich hier durch die Erde graben“, begann er. „Sind es meistens die Jäger, die für einige Tage in andere Welten gehen, um dort etwas zu fangen.“ „Ist das nicht gefährlich?“, meinte sie daraufhin. „Ich meine, der Rat…“ „Ja, damit müssen wir rechnen“, antwortete er. „Normal wird in Welten gejagt, von denen wir wissen, dass der Rat dort keinen Einfluss hat.“ Sie sah auf das Fleisch in ihren Essen, ehe sie schließlich wieder seufzte und begann, es in sich hinein zu stopfen. Auch wenn es merkwürdiger Weise ein schlechtes Gewissen bei ihr hinterließ, konnte sie nicht leugnen von den vergangenen Tagen noch immer hungrig zu sein. So hungrig, dass man dem mit einer Mahlzeit keine Abhilfe schaffen konnte. Genau so, war es wohl unmöglich, ihre Fragen, die sich schließlich nicht nur auf die Stadt, sondern auch auf sie selbst, die Leute hier, den Rat und ganz andere Dinge bezogen, an einem Tag zu beantworten. Sie mochte den gutmütigen Elf, der das Fleisch beinahe gierig verschlang, doch eigentlich wollte sie im Moment nichts mehr als ein wenig nachdenken. Zwar wusste sie zu schätzen, dass man sie von genau diesen Gedanken abbringen wollte, doch früher oder später würden sie doch wiederkommen und sei es dann in der Nacht. Das Gefühl der Bedrängnis machte sich in ihr breit, weshalb sie, nachdem sie gegessen hatte, plötzlich einfach nur noch das Bedürfnis hatte, allein zu sein. „Ich werde zu Malan zurückgehen“, log sie daher, als sie die Taverne verließen. „Willst du nicht noch die anderen Teil der Stadt sehen?“, erwiderte Unin scheinbar enttäuscht, doch sie schüttelte heftig den Kopf. „Nein, ich…“ Sie überlegte kurz. „Ich bin noch etwas erschöpft. Verzeih…“ Bei diesen Worten merkte sie, dass sie dem Mann gegenüber wirklich ein schlechtes Gewissen verspürte. „Wie du meinst“, antwortete dieser nur. „Vielleicht werde ich morgen noch einmal vorbei schauen“, bot er dann an, was sie allerdings nur mit einem Nicken beantwortete. „Danke“, murmelte sie und wandte sich ab. „Ich werde dann gehen…“ Damit rannte sie – schneller und hektischer als gewollt – los, zum Rand der Stadt. Zur steinernen Wand, die sie, nachdem sie sich einige Mal umgesehen hatte, ein Stück weit hinauf kletterte, ehe sie in einer kleinen Spalte Schutz suchte. Es kam ihr feige vor, aber auf einmal fühlte sie sich unten zwischen den vielen fremden Wesen bedrängt und eingeengt. Sie floh, schon wieder… Kapitel 9: Die Hexen von Asunquarth ----------------------------------- ACHTUNG: Noch ungebetat... Irgendwie fehlt mir dazu aktuell die Muse... Kapitel 09: Die Hexen von Asunquarth Die Stadt, die nicht all zu weit unter Yur lag und sie gleichzeitig auch umgab, da nicht weit von ihr entfernt, ein weiteres Kugelhaus aus der Wand ragte, schien die ganze Zeit in Bewegung. Viel Genaues konnte sie nicht erkennen, obwohl die rundliche Felsspalte, in die das Mädchen gekrochen war, nicht wirklich hoch lag. Doch sie sah, wie viel Leben in diesem unterirdischen Land lag. Ihr Blick wanderte die Wand hinauf. Diese Höhle war ein nahezu perfekter Ort für sie zu klettern. Im Moment wollte sie allerdings nicht klettern, sondern sich am liebsten noch weiter in die nicht all zu breite Spalte zurückziehen und nachdenken. Dabei verstand sie eigentlich nicht warum. An sich erschien es ihr durchaus klug, einfach in der Stadt zu bleiben, bis es Kyssan besser ging und dann zu entscheiden, je man dem was er machen wollte. Wahrscheinlich wollte er alleine sein, wie er es schon die ganze Zeit andeutete, aber solange er noch in diesem Zustand war, war sie auf eine gewisse Weise für ihn verantwortlich. Außerdem fand sie hier ein wenig Ruhe, nach der hektischen und kräftezehrenden Flucht. Der Gedanke, dass sie in der Wüste draußen hätte sterben können, kam erneut in ihr Bewusstsein. Was passierte eigentlich mit jenen, die starben? Sie kannte viele Geschichten, doch was sie glauben sollte, wusste sie nicht so Recht. Der Glaube der Wandler war – zumindest hatte sie das so gelesen – dass die Seelen zum Meer der Zeit zurückkehrten und vielleicht wiedergeboren wurden. Wiedergeburt… Was hieß das? Sie verstand diese Dinge mit der Zeit nicht, doch langsam wurde ihr klar, dass sie so oder so eine große Bedeutung im Leben jedes Wesens spielte. Denn die Zeit veränderte Dinge und die Zeit ließ sich nicht aufhalten. Sie war einfach da. Ein Begriff den sich wohl niemand vorstellen konnte. Um zu merkwürdiger erschien ihr die Idee der Zeitmagie. Was sollte man damit machen? Magie hatte normalerweise immer eine Gestalt, jedenfalls etwas in der Art. Erdmagier konnten Erde und Pflanzen kontrollieren, mache auch heilen. Feuermagier ließen Flammen entstehen und konnten die Temperaturen von Dingen verändern. Windmagier konnten die Luft, die sie umgab verändern und fliegen und Wassermagier konnten alles was feucht war kontrollieren und umformen. Doch all diese Dinge konnte man sehen oder zumindest spüren, aber die Zeit… Wie wollte man sie ändern? Was wollte man verändern? Allein die Vorstellung einiger Dinge, wobei sie nicht wusste, ob diese möglich waren, war irgendwie erschreckend. Konnte ein Zeitmagier etwa durch die Zeit reisen? Oder… Was? Was hieß es allein für eine Macht, wenn man nur Dinge in der Vergangenheit ändern konnte oder wusste, was in der Zukunft geschah! In der Zukunft… Ihre Gedanken kamen wieder zu dem Sanbok, der im Haus der Heilerin wohl noch immer fiebernd lag und schlief. War es nicht beängstigend wenn man wusste, was die Zukunft bringen würde? Aber wenn das jemand wissen konnte, hieß das etwa auch, dass das, was kommen würde, unabänderbar war? Sie schüttelte sich und starrte dann weiter auf die Stadt. Da legte sich plötzlich eine Hand auf ihren Fuß und ließ sie zusammenfahren, ehe sich im nächsten Moment Malan über die Kante vor der Spalte zog und sich vor Yur in diese setzte. „Was…“, stotterte das Mädchen überrascht. „Ich wollte nach dir sehen“, erwiderte die Heilerin, die nun ein ärmelloses Hemd und eine leinene Hose trug. „Laut Unin bist du schon vor einer ganze Weile losgelaufen um zu mir zu gehen… Du brauchst wirklich lange für den Weg.“ Schuldbewusst senkte Yur den Blick. Also wusste der Elf nun, dass sie gelogen hatte? „Ich habe ihm gesagt, du bist wieder gegangen, weil du mir noch Kräuter holen wolltest“, meinte die Kegarth, die scheinbar ihre Gedanken lesen konnte. „Er ist auch nur gekommen, um mir frischen Tee zu bringen.“ Sie lächelte. „Ich habe mir schon gedacht, dass du die Ruhe suchst.“ „Wieso?“, fragte das Mädchen. „Du bist nicht sehr anders, als ich in deinem Alter war“, antwortete die Frau und hielt ihr die Hand entgegen. „Komm mit, ich möchte, dass du mir deine Magie zeigst.“ Überrascht griff Yur nach der Hand, als die Heilerin sie aus der Spalte hinauszog, ehe sie sie wieder loslassen musste um die steile Wand hinauf zu der Öffnung eines Tunnels, zu dem es hier keinen Zugang gab, konnte man nicht fliegen oder klettern. Der Gang war nicht sonderlich hoch, doch es reichte, damit das Mädchen und die nicht viel größere Frau grade stehen konnten. „Aber wieso?“, fragte Yur nun erneut, da sie nicht wirklich wusste, was sie machen sollte. „Du sagtest, dass deine Magie anders war“, erklärte Malan. „Also interessiert es mich, was für dich anders heißt.“ Unmutig sah die Vierzehnjährige zu Boden. „Was ist mit Kyssan?“ „Im Moment hat Unin ein Auge auf ihn“, antwortete die Heilerin. „Außerdem denke ich nicht, dass sich sein Zustand ändern wird. Es geht ihm schlecht, aber er schein stabil zu sein.“ Immer noch rührte sich Yur nicht. „Aber was soll ich tun?“, fragte sie dann. „Was erwartest du, dass ich tue… Ich kann eigentlich nur angreifen… Aber ich kann dich nicht angreifen.“ „Wieso nicht?“ Ungläubig starrte das Mädchen Malan an. „Ich bin selbst eine Magierin, Yur“, erwiderte diese. „Wir teilen dasselbe Element. Du wirst mich nicht so schnell verletzen können.“ Weiterhin sah die Jüngere sie an. War es wirklich okay, wenn sie sie angriff? Was wäre, wenn sie Malan verletzte? Was erwartete sich die Frau eigentlich davon? Doch als diese sie weiterhin herausfordernd ansah, schluckte das Mädchen noch einmal, bevor sie zwei steinerne Arme aus dem Boden wachsen ließ, die nach den Armen der Heilerin griffen und diese zur Wand zu zerren versuchten. Einen Moment später merkte Yur jedoch, wie der Boden unter ihr nachgab und sie einfach in die Erde bis zur Hüfte einsank. „Was…“, begann sie überrascht, als sie zu Malan sah, die bereits teilweise in der Wand zu stehen schien, sich jedoch nun davon befreite und auf das Mädchen zuging. „Es ist wie ich es mir gedacht habe“, meinte sie und zog Yur aus der Erde heraus. „Was?“, fragte das Mädchen nun ernsthaft verwirrt. „Es gibt eine Sache, die du über Magie wissen solltest“, überging die Heilerin die Frage einfach und ging dorthin, wo das Licht der Stadt direkt auf den abgerundeten Tunnelboden fiel. „Sie ist nicht klar definiert, sondern befindet sich in einem Stadium ewiger Veränderung.“ „Wieso?“ Noch immer war Yur verwirrt, da sich nicht verstand, auf was die Heilerin hinaus wollte. Wieso hatte sie sie überhaupt angreifen lassen? Was wollte sie ihr sagen? Malan bedeutete ihr, dass sie sich ebenfalls setzen sollte, was Yur nur nach einigem Zögern tat. „Keine Magie hat eine genaue Definition, mit der man sie beschreiben könnte“, fuhr Malan nun fort. „Das heißt es gibt keine normale Erdmagie und keine andere Erdmagie. Magie verändert sich und passt sich ihrem Nutzer an.“ „Was willst du mir damit sagen?“, fragte das Mädchen. „Dass deine Magie keine ‚andere’ Erdmagie ist“, erwiderte die Frau. „Denn es gibt nur ein Element Erde, auch wenn es verschieden ausgelegt werden kann.“ Sie machte eine kurze Pause. „Magie passt sich an. Weshalb es auch oft so ist, dass manche Stämme, Familien und Klane oder auch bestimmte Welten eigene Auslegungen, eigene Arten eines Elementes und seiner Magie haben. Die Art, auf die du deine Erdmagie einsetzt, ist ein Beispiel dafür.“ Darüber dachte Yur eine Weile nach, ehe sie eine Antwort zustande brachte. Ihr war klar, dass die Magie Malans ihrer nicht unähnlich war, doch ganz verstand sie den Sinn ihrer Worte nicht. „Warum sagtest du, dass es so sei, wie du es dir gedacht hast?“ „Weil ich denke, dass ich weiß von wo du kommst.“ „Was?“ Nun verstand das Kegarthmädchen nichts mehr. Eine Weile schwieg Malan und sah auf die Stadt hinunter, ehe sie schließlich seufzte und zu erzählen begann: „Deine Magie ist meiner nicht unähnlich“, sagte sie und seufzte erneut. „Weißt du, die Welt aus der ich komme, wird von den Wandlern Asunquarth genannt.“ Wieder pausierte sie kurz und ihr Blick blieb mitten in der Luft an einem der schwebenden Lichter hängen. „Dort lebten eigentlich nur die so genannten Jighgs, recht dumme Wasserbewohner, und ein kleiner Klan von Hexen und Hexern. Wir waren alle Kegarth, die wir dort lebten. Und kaum mehr als siebzig, denn so viele gingen, wenn sie älter wurden.“ „Und wieso kamst du hierher?“, fragte Yur. „Und was hat das mit mir zu tun?“ „Lass es mich erzählen“, erwiderte die Frau. „Deine Magie ist die, wie sie sich unter den Hexen dort über die Jahre entwickelt hat. Daher ist sie auch meiner nicht unähnlich.“ „Aber wieso?“, erwiderte das Mädchen. „Ich meine, du sagtest das nur ihr Hexen…“ Sie unterbrach sich. „Wir Hexen…?“, fuhr sie dann unsicher fort und sah erneut aus der Höhle in den Saal der Stadt hinab. „Dass die Hexen die einzigen waren, auf dieser Welt. Wieso ist die Magie dann so… So zerstörerisch? Musstet ihr kämpfen?“ Malan schüttelte den Kopf. „Nein, wirklich kämpfen mussten wir nicht oder selten. Nur dann, wenn es darum ging unser Gebiet zu verteidigen.“ Ein schwaches Lächeln breitete sich nun wieder auf ihrem Gesicht aus. „Es gibt immer wieder andere Stämme, die versuchen sich in verlassenen Welten nieder zu lassen… Allerdings gab es auch Zeiten, als wir noch andere Stämme in anderen Welten unterstützt haben – doch das war selbst vor meiner Zeit.“ Sie seufzte. „Kegarth sind, das musst du wissen, auch wenn sie normal nur zu Erde und Wasser gehören, ein kriegerisches Volk – egal wo sie leben.“ Nun ließ auch Yur ein leises Seufzen hörte, denn bei den Worten der Heilerin viel ihr die Angriffslust und Gereiztheit, die sich im letzten Jahr in Verur entwickelt hatte, wieder ein. Hatte das mit ihrer Rasse zu tun? „Aber warum bist du hier? Und warum bin ich…“ Sie brach ab, da sie wusste, dass die Heilerin auch so verstand. Zudem wusste sie nicht wie sie die Frage stellen sollte. War sie abgeschoben worden? „Ich bin hier bereits früher hergekommen“, erwiderte Malan. „Ich hatte die ganze Zeit den Wunsch wegzukommen von dieser Welt und irgendwann, damals war ich nicht sehr viel älter als du, bin ich einfach gegangen.“ Erneut verlor sich ihr Blick im nirgendwo. „Und habe es sehr bald bereut, denn als ich ging brach dieser Krieg – wenn du es überhaupt so nenne willst – los. Und ich wusste nicht, was ich tun sollte und als ich nach einiger Zeit nach Asunquarth zurückkehren wollte, da es mir als unabhängige Welt als ein sicherer Ort erschien. Doch als ich dort ankam, gab es keine Hexen mehr und der Wald war verbrannt…“ „Was?“, stieß Yur aus. „Damals wusste ich nicht, was ich machen sollte und bin deshalb weiter gezogen“, fuhr die Heilerin dann fort. „Es war mehr oder weniger Zufall, dass ich schließlich in einer Welt auf Rebellen traf… Durch sie habe ich auch von diesem Ort erfahren“, erklärte sie. „Damals waren einige von ihnen hier. Verletzt und ich habe ihnen schließlich geholfen, da ich im Gegensatz zu den anderen Hexen Heilfähigkeiten besaß, zumindest etwas, und auch die Rebellen Heiler brauchten. Einer von ihnen erzählte mir auch, was in Asunquarth geschehen war…“ „Es war der Rat, oder?“, murmelte das Mädchen, was Malan mit einem Nicken beantwortete. „Sie brauchten Erdmagier und wollten daher, dass sie Hexen sich ihnen anschlossen“, sagte sie. „Und als sie es nicht taten, sahen sie das als Widerstand an und löschten sie aus… Alle… Damals wirst du wohl zwei oder drei Jahre gewesen sein.“ „Aber wenn ich wirklich zu den Hexen gehörte“, begann Yur, die zugeben musste, dass dies ungefähr, mit dem Alter, in dem sie nach Verur kam, übereinstimmte. „Wieso bin ich dann in Verur gewesen? Wieso lebe ich dann noch?“ „Das weiß ich nicht“, antwortete Malan. „Aber ich glaube wirklich, dass du aus unserem Klan stammst.“ Daraufhin senkte das Mädchen den Kopf. „Aber beweisen kann es keiner… Du sagtest doch, dass es noch andere Kegarth gibt… Und selbst wenn, dann lebt keiner mehr.“ Die Heilerin nickte. „Ja…“ Nach diesen Worten schwiegen beide. Yur wusste nicht, ob sie ihr die Geschichte glauben wollte. Denn solange es außer den Hexen auch noch andere Kegarth gegeben hatte – wer wusste dann, ob sie wirklich aus diesem Klan stammte. Auch war ihr das, was Malan zuvor über Magie erzählt hatte, fremd. Sicher, es mochte stimmen, aber so verstand das Mädchen keines der Worte. Magie, die sich verändert? In Verur hatte man ihr etwas anderes gelehrt. Außerdem hieß es, wenn die Hexen tot waren, dass sie vielleicht nicht abgeschoben oder ausgesetzt worden war, aber eine Familie hatte sie trotzdem nicht mehr. Schließlich stand die Heilerin auf. „Lass uns gehen“, meinte sie. „Es ist bereits Nacht.