Schatten der Vergangenheit von Miruel ================================================================================ Kapitel 4: ----------- Glühend wie ein Ball flüssigen Gesteines stand die Sonne am Himmel. Ihre warmen Strahlen strichen sanft über sein Gesicht und ließen ihn für einen kurzen, seligen Moment all jene Sorgen vergessen, die seinen jungen Geist belasteten. Geblendet von der Helligkeit des Himmelskörpers schloss er die Augen, doch drang ihr Glühen selbst durch seine Augenlieder und tanzte vor ihm auf und ab im Takt des leisen Gesanges, der an seine spitzen Ohren drang. Vögel trällerten ihre heiteren Lieder. Insekten summten und zirpten. Weiches Gras kitzelte seine bloßen Unterarme. Seine Augen öffneten sich einen Spalt weit und er wandte seinen Blick zur Seite. Er lächelte leicht, als er die alterslose Frau sah. Ihr rotblondes Haar glänzte seidig im Schein der Sonne, wie golddurchwirktes Tuch. Ihre helle Haut schien wie aus reinstem Alabaster. Still hockte sie im saftigen Gras, vertieft in die Schönheit der Natur, die sie umgab. Sie flocht an einem Kranz aus bunten Blumen und sang dabei leise vor sich hin. Sein Herz wurde ihm leicht beim Klang der sanften Stimme und bei den so wohlbekannten Worten, die ihn an Tage erinnerten, da er mit geringeren Sorgen belastet war. Tief atmete er die frische Luft ein. Müdigkeit durchflutete ihn. Seine Augen fielen ihm zu und begleitet von leisem Gesang sank er in einen tiefen Schlummer. ……… Der Klang hektischer Schritte drang an seine Ohren. Rufe in einer fremden, rohen Sprache wurden laut. Der Gesang der Vögel und Insekten war verstummt. Kühler Wind strich über seine Haut und ließ ihn frösteln. Dann durchriss ein schmerzerfüllter Aufschrei die vermeintliche Stille. Er schnellte aus dem Schlaf, wie eine zu stark gespannte Bogensehne und blickte dorthin, von wo der Schrei erklungen war. Ihm war, als wollte sein Herz für einen Moment aussetzen. Seine Gedanken überschlugen sich. Zorn begann unvermittelt in ihm zu brodeln. Hass. Wut. Er sah, wie der zarte Körper zu Boden sank. Pfeile ragten aus ihrer Brust. Tränen begannen sich den Weg über seine Wangen zu bahnen. Nein, schoss es ihm durch den Kopf. Nein. Seine Augen wanderten zu den grobschlächtigen Wesen, die so plötzlich und unerwartet aus dem Hinterhalt angegriffen hatten. Feige und rückratlos. Blinde Wut durchströmte ihn und trübte seinen Blick und seine Vernunft. Er riss das lange Messer von seinem Gürtel und stürzte mit lautem Geheul, wie im Wahn, auf die Mörder zu. Diese wandten ihre hässlichen Visagen zu ihm. Lange Hauer entsprangen ihren großen Mäulern. Farbe war in ihr grünliches, kurzes, widerwärtig stinkendes Fell geschmiert. Ihre Augen glühten vor Tücke und Mordlust. Gutturale Laute entrangen ihren Kehlen. Es klang wie Hohn und Spott in seinen Ohren. Rote Wut verschleierte seinen Blick, als er den Trollen entgegen sprang. Ohne sich dessen bewusst zu sein, was er tat, ließ er die blanke Klinge nach dem Arm des Trolls, der ihm am nächsten stand, sausen. Trotz der groben Statur wich dieser behände zurück und blickte ihn an, doch Zorn füllte sein ganzes Denken aus. Unbändiger Zorn. Er hieb erneut zu – und diesmal fraß sich die Klinge durch Haut und Fleisch. Der Troll heulte auf. Seine Augen blitzten. Mit einem seiner langen Arme fegte er ihn von sich fort. Er schlug auf den Boden, doch war er ebenso schnell wieder auf den Beinen. Bogensehnen wurden gespannt. Er hörte es. Sein Blick wanderte über die Trolle. Es waren nicht viele. Eine handvoll bloß. Und ihre Waffen