Avatar Hills 90210 [M.i.B.] von Snufkin (Inhalt: OoC-ness (50%), Schnulz (35%), Smileys (10%), Spannung (3%), natürlicher „Avatar“-Gehalt (2%), angereichert mit Vitamin 08/15, kann Spuren von Logik enthalten.) ================================================================================ Epilog: Heute ist nicht alle Tage... ------------------------------------ M.i.B., siebter Stock, Raum 709. Um exakt 21:02 Uhr und 11 Sekunden machen Sissi und Colin Bekanntschaft mit einem Mann in einem Kakerlakenkostüm, der aus unerklärlichen Gründen an ihrer Decke hängt. „Hallo!“ grüßt sie der kostümierte Spinner von dort oben. „Ich dachte, ich schaue mal vorbei und sehe mir persönlich an, wie unser Neuzugang so zurecht kommt.“ Als Reaktion auf diesen überraschenden Auftritt weicht Colin quietschend in die am weitesten entfernte Ecke zurück und überlässt die Kommunikation mit diesem Ungeziefer Sissi, deren schlagfertige Antwort sogleich folgt: „Verpiss dich, du perverses Schwein!“ Sie schnappt sich eines der Gläser und wirft nach dem unerwünschten Besucher. Jedoch verfehlt sie ihn, da der kostümierte Kerl sehr flink darin ist unter Einsatz aller sechs Beine an der Decke umher zu krabbeln. „Ja, holla! Was für ein Temperament!“ lacht der Kakerlakenmann und wackelt energisch mit den Fühlern. Dann fällt sein Blick in die Ecke, wo das nervlich mehr als angeschlagene Häufchen namens Colin versucht sich zu verstecken und mit Angst erfüllten Augen zu dem Ungezieferimitat an die Decke blickt. „Na, wir kennen uns doch schon, junger Mann! Sie brauchen nun wirklich nicht so entsetzt zu schauen, ich beiße Sie bestimmt nicht! Zumindest nicht jetzt, ich habe nämlich meine Kieferzangen nicht angeschraubt.“ Noch während er über seinen eigenen Scherz lacht, greift sich Sissi das nächste Glas und landet einen glatten Volltreffer auf die schwarze Käferbrille. Der Mann fällt mit einem dumpfen Schlag auf den Boden hinter dem Sofa, wo er mit hoch gestreckten Beinen regungslos liegen bleibt. Nachdem sich Sissi auf das Sofa gekniet und über die Rückenlehne gespäht hat, um sich ihres Siegs über das Ungeziefer zu vergewissern, gibt sie Colin das Zeichen, dass alles in Ordnung ist. Just in diesem Moment kommt Elch aus dem Badezimmer und scheint überrascht, da er eigentlich die noch ausstehende Abreibung als Ursache für den Lärm vermutet hat. Da Colin aber noch körperlich unversehrt — wenn auch hyperventilierend — in der Ecke hockt und Sissi sich mehr für etwas hinter dem Sofa zu interessieren scheint, sieht er sich gezwungen nachzufragen. „Der Perverse, der Colin heute im Park traumatisiert hat, ist hier aufgetaucht“, antwortet Sissi schnaubend und greift sich ihren Taschenspiegel, um ihre Strähnen zu ordnen. „Er hing bis eben an der Decke, aber ich habe ihn da runter geholt. Was machen wir jetzt mit ihm? Schmeißen wir ihn aus dem Fenster?“ Elch antwortet nicht, und als Sissi und Colin ihn eine Weile verwundert ansehen, können sie verfolgen, wie dessen Gesichtsfarbe immer blasser und seine Augen immer größer werden. Schließlich fängt er sich und eilt um das Sofa herum, um sich zu vergewissern, dass da wirklich ein Mann in „Toter Käfer“-Pose liegt. „Du hast...?! Ist er...?! Oh fuck!“ Elch streicht sich mit beiden Händen übers Gesicht. „Warum musst du immer gleich zur Attacke übergehen, Sissi?! Hättest du nicht erstmal fragen können, wer er ist?!“ „Ist doch scheißegal, wer er ist!“ kontert Sissi und lässt ihren Spiegel laut zuschnappen. „Er ist ein Perverser, ein Spinner und...“ „Und unser Chef.