“ Yur zuckte mit den Schultern. „Das weiß ich nicht“, murmelte sie. Zwar war sie müde und ihre Muskeln taten noch immer etwas weh, doch fühlte sie sich noch immer etwas unruhig, wohl auch wegen der Dinge, die sie grade erfahren hatte. „Außerdem will ich nach deinem Echsenfreund sehen“, lächelte Malan und begann die Wand hinab zu klettern. Noch einmal warf das Mädchen einen Blick auf die nicht mehr so geschäftige Stadt und seufzte. Im Moment blieb ihr wohl kaum eine Wahl, doch ewig würde sie nicht hier bleiben können… Kapitel 10: Hauch des Todes --------------------------- ACHTUNG: Noch ungebetat... Irgendwie fehlt mir dazu aktuell die Muse... Kapitel 10: Hauch des Todes Weitere sechs Tage vergingen in der unterirdischen Stadt Nazsukam ohne das sich viel veränderte. Yur begann sich mit den Tagen besser zu fühlen, dachte aber weiterhin darüber nach, was sie des Weiteren tun sollte, beziehungsweise was sie tun wollte. Noch immer schämte sie sich den Elfen angelogen zu haben und noch immer versuchte dieser sie beständig aufzuheitern, weshalb er sie fast jeden Tag irgendwo mit hinnahm, um ihr Teile des unterirdischen Reiches zu zeigen. Alle Andeutungen von ihr ein wenig Ruhe zu brauchen übersah oder überhörte er. Zumindest erfuhr sie so, was eine Uhr war. Ein merkwürdiger Gegenstand, der ein regelmäßiges Geräusch von sich gab und aus einer Rundenscheibe bestand, auf der drei Zeiger im Kreis wanderten. Am Rand standen zehn Zahlen – zumindest sagte Unin ihr, dass es Zahlen seien, denn sie konnte die ihr unbekannte Schrift nicht lesen – die, wie ihr der Elf zudem erklärte, so genannte Stunden anzeigte. Des Weiteren sagte er auch, dass er diese Uhr exakt dem Zeitverlauf dieser Welt angepasst sei, so dass zwei Umläufe des längsten Zeigers, einen Tag bedeuteten. Diese Apparatur wurde zudem nicht von Magie, sondern von Mechanik betrieben, auch wenn der Kegarth eine Vorstellung davon fehlte, was das sein sollte. Der Elf versuchte es ihr zu erklären, dass es mit dem Übertragen von Kräften zu tun hatte, doch da sie so etwas noch nie gehört hatte, fehlte ihr jegliches Verständnis dazu. Außerdem zeigte er ihr die Plantagen, die in einer separaten Höhle lagen. Es schien fast wie ein kleiner Urwald, so dicht wie die Bäume dort standen. Yur wunderte es nach ihrem Besuch auch nicht mehr, das es hier so viele Kräuter und Früchte gab, wenngleich ihr Malan schon gesagt hatte, dass in dieser Welt unter den gegebenen Bedingungen nicht alle Kräuter wuchsen, was grade für die Heilerin manchmal problematisch war, da sie bestimmte Pflanzen für einige Salben und Tränke brauchte, aber warten musste, bis sie jemand mitbrachte. Schließlich sah Yur in den Tunneln auch noch einen der Arhakash, von denen ihr der Elf ja bereits erzählt hatte. Tatsächlich sah das Tier, denn anders konnte das Mädchen das große Insekt, das große Ähnlichkeit mit einem Käfer hatte, nicht bezeichnen, sehr merkwürdig hat. Hatte eine lehmfarbene, aber seltsam glänzende Panzerung, die zu berühren sich die Kegarth nicht traute. Daher ignorierte der Käfer sie auch und ging, einige ungewöhnliche Klicklaute von sich gebend, einfach an ihr vorbei. Doch auch wenn das Mädchen die ganze Zeit hatte neue Dinge kennen lernen wollen, fühlte sie sich nun nicht wohl. Zudem machte es sie nervös, dass es keine Veränderung in Kyssans Zustand gab. Noch immer lag er auf dem Bett in Malans Haus, hatte Fieber, bekam von der Heilerin täglich Medizin und schlief. Am Morgen des siebten Tages jedoch war etwas anders, als das Mädchen in den Wohnraum des Hauses kam. Es waren Stimmen aus dem Raum, in dem der Sanbok schlief zu vernehmen. Stimmen, die das Mädchen nicht einordnen konnte, weshalb sie vorsichtig zur Tür schlich und hineinspähte. In dem sehr kleinen Raum saßen nun drei Personen am Bett des Jungen. Eine davon war Malan, doch die anderen beiden kannte Yur nicht. Sie sah nur, dass die eine Person zu den seltsamen Vogelmenschen, die sie hier nun schon öfter gesehen hatte und die sich Zir nannten, gehörte und die andere Person wahrscheinlich ein Halbdämon war, da seine Ohren die für diese typische Form hatten. „Was ist los?“, fragte das Kegarthmädchen, das sofort wusste, dass etwas nicht stimmte. Malan drehte sich zu ihr um und schüttelte den Kopf, ehe sie zu ihr ging, um sie in den Wohnraum zurück zu drängen. „Was ist los?“, wiederholte Yur dort noch einmal. „Als ich heute morgen nach ihm sah, ging es ihm schlechter“, erklärte die Heilerin. „Das Fieber ist weg…“ „Aber das ist doch gut?!“, unterbrach die Jüngere sie. „Nein.“ Malan schüttelte den Kopf. „Er hat zwar kein Fieber mehr, dafür ist seine Körpertemperatur jetzt jedoch soweit abgesunken, dass sie selbst für einen Sanbok viel zu niedrig ist.“ Kurz dachte das Mädchen nach. „Zu niedrig für einen Sanbok?“ „Er ist eine Echse“, meinte die Heilerin. „Er hat normalerweise immer eine recht niedrige Körpertemperatur.“ Yur nickte, denn nun erinnerte sie sich daran, wie sie ihn an der Hand berührte, als er grade in Verur angekommen war. Damals war er auch sehr kühl gewesen, so dass sich seine Schuppen fast wie rauer Stein angefühlt hatten. „Doch jetzt ist er fast wie Eis“, fuhr die Ältere fort. „Und sein Herz schlägt kaum noch.“ Für eine Weile schwieg die vierzehnjährige erneut, da sie brauchte um die Bedeutung der Worte zu verstehen. „Heißt das…“, begann sie schließlich. „Heißt das, dass er sterben wird?“ „Das weiß ich nicht“, erwiderte Malan. „Aber ich halte es für möglich.“ „Aber warum?“, fragte Yur weiter, doch die andere schüttelte nur ihren Kopf, woraufhin das Mädchen sie eine ganze Weile anstarrte. Sie begriff gar nichts. Was sollte das heißen? Wenn Kyssan starb… Was sollte sie dann machen? Gleichzeitig schalt sie sich selbst eine Närrin, denn sie hatte eigentlich ja nichts mit dem Sanbok zu tun. So oft hatte sie sich das nun schon gesagt, doch sie fühlte sich so verantwortlich für ihn. Und wenn er starb… Ja, sie wusste nicht, was sie dann machen sollte. Denn seit ihrer Flucht baute sich ihr ganzes Denken in Abhängigkeit des Sanbok ab. Wenn er aufwachte, dann würde sie sich entscheiden müssen. Aber auch wenn er starb. Doch die letztere Möglichkeit führte sich bei dem Gedanken daran zu grausam an. „Ich weiß nicht, was mit ihm los ist“, sagte die Heilerin. „Deswegen sind auch Zestan und Ij hier.“ Von den Namen her schloss Yur darauf, dass der Halbdämon Zestan und der Vogelmensch Ij war, da die Zir meist kurze Namen mit dem Vokal I hatten. So hatte es ihr zumindest Unin erklärt. „Die beiden sind ebenfalls Heiler“, fuhr Malan fort. „Aber auch sie wissen nicht, was der Junge hat.“ „Wollt ihr ihn einfach sterben lassen?“, fragte Yur und konnte dabei ihre verzweifelte Stimme nicht verbergen. „Nein“, erwiderte die Ältere. „Was willst du dann tun?“, hakte das Mädchen nach, doch die Heilerin seufzte nur. „Setz dich erst einmal und iss etwas“, meinte sie und holte einen frischen Laib Brot aus dem Schrank, den sie, wie auch etwas kaltes, gebratenes Fleisch aufschnitt und dem Mädchen auf einem Teller reichte, so wie sie es in den vergangenen Tagen jeden Morgen getan hatte. Im Gegensatz zu den letzten Tagen aß Yur nicht mit besonderen Appetit, sondern kaute lustlos auf Brot und Fleisch herum, während sie an dem Tee, den Malan ihr gab, nur nippte. Derweil seufzte die Heilerin und lehnte sich an die Wand. „Bevor ich die Rebellen traf und hierher kam, versteckte ich mich eine Weile in einer…“ Sie schien nach dem richtigen Wort zu suchen. „In einer Apotheke in einer weiteren kleinen, unabhängigen Welt. Dort habe ich vieles über Kräuter und Medizin gelernt.“ Yur wartete darauf, dass die ältere weiter redete, doch diese schien schon wieder in Erinnerungen zu schwelgen. „Dort war ein alter Heiler“, murmelte sie schließlich. „Ein Angeli. Seine Heilkräfte und sein Wissen um Kräuter waren wirklich erstaunlich. Ich bin mir sicher, dass er auch weiß, warum es deinem Echsenfreund so schlecht geht… Er ist der einzige Heiler, den ich kenne, der das wissen könnte.“ „Bist du dir sicher?“, fragte das Mädchen. „Ich weiß niemand anderen“, antwortete Malan, doch Yur erkannte auch, dass die Frau scheinbar eine gewisse Sehnsucht nach dem Mann, ihren alten Meister verspürte, wohl so, wie die Trauer um Miras bei jedem Gedanken an diesen noch immer ihr Herz zu zerreißen drohte. „Ist diese Welt noch immer unabhängig?“, erkundigte sie sich daher nach einer Weile. „Das weiß ich nicht.“ Die Heilerin zuckte mit den Schultern, ehe sie selbst zum Tisch ging, auf dem die Kanne mit dem Tee stand, und sich eingoss. „Diese Dinge ändern sich im Moment von einen Tag auf den anderen.“ Die junge Kergarth nickte daraufhin, da sie das mittlerweile erkannt hatte, nachdem sie hier in der Stadt einige Geschichten gehört hatte. „Darf ich dich begleiten?“ „Es könnte gefährlich sein“, meinte Malan. „Aber wenn ich hier bleibe, komme ich mir so nutzlos vor“, antwortete Yur leise und sah auf den Becher in ihrer Hand. Dann leerte sie diesen mit einem Schluck. Viel Zeit verging nicht, denn auf einmal schien es die Heilerin eilig zu haben, bis Malan einige Sachen zusammengepackt hatte und wärmere Kleidung für sich und Yur besorgt hatte. Sie hatte dem Mädchen erklärt, dass die Welt, in der diese Apotheke war, oder zumindest die Umgebung, wo sie hingehen würden, um einiges kälter sein würde, als es selbst hier unter der Erde war. Daher betastete die junge Erdmagierin nun vorsichtig den filzen Umhang, der über ihre Schultern hing und somit die leinene langärmlige und vollbeinige Kleidung bedeckte, die sie trug. Auch Malan trug ähnliche Kleidung, nur das unter ihrem Umhang noch ein Bündel verschiedener Sachen, unter anderem auch etwas Brot, über ihre Schultern hing. So entstand der Eindruck eines Buckels, woran sie sich jedoch nicht weiter störte. „Die Welt ist auf der zweiten Ebene“, meinte sie dann zu Ij und Unin, der mittlerweile den Platz des Dämons eingenommen hatte, und sprach damit erneut etwas an, was Yur ebenfalls nicht verstand: Die Ebenen der Zeit. „Es sollte also nicht sehr lange dauern, bis wir zurück sind.“ „Passt trotzdem auf euch auf“, erwiderte der Elf nickend, ehe er einen Schritt auf die Heilerin zu ging und sie kurz umarmte. Danach tat er dasselbe mit Yur, obwohl sie sich so schnell wie möglich aus der Umarmung zu befreien versuchte, da sie eine Geste wie diese nicht kannte. „Es wird schon alles gut werden“, antwortete Malan und zuckte mit den Schultern. Dann legte sie die Hand auf Yurs Rücken, damit diese sich rührte und mit ihr zusammen aus dem Haus hinausging. Die Heilerin hatte ihr bereits erklärt, dass sie erst an die Oberfläche der Welt reiten würden um von dort aus ein Portal zu öffnen. Denn sollte es in der anderen Welt, welche die Heilerin mit Tiath benannt hatte, doch Krieger vom Rat geben, würden sie auch, wenn sie es irgendwie schafften durch das Portal zu schlüpfen, die verborgenen Städte nicht finden. Deshalb machten sie sich nun auf den Weg zu dem Saal, in dem Yur das erste Mal auf Unin getroffen war und dieser den Anführer der Karawane – Shanuk – davon überzeugt hatte, dass die beiden Kinder ungefährlich waren. Dort wartete bereits ein gesattelter Aht – so hießen die Reittiere wie das Mädchen nun wusste – auf sie, der von einem der mit Fell bedeckten Wächter für sie bereit gestellt worden war, denn der Dämon, der zuvor bei ihnen gewesen war, hatte ihn wohl schon informiert. Jedenfalls vermutete Yur dies. Trotzdem vermutete das Mädchen auch, dass die Heilerin keine Gefahr in der Welt Tiath erwartete, denn sonst hätte sie wohl kaum so schnell eingewilligt, dass Yur sie begleitete. Die Aht waren der jungen Kegarth jedoch immer noch unheimlich, als Malan ihr half hinter ihr im Sattel halt zu finden. Fast wünschte Yur sich, wieder gefesselt zu sein, so dass sie bei dem holperigen Gang des Tieres nicht hinabfallen könnte. Zudem war ihr auch bei jedem Blick auf die Fackel, die die Heilerin nun schon die ganze Zeit über ihren Kopf hielt, nicht sonderlich wohl. Zwar war das ihre einzige Möglichkeit hier in den Höhlen zu sehen, doch musste sie zugeben dass die züngelnde Flamme ihr ein gewisses Unbehagen bereitete. Ansonsten war der Ritt durch die runden Tunnel nicht viel anders als auf ihrem Weg hinab: Sie merkte, wie die Luft immer trockener und wärmer wurde, während sie auf dem Hinweg kühler geworden war. Ihre Beine streiften an einigen Stellen Schmerzhaft die Wand entlang und sie wünschte sich nichts sehnlicher, als zu Fuß weiter zu gehen, anstatt auf diesem merkwürdigen Tier zu reiten. „Was ist?“ Die Heilerin bemerkte wohl, wie sich das Mädchen hinter ihr verkrampfte und wandte sich deshalb zu ihr um. „Nichts“, erwiderte Yur. „Du magst es nicht zu reiten“, stellte Malan fest, woraufhin die jüngere nur nickte. „Es ist nicht mehr weit“, meinte sie daraufhin nur und lächelte dem Mädchen aufmunternd zu, ehe sie sich wieder nach vorne wandte. Daraufhin nickte Yur noch, denn sie merkte, dass die Luft mittlerweile heiß und staubtrocken war und sie meinte auch ein wenig Licht weiter vorne im Tunnel erkennen zu können, als dieser um sie herum breiter wurde. Hier hielt die ältere Kegarth das Reittier an und stieg ab, ehe sie das Tier an einem Seil, dass mit einem Ledergurt an seinem Kopf befestigt war, in einen weiteren Tunnel führte, an dessen Wand Yur Metall aufblinzen sah. Dort band Malan den Aht fest und nickte dem Mädchen dann zu aus der Höhle hinaus zu treten. Als sie nach draußen trat, kam der Jüngeren wieder in den Sinn wie verzerrend heiß die Sonne der Wüste war, denn im prallen Licht fühlte sie sich als würde sie über einem Feuer geröstet werden. Allein deswegen war der Gedanke daran, hier noch etwas laufen zu müssen, so dass sie nicht zu nahe am Felsen waren, wenn sie durch das Portal tragen, nicht grade angenehm. Trotzdem folgte sie der Heilerin stillschweigend durch den glühendheißen Sand, bis diese schließlich stehen blieb und hinter einem Felsen die Hand vor den Körper hielt. Sie musste sich konzentrieren, dass konnte Yur ihr ansehen, als auf einmal erneut ein weißer Punkt in der Luft entstand, so wie sie es bereits in Verur gesehen hatte, als Meister Randem ihnen das Tor hierher öffnete. Bis heute war sie sich nicht sicher, ob es Absicht war, dass er sie hierher geschickt hatte, oder nicht. Sie wusste ja auch nicht, ob er von den unterirdischen Städten wusste. So war es erst einmal einem Mord gleichgekommen, als sie hier in der Wüste standen. Der weiße Punkt breitete sich aus und wurde dann schließlich zu einem türhohen Loch in der Luft, durch das man eine graue Landschaft sehen konnte. „Geht hindurch“, forderte die Heilerin sie auf und gab ihr einen leichten Schubs, woraufhin sie durch das Portal stolperte und im nächsten Augenblick in eisiger Kälte stand. Ein Schock dafür, dass sie im Moment vorher in der heißen Wüste gewesen war. Selbst der Mantel, den sie für den Ritt und den Weg durch die Dürre abgelegt hatte und sich nun schnell wieder über die Schultern warf, konnte das nicht verändern. Dann trat auch Malan hinter ihr durch das Tor, ehe sich dieses hinter ihnen schloss. Zitternd und mit den Zähnen klappernd versuchte Yur wieder warm zu werden und sich gleichzeitig in ihrer neuen Umgebung zu orientieren. Der Himmel über ihnen war grau und mit Wolken verhangen, während sie auf einer großen, mit hohem Gras bewachsenen Wiese stand. Einzelne Wassertropfen hingen an den kleinen Pflanzen und sorgten dafür, dass sich ihre Hose schnell mit Feuchtigkeit voll saugte, was sie noch mehr zittern ließ. „Komm jetzt“, meinte Malan zu ihr und legte ihr erneut die Hand auf die Schulter, um sie voran zu drücken. Schwerfällig trottete Yur daraufhin neben der Älteren her. Ihre Füße fühlten sich an wie Blöcke aus Eis und ihren Beinen als ganzes ging es nicht viel besser, zumal der Mantel ihr nur bis zu den Knien reichte und die Beine allgemein kaum bedeckte. Dadurch kam es auch, dass ihr die Bewegungen schwer fielen, so wie in der eisigen Wüstennacht. Nur der Gedanke daran ließ sie noch mehr frösteln. Sie war einfach keine Kälte gewohnt. Allgemein sah jedoch auch die Landschaft um sie herum sehr kahl und trostlos aus, denn die Bäume, die viel kleiner waren, als die im Dschungel, und um sie herum nicht sonderlich dicht, sondern eher vereinzelt standen, trugen kaum Blätter an ihren Zweigen, und die, die noch an diesen hingen, zeigten sich in einem schmuddeligen Braun oder Orange. Da bemerkte das Mädchen noch etwas: Weiße Schwaden stiegen vor ihrem Mund auf. Sie brauchte einige Zeit, bis ihr klar wurde, dass sich diese Wölkchen immer zeigten, wenn sie ausatmete. Was hatte das zu bedeuten? Sie sah, dass die Heilerin ein ganzes Stück voraus gegangen war, weshalb sie nun anfing zu laufen, um sie einzuholen. „Wo ist denn diese…“ Kurz suchte sie das Wort, dass sie vorher noch nicht gehört hatte. „Diese Apotheke?“, beendete sie dann ihre Frage. „Außerhalb des Waldes“, erwiderte Malan, während die Bäume um sie herum immer dichter standen. „Wieso sind wir dann hier…“, begann Yur. „Wir sind im Wald.“ Die ältere sah sich um. „Und ich wollte nichts riskieren. Sollten hier Truppen der Ratsmagier sein, werden sie sich sehr wahrscheinlich bei den Häusern aufhalten und nicht hier. Ich wollte vermeiden, dass wir unnötiges Aufsehen erregen.“ Daraufhin nickte das frierende Mädchen nur und trottete weiter schweigend hinter ihr her. Vielleicht war es ja nur das furchtbare Wetter und der graue Himmel über ihnen, aber sie fühlte sich hier wirklich nicht wohl. Aber sicher war es nichts… Auch wenn sie es für richtig gehalten hatte und dies auch immer noch tat, Malan zu begleiten, verfluchte sie innerlich ein wenig diese Entscheidung und freute sich schon beinahe darauf, in die Wüste zurück zu kehren. Dort war es zumindest warm, während sie begann diese Kälte hier zu verabscheuen. Allgemein stellte sie fest, dass ihr sengende Hitze lieber war, als auch nur eine etwas kühle Umgebung. Und ihre kalten Füße, die ohne Schuhe über den nassen Waldboden liefen, stimmten ihr da zu. So einen Wald wie diesen hatte sie noch nie gesehen, nicht einmal davon gelesen hatte sie. Sie wusste nicht, was das für Bäume waren, deren Blätter um sie herum über die Erde verteilt lagen, und auch nicht, was für Tiere hier lebten. Doch es kam ihr trotzdem eigenartig vor, dass sie nichts hörte, außer die eigenen Schritte und die Malans. Da waren keine Vögel und auch kein fremdes Rascheln oder andere Geräusche. Diese Stille machte ihr Angst und ließ sie noch mehr zittern, als sie es ohnehin schon tat. Egal wie sehr sie sich einredete, dass alles in Ordnung war. Ihr Körper – ihr Instinkt traute dieser Welt und der Umgebung nicht und sie fragte sich, ob die Heilerin, die vor ihr ging, dies nicht auch bemerkte, doch diese ging ruhig weiter, zielsicher in dieselbe Richtung, wie sie es schon die ganze Zeit tat. Kapitel 11: Unkontrollierbar ---------------------------- Kapitel 11: Unkontrollierbar Schließlich, während Yur und Malan noch immer durch den Wald liefen, fing es an zu regnen. Viele kleine Wassertropfen fielen durch die dürren, dunklen Äste über ihnen und durchnässten ihre Kleidung, so dass diese schließlich überhaupt keinen Schutz mehr vor der Kälte bot und Yur dieses Wetter verfluchte. Auch im Dschungel hatte es öfter geregnet, doch waren die Tropfen dort angenehm warm gewesen und hatten eher eine gewünschte Erfrischung gebracht, wenn sie wieder durch das Geäst kletterte und nach Früchten suchte. Seufzend verdrängte sie diesen Gedanken wieder, denn so unwohl sie sich dort in der letzten Zeit gefühlt hatte, war ihr erst jetzt klar geworden, dass das Kloster Verurs einfach nur ihr zu Hause gewesen war. Vielleicht hätte sie es auch so irgendwann verlassen, doch die Art, wie es am Ende geschehen war, war mehr als undankbar und grausam gewesen. Noch einmal seufzte sie um ihrem Unmut Luft zu verschaffen und weitergehen zu können. „Ist es noch weit?