waren nicht mehr als Bögen und Beile. Doch er war ihnen gegenüber im Nachteil. Es stand Fünf gegen Einen. Er ahnte, dass er sterben würde. – Aber er würde so viele von ihnen mit sich in den Tod reißen, wie es ihm nur möglich wäre. Er würde ihnen zeigen, was es hieß sich mit einem Quel’dorei anzulegen! Sie sollten es bereuen. Sie sollten brennen! Noch ehe die Pfeile von den Sehnen geschnellt waren, hechtete er auf die Schützen zu. Nur noch eine Länge trennte sein Messer von der Kehle eines dieser Wilden. Doch der Troll wich nicht zurück. Er bleckte die Zähne, ließ Pfeil und Bogen fallen und sprang ihn an. Arme wie Schraubstöcke krallten sich an ihm fest. Scharfe Zähne bohrten sich in seine Schulter. Ein gellender Schmerzensschrei drang über seine Lippen. Er sah das wahnsinnige Funkeln in den Augen des Trolls. Er roch den widerlichen Gestank, den diese Kreatur verströmte. Erneut rannen ihm Tränen über die Wangen. Doch keine ob des Schmerzes, der ihn wie eine scharfe Woge durchflutete. Es waren Tränen des Zorns und der Verzweiflung. Sie werden dafür bluten. Sie werden brennen! , schoss es durch seinen Kopf. Verzweifelt wandte er sich, um aus dem festen Griff freizukommen, während sich die Fänge des Trolls immer tiefer in seine Schulter bohrten. Doch es war zwecklos. Das Bild vor seinen Augen begann zu verschwimmen und sich wieder zu festigen. Immer wieder. Der Schmerz trübte seine Sinne. Er sah sich schon selbst am Boden liegen – blutüberströmt und von Trollen zerrissen. Ein Gefühl, dass dies sein Ende sei breitete sich in ihm aus. Doch er war nicht bereit, sich geschlagen zu geben und das Ende ohne Gegenwehr zu erwarten. Er wollte nicht sterben - nicht ohne wenigstens einen der Wilden mit in den Tod gerissen zu haben! Seine Arme vermochte er kaum zu bewegen – und ebenso wenig die Klinge, die er immer noch fest in der Hand hielt. …Es gab nur eine Möglichkeit, die Aufmerksamkeit seines Gegners vielleicht für einen kurzen Moment zu trüben. Ohne es mehr lange zu überdenken grub er seine Zähne in den Arm des Trolls. Er wandte alle Kraft auf, die er zu sammeln vermochte - doch der Troll schien nicht einmal Notiz davon zu nehmen, dass seine Beute sich zu wehren begann. Zu dick schienen Fell und Haut, als dass die stumpfen Zähne des Elfen sie auch nur im Ansatz hätten durchdringen können. Doch die Zähne des Trolls gruben sich noch tiefer in seine Schulter. Keuchend schnappte er nach Luft. Ihm war übel vom Gestank der Trolle und dem Geruch seines eigenen warmen Blutes. Ein widerwärtiger Geschmack hatte sich auf seine Zunge gelegt und ließ ihn fast schon ersehnen, dass es endlich endete. Die Schmerzen, die ihn peinigten übertrafen alles, was er je an Qualen durchlitten hatte. Sie wisperten ihm zu. Murmelten, dass der Tod ein willkommenes Geschenk sei. Dass er lediglich aufgeben und warten musste, damit seine Pein ihr Ende fand. Doch dann streifte sein Blick sie. Sie, wie sie dort am Boden lag. Ihr helles Gewand besudelt von ihrem eigenen, hellen Blut. Die einst so gütigen blauen Augen nun vor Entsetzen aufgerissen. Der Zorn, den der Schmerz zu betäuben begonnen hatte, begann erneut aufzulodern. Die Trolle würden ihn töten und fressen. – Und dann würde auch sie als Mahl dieser Barbaren enden! Tränen stiegen in seine Augen. Mit einem letzten, verzweifelten Aufbäumen suchte er sich aus seiner Lage zu befreien. Er trat hilflos gegen den massigen Körper. Er versuchte sich dem Griff zu entwinden – doch je mehr er sich um Freiheit bemühte, umso stärker drückte der Troll zu. Eine Pranke