Via Inquisitoris von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 9: In der Provinz Oaxaca: der erste Tag ----------------------------------------------- Eine Anfängerin undercover? Lady Sarah steht allerdings unter hohem Druck. Ein bisschen Glück würde sicher nicht schaden... 9. In der Provinz Oaxaca: der erste Tag Sarah trat vor die Höhle und blickte nachdenklich in die Nacht. Sie wollte nicht länger als notwenig den Rückzugsraum des Meistervampirs stören. Dieser kam nach einigen beruhigenden Worten für Louisa zu ihr: „Haben Sie Ihre Entscheidung getroffen, Kadash?“ „Ja. Ich werde unter einem Vorwand zu dieser Hacienda gehen. Dort liegt die Antwort.“ „Einfach so?“ Sie konnte den Unterton nicht deuten, erwiderte aber ehrlich: „Ich bin mir bewusst, dass ich die Pistole nicht mitnehmen kann, um nicht aufzufallen, ehe ich weiß, was dort geschieht. Aber ich habe die Silberkugeln um den Hals. – Überdies bin ich auch gegen Gebissene und einen Vampir nicht ganz hilflos.“ Sie gab sich ruhiger, als sie sich fühlte. Immerhin hatte sie nie zuvor eine derartige Aufgabe gelöst – geschweige denn, dafür eine Ausbildung erhalten. „Perdon, Kadash. Das wollte ich damit nicht unterstellen. Aber dennoch, welchen Vorwand wollen Sie benutzen? Es wäre möglich, dass der….unwürdige Vampir seine Gebissenen auf die Menschen hetzt und so weitere erschafft. Deren schiere Anzahl könnte dann ein Problem darstellen, selbst für jemanden mit ungewöhnlichen Fähigkeiten.“ „Ich bin LADY Sarah.“ Sie lächelte etwas: „Die meisten verbinden mit diesem Titel auch Reichtum. Wenn dieser „Meister“ hinter dem Geld junger Frauen her ist, könnte ich ein potentielles Opfer sein.“ Maestro Cacau neigte ein wenig den Kopf: „In der Tat. Aber ein Vampir erkennt in der Regel einen anderen - obwohl ich mir fast sicher bin, dass Sie nicht sehr auffallend wirken, zumindest auf jüngere als mich.“ „Ich kann es außerdem beeinflussen.“ Mehr wollte sie über ihre ungewöhnlichen Fähigkeiten nicht preisgeben. Immerhin hatte ihr das schon Ärger mit dem Hohen Rat eingetragen. Wer wusste, wie Meister Cacau darauf reagieren würde. „Gibt es hier in der Gegend öfter englische Touristen?“ „Eigentlich weniger. Ich zog mich hier in die Einsamkeit zurück. Nur dort drüben….“ Er deutete auf einen entfernteren Berg: „Führt eine Strasse entlang. Meist fahren dort Wagen von Einheimischen, diese großen, für den Transport von Ernten. Aber manchmal reiten dort auch Fremde. Sie nennen es Trail.“ „Zu Pferd durch die Einsamkeit Mexikos?“ Und da er den Kopf wiegte, es sich offenbar nicht vorstellen konnte oder wollte: „Eine Frage hätte ich, Maestro Cacau: diese alte Religion, von der der „Meister“ spricht: ich weiß, dass bei den Azteken und Maya und wohl auch anderen Menschenopfer stattfanden. Spielte Blut wirklich eine solch große Rolle?“ „Ja. Blut war die Nahrung der Götter. Es gab Unterschiede in den Völkern, aber gemeinsam war der Glaube, dass die Götter ohne Nahrung zu schwach würden. Ohne Opfer kein neuer Tag, das Ende der Welt. - Es gab sogar Zeiten, in denen selbst die Opfer glaubten, mit ihrem Tod die Welt zu retten und so selbst zu einem Gott zu werden und der durchaus schrecklichen Unterwelt zu entkommen.