“, fragte sie leise an Malan gewandt, die noch immer ein Stück vor ihr lief und nun auf einmal stehen blieb. „Was ist?“ Verwirrt tat es das Mädchen ihr gleich und sah sich angespannt um. Noch immer war der Wald vollkommen still, so als gäbe es hier kein Leben mehr. Allein der Gedanke daran, war gruselig. Ein vollkommen toter Wald, während die Pflanzen doch normal immer von soviel Leben umgeben waren. Die schuppige Stirn der Heilerin legte sich in Falten, doch dann schüttelte sie den Kopf. „Es ist nichts.“ Damit setzte sie sich wieder in Bewegung. Auch wenn ihre Worte eigentlich beruhigend sein sollte, fühlte sich Yur in ihrer Unsicherheit durch ihr verhalten bestätigt, weshalb sie noch vorsichtiger voran schritt, als sie es vorher schon getan hatte. „Hier ist irgendwas, nicht war?“, fragte sie. „Ich weiß es nicht“, antwortete Malan. „Doch, hier ist etwas“, meinte das Mädchen. „Hier ist es so ruhig. So ungewöhnlich ruhig für einen Wald. Ich fühle mich hier nicht wohl.“ „Du bist das Klima nicht gewohnt“, erwiderte die Heilerin und zuckte leicht mit den Schultern, über denen der schwere, tropfende Mantel aus Filz hing. Die Jüngere senkte den Blick. „Aber die Stille...“ „Ich weiß“, murmelte Malan. „Wir sind gleich da...“ Doch auch, wenn sie so tat, als wäre alles in Ordnung, merkte Yur, wie sich die Wandlerin merkwürdig angespannt vorwärts bewegte. Also spürte auch sie etwas, das nicht normal war und nicht so sein sollte. Das Mädchen konzentrierte sich, ehe sie auf einmal zusammenzuckte. Hier lag etwas in der Luft, dass nicht mit dem ströhmenden Regen oder der Kälte zu tun hatte. Es war ein Gefühl, eine Vorahnung, wenn man so wollte, dass hier irgendetwas nicht stimmte. Sie konnte es nicht erklären, denn immerhin wusste sie auch nicht, wie es sich normal anfühlte in diesem Wald. Doch das Gefühl sagte ihr, dass sie vorsichtig sein sollte. Kurz darauf lichteten sich die Bäume um sie herum und gaben die Sicht auf eine Gruppe kleiner Häuser frei. Es waren kleine, Eckige Häuser mit spitz zulaufenden Dächern, doch ein Haus, das größte von ihnen, hatte ein rundliches Dach. Und alles schien tot. Hier waren keine Leute zu sehen und auch wenn Yur das Dorf - jedenfalls nahm sie an, dass dies ein Dorf war - unbekannt war, wusste sie, dass es so nicht sein sollte und erneut war es die Körperhaltung Malans die sie darin bestätigte. Die ältere Kegarth stand angespannt vor ihr und sah sich um. „Was...“, murmelte sie, doch dann ging sie auf das große Gebäude mit dem runden, mit schwarzen Kacheln bedeckten Dach zu und wollte an die Tür Klopfen. Doch einen Moment später stand diese in Flammen und ließ die Frau zurückschrecken. Yur musste nicht überlegen. Sie wusste auch so, was dies zu bedeuten hatte, noch bevor sie den Mann mit dem roten Umhang aus der Tür treten sah. Also war es umsonst gewesen: Der Rat war auch schon hier und sie waren ihm nun mehr oder minder Schutzlos ausgeliefert. Was sollte sie tun? „Das ist die Wandlerin, die ihr gespürt habt, Abeth“, sagte nun ein Wassermagier - das verriet die Blaue Robe - der neben dem Flammenmagier zum Vorschein kam, zu diesem. Er nickte nur und musterte die beiden Kegarth. „Echsenfrauen, hmm?“, meinte er und ging ein Stück auf sie zu, als sich Yur nicht länger beherrschen konnte und zwei Steinarme, die jedoch aufgrund des Untergrunds nicht sonderlich stabil waren, nach den Armen des Magiers greifen ließen. Doch dieser sprang in die Höhe und flog das letzte Stück auf sie zu. „Erdmagier“, stellte er dann fest. Das Mädchen musterte ihn voller Unbehagen. Der Mann war schon älter und hatte einen vollen Bart, der wie auch sein Haupthaar von einigen grauen Strähnen durchzogen waren. Wie es aussah, war er ein Mensch, doch ganz sicher war sie sich nicht. Die Aura die ihn umgab war zu unheimlich für sie, auch wenn sie sich auch hier nicht sicher war, ob sie es sich vielleicht nur einbildete. Trotzdem wich sie einen Schritt zurück, als der Mann auf sie zu trat und nun Malan genauer musterte. „Kegarth“, murmelte er dann. „Zwei lebende Kegarth und ich frage mich wo sie herkommen.“ Damit griff er der Heilerin an die Gurgel, während in seiner anderen Hand ein Ball aus Flammen erschien und knapp vor dem Gesicht der Frau stehen blieb. „Malan!“, keuchte Yur auf und sah sich um, als sie bemerkte, das aus den Häusern weitere Ratsmagier kamen. Die Heilerin jedoch ließ sich nichts anmerken und sah den Mann nur fest mit ihren gelben Augen an. „Wo sind die Menschen aus diesem Dorf? Habt ihr sie getötet?“ Der ältere Mann ließ ein überlegendes Lächeln auf seinem Gesicht erscheinen als er den Flammenball noch näher kommen ließ, so dass Malan sicher schon die Hitze im Gesicht spüren konnte, so ungerührt sie auch schien. „Getötet?“, fragte er. „Teilweise.“ Das Lächeln wurde breiter. „Doch die meisten haben sich uns angeschlossen. Wir Menschen sind zum Glück nicht solche Dickschädel, wie Dämonen oder dreckige Echsen.“ Yur, die ihre Hände zu Fäusten geballt hatte, merkte wie die Wut in ihr aufkeimte, als sie diese Worte vernahm. Dreckige Echsen? Sie war keine Echse, auch wenn sie dieselbe Haut wie eine solche trug. Sie wusste den Namen ihrer Rasse und sie wollte sich nicht länger mit einem Tier vergleichen lassen! Aber wenn sie den Magier, der noch immer etwas in der Luft schwebte, da er scheinbar einen Angriff vorausahnte, nun angriff brachte sie damit Malan in Gefahr. „Willst du mich töten?“, fragte die Heilerin und ließ ebenfalls ein Grinsen auf ihrem Gesicht erscheinen. „Nur zu...“ „Nein!“ Die Flamme loderte auf. „Ich will nur wissen, wo ihr herkommt.“ „Und du glaubst wirklich, dass ich dir das sage?“ Die Gedanken im Kopf des Kegarthmädchens rasten. Sie waren von sicher zwanzig Magiern umgeben und sie wusste, dass sie angegriffen würde, wenn sie nur eine falsche Bewegung machte. Das verrieten ihr allein die Flammen und Eispfeile, die über den Händen der Männer und Frauen erschienen waren. Aber sollte sie einfach nur zusehen, wie der Mann Malan tötete? Nein, das konnte sie auch nicht. Sie war doch hier, um Medizin oder einen Heiler für Kyssan zu finden, der im Sterben lag. Und wenn der Mann erst einmal die Frau getötet hätte, würde ihr wahrscheinlich das gleiche blühen. Und sie durften nichts von Kyssan erfahren, diese Leute. Denn wenn sie es erfuhren, dann würden sie ihn holen und dann würden sie auch die Welt auslöschen. Doch konnten sie die Welt überhaupt finden, wenn ihnen ein Wandler nicht das Tor dorthin öffnete? Sie wusste ja nichts darüber, wie diese Fähigkeit der Wandler funktionierte. „Malan“, flüsterte sie deshalb schließlich nur wieder und sah verzweifelt zu den beiden hinüber, auch wenn sie ihr keine Beachtung schenkten. Was sollte sie denn tun? Was sollte sie nur tun? Sollte sie das wirklich alles einfach mit ansehen? Der Hauch des Todes lag noch immer über diesem Dorf, sie wusste, dass hier einige Menschen oder was auch immer für Wesen an diesem Ort gelebt hatte, gestorben waren, doch sie konnte nicht sagen wie viele. Ihre Augen ruhten auf der Flamme in der Hand des Mannes, die immer wieder zischte, wenn Regentropfen auf sie fielen. Aber da es magisches Feuer war, verlosch sie nicht. „Wie ich schon sagte, ihr Echsen seid dickköpfig“, murmelte der Mann und ließ die Heilerin auf einmal los. „Ich habe damit schon meine Erfahrungen gemacht.“ Bitterkeit lag bei diesen Worten in seiner Stimme und er sah die Frau wütend aus den Augenwinkeln an, ehe er aufeinmal dem Wassermagier, der zuvor bei ihm gestanden war, zunickte. Dann ging alles ganz schnell, zu schnell, als das Yur es verstand. Wasser sammelte sich um ihre Handgelenke herum und gefror im nächsten Moment zu Eis, so dass sie etwas in die Luft gehoben wurde und ihre Füße grade nicht mehr den Boden berührten. Also wussten diese Leute von der Schwäche der Erdmagier, zumindest was das Mädchen betraf. Was dachte sie da? Natürlich wussten sie das! Der Rat wusste sicher, ja, ganz sicher viel mehr als die meisten anderen. In Kore gab es laut den Büchern eine riesige Bibliothek und das Mädchen konnte sich vorstellen, wie viel Wissen dort gelagert war. Doch das half ihr nun auf nicht, denn sie sehr sie ihre Hände, die dank der Kälte des Eises langsam taub wurden, auch zu bewegen versuchte, war es scheinbar einfach nur Sinnlos. Das Eis ließ sie nicht los. Es war viel erbarmungsloser als die Erde. „Den meisten Leuten liegt nicht viel an ihrem eigenen Leben“, meinte der Feuermagier. „Vor allem nicht Rebellen...“ Mit diesen Worten ging er zu Yur hinüber und ließ den Flammenball nun vor ihrem Gesicht schweben. „Aber wenn es um das Leben anderer geht, werden sie meistens schwach.“ „Wir sind keine Rebellen“, erwiderte Malan, deren Körper sich nun auch anspannte. „Wenn ihr keine seid...“ Der Mann grinste noch immer auf eine Art, dass sich Yur für einen Moment nichts sehnlicher wünschte, als ihn im Boden versinken und ersticken zu lassen, auch wenn das momentan nicht in ihrer Macht lag. „Wenn ihr keine Rebellen seid“, wiederholte er. „Wieso kooperiert ihr dann nicht mit uns?“ Die Heilerin knirschte mit den Zähnen. „Ganz nach dem Motto, wer nicht für euch ist, ist gegen euch.“ An dem Mann vorbeisehend erkannte Yur, wie sich die Hände der Frau immer wieder zu Fäusten ballten und dann lockerten, während sie scheinbar durch ruhiges Atmen versuchte sich selbst zu beruhigen und den Mann dabei nicht aus den Augen ließ. „Wir sind hier um einen Heiler zu finden.“ „Erdmagier die einen Heiler suchen“, meinte der Mann. „Das ist interessant!“ Er lachte auf eine sehr dreckige Art und Weise, während die Flamme vor der Nase des Mädchens wieder aufloderte. „Wofür braucht ihr einen Heiler?“ „Das geht Euch nichts an!“, fauchte Malan. „Doch...“ „Wieso meint Ihr das?“ Dabei warf sie ihm die eigentlich ehrwürdige Anrede fast vor die Füße. Erneut lachte der Mann auf. „Weil ich ein Abeth bin und euch das Frage.“ „Ihr seid ein Tier“, murmelte die Frau. „Nein“, der Feuermagier grinste sie an. „Ihr seid die Tiere, Echsenfrauen.“ Schweigen machte sich zwischen den Beiden breit, während Yur noch immer versuchte sich von den eiskalten Fesseln zu befreien, jedoch noch immer keine Chance hatte. Das Feuer vor ihrem Gesicht machte ihr Angst, aber sie wusste, dass auch sie nichts sagen durfte. „Das Mädchen scheint stumm“, stellte der Magier in diesem Moment fest und ließ die Flamme noch höher lodern, so dass sich die Schuppen in ihrem Gesicht erhitzten und sie kurz aufkeuchen ließen. „Es kann scheinbar nicht schreien.“ „Lass das Kind in Ruhe“, fauchte Malan. „Ah“, meinte er daraufhin. „Also willst du vielleicht doch mit mir Reden, Weib?“ „Nein“, erwiderte sie. „Aber ich warne dich...“ Ihre Augen verengten sich zu scheinbar von innen heraus glühenden Schlitzen, auch wenn Yur wusste, dass dies wohl nur eine Einbildung war. „Lass sie in Ruhe...“ „Sonst was?“ Fast wie zum Spaß ließ er erneut die Flamme auflodern und wandte sich der Frau ganz zu, während Yur bemerkte, dass ein Dolch nun in seiner freien Hand lag. „Willst du mich töten, Echse?“ Die Flamme wanderte nun aus seiner Hand zurück zu dem Mädchen und blieb nun fast halb so groß wie dieses vor ihr schweben, ganz so als wollte sie Yur im nächsten Moment verschlingen. „Wenn du es so wünscht“, erwiderte Malan nun ganz auf die respektvolle Anrede verzichtend. Einen Moment später schossen aus dem Boden gleich eine ganze Reihe aus Lehm bestehender Arme hervor und wollten sich um den Mann wickeln, der aber erneut in die Luft empor schwebte und ihnen so auswich. Als einer der Arme nun nach oben und nach ihm griff, machte er eine Bewegung mit der Hand, ehe einen Moment später das Messer in Malans Schulter stecke. „Malan!“, schrie Yur auf, während sich die Heilerin den Dolch aus den Schuppen zog und dunkles Blut an diesem hinabtropfte, sich mit dem Regen vermischte und auf dem dreckigen Boden landete, um dort zu versickert. „Wolltest du mich etwa töten?“, fragte die Frau keuchend und wieder machte sich ein schmales Lächeln auf ihrem Gesicht breit. „Ja,“ antwortete der Mann nur ruhig. Dann verwandelte sich das Eis um Yurs Hände auf einmal wieder zu Wasser zurück, so plötzlich, dass sie nicht das Gleichgewicht halten konnte und stattdessen zu Boden fiel. Noch ehe sie die Situation begreifen konnte, schwebte das Wasser durch die Luft, teilte sich auf und verwandelte sich erneut in Eis. „Dumme Frau“, meinte der Feuermagier nur, während das Mädchen all dies ungläubig beobachten konnte. Einen Moment später durchbohrten die Eispfeile die Kegarthfrau und verwandelten sich wieder zu Wasser, dass ebenfalls im Boden versickerte. Verständnislos sah das Mädchen auf das Bild. Malan hatte nicht einmal aufgeschrien, als die Pfeile sie trafen, doch ihr Mund war noch aufgerissen, als ihre Beine einklappten und sie zu Boden ging. Aus einigen Löchern in der Kleidung, die sich in erster Linie über den Bauch und Brustbereich verteilten, strömte das dunkle Blut heraus und verteilte sich dann, als die Frau ganz auf dem Boden lag, im Dreck, vermischte sich mit dem Wasser der Pfütze unter ihr. Sie rührte sich nicht, doch Yurs Gehirn wollte das, was sie sah nicht akzeptieren. „Malan“, hauchte sie und streckte die Hand in die Richtung der Heilerin aus. „Malan...“ Weiterhin weigerte sich ihr Gehirn diese Bilder zu akzeptieren. Das konnte nicht sein... Und gleichzeitig spürte sie, wie sich dieser Ballen in ihrem Bauch vergrößerte und Härter wurde. Diesen Ballen hatte sie schon die ganze Zeit gespürt, seit sie in Verur den Tod ihres Meisters hatte mit ansehen müssen. Doch sie verstand nicht. „Malan“, murmelte sie erneut, als sich der Feuermagier zu ihr wandte. „Was hast du, Mädchen?“, fragte er. „Bist du nicht klüger als diese Frau und willst uns erzählen, wo ihr herkommt.“ Seine Worte waren für sie nicht verständlich. Warum sagte er sie? Wollte er sie töten? Nein! Nein! Nein! Malan konnte nicht tot sein - oder? Nein! Das konnte nicht sein. Nicht noch jemand, der sich um sie gekümmert hatte. Nicht noch jemand, der wegen ihr gestorben war. Nein! Sie konnte nicht tot sein. „Malan“, flüsterte sie erneut und robbte auf den Knien zu dem bewegungslosen Körper hinüber. Eigentlich wusste sie es schon, bevor sie die Leiche berührte. Der Tod, dieses furchtbare Gefühl des Todes, umgab diesen Körper. Doch wieso? Wieso war sie gestorben? Yur konnte diesen Gedanken einfach nicht verarbeiten. Starb denn jeder, der nett zu ihr war? Nein! Das war es nicht. Es hatte nichts mit ihr zu tun. Es war der Rat. Ja, der Rat der Weltenwandler hatte sie alle getötet. Meister Miras, Zik und die anderen Tades. Alle im Kloster, die sich ihnen nicht angeschlossen hatten, waren von den Magiern des Rates getötet worden. Sie waren alle tot. Und jetzt hatten diese Magier auch Malan, die einzige, die so war wie sie, die einzige andere Kegarth neben Yur, wie es dem Mädchen schien, getötet. Dieser Mann - sie hatten ihn Abeth genannt - war für ihren Tod verantwortlich. „Was hast du, kleines Mädchen?“, hörte sie seine Stimme hinter sich und sie spürte, wie er hinter sie trat. Sie merkte auch, dass er seine Hand nach ihr ausstrecken wollte, doch sie fuhr herum und schlug sie weg. Obwohl sie verzweifelt war, blieben ihre Augen trocken, auch wenn man die Tränen kaum gesehen hätte, so liefen doch die Regentropfen noch immer über ihre Schuppen hinab. „Ihr...“, fauchte sie. „Bist du wütend?“ Noch immer verhöhnte dieser Mörder sie, doch sie ballte nur die Hände zu Fäusten. Dieses Grinsen, was auf seinen Lippen lag. Sie wollte ihn schlagen. Nein, eigentlich wollte sie ihn nicht schlagen. Sie wollte töten! Ihre Gedanken wurden immer wirrer und rasten immer mehr. Von Klarheit fehlte in ihrem Geist jede Spur. Sie fühlte kaum noch ihren eigenen Körper, aber die Erde unter ihren Füßen. Sie spürte noch immer den Tod in der Luft, der auch die Tiere verschreckt hatte. Und sie spürte das Leben, dass noch immer in den Pflanzen um sie herum lag. Die Erde unter ihr pulsierte geradezu vor Leben, vor Energie, vor Macht. Und in dem Moment wusste sie, dass sie diese Macht benutzen konnte. Sie war eine Erdmagierin und daher war der Lehm und der Fels genau so mit ihr verbündet, wie Pflanzen und Wurzeln, die sich durch den Boden zogen. „Willst du vernünftig sein oder noch dieser Frau folgen?