des Wilden presste sich auf sein Gesicht – als wolle der Troll seinen Kopf mit der bloßen Hand zerquetschen. Panik stieg in ihm empor. Mit letzter, verzweifelter Hoffnung grub er seine Zähne in die Hand seines Widersachers. Seine Kiefer begannen schon zu schmerzen, als er Blut zu schmecken glaubte. Es war ein ekelhafter Geschmack – metallisch und süßlich zugleich - doch er ließ nicht nach seine Zähne in den Handballen des Trolls zu graben. Ein Grunzen erklang. Er sah, wie die gelblichen Augen des Trolls zu ihm herüber schielten. Der schmerzvolle, feste Biss der sich in seine Schulter gegraben hatte wurde schwächer, bis er schließlich ganz verebbte und auch der Griff, der ihn fesselte, ließ nach. Eine Mischung aus Wut und Erstaunen blitzte in den gelben Augen des Wilden. Diese Unaufmerksamkeit nutzte er. Sein rechter Arm entwand sich aus dem nun schwächeren Griff des Trolls. Er riss das Messer in seiner Hand hoch – und bohrte es wahllos in das Fleisch des Gegners. Ein Gurgeln erklang. Blut quoll aus der Wunde, die die scharfe, elfische Klinge gerissen hatte. Ruckartig löste sich der Griff seines Gegners. Die Augen des Trolls waren weit aufgerissen vor Erstaunen. Die plumpen Hände tasteten nach einem klaffenden Riss an der Kehle ihres Besitzers. Dann erschlaffte der grobschlächtige Leib vor ihm und schlug der Länge nach hin. Er selbst sank zu Boden. Die blutbefleckte Klinge entglitt seinem Griff. Blind vor Schmerz presste er seine Hand auf die Bisswunde an seiner Schulter. Sein Atem ging schwer und rasselnd. Er hörte das Pochen seines Herzens. Es klang dröhnend laut, ebenso das Rauschen des Blutes in seinen Adern. Schwärze begann sich in seinen Blick zu schleichen. Die Konturen seiner Umgebung verschwammen. Die Farben schienen ineinander zu verlaufen und formten bizarre Wesen und Formen. Wütendes Geheul wurde unter den übrigen Trollen laut. Der Klang von Bogensehnen, die gespannt wurden drang an seine Ohren. Er besaß kaum mehr die Kraft aufzublicken. Pfeile waren auf ihn gerichtet – er musste sie nicht einmal sehen, um dies zu wissen. Blut tropfte seinen Mundwinkel herab und benetzte das zarte, junge Gras. Er würde sterben…Er wusste es… Er erwartete den Klang zurückschnellender Bogensehnen und eine Welle von neuen Schmerzen, die ihn hinfort tragen sollten zu seinem Ende. Doch stattdessen vernahm er Rufe. Stimmen drangen zu ihm vor. Er blinzelte. Schlanke Schemen huschten auf die Trolle zu. Er konnte kaum etwas erkennen – der Schmerz verzerrte alles zu einem einzigen Strudel von Farben und Formen. Lärm erklang. Zornige Schreie, Gegröle, Ausrufe heller Stimmen. Er glaubte noch, zu erkennen, wie ein weiteres trollähnliches Etwas zu Boden ging… Dann sackte er zusammen und kühle Ohnmacht umfing ihn. ……… Ein dumpfes Pochen ließ ihn erwachen. Er spürte einen brennenden Schmerz, der sich von seiner Schulter her über den ganzen Körper auszubreiten schien. Wie Gift durchdrang die Pein seine Glieder und Gedanken. Das Geräusch vorsichtiger Schritte drang an seine Ohren. Jemand sagte etwas. Sorge klang in jeder Silbe mit – trotz das er nicht verstand, was gesagt wurde. Die Stimme kam ihm wohlbekannt vor, doch konnte er nicht sagen, wem sie zugehörig war. Eine weitere bekannte Stimme antwortete. Doch war die Antwort scharf und kühl. Schritte näherten sich ihm. Er zuckte zusammen, als sich eine Hand auf seine Stirn legte. Dann fühlte er sanfte Kühle. Wieder erklangen die Stimmen, doch er konnte ihnen nicht folgen. Zu leise waren sie, während ihm alles andere unerträglich laut vorkam. Die Hand wurde fortgezogen. Er blinzelte. Warmes, grelles Licht flutete ihm entgegen und ließ ihn die Hand vor die Augen heben. Sein Körper sträubte sich gegen die Bewegung. Es schmerzte und das leise Pochen hinter seiner Stirn wurde lauter und dröhnender. Das Rascheln von Stoff drang an seine Ohren. Schritte entfernten sich und verstummten, nur um erneut die Stimmen erklingen zu lassen. „Geh Aerandir! Du hast mit Sicherheit noch wichtigeres zu tun.