Via Inquisitoris von Hotepneith ================================================================================ Kapitel 20: Rußland, Amur Oblast -------------------------------- Nach dem Einchecken im Hotel spazierten Lady Sarah und Wombat durch Blagoweschtschensk, begleitet von Yuri Massenkow. Sie betrachteten die Innenstadt, wanderten dann hinaus zur Mündung der Zeya in den Amur, der hier schwer und braun weiter nach Osten floss. Dann entschuldigten sich die Gäste mit dem doch erheblichen Zeitunterschied zu London, um sich in ihre Hotelzimmer zurückzuziehen. Ihr russischer Begleiter verstand das. Schließlich wollten sie früh am Morgen bereits mit einem Auto zu einer Hubschrauberbasis fahren, um zu einem ausgewiesenen Naturschutzgebiet weiter im Westen zu fliegen. Wombat hatte unter dem Vorwand, dort seien Tiger gesichtet worden, eine Landestelle angegeben, die nahe bei Ikols Wohnort lag. Jedes Ratsmitglied, und damit auch der ehemalige Kadash wusste, wo die anderen Mitglieder lebten, um im Notfall rasch Nachrichten senden zu können. Sarah blickte auf, als es klopfte, und sie ein wenig erstaunt die Ausstrahlung des ehemaligen Inquisitors erkannte: „Kommen Sie herein.“ „Störe ich?“ „Ich wollte nur ein wenig meditieren in dieser Nacht.“ „Gut. – Ich dachte, wir könnten eine Übung machen.“ „Sicher.“ Sie deutete auf den Stuhl. Es wäre mehr als unhöflich und ganz bestimmt ungeschickt gewesen, eine gemeinsame Meditationsübung mit einem so alten und mächtigen Vampir abzulehnen: „An was dachten Sie?“ „Was wissen Sie über zurückgezogene Vampire?“ fragte er dagegen. Sie berichtete, was sie von Maestro Cacau in Mexiko erfahren hatte: „In einem gewissen Alter und nach gewissen…Übungen erwachen zwei Befähigungen: zum einen die Möglichkeit, Bannkreise zu erschaffen, die den Betroffenen gegenüber Menschen und anderen Vampiren, die diese Fähigkeit noch nicht entwickelt haben, verbergen. Zum anderen sinkt der Appetit mit dem fortgeschrittenen Lebensalter. Und irgendwann wird der Vampir der Welt müde und will sich zurückziehen. In der Einsamkeit entwickelt er dann seine Magie weiter, bis er schließlich eins wird mit seiner Umgebung, mit der Natur. Das ist die Endstufe der Existenz eines Vampirs: eines zu werden mit allem Leben, nur noch davon und damit zu existieren.“ „In der Tat. Hat Ihnen das John so erklärt?“ „Nein, Maestro Cacau.“ Er lächelte: „Natürlich, mein alter Freund. – In den langen Jahren, bis diese Endstufe erreicht ist, suchen zurückgezogene Vampire keinen Kontakt mehr zur Welt der Menschen, aber auch zu jüngeren Vampiren. Dennoch ist es manchmal notwendig, sich untereinander zu verständigen, schon allein um zu verhindern, dass sich zwei Vampire an den gleichen Ort zurückziehen. Dazu nutzen sie dann eine Sprache, die ich geistig nennen würde. Es schadet nicht, wenn auch der Inquisitor dies beherrscht, um sich gegebenenfalls mit Zurückgezogenen auf gewisse, höfliche Distanz, unterhalten zu können. Ich tue dies, aufgrund meines hohen Alters und der Fähigkeiten, die ich inzwischen entwickelt habe. Sie haben gewisses Potenzial, aber Sie sind noch ein sehr junger Vampir. So möchte ich Ihnen nur zeigen, wie der Weg dorthin aussieht. In der nächsten Zeit werden wir das einige Male üben, aber Sie werden sicher noch Jahrhunderte brauchen, wenn nicht Jahrtausende, um das zu beherrschen.