Red and Blue von Murtagh ================================================================================ Kapitel 4: How Can You Mend A Broken Heart (Part I) --------------------------------------------------- Was lange währt wird endlich gut…? Hier kommt endlich die lang versprochene Fortsetzung meiner kleinen Fic. Es ist nicht so, dass ich die ganze Zeit gar nichts geschrieben hab. Eigentlich hab ich sogar sehr viel geschrieben. Die 16 Kapitel plus Epilog umfassen schon beinahe 100 Seiten. Aber leider ist nur wenig davon wirklich komplett ausformuliert und fertig. Deswegen dauert das auch immer so lange. Ich muss in der richtigen Stimmung sein und Ideen haben... Ich habe dieses Kapitel in zwei Teile gesplittet weil ich gemerkt habe, dass es einfach viel zu umfangreich wurde. Es ist sehr frei, aber es ist so geworden wie ich es haben wollte. Zumindest größtenteils. Viel Spaß beim Lesen! =) +++ Eragon seufzte erleichtert und lächelte, zum ersten Mal seit Tagen. Er ließ sich auf seinem Stuhl zurücksinken und merkte erst jetzt, wie verkrampft seine Haltung in den letzten Stunden gewesen war. So entspannt blieb er einen Moment sitzen. Die lauten und hektischen Stimmen um ihn herum verschwammen zu einem Klangteppich, der in seinem Kopf immer leiser und leiser wurde. Langsam atmete Eragon ein und aus und versuchte, innerlich zur Ruhe zu kommen. Diese Übung machte er in letzter Zeit öfter. Und sie schien von Tag zu Tag nötiger zu werden. Die Zeiten änderten sich, wurden dunkler und dunkler. Innere Ruhe und kühle Gedanken waren jetzt wichtiger als je zuvor... Er spürte eine Berührung an seinem Unterarm und schlug die Augen auf. Arya, welche die ganze Zeit neben ihm gesessen hatte, nickte ihm kurz zu und wandte sich wieder der Rednerin Nasuada zu, die wohl gerade aufgestanden war, um ihre Diskussion mit ein paar abschließenden Worten zu beenden. Nasuadas dunkle Augen waren dabei auf Eragon gerichtet. Ihr Blick war müde, aber auch entschlossen. Eragon beneidete sie nicht um ihre Position und die Verantwortung, die sie mit sich brachte. Sie schlief nie mehr als eine Handvoll Stunden pro Nacht, wenn überhaupt. Aber Eragon hatte es aufgegeben sich um sie zu sorgen. Sie wollte und brauchte keine Sorge, sondern Unterstützung und Vertrauen in ihre Fähigkeiten und Entscheidungen. „Auch wenn es mir immer noch schwer fällt, zu glauben was du mir erzählt hast, wir sollten uns auf das schlimmste vorbereiten.“ sagte sie mit klarer Stimme. Zustimmendes Gemurmel kam von den anderen am Tisch. Eragon nickte, froh darüber, dass Nasuada zum selben Ergebnis gekommen war wie er. Auch wenn er sich gewünscht hätte, dass dies schneller geschehen wäre. Die endlosen Diskussionen hatten ihn fast wahnsinnig gemacht! „Was werden wir tun?“ fragte er und warf einen forschenden Blick in die Runde. Die anderen Teilnehmer der kleinen Versammlung waren über Pläne und Karten gebeugt, kaum jemand sah ihn an. Alle schienen darauf zu warten, dass Nasuada ihre Entscheidung verkündete. Einen Moment lang fühlte er sich beinahe überflüssig. Er wusste, dass dieses Gefühl unbegründet war, eine einfache und dumme menschliche Schwäche. Dennoch spürte er von Zeit zu Zeit diesen Drang, aufzustehen und sich selbst das Gehör zu verschaffen, dass er seiner Meinung nach verdient hatte...! Mühsam kämpfte er diese Gedanken nieder und versuchte, sich wieder auf Nasuadas Worte zu konzentrieren. „Wir haben lange genug gewartet. In sieben Tagen werden wir vorrücken. Ich habe Nachricht von den Truppen in Gil'ead erhalten, sie werden auf dem Weg in die Hauptstadt zu uns stoßen. Gemeinsam werden wir Galbatorix direkt angreifen. Königin Islanzadi hat mir ihre volle Unterstützung zugesagt. Zusammen werden wir es schaffen. Wir werden diesem Krieg ein Ende setzen, ein für allemal.“ Die Überzeugung in ihrer Stimme überraschte Eragon. Aber sie freute ihn auch. Endlich war es soweit, endlich näherten die sich dem Ende ihrer Reise! Dieser Gedanke erfüllte ihn mit Erleichterung, mit Vorfreude, aber auch mit Anspannung und Angst. Diesmal ging es um alles. Kein Training, keine endlosen Diskussionen, kein Warten mehr. Nein, dieser letzte Kampf würde anders sein. Größer, gewaltiger, blutiger, gefährlicher und schwerer als jede Schlacht zuvor würde er alles in den Schatten stellen, was Eragon bisher erlebt hatte. Jetzt gab es kein Entrinnen mehr. Das Ende würde kommen, so oder so. Und er würde in der ersten Reihe stehen und um sein Leben kämpfen. ~ Dunkelgraue Augen blickten ins Leere, bewegungslos verharrten sie, wie Teiche an einem nebligen Morgen im Herbst. Es fiel ihm schwer, in diese Augen zu blicken. Eine Leere und Kälte schien aus ihnen herauszutreten, kam auf ihn zu, nahm ihn gefangen. Gleichzeitig zogen sie ihn an, diese Augen, und ließen ihn in grauen Nebelschleiern versinken. Beinahe vergaß er selbst die Frage, die er ihm gestellt hatte, gerade eben, vor Minuten, vor Stunden… wann? Der Nebel lichtete sich, fast konnte er die Sonne erahnen, die durch den Dunst brach. Das Grau richtete sich auf ihn. „Ich bin schon immer alleine gewesen...