“, vernahm er in der Zunge der Elfen. Es klang unterkühlt und forsch. Unwohlsein breitete sich in ihm aus. „Ich sollte bleiben…“, erwiderte die andere Stimme sorgenvoll. „Dies war keine Bitte!“ Schritte verklangen, als einer der Sprecher sich zu entfernen schien. Er wandte seinen Blick. Die vagen Umrisse, die er sah, begannen langsam Form anzunehmen. Er erkannte helle, ornamentgeschmückte Wände, fließende Stoffbahnen, die sich in einer lauen Brise leicht bewegten, und einen hohen Fensterbogen, durch den warmes Licht fiel. Dann erst sah er die hochgewachsene Gestalt, die sich ihm genähert hatte. Er sah in eisblaue Augen. Ihr Blick war kalt und ohne Mitgefühl. Und auch die Miene ihres Besitzers spiegelte weder dieses noch die leiseste Freude über sein Erwachen. Er senkte den Blick. Der Hass und die Verachtung, die aus den Augen des Elfen starrten ließen ihn innerlich zusammenfahren. „So kehrst du nun also zurück.“, meinte der Elf schlicht. Es war eine Feststellung; nichts weiter; und doch spürte er, dass es dem Sprecher lieber gewesen wäre, wäre anderes der Fall gewesen. Er erwiderte nichts. Aus dem Augenwinkel erblickte er, wie der Sprecher mit ausladender Geste auf ihn wies. „So kehrst du hierher zurück… Verwundet durch Trolle. Ohne Bewusstsein. Herangeschleppt von diesem Waldläuferpack!“ Die Stimme war nur mehr ein eisiges Zischen. „Und jene, die ich deiner Obhut anvertraute; im Glauben, ich hätte dich schon genug gelehrt, dass du aufmerksam und wachsam bist; ist tot! Niedergestreckt von Trollpfeilen, als sie arglos und unbewacht war!“ Er blickte auf und betrachtete den Quel’dorei. Die Züge des Elfen waren entstellt von Trauer und Wut. Die sonst schon so blasse Miene war nur mehr eine aschfahle Maske, gesäumt von weißblondem Haar. „Verzeiht mir.“, hörte er seine eigene Stimme. Sie klang leise und matt. Seine Hände krallten sich in das strahlend weiße Laken, das über ihn gebreitet war. Tränen begannen sich ihren Weg über seine Wangen zu suchen und den Stoff zu benetzen. „Verzeiht mir.“ Ein harter Schlag mit der flachen Hand traf sein Gesicht. Er biss die Zähne zusammen und starrte den Quel’dorei an. Die Augen des Elfen waren zu schmalen Schlitzen verengt. Nichts als Kälte starrte mehr aus ihnen. „Nein.“ Wie ein Beil durchschnitt seine Stimme die Luft. „Ich werde dir nicht verzeihen. Solange ich lebe, werde ich dich für dies hassen. Trolle mögen sie getötet haben – doch du warst es, der vernachlässigte, was ich ihm aufgetragen hatte. Du warst es, der keine Acht gab. Der sie der Gewalt der Wilden und dem Tode preisgab.“ Die eisigen Augen bohrten sich fest in die Seinen. „Du bist ihr Mörder – und dafür kann ich dir nicht verzeihen. Niemals!“ „Nein!“, drang es aus seiner Kehle. „Du hast ihren Tot zu verantworten. Es ist deine Schuld – ganz allein deine Schuld!“ „Nein.“ Er schüttelte den Kopf. Ungehemmt flossen die Tränen. „Nein.