“, fragte der Mann und stand noch immer direkt vor ihr. Ja, er stand auf dem Boden und schwebte nicht mehr. „Ihr...“, knurrte sie nur wieder. „Ihr seid alles Mörder!“, schrie sie dann, als auf einmal doch Tränen aus ihren Augen brachen und ihren Blick noch verschwommener werden ließen, als er es ohnehin schon war. Aber daran störte sie sich nicht. Die Energie der Erde floss durch ihren Körper und sie wusste, was sie mit dieser Macht tun wollte. Sie wollte töten! Die Wut, die sich zuvor in ihr verdichtet hatte und zu diesem schweren Ballen geworden war, löste sich auf einmal aus ihr, floss in die Erde und ließ weitere Arme hervor sprießen, ließ die Wurzeln der Bäume wachsen und den Boden unter den Magiern aufbrechen. Davon sah Yur nichts, denn mittlerweile hatte sie die Augen geschlossen, aber sie spürte es. Ihre Macht, das alles war ihre Macht. Ganz genau spürte sie, wie die Erde den Flammenmagier vor ihr und dann auch seine Anhänger nach und nach verschlang. Sie spürte auch, wie sie erdrückt wurden, ihre Knochen unter der Last der Erde brachen und sie erstickten. Unter ihnen waren keine anderen Erdmagier und daher waren sie so hilflos. Die Häuser um sie herum brachen ein, denn der Boden unter ihnen spaltete sich. Der Tod... Er umgab sie nun völlig, doch das war nicht genug. Sie wollte das sie alle starben! Alle! Sie waren alle Mörder! So verloren die Gedanken in ihrem Kopf den letzten Halt, denn sie wusste, dass es noch nicht alle waren, die der Erde zum Opfer gefallen waren. Doch wo waren die anderen? Sich wild umblickend musste sie die Augen öffnen, als sie die verbliebenen sechs hoch über sich in der Luft schweben sah. Weit genug von den Ranken und den Erdhänden weg. Die Farbe der Roben konnte sie nicht mehr erkennen, denn alles war zu einem einfarbigen rotdunklem Gemisch geworden. Alles verschwamm vor ihren Augen, doch sie wusste, was sie tun musste. Diese Leute über ihr mussten sterben. Egal wie! Aber um dieses Dorf herum standen noch weitere Pflanzen. Bäume, die eigentlich schliefen, sich nun jedoch wieder reckten und versuchten mit ihren Zweigen nach den Magiern zu greifen, die jedoch erstaunlich schnell auswichen. Konnte es sein, dass es Luftmagier waren? Egal! Sie mussten sterben! Noch immer war so viel Wut in ihr. So viel Macht und sie floss in alle Richtungen in den Boden. Das war weitaus mehr als ein einzelnes, sterbliches Wesen je hätte kontrollieren können. Aber all das war ihr egal. Und wenn sie starb, war es ihr im Moment egal, solange sie diese Magier mit sich in den Tod riss. Wütend ließ sie die Bäume immer höher wuchern. Sie konnten ihr nicht entkommen, egal was sie taten! Nein, sie durften ihr nicht entkommen! Wieso lebten sie noch immer? Was taten sie überhaupt? Wollten sie sich nicht wehren. „Kommt her und wehrt euch! Versucht doch mich zu töten!“, kreischte sie zu ihnen empor, doch dann sah sie, wie etwas auf sie zukam. Es dauerte, bis ihr klar wurde, dass dies eine hinabstürzende Blase aus Wasser war - zu lange. Einen Moment später umgab das Wasser sie, auch wenn es sie nicht von den Beinen riss. Sie wollte zur Seite springen, doch dann wurde auf einmal alles um sie herum kalt. Eis ersetzte das Feuer der Wut, dass einen Moment vorher noch in ihr gelodert hatte, und löschte gleichzeitig alles aus. Von einem Augenblick auf den anderen wurde ihr klar, dass sie sich nicht mehr bewegen konnte und dann schwanden ihr auch die letzten Sinne. Kapitel 12: Gefangenschaft -------------------------- Die Kälte hielt Yurs Körper noch immer gefangen, als sie aufwachte und sie verstand im ersten Moment nichts. Sie konnte sich nicht bewegen, nicht einmal die Augen konnte sie öffnen. Aber wieso? Ihr ganzer Geist war von einem Gefühl erfüllt: Schmerz. Unendlicher Schmerz ihres Körpers und ihrer Seele, aber im Moment konnte sie nicht einmal sagen, wo dieser Schmerz herkam. Sie wusste nur, dass er sie verzerrte und dass sie kämpfen musste, um nicht erneut das Bewusstsein zu verlieren. Sie hatte keine Kraft, doch das war nicht der Grund, warum sie sich nicht Bewegen konnte. Stattdessen sorgte diese Schlaffheit dafür, dass ihre Gedanken sich in ewigen, langsamen Bahnen voran bewegten ohne auf einen klaren Punkt zu kommen. Es fühlte sich an, als würde sie durch Wasser treiben ohne dabei schwimmen zu können und voran zu kommen. Ihr war klar, dass es etwas gab, etwas wichtiges, doch irgendwie blieb es ihr verborgen. Wo war sie denn nun? Und wie kam sie her? War sie in Verur? Nein, das Kloster war zerstört, fiel ihr ein. Die Pyramide stand vielleicht noch, doch dort drin würde es wohl kein Leben mehr geben, wenn nicht der Rat sich dort einfach niedergelassen hatte. Der Rat… Sie hatten Kyssan gesucht… Kyssan! Da fiel es ihr wieder ein. Ja, der Sanbok war ohnmächtig gewesen, er hatte Fieber… Nein! Im Gegenteil, seine Körpertemperatur war rapide abgesunken und er lag im Sterben. Deswegen war sie mit Malan von Nazsukam aus in die Welt Tiath gereist und der Rat war bereits dort eingefallen und es war alles zerstört. Sie hatten Malan getötet. Die Heilerin war tot. Und Yur hatte sie töten wollen… Und dann? Was war dann passiert? Sie wusste es nicht mehr und die Müdigkeit schaffte es zusammen mit den Schmerzen ihren Geist zu überwältigen und in die Ohnmacht zurück zu ziehen. Für einen kurzen Moment versuchte sie noch dagegen anzukämpfen, doch dann wurde alles wieder schwarz. Als sie das nächste Mal wieder zu sich kam, waren sie Schmerzen noch da, doch zumindest war sie nun fähig ihre Augen zu öffnen und sich umzuschauen, auch wenn ihre Sicht noch sehr verschwommen war. Sie war an einem Mast in einem kleinen, feuchten Raum festgebunden, was sie vermuten ließ, dass sie noch immer in dem kleinen Dorf in Tiath war. Die Fesseln saßen fest, so dass ihr keine Möglichkeit zur Bewegung blieb, so sehr sie sich auch bemühte. Außerdem spürte sie ihre Beine kaum noch, denn unter ihr war ein Eisklotz der verhinderte, dass sie den Boden direkt berührte. Die Magier hatten an einiges gedacht, aber im Moment war niemand von ihnen hier zu sehen. Der Raum war lehr, auch wenn die Risse an den Wänden klar machten, dass sie tatsächlich in einem der Gebäude war, die sie fast komplett zerstört hatte. Ja, sie hatte getötet. Zumindest glaubte sie das, denn es war mehr als ein frischer Tod der hier in der Luft lag. Sie selbst war vom Tod umgeben und das konnte nur heißen, dass sie es getan hatte. Aber wann? Sie konnte sich an nicht viel erinnern. Das einzige was sie noch wusste war, wie Malan gestorben war und ihre Leiche vor ihr auf dem Boden gelegen hatte mit all dem dunklen Blut umgeben. Und sie erinnerte sich noch an die Wut, die im nächsten Moment von ihr Besitz ergriff, und an den Hass, der sich gegen diese elenden Magier des Rates wendete. Diese hatten es ganz offensichtlich trotzdem geschafft sie zu überwältigen und deshalb saß sie nun hier halb erfroren und ohne den Mantel, mit dem sie hergekommen war, in einem kleinen Zimmer und wartete darauf... Worauf? Sie wusste es nicht, doch sie ahnte, dass man sie töten würde. Immerhin hatte sie sich dem Rat widersetzt und in den letzten zehn Tagen hatte sie gelernt, was dies für Folgen hatte. Aber wieso lebte sie jetzt überhaupt noch? Sie hätten sie doch am besten dann getötet, als sie selbst am Morden gewesen war. Nein, wahrscheinlich wollten sie Informationen über Nazsukam von ihr haben. Sicherlich ahnten diese Mörder, dass sie etwas wusste, was sie gerne wissen würden und sie wollten sie zwingen es ihnen zu erzählen, so wie sie hatten Malan dazu zwingen wollen. Und wenn sie nichts sagte? Sie wusste ja eigentlich selbst kaum etwas über diese unterirdische Stadt, was vielleicht auch besser war. „Malan“, flüsterte sie, als würde der Name allein reichen sie zurück zu bringen. Hätte der Name nur gereicht, würde auch ihr Meister noch oder wieder leben. Dann wären so viele nicht tot. Wieso hatte sie als einzige bisher diese Treffen überlebt? Nun, wenn sie hier sterben sollte, würde sie ihnen folgen, wohin man auch immer kam wenn man starb. Sie würde es sicher bald erfahren. Schnell versuchte sie die Gedanken an die Verstorbenen zu verdrängen um wieder einen klaren Kopf zu bekommen, was jedoch alleine der Schmerzen wegen kaum möglich war. Sie fühlte sich nicht einmal, als ob sie in der Lage wäre, noch einmal laufen zu können. Ihre Beine waren völlig taub. Der Verzweifelung wegen füllten sich ihre Augen erneut mit Tränen, auch wenn sie hart dagegen ankämpfte. Da öffnete sich die verbogene und nur noch halb in den Angeln hängende Tür und ein Wassermagier trat herein. Yur glaubte in ihm den zu erkennen der sie gefesselt und dann auch Malan getötet hatte, doch sie war zu schwach um ihn auch nur wütend anzusehen. Deswegen schluckte sie nur und starrte krampfhaft auf den Boden. „Sieh mal einer an, das Echsenkind ist wach“, meinte der Mann, aber sie antwortete nichts. Stattdessen versuchte sie seinem Blick soweit wie möglich auszuweichen, hatte jedoch keinen erfolgt, als er sich vor sie setzte und ihren Kopf in seine Richtung drehte, indem er sie am Kinn packte und im nächsten Moment zähnezeigend anblickte. Yur erkannte, dass er ein Dämon war, denn seine Augen hatten eine leichte rötliche Färbung, die Zähne waren scharf und die Augen etwas spitzer als die von Menschen. „Dachtest du wirklich, du könntest uns alle töten, du dummes Kind?“, fragte er mit nicht einmal einem Hauch geheuchelten Wohlwollens. „Mörder...“, keuchte sie nur und spürte im nächsten Moment einen furchtbaren Schmerz an ihren Händen, die weiterhin hinter ihrem Rücken zusammengebunden waren. Doch sie ließ ihm auch in ihrem Zustand nicht die Freude, ihre Schmerzen zu zeigen und versuchte ihre Miene unter Kontrolle zu behalten. Was war das da hinter ihrem Rücken? „Ihr Kegarth seit empfindlich gegen Kälte“, meinte er nur. „Wie alle Reptilien.“ „Ich bin kein Reptil“, fauchte sie. „Doch, das bist du“, erwiderte er ruhig und stand wieder auf, um ihr einen überlegenen Blick zu schenken. Sie schwieg und blickte nun, wo er sie nicht mehr festhielt, wieder fest auf den Boden. Sollte er sie doch töten... Sie würde es ohnehin nicht mehr schaffen Kyssan zu helfen. Er ließ sie ein Lachen vernehmen. „Du bist ein ganz schöner Trotzkopf, wie die Alte, die dich begleitet hat.“ Zähneknirschend musste sie sich davon abhalten etwas zu erwidern. Sie würde ohnehin bald wieder ohnmächtig werden, versuchte sie sich einzureden. Dann konnte er auch nichts mehr von ihr erfahren. „Willst du mir nicht erzählen, wo ihr herkommt und warum ihr einen Heiler gesucht habt?“, fragte er. Weiterhin schwieg sie. „Antworte!“, schrie der Dämon sie daraufhin an und erneut durchfuhr ein Schmerz ihren Körper. Ihr wurde klar, dass es kleine Eissplitter sein mussten, die er kontrollierte und die sich in ihren Arm und ihre Finger bohrten. Jedenfalls fühlte es sich an, als würden tausende kleiner Nadeln durch ihre Schuppen stechen. „Nein“, keuchte sie leise und weiterhin mit dem Blick zum Boden gerichtet. „Sturrkopf!“ Der Schmerz wurde schlimmer und entlockte ihr einen leisen Aufschrei, so sehr sie sich auch dagegen sträubte. Sie wollte ihm diesen Erfolg nicht gönnen, hatte jedoch kaum eine Wahl. Und wieder lachte er leise. „Also spürst du doch Schmerzen.“ Sie biss die Zähne aufeinander. „Willst du mir immer noch nichts sagen?“, fragte er dann höhnisch. „Nein“, erwiderte sie leise. „Fürchtest du den Tod nicht?“, erkundigte er sich. „Ihr werdet mich ohnehin töten“, murmelte sie. „Kluges Kind...“ Seine Stimme war voller Verachtung. Noch immer versuchte sie ihre Arme, die mittlerweile sich ähnlich taub anfühlten, wie ihre Beine, zu bewegen. „Ich habe gesehen was ihr tut für euren Rat... Ich mache mir keine falschen Hoffnungen. Wenn ich rede tötet ihr mich danach und wenn ich es nicht tue tötet ihr mich auch.“ „Aber vielleicht wäre auf die andere Art und Weise die Art des Todes angenehmer“, gab er zu bedenken, doch sie schüttelte nur den Kopf. „Euch macht es Spaß zu quälen“, murmelte sie. „Ganz wie du meinst“, erwiderte er. Die Schmerzen wurden schlimmer. Ein merkwürdiges Gefühl, wenn durch eine benebelnde Taubheit der Stechende Schmerz drang, denn die Kälte hatte sie wohl noch nicht genug betäubt, um sie davor zu schützen. Aber dieses Mal gelang es ihr wieder einen Aufschrei zu unterdrücken. „Wenn du nicht mit mir redest“, meinte er. „Vielleicht kann der Abeth dir etwas entlocken...“ Damit wandte er ihr den Rücken zu und ging aus dem Raum heraus, ließ jedoch die Tür offen, so dass der Wind kalt hinein wehte. Die Schmerzen blieben wie sie waren. Er hatte das Eis nicht wieder zur Wasser zurückverwandelt, um sie zu quälen, das war ihr durchaus bewusst. Abeth? Hieß das, dieser ekelhafte Feuermagier war noch am Leben? Aber er sprach von einem Abeth, also war es wohl eher so etwas wie ein Titel. Vielleicht war ein anderer Abeth gemeint. Sie wusste es nicht. Und es war ihr auch eigentlich egal. Einer würde sie töten und dann wäre alles vorbei. Innerlich malte sie sich schon aus, wie sich der Tod wohl anfühlte? Tat es weh zu sterben? Auch darauf wusste sie keine Antwort. Das einzige was sie wusste, war dass sie sterben würde und Kyssan auch. Und sie war sich nicht sicher wer von ihnen beiden den schmerzvolleren Tod erleiden würde. Irgendwie war sie wohl am Ende doch wieder in einen Schlafähnlichen Zustand gesunken, auch wenn die Schmerzen Erholung verhinderten. Trotzdem fühlte sie sich irgendwie besser als sie aufwachte, wenngleich das ungute Gefühl der Angst noch immer über ihr lag. Nein, ihr ging es besser, weil nun alles Taub war. Ihr ganzer Körper fühlte sich taub an und daher waren auch die Schmerzen langsam verschwunden. Wachgeworden war sie, weil jemand herein gekommen war und ihre Fesseln aufschnitt, ehe er sie hochzog. „Komm mit“, sagte er - nein, es war eine sie, eine andere Wassermagierin erkannte das Mädchen - harsch und zog das Mädchen hoch. Yur fragte nicht, wohin man sie brachte, sondern folgte einfach nur, sofern man das Voranstolpern, das ihre Beine zuließen, als „Folgen“ bezeichnete. Am Ende fiel sie und wurde durch den Schlamm vor der Ruine einfach weiter gezerrt. „Na, Echsenkind?“, fragte der Mann der sie vor ihrer Ohnmacht gefoltert hatte, höhnisch und grinste sie erneut dämonisch an. „Mörder“, flüsterte sie nur schwach. „Wollt ihr sie wirklich mitnehmen?“, fragte die Frau, die sie hierher gebracht hatte. „Wir könnten sie auch gleich töten.