“ sagte der andere leise. Verwirrt dachte er einen Moment über diese Worte nach. Und über die Gefühle, die sie in ihm auslösten und die er nicht in Worte fassen konnte. „Bis jetzt.“ Er wusste nicht mehr ob er diese Worte wirklich gehört hatte oder ob sie nur in seinem Kopf entstanden waren. Die Sonne hatte den Nebel nun gänzlich vertrieben... Eine amüsierte Stimme ganz in seiner Nähe riss ihn aus seinen Gedanken. „Was sitzt du hier herum und grübelst? Das passt ja gar nicht zu dir!“ Eragon sah auf und blickte in ein vertrautes Gesicht. „Angela!“ Sie schenkte ihm ein strahlendes Lächeln. Er stand von der kniehohen Holzkiste auf, auf der er sich niedergelassen hatte, und strich seine Tunika glatt. Er verspürte einen kurzen Anflug von Schuld, denn eigentlich hatte ihn Nasuada gebeten, die Fortschritte der Arbeit der Bogenschützen zu begutachten. Jetzt, da ihr Plan feststand, herrschte im Lager geschäftige Betriebsamkeit. Truppen wurden aufgestellt, Aufgaben verteilt, Waffen geschärft. Die Männer und Frauen gingen entschlossen, aber ruhig und konzentriert ans Werk. Dennoch konnte man in den unzähligen Gesichtern Anspannung, und hin und wieder auch Angst, erkennen. „Ich wusste nicht, dass du hier bist!“ sagte Eragon stotternd. Die Hexe lächelte nur. „Du weißt doch, ich bin immer da wo ich sein sollte.“ Sie blickte ihn geheimnisvoll an. Eragon runzelte die Stirn. „Und das ist ausgerechnet bei mir?“ Er grinste schief. Sie nickte und betrachtete ihn von oben bis unten. Eragon verschränkte aus einem plötzlichen Reflex die Arme vor dem Körper und sah zur Seite. Er mochte es nicht, wenn sie ihn so ansah. So wie auch Arya es manchmal tat. Mit diesem Blick der ihn fürchten ließ, sie wüssten Dinge über ihn die der selbst nicht wusste... Einige Augenblicke lang herrschte Schweigen zwischen ihnen. Ein Schweigen, dass Eragon immer peinlicher wurde. Er zwang sich dazu, die Arme sinken zu lassen und Angela ins Gesicht zu sehen. Dann kam ihm plötzlich ein Gedanke. Nein, eigentlich war der Gedanke schon die ganze Zeit da gewesen. Aber bisher hatte er sich geweigert, ihn an die Oberfläche treten zu lassen... „Es gibt da etwas, bei dem ich Hilfe gebrauchen könnte...“ begann er zögernd. Angela atmete einmal tief ein und aus und nickte. „Na endlich. Ich dachte schon, du würdest nie fragen.“ Eragon schaute sie verwirrt an. „Ich frage jetzt.“ „Ja, das tust du.“ pflichtete sie ihm bei. Dann trat sie einen Schritt zur Seite und machte eine einladende Handbewegung. „Wir sollten uns einen ruhigeren Platz zum reden suchen.“ Eragon konnte nur nicken und folgte der Hexe stumm über den Zeltplatz. Angela ging zügig und zielstrebig in Richtung der Lagerzelte, eine der Ecken des riesigen Geländes, die wenigstens nachts ruhig waren. Aus diesem Grund hatte auch Eragon sich hier einen Platz für sein Quartier gesucht. Nachdenklich betrachtete er die Hexe. Wieder einmal hatte er das Gefühl, dass sie schon genau wusste, was er fragen und sie antworten würde. Dabei hatte er doch selbst bis vor wenigen Minuten noch nicht gewusst, dass er mit ihr sprechen würde! Wie konnte sie es dann wissen? Wieder einmal wurde ihm klar, dass er im Grunde nichts über Angela wusste. Und wenn es nach ihr ginge, würde sich das wohl auch so schnell nicht ändern. Nach einigen Minuten, endlosen Biegungen und verwirrenden Abkürzungen zwischen scheinbar endlosen Zeltreihen erreichten sie schließlich ihr Ziel, ein recht großes, rundes und ziemlich buntes Zelt. Inmitten der ansonsten grauen oder schmutzig braunen Lagerzelte wirkte es ziemlich fehl am Platze. Aber das überraschte Eragon nicht wirklich. Alles an der geheimnisvollen Hexe wirkte fremd und seltsam unpassend in dieser Umgebung. Doch sie schien es entweder nicht zu merken oder schlicht als gegeben zu akzeptieren, fast schon zu genießen. Eragon beschloss, nicht länger darüber nachzudenken. Er war sicher, dass er darüber nur Kopfschmerzen bekommen würde. Der Gedanke ließ in grinsen. Als er nach ihr in ihr Quartier eintrat, hatte er das Gefühl einen Wald zu betreten. Es gab beinahe keinen Fleck in dem kleinen Raum, der nicht von irgendwelchen Pflanzen eingenommen wurde. Manche waren klein und zu Dutzenden in Schalen und Töpfen untergebracht. Andere reichten vom Boden bis unter die Decke und verdeckten mit ihren Blättern fast den gesamten bunten Stoffhimmel. Eragon fragte sich einen Moment lang, wie Angela diese Menge an Grün wohl hierher transportiert hatte. Doch dann erinnerte er sich an seinen Entschluss und verwarf den Gedanken. Verschiedenste Gerüche lagen in der Luft, einige lieblich und süß, andere scharf und unangenehm. Dabei war es unmöglich festzustellen, welcher Geruch woher kam. Ich frage mich, wie sie hier schlafen kann... sandte er nachdenklich an Saphira. Er konnte einfach nicht anders. Jede Ecke, jeder Gegenstand, jeder Geruch weckte Fragen und verlangte nach Erklärungen. Es fiel ihm schwer, sich dabei auf sein eigentliches Anliegen zu konzentrieren. Saphira antwortete mit einem Glucksen in seinen Gedanken. „Nimm Platz.