“ unterbricht Elch ihre Aufzählung und lässt sich völlig erledigt auf das Sofa fallen. ABsolute Stille kriecht durch den Raum, wenn man vom Rattern in Sissis und Colins Kopf zu diesem Zeitpunkt absieht. „M-Mo-Mo-Moment mal!“ stottert Sissi nach der kurzen Denkpause und zupft an Elchs Ärmel. „D-Der Typ...ist der Chef dieses Ladens?!“ „Hast du vielleicht was an den Ohren? Hast du Mephisto vorhin nicht zugehört?“ Sissis planloses Blinzeln bejaht in gewisser Weise Elchs Frage und als er die Situation während der aufklärenden Unterhaltung mit Mephisto nochmal Revue passieren lässt, wird ihm auch klar, dass Sissi zu diesem Zeitpunkt dank einer Überdosis Yaoi-Endorphine im Koma gelegen hat. Auch Colin, der gerade panisch an seinem Inhalator saugt wie ein Fisch auf dem Trockenen, ist während des Gesprächs durch seine Homophobie außerstande gewesen mit irgendeinem Sinnesorgan diese entscheidende Information aufzunehmen. Man kann wohl ohne Zweifel sagen, dass sich der Zufall wieder einmal als Arschloch erwiesen hat, denn ausgerechnet derjenige, der über die Identität des kostümierten Spinners bescheid wusste, war zum entscheidenden Zeitpunkt auf der Toilette. Nun steht natürlich die Frage im Raum, wie man mit dieser Situation umgeht, denn zweifelsohne wird dieser Vorfall noch Konsequenzen nach sich ziehen. „Also schlimmer kann es sowieso nicht mehr werden“, seufzt Sissi schließlich und steht auf, um ein Fenster zu öffnen. „Also würde ich vorschlagen, wir schmeißen ihn jetzt aus dem Fenster und vernichten alle Beweise, die darauf hindeuten, dass er in diesem Raum gewesen ist.“ „Oh nein, das tun wir bestimmt nicht!“ protestiert Colin und erhebt sich endlich aus seiner Ecke. „Noch handelt es sich um reine Notwehr, und wenn wir alles erklären, kommen wir vermutlich nochmal so davon. Aber wenn wir ihn jetzt auch noch durch das Fenster beseitigen, wird man uns wegen Totschlags vor Gericht bringen!“ Er atmet einmal tief durch „Und ich muss dir wohl nicht erst erläutern in welchem Zustand die sanitären Anlagen im Gefängnis sind!“ „Darum ist es ja besser ihn rauszuwerfen, denn dann sieht es aus, als wäre er beim Klettern abgerutscht“, sagt Sissi und sieht aus dem Fenster in den Park hinunter, um sicher zu gehen, dass sich zu dieser späten Stunde dort niemand mehr aufhält. „Oder wie siehst du das, Elch?“ „Ich denke auch, dass es wohl am besten wäre das alles hier zu vertuschen.“ „Nein! Nein, nein, nein!“ protestiert Colin noch energischer und geht zum Kleiderständer neben der Eingangstür. „Wenn ihr das wirklich durchziehen wollt, dann ohne mich! Ich habe nichts gesehen und weiß von nichts!“ Gerade als Colin nach seinem Mantel greift, hält er inne und dreht sich nochmal zu Sissi um. „Eigentlich...ist das sowieso ganz allein deine Schuld, Sissi. Es hatte dich keiner darum gebeten, ihn zu erschlagen!“ „Ha?! Meine Schuld?!“ Sissi scheint gleichermaßen belustigt wie angepisst, als sie sich Colin mit einschüchternd stampfenden Schritten nähert. „Entschuldige, aber wenn du nicht so einen Anfall gekriegt hättest, hätte ich ihn auch nicht beworfen!“ „Also gibst du jetzt mir die Schuld?!“ erwidert Colin genauso wütend und Elch bekommt immer mehr das Gefühl hier einschreiten zu müssen. „Ich habe dir schon mal gesagt, dass du aufhören sollst dich als meine Beschützerin aufzuführen!“ „Ja, unter der Bedingung, dass du dich zusammenreißt! Und hast du dich zusammengerissen?! Nein!“ „Ok, jetzt beruhigen wir uns und hören auf die Bonusgeschichten zu spoilern!