“ „Nein“, antwortete der Mann, der auf einem Tier saß, dessen Illustration Yur schon einmal in einem Buch gesehen hatte: Ein Pferd. Diese Erkenntnis brachte ihr jedoch auch nicht fiel, denn die Frau zog sie unsanft zu einem hölzernen Karren hinüber, auf dem drei andere Leute saßen, allesamt Menschen und Bauern, wahrscheinlich solche, die sich den Magiern wiedersetzt hatten aber auch zum Verhör mitgenommen wurden. Wieso reisten sie eigentlich auf diese Art und Weise: Fragte sich der schwache Geist des Mädchens. War es nicht einfach ein Portal in eine andere Welt zu öffnen und dann von dort aus ein Portal dorthin, wo man hinwollte? Nun, an sich konnte es ihr auch das egal sein, dachte sie sich, als man sie an die Streben des Rahmens fesselte, die den Wagen umzäunten. Trotzdem wunderte sie dieses Verhalten. Das sie nicht flogen, war ihr durchaus verständlich, immerhin war das mit vier Gefangenen wahrscheinlich nicht so leicht. Aber wieso sie nicht durch ein Portal gingen... Ach, wieso dachte sie überhaupt darüber nach? Der Wassermagier gab den anderen, die Yur als die weitere Wassermagierin, die sie hergebracht hatte, drei Feuermagier und einen Luftmagier anhand der Roben zu erkennen glaubte, Befehle, woraufhin sich die kleine Gruppe - die Magier ritten allesamt auf Pferden - in Bewegung setzte. Wo brachte man sie hin? Warum brachte man sie dorthin? Ja, sicher wollte man sie zu diesem anderen Abeth bringen, von dem der Dämon gesprochen hatte. Und der würde sie dann verhören und töten, vermutete sie weiter. Denn eine andere Hoffnung als den Tod kannte sie nicht mehr. Sie sah zum Himmel, der noch immer mit Wolken verhangen war. Zumindest hatte es aufgehört zu regnen. Kapitel 13: Hinrichtung ----------------------- Die Reise war ziemlich beschwerlich, zumindest für Yur, deren ohnehin schon von der Folter verwundeten Arme sich an dem Holz des Wagens aufscheuerten, so dass ihr sogar einige der eigenen Schuppen schmerzhaft ins Fleisch stachen. An sich waren sie wohl kaum mehr als einen Tag unterwegs, denn es wurde dunkel und während der Nacht kamen sie in einer Stadt an. Das Wetter änderte sich nicht, es blieb feucht, regnete aber nicht, doch der graue Himmel sorgte dafür, dass es nicht einmal eine Spur von Hoffnung zu fassen gab. Stattdessen wurde das Huckeln des Karrens zu einem melancholischen Trott, den das Mädchen ertrug, während es immer weiter in die sich bewegenden Wolken über ihnen starrte, so als würde von dort eine Rettung hinab zu ihnen kommen. Natürlich geschah dies nicht, doch es ließ sie auf eine seltsame Art und weise ruhig werden, betäubte sie beinahe. Die anderen drei Gefangenen, die ebenfalls gefesselt waren, redeten nicht, schienen aber nicht so schlimm zugerichtet worden zu sein wie sie. Ein Glück für sie, wie das Mädchen dachte, doch auf der anderen Seite hatte es sie auch nicht zu interessieren. Diese drei Menschen - ja, es waren Menschen - mittleren Alters und auf ihren Gesichtern zeichnete sich dieselbe Hoffnungslosigkeit ab, wie das Mädchen in ihrem Inneren spürte. Als sie schließlich in der Stadt, die von einer soliden Dicken Mauer umgeben war, erreichten, fühlte sie sich beinahe erleichtert, dass es vorbei war. Man redete nicht viel mit ihnen und ließ sie im Dunkeln auf dem Karren allein, während die Magier in eines der steinernen Gebäude verschwanden. Auch diese Bauart war Yur unbekannt doch dieses Mal war sie zu erschöpft um sich darüber zu wundern. Die Gebäude waren ähnlich, wie in dem Dorf, aber doch etwas anders. Sie waren aus vielen Steinen gebaut und aus Lehm oder etwas ähnlichem, der diese zusammenhielt. Der Boden war ebenfalls mit Steinen gepflastert. Eine merkwürdige Welt, dachte sie sich und seufzte leise. Wenn sie doch endlich wieder schlafen könnte. Im Schlaf musste sie zumindest nicht diese Bilder, die sich während sie wach waren immer wieder vor ihr geistiges Auge drängten erleiden. Nein, wenn sie so erschöpft war, war der Schlaf ein großes, dickes, schwarzes Tuch, das sich über sie senkte und ihr inneren Frieden brachte. Aber so konnte sie nicht schlafen und wartete daher darauf, dass diese Magier zurückkamen. Statt dieser waren es jedoch einfache Bauern diese Welt - ebenfalls alles Menschen - die zu dem Wagen kamen, sie losbanden und wortlos an einem Arm packten und zu einem anderen Haus schleiften. Nein, sie gingen an dem Haus vorbei und brachten die vier fast Bewegungslosen Gefangenen auf einen großen Platz in deren Mitte ein großer Käfig, denn anders konnte man das Ding aus Metallstreben nicht bezeichnen, stand. Selbst der Boden war aus einem Metall gemacht und etwas über die Erde erhöht. Nur ein Feuermagier hätte sich wohl daraus befreien können. Man schloss auf, woraufhin einige Gesichter aus dem Inneren hinaussahen. Da waren also auch noch andere Gefangene. Sicher hatten sie diese Welt ganz unterworfen die Wandler des Rates. Doch als man sie und die anderen drei in den Käfig stieß, begannen die anderen etwas zu murmeln, scheinbar in der Sprache dieser Welt. Das Gemurmel verstummte jedoch bald und unsicher zog sich Yur in eine Ecke des Gefängnisses zurück, wo sie sich zusammenkauerte und an die Gitterstäbe lehnte. Während sie auf der Fahrt die Verzweifelung irgendwie hatte unterdrücken können, trat diese nun ganz aus ihr hervor. Ehe sie sich beherrschen konnte, traten nun wieder Tränen in ihre Augen und flossen über ihre Schuppen, ehe sie zu Boden tropften. Es war hier so kalt und sie war allein und würde wohl nie wieder jemanden sehen, den sie kannte, ehe sie starb. Sie wusste ja nicht einmal, ob man sie nun noch einmal zu verhören versuchte, oder gleich umbringen würde. Das einzige, was ihr langsam klar geworden war, war, dass es kein Entkommen mehr gab. Den Boden konnte sie vom Käfig aus nicht berühren und sie war auch zu schwach, um wirklich Magie anzuwenden, die stark genug war, als dass sie dieses Gitter zerstören konnte. Sie wusste ja nicht einmal was für ein Metall es war. Und Kyssan? Was würde aus ihm werden. Würde er jetzt wirklich sterben? Waren all die Opfer in Verur nun vollkommen vergebens gewesen? Sie schluchzte leise. Im Moment fühlte sie sich völlig allein auf der Welt. Sie konnte nur hoffen, dass man die Stadt Nazsukam niemals finden würde, denn sie wollte nicht, dass auch noch Unin und die anderen Leute dort getötet wurden. Denn als Flüchtlinge würde man mit ihnen sicher nicht anders verfahren. „Warum?“, flüsterte sie in der Sprache Verurs, da sie zu mehr nicht mehr fähig war und hauchte einen weiteren weißen Schwaden in die Nacht. Es dämmerte als sie unsanft geweckt wurde, indem dieselbe Magierin wie am Morgen zuvor, sie hochzog und ohne viele Worte zu verlieren, aus dem Käfig zerrte. „Was“, begann Yur verwirrt und noch immer schlaftrunken und müde. „Komm mit“, fauchte die Magierin nur und zerrte sie an einer Hand weiter, denselben Weg aus dem sie in der Nacht zuvor gekommen waren, und zu dem Haus, in dem die Magier in der letzten Nacht verschwunden waren. Dort klopfte sie und schupste das Mädchen, als geöffnet wurde, unsanft hinein. „Wohin…“, versuchte Yur erneut zu beginnen, aber die Frau verstärkte ihren Griff, um ihr Handgelenk. Also gab die Kegarth auf und ließ sich durch einen mit Teppich belegten Flur ziehen, bevor man sie schließlich in ein Zimmer warf, dessen Boden, wie eigentlich auch die Wände, sehr kahl erschien. Dort saß ein Mann, jedenfalls glaubte sie, dass es ein Mann war, auf einem Stuhl und sah ihr mit verschränkten Armen entgegen. Er trug ein normales Leinenhemd und eine Lederhose, nicht die übliche Kleidung der Ratsmagier und gehörte erneut keiner Yur bekannten Rasse an, denn sie hatte noch nie ein an sich vollkommen humanoides Wesen mit gefederten grauen Flügeln gesehen. Nun, an sich war er nicht ganz humanoid, denn sein Gesicht wirkte merkwürdig glatt und perfekt geformt und auch seine Bewegungen als er aufstand waren auf eine seltsame Art wie geschliffen und rund. Ja, er wirkte wirklich perfekt. Nur die Füße, die unter der Hose hervorsahen waren es nicht, denn es waren mehr Klauen, ähnlich den Füßen eines Vogels. "Du bist also das Echsenkind, das nicht reden will." So perfekt er auch wirkte, seine Stimme war scharf und ließ sie allein bei dem Klang zusammenzucken. "Ich habe nichts zu erzählen", antwortete sie und duckte sich dabei automatisch. "Wirklich nicht?", fragte der Mann. "Nicht, warum ihr, zwei Erdmagier, einen Heiler in dieser Welt gesucht habt, wo Kegarth ohnehin kaum leben können?" Sie zitterte, obwohl er ihr nicht einmal etwas getan hatte. Wie machte er das? Es war als würde er mit seiner Stimme in ihren Geist schneiden, denn anders konnte sie sich dieses furchtbare, eisige Gefühl, was sie überkam, sobald er etwas sagte, nicht erklären. Trotzdem schaffte sie es den Kopf zu schütteln. "Nein, nicht jeder Erdmagier beherrscht Heilmagie", flüsterte sie. "Das solltet ihr wissen..." "Und was für einen Heiler habt ihr ausgerechnet hier gesucht?", fragte er. "Niemanden", log sie. "Niemand bestimmtes... Einen Heiler..." Dabei waren die Worte nicht einmal richtige Lügen, da sie den Mann, den sie aufsuchen wollten, ja nicht einmal kannte. "Lüg' nicht", erwiderte das Wesen herrisch und ein Schimmer in seinem Gesicht, ließ sie sich erneut Fragen, was er war. Ohne dagegen ankämpfen zu können gaben ihre Beine nach und sie kroch in eine Ecke des Raumes. Wie machte er das? Konnte er vielleicht auch ihre Gedanken lesen? Sie hatte keine Ahnung, aber aus einem Reflex heraus versuchte sie ihren Kopf vor seiner Stimme zu schützen. "Woher seid ihr gekommen?", fragte er - war es wirklich ein Mann? Die langen Haare ließen das Wesen auch etwas wie eine Frau wirken. Irgendwie wollte sie ihm sogar von Naszukam erzählen. Nein, sie wollte es nicht erzählen, aber sie wollte, dass dieses Gefühl in ihrem Kopf verschwand, was wohl von ihm und seiner gewaltigen Stimme ausgelöst wurde. Trotzdem wusste sie, dass sie nichts sagen durfte. Sie durfte niemanden von den Flüchtlingen erzählen, oder sie verdammte sie alle zum sterben. Auch wenn er ihr irgendwas versprechen würde, würde er sie dann doch töten und dann auch die anderen. Wobei Kyssan ohnehin zum Tode verdammt war. "Hört auf", flüsterte sie. "Bitte hört auf..." "Womit denn?", fragte er und ein merkwürdiger Ausdruck breitete sich auf seinem Gesicht aus. War das ein Grinsen? Sie konnte kaum noch klar sehen, wurde ihr klar. War es wegen seiner Stimme in ihrem Geist oder wegen ihrer Schwäche? "Ich sage euch nichts", flüsterte sie. "Ihr... Ihr habt sie getötet..." "Nein, ich hatte damit nichts zu tun", erwiderte er. "Doch... Denn ihr seid alle vom Rat... Seid alle gleich...", hauchte sie und kauerte sich noch mehr zusammen. "Hasst du uns so sehr?", fragte das Wesen. "Ja", murmelte sie. Sie hatte Angst, dass sie, wenn sie noch länger hier blieb, wirklich etwas erzählen würde. Warum hatte er so eine Macht? Wie schaffte er das ihren Geist zu kontrollieren? Nein, eigentlich war die Frage, was sie machen könnte, um das zu verhindern? Im Moment sehnte sie sich danach, das die Ohnmacht wiederkam und sie somit vor diesem fremden Wesen schützte. Denn solange sie ohne Bewusstsein war, würde seine Stimme ihr nichts mehr anhaben können. Da klopfte es an der Tür. Für einen Augenblick zuckte das Wesen zusammen, doch dann ging es auf seinen Klauenfüßen zur hölzernen Tür und öffnete. "Abeth", erklang eine Stimme, die das Mädchen kannte. Als sie zwischen ihren Händen hinaufblinzelte sah sie den Dämon, der sie in dem kleinen Dorf gefoltert hatte. Die beiden begannen zu Reden, allerdings nicht in der Sprache der Wandler, so dass Yur sie nicht verstehen konnte. Doch sie ahnte, worum es ging. Irgendwie war diesen Wesen klar, dass sie wohl aus einer Flüchtlingsstadt kamen, wahrscheinlich weil sie Kegarth waren. Und sie wollten wissen, wo diese Stadt war. Sonst wäre sie selbst ja auch schon lange tot. Schließlich wandte sich das geflügelte Wesen wieder zu ihr und zerrte sie an einem Arm hoch, so dass sie es ansehen musste. Es sah sie mit seinen blauen - wirklich komplett blauen Augen, denn sie sah kein weiß - an und grinste dann wieder, ehe es sie zu dem Dämon hinüberschubste. "Warten wir ab, ob jemand kommt um die kleine zu retten", meinte es. "Echsen sind stur", erwiderte der Dämon nur und zog sie mit sich aus dem Raum heraus. Sie wehrte sich nicht mehr, da sie ohnehin wusste das es sinnlos gewesen wäre, dies zu tun. Was hatte sie wohl schon für eine Wahl. Sie würde hier warten, bis wann? "Du wirst schon sehen, Echsenkind", meinte der Dämon, als wollte er ihre Frage beantworten. "Wir werden sehen ob noch jemand kommt, um dich zu retten. Sterben wirst du so oder so." Damit grinste er sie auf dieselbe hämische Art und Weise an, wie er es getan hatte, als er sie folterte. Sie erwiderte wie schon die ganze Zeit, nichts sondern lenkte ihren Blick gen Boden um nicht in diese schadenfrohen Augen sehen zu müssen. Es war pervers sich über den Tod eines anderen zu freuen, dachte sie. Dabei war es ziemlich egal, ob man diesen jemanden hasste oder nicht. Und dieser Dämon freute sich anscheinend darüber, dass sie starb ohne sie zu können. Das hier waren wirklich alles Mörder. Der ganze Rat und seine Truppen bestand aus Mördern. Allerdings machte ihr der Gedanke an das, was diese Leute augenscheinlich planten Angst. Sie rechteten damit, dass sie jemand vermisste und ihnen folgte und sie selbst wusste nicht, ob das passieren würde oder überhaupt möglich war. Denn zumidnest war Unin kein Wandler und dazu nicht fähig, aber was war mit den anderen? Musste man diese Welt kenne, damit man ein Tor hierher öffnen konnte? Das alles wusste sie nicht, aber sie hoffte, dass es unmöglich war und niemand kommen würde. Denn sie war sich nicht sicher, ob diese Leute, die Flüchtlinge, es mit den hier stationierten Magiern aufnehmen konnten. Daran dachte sie auch, als der Dämon sie wieder zurück in den Käfig schubste, und sich darüber scheinbar sehr amüsierte. Er wusste, dass diese Kälte für sie eine einzige Qual war und genau deshalb schien er sich darüber zu freuen, dass sie hier draußen bleiben würde. Sie sagte nichts mehr und versuchte auch den neugierigen Blicken der anderen Gefangenen auszuweichen, da sich hinter der Neugierde doch nur unendliche Hoffnungslosigkeit verbarg. Ja, sie warteten hier doch nur darauf zu sterben und daran konnte keiner mehr etwas tun. Wie lange würde es dauern, bis man sie holte? Und wie würde man sie hinrichten? Darüber sollte sie sich besser keine Gedanken machen, doch die Vorstellungen ließen sie nicht los. Sie wollte nicht länger leiden und immer wieder brachte der Gedanke an den sterbenden Kyssan sie zur neuen Verzweifelung. Wie viel Zeit war jetzt in Naszukam vergangen? Die Welt mit der ewigen Wüste lag, so hatte man ihr gesagt, auf der fünften Ebene, damit verging die Zeit dort um einiges langsamer als hier. Würde man sich vielleicht schon wundern, warum sie nicht da waren? Vielleicht, vielleicht auch nicht. Sie konnte sich vorstellen, dass Unin ein Gefühl dafür hatte, wie viel zeit hier vergangen war, doch sicher war sie sich dabei nicht. Vielleicht vermisste man sie nicht. Hoffentlich kamen sie, wenn sie überhaupt kamen, zu spät. Nein, am besten kamen sie gar nicht. Die Magier des Rates würden ja ohnehin hier bleiben und warten. "Kyssan", flüsterte sie. Sie hatte nichts mehr für ihn tun können! Dabei hatte sie es doch den Meistern versprochen. Sie hatte ihm helfen wollen. Hatte dafür sorgen wollen, dass er lebte. Eigentlich nur, weil sie das Gefühl nicht ertrug, dass sie Schuld am Tod des eigenen Meisters war. Ja, eigentlich war sie nur egoistisch gewesen, oder? Trotzdem fühlte sie sich doch irgendwie verantwortlich für den Sanbok und sie konnte den Gedanken, dass er vielleicht sogar schon tot war, nicht ertragen. "Verdammt..." Sie sah durch das Gitter nach draußen. Noch immer war der Himmel bewölkt und es sah ganz so aus, als würde es bald wieder zu regnen beginnen. Sie hasste den Regen hier. Sie hasste diese Welt. Schon wieder begannen Tränen über ihre Wangen zu laufen, während sie zuvor gar nicht hatte weinen können. Ihr blieb nichts anderes übrig als hier zu bleiben, bei den anderen Gefangenen, deren Kleidung teilweise noch schmutziger war, als die eigene, und auf ihren Tod zu warten. Hoffentlich nicht all zu lange. Kapitel 14: Rebellen -------------------- Es war früher Morgen, als die Tür zu dem Käfig mitten auf dem Hauptplatz der schon die ganze Zeit sehr stillen Stadt, geöffnet wurde und man die noch halb schlafenden Gefangenen nacheinander herauszerrte. Auch Yur, die nun drei Tage in dem dreckigen Gefängnis verbracht hatte, in denen sie nichts zu essen und nur wenig getrunken bekommen hatten, gehörte dazu, war jedoch kaum fähig sich zu bewegen, da die Kälte, die bereits die ganze Zeit herrschte, ihr diese Fähigkeit genommen hatte. Daran störten sich jedoch die beiden Magier, die sie herausholten nicht und ließen sie mit den Beinen über den Boden schleifen. Grade noch wach genug erkannte sie, was dies zu bedeuten hatte: Sie sollten hingerichtet werden. Die Angst, die sie mittlerweile einfach verdrängt hatte, überkam sie nun doch. Sterben... Sollte sie jetzt wirklich sterben? Ihr Herz begann zu rasen, weshalb ihr schwindelig wurde und sie drohte wieder ohnmächtig zu werden, da ihr Körper zu geschwächt war. Wo brachten sie sie hin? Sie konnte es nicht sagen und an sich war auch dies vollkommen egal. Ja, eigentlich war es wirklich egal, wo man starb. Der Tod war doch immer derselbe. Wäre sie nicht so ausgetrocknet gewesen, wie sie nun war, hätte sie wohl geweint, doch so hing sie ausdruckslos zwischen den beiden Magiern, die sie voranzerrten, an den Rand der Stadt, wo man einige Pfähle an die Mauer gestellt hatte, an denen sie kurz darauf fest gebunden wurden. Es waren mit ihr insgesamt zwölf Gefangene, die sie in den letzten Tagen hatten in dem Käfig in ihrem eigenen Dreck verkommen lassen und die nun an die sechs hölzernen und grob zurechtgestutzten Pfähle gefesselt waren. Der Mann neben Yur zitterte noch viel erbärmlicher als sie und sie sah aus den Augenwinkeln auch, dass Tränen in seinen Augen standen. Jedoch konnte sie seine Sprache nicht, als dass sie die Worte, die er leise vor sich hinmurmelte verstanden hätte. Der Himmel war, sofern man es in der Dämmerung erkennen konnte noch immer grau und ein leichter Regen fiel auf den Boden und benässte die Pflastersteine. Sie wusste nicht, was als nächstes Geschehen sollte, aber sie wusste, dass das ganze Abschreckung sein sollte, den obwohl es noch so früh war, waren einige der Stadtbewohner - jedenfalls nahm sie an, dass die die Wandler umgebenden Leute das waren - hier versammelt. Außerdem standen den Gefangenen gegenüber drei Wassermagier, unter anderem der aus dem Dorf und das ließ sie ahnen, dass sie auf dieselbe Art und Weise sterben würde wie Malan. Nun konnte sie wirklich nichts mehr tun. Irgendeiner der Ratsmagier begann etwas zu reden, doch obwohl es die Sprache der Weltenwandler war, verstand sie kaum um was es ging. Dafür kreisten ihre Gedanken zu sehr und in ihren Ohren rauschte es vor pulsierendem Blut. Ein Teil von ihr suchte noch immer nach einem Ausweg, aber natürlich fand er keinen. Es gab keinen Weg mehr hieraus. Irgendwas über Verrat und Widerstand wurde gesagt und ein Raunen ging durch die Menge der Menschen, als man schließlich zum Wort Tod kam. Es war alles vorbei. Alles. Sie schloss die Augen, um zumindest einmal noch an etwas schönes zu denken, was bei dem Wetter und dem Anblick der Krieger des Rates nun wirklich schwer fiel. Immer wieder lief ihr die Phrase „Alles vorbei“ durchs Bewusstsein und immer wieder versuchte sie diese zu verdrängen. Erneut kämpfte sie dagegen an, nicht an den Tod zu denken. Sie würde ja schon bald erfahren, wie er sich anfühlte, also gab es keinen Grund sich darüber Gedanken zu machen. Besser sie dachte an das Kloster, ihre Heimat und... Ein lauter Knall ließ sie ihre Augen aufreißen, als sie grade noch einordnen konnte, dass ein Stück von ihnen entfernt ein ganzes Stück der Mauer fehlte und auch ein angrenzendes Haus Spuren der Zerstörung aufwies. Nach kurzem Nachdenken wurde ihr klar, dass eine Explosion die Ursache dafür sein musste. Eine Explosion? Eine Mauer explodierte nicht einfach von selbst, das wusste sie und sie war sich auch ziemlich sicher, dass dies für so ziemlich alle Welten galt, auch für diese. Aber das hieß ja, das jemand die Exekution verhindern wollte. Jedenfalls lag diese Vermutung nahe, zumal scheinbar kaum jemand durch diesen „Anschlag“ verletzt worden zu sein schien. Trotzdem brach Panik aus und die Menschen liefen wild durcheinander, während die anwesenden Magier irgendwelche Befehle durcheinander riefen und einige von ihnen zur Mauer liefen. Im selben Moment spürte Yur kurz etwas Heißes an ihren Armen, was einen Moment später jedoch schon verschwunden war. Dafür fiel das Seil, mit dem sie und der Mann gefesselt waren, hinab. Verwundert hob sie ihre Hände hoch und vor den Körper. „Passt auf!