“ Nein…Nein… Er schrak auf. Stille umgab ihn. Der Raum den er gesehen hatte, die Helligkeit, der Elf - alles war verschwunden. Er blickte sich um. Nichts als Bäume, deren Schatten im fahlen Dämmerlicht miteinander zu verschmelzen schienen, füllten sein Blickfeld aus. Er fuhr sich über sein blasses Gesicht. Nur ein Traum, ging es ihm durch den Kopf. Nur ein Traum… Doch so real, als wäre es erst am gestrigen Tage geschehen… Immer noch hatte er das Bild des Elfen vor Augen. Wie er dagestanden und auf ihn herabgeblickt hatte. Die Miene verzerrt von Hass und Verachtung. Es ist deine Schuld… deine Schuld… Die Worte klangen in seinen Gedanken wieder – das Echo einer Vergangenheit, die er immer nur zu vergessen gesucht hatte. Er schüttelte den Kopf, als wolle er die Erinnerung verscheuchen, die ihn wie ein lästiges Insekt zu plagen begann. Seine Hände ballten sich zu Fäusten. Es lag lange zurück. Damals war er jung gewesen. Jung und töricht. Unerfahren. Doch dies machte seinen Fehler nicht weniger schrecklich. Es war geschehen – und niemand konnte mehr etwas ändern. Wollte man es auch von ganzem Herzen. Aber es war viel Zeit vergangen seit diesem Tage. Und er hatte sich geschworen, nie wieder dergleichen geschehen zu lassen. Er war nicht mehr schwach und der Narr, der er eins gewesen sein mochte. Seine Miene verzog sich zu einer Grimasse. Verzerrt von Schmerz und Trauer. Sein Können mochte sich gewandelt haben in all den Jahren. Die Erinnerung aber hatte die Zeit nicht verblassen lassen. Stechend scharf stand ihm alles noch immer vor Augen. Trolle… Seine Lippen waren nur mehr eine schmale, zusammengekniffene Linie. Trolle… Er spürte, wie sich seine Fingernägel in die Ballen seiner Hände gruben. Sie würden es bereuen! Sie würden alles bereuen, was sie ihm je angetan hatten. Was sie dem Volke der Quel’dorei je angetan hatten. Sie sollten brennen! Für jede ihrer Gräueltaten. Diese Barbaren, diese Wilden – wie oft hatte ihr Blut schon seine Klinge benetzt? Und doch hatte dies seinen Durst nach Rache nie gestillt. Rache… Er schloss die Augen. Sie hätte dies nicht gebilligt. Rache - Sie widersprach dem, was das Licht bedeutete. Und trotzdem war der Drang nach ihr stark in ihm. Er spürte, wie sich Tränen in seinen Augenwinkeln zu sammeln begangen. Sie hätte nicht gewollt, dass er den Idealen des Lichtes zuwider handelte – wie oft hatte er sich diese Worte anhören müssen? Hunderte Male? Tausende Male? Doch es gab so vieles, was sie nicht gewollt, nicht vorhergesehen hatte. Er blinzelte und sah zum Himmel auf. Das Dunkel der Nacht wich langsam, während sich vom Osten her der helle Schein des neuen Tages auszubreiten begann. Gleich was sich am Tag zuvor zugetragen haben mochte – der nächste Tag bracht an, als sei nichts geschehen. Gleich, ob Verluste und Leid zu beklagen waren – trotzdem ging das Leben unbarmherzig weiter. Gerade so, als sei alles egal. Als besäße nichts einen Wert. Wehmut befiel ihn. Stumm und wie erstarrt blickte er zu Boden. So viele starben durch die Wilden… Das Bild des getöteten Waldläufers tauchte vor seinen Augen auf. Jede Wunde schien aus seinen Erinnerungen hervorzustechen – obgleich er den Elfen nur für wenige Lidschläge gesehen hatte. Er musste eines schrecklichen Todes gestorben sein. So wie zu viele vor ihm ebenfalls ein derart grausames Ende gefunden haben mochten. In seinen Augen spiegelte sich blanker Hass, als er seinen Blick wieder dem mehr und mehr erhellenden Firmament zuwandte. Gleich, wie die Reise noch verlaufen mochte – sollten Trolle ihren Weg kreuzen, wäre das der letzte Fehler, den diese Wilden je begangen hätten. Seine Hand schloss sich fest um das Heft seines Schwertes. Dafür würde er sorgen! Ein lautloser Seufzer drang über ihre