“ fährt Elch dazwischen. Er legt Sissi von hinten die Hände auf die Schultern und versucht sie zurück zum Sofa zu lotsen, ehe sie Colin noch anfällt. Die beiden setzen sich und nach einem tiefen Atemzug eröffnet Elch eine zivilisierte Diskussion. „Also zunächst einmal: Seid ihr überhaupt sicher, dass der Typ tot ist?“ „Glaubst du wirklich, dass ich mich diesem Ding auf mehr als fünf Meter nähere, um das festzustellen?“, fragt Colin und schaut stur zur Leinwand. Auch Sissi betrachtet lieber den SMD-Projektor an der Decke als zu antworten. „Guuut, dann werde ich eben selbst nachsehen.“ Elch steht auf und geht um das Sofa herum, muss jedoch erkennen, dass ihr Chef nicht mehr da liegt, wo er liegen sollte. Stattdessen erhascht Elch gerade noch einen Blick auf dessen gepanzertes Hinterteil, das durch das offene Fenster verschwindet. Mit einem entsetzten Aufschrei rast Elch zum Fenster, gefolgt von den andern beiden, die nach der Entdeckung der Chef-losen Stelle nicht weniger bestürzt sind. Als sich alle drei so weit aus dem Fenster beugen wie möglich, sehen sie den Kakerlakenmann an der Fassade hinunter krabbeln und in einer Hecke verschwinden. Nach und nach richten sich alle drei wieder auf und starren ins Leere. „Wir sind tot“, flüstert Colin tonlos und kauert sich neben dem Fenster in Embryohaltung zusammen. „Selbst wenn wir hier schleunigst verschwinden, unsere Sachen packen und das Land verlassen, die finden uns und dann muss ich den Rest meines Lebens verseuchte Gefängnistoiletten benutzen!“ „Entschuldige, aber falls du es noch nicht mitbekommen hast: Wir haben niemanden umgebracht, also kommen wir auch nicht in den Knast!“ erklärt Sissi genervt und zerrt Colin am Kragen zum Sofa, wo sie ihn in seiner kompakten Körperhaltung vom Boden hebt und auf die Polster setzt. „Und jetzt schluckst du gefälligst eine Beruhigungstablette und trinkst was, deine Anfälle können wir echt nicht gebrauchen.“ Unglücklicherweise ist Colins Glas ebenso wie das von Elch Sissis voriger Angriffswut zum Opfer gefallen und darum reicht sie Colin ihr eigenes. Der schaut sie über seine angezogenen Knie hinweg angeekelt an, doch als er die Aussage „Trink oder stirb“ in ihren Augen liest, nimmt er das Glas, zieht ein Gesicht wie beim Pflasterabreißen und spült mit dem Rest an Ginger Ale zwei Tabletten hinunter. „Wenn ihr dann mit dem Turteln fertig seid“, meldet sich Elch zu Wort und kassiert dafür Sissis giftigsten Blick, „dann können wir uns jetzt Gedanken machen, wie wir uns für den Beinah-Mord rechtfertigen. Ich denke mal, wir können davon ausgehen, dass der Chef alles von unserem Entsorgungsplan gehört hat, also hilft es nichts, wenn wir auf Notwehr beharren.“ „Wie wär’s, wenn wir uns einfach entschuldigen?“ fragt Sissi trocken und kratzt gelangweilt den gesplitterten Nagellack an ihrem rechten Daumennagel ab. „Entschuldigen?...Entschuldigen?! Du meinst wir tanzen mal eben in seinem Büro an und sagen ‚Sorry, dass wir Sie umbringen wollten’?!“ Elchs Tonfall schwankt stark zwischen belustigt und entrüstet, wobei letzteres auch auf Colins Blick zutrifft, der sich verbal allerdings lieber enthält. „Ist doch einen Versuch wert?“ fährt Sissi vollen Ernstes fort. „Außerdem ist der Spinner selbst schuld, er hat sich ja in unseren Raum eingeschlichen und uns ausspioniert. Na ja, nicht zu vergessen, dass er Colin traumatisiert hat, und das alles gleicht unser Versehen eigentlich wieder aus.“ „Da muss ich Sissi zustimmen“, sagt Colin kleinlaut und setzt einen Mitleid erregenden Blick auf, der einem nach Jahren seiner Leidensschilderungen nur zu bekannt ist. „Eigentlich hält sich alles, was bisher passiert ist, im Gleichgewicht.