“ sagte Angela und deutete auf den Boden, auf dem verschiedene Kissen verteilt waren. Eragon ließ sich nach kurzem Zögern auf einem davon nieder. „Also,“ begann sie dann und sah ihn fröhlich an. „Du wolltest mit mir reden. Nun denn, ich höre zu. Womit kann ich dir helfen?“ „Äh...“ Eragon stockte. Er hatte damit gerechnet, dass sie das Thema anschneiden würde und er bloß antworten müsste. Das wäre ihm auch viel lieber gewesen, denn er hatte keine Ahnung, wie und womit er anfangen sollte. Sein Anliegen kam ihm plötzlich furchtbar dumm vor. Wie konnte er in dieser Situation, an dieser Stelle, auch nur in Betracht ziehen, mit irgendjemanden darüber zu sprechen? Oder gar Hilfe zu erbitten?! Eragon fuhr erschrocken zusammen, als Angela plötzlich in die Hände klatschte und sich erhob. „Also gut, genug davon. Ich werde uns etwas Tee holen. Ich habe da eine ganz besondere Mischung. Sie lockerte schon so manchem die Zunge.“ Mit einem Augenzwinkern verschwand sie irgendwo hinter Pflanzen und Regalen. Eragon hörte sie mit Dosen, Kannen und Tassen hantieren. Kurze Zeit später kam sie zurück und stellt ein Tablett mit einer kleinen Kanne und zwei Bechern vor Eragon ab. Dann ließ sie sich wieder auf ihrem Kissen nieder und goss ihnen beiden aus der kleinen, bauchigen Kanne ein. Eragon sah verwundert auf die himmelblaue Flüssigkeit in dem hellen Becher. Sie erinnerte ihn ein wenig an die Farbe der Schuppen von Saphira. „Was ist das?“ fragte er unsicher. Noch nie zuvor hatte er einen Tee in dieser ungewöhnlichen Farbe gesehen. Auf Angelas Gesicht erschien ein breites Lächeln: „Ich könnte es dir erklären. Allerdings säßen wir dann wohl noch morgen hier. Ich kann dir aber sagen, dass es sich um eine sehr seltene Mischung aus einem weit entfernten Land handelt. Sehr schwer zu bekommen. Aber überaus bekömmlich.“ Wie zur Bestätigung griff sie nach ihrem Becher und trank einen Schluck. „Ahhh... wunderbar. Ein Jammer, dass ich nur noch so wenig davon habe.“ murmelte sie genüsslich. Eragon hörte ein ungeduldiges Schnauben in seinen Gedanken. Schuldbewusst beugte er sich nach vorne und griff nach seinem Becher. Die merkwürdig leuchtende Flüssigkeit erschien ihm noch immer sehr seltsam, aber aus Höflichkeit beschloss er, wenigstens einmal daran zu nippen. Zögernd führte er den Becher an die Lippen und nahm einen Schluck. Ein seltsam fremder aber überraschend guter Geschmack breitete sich in seinem Mund aus. Er versuchte, ihn mit etwas zu vergleichen was er kannte, aber es gelang ihm nicht. Der Tee schien sauer, süß, bitter, scharf, alles auf einmal und doch keins davon zu sein. „Gut, was?“ meinte Angela lachend. Eragon nickte und trank den Rest des Gebräus mit einem Zug leer. Ein angenehm warmes Gefühl breitete sich langsam in seinem Körper und in seinem Kopf aus. „Jetzt können wir reden.“ sagte Angela dann und schaute ihn erwartungsvoll an. Eragon senkte den Blick und starrte auf die kunstvoll bemalte Teekanne zwischen ihnen. Noch immer war er unsicher, ob er wirklich mit ihr darüber reden sollte, aber das Gefühl war längst nicht mehr so stark wie noch vor wenigen Momenten. Ob das wohl von dem geheimnisvollen Tee kam? „Also gut... es geht um... ich komme wegen meinem... es ist wegen Murtagh...“ Seine Stimme war immer leiser geworden und schließlich brach er ganz ab. Er verspürte die absurde Angst, belauscht zu werden und warf einen schnellen Blick zum Eingang des Zeltes. Dort regte sich jedoch nichts. Dennoch... was würden die anderen, würden Arya oder Nasuada wohl tun, wenn sie wüssten was er hier tat? Wo er mit seinen Gedanken war, wo sie doch vor der größten Schlacht ihres Lebens standen? Unsicher hob er den Blick und blickte in Angelas unergründliche schwarze Augen. Er erwartete Protest, eine Standpauke, doch sein Gegenüber sah ihn nur ruhig an. „Es fällt dir schwer, darüber zu reden, oder?“ fragte sie langsam. Eragon nickte. Ein plötzliches Gefühl von Erleichterung breitete sich in ihm aus. Er konnte es nicht erklären, aber Angelas ruhige Worte und ihr Blick, in dem keinerlei Ablehnung lag, beruhigten ihn auf eine seltsame Weise. Angela seufzte und sah ihn lange an. In ihrem Blick lagen Verständnis und Mitleid. „Ich bewundere deine Loyalität, Eragon, und deinen Mut. Das tue ich wirklich. Aber du weißt, was er tun muss. Und er weiß es auch. Das ist ein Weg, den er nur alleine gehen kann.“ Eragon seufzte resigniert. Er wusste das alles! Und er hatte so sehr gehofft, dass sie ihm etwas anderes sagen würde... „Gibt es denn nichts...“ begann er zögernd. „Gibt es nichts, was ich tun kann?