“ Neugierig geworden erkundigte sich Sarah: „Eine geistige Sprache?“ „Ja. Man nutzt dazu die Fähigkeit, die man – als Zurückgezogener - früher bei der Jagd einsetzte. Sie kennen den geistigen Angriff natürlich.“ „Ja. Was soll ich tun?“ „Nichts. Schließen Sie die Augen und versuchen Sie zu erkennen, was ich Ihnen sagen will.“ Sie gehorchte. Fast unverzüglich spürte sie den seltsamen Druck im Kopf, den sie von gemeinsamen Jagden kannte, wenn ein anderer Vampir einen Menschen attackierte, um ihn bewusstlos zu schlagen. Aber es war kein Angriff und schon gar nicht auf sie gerichtet. Irgendetwas war anders – und doch war es ein unangenehmer Druck, ja, fast schmerzhaft. Sie musste sich entspannen, dachte sie unwillkürlich. Ihre eigenen Fähigkeiten wollten erwachen, das beenden – und sie konnte und durfte doch nicht einen Vampir zu Boden schicken, der ihr etwas beibringen wollte. Das war bei ihren ersten Übungen mit ihrem Adoptivvater passiert, der dies allerdings mit Humor genommen hatte. So bemühte sie sich bewusst dem Druck keinen Widerstand zu leisten, spürte fast unverzüglich ein Gefühl, das nicht von ihr selbst ausging: Beruhigung. Sie lächelte etwas – und fühlte sich sofort freigegeben. Erstaunt sah sie auf und begegnete dem Blick des uralten Vampirs: „Was…?“ „Warum haben Sie gelächelt?“ „Ich dachte, Sie wollen mich beruhigen.“ „Das wollte ich, in der Tat.“ Er schüttelte etwas den Kopf: „Ich verstehe langsam. So lange Jahrzehntausende, seit der erste Kadash für dieses Amt geboren wurde, suchte jeder seinen Nachfolger aus, bildete ihn aus, soweit es nötig war. Aber Sie, Sarah…..Sie sind mit all Ihren ungewöhnlichen Fähigkeiten – und dazu gehört auch, dass Sie offenbar ein besonderes Talent für diese geistige Sprache besitzen - Sie sind der zweite geborene Kadash.“ Am folgenden Tag kletterten die beiden Vampire mit Yuri Massenkow nach einer Stunde Autofahrt in den bereits wartenden Hubschrauber, dessen Pilotin sofort abhob. Sarah war noch nie mit einem Helikopter geflogen und hielt sich zunächst unwillkürlich die Ohren zu, ehe sie sich daran gewohnt hatte und die Neugier Oberhand gewann, sie nur noch aus dem Fenster blickte. Rasch veränderte sich die Landschaft. Es waren keine menschlichen Siedlungen mehr zu entdecken, stattdessen dehnte sich grün ein dichter Wald aus. Sie wusste, dass das Urwald war, zum Teil bereits Naturschutzgebiet, allerdings erstaunte sie die Größe. Das war nur ein Teil der Amurwälder und sie fragte sich unwillkürlich wie ausgedehnt das einst alles gewesen sein musste, ehe die Holz – und Papierindustrie hier einfiel. Oder waren es auch Klimaveränderungen gewesen? Der Plan war einfach, sie hatten ihn in der Nacht besprochen. Sobald der Hubschrauber auf der angegebenen Landzunge gelandet war, würde Wombat den Piloten und sie selbst Yuri Massenkow übernehmen, mit dem geistigen Angriff bewusstlos schlagen. Zur Sicherheit, und damit die Menschen länger schliefen, würden sie einen Viertelliter Blut trinken, ehe sie sich auf den Weg zu Ikol machten. Laut Wombat war es nicht sehr weit, da dieser früher mit einem Boot den Amur entlang gefahren sei, wollte er zu Ratsversammlungen reisen und ganz gewiss keine Lust verspürte, zu weit zu marschieren. Fast eine Stunde später setzte die Pilotin den Hubschrauber sicher auf einer kiesigen Landzunge am Ufer des Amur ab. Seit Minuten