“ „Danke, dass du mir Recht gibst“, seufzt Sissi zufrieden. „Ich werde das bei deiner anstehenden Abreibung berücksichtigen...die jetzt fällig ist.“ Noch ehe Colin protestieren oder um Gnade flehen kann, hat Sissi ihren linken Zeigefinger angelutscht und Colin damit im Ohr gebohrt, was zu einer unmittelbaren Erstarrung führt und Colin zum zweiten Mal an diesem Tag in ein expressionistisches Kunstwerk verwandelt. „Sissi, ich bin etwas enttäuscht“, sagt Elch und betrachtet den versteinerten Colin. „Ein feuchter Flutschi ist bei dir eine Abreibung?“ „Relativ betrachtet schon. Für Colin ist fremder Speichel im Ohr schlimmer als konzentrierte Säure im Auge, und schlimmer als Schläge sowieso.“ „Hm. Ich nehm’s zurück, du bist ein Profi der opferorientierten Folter.“ "Oh, vielen Dank." Bevor Elch und Sissi noch mehr Nettigkeiten austauschen können, ertönt ein vertrautes „Plopp“ und neben dem Sofa erscheint Der Schrei, so bucklig und ausdruckslos wie immer. Im nächsten Moment nehmen seine Augen jedoch einen drohenden Ausdruck an. „So, jetzert hobters g’schafft, ihr Saubande! I soll oich zum Scheff hoch bring, ihr könnts oich ohf a greißlich Dunnerwetter g’fasst mach’n! Un’ wenn’s...“ Der Schrei unterbricht seine Standpauke, als er Colin in dessen erstarrter Schreckhaltung bemerkt. „Sag e moal...willste mi verorsche?!“ „Nein, der ist nur ohnmächtig“, erklärt Elch beschwichtigend und klopft Colin demonstrativ auf den Kopf, was einen dumpfen Klang erzeugt. „Der wacht so schnell nicht auf, also werden wohl nur Sissi und ich zum Chef gehen können.“ „Na, mensweche. Nu b’wegts ober oiern Oarsch, i will hoit och e moal widder hoam komm!“, meckert Der Schrei und deutet zur Tür. Elch und Sissi gehen an ihm vorbei und als alle drei auf dem Flur sind, schließt Sissi die Tür. Im straffen Marschtempo geht Der Schrei anschließend Richtung Fahrstuhl, gefolgt von den beiden MSTing-Agenten, die von dem plötzlichen Tempo ihres buckligen Kollegen mehr als überrascht sind. Doch dann wird Sissi bewusst, was jetzt eigentlich auf sie beide zukommt und sie bremst Elch etwas ab, damit Der Schrei außer Hörweite ist. „Elch, was sagen wir jetzt eigentlich?“ flüstert sie mit vorgehaltener Hand. „Du sagst am besten nichts, deine Kommunikationskünste haben uns diesen Mist erst eingebrockt“, antwortet Elch ebenso leise. „Wir hören erstmal, wie der Chef diesen Vorfall schildert und werden dann ruhig und sachlich argumentieren, warum er selbst mitschuldig ist, wenn er das nicht schon selbst eingesehen hat.“ Als sie vor dem Fahrstuhl stehen bleiben und nach einem Knopfdruck darauf warten, dass sich die Türen öffnen, kommt Elch der Gedanke, dass Der Schrei möglicherweise wegen der diversen Vorfälle am Nachmittag sauer auf sie sein könnte und sich ihnen gegenüber deshalb so unfreundlich verhält. „Hey, Schrei, du bist doch nicht immer noch beleidigt, weil wir an der Plastikbrille rumgemeckert haben, oder weil ich dein Wägelchen geklaut hab...oder?“ „Z’näckst emoal hoaß i net oanfach ‚Schrei’, sondern ‚DER Schrei’. Un’ für di hoaß i ‚HERR Der Schrei’, merk der des, Bua!“ fährt ihn Der Schrei über die Schulter an. „Ober wos dei mangelder Reschpeckt un oier Undankbarkoat ogeht, will i mi ma net weiter b’schwer, ihr seid’s net die erschte, die meine so mit mer umspringe z’ könne. Ihr seid’s nur die erschte, die scho am erschte Tag en Ohschiss vom Scheff kriege.“ Sissi und Elch fällt der schadenfrohe Ton sehr deutlich auf und beide fassen den Entschluss diesen Giftzwerg ab sofort nach Möglichkeit zu ignorieren. Schließlich öffnen sich die Fahrstuhltüren mit einem „Bing!