“ Einer der Ratsmagier entdeckte, dass sie und scheinbar auch die anderen elf Gefangenen befreit worden waren. Es war ein Luftmagier wie es schien und er wollte sie angreifen, als einen Augenblick später ein Pfeil aus seiner Brust ragte, den die dünne Uniform die ihn auszeichnete, nicht abhalten konnte. Was ging hier vor sich? Ihr Gehirn arbeitete sehr langsam und sie brauchte etwas, bis sie sich sicher war, dass es tatsächlich ein Anschlag auf den Rat war. In dem Moment spürte sie eine Hand auf ihrer Schulter und eine Frau, die in eine ärmellose, sonder aber ihren Körper und ihre Beine bedenkende Lederrüstung gekleidet war, ihr die Hand auf die Schulter legte. Ihr Gesicht konnte man nicht sehen, da es mit einem Tuch verhangen war, doch sie nickte dem Mädchen zu. „Es ist alles in Ordnung“, flüsterte sie dann in der Sprache der Wandler und griff ihr unter die Arme. Aus den Augenwinkeln erkannte Yur noch, wie weitere in ähnliche Rüstungen gekleidete Personen von irgendwo aufgetaucht waren - wahrscheinlich kamen sie durch das Loch in der Mauer - und die verbliebenen Ratsmagier angriffen, die ohnehin nicht viele waren. Einen Augenblick später spürte sie, wie sie den Boden unter den Füßen verlor und die Frau mit ihr auf das nächste Dach sprang. Die Leichtigkeit, mit der sie das tat, ließ Yur ahnen, dass es sich bei ihr um eine Luftmagierin handelte. „Kannst du laufen?“, fragte die Frau nun, woraufhin die junge Kegarth nur ein Nicken zustande brachte. Nun, wirklich laufen konnte sie eigentlich nicht, doch sie schaffte es trotzdem irgendwie der Frau über das Dach zu folgen, ehe sie auf der anderen Seite wieder hinabsprangen und durch eine Gasse in die Richtung des anderen Endes der Stadt liefen. Sie sah auch andere der Gefangenen mit solchen Leuten zusammen hinter ihnen herlaufen. Also war das eine Aktion um sie zu befreien? Wahrscheinlich diente sie beiden, der Befreiung und dem Widerstand gegen den Rat. Doch erst einmal war sie scheinbar wirklich gerettet. Vielleicht hatte sie doch mehr Glück, als sie dachte. Immerhin hatte sie schon den Überfall auf das Kloster und die Wüste überlebt. Und nun war sie auch wieder gerettet worden. Aber wieso wurde nur sie, wurde nur Yur gerettet? Wieso war keiner da gewesen um Malan oder Miras zu schützen?, dachte sie traurig, auch wenn sie wusste, dass diese Dinge weinfach geschehen und wohl nicht mehr Rückgängig zu machen waren. Aber zumindest gab es jetzt vielleicht doch einen Weg um Kyssan zu helfen!, schoss es ihr dann durch den Kopf. Nun bogen sie um eine Häuserecke und standen auf einen kleinen Platz in dessen Mitte eine runde Anlage, Yur vermutete einen Brunnen, war. Jedoch waren sie hier nicht allein, denn das merkwürdige Wesen, dass sie drei Tage zuvor verhört hatte, stand hier und sah ihnen entgegen. Da fiel ihr auch auf, dass sie dieses - was auch immer es war - an dem Exekutionsplatz nicht gesehen hatte. Wie konnte das sein? Hatte es vielleicht gewusst was passierte? Wieso war es nun hier, rechtzeitig um ihnen den Weg abzuschneiden. „Rebellen“, meinte es und erneut legte sich der seltsame Ausdruck aus sein Gesicht, den das Mädchen nur als ein Grinsen interpretieren konnte. „Lass uns vorbei“, erwiderte die Magierin neben Yur und auch die anderen ihrer Befreier, von denen hier acht mit ebenso fielen der Gefangenen waren, nahmen Kampfhaltung an. „Wieso sollte ich?“, fragte es und ging auf sie zu, woraufhin einige der Gefangenen zurück wichen. War ihre Flucht nun schon zu ende? Das Mädchen sah sich erneut um, erkannte anhand der Flammen über ihren Händen zwei ihrer Retter als Feuermagier. „Ihr wollt euch mit einem Angeli anlegen?“, fragte das Wesen und da fiel Yur auch wieder ein, dass der Apotheker, den sie hier eigentlich aufsuchen wollten, auch ein solcher gewesen war. Auch wenn es eine weitere Rasse war, von der sie noch nichts gehört hatte. „Ich bin unsterblich“, fügte es hinzu. „Genau so unsterblich wie ein Dämon“, meinte ein anderer ihrer Befreier, einer der beiden Feuermagier. Das Wesen ließ ein leises Lachen hören. „Wollt ihr es also wirklich darauf anlegen?“ „Ja“, erklang eine andere Stimme, als zwei weitere in Lederrüstungen gekleidete Wesen - beide waren humanoid - hinter dem Angeli auf dem Boden landete. Doch das geflügelte Wesen grinste nur. Im selben Augenblick wurde Yur von einem Wind von den Beinen gerissen, der offenbar von diesem Wesen ausging, um dass sich nun eine Windhose in die Luft erhob. Also war es durchaus zu mehr fähig, als diese merkwürdigen Spiele mit seiner Stimme. Auch die anderen Gefangenen und die Hälfte der Rebellen hatte der Wind von den Beinen gerissen, so dass nur noch fünf von ihnen standen, zu denen jedoch auch die beiden, die den Angeli mehr oder minder herausgefordert hatten, gehörten. Diese hatten in einer Gasse etwas Schutz vor dem Wind geholt und nun ebenfalls scheinbar ihre Kampfhaltung angenommen, soweit Yur, deren Sicht erneut immer wieder verschwamm, erkennen konnte. Was hatten sie vor? Zu gern hätte sie etwas getan, doch sie spürte die Erde unter sich kaum, war nicht mehr fähig Magie einzusetzen. Natürlich nicht, nach einigen Tagen ohne Nahrung. Es wunderte sie selbst, dass sie das Bewusstsein noch nicht verloren hatte. Der Wind nahm zu und schien das Flügelwesen gleichzeitig in seiner Mitte zu schützen, da man es nicht erreichen konnte. Griff man es direkt an, würde man von dem Wind von den Beinen gerissen, Magie und Pfeile würden von diesem abgelenkt. Eine unglaublich starke Magie, wenngleich es für einen Luftmagier keine zu außergewöhliche Fähigkeit war. Doch in dem Moment, wo Yur noch überlegte, ob es außer Erdmagie keine Möglichkeit gab, etwas gegen dieses Wesen zu tun, schoss aus dem Boden direkt unter diesem eine Wasserfontäne hervor, die einen Augenblick später zu Eis erstarrte. Derselbe Angriff den die Ratsmagier gegen Yur benutzt hatten, wie dieser nun wieder einfiel, auch wenn die Erinnerung daran sehr blass und unwirklich schien, erinnerte sie sich noch, wie auf einmal alles kalt war. Einen Augenblick später sprangen die beiden Feuermagier auf den Eisblock zu, beide mit gezogenem Schwer in einer Hand und einer Flamme in der anderen. Nur einen Augenblick bevor sie den Angeli erreichten, verwandelte sich das Eis um diesen herum wieder zu Wasser, doch das Wesen war zwar noch bei Bewusstsein, jedoch nicht fähig sich zu bewegen, wie es schien. Kurz darauf steckten beide Schwerter in seiner Brust, wurden herausgezogen und seine Flügel in Flammengesetzt. Ein Schrei erklang doch dieser verwandelte sich in ein gurgelndes Geräusch, als der Körper ohne Kopf und ohne Flügel zu Boden fiel und dort tot liegen blieb. „Schnell“, riefen nun die beiden, die scheinbar die Wassermagie eingesetzt hatten, zu ihnen hinüber und die Windmagierin griff nach Yurs Arm, um ihr auf die Beine zu helfen, während die beiden anderen ein Portal öffneten, viel schneller als Yur es zuvor bei Randem oder Malan gesehen hatte. Einen Augenblick später schob man sie und die anderen Gefangenen schon hindurch, ehe die Rebellen folgten. Als sich Yur im nächsten Moment umsah fand sie sich auf einer schmalen Landmasse inmitten eines großes Sees, sie wusste, das es wohl ein Meer war, denn wirkliches Ufer, abgesehen von einer nicht all zu weit entfernten größeren Insel, sah sie nicht. Allerdings war es hier, obwohl ein nicht zu verachtendet Wind ging, um einiges wärmer als in Tiath, wo sie hergekommen waren. „Kommt“, wurden sie und die anderen Befreiten aufgefordert, als einer der Rebellen einfach durchs Wasser schritt, das, wie sie nun sah, nicht all zu tief war, so dass man hindurchwarten konnte. Mühsam, da sie sich immer noch nicht wirklich bewegen konnte folgte sie den anderen auf dem Weg zu der größeren Insel, auf der sie einige Häuser und auch ein paar Bäume erkennen konnte, hinüber. Zumindest war der Himmel über ihnen hier blau und mit kaum Wolken bedeckt, so dass die Sonne ungehindert auf sie herabstrahlte und ein wenig Wärme spendete, die gleichzeitig jedoch wieder durch das Wasser schwand, dass von ihrer Kleidung aufgesaugt wurde. Keiner von ihnen fragte, was hier vorging. Die meisten waren wohl wie sie noch damit beschäftigt die Geschehnisse überhaupt erst einmal zu realisieren, da alles so furchtbar schnell gegangen war. Als sie das andere Ufer erreichte, stürzte sie zu Boden, da sie einfach nicht weiter laufen konnte. „Alles in Ordnung“, fragte die Windmagierin, die ihr bei der Flucht geholfen hatte und die nun ihre Maske abgenommen hatte, so dass Yur ein junges Gesicht und langes, hellblondes Haar erkennen konnte. Angestrengt versuchte sie zu nicken, schaffte es aber kaum noch. Die Müdigkeit der letzten Tage kam mit einem Mal über sie und wollte sie schon zu Boden drücken, als sich ein Mann zu ihnen gesellte und sie ohne ein weiteres Wort hochhob und Huckepack nahm. „Durst“, flüsterte sie, als sie es endlich schafte etwas hervor zu bringen. „Halt noch ein wenig durch“, erwiderte die Magierin und tätschelte beruhigend ihren Arm. Dieses Mal schaffte sie es zu nicken, ehe sie sich, da sie sich kaum noch aufrecht halten konnte, gegen den Rücken des Mannes, der sie trug, lehnte. Sie wollte jetzt nicht einschlafen, beziehungsweise verhinderte die Anspannung, die sie in den letzten Tagen aufgebaut hatte, dass sie es tat. Sie musste noch ein wenig durchhalten, dachte sie, obwohl es dafür keinen Grund gab. Jetzt war sie doch in Sicherheit, oder? Jedenfalls schien sie hier niemand umbringen zu wollen. Diese Leute hatten das merkwürdige Wesen getötet. Den Angeli, der die Wandler begleitet hatte. Sicher konnte sie ihnen vertrauen, wo ihr im Moment kaum eine Wahl blieb. Nun öffnete einer der Rebellen die einfache Tür eines der grob gebauten Häuser, die ähnlich der in Tiath aus Lehm und Steinen zu bestehen schienen. Sie merkte, wie man sie auf einen Stuhl setzte, während sie erneut gegen den Schlaf ankämpfte. Dann drückte ihr jemand einen Lederbeutel in die Hand, der mit einer Flüssigkeit gefüllt war, wie sie bemerkte. „Trink“, forderte die neben ihr stehende Windmagierin sie auf. So groß der Durst war, tat sie, wie man ihr gesagt hatte. Das Wasser fühlte sich in ihrem Mund erfrischend an, doch sie konnte kaum mehr als ein paar Schlucke tun, ehe der Schlaf es doch schaffte, sie zu überwältigen und sie im Sitzen einschlief. Kapitel 15: Vergangenheit ------------------------- Das erste Mal seit langer Zeit, genau genommen das erste Mal in ihrem Leben, wachte Yur in einem weichen Bett in einem kleinen Raum auf. „Dir geht es wieder besser“, stellte eine Stimme fest. Das Mädchen brauchte wie immer etwas, um sich zu ordnen, vor allem, da sie das erste Mal seit einer scheinbaren Ewigkeit ohne Schmerzen erwachte. Doch dann fiel ihr wieder ein, was in Tiath passiert war. Sie erinnerte sich wieder an die Rebellen. Vorsichtig, da sie nicht damit rechnete, dass es ihr möglich war, richtete sie sich auf, um sich genauer umzusehen. Der Raum war recht dunkel, da nur durch zwei Schlitze kurz unter der Decke Licht von draußen hineindrang. Jedoch reichte es, da der Raum tatsächlich für kaum mehr als das Bett, in dem sie lag, einen Nachttisch und einen Stuhl platz bot. Aber auf den Stuhl saß jemand - ein ihr unbekanntes Gesicht, was sie jedoch weniger wunderte. Sie musterte den Mann, der vor ihr saß. Ein Mensch, das war ihr sofort klar. Ein Mann von vielleicht vierzig Jahren, dessen mittellanges Haar, wie auch sein kurzer Bart, von grauen Strähnen durchzogen war. Seine Wangenknochen standen hervor und unter den Augen und auf seiner Stirn, waren einige Falten zu erkennen, doch trotzdem sah er sie mit einem gewissen Wohlwollen in den grauen Augen an. „Wer seid Ihr?“, fragte sie vorsichtig. „Wo bin ich hier überhaupt?“ Der Mann seufzte. „Es freut mich, dass es dir besser zu gehen scheint.“ Er lächelte sie knapp an, da dies eine Mimik zu sein schien, die sein Gesicht selten zierte. „Du bist eine Kegarth, nicht?“ Sie nickte verwirrt, da er sie fragte anstatt ihre Fragen zu beantworten. „Ja, ich glaube schon.“ „Wie ist dein Name?“ Kurz zögerte sie. „Yur...“ Dann wiederholte sie ihre Frage von zuvor. „Und wer seid Ihr?“ „Mein Name ist Wakeil“, antwortete er. Erneut schwieg sie und befand für sich, dass der Name merkwürdig klang. „Und wo bin ich hier?“, erkundigte sie sich dann. Nun war es an ihm zu schweigen, ehe er ihr antwortete: „Diese Welt wird Hyujian genannt.“ Sie nickte nur erneut, da ihr auch dieser Name natürlich nichts sagte. Stattdessen entdeckte sie nun den Krug auf dem Nachttisch neben ihr und ein seltsames, durchsichtiges Gefäß, das neben diesem stand und wohl zum Trinken gedacht war. „Bist du durstig?“, fragte Wakeil, dem ihr Gesichtsausdruck nicht entgangen war und schüttete etwas Wasser in das Trinkgefäß, bevor er ihr es reichte. „Danke“, murmelte sie nur und trank ein paar Schlucke, da sich ihr Mund noch immer sehr trocken anfühlte. Langsam wurden jedoch ihre Gedanken nun klarer. Ihr fiel auf, dass ihre Arme verbunden waren und sie saubere Kleidung trug. Jemand hatte sie wohl gewaschen und ihre Wunden verarztet. Jedoch brauchte sie etwas, ehe ihr noch etwas anderes klar wurde: Der Mann neben ihr sprach mit ihr in der Sprache von Verur und nicht in der Sprache der Wandler, also wusste er wo sie herkam. „Was...“, murmelte sie und überlegte kurz, wie sie die Frage formulieren sollte ohne all zu neugierig zu klingen. „Ihr wisst, woher ich komme?“ Ihre Stimme war sehr leise, da sie die Frage sehr vorsichtig stellte. Der Mann, dessen Körperbau verriert, dass er wohl ein Krieger war, ließ ein Seufzen hören und musterte sie. „Man sagte mir, dass sie ein Kegarthmädchen in Tiath gefunden haben...“, erwiderte er. „Du hast im Schlaf gesprochen und das war die Sprache von Verur, die übrigens der Sprache dieser Welt nicht unähnlich ist.“ Für eine kurze Weile dachte sie über seine Worte nach, ehe sie schließlich nachhakte. „Aber was heißt das?“ „Du kommst aus der Pyramide in Verur, nicht?“, antwortete der Mann, woraufhin sie nur mit weiterem Nicken reagierte und vorsichtig wieder etwas trank. Anschließend herrschte Schweigen, denn auch Wakeil schien nachzudenken, während er sie ansah. Außerdem erschien ihr die Situation als zu merkwürdig, so dass sie nichts zu sagen wusste. Nur innerlich wunderte sie sich, woher dieser Mann sie wohl kannte. Wieso schien es ihm so viel zu sagen, dass sie die Sprache von Verur sprach? Schließlich hielt sie es nicht mehr aus. „Ihr kennt mich, oder?“, fragte sie erneut. „Also woher? Was wisst ihr über mich?“ Sie konnte nicht vermeiden, dass erneut ihren Worten eine gewisse Verzweifelung zu entnehmen war, denn sie wusste noch immer nicht alles, was sie über sich wissen wollte. Und was sie wusste war nicht sicher. „Man kann es so sagen“, erwiderte der Mann. „Aber das ist eine lange Geschichte.“ Er seufzte und zuckte mit den Schultern. „Vielleicht solltest du erst einmal etwas Essen. Es war zu müheselig dich wieder gesund zu bekommen, als dass du uns nun noch vor Hunger umkippst“, versuchte er zu scherzen und wollte aufstehen, doch sie griff nach seiner Hand. „Nein, ich will es wissen“, sagte sie. „Bitte, sagt es mir. Was wisst Ihr über mich?“ „Hat es keinen Zeit?“, meinte er, aber sie schüttelte heftig den Kopf. „Ich weiß nichts...