“ Was nicht unbedingt bedeutete, dass es sich bei dem „Meister“ um einen Vampir handelte. Und dennoch – wie hing das alles zusammen? Sie sah erneut in die Nacht: „Wie weit ist diese Hacienda entfernt?“ „Erkennen Sie drüben diese drei kleinen Bergspitzen? Wenn Sie rechts davon an dem großen Säulenkaktus vorbeiblicken, liegt dort ein kleines Tal. Darin. Zu Fuß benötigt ein Mensch sicher sechs Stunden.“ Sie würde weniger brauchen: „Dann warte ich auf den Sonnenaufgang.“ „Sie machen mich neugierig.“ Denn in der Regel bedeutete ein Wüstenspaziergang im hellen Sonnenlicht auch und gerade für einen Vampir die Gefahr eines Sonnenbrandes oder gar Hitzschlags. „Oh, ich verstehe. Sie wollen dann um Hilfe bitten? Vorgeblich als Mensch, der sich in der Wüste verlaufen hat?“ „Ja. Und die leichten Verbrennungen werden meine Behauptung unterstützen.“ „Sie gehen sehr umsichtig vor, Kadash.“ Das Lob eines so alten Vampirs war natürlich schmeichelhaft und so lächelte Sarah mehr als erfreut: „Danke. – Was haben Sie mit Louisa vor?“ „Sie wird noch ein, zwei Tage benötigen, um den Blutverlust überwunden zu haben. Ich nehme jedoch keine Schüler mehr auf.“ Und das bedeutete, er würde sie laufen lassen, ohne ihr zu zeigen, dass sie Gast eines Vampirs gewesen war. Zurückfinden würde sie sowieso nicht mehr. „Natürlich.“ Schließlich hatte er sich zurückgezogen. Sie nahm ihre Reisetasche auf, die sie zuvor vor der Höhle abgelegt hatte: „Darf ich Ihnen dies einstweilen anvertrauen?“ Sie reichte ihm die Pistole. „Es besteht die Möglichkeit, dass sie mich mehr oder weniger unauffällig überprüfen. Eine derartige Waffe könnte den unwürdigen Vampir aufschrecken.“ Die Tasche würde sie sowieso hier zurücklassen, aber es mochte nötig sein, dass Meister Cacau ihr die Pistole brachte. „Ja.“ Er nahm sie: „Ich muss zugeben, dass ich mich an diese…Dinge nie gewöhnen konnte. Ein Messer, ja. Aber Waffen, die aus Distanz töten…Verzeihen Sie, Kadash. Ich wollte Sie nicht beleidigen. Ich bin mir darüber im Klaren, wie bedauerlich notwendig diese Tätigkeit immer wieder ist. So selten es auch vorkommt.“ Sarah wollte ihm fast schon sagen, dass das für sie der zweite Fall in weniger als zwei Wochen war, als sie stutzte. Es stimmte. Jeder wusste, dass der Inquisitor eine Notwendigkeit war, aber jeder, auch die mächtigen Vampire des Hohen Rates, erwähnten, dass es sehr selten vorkomme. Warum dann gleich zweimal in so kurzer Zeit? Reiner Zufall? Oder war das hier eine Prüfung für sie? Immerhin hatte Cacau gesagt, dass er mit dem bisherigen Kadash befreundet wäre. Dann sollte sie sich wirklich nicht blamieren oder als Anfängerin darstellen. „Ich hoffe, dass es bereits morgen Abend vorbei ist.“ Der alte Vampir nickte nur. „Ich…wie kann ich Ihnen Nachricht senden, falls ich die Pistole gegen Gebissene benötige?“ „Wenn Sie die Kette aus Silber auf ein Fensterbrett legen oder durch einen Fensterladen schieben, werde ich davon wissen.“ Sie war erstaunt, aber sie wagte nicht, einen solchen Meistervampir nach seinen Fähigkeiten zu befragen. Als Sarah in das Tal der Hacienda einbog, war sie nicht überrascht, vor sich eine hell leuchtende, weiße Mauer zu entdecken, die das Landgut abschirmte. Schon allein, um die Gärten oder Felder vor dem Wind und dem Sand zu schützen, war dies notwendig. Sie rieb sich ein wenig über das Gesicht. Die Haut spannte und sie war sicher, dass sie rot geworden war. Sie war solch eine intensive Sonneneinstrahlung nicht gewohnt, zumal in der Mittagshitze. Allerdings würde das bedeuten, dass auch die Menschen Siesta halten würden, zumindest nicht alle arbeiten würden. Sie hoffte so, den Ersten, der ihr begegnete, beeinflussen zu können, zumal die Gebissenen mit Sicherheit nicht in der Sonne erscheinen würden. Durch das offene Tor konnte sie auf der gegenüberliegenden Seite des Hofes das weiße Herrenhaus erkennen. Davor waren unter der Veranda Tische und Bänke aufgestellt. Links vom Eingang begannen wohl die Gärten, während rechts ein anderes Haus war, eine Stallung oder die Gebäude, in denen die Menschen schliefen. Sie warf unwillkürlich noch einen Blick zurück auf den Berg, wo die Strasse lief, als sie durch das offene Tor der Hacienda ging: „Hallo?“ Jetzt gab es kein Zurück mehr – aber das hatte es für sie auch nie gegeben. Versagte sie, enttäuschte sie den Hohen Rat….Nein. Daran wollte sie, durfte sie nicht denken. Eine junge Frau in dem gleichen weißen Gewand, wie es Louisa Mendez getragen hatte, legte ihr Tuch weg, mit dem sie die Tische geputzt hatte und kam über den Hof heran: „Äh…Buenos diaz?“ „Haben Sie ein Telefon?“ „Sie sprechen englisch?“ Die dunkelhaarige Frau wechselte sofort die Sprache – wohl auch eine Amerikanerin: „Was ist passiert? Sie sehen müde aus…?“ „Mein...mein Pferd ist durchgegangen und hat mich dann irgendwo abgeworfen…Mein Name ist Lady Sarah. Lady Sarah Buxton.“ Sie bemühte sich, auf die Menschenfrau freundlich zu wirken, ihr Vertrauen zu gewinnen, etwas, das gewöhnlich keinem Vampir schwer fiel. „Oh, eine Engländerin? Ich bin Monica. Ein Telefon...ja, das gibt es, allerdings dort im Haupthaus und da dürfen wir ohne Erlaubnis des Meisters nicht hin. Aber kommen Sie. Sie sehen müde aus, haben wohl auch einen Sonnenbrand. Hier. Ich bringe Sie in mein Zimmer und besorge Ihnen Wasser. Dann sage ich Don Fernando Bescheid.“ „Das...das ist der Besitzer dieser Hacienda?“ „Nein. Das ist der Meister. Don Fernando ist für die Sicherheit hier zuständig. Und er kümmert sich auch um alles…Weltliche. Der Meister lebt nur für die Religion.“ Sarah ließ sich führen. Bei Monica erkannte sie das, was sie auch schon bei Louisa, wenn auch deutlich schwächer vernommen hatte: wenn die Frauen “Meister“ sagten, klang das fast wie eine Fanfare. Der Mann schien zu wissen, wie man Leute beeinflussen konnte. Don Fernando...hm. Nun, er war auf ihrer Liste eines möglichen Vampirs und so ließ sie sich in einem kleinen Zimmer ein Bett schieben, mit einem Laken zudecken, feuchte Tücher über die Augen legen. Zum einen war es wirklich angenehm nach der Wüstenwanderung und zum zweiten würde sie so schwächer erscheinen. Überdies musste sie sich konzentrieren, um einem womöglich Abtrünnigen ihres Volkes nicht zu zeigen, wer und was sie war. Jeder Vampir erkannte die Ausstrahlung eines anderen Jägers – auch, wenn sie selbst diese unterdrücken konnte. Das war keine alltägliche Fähigkeit. „Hier, Wasser, Sarah.“ Während sie trank, fuhr Monica fort: „Waren Sie denn ganz allein unterwegs? Zu Pferd?“ „Ja, mein…mein Vater schenkte mir diese Reise…Ich wollte doch nur nach Oaxaca.“ Hoffentlich würde die Menschenfrau das weitergeben. Sie wollte doch als reiches, etwas dummes Mädchen durchgehen, in der Hoffnung, dass der Meister oder der Vampir an ihr interessiert wären. „Das war recht leichtsinnig. – Geht es Ihnen besser? Ich gehe dann zu Don Fernando.“ „Ja, danke. Ich...ich möchte ja nur telefonieren.“ „Ich sage es ihm.“ Sarah blieb ruhig liegen, auch, als sie hörte, dass jemand den kleinen Raum betrat und spürte, dass es sich um einen Vampir handeln musste. „Ich bin ein Mensch“, dachte sie und versuchte dies auszustrahlen. Sie wusste, dass sie andere ihres Volkes beeinflussen konnte und hoffte, dass dies auch hier der Fall sei. „Ich bin nur ein Mensch, dazu erschöpft und ein wenig ängstlich. Nur ein Mensch.“ „Buenos diaz, Lady Sarah“, sagte ein Mann in stark akzentuiertem Englisch: „Mein Name ist Fernando, Don Fernando. Monica sagte, Sie hatten einen Unfall?“ „Äh…ja…mit meinem Pferd…“ Sie nahm das feuchte Tuch von den Augen und setzte sich auf, bemüht, noch erschöpft zu wirken: „Ich...darf ich telefonieren?“ Der dunkelhaarige Mann mit fast schwarzen Augen schien um die Dreißig zu sein, aber das war natürlich nur das Alter, in dem er verwandelt worden war. „Natürlich, heute Abend, wenn der Meister erscheint. Im Moment sollten Sie sich ausruhen. Sie sehen aus, als ob Sie stundenlang durch die Gegend gelaufen sind.“ „Ja..“ Sie wusste ja selbst, dass ihr Gesicht rot von der Sonne war. „Der Meister?“ „Dies hier ist die Hacienda einer religiösen Gruppe. Unsere Menschen...Mitglieder pflegen Nächstenliebe, wie Sie natürlich bemerkt haben.“ Unsere Menschen…Ein dezenter Versprecher, dachte sie unwillkürlich. „Ja, ich bin…Monica, heißt sie? ...auch dankbar. Ihnen natürlich auch, Don Fernando.“ Er musterte sie forschend: „Sie sind allein unterwegs?“ „Ja. Ich weiß, dass das dumm war…nun, jetzt weiß ich es. Aber ich reite schon so lange, auch Jagden, und irgendwie….“ Was sollte sie noch sagen, erklären, um ihre Tarnung aufrecht zu erhalten? Sie wusste, dass sie nervös war, aber das war in diesem Fall wohl auch gut so, würde ihre Glaubwürdigkeit stärken. „Interessante Kette haben Sie.“ Sie fasste an die Silberkugeln, die sie an einer Angelschnur aufgereiht hatte: „Äh, ja, das sind silberne Perlen.“ „Haben Sie diese Kette schon länger?“ „Nein.“ Sie erlaubte es sich, Irritation zu zeigen: „Das ist nur Modeschmuck….Nichts Kostbares…“ „Nun, reines Silber.“ „Äh...ja?“ Verdammt, dachte sie sehr undamenhaft. Sie hatte vergessen, dass jeder Vampir Silber erkannte – schließlich war es lästig, brannte ein wenig auf der Haut der meisten. Darum trug sie es ja auch über dem Shirt. „Möglich.“ Sie fasste an sie: „Aber dafür war sie dann billig. Kennen Sie sich mit Schmuck aus?“ „Nein. Nur zufällig mit Silber.“ Don Fernando betrachtete sie: „Nun gut, ruhen Sie sich aus. Ich werde mit dem Meister über Sie sprechen. Wie gesagt, dies ist eine religiöse Gemeinschaft. Und wenn der Meister Sie hier nicht will, muss ich Sie bitten, zu gehen.“ „Ja, schon klar. Ich möchte ja nur telefonieren….“ Ein Mann wie ein Rasiermesser, dachte sie plötzlich. Donna Inanna hatte diesen Ausdruck einmal verwendet, aber sie wusste nicht mehr, über wen sie das gesagt hatte. Eines war klar: die Menschen würden diesen Don Fernando sicher fürchten. Und so ließ sie ihren Kopf sinken: „Ich wollte nicht fromme Menschen stören...“ „Ihr Pferd ist weggelaufen?“ „Ja. Ich…es warf mich ab und ich…ich wurde wohl bewusstlos. Ich weiß nicht, wohin es ist.“ „Wo haben Sie es denn gemietet?“ „Bei einer Juanita Bajez in Mexiko City, “ erwiderte Sarah prompt. „So lange waren Sie schon allein unterwegs? Dann ist es erstaunlich, dass Ihnen erst hier ein Unfall zustieß. Sie müssen eine gute Reiterin sein. Oh, Sie erwähnten ja etwas von Jagd.“ „Ja.“ „Engländer jagen Füchse.“ „Ja. Deswegen…“ „Gut. Ich lasse Sie dann allein. Entweder der Meister weist mich an, Sie wegzuschicken, oder er erlaubt Ihnen zu telefonieren oder er möchte sich mit Ihnen unterhalten.“ Er ging ohne weiteres Wort und Sarah erlaubte sich ein Aufatmen. Hoffentlich hatte er ihr die Geschichte abgekauft. Er war misstrauisch. Und er war ein Vampir. Hatte er die Gebissenen erschaffen? Oder doch der Meister? Gab es hier zwei Vampire? Aber was sollte das alles? Eigentlich gab es nur eine Möglichkeit. Don Fernando hatte gesagt, er werde mit dem Meister über sie sprechen. Und der Meister befand sich im Haupthaus. Sie musste diesem Gespräch zuhören. Nur – wie? Vor den Gebissenen war sie in der Sonne sicher, aber auch Menschen, wohlmeinend oder nicht, konnten ihr Schwierigkeiten bereiten. Langsam stand sie auf und rief sich das in Erinnerung, was sie von der Hacienda hatte sehen können. Nahe am Tor war der Garten mit Gemüse. Monica hatte die Tische geputzt, würde damit aber sicher fertig sein. Wo war sie nun? Rechts neben dem Portal an der Mauer befanden sich die Räume der anderen Menschen. In einem davon war sie in diesem Moment selbst. Das Haupthaus stand dem Tor gegenüber… Die Mauer. Wenn man dort oben langgehen könnte? Dann müsste sie zwar aufpassen, von unten nicht gesehen zu werden, aber einen Versuch war es doch wert. Sie erhob sich und ging zur Tür. Alles schien ruhig. Die anderen Menschen schliefen wohl. Sie konnte sie als Beute wahrnehmen. Aber das war hier weniger von Interesse. So trat sie lautlos auf die Veranda und sah sich eilig um. Wo war Don Fernando, wo Monica? Sie erkannte das weiße Gewand der freundlichen Frau im Garten und konnte den Vampir spüren – im Haupthaus. Er war tatsächlich sofort zum Berichten gegangen. Wer war der Meister, dass er ein Mitglied ihres Volkes derart kontrollieren konnte? Ein Stück entfernt entdeckte sie Stufen, die auf die Mauer führten. Also konnte man dort oben gehen, patrouillieren, wie sie es erhofft hatte. Eilig huschte sie empor, bemüht, jede geistige Regung um sich wahrzunehmen. Oben duckte sie sich hinter den Schutzwall, ehe sie weiterlief. Hoffentlich konnte sie wirklich zuhören, hoffentlich entdeckte sie niemand, hoffentlich versiebte sie ihren Auftrag nicht. War er ein echter Auftrag oder doch nur eine Prüfung? Immerhin war Meister Cacau mit dem ehemaligen Kadash befreundet gewesen – und ihr war schon einiges an diesem Auftrag eigenartig vorgekommen. In jedem Fall durfte sie nicht versagen. Die Fensterläden des Haupthauses waren geschlossen und sie konnte nichts erkennen. Das einzige Hilfsmittel, das sie besaß, war das Gefühl der Gegenwart des anderen Vampirs, den sie dort wahrnehmen konnte. Sie blieb auf der Mauer, in Deckung, kauern und versuchte zu hören, zu erkennen, wo Don Fernando war. Stimmen. Leider konnte sie nichts verstehen. Aber sich ohne Sichtschutz vorzubeugen wäre womöglich auch fatal. Was sollte sie nur tun? Da bemerkte sie, dass sich die Stimmen näherten. „…du ihr?“ fragte jemand. „Sie war in der Wüste“, erklärte Don Fernando. „Und ich nehme an, dass kein Bundesagent mit einer derart haarsträubend dünnen Story hier herkommen würde.“ Er hatte in ihr keinen Vampir, schon gar nicht den Kadash vermutet, wurde Sarah klar, sondern eine US-Polizistin, oder auch eine mexikanische. „Lady Sarah….wohl vermögend?“ „Sie sagte, sie reite auf Jagden und ihr Vater habe ihr diese Reise geschenkt…“ „Hm. Ich werde mich mit ihr unterhalten, nett wie ich bin.“ „Und wieder neues Geld in die Kasse bringen.“ „Natürlich. So lautet doch die Anweisung, mein Lieber, nicht wahr? Geld für mich, Blut für dich.“ Der Meister klang ein wenig spöttisch, wurde aber ernst: „Was mich daran erinnert: durch die Tatsache, dass du die sechs Wachen umgewandelt hast, brauchen wir nun mehr Blut als vorgesehen war. Das war töricht.“ „Ich brauche die sechs. Du hast immerhin sechsundzwanzig Menschen...nun, fünfundzwanzig, das schaffen selbst sechs Gebissene nur mit Mühe, sie alle zu töten.“ Trotz der sachlichen Aussage schwang Unmut in der Stimme des Vampirs. „Ich hätte nicht gedacht, dass das für sie ein Problem ist.“ „Nur in dem gesetzten Zeitrahmen. Keiner soll doch entkommen.“ „Natürlich. Wie einst auf der Marie Celeste…alle tot und ein Rätsel. – Na schön. Dann werde ich heute Abend wieder zur Blutspende aufrufen. Und….ja, ich denke, Tony hatte kein Geld mehr.“ „Wie …bedauerlich. Er wird mir schmecken.“ „Er soll noch arbeiten können. Noch brauchen wir sie, damit sie ihren eigenen Lebensunterhalt sichern, noch haben wir nicht alles Geld.“ „Wenn du alles hast, übernehme ich.“ „Wie immer.“ „Wie immer. Der Plan läuft doch gut.“ Sarah begriff plötzlich, dass er ans Fenster getreten war, wohl den Fensterladen öffnen wollte, und beeilte sich, ungesehen zurückzulaufen, bemüht, dass er sie nicht ebenso wahrnehmen konnte, wie sie ihn. Die neuen Informationen mussten überdacht werden. Denn in einem war sie nun sicher: das war keine Prüfung für sie – das war ein großes Problem für ihr Volk. ************************************ Sie sollte wirklich gut nachdenken, jetzt, aber auch später, denn im Moment hat sie sechs Gebissene und ein bis zwei Abtrünnige am Hals - nicht nur bildlich gesprochen. Der nächste Abend wird zeigen, was passiert, wenn Sarah den Meister trifft. bye hotep Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)