“ und nachdem die drei hineingegangen sind, gibt Der Schrei die Anweisung auf den Knopf für den zehnten Stock zu drücken. „I hoff’ ihr hobt’s oiern Ohswoas ei’stecke, sonst kommt’s net bis zum Scheff.“ „Jaaa“, sagen Elch und Sissi gleichzeitig und versuchen möglichst genervt zu klingen. Der Fahrstuhl hält an und als sich die Türen öffnen, ertönt kein einfaches „Bing!“, sondern ein ganzes Streichorchester. Elch und Sissi bleiben vor Verblüffung im Fahrstuhl stehen und sehen sich nach dem Lautsprecher um, aus dem die Musik kommt, sie entdecken jedoch keinen. „Joa, Herrschoftszeit’n nochemoal! Seht’s zu, dasser da naus kommt, sonst hört des nimmer z’ dud’ln ohf!“, beschwert sich Der Schrei, der schon einige Schritte weit entfernt ist. Elch und Sissi verlassen den Fahrstuhl und nachdem sich die Türen geschlossen haben, herrscht Stille. Zumindest fast, es ist das Zirpen von Grillen zu hören. Erst jetzt bemerken Elch und Sissi, dass sie nicht wie erwartet in einer pompös eingerichteten Halle wie im siebten Stock stehen, sondern in einem relativ schmalen Gang, der mit dunklen Marmorfliesen ausgelegt ist. Hier befinden sich keine Fenster, stattdessen stehen zwei Meter hohe Glasvitrinen an den Wänden, ausgestattet mit gedämpfter Beleuchtung und exotischen Gewächsen. Beim Vorbeilaufen entdecken sie alle möglichen Arten von Insekten darin, die sie zu beobachten scheinen. „Ein Glück, dass Colin außer Gefecht ist“, murmelt Sissi und sieht misstrauisch von einer Seite zur andern. „Den hätten wir nie im Leben hier durch gebracht.“ Der Gang endet vor einem breiten Tor, neben dem eine Konsole mit Kartenschlitz und Tastatur angebracht ist. „So, da steckt’s oaner von oich san Ohswoas nei und gibt’s des Passwort oai, desser bekomme hoat. Pfüati!“ Erneut erklingt das ominöse „Plopp“ und Sissi und Elch stehen allein da. Seufzend nimmt Sissi ihren Ausweis zur Hand, steckt ihn in den Kartenschlitz und nachdem sie mit einem giftigen Blick Elch dazu gebracht hat wegzusehen, gibt sie ihr Passwort ein. Kaum drückt sie auf „Bestätigen“, öffnet sich das Tor mit einer ähnlich imponierenden Geräuschkulisse wie beim Fahrstuhl. Dahinter liegt kein Büro wie man es erwarten würde, sondern ein riesiger Wintergarten mit einer derart gigantischen Menge an Topfpflanzen, dass man die eigentliche Größe des Raumes nur schwer einschätzen kann. Sissi und Elch bahnen sich langsam einen Weg durch die Botanik, während sich hinter ihnen das Tor wieder schließt und die Musik verstummt. Schließlich gelangen sie zu einer Art Lichtung, auf der ein Schreibtisch mit cheftypischem, schwarzem Lederdrehstuhl und davor ein Couchtisch mit zwei samtbezogenen Ohrensesseln stehen. Sissi macht es sich gleich bequem, aber Elch geht um den Couchtisch herum und hält misstrauisch Ausschau nach einem mannsgroßen Insekt, das vermutlich jeden Moment zwischen den Pflanzenkübeln hervor gekrochen kommt. Entgegen seiner Vermutung erklingt jedoch wenige Sekunden später eine tiefe, gebieterische Stimme aus der Richtung des Schreibtischs, wo der Drehstuhl mit der Rückenlehne zu den beiden Gästen gerichtet ist. „Einen schönen guten Abend. Nehmen Sie doch bitte Platz, dieses Gespräch könnte etwas länger dauern.“ Elch tut wie ihm geheißen, Sissi dagegen, die ja bereits sitzt, rutscht etwas tiefer in die Polster und kaut nervös an ihren Fingernägeln. „Sie wissen, warum ich Sie habe rufen lassen?