“, murmelte sie. „Jedenfalls nicht viel.“ Die Aussicht, dass dieser ältere Mann ihr vielleicht sagen konnte, wer sie war, hatte im Moment sowohl den Hunger als auch ihre Sorgen aus ihrem Bewusstsein vertrieben. Stattdessen sah sie ihn flehend an, ehe er mit einem weiteren seufzen die Arme auf die Beine legte. „Es ist wirklich eine lange Geschichte“, murmelte er. „Vor allem, wenn du nichts weißt...“ „Bitte“, wiederholte sie und er nickte. „Nun, ich nehme an, Miras hat dich großgezogen.“ „Kanntet Ihr ihn?“, entfuhr es ihn. Er nickte. „Sei ruhig und hör zu. Du solltest geduldiger sein.“ Das erinnerte sie an die Worte ihres Meisters. Kannte Wakeil ihn also wirklich? Der Mann seufzte und begann erneut: „Nun, eigentlich ist die Geschichte nicht so lang. Ich...“ Er pausierte, denn die Worte schienen ihm nicht angenehm zu sein, wie sie an seinem Gesicht ablesen zu können glaubte. „Ich habe vor einiger Zeit - ich weiß nicht einmal wie lange es genau her ist, vielleicht zehn Jahre - noch führ den Rat gekämpft. Ich gehörte schon zu den Magiern des Rates, bevor sich die Zeiten änderten, aber auch danach war ich noch einige Zeit lang einer der Befehlshabende zwischen den Magiern dort.“ Sein Blick wanderte zu den Spalten unter der Decke und er strich sich über sein Kinn. „Aber wie viele sah ich, wie sinnloser die Dinge, die wir tun sollten wurden. Wir wurden immer öfter geschickt, um zu töten oder zu unterwerfen und meist taten wir es, aus Angst um unser Leben oder einige auch, weil ihnen eine andere Perspektive fehlte“, murmelte er und räusperte sich, schwieg dann aber erneut. „Aber was hat das mit mir zu tun?“, fragte sie. „Mehr als du glaubst.“ Er schenkte ihr erneut ein müde wirkendes Lächeln. „Kegarth beherrschen meistens Erd- oder Wassermagie“, fuhr er fort. „Weshalb dem Rat dran gelegen war, dass sich solche Echsenmenschen ihm anschlossen, denn... Du weißt sicher, dass es schon länger wenige Erdmagier gibt.“ Sie bestätigte mit einem Nicken und sah ihn gleichzeitig fragend an. „Es gab insgesamt damals noch vier größere Kegarthklans, die jeweils abgeschieden lebten. Unter ihnen auch der Klan von Asunquarth, der auch als Hexenklan bezeichnet wurde.“ Nun horchte Yur auf. Hatte Malan also recht gehabt? Im nächsten Moment spürte sie einen Stich in der Brust, denn mit dem Gedanken an die Heilerin kamen auch die Bilder von ihrem Tod zurück. Schnell verdrängte sie diese Gedanken, um dem Mann weiter zuhören zu können. „Aber wie die anderen Kegarth schlossen sie sich dem Rat nicht so einfach an und deshalb wurden wir schließlich nach Asunquarth geschickt...“ Wakeil verstummte und sah erneut auf die Spalte, durch die das Licht von draußen hereinfiel. „Ihr solltet sie töten?“, fragte Yur, die mittlerweile verstand worauf das ganze hinauslief. „Ja“, murmelte er. „Nein, wir haben sie getötet... Wir waren mehr Leute als sie und es war nicht all zu schwer sie zu töten.“ „Und ich...?“ Das Mädchen schenkte ihm erneut einen flehenden Blick, aber der Mann wich diesem aus. So herrschte erneut eine ganze Weile angespanntes Schweigen, dass drückend auf der Kegarth lastete, während sie versuchte im Gesicht des Mannes zu lesen. Schließlich fuhr er fort. „Du warst damals noch sehr jung und hattest dich wahrscheinlich im Wald versteckt. Vielleicht hatte dich auch jemand anderes versteckt. Ich weiß es nicht.“ Leise atmete er aus. „Als wir nach Überlebenden suchten fanden wir dich auf einer Lichtung und eigentlich hätten wir dich töten sollen...“ Er brach wieder ab und atmete erneut ein und aus. „Zumindest habe ich dich nach Verur gebracht und mich dadurch mit dem Rat angelegt, wenn man so will.“ Das Grinsen, was nun sein Gesicht zierte, wirkte falsch, ehe er kurz und scheinbar genervt aufstöhnte. „Warum erzähle ich dir das?“ Sie dachte nach. „Dann verdanke ich Euch mein Leben?“ Mit einer Handbewegung winkte er ab. „Du solltest etwas essen“, meinte er nur. „Aber...“, begann sie. „Kein Wort mehr“, antwortete er und stand auf. „Warte hier, unsere Heilerin wollte dich sehen, wenn du wieder auf bist“, meinte er dann und verließ fast fluchartig den Raum. Noch immer etwas verwirrt starrte Yur auf die geschlossene Tür und seufzte dann leise. Sie empfand diesen Mann als eigenartig, auch wenn sie ja eigentlich verstehen konnte, dass er nicht darüber reden wollte. Zumindest wusste sie jetzt mehr als vorher, insofern er die Wahrheit gesagt hatte. Es dauerte zumindest nicht lange, bis die Tür ohne vorheriges Klopfen aufschwang und eine Frau, ebenfalls ein Mensch, eintrat. Auch sie war nicht viel jünger als Wakeil, wie ihr Gesicht verriet, jedoch waren ihre Haare noch komplett hellbraun ohne eine Spur von Grau zu zeigen. „Dann scheint es dir soweit wieder gut zu gehen“, meinte sie ohne ein Wort der Begrüssung. Etwas überrascht nickte Yur nur, als sich die Frau auf den Schemel setzte und nach ihrer Hand griff. „Dann lass mich 'mal deine Wunden sehen“, forderte sie Yur auf, begann aber gleichzeitig schon den Verband abzuwickeln. An ihren Händen und Unterarmen, dort wo der Dämon sie verletzt hatte, waren kaum noch Schuppen zu sehen, auch wenn die Wunden bereits verheilt waren und sich eine dünne Haut darüber gebildet hatte. „Scheint soweit gut zu heilen“, meinte die Frau dann lächelnd. „Du brauchst einfach noch ein wenig Ruhe, etwas vernünftiges zu essen und dann wird es dir schon wieder besser gehen.“ Immer noch etwas verdattert sah Yur sie an und nickte bloß. „Ich denke du kannst aufstehen?“, erkundigte die Ältere sich nun. „Ja“, murmelte Yur. „Gut“, erwiderte die Heilerin. „Ich habe dir etwas zum Anziehen mitgebracht. Du solltest etwas Essen kommen.“ Damit holte sie aus der Tasche, die sie bereits die ganze Zeit um die Schultern trug, etwas Kleidung, ein Leinenhemd und eine lederne Hose, hervor. „Zieh dich um, ich werde vor dem Zimmer warten.“ „Ja“, antwortete die Kegarth erneut, woraufhin die Frau aufstand und aus dem Raum verschwand. Seufzend stand Yur auf und begann sich zu bekleiden. Dann war die Frau eine Heilerin - war sie auch eine Erdmagierin? Gedankenverloren entledigte das Mädchen sich des langen Hemdes, das sie im Moment trug, und zog sich die neuen Sachen, die um die Hüfte herum etwas zu breit für sie waren, an. Sie waren nach Tiath gekommen um einen Heiler zu finden... Da zuckte sie auf einmal zusammen. Wie konnte sie das vergessen? Hastig rannte sie zur Tür und riss diese auf, woraufhin sie fast in die Heilerin und auch in Wakeil, der scheinbar ebenfalls vor der Tür gewartet hatte, lief. „Was hast du?“, fragte die Heilerin überrascht, als Yur ihr einen verzweifelten Blick schenkte. „Ihr seid eine Heilerin!“, rief sie aus. „Ja...“, begann die Frau, doch das Mädchen griff nach ihrer Hand. „Ihr müsst mir helfen, bitte“, flehte sie. „Ein Freund... Kyssan. Er ist vielleicht schon tot!“ Verdattert sahen die beiden Erwachsenen sie an, ehe Wakeil sie fragte: „Wer ist Kyssan?“ „Ein Sanbok“, erklärte Yur. „Ein Seher... Er lag in Sterben als wir von Naszukam aufbrachen. Wir wollten Hilfe holen und dann war der Rat dort und... Vielleicht ist er schon gestorben und dann...“ Tränen stiegen ihr erneut in die Augen und hastig wischte sie sich diese mit der noch sehr empfindlichen Hand fort. Es war offensichtlich, dass die beiden etwas brauchten um ihre Worte zu verstehen, ehe es erneut der Mann war, der sich dazu äußerte. „Naszukam - wo ist das?“ „Es ist eine Flüchtlingsstadt“, erklärte die Heilerin. „Neru weiß mehr darüber. Ich denke er wird auch wissen, wie man dorthin kommt.“ „Bitte“, flehte Yur nur erneut. Sie wusste ja nicht einmal, wie lange sie geschlafen hatte. Und genau so wenig wusste sie, auf welcher Ebene diese Welt lag, daher konnte es sogar sein, dass in der unterirdischen Stadt bereits Tage vergangen waren. Und dann war er sicher tot und dann war wirklich alles, alles vergebens gewesen. Im Moment spürte sie ihren leeren Magen, den sie kurz vorher noch schmerzhaft bemerkt hatte, nicht mehr. Sie versuchte ein Schluchzen zu unterdrücken. „Bitte, ich muss zu ihm... Es muss ihm jemand helfen...“ Kapitel 16: Das Geschenk des Lebens ----------------------------------- So, das ist das letzte Kapitel :D Kapitel 16: Das Geschenk des Lebens Dieses Mal öffneten sie kein Portal an die Überfläche der Welt mit den unterirdischen Städten, deren Name, wie ihr der Wandler Neru gesagt hatte, Fathir war. Tatsächlich kannte der Magier diese Welt scheinbar sehr gut, denn das Portal, das er öffnete, führte direkt zu einer der Felsvorsprünge über der Stadt. Natürlich begleitete sie auch die Heilerin, deren Name Barbera war, wie Yur mittlerweile wusste. Auch Wakeil war mitbekommen, obwohl dem Mädchen nicht ganz klar, wieso. Die Anwesenheit des Mannes war ihr irgendwie unangenehm. Doch daran konnte sie im Moment kaum einen Gedanken verschwenden, sondern rannte schon los in die Richtung von Malans Haus. Statt die Treppe zu nehmen kletterte sie die Wand hinunter, während sich die drei Menschen diese Mühe nicht machten, da zumindest die beiden Männer die Kunst des Fliegens beherrschten und Naru die Frau trug. Jedoch achtete Yur kaum weiter auf sie und rannte untern auf der Straße zum Haus, in dem die Heilerin gelebt hatte. Ohne anzuklopfen riss sie die Tür auf und rannte in das kleine Haus hinein. Kaum war sie drinnen sah Unin, der im Wohnraum auf dem Boden saß, auf. „Yur...“, begann er, doch das Mädchen schüttelte den Kopf. „Wie geht es Kyssan?“, fragte sie sofort und eilte zu dem Raum, dessen Tür offen stand. Der Elf senkte den Blick. „Die Heiler sind heute morgen gegangen“, murmelte er. „Er ist...“ Ungläubig schüttelte Yur den Kopf. „Nein...“, hauchte sie, da sie schon verstand was geschehen war, und rannte nun in das Zimmer hinein, in dem der Sanbok noch immer aufgebaart lag. Sie griff nach seiner Hand, doch diese war noch kälter als zu der Zeit, als sie ihn zurückgelassen hatte. Dann tastete sie nach seinem Herzschlag, doch wie auch der Atem war dieser verloschen, wie es schien. „Nein“, flüsterte sie und konnte nicht vermeiden, dass erneut Tränen in ihre Augen traten und über ihre Wangen liefen. „Lass mich nach ihm sehen“, hörte sie auf einmal die Stimme Barberas neben sich und die Heilerin schubste sie etwas unsanft zur Seite, bevor sie begann den gestorbenen Echsenjungen zu untersuchen und schließlich mit dem Kopf schüttelte. „Er ist noch nicht tot“, sagte sie. „Zumindest noch nicht ganz.“ „Was?“, fragte das noch immer weinende Mädchen, doch die Frau beachtete sie nicht. „Neru!“, rief sie den Mann, der ebenfalls in ihrem Alter war und - im den Augen des Mädchens - für einen Menschen seltsame Gesichtszüge hatte. Der Wandler kam zu ihr geeilt, ehe die beiden auf einer Sprache, die Yur nicht verstand, miteinander zu reden. Da spürte sie, wie sich sanft Hände von hinten auf ihre Schultern legten, und sie, da sie von den beiden zur Tür zurückgedrängt worden war, wieder in den Wohnraum zurückzogen. „Sie wissen, was sie tun“, meinte Wakeil zu ihr und lächelte sie mit dem gleichen wehmütigen Blick wie zuvor in den Augen an. Derweil stand Unin im Raum, scheinbar nicht wissend was er sagen sollte. „Wo ist Malan?“, fragte er schließlich. „Und wer sind diese Menschen?“ Yur wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Viel wusste sie über die drei Erwachsenen da ja auch nicht. „Sie sind Rebellen...“, murmelte sie. „Und Malan...?“, hakte der Elf verunsichert nach. „Warum ist sie nicht bei dir? Wieso wart ihr solange fort?“ „Wie lange waren wir fort?“, erwiderte sie. „Vier, nun, fast fünf Tage“, antwortete er und ging auf das Kegarthmädchen zu. „Aber jetzt sag mir wo Malan ist! Und wo ist der Angeli, von dem sie sprach.“ Vom Gefühl der Schuld belastet, das sie für Malans Tod empfand, senkte sie den Kopf. „Das... Sie... Da in Tiath... Da waren... Der Rat war dort...“ „Sie haben sie getötet?“ Die Stimme Unins klang ungläubig, doch ein Nicken des Mädchens bestätigte was er sagte. „Sie wollten wissen wo wir her waren“, hauchte sie in der Erinnerung an das geschehene. „Und Malan redete nicht mit ihnen und... Sie haben sie einfach getötet, als wir uns wehrten.“ „Wie kann es sein, dass du noch lebst?“, fragte der Elf weiter. Yur schüttelte heftig den Kopf. „Es tut mir so leid... Ich konnte nichts machen. Ich konnte die ganze Zeit nichts machen... Ich...“ Dann brach sie schließlich in eine Reihe ungehaltener Schluchzer aus. Ihr Inneres fühlte sich so schwer und gleichzeitig so verworren an. So viel war in den letzten Tagen passiert und so viele waren gestorben. Sie hatte so viele sterben sehen und hatte nichts tun können. Und gleichzeitig hatte sie auch getötet. Die Ganze Zeit hatte sie das verdrängt, aber auch sie hatte andere Wesen umgebracht, zumindest nachdem Malan gestorben war. Sie hatte sich nicht mehr unter Kontrolle gehabt und getötet! Gleichzeitig wurde ihr auch klar, dass sie seit drei Tagen zuzüglich der Zeit, in der sie geschlafen hatte und von der sie nicht wusste, wie lange es gewesen war, nichts gegessen hatte und auf einmal begann ihr Magen erneut heftig zu knurren. Dieses Mal war es jedoch nicht Unin, der ihr aufhalf, als sie in die Knie ging, sondern Wakeil. „Du solltest endlich etwas Essen, Mädchen“, meinte er zu ihr und machte Anstalten sie aus dem Haus zu bugsieren. „Aber Kyssan“, begann sie zu widersprechen, ehe sie erneut schluchzen musste. „Du kannst im Moment nichts für ihn tun“, erwiderte der Mann. „Also sei vernünftig.“ Daraufhin wanderte Yurs Blick in Richtung der noch immer offenen Tür, hinter der die beiden Magier ruhig neben dem Körper des Sanboks standen. Sie wollte ihn nicht hier allein lassen… „Er hat Recht“, meinte Unin schließlich mit belegter Stimme. „Du hast das alles überlebt, dann willst du doch jetzt nicht verhungern, oder?“ Nur ein aufmunterndes Lächeln brachte er nicht zustande, da noch immer Tränen über seine Wangen liefen, die er nicht einmal wegwischte. Es war Nacht, zumindest hatte man das Yur gesagt, auch wenn sie hier unten das Gefühl dafür nun noch mehr verloren hatte als zuvor, war sie nun doch innerhalb weniger Tage durch einige Welten gereist, in denen die Tage alle verschiedene Längen und die Zeit verschiedene Abfolgen kannte. Jetzt saß sie in dem Raum, in dem sie während ihres Aufenthalts in Naszukam bisher jede Nacht verbracht hatte und starrte, so gut es ging, auf ihre Hände, an denen sie bereits die Schuppen nachwachsen fühlte. Kegarth regenerierten schnell, hatte Wakeil ihr gesagt, doch sie hatte daraufhin nur geschwiegen, da sie ohnehin kaum etwas über das, was sie war, wusste. Sie hatte gehofft, dass Malan ihr bei Zeiten alles erklären würde, aber das war nun unmöglich. Sollte sie wirklich einem Menschen zuhören, der sein Wissen auch nur aus Büchern hatte? Obwohl sie die Heilerin nicht lange gekannt hatte, vermisste sie Malan irgendwie. Vielleicht war es, weil sie so freundlich zu ihr gewesen war, vielleicht aber auch nur, weil sie damit den einzigen wirklichen Bezug zu ihrer Vergangenheit verloren hatte. Ja, sicher, wahrscheinlich wusste über sie als Person Wakeil sogar mehr als die Heilerin, aber sie konnte sich nicht helfen. Seine Gegenwart bedrückte sie. Immerhin war er eigentlich zu einem großen Teil dafür verantwortlich, dass ihre Familie und ihr Klan gestorben waren und sie allein in Verur aufgewachsen war. Selbst wenn er es wirklich bereute… Wie viel Blut klebte an seinen Händen? Und wie viel an ihren... Wieder verdrängte sie den Gedanken wieder und sah zur Zimmertür, zwischen deren Brettern etwas Licht ins Zimmer fiel. Würden die beiden Menschenmagier, Barbera und Neru, es wirklich schaffen? Kyssan… Sie mussten sehr mächtig sein, wenn sie fähig waren, beziehungsweise es überhaupt nur für möglich hielten, einen toten Körper wieder zu beleben. Wobei die Magierin gesagt hatte, dass er noch nicht tot sei. Was bedeutete es überhaupt tot zu sein? Konnte das ein Lebender überhaupt sagen oder verstehen? Sie seufzte. Eigentlich war es wohl das beste, wenn sie schlief, denn obwohl sie zuvor fast zwei Tage geschlafen hatte, fühlte sie sich müde. Aber sie wollte nicht schlafen, nicht bevor sie wusste, was aus Kyssan werden würde. Dann würde sie auch entscheiden, was sie machen würde. Jedenfalls hatte sie sich das vorgenommen. Sie war vierzehn, normalerweise hätte sie das Kloster wahrscheinlich in ein oder zwei Jahren verlassen, dachte sie. Immerhin war sie fast ausgewachsen und sie hatte ohnehin nicht mehr bleiben wollen. Viele betrachteten Vierzehnjährige ohnehin schon als erwachsen, doch sie fühlte sich ganz und gar nicht so. Nachdem sie sich zuvor nach Freiheit und Abenteuer gesehnt hatte, galt ihre Sehnsucht momentan der Ruhe und sei es nur um einen Augenblick zu verschnaufen. Zumindest wusste sie, dass es dauern würde, ehe sie die Sachen, die geschehen waren, verarbeitet hatte. Im Moment kam es ihr noch vor, wie ein schlechter Traum und auch wenn immer wieder Tränen kamen, hatte sie noch lange nicht alles akzeptiert. „Miras“, murmelte sie, ohne es wirklich zu bemerken. „Malan…“ Wieso machte sie sich Vorwürfe? Sie hatte nichts wirklich tun können, um diese beiden Tode zu verhindern und eigentlich war ihr auch bewusst, dass dies außerhalb von ihrer Macht stand. Aber sie wünschte, sie hätte was getan. Irgendwas. Sie hatte gesehen, wie es den Elfenmann getroffen hatte, dass Malan tot war. Das war wohl die Bedeutung von Freundschaft, dachte sie. Hier in dieser Stadt kannten sich ohnehin die meisten, schien ihr. Vielleicht fühlte sie sich auch deshalb noch nicht ganz wohl, selbst wenn es sich geben würde. Als Yur erwachte war es im Zimmer heller, da die Tür halb offen stand und so das Licht hinein fiel. Schnell, spätestens als sie in Unins Gesicht sah, wurde ihr klar, dass sie in Naszukam war, und dann fiel ihr auch schon wieder der Sanbok ein. „Wie geht es Kyssan? Ich meine…“, begann sie und stockte wieder. „Er lebt“, murmelte der Elf, auf dessen eigentlich zeitlosen Gesicht, sich spuren der Müdigkeit abzeichnete. Daher schloss sie darauf, dass er in der Nacht wohl nicht geschlafen hatte. „Es geht ihm wieder besser, sagt die Frau.