schon fühlte sie sich irgendwie matt und müde, und sie war froh, die Passagiere hier aussteigen lassen zu können. Im nächsten Moment schlief sie ein. Yuri Massenkow wollte mit den Gästen aussteigen, schließlich war es seine Aufgabe, sie zu betreuen, aber er fühlte sich schon seit Minuten nicht ganz wohl. Bekam er Kopfschmerzen? Das wäre fatal, wenn sich diese Tierschützer über ihn beklagen würden…Sein letzter Gedanke. Beide Vampire beugten sich vor. Von der kiesbedeckten Landzunge führte ein kaum erkennbarer Pfad in den tiefen Wald. Der ehemalige Kadash nickte seitwärts: „Erkennen Sie es, Inquisitor?“ „Ein Bannkreis.“ Sarah konnte ihn nicht durchdringen, vermutete allerdings zu Recht, dass dort das Boot verborgen war, mit dem Ratsmitglied Ikol zu Versammlungen reiste. „Und fast dreitausend Schritte vor uns noch einer, ein größerer.“ Sie konnte ihn nicht, oder eher noch nicht, zuordnen, aber es gab hier kaum jemand anderen als den Vampir, den sie suchte. „In der Tat. Gehen wir.“ Hintereinander wanderten die beiden in den Wald, unbesorgt ob der Tatsache, dass es hier allerlei Tiere, bis hin zu den seltenen Amurtigern gab. Keines davon wäre für einen fast Unsterblichen eine Bedrohung. Die eigentliche Gefahr in dieser Gegend ging von jemand anderem aus. Der Mann, der sich Wombat nannte, blieb nach tausend Schritten stehen: „Ich werde jetzt zurückbleiben. Er kennt meine Magie und meine Ausstrahlung. Gute Jagd, Kadash.“ Sarah nickte nur. Auch sie spürte nun vor sich umgekehrt undeutlich Ikol, oder genauer, seinen Bannkreis, mit dem er sich vor ungebetenen Gästen schützte. So folgte sie selbst dem kaum sichtbaren Pfad weiter durch das dichte Unterholz, bis sie den Bannkreis erreichte. Selbst für sie war er nicht zu sehen, nur vage zu spüren. In der Tat, Ratsmitglied Ikol verfügte über eine unverkennbare magische Macht. Ob ihr Vater das auch so konnte? Aber das war vollkommen gleich, zumal sie unverzüglich bemerkte, dass Ikol sie entdeckt hatte. Der Bannkreis flimmerte und verschwand dann. Nun erkannte sie einen kleinen Hügel vor sich, keine vier Meter hoch, in den eine dunkler Gang führte. Sie wurde eingeladen. Ohne zu zögern folgte sie der Offerte, in der sicheren Gewissheit, dass ihr Vorgänger es irgendwie schaffen würde, ebenfalls hineinzugelangen. Nach nur fünfzehn Metern öffnete sich der dunkle, in die Tiefe führende Gang, zu einer kreisrunden Höhle, die durch mehrere Fackeln erleuchtet wurde. Sie bemerkte Felle seitlich auf dem Boden, allerlei Gerätschaften, deren Sinn sie nicht verstand. Über einer Feuerstelle hing ein Kessel, aus dem es nach Kräutern duftete. Es war die Behausung eines Schamanen. In dieser altertümlichen Umgebung wirkte Ikol fast fehl am Platze. Das Ratsmitglied trug im Gegensatz zu dem Besuch in London nicht den Anzug des 19. Jahrhunderts sondern Kniehosen und Rüschenhemd des Barock. Er saß hinter einem Schreibtisch, ebenfalls aus dieser Zeit, erhob sich aber höflich bei ihrem Eintritt. Er schien nicht erstaunt zu sein. Nun gut, er hatte sie ja zuvor schon wahrgenommen. „Welche Überraschung, Lady Sarah“, sagte er dennoch: „Darf ich fragen, was den Kadash in diese doch recht einsame Gegend führt?“ Sie zuckte die Schultern, unwillkürlich etwas angespannt. Jetzt gab es kein Zurück mehr: „Eigentlich wollte ich Sie nur beglückwünschen.“ „Oh. Zu was?“ Er setzte sich wieder an seinen Schreibtisch, ohne ihr jedoch Platz anzubieten, eine Unhöflichkeit, die sie stillschweigend überging, da sie versuchte herauszufinden, ob er allein war. Immerhin befand sich dort hinten an der Höhlenwand eine massive Holztür. „Nun, seit über hundert Jahren lassen Sie Menschen sterben, ohne je in Schwierigkeiten zu kommen, ja, begehen Verbrechen.“ Er faltete die Hände: „Teurer Kadash, Verbrechen gegen Menschen gehen weder Sie noch den Hohen Rat etwas an:“ „Das ist in der Tat so, “ gab Sarah zu: „Anders sieht es freilich mit Gebissenen aus. Und erzählen Sie mir nicht, Sie hätten nicht mitbekommen, was Don Fernando jetzt in Mexiko oder früher schon in Südamerika tat. Oder 1838 in London.“ Er hob die Augenbrauen: „Meinen Glückwunsch. Sie haben sich umgetan. So rasch solche Ergebnisse?“ „Ich habe Unterstützung“, erwiderte sie prompt. „Oh, John? Oder Innana? Nun, gleich.“ Er stand gelassen auf. „Wissen Sie auch, warum ich Fernando zu diesen Dingen ermunterte?“ „Vivisektionen an Menschen, Zuchtwahl und Genetik. Sie versuchten es mit Menschen, zumindest zunächst, um nicht mit Vampiren arbeiten zu müssen.“ Sarah hörte selbst, dass ihre Stimme etwas zitterte. Ikol betrachtete sie mit gewissem Lächeln, fast ein wenig stolz: „Ja, Sie verstehen durchaus. Vampire sind Menschen überlegen, deren Weiterentwicklung, die Endstufe der Evolution. Und dann taucht auf einmal John mit jemandem auf, der neue, andere Fähigkeiten besitzt, der sich noch einmal weiterentwickelt hat. Sarah, das, was Sie können, sollte jeder Vampir können. Wir sind die Krone der Schöpfung. Also suchte ich einen Weg, um allen Vampiren das zu eröffnen.“ „Indem Sie Ihren Schüler Gebissene erschaffen ließen.“ „Menschenmaterial.“ Er zuckte die Schultern: „Davon gibt es soviel. Und man kann nun einmal keine Rühreier machen, ohne Eier zu zerschlagen. – Schön. Ich weiß, dass das nicht ganz den Regeln entsprechend war, aber Teuerste, Sie haben doch nicht angenommen, dass Sie hier wieder herausspazieren, um dem Rat zu berichten und ein Verfahren gegen mich anzustrengen?“ Sarah atmete tief durch: „Nein.“ „Wollten Sie etwa eine Heldin sein und allein gegen mich vorgehen?“ Er lachte etwas: „Das wäre allzu dumm. Und das sind Sie doch eigentlich nicht, sonst wären Sie nicht hier. Ich werde Ihnen meinen Bannkreis nicht mehr öffnen und trotz all Ihrer sonstigen beachtlichen Fähigkeiten sind Sie zu jung, um meiner Magie Herr zu werden. Ich will und werde erfahren, warum Sie so anders sind. Dort drüben in meinem Labor.“ Sie schüttelte fast ein wenig enttäuscht den Kopf: „Sie haben nicht einmal versucht, zu behaupten, Fernando hätte aus eigenem Antrieb gehandelt. Und Sie lügen.“ „Bitte?“ Er schien wirklich erstaunt. „Sie wollen mir erzählen, dass Sie die Verbrechen an den Menschen begingen, die Gebissenen erschaffen ließen, nur, um Erkenntnisse über mich zu gewinnen.“ „Das stimmt auch.“ „Und warum war Fernando bereits 1838 in London und erschuf Gebissene?“ Sie musste einfach versuchen, ihrer eigenen Vergangenheit auf die Spur zu kommen.“ Ikol lächelte: „Das war nur eine Gehorsamsübung. Wie gesagt, Menschen sind einfach zu bekommen, gutes Versuchsmaterial. Er sollte Gebissene erschaffen und sie dann töten.“ Eine Gehorsamsübung. Sarah schluckte unwillkürlich. Das war der einzige Grund, warum sie zu einem Vampir geworden war? Dann würde sie in der Tat nie erfahren, wer sie zuvor gewesen war, wo ihre eigenen Wurzeln waren, was sie sonst zu dem gemacht hatte, was sie war. Sie war sehr enttäuscht, obwohl sie damit gerechnet hatte, nichts zu erfahren. Aber bis eben hatte sie noch immer einen Funken Hoffnung gehabt…. Ikol ließ sie nicht aus den Augen: „Sie wirken enttäuscht. Was haben Sie denn erwartet? Dass ich sage: oh, natürlich, Inquisitor, ich ließ Gebissene erschaffen, klagen Sie mich nur vor dem Hohen Rat an? Wirklich nicht. Ich war zugegeben, recht froh, dass Sie dieses Amt bekamen, wobei ich nicht weiß, warum.“ Sie richtete sich erneut etwas auf. Ja. Sie war der Inquisitor, der Kadash. Und das vor ihr war kein ehrenwertes Ratsmitglied, sondern ein abtrünniger Vampir, der Gebissene erschaffen ließ, Menschen dazu brachte, ihresgleichen zu töten. „Das kann ich mir vorstellen. Als Fernando starb, waren seine letzten Worte: aber er sagte doch…ahnungslos. – Sie haben Ihrem Schüler nicht erzählt, dass ich den Auftrag bekommen hatte, ihn zu jagen und er sich zurückziehen sollte. Sie haben Ihren eigenen Schüler, Ihr Kind, dem Inquisitor überlassen, obwohl Sie ihn zu seinen Taten aufgefordert hatten.“ Ikol zuckte gleichmütig die Schultern: „Teure Sarah, ich hatte doch keine Wahl. Die Anklage kam immerhin von Cacau, einem ehemaligen Ratsmitglied und zurückgezogenem Vampir. Ich hätte keine Chance gehabt, den Rat zu überzeugen, dass er Unsinn redet. Aber ich nahm an, dass Sie zu unerfahren wären, um Fernando und dem Meister wirklich gefährlich zu werden. Und das auch noch in dieser kurzen Zeit. – Und, um ehrlich zu sein, hatte ich inzwischen auch einen anderen Plan.“ „Ich verstehe sowieso noch immer nicht, was das mit diesen Blutsekten sollte.“ „Teuerste, Forschung braucht Geld. Und sicher, Genlab lief und läuft gut, ich bekomme ein interessantes Einkommen, aber der Anfang war schwer und teuer. Darum benötigte ich Geld. Auch früher schon….Vivisektionen, medizinische Geräte…Ich brauchte immer Geld. Und ich konnte ja schlecht zu einer menschlichen Bank gehen und es mir leihen.“ Er lächelte: „So kam ich auf diese Idee. Menschen haben uns schon früher für Götter gehalten. Sie sind leichtgläubig, sind leicht zu beeinflussen und besitzen Geld. Danach sind sie überflüssige Zeugen. Als ich zufällig in L.A. diesen „Meister“ traf, wusste ich, dass er ein ideales Werkzeug dazu war. – Nach der Mexiko-Sache war ich allerdings zuversichtlich, dass es einen einfacheren Weg gab, an mein Ziel zu gelangen: Sie. Und als Kadash waren Sie oft allein unterwegs, nicht mehr bei John oder Innana und damit auch angreifbarer. Auf die Idee, dass Sie mich tatsächlich hier höchstpersönlich und allein aufsuchen würden, kam ich allerdings nicht.“ „Jetzt Sie wollen herausfinden, warum ich der Jäger der Jäger bin.“ Sarah klang hart. Das war das Geständnis gewesen. „Ja. Und alle Vampire sollen es bekommen, es können. Damit werde ich in alle Ewigkeit als der berühmteste aller Vampire gelten, der dem Volk einen neuen Evolutionsschritt ermöglichte.“ Seine Augen leuchteten im Halbdunkel der fackelbeleuchteten Höhle förmlich auf. Sie musste sich zwingen, einigermaßen ruhig zu bleiben: „Sie sind ja verrückt. Vampire sind die Weiterentwicklung von Menschen, ja. Eine künstliche Weiterentwicklung von Vampiren kann jedoch nie gut gehen. Wissen Sie denn nicht, dass ich auch ziemliche Probleme mit meinen Fähigkeiten hatte? Alles hat doch zwei Seiten. Aber nun gut. Sie haben gerade selbst zugegeben, dass Sie Fernando aufforderten, Gebissene zu erschaffen. Und das ist ein Verstoß gegen die Regeln. Ein tödlicher Verstoß. Übrigens: Ihre…hm…Flucht vor der Polizei der USA bedrohte auch die Regel der Unauffälligkeit.“ „Ja? Sie kommen nicht mehr dazu, Anklage vor dem Hohen Rat zu erheben. Und ohne Urteil kein Tod.“ Ikol lächelte etwas. Es machte wirklich Spaß, mit ihr zu spielen: „So einfach. Glauben Sie bloß nicht, dass Sie mich dazu bringen könnten, Ihr Blut zu trinken, wie Sie es bei Fernando getan haben.“ Schließlich war er im Hohen Rat gewesen, als sie Bericht erstattet hatte. „Nein, das würde wohl nicht funktionieren“, gab sie ehrlich zu. Er war weitaus mächtiger in seiner Magie als sie selbst. Sie straffte sich. Selbst ohne das Wissen, dass Wombat irgendwo hinter ihr war, wäre sie jetzt bereit gewesen, den Schlussstrich zu ziehen. Ikol war eine wirkliche Gefahr für Menschen und Vampire. Und nicht zuletzt für sie selbst. „Aber Sie haben einen gewaltigen Denkfehler begangen.“ „Oh, klären Sie mich auf.“ Er verschränkte lächelnd und äußerst selbstsicher die Hände vor seiner Brust. „Sie hätten es wissen müssen. Sie sind Mitglied des Hohen Rates. Das Amt des Kadash ist das Amt der Blutschuld. Und allein der Inquisitor trägt diese Schuld.“ „Ja, und, meine Liebe?“ Er spielte den Lehrer vor einem übereifrigen Kind. Sarah schüttelte etwas den Kopf, traurig und angespannt zugleich: „Haben Sie es wirklich noch immer nicht verstanden? Als der Rat meinte, dass ich sterben solle, hat sich mein ehrenwerter Vorgänger geweigert, die Schuld an meinem Tod zu tragen – und der Hohe Rat beugte sich.“ „Ja, das weiß ich auch.“ Ikol musterte sie. Wollte sie um ihre Freiheit, ja, ihr Leben reden? Der Hohe Rat habe sie schon einmal begnadigt? Was sollte der Unsinn? Entkommen war für sie unmöglich. Da war sein Bannkreis, den ein so junger Vampir nie überwinden konnte – und seine eigene Macht würde es ihr auch versagen, ihn wie Fernando so zu täuschen, dass er ihr Blut trank. Nein. Das würde er bald hinten in seinem Labor untersuchen, sie untersuchen, bis er wusste, warum sie so anders war. Hatte er denn absolut nicht begriffen, was das Wesen des Amtes des Inquisitors war? „Das gilt aber auch umgekehrt. Wenn der Kadash bereit ist, die Blutschuld zu tragen, wird sich der Hohe Rat auch diesem Entschluss beugen.“ Sie zog die Waffe aus ihrer Jackentasche: „Und genau das werde ich tun. Für all die Menschen, die als Gebissene ohne Seele sterben mussten, für Fernando, der an Sie glaubte…“ Ikol hob unwillkürlich abwehrend die Hände, ehe er lächelte: „Fast hätten Sie es geschafft, mich zu erschrecken, liebe Sarah. Aber eine Silberkugel ist unangenehm, tötet jedoch niemals einen wahren Vampir, schon gar von meiner Macht.“ Sie richtete die Mündung auf ihn, beide Hände um den Griff: „Das werden wir gleich feststellen. Haben Sie sich nie gefragt, wie der Kadash tötet?