Die Geschichte der Seeräuber-Jenny Teil 1 von MissAnni (eine Geschichte basierend auf der "Drei-Groschen-Oper" von B. Brecht mit der Musik von K. Weill) ================================================================================ Kapitel 5: Und Sie geben mir einen Penny ---------------------------------------- Der Kapitän blieb mit zusammengezogenen Augenbrauen stehen, als ihm der Matrose eine junge Frau bei den Fischern zeigte. Er beobachtete sie kurz, sah, wie sie zu seinem Schiff blickte und dann wieder zum buckligen Fischer. Seine Stimme war leise, als er dem Jungen knappe Anweisungen gab. *** Rick hatte das Mädchen auch schon gesehen. Er brauchte nicht lange zu überlegen, wie er ihre Aufmerksamkeit erregen konnte. Er stahl ihr einfach das Geld, dass sie in der Hand hielt, um die Fische zu bezahlen. Ein Grinsen huschte über sein Gesicht. Er war ein sehr guter Dieb. Und ein Blick über die Schulter verriet ihm, dass sie es bemerkt hatte. Ihr Blick war erst verwirrt, wurde aber schon bald zornig und sie lief ihm nach. Er musste nicht lange auf sie warten, denn sie war verdammt schnell. Einzig die Menschenmenge verlängerte seine Flucht. Er wollte nicht hier mit ihr sprechen. Er hatte eine klare Aufgabe. Deshalb lief er weiter bis zu den Klippen, auf denen noch der dichte Urwald der ursprünglichen Insel herrschte. Hier wartete er in den Büschen nahe einer kleinen Lichtung. Sie kam auch schon bald. Ihr Brustkorb hob und senkte sich schnell und sie sah sich suchend um. Er wartete noch. Sie war außerordentlich hübsch. Trotzdem ihre Kleider und ihre Haut schmutzig und ihre rotbraunen Haare ungekämmt waren, war sie eines der schönsten Mädchen, die Rick je gesehen hatte. So hat er auch verstanden, dass der Kapitän sie haben wollte. Sie sollte freiwillig kommen. Rick kannte die seltsamen Vorlieben des Mannes, musste schon in manchen Häfen blutjunge Mädchen umgarnen. Er störte sich nicht weiter daran. Doch ob es ihm auch dieses Mal leicht fallen würde, bezweifelte er. Sie hatte ihn entdeckt. Mit wütendem Schritt kam sie auf ihn zu. *** Polly hatte den Jungen entdeckt. Dort, hinter den Büschen im hohen Gras hockte er. Er hatte sie beobachtet und jetzt kam er aus seinem Versteck. Sie sah ihn gar nicht an, sondern knallte ihm gleich eine mit voller Wucht, dass er zurücktaumelte. Erschrocken blickte er sie an. Dann grinste er. Dieser Idiot. „Die hab ich wohl verdient.“ Polly antwortete nicht, sie versuchte ihn so zornig wie möglich anzusehen. Denn einen Kampf würde sie nicht gewinnen. Obwohl der Junge ein, zwei Jahre jünger war als sie, überragte er sie um knapp zwei Köpfe. Außerdem war er dünn und drahtig, die Haut war von der Sonne braun gebrannt und Sommersprossen tanzten neben seinen wachen, grauen Augen. Die Haare standen ihm hellbraun wild vom Kopf und er grinste immer noch. Gleichzeitig aber musterte er sie genauso, wie sie ihn und es wurde ihr unangenehm. „Gib mir mein Geld wieder.“ Sie streckte die Hand aus. *** Ricks Wange zog noch immer und er konnte sich gut vorstellen den Rest seines Lebens mit ihrem Handabdruck herumlaufen zu müssen. Sie war kräftig. Und wie sie jetzt mit ausgestrecktem Arm vor ihm stand sogar niedlich. Ihre Augen aber glühten noch immer und trotzdem wagte er es. Er hielt die Münze hoch. „Hiermit hättest du nicht mal einen halben Fisch bekommen.“ Ihr Kopf färbte sich rot, doch sie lies nicht locker. „Gib ihn mir zurück.“ Er drehte ihn in seinen Fingern. Dabei fiel ihm die Gravur auf und er betrachtete ihn genauer. Sie riss ihm den Penny aber aus der Hand und steckte ihn schnell ein. Rick kannte diesen Penny. Kannte Geschichten über ihn und seine Augen wurden größer. „Ich weiß er du bist.“ Sie hatte sich zum Gehen gewand, blieb dann doch wie angewurzelt stehen. Sie sah ihn über die Schulter hinweg an. „Wie bitte?“ Er musste zurückrudern. Durfte es jetzt nicht vermasseln. „Jenny.“ Er zeigte auf die Schürze, hinter der sich die Münz verbarg. „So heißt du doch, oder?“ „Kannst du etwa lesen?“ Sie musterte ihn. Wie konnte ein einfacher Schiffsjunge, der nicht mehr Wert war wie sie selbst, lesen? Sie hatte Recht, er konnte nicht lesen. Trotzdem bejahte er ihre Frage. „Wo hast du das gelernt?“ Jetzt hatte Rick sie. Lässig schob er die Hände in die Hosentaschen und trat einen Stein hin und her. „Das hat mir der Kapitän beigebracht.“ Der Kapitän konnte lesen, dessen war er sich sicher. Ihr Gesicht erhellte sich. „Du gehörst zum Schiff? Woher kommt ihr?“ Wie schnell sie doch den Vorfall mit dem Penny vergessen hatte. Eigentlich wollte er nicht darauf zurückkommen, trotzdem tat er es. „Da, wo ich herkomme, könntest du viel mehr Gold verdienen als hier.“ Er wollte ihr noch nicht sagen, dass sie ein paar Tage zuvor von Tortuga, dem größten Piratenhafen der Meere, abgelegt hatten. Sie drehte sich nun zu ihm an, beäugte ihn kritisch. In ihrer Frage schwang aber doch Hoffnung mit. „Ich?“ Bingo! „Natürlich. Wir suchen immer Matrosen, die anheuern wollen.“ Das Mädchen verschränkte die Arme. „Ich bin aber kein Matrose!“ Er lachte. „Dann wirst du einer.“ *** Vom Hafen her drangen laute Rufe zu ihnen hoch. Sie drehten sich um und der Junge wurde unruhig. „Wir liegen bis heute Abend hier. Komm und heuer bei uns an! Frag nach Rick.“ Dann drückte er ihr ihren Penny in die Hand und rannte los. Im Laufen drehte er sich nur noch einmal um, um ihr hinterher zu rufen: „Zieh dir aber Hosen an.“ Polly blieb noch lange auf der Lichtung und dachte nach. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)