“ Sie seufzte erleichtert und gleichzeitig doch ungläubig auf. „Wirklich?“ Der Elf nickte nur und seufzte ebenfalls. „Ja“, murmelte er. Ohne eine Erklärung dafür zu finden, spürte sie seinen Schmerz. „Es tut mir leid“, murmelte sie und legte ihm, der er mehr oder weniger mitten im Raum kniete, die Arme um den Hals. „Ich konnte nichts tun“, hauchte sie. Warum sie das tat, wusste sie nicht wirklich, doch sie fühlte, dass es richtig war. „Ich weiß“, erwiderte er. Nachdem sie sich von ihm gelöst hatte, stand sie auf und ging zur kleinen Tür. „Ich will nach Kyssan sehen“, sagte sie und verließ den Raum. Im Wohnraum selbst lagen die drei erwachsenen Magier zwischen den Decken auf dem Boden verteilt und schliefen augenscheinlich, so dass Yur zwischen ihnen hindurch zu dem noch immer offenen Raum schlich, in dem Kyssan lag. Tatsächlich sah sie, als sie näher heran trat, wie sich seine Brust leicht hob und senkte. Also lebte er tatsächlich. Trotzdem fragte sie sich, wie es möglich war. War er denn nicht tot gewesen, als sie zuvor bei ihm war? Vorsichtig griff sie wieder nach seiner rauen Hand und hielt sie fest. Seine Haut war nicht mehr so kalt, wie zuvor, wenngleich immer noch kühl, wenn sie es mit ihrer eigenen Körpertemperatur verglich. Erneut spürte sie Tränen über ihre Wangen laufen, doch dieses Mal waren es Tränen der Erleichterung. Sie wusste nicht, wie sie der Heilerin, Barbera, danken sollte, wenn sie aufwachte. Wieder wurde ihr klar, wie wenig sie eigentlich mit den Leuten hier im Haus zu tun hatte, aber trotzdem verband sie irgendwas, oder? Sie sah zu dem nun entspannten Gesicht des Sanboks. Hoffentlich würde er bald aufwachen. Außerdem spürte sie, obwohl sie am Tag zuvor so viel gegessen hatte, dass sie schon wieder hungrig war. Wobei es dem Echsenjungen wahrscheinlich noch schlechter ging, immerhin hatte er durch seine Ohnmacht zehn Tage lang so gut wie nichts, eigentlich wirklich gar nichts, zu sich genommen. Wobei ihr klar wurde, dass sie auch nicht wirklich viel über die Essgewohnheiten eines Sanboks wusste. Trotzdem konnte es nicht gut sein, solange nichts zu essen. Der Tag verging schneller als Yur erwartet hatte und die meiste Zeit saß sie an Kyssans Seite, um über ihn zu wachen. Selbst wenn hier jede Befürchtung eigentlich grundlos war, war die Stadt soweit eigentlich gut geschützt, wollte sie nicht zulassen, dass ihm noch etwas zustieß. Trotzdem schaffte Unin es, dass sie etwas aß und auch etwas Brot und Früchte aus einem Lager in der Stadt holte, damit sie etwas zu Essen für die Gäste und auch für den Sanbok hatte, wenn sie aufwachten. Tatsächlich schien es der Heilerin und auch ihrem Mann, denn Wakeil hatte ihr erklärt, dass die beiden verheiratet waren, viel Energie gekostet zu haben, den Jungen zu heilen, denn sie schliefen den ganzen Tag. Wakeil war der einzige von ihnen, der recht bald nach Yur aufgewacht war, aber er war auch nicht an der Heilung beteiligt gewesen. Während sie bei Kyssan gesessen hatte, hatte er ihr etwas mehr über die Rebellen, die sich selbst nicht so nannten, erzählt. Es war keine organisierte Bewegung, sondern viel mehr eine Menge kleiner, vereinzelter Bewegungen. Genau deshalb wurde auch nicht so viel erreicht, wie man sich erhoffte, denn jeder kämpfte für sich und nur einige einzelne Welten. Viele, die gegen den Rat kämpften, hatten auch einige Zeit lang für ihn gekämpft, sogar nachdem der neue Rat an die Macht gekommen war. Das galt ebenfalls für Barbera und Neru, die nachdem was der Mann erzählte, sogar noch später als er aus den Truppen des Rates ausgetreten waren. Aber wie viel davon der Wahrheit entsprach vermochte Yur nicht zu sagen. Stattdessen blieb sie, nachdem sie gegessen hatte, bei Kyssan sitzen, wobei sie es nicht vermeiden konnte, dass sie zwischendurch, von den letzten Tagen noch immer erschöpft, wegnickte und so einige Zeit vor sich hindöste. Irgendwann erwachte sie, als sie merkte, dass jemand hinter ihr in den Raum trat und einen Moment später neben ihr stand. „Es geht ihm soweit wieder ganz gut“, murmelte Barbera, wie das Mädchen nun im Kerzenschein erkannte. „Ihr seid wach“, stellte Yur nun verschlafen fest, ehe sie sich schüttelte. „Ich…“, begann sie zu stottern. „Danke“, flüsterte sie dann. „Ich weiß nicht, wie ich euch danken soll. Ich meine… Wie ist das möglich?“ Die Heilerin stricht ihr durch das noch immer kurze, stoppelige Haar. „Heiler sind dafür da zu helfen“, erwiderte sie. Yur wusste nicht wirklich, was sie daraufhin sagen sollte. „Aber wie… Ich meine… Er war tot…“, brachte sie schließlich zusammen. Sie hatte zwar schon etwas von Nekromantie gelesen, doch war sie sich sicher, dass das etwas anders war, weil dadurch die Körper tot blieben und das war bei Kyssan nicht der Fall. „Nein“, antwortete die Heilerin. „Sein Herzschlag war schwach, aber er lebte noch. Außerdem war seine Seele noch bei ihm.“ „Seine Seele?“ Das Mädchen starrte zu dem Jungen hinüber. „Ja, wenn man so will ist man erst dann wirklich tot, wenn man von seiner Seele verlassen wurde“, antwortete die ältere Frau. „Aber er wollte leben.“ Gedankenverloren hielt Yur noch immer die Hand des Sanboks. „Dann seid ihr sehr mächtig, oder?“, fragte sie schließlich. „Nicht wirklich.“ Barbera schüttelte den Kopf. „Ich beherrsche eigentlich keine Magie, von der Heilmagie abgesehen. Wirklich mächtig ist etwas anderes, denke ich. Es gibt Magier, die so gut heilen können, wie ich, aber gleichzeitig auch normale Magie beherrschen. Auch wenn das meist keine Menschen sind.“ Sie seufzte leise und Yur schwieg, da sie den Inhalt dieser Worte nicht verstand. Da spürte sie eine weitere Bewegung hinter sich und erblickte Neru, als sie sich umsah. Er nickte seiner Frau zu. „Der Elf sagte, wir können etwas Essen“, meinte er und lächelte ihr zu. „Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe Hunger.“ Barbera nickte. „Das ist nett“, erwiderte sie und bezog sich dabei wohl auf Unin. Dann wandte sie sich noch einmal zu Yur. „Er wird sicher bald aufwachen“, sagte sie, ehe sie in den Wohnraum zurückging. Seufzend sah Yur daraufhin wieder zu Kyssan. Wann war bald? Während sie darauf wartete, dass er aufwachte döste sie erneut ein und wachte erst wieder auf, als die Kerze, die auf dem kleinen Tisch neben der Liege stand, schon ein ganzes Stück herunter gebrannt war. Noch immer lag der Sanbok unverändert vor ihr. „Wach endlich auf“, hauchte sie und seufzte, ehe sie aufstand, um in den Wohnraum zu gehen, um sich etwas zu trinken zu holen, da sich ihr Mund nun wieder trocken anfühlte. Während sie sich Wasser in einen weiteren Lehmbecher einschenkte, stellte sie fest, dass außer ihr scheinbar niemand im Haus war, weshalb sie annahm, dass die Wandler entweder gegangen waren oder von Unin die Stadt gezeigt bekamen. Sie wusste nicht einmal, was für eine Tageszeit war, daher war rein theoretisch alles möglich. Als sie zu Kyssan zurückkehrte erschrak sie so sehr, dass sie den Becher zu Boden fallen ließ, da sich der Echsenjunge nun bewegt hatte. Oder hatte sie sich das nur eingebildet? „Kyssan?“, fragte sie und eilte zu ihm, um wieder nach seiner Hand zu greifen. Er zuckte etwas mit den Augen, was ihr verriet, dass er scheinbar wirklich am Aufwachen war. Dann begann er irgendwas in seiner Sprache zu murmeln, ehe er endlich die Augen aufriss und sie ansah. Es schien, als würde er etwas brauchen, um sich der Situation gewahr zu werden, ehe er aufatmete und sie erneut einige Zeit lang ansah. „Danke“, murmelte er und schloss die Augen wieder. „Kyssan?“, fragte sie erneut, doch sein Atem beruhigte sich wieder, als er zurück in den Schlaf fiel. Seine Krankheit hatte ihn wohl doch mehr erschöpft, als sie gedacht hatte. Wieso hatte er sich bedankt? Oder hatte er sie nicht erkannt? Sie wusste es nicht, doch trotzdem strich sie Gedankenverloren über seinen schuppigen Arm und lächelte, froh, dass er wohl doch nicht für ewig schlafen würde, wie ein Teil von ihr schon befürchtet hatte. So blieb sie eine Weile sitzen, ehe sie aufstand und sich erneut einen Becher mit Wasser füllte. Epilog: Die letzte Hexe ----------------------- Epilog: Die letzte Hexe Es war zwei Monate her, dass ich in Tiath dem Rat entkommen war und Kyssan dank Barbera und Neru vor dem Tod gerettet wurde. Nun stand ich hier, mitten auf einer Lichtung vor einem großen See, dessen Wasser selbst jetzt beim Tag beinahe schwarz wirkte. Der Wald um mich und Silar, der Tochter von Barbera und Neru, die wie ihr Vater eine Wandlerin war, war dicht. Nebelschwaden hingen zwischen den Bäumen und auch der Himmel war teilweise mit Wolken verhangen. Das hier war also der Ort, von dem ich kam. Instinktiv wusste ich, dass es diese Lichtung war, auf der Wakeil mich gefunden hatte, ehe er mich nach Verur brachte. Vielleicht bildete ich es mir aber auch nur ein. Ich nickte dem Menschenmädchen, das nur zwei Jahre älter war als ich, und die merkwürdige Gesichtsform ihres Vaters geerbt hatte. Sie hatte seltsame Schlitzförmige Augen, dabei aber das helle Haar ihrer Mutter. Wie ich beherrschte sie Erdmagie, aber wie ihre Mutter fast nur Heilungszauber. Trotzdem konnte sie Portale öffnen und hatte sich daher angeboten mich hierher zu begleiten. Aber jetzt, wo ich hier stand, wusste ich nicht einmal, was ich hier wollte. Ich hatte mir irgendwas erhofft davon, hierher zu gehen. Immerhin war dies meine eigentliche Heimat, der Ort, an dem ich geboren worden war. Ich hatte gehofft, irgendeine Verbindung zu spüren, doch da war nichts. Im Gegenteil: Das dunkle Wasser und der etwas matschige Boden stießen mich ab, zumal es hier zwar warm, aber bei weitem nicht so warm, wie im Dschungel Verurs war. Nein, eigentlich mochte ich diesen Wald nicht einmal. Die Bäume ähnelten mehr denen in Tiath, waren nicht sehr groß, hatten aber breite Stämme und lange Wurzeln, die den Boden zu großen Teilen bedeckten. Über den Boden lag Laub verstreut, so dass man an manchen Stellen nicht einmal die eigentliche Beschaffenheit des Untergrundes erkennen konnte, und ein Wesen, dass nicht mit der Erde verbunden war, sicher schnell einigen Stolperfallen zum Opfer gefallen wäre. Ich ging ein wenig zwischen den Bäumen herum, berührte mit meinen mittlerweile wieder komplett verheilten Händen die Rinde, doch ich spürte nicht mehr als vorher. Was hatte ich mir auch erwartet? Seufzend sah ich mich um. Hier gab es keine Hexen mehr, hier gar keine weiter entwickelten Rassen als die Jighg. Wenn es in den anderen Welten nicht noch mehr Freiheitsliebende wie Malan gab, war ich wohl die letzte Hexe von Asunquarth. Und selbst ich war keine wirkliche Hexe, denn ich hatte nie wirklich in dieser Kultur gelebt. Ich war ein Tade von Verur, von denen es sicher nicht mehr viele gab. Zu gerne wäre ich noch einmal zur Pyramide zurückgekehrt, aber die Xytan, wie die Rebellen, die ihr Lager in der Welt Hyujian hatten, sich selbst nannten, hatten damit Recht, dass es zu riskant war. Wenn die Magier des Rates noch immer da waren, würden sie mich töten und zumindest eines wusste ich jetzt: Sterben wollte ich nicht. Im Moment lebte ich in Hyujian, auch wenn ich nicht sicher war, ob ich mich dem Xytan wirklich anschließen wollte, wie Kyssan es getan hatte. Auch ihm ging es mittlerweile wieder besser, wenngleich er noch immer schwach war. Trotzdem wollte er gegen den Xytan helfen, da er ihnen ihr Leben verdankte und auch sie, wie wohl alle anderen auch die Seher brauchen konnten, um Dinge im Voraus zu wissen. Den zwei Sehern, die bereits zu ihnen gehörten, verdankte ich auch, dass sie rechtzeitig in Tiath waren, um die Gefangenen und auch mich vor der Hinrichtung zu retten. Außerdem sagte Kyssan, dass er lernen wollte, seine Fähigkeit zu kontrollieren, denn es war seinem Kontrollverlust zu verdanken, dass er beinahe gestorben war. Zumindest hatte man mir es so erklärt. Die Visionen waren auf ihn eingeströmt und hatten seinen Geist damit vollkommen überlastet. Deswegen war er ohnmächtig geworden – so sagten sie es mir auf jeden Fall. Ich verstand diese Dinge über die Seher und Visionen immer noch nicht. Genau so wenig verstand ich auch von den Dingen wie dem Schlüssel zur Zeit und diesem Meer, über das auch bei den Rebellen alle sprachen. Soweit ich das, was sie erzählten, verstanden hatte, kannten einige von ihnen den Schlüssel sogar. Doch ab ich all das glauben sollte, wusste ich nicht. „Ist alles in Ordnung?“, fragte Silar und trat hinter mich, doch ich nickte nur. Ich mochte das Mädchen, irgendwie, vielleicht auch nur, weil sie das erste Mädchen war, mit dem ich in meinem Leben Kontakt hatte. Selbst unter den unter Zwölfjährigen in Verur hatte es wenige gegeben und auch die, die es gab, sahen mich halt als einen Jungen. So sehr ich das Kloster auch vermisste, ich fühlte mich frei dadurch einfach das sein zu können, was ich war. Mittlerweile war auch mein Haar länger gewachsen und bedeckte filzig meinen Kopf. Auch wenn ich noch nicht wirklich wusste, was ich in Zukunft machen würde, fühlte ich mich mittlerweile besser. Zumindest wusste ich jetzt, dass ich mich wehren konnte und im Moment hatte ich zumindest ein paar Freunde – ja, es waren so etwas wie Freunde – um mich, so dass ich nicht ganz allein war. Trotzdem kamen nachts, wenn ich schlief, immer wieder die Bilder von der toten Malan und den Leichen in Verur, doch damit würde ich wohl erst einmal leben müssen. Ich hatte meine Zeit gebraucht um zu trauern, aber unter den Xytan waren genügend, die ähnliches oder schlimmeres erlebt hatten. Nicht zuletzt Kyssan, von dem ich mittlerweile auch endlich mehr wusste. Er war der einzige Sohn einer Magierfamilie hohen Ansehens der Sanbok gewesen und hatte, da er ein Seher war, keine magischen Fähigkeiten gehabt. Ich wusste nicht viel, über die Kultur, in der er gelebt hatte, doch es war offenbar ein sehr schlechtes Omen wenn Magier nichtmagische Kinder gebaren. Eigentlich war gebaren das falsche Wort, legten Sanbok als Reptilien doch Eier, aber es galt zumindest als Schlecht, wenn man ein nichtmagischer Kind von Magiern war. Deswegen hatte man ihn vertrieben, sogar versucht ihn zu töten, bevor Tänon ihn nach Verur gebracht hatte. Deshalb war es auch jetzt noch schwer sein Vertrauen zu gewinnen, doch eigentlich hatte er ein gutes Herz. Mir fiel es noch immer schwer mit ihm zu sprechen, da er oft misstrauisch war, doch ich wollte ihm ein Freund oder zumindest etwas ähnliches sein. Erneut seufzte ich und drehte mich zu Silar um. „Lass uns gehen“, murmelte ich. „Hier gibt es nichts.“ Dabei versuchte ich die Enttäuschung aus meiner Stimme zu vertreiben. „Es tut mir leid“, murmelte sie. „Du kannst doch nichts dafür“, erwiderte ich. „Ich habe mir wohl selbst falsche Hoffnungen gemacht.“ Daraufhin nickte sie nur, ehe sie sich zu konzentrieren begann, denn sie brauchte noch länger um ein Tor zu öffnen. Zumindest war es wohl für den Moment das Beste bei den Xytan zu bleiben, denn auch ich wollte ihnen helfen, damit der Rat nicht noch mehr Unschuldige tötete oder quälte. Und ich fühlte, dass ich es Malan und Miras irgendwie schuldig war. So wie es jetzt war, würde es nicht ewig weitergehen können. Irgendjemand würde etwas gegen den Rat tun müssen und ich wollte einfach nicht untätig dabei zusehen. Ich wollte nicht länger stillstehen und nichts tun. Einen letzten Blick warf ich auf den Wald, um uns herum, ehe ich durch das Portal nach Hyujian trat, den Ort, wo man bereits auf uns wartete. ENDE ___________________________________________________________________ So, damit hab ich die Geschichte endlich komplett hochgeladen :D Ich hoffe, sie hat euch gefallen (auch, wenn ich mir nicht sicher bin, ob außer noch jemand liest ^^" Relativ bald, wenn ich mein aktuelles Hauptprojekt Eikyû abgeschlossen habe, anfangen die Vorgeschichte des Krieges der Weltenwandler zu schreiben. Wer Interesse hat, kann gerne benachrichtig werden :D Danke für's Lesen! ^-^/ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)