“ Seine Gedanken in Worte zu fassen, sie auszusprechen, machten sie realer als Eragon es wollte. Und diese ganze Situation, Murtaghs ganze Situation, kam ihm plötzlich ausweglos vor. Angela hatte recht, er hatte Murtagh gesagt was er tun musste um sich aus den Fängen des Königs zu befreien. Dass er versuchen musste, seinen wahren Namen zu ändern, sein Wesen, sich selbst. Doch das war leichter gesagt als getan, so viel leichter. Seinen wahren Namen zu verändern bedeutete zu verändern wer man war. Und der erste Schritt auf dem Weg dorthin war, sich selbst zu erkennen. Mit allen Stärken, allen Fähigkeiten, aber auch mit allen Schwächen und mit allen Fehlern. Es war ein schwerer, furchtbarer Weg. Und niemand konnte sagen, dass es am Ende wirklich gelingen würde. Murtagh hatte gezweifelt. Und Eragon konnte ihm deswegen nicht einmal wirklich böse sein. Ihm selbst war es erst einmal gelungen, den wahren Namen eines Menschen zu erkennen. Und es war eine einschneidende Erfahrung gewesen, die er so am liebsten nie wieder erleben würde. Es war grausam, falsch und niemand sollte gezwungen sein, das erleben zu müssen. Oder es gar selbst tun zu müssen. Seinen wahren Namen zu erkennen und ihn dann zu ändern war Murtaghs einzige Chance. Eragon wünschte sich so sehr, dass es seinem Bruder gelang. Gleichzeitig wünschte er sich aber auch, dass es einen anderen, einfacheren Weg gäbe. Denn wer konnte sagen, dass es funktionierte? Wer konnte sagen, dass Murtagh danach wirklich frei war? Dass Galbatorix ihn nicht sofort wieder unterwerfen würde? Und wer konnte sagen, dass er danach immer noch er war? „Du kannst ihm nicht helfen, Eragon.“ Angelas ruhige Stimme riss ihn aus seinen Gedanken. „Und wieso willst du es überhaupt versuchen?“ fuhrt sie fort. „Er hat dich belogen, dich verraten. Er ist auf der Seite deiner Feinde, er ist der größte und wichtigste Krieger in Galbatorix' Diensten und das wohl größte Hindernis auf deinem Weg zum Sieg. Er hat versucht dich zu entführen, versucht dich zu töten. Wieso also willst du ihm immer noch helfen?“ „Wieso? Was soll die Frage, ich...“ Eragon stockte und sah Angela hilfesuchend an. Doch die Hexe schwieg und sah ihn nur wartend an. Eragon spürte, wie sein Mund trocken wurde. Es tat weh, diese Worte zu hören, so direkt, so wahr. Murtagh war sein Feind. Ein Hindernis auf dem Weg zur Erfüllung seiner Mission. Und er hatte schreckliche Dinge getan. Dinge, die selbst Eragon ihm nie würde verzeihen können. Und er wusste, würde es seinem Bruder nicht gelingen sich aus den Fängen des Königs zu befreien, es würde auf den Tod von einem von ihnen hinauslaufen. Dennoch, hinter all dem Hass, hinter all den Lügen und der Gewalt, gab es auch noch etwas anderes. Zumindest war es früher einmal da gewesen. Damals, als sie noch auf einer Seite gestanden hatten, Schulter an Schulter in den Kampf gezogen waren, einem gemeinsamen Feind entgegen, den Sieg vor Augen und Hoffnung im Herzen. Es war nur eine kurze Zeit gewesen, ein flüchtiger Moment im Angesicht des allumfassenden Wahnsinns ihrer Welt, dennoch klammerte sich etwas in Eragon an diese Erinnerungen wie ein Ertrinkender an einen Fels in einem reißenden Fluss. „Du hast recht, “ begann Eragon langsam. Es fiel ihm schwer, seine Gedanken in Worte zu fassen. „Er ist mein... unser Feind. Und er hat uns hintergangen. Aber da ist auch noch eine andere Seite. Er hat... er hätte so viele Gelegenheiten gehabt mich gefangen zu nehmen, oder mich zu töten!“ Jetzt sprudelten die Worte nur so aus ihm heraus und seine Stimme wurde immer lauter: „Er hätte es tun können, aber er hat es nicht getan! Er hat mich gehen lassen! Er mag Galbatorix' Diener sein, aber ich glaube... nein, ich weiß, dass noch etwas Gutes in ihm steckt! Ich hab es gesehen! Und vielleicht ist es immer noch dort.“ So schnell wie die Worte gekommen waren, verschwanden sie auch wieder. Eine seltsame Kälte breitete sich in Eragon aus. „Er kann das nicht alleine tun. Er braucht meine Hilfe.“ Er hatte lange gebraucht um das zu erkennen. Viel zu lange, wie ihm jetzt schmerzvoll bewusst wurde. Wenn er früher reagiert hätte, hätte er seinem Bruder möglicherweise viel Leid ersparen können... Unsicher blickte Eragon in das Gesicht der dunkelhaarigen Frau vor ihm, die ihn mit einem nachdenklichen Ausdruck musterte. Und wie immer war es Eragon auch dieses Mal nicht möglich zu erkennen, was in ihr vorging. Dann nickte sie plötzlich und ein seltsames Lächeln erschien auf ihrem dunklen Gesicht. Eragon wusste nicht was es war, was sie überzeugt hatte, aber irgendwie hatte er es wohl geschafft. Erleichterung durchströmte ihn und nährte die stumme Hoffnung in seinem Inneren. Angela holte tief Luft, sprach aber nicht sofort. Sie schien zu überlegen, nach den richtigen Worten zu suchen. Eragon versuchte, sich in Geduld zu üben, auch wenn er sich so aufgewühlt fühlte wie schon lange nicht mehr. „Jemanden zu befreien, der von einem anderen psychisch und physisch kontrolliert wird, ist beinahe unmöglich,“ begann sie schließlich. „Die Stärke, der Wille sich zu befreien, muss aus dem eigenen Inneren kommen, wie du bereits festgestellt hast. Ein Außenstehender hat nahezu keine Möglichkeit, in diese Verbindung einzugreifen. Allerdings...