Lippen. Pergament raschelte, als Seiten umgeblättert wurden. Ihr Blick wanderte über die säuberlich geschriebenen Zeilen. Dicht an dicht drängte sich die Schrift. Einzig einige kleine Zeichnungen durchbrachen den flüssigen Strom der Buchstaben und das monoton anmutende Schriftbild. Vorsichtig strich sie mit ihren feinen Fingern über die alten Buchseiten. Das leise Knacken des Pergamentes drang an ihre Ohren. Sie schüttelte den Kopf und schlug das Buch zu. Mit einer knappen Geste ließ sie die magische Lichtkugel, die zuvor noch die Seiten erhellt hatte, erlöschen. Sie verflüchtigte sich zu nebligem Dunst, der sich rasch verteilte, bis nicht einmal mehr ein fahles Leuchten darauf hinwies, dass sie vor kurzem noch den Raum durchschwebt hatte. Die Arkanistin erhob sich langsam und schritt an den hohen Fensterbogen. Die feine Stoffbahn flatterte in einem leichten Windzug. Noch nur schwache Strahlen durchdrangen sie und ließen eine Vielzahl verzerrte Schatten auf Wänden, Boden und Decke tanzen. Sie streckte die Hand nach dem Stoff aus und schob ihn beiseite. Ihre Augen wurden schmal, als sie die Waldläufer erblickte. Sie standen am Rande des Platzes, die Blicke zur aufgehenden Sonne gerichtet, und schienen wie erstarrt. In einiger Entfernung erblickte sie eine schmale Rauchfahne, die sich zum Himmel empor schlängelte. Sie schnaubte verächtlich. In der Nacht noch hatte man den Leichnam des gefallenen Waldläufers fortgebracht und einen Scheiterhaufen errichtet um ihm zumindest eine angemessene Bestattung zuteil werden zu lassen. Nur wenig später waren grelle, rot glühende Flammen aufgestoben und hatten die Finsternis der Nacht erhellt. Wie es schien, war die letzte Glut noch immer nicht erloschen. Sie rümpfte die Nase. Wenigstens hatte der Wind den Gestank des verbrannten Fleisches nicht in ihre Richtung getragen. Ohne mehr einen Blick an die Waldläufer zu verschwenden wandte sie sich um und durchschritt den Raum. Trolle hatten dem Waldläufer getötet – und wahrscheinlich waren sie immer noch in den Wäldern. Auch wenn die Gefährten des Toten ihre Zahl wohl gemindert hatten. Doch zweifelsohne waren dort draußen noch genug dieser Wilden. Sie schnaubte leise. Was scherte es sie schon? Sollte einer dieser Barbaren ihren Weg kreuzen, so würde dies der letzte Fehler sein, den diese Kreaturen begonnen hatten. Ein dünnes, überheblich anmutendes Lächeln stahl sich auf ihre Züge. Dafür würde sie schon sorgen! Ruhigen Schrittes querte er den kleinen Platz. Die Sonne hatte sich bereits erhoben und ihr morgendliches Glühen tauchte die Wipfel der Bäume in goldenen Glanz. Doch er hatte keinen Blick für die Schönheit der Natur übrig. Seine Augen waren auf die dünne Rauchfahne gerichtet, die sich in verschlungenem Muster zu den Wolken empor schlängelte. Ein leichter Lufthauch ließ den Geruch verbrannten Holzes in seine Nase steigen. Doch ebenso den verbrannten Fleisches, auch wenn es kaum mehr als die Ahnung dessen war, was die Waldläufer wohl haben ertragen müssen, in den Stunden die sie vor dem Scheiterhaufen ihres gefallenen Kameraden gewacht hatten. Ein leiser Seufzer drang über seine Lippen. Er strich sich eine Strähne seines langen Haares aus dem Gesicht, während sein Blick zu den wenigen Waldläufern schweifte, die sich schon auf dem Platz eingefunden hatten. Es waren einige jener, die ebenso wie er diese Arkanistin zu begleiten hatten. Und ebenso wie er schienen auch sie bereit zum Aufbruch. Er schüttelte leicht den Kopf und wandte seinen Blick den Reittieren zu. Gesattelt und gezäumt standen Schreiter und Ross am Rande des Platzes. Die Vögel scharrten aufgeregt mit den Krallen über den steinernen Grund, warfen ihre langen Hälse zurück und krächzten Laut um ihren Unmut kundzutun. Leise doch zielstrebige Schritte ließen ihn aufhorchen. Die leisen Gespräche der Waldläufer ebbten zu Gemurmel ab. Mit vor der Brust verschränkten Armen blickte er in die Richtung des Neuankömmlings. Seine Mundwinkel zuckten leicht, als er die Arkanistin erblickte. Die übliche Arroganz zierte ihre viel zu blassen Züge, Überheblichkeit stach aus jedem ihrer Blicke hervor. „Sind wir bereit zum Aufbruch?“ Gelangweilt besah sie ihre Fingernägel, während sie den Anwesenden kaum den Hauch von Aufmerksamkeit schenkte. Einige knappe Blicke wurden zwischen den Waldläufern gewechselt. Dann trat der Weißhaarige vor, der ihnen tags zuvor im Wald begegnet war. „Ihr seid bereit, jedoch…“, setzte er zu sprechen an. Doch eine unwirsche Geste seitens der Elfe ließ ihn verstummen. „Dann brechen wir auf!“, entschied sie schroff. „Euren unnützen Rat könnt Ihr für Euch behalten – ich habe Euch nicht um Einmischung gebeten.“ Sie rümpfte die Nase und trat an dem Elfen vorbei. Mit erhobenem Haupt schritt sie über den Platz und warf jedem, den sie passierte, einen ungehaltenen Blick zu. Als sie an ihm vorbei kam, verharrte sie kurz. Nichts als Abneigung beherrschte ihre Miene, als sie den Blonden besah. Ihre Stimme senkte sich zu einem leisen Wispern. „Und wagt es ja nicht erneut, meine Autorität in Frage zu stellen!“ Die Augen des Paladins verengten sich. „Ich werde es bedenken, sollte sich erneut eine Gelegenheit dazu ergeben.“ Die Lippen der Arkanistin verzogen sich zu einer schmalen Linie. Ohne mehr ein Wort an den Blonden zu verschwenden, straffte sie die Schultern und stolzierte an ihm vorbei auf die Schreiter zu. Mit kaltem Blick sah er ihr nach. Dieses arrogante Weibsstück würde irgendwann noch an ihrem eigenen Verhalten zugrunde gehen! Wie aus dem Nichts legte sich eine Hand auf seine Schulter. Rasch wandte er sich um. Der Weißhaarige blickte ihn mit unbewegter Miene an. „Was wollt Ihr?“ „Euch lediglich warnen.“ Der Blick des Waldläufers glitt zur Arkanistin hinüber. „Wenn sie schon keinen Rat annehmen will.“ Der Paladin hob eine Braue. „Warnen?“ „Oder Rat geben – sollte Euch dies besser passen.“ Die hellen Augen des Weißhaarigen waren nun fest auf den Blonden gerichtet. „Gebt Acht – gleich wie sicher es Euch auch scheinen mag. Etwas treibt sein Unwesen in diesen Wäldern. Etwas, das weitaus mehr ist, als nur einige unkoordinierte Trolle.“ Er machte eine knappe Pause, in der sein Blick zu den kläglichen Resten des Holzstoßes glitt, der in der Nacht noch lichterloh gebrannt hatte. „Jene Waldläufer, die ebenso wie Ihr diese Arkanistin begleiten, wissen bereits, was sie erwarten könnte…Doch ich hielt es für angebracht Euch ebenfalls zu informieren – damit Ihr nicht unvorbereitet und unvorsichtig seid.“, fuhr der Waldläufer fort ohne das seine Stimme eine Regung verriet. Der Angesprochene nickte knapp. „Ich werde mit Sicherheit nicht blind und taub sein auf dieser …Reise.“, entgegnete er forsch. „Euer Rat ist überflüssig.“ Mit diesen Worten wandte er sich um und trat zu seinem Ross. Das Pferd schnaubte nervös, als er sich in den Sattel des Tieres schwang. Doch er beachtete es nicht. Zu vieles ging durch seine Gedanken, als das derartiges ihn gekümmert hätte. – So vieles, dass nicht einmal die warnenden Worte des Waldläufers sein Gehör gefunden hatten. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)