“ Elch, der seine Nervosität etwas besser verbergen kann, kratzt sich mit dem Zeigefinger an seiner Wange und räuspert sich, als er ruhig antwortet. „Nun ja, wir sind wohl wegen des Angriffs auf Sie herbestellt worden, Mr. Sung Ting.“ Sissi muss sich trotz ihrer Nervosität das Kichern verkneifen, denn sie hört den selbst erwählten Namen des Chefs ja zum ersten Mal. Mr. Sung Ting dagegen ist weniger nach Kichern zumute. „Sie und Ihre Kollegen wussten also, wer ich bin, und trotzdem haben Sie mich angegriffen?“ „Nein, nur ich wusste es. Die anderen hatten keine Ahnung.“ „Aber dennoch haben Sie beide den Entschluss gefasst meine vermeintliche Leiche aus dem Fenster zu werfen, auch nachdem Sie Ihre Kollegen aufgeklärt hatten! Ja, ich habe Ihr Gespräch mitverfolgt, von Anfang an.“ Plötzlich ändert sich sein Tonfall und man hört ein deutliches Schluchzen heraus. „So etwas hätte ich nicht von meinen Angestellten erwartet! Ich hatte Angst um mein Leben und bin so leise es ging zum Fenster gekrochen, um Ihrer Grausamkeit zu entkommen!“ „Ach, und wie nennen Sie das, was Sie Colin angetan haben?!“ mischt sich Sissi wütend ein und springt aus dem Sessel. „Er hat panische Angst vor Insekten und gestörten Menschen, das heißt Sie haben ihn mit ihrem Auftritt gleich doppelt traumatisiert, und das ganze nicht nur einmal, sondern vorhin noch ein zweites Mal!“ Elch versucht mit aller Kraft Sissi wieder auf ihren Platz zu verfrachten, Sissi rammt ihm aber ihren Ellbogen in die Magengegend und springt auf den Schreibtisch, greift nach der Lehne des Drehstuhls und reißt ihn herum. Zu ihrer und Elchs Überraschung ist der Stuhl jedoch leer, obwohl die Stimme eindeutig von dort kam. „Würden Sie sich bitte beruhigen und von meinem Schreibtisch runtergehen?“ fragt die plötzlich körperlose Stimme zaghaft. „Erst, wenn Sie Ihre feige Visage zeigen!“ brüllt Sissi durch den Raum und sieht sich nach dem Subjekt ihrer Wut um. „Ich würde ja aus meinem Versteck kommen, aber...“, erklärt Mr. Sung Tings Stimme ängstlich. „Nun ja, wie soll ich sagen...Sie sitzen darauf.“ Sissi blickt verständnislos nach unten. Dann klettert sie langsam wieder vom Schreibtisch herunter und fällt im nächsten Moment vor Schreck rückwärts auf den Couchtisch, als eine Luke im Schreibtisch aufspringt und Mr. Sung Tings Kopf, natürlich mit Fühlern und schwarzer Brille, dort herausragt. „Warum verstecken Sie sich in Ihrem Schreibtisch?“ fragt Elch keuchend und reibt sich den Bauch. „Fragen Sie ernsthaft, warum?“ quietscht Mr. Sung Ting aufgeregt und streckt seine Hand durch die Luke, um auf Sissi zu deuten. „Nach dem, was Ihre Kollegin gerade gemacht hat, fragen Sie ernsthaft, warum ich mich verstecke? Das war bereits das zweite Attentat auf mich für heute!“ Sissi, die immer noch auf dem Couchtisch liegt, schaut mit Unschuldsmiene von ihrem Chef zu Elch, der sie seinerseits mit einem Todesblick anstiert. „Toll, Sissi! Bis eben war es nur ein Missverständnis, aber jetzt hast du ihn ohne vernünftigen Grund angegriffen! Wie willst du das bitteschön ausbügeln, hä?!“ Sissi schaut der Verzweiflung nah zwischen Elch und dem immer noch bibbernden Chef hin und her. Schließlich springt sie auf, was den Chef vor Schreck wieder in seinem Loch verschwinden lässt, und wirft sich vor dem Schreibtisch auf den Boden. „Tut mir leid, dass ich Sie killen wollte!“ Einige Sekunden lang herrscht Stille, dann klatscht sich Elch die Hand ins Gesicht und lässt sich wortlos in seinen Sessel fallen. „...Wirklich?“ ertönt die verängstigte Stimme des Chefs aus dem Schreibtisch und seine Fühler tauchen langsam wieder durch die Luke auf. „Sie bereuen es und werden nicht mehr versuchen mich umzubringen? Versprechen Sie es?“ Elch traut seinen Ohren nicht und in seiner Fassungslosigkeit kann er außer unverständlichem Gestammel nichts von sich geben. Sissi schaut mit Tränen in den Augen zur Schreibtischkante hoch, von wo sie die schwarze Fliegenbrille genau fixiert. „Ich verspreche es“, schluchzt sie und senkt ihr Haupt in Demut. Mr. Sung Ting mustert sie noch eine Weile, dann springt er ähnlich einem Schachtelteufel aus seinem Loch und präsentiert dabei sein Bienenkostüm, das eines seiner Favoriten ist. „Wenn das so ist, sei diese ganze Angelegenheit vergeben und vergessen!“ ruft er feierlich und stellt sich in einer Heldenpose auf seinen Schreibtisch. „Von nun an wollen wir friedlich zusammenarbeiten und gemeinsam gegen das Böse kämpfen!“ Elchs Gesichtsausdruck hat inzwischen den Gipfel der Fassungslosigkeit erreicht und sein Augenlid zuckt bereits heftig. „Sie...werden uns nicht feuern oder anzeigen?“ „Nein. Wer seine Fehler einsieht, hat nichts zu befürchten!“ „Können wir...dann gehen?“, fragt Elch und erhebt sich kraftlos aus dem Sessel. „Oh. Natürlich, es ist ja schon sehr spät.“ Mr. Sung Ting steigt vom Schreibtisch herunter. „Ach, und bitte richten Sie Ihrem Kollegen meine Entschuldigung aus. Ich befürchte es würde ihn nur wieder erschrecken, wenn ich dafür persönlich erscheine.“ „Alles, nur lassen Sie uns gehen...“, keucht Elch und packt Sissi am Arm. „Wiedersehen!“ „Oh, einen kleinen Gefallen könnten Sie mir noch tun!“ hält Mr. Sung Ting sie auf und kramt in den Schubladen seines Schreibtisches, wo er schließlich ein Blatt Papier herausholt. „Wenn Sie so freundlich wären das hier einmal laut vorzulesen?“ Resignierend nimmt Elch den Zettel entgegen und überfliegt ihn kurz. Dann schaut er verständnislos zu Mr. Sung Ting, der ihn mit einem Nicken signalisiert es einfach vorzulesen. Elch schüttelt den Kopf und holt Luft, um diesen Mist möglichst in einem Atemzug hinter sich zu bringen. „An die treuen Kommentarschreiber, Favoritennehmer und Schwarzleser von ‚Avatar Hills 90210’: Man dankt für Ihr Interesse und Ihre Treue während der letzten Monate. Auch wenn durch menschliches und technisches Versagen nicht jeder Upload-Termin wahrgenommen werden konnte, so hofft man, dass Sie nicht umsonst mit Vorfreude jedem neuen Kapitel entgegen gefiebert haben und dieses Projekt Ihnen die ein oder andere Stunde versüßt hat. Falls Sie an einer Fortsetzung interessiert sind und Ihren Teil dazu beitragen wollen, werfen Sie bitte einen Blick in die Charakterübersicht. Es dankt recht herzlich Ihre Snufkin.“ Elch und Sissi starren auf den Zettel in der Hoffnung einen Sinn darin zu erkennen, doch nach wenigen Sekunden geben sie auf und Elch wirft das Stück Papier einfach auf den Boden. Anschließend verlassen sie ohne ein weiteres Wort den Raum und lassen ihren Chef alleine stehen, dem ihre Reaktion ein Rätsel ist. Sie gehen zurück zum Fahrstuhl, schenken der pompösen Melodie beim Öffnen der Türen keine Beachtung und fahren hinunter in den siebten Stock. In der Halle kommt ihnen Colin entgegen gerannt, der nach seinem Gesichtsausdruck zu urteilen schon mit dem Schlimmsten gerechnet hat. „Wo wart ihr denn?! Ich dachte ich bekomme einen Herzinfarkt, als ich wieder zu mir gekommen bin und niemand da war!“ Elch und Sissi sehen sich seufzend an, nehmen Colin in ihre Mitte und beginnen ihm erschöpft zu erklären, in was für einem Irrenhaus sie ab sofort arbeiten werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)