“ Sie zögerte plötzlich und runzelte die Stirn. Eragon versteifte sich und spürte wie sein Herz zu rasen begann. Hatte sie es sich im letzten Moment doch anders überlegt? Würde sie ihn jetzt, wo er so kurz vor seinem Ziel zu sein schien, doch im Stich lassen? Doch Angela hatte nichts dergleichen im Sinn, sondern sprach nach einer kurzen Pause weiter, wenn auch deutlich leiser als zuvor: „Allerdings gibt es Mittel und Wege, gewisse Dinge zu... vereinfachen, wenn man es so sagen will. Obwohl es das nicht einmal ansatzweise ausdrückt.“ Ein schiefes Grinsen umspielte ihre Lippen. Eragon biss sich auf die Lippen um nicht mit all den Fragen herauszuplatzen, die in diesem Moment durch seinen Kopf rasten. Er ballte die Hände zu Fäusten und versuchte, ruhig und gefasst auszusehen, auch wenn er am liebsten aufgesprungen wäre um sie zu schütteln und anzuschreien, damit sie nur endlich weitersprach...! Seine jämmerlichen Versuche schienen allerdings kläglich zu scheitern, denn plötzlich spürte er eine Hand auf seinem Knie und blickte in nun warm lächelnde Augen. „Es tut mir leid, Eragon. Ich verstehe, dass du ungeduldig bist. Und ich wünschte ich könnte dir so helfen wie du es dir erhoffst. Aber das kann ich nicht und das muss dir klar sein. Das was ich dir bieten kann, ist allenfalls eine vage Idee. Sie kann dir helfen, sie kann sich aber auch von einem Moment auf den anderen wie eine Seifenblase in Nichts auflösen.“ Wieder verfiel die Hexe in Schweigen und stellte die Geduld des jungen Reiters erneut auf eine harte Probe. Ihre vorsichtigen Worte hatten einen Unterton, der ihm nicht gefiel. Zuviele Zweifel, zuviel vielleicht, steckte in ihnen. „Das was ich dir nun sage, ist alleine für deine Ohren bestimmt. Ich kann dir nicht verbieten darüber zu sprechen, aber ich bitte dich, es nicht zu tun. Es würde nur zu... Aufruhr führen.“ „Ja, natürlich!“ nickte Eragon hastig. „Ich kann es dir schwören, wenn du es willst! Vel ei...“ Weiter kam er nicht, denn Angela beugte sich nach vorne und legte ihm ihren Zeigefinger auf die Lippen. „Das musst du nicht. Ich vertraue darauf, dass du das Richtige tust, Eragon.“ Eragon nickte stumm und sie lehnte sich wieder zurück. Wieder vergingen einige Minuten voller Schweigen. „Es ist ein Zauber,“ sagte Angela dann. „Ein Zauber und gleichzeitig keiner. Es ist eine Art Kraft, die, einmal freigesetzt, eine enorme Macht entwickeln kann.“ Ein seltsames Glänzen schlich sich in ihre Augen. Derselbe Blick wie kurz zuvor, als würde sie etwas sehen was für seine Augen unsichtbar war. „Mit den richtigen Worten ist es möglich, diese Kraft zu lenken. Auf diese Weise könnte sie zum Beispiel dazu genutzt werden, dich vor denen zu verbergen, die in deinen Geist eindringen und deine Gedankenwelt kontrollieren wollen.“ „Wie funktioniert das?“ platzte Eragon heraus. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Zum einen war da diese beinahe schon verzweifelte Hoffnung auf eine Form von Rettung. Zum anderen waren da die nagenden Zweifel die er einfach nicht verdrängen konnte. Zweifel die zu Fragen führten, die er nicht beantworten konnte. Wie konnte es sein, dass es eine derartige Form von Macht gab und er nichts davon wusste? Niemand hatte sie je auch nur erwähnt, weder Brom noch Oromis, noch Arya, niemand! Und er konnte nicht glauben dass sie alle nichts davon wussten. War es weil er so jung war? Weil er seine Ausbildung nie vervollkommnen konnte, nun, da er keinen Lehrer mehr hatte? Oder hatten sie es ihm womöglich verschwiegen weil sie nicht wollten, dass er sie auf diese Weise nutzen würde...? Eragon schüttelte die quälenden Gedanken ab und versuchte, sich auf das zu konzentrieren was Angela gesagt hatte. Diese Kraft, was immer sie auch war, konnte einen Menschen verstecken, seine Gedanken verbergen und ihn so befreien. Plötzlich erinnerte er sich an das Amulett, dass ihm das Clanoberhaupt Gannel einst geschenkt hatte und welches ihn vor einem Eindringen fremder Mächte in seine Träume schützen sollte. Er erzählte Angela davon, doch die schüttelte den Kopf. „Nein. Dieser Zauber ist anders. Und sehr viel mächtiger. Er kann dich nicht nur vor der Traumsicht verbergen, sondern von jeglichem Einfluss. Er macht dich gewissermaßen unsichtbar.“ Eragon sah sie staunend an. „Wie ist das möglich?“ fragte er flüsternd. Angela hob abwehrend die Hände: „Es ist keinesfalls so einfach wie es klingt. Leider. Denn in diesem Fall wäre das Wissen um die Möglichkeiten dieser Macht wohl nicht derart in Vergessenheit geraten.“ Eragon nickte verstehend. „Nein, es gibt gute Gründe dafür, dass diese Macht so selten genutzt wird. Wieso das Wissen verborgen und vergessen wird,“ fuhr Angela fort. „Zum einen haben nur die wenigsten überhaupt die Möglichkeit, sie zu nutzen. Wenn man erst einmal der Macht eines anderen Menschen unterworfen ist, ist es schwierig bis unmöglich, sich weit genug davon zu befreien um einen Zauber von dieser Tragweite aussprechen zu können. Denn diesen Schritt kann dir dieser Zauber nicht abnehmen. Er kann dir helfen, aber ob du dich wirklich befreien kannst hängt alleine von dir ab.