“ Nein, gab Ikol in Gedanken zu. Der Inquisitor meldete dem Hohen Rat ausschließlich den Vollzug. Nur in Sarahs Bericht war enthalten gewesen, dass sie diesen Thomas in Edinburgh ebenso wie Fernando dazu gebracht hatte, ihr Blut zu trinken – seines Wissens die einzige Möglichkeit, einen wahren Vampir zu töten. Und das konnte sie nicht. Trotz all ihrer Fähigkeiten, gerade auch bei Manipulation – ihn würde sie nicht so täuschen können. Was sollte das also? Aber es war wohl besser, vorsichtig zu sein. Er würde all seine Magie gegen sie loslassen, einen Bannkreis direkt um sie erschaffen, sie so fesseln, nachdem er sie abgelenkt hatte. Sie war doch fast noch in den kritischen Jahren… „Damit kommen Sie nicht durch, Sarah! Sie können meinen Bannkreis nicht lösen! Und er erlischt nicht, wenn Sie mich töten.“ Sie begriff plötzlich, dass er seine Magie sammeln wollte. Ohne weiter nachzudenken schleuderte sie in jäher Panik ihr geistiges Netz, das sogar in dem Gehirn eines Jägers der Nacht, selbst bei einem alten und mächtigen Vampir, einen Kurzschluss verursachte. Noch während Ikol bewusstlos zu Boden stürzte, drückte sie entschlossen ab. Für Fernando, dachte sie, der von seinem Meister hintergangen worden war, die Gebissenen, die sie in Mexiko hatte töten müssen, die Gebissenen, die ihr Vorgänger in London getötet hatte – und für sich selbst, die nie erfahren würde, wer sie zuvor gewesen war. In dem Moment, in dem die Kugel den Körper durchschlug, löste sich das darin enthaltene Material und Ikol wurde langsam wieder zu dem Menschen, dem Schamanen, der er vor Jahrtausenden gewesen war. Prompt setzt der Zerfall ein. Wie schon bei Thomas und Fernando starrte Sarah etwas entsetzt auf den rasch ablaufenden Verwesungsprozess, bis schließlich nur noch Staub übrig war. Sie schob die Waffe weg, als sie sich langsam umdrehte. Noch war der Bannkreis tatsächlich da, sie konnte ihn spüren, aber sie fühlte nun auch die Anwesenheit ihres Vorgängers. Als sie aus der Höhle kam, war der Weg frei und Wombat trat aus den Schatten des Waldes. Er betrachtete sie: „Wie fühlen Sie sich?“ „Es ist ein schrecklicher Anblick“, gab sie zu: „Gewöhnt man sich je daran?“ „Es wäre schlimm, wenn. Kommen Sie. Die Menschen werden bald erwachen.“ Auf der langen Rückreise nach London, dachte Sarah gründlich nach. Von London aus würde sie erst einmal Briefe an die Ratsmitglieder schicken müssen, um sie von Ikols Tod in Kenntnis zu setzen. und der Tatsache, dass sie ein neues Mitglied wählen sollten. Hoffentlich würde Lord John kein drittes Mal ablehnen, aber sie nahm fast an, dass er um ihretwillen diesmal zusagen würde. Nun, sie hoffte es inständig. Und das Problem der Einsamkeit des Jägers der Jäger? Wombat selbst hatte mit seinem Zusammenleben mit Donna Innana und seinen doch bestehenden guten Bekanntschaften mit Maestro Cacau und Lord John bewiesen, dass der Kadash nicht vollkommen allein zu sein brauchte. Es mochte wichtig sein, sich nicht zu abhängig zu machen, aber warum sollte sie auf ihre Familie, auf Lord John und Thomas, auf die Unterstützung durch Frances und Inspektor Cuillin verzichten, ohne das ein gewichtiger Grund vorlag? Jetzt würde sie sich in London kurz erholen, vielleicht einen kleinen Abstecher nach Brüssel machen, um Inspektor Cuillin persönlich zu sagen, Gerüchten zu Folge sei Loki Blacksmith tot, ehe sie mit Wombat in den Regenwald des Kongo und dann nach Australien reisen würde. Der Weg des Inquisitors hatte eben erst begonnen. I am behind you, I always find you I am the tiger People who fear me Never go near me I am the tiger Abba: Tiger Hosted by Animexx e.V. 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