“ Eragon schluckte. Doch Angela fuhr unbarmherzig vor. „Und zum anderen wirkt diese Magie anders als die Zauber die du kennst. Einmal ausgesprochen nimmt er dir nicht nur die Energie deines Körpers. Er nimmt dir deinen Geist, deine Gedanken, deine Erinnerungen. Dieser Zauber ernährt sich von deiner Seele. Und wenn du zu lange wartest oder es dir nicht gelingt dich völlig zu befreien, verschlingt er alles was du bist, bis nichts mehr übrig bleibt außer einer leeren Hülle.“ Eragon riss überrascht die Augen auf. „Davon habe ich noch nie gehört! Ich habe geglaubt, dass ein zu starker Zauber den, der ihn ausspricht, tötet!“ „Ja,“ nickte Angela. „So ist es für gewöhnlich auch. Aber nicht in diesem Fall,“ Ein ungewöhnlicher Ernst schlich sich in ihren Blick: „Und ich denke, dass der langsame Verlust der eigenen Seele schlimmer ist als jeder noch so schmerzvolle Tod. Du verlierst alles was dich ausmacht, alles was du bist. Und du kannst nichts dagegen tun, nur zusehen wie du dich langsam aber sicher in etwas geistloses, leeres verwandelst...“ Eragon schaute zu Boden und ließ sich ihre Worte durch den Kopf gehen. Seine Zuversicht sank immer mehr. „Das klingt ziemlich...“ begann er dann. „Gefährlich?“ Angela lachte auf. „Ja, das ist es. Aber ich habe nie gesagt, dass es einfach wird, oder?“ Eragon schwieg betreten. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken. Diese neue Möglichkeit weckte Hoffnung, aber auch Angst. Plötzlich gab es tausend Dinge die er sagen, tausend Fragen, die er stellen wollte. Fieberhaft versuchte er, das Für und Wider dieses Gedankens zu betrachten. Es schien eine Handvoll Gründe dafür zu geben. Und tausende dagegen. Er könnte Murtagh helfen, ihm womöglich das Leben retten. Aber genauso könnte er sein Untergang herbeiführen und irgendwann die Schuld daran tragen, dass seinen Bruder ein schlimmeres Schicksal als der Tod ereilte. Konnte er das tun? Hatte er das Recht dazu? Nagende Zweifel schienen sich wie Dornen in seinen Geist zu bohren. Noch war es nicht zu spät. Vielleicht schaffte Murtagh es ja auch ohne seine Hilfe. Und vielleicht wollte er seine Hilfe ja gar nicht. Und wenn nicht? fragte eine leise Stimme in seinem Kopf. Was, wenn er in diesem Kampf das Zünglein an der Waage sein könnte? Derjenige, der die Entscheidung herbeiführte? Und was würde er tun wenn er scheiterte, wenn sie beide scheiterten? Könnte es nicht sogar so am besten sein, so wie es war? Murtagh wäre ein Sklave, möglicherweise noch eine lange Zeit. Aber er würde leben...! Eragon, hör auf damit. Saphira sprach sanft, doch Eragon entging die Spannung in ihrer Stimme trotzdem nicht. Ein dumpfer Schmerz breitete sich in seinem Kopf aus. Und so schwer es ihm auch fiel, er musste zugeben, dass er keine Ahnung hatte was er tun sollte. Er hatte die Lösung vor sich, konnte sie deutlich sehen, aber er hatte gleichzeitig furchtbare Angst vor dem was passieren könnte. Und er fühlte sich so alleine wie schon lange nicht mehr... „Ich... ich weiß nicht ob ich das tun kann.“ Die Worte rutschten Eragon einfach so heraus. Sofort biss er sich auf die Lippen, doch es war zu spät. Angela jedoch nickte nur auf die ihr eigene Art und zeigte ihm damit wieder einmal, dass sie ihn wohl besser verstand als irgendjemand sonst. Besser als er selbst. „Ich verstehe deine Gefühle, deine Zweifel, Eragon. Aber das ist leider alles, was ich dir anbieten kann.“ Eragon schaute sie unglücklich an. „Dieser Zauber kann Murtagh Zeit geben, nicht mehr,“ fuhr sie fort. „Aber vielleicht ist genau das die Zeit die er braucht, sich selbst zu befreien.“ Angela beobachtete ihn eine Weile, doch Eragon fiel nichts ein was er antworten könnte. Schließlich streckte sie erneut eine Hand aus und legte sie tröstend auf seinen Unterarm. „Ich verstehe dich, Eragon, wirklich. Und aus diesem Grund sorge ich mich um dich. Du darfst nicht all deine Hoffnungen in diesen Zauber setzen. Oder in ihn. Er ist nicht mehr der Mann den du kanntest. Seine Gedanken wurden verpestet, sein Wille gebrochen. Und selbst wenn es ihm gelingt seine Fesseln abzustreifen wird er vielleicht nie wieder der sein den du dir erhoffst.“ Angela lächelte traurig. „Ich überlasse dir die Entscheidung, ob du es tun willst oder nicht. Denk darüber nach.“ Ihre letzten Worte fegten schließlich all seine Zweifel fort und er antwortete sofort: „Was müssen wir tun?“ Angela lächelte. „Nun, das führt mich zum schwierigen Teil. Eigentlich müsste ich direkt vor ihm stehen und die Worte persönlich aussprechen. Aber dazu wird es wohl nicht kommen. Und außerdem bin ich nicht so verrückt, mich einem Drachenreiter in den Weg zu stellen.“ Jetzt lachte sie, doch Eragon konnte ihre Freude nicht ansatzweise teilen. „Kann ich das nicht tun?“ fragte er stattdessen. „Ich bin wohl der einzige, der nahe genug an ihn herankommt, um...“ Angelas erneutes Auflachen unterbrach ihn. „Nein. Ich werde dich diese Worte nicht lehren, Eragon. Sie sind zu mächtig für einen so jungen Reiter.“ Eragon schwieg verletzt. „Bitte verzeih mir, Eragon,“ fuhr sie versöhnlicher fort. „Sei versichert, ich tue das nicht um dir wehzutun. Aber mein Wissen verleiht mir eine große Macht und bringt damit auch eine Verantwortung mit sich. Und auch wenn ich dich schätze und deinen Fähigkeiten vertraue, ich kann und werde dir diese Bürde nicht auferlegen.“ Eragon senkte den Blick und brütete vor sich hin. Es fiel ihm schwer, seine Verzweiflung und seine aufkeimende Wut zu unterdrücken. Er wusste, dass er ihr unrecht tat, immerhin hatte sie ihm ihre Hilfe angeboten, was alleine schon mehr war als er sich je erhofft hatte. Dennoch, das Gefühl, so kurz vor dem Ziel noch zu scheitern war beinahe mehr als er ertragen konnte... „Und pass auf mein Kissen auf, es war ziemlich teuer, es wäre ein Jammer es zu verlieren.“ unterbrach sie seine trüben Gedanken. Eragon blickte sie verständnislos an, dann schaute er nach unten und erschrak. Vor lauter Ungeduld und Anspannung hatte er angefangen, die langen goldenen Zotteln, die das Kissen zierten auf dem er saß, herauszureißen. Mittlerweile hatte sich auf diese Weise ein kleiner goldener Haufen neben ihm gebildet. Hastig zog er die Hand zurück. „Tut mir leid.“ „Schon gut.“ lachte Angela amüsiert. Eragon schwieg betreten. Angela griff nach der Kanne und goss sich mehr Tee in ihre Tasse. „Im Übrigen habe ich nicht ganz die Wahrheit gesagt.“ Eragon sah sie fragend an. „Das Kissen,“ sagte sie und deutete in seine Richtung. „Ich habe es gar nicht gekauft, sondern gewonnen.“ „Aha.“ antwortete Eragon verwirrt. Es gab nicht viel was ihn im Moment weniger interessierte als ein Kissen... Angela seufzte: “Ich sehe schon, du bist heute kein besonders unterhaltsamer Gast.“ „Tut mir leid,“ sagte Eragon erneut. „Es ist... mir geht ziemlich viel im Kopf herum.“ Angela stieß ein Kichern aus, ein Geräusch, dass aus ihrem Mund ziemlich seltsam klang. „Es gibt noch eine andere Möglichkeit,“ sagte sie dann. „Ich könnte versuchen, die Worte in einen Gegenstand zu bannen.“ Eragon legte den Kopf schief, wieder einmal überrascht von ihren plötzlichen Themenwechseln. „Und das würde funktionieren?“ fragte er unsicher. „Vielleicht. Vielleicht aber auch nicht,“ gab Angela zu. „Ich habe es noch nie versucht.“ Eragon breitete die Hände aus. „Dann versuchen wir es doch jetzt! Ich werde dir dabei helfen, sag mir was ich tun muss!“ „Langsam, langsam,“ sagte Angela und lächelte. „So einfach ist es nun auch wieder nicht. Ich habe eine Idee, wie ich es tun kann. Und ich könnte tatsächlich deine Hilfe brauchen. Aber zuvor brauche ich eine Verbindung zu ihm. Einen Gegenstand, irgendetwas, worin sein Geist seine Spuren hinterlassen hat, irgendwas, in dem ich ihn erkennen kann.“ Eragon runzelte die Stirn und dachte angestrengt nach. Hatte er irgendetwas, was sein Bruder einmal besessen hatte? Hatte er irgendetwas, was er einmal in den Händen gehalten hatte? Zu dem er irgendeine Form von Verbindung gehabt hatte...? Eragon, meldete sich Saphira in seinem Kopf zu Wort. Das Schwert. Eragons Augen weiteten sich vor Überraschung. Wie hatte er das vergessen können?! „Ich habe etwas,“ rief er aus und war schon halb auf den Beinen. „Warte, ich... ich werde es holen!“ Er war so aufgeregt, dass er Angelas verdutztes Gesicht gar nicht bemerkte. Ohne noch ein Wort zu sagen drehte er sich um und lief aus dem Zelt. ~ Er flog beinahe über den Zeltplatz, nahm nichts um sich herum wahr, rannte nur, sein Ziel fest vor Augen. Endlich hatte er Hoffnung, endlich sah er eine Lösung vor sich. Und er würde alles tun, um sie zu verwirklichen... Wenige Minuten später kehrte er zurück, keuchend, schweißgebadet, mit dem Gegenstand seiner stummen Hoffnungen in den Händen. Er ließ sich Angela gegenüber nieder und legte das längliche Bündel auf seinen Knien ab. Dann löste er langsam das Band, welches den Stoff um das Breitschwert zusammen hielt. Übertrieben vorsichtig wickelte er die Klinge aus. Die feuchte Luft hatte sie stumpf werden lassen, er konnte sein eigenes Spiegelbild nur noch schemenhaft auf dem Metall erkennen. Er sah auf und blickte in tiefe, unergründliche Augen. Angela hatte ihn die ganze Zeit über schweigend beobachtet. Und plötzlich fühlte er sich schrecklich unwohl unter ihrem wissenden Blick. Als lägen all seine Gedanken vor ihr ausgebreitet, nackt und ungeschützt. Und wieder hatte er das Gefühl, dass sie mehr über ihn wusste als er selbst. Sie streckte die Hand aus und griff nach dem Schwert. Sie wog es in der Hand, prüfend, strich mit langen Fingern langsam über die zerfurchte Klinge. Die ganze Zeit über sprach sie kein Wort, fragte ihn nicht, woher er die Klinge hatte oder wieso er sie in seinem Zelt aufbewahrt hatte. Dann, nach einer scheinbaren Ewigkeit, nickte sie und legte die Klinge auf ihren Knien ab. „Ich denke, das wird gehen.“ Eragon sank in sich zusammen, mit einem Gefühl so tiefer Erleichterung wie er es nur selten in seinem Leben empfunden hatte. Er hatte eine Lösung gefunden! Und ein Teil von ihr hatte die ganze Zeit ganz in seiner Nähe gelegen! Seltsame Gedanken von Schicksal und Vorbestimmung kamen ihm plötzlich. War es Schicksal, dass Murtagh Zar’roc genommen hatte und Eragon dafür sein eigenes Schwert hinterlassen hatte? Eragon wusste es nicht. Aber ob es nun so war oder nicht, er war unendlich dankbar dafür. Was nun folgte war eine Reihe seltsamer Prozeduren, von denen Eragon nur wenig verstand und Angela ihm noch weniger erklärte. Mit leiser Stimme murmelte sie vor sich hin, mal verständlich, mal in der Alten Sprache und mal in Worten die Eragon noch nie in seinem Leben gehört hatte. Er versuchte, sie sich zu merken, scheiterte aber sehr bald und ging dazu über, die dunkelhaarige Frau stumm zu beobachten und darauf zu warten, dass sie ihm sagte was er zu tun hatte. Irgendwann nahm sie seine Hände, legte sie auf die stumpfe Klinge zwischen ihnen und ihre darüber. Eragon konnte die Energie spüren die von ihrer Haut abstrahlte und seine Finger kribbeln ließ. Angela hob den Blick und sah ihn an. Dann sprach sie weitere Worte, diesmal laut und direkt in sein Gesicht und plötzlich spürte Eragon, wie auch aus seinem Körper die Energie herausströmte. Er verkrampfte sich und versuchte automatisch, den Strom zu stoppen, doch Angela schüttelte heftig den Kopf. Und so ließ er zu, dass die Kraft weiter aus ihm herausströmte und seine Augen und seine Glieder langsam schwerer und schwerer wurden. In seinem Kopf hallten die Worte der Hexe wider. Ein ferner Teil seines Verstandes schien zu verstehen was sie sagte, doch diese Gedanken drangen nicht zu ihm durch. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ Angela ihn los und Eragon richtete sich müde auf. Die Hexe schien von der seltsamen Magie in keiner Weise mitgenommen worden zu sein, denn sie stand geschwind auf und verschwand hinter Regalen. Bald darauf kehrte sie zurück, in ihrer linken Hand einen kleinen Gegenstand, den Eragon bald als Anhänger an einem dünnen Lederband erkannte. „Jetzt kommen wir zum schwierigen Teil.“ sagte sie dann und Eragon starrte sie entsetzt an. Wenn jetzt der schwierige Teil kam, was war dann das gerade gewesen...?! Doch die Hexe ignorierte ihn, ließ sich wieder ihm gegenüber nieder und konzentrierte sich voll auf ihre Aufgabe. Noch immer sprach sie vor sich hin, doch ihre Stimme wurde langsam immer lauter, als wäre sie wütend über irgendetwas. Eragon hätte sie gerne gefragt was das zu bedeuten hatte, doch er wagte es nicht, sie zu unterbrechen. Irgendwann hob Angela die linke Hand und ließ das kleine Amulett zwischen ihnen in der Luft baumeln. Sie verzog das Gesicht, als sei sie über irgendetwas furchtbar sauer und stieß sogar einen leisen Fluch aus. Eragon starrte wie hypnotisiert auf den kleinen Anhänger vor sich, wartete darauf, dass irgendetwas passierte. Doch es tat sich nichts. Er öffnete den Mund, wollte gerade etwas sagen, als Angela die andere Hand hob und ihn so zum Schweigen brachte. Erneut umschloss die den Anhänger mit der linken Hand, dann legte sie auch die andere darum und schloss die Augen. Als sie wieder zu sprechen begann, bewegten sich ihre Lippen kaum und machten es Eragon unmöglich, auch nur ein einziges Wort zu verstehen. Schweißperlen erschienen auf ihrer dunklen Stirn und ihr Griff um die Kette wurde immer verkrampfter. Dann, irgendwann, öffnete sie die Hände und ließ den Anhänger auf das Kissen vor sich fallen. Sie schlug die Augen auf und schaute auf den kleinen Stein, als würde sie ihn gerade zum ersten Mal sehen. Eragon hielt es nicht mehr aus. „Und...?“ fragte er vorsichtig. „Hast du... hat es geklappt...?“ Angela blickte auf und sah ihn an, lange, schweigend. „Ich weiß es nicht.“ sagte sie dann und ihre Stimme klang heiser. Sie schaute auf die Kette hinab als wagte sie es nicht, sie zu berühren. „Ich habe es versucht. Aber es ist schwierig. Sehr schwierig,“ sie schaute ihn ernst an. „Ob es wirklich funktioniert hat, werden wir erst sehen wenn du ihm das gegeben hast.“ Sie hob die Kette auf und reichte sie ihm. Eragon blickte einige Momente unschlüssig zwischen ihr und der Kette hin und her, doch schließlich griff er nach dem Anhänger und betrachtete ihn eingehend. „Und damit...“ begann er unsicher. „Damit könnte er sich befreien. Wenn das sein Wunsch ist.“ beendete Angela seinen Satz. Eragon befühlte den Stein. Er war warm von Angelas Händen. Sonst konnte er nichts feststellen. „Die Magie wird sich alleine ihm offenbaren. Wenn er es will.“ erriet Angela seine fragenden Gedanken. Dann beugte sie sich nach vorne und schloss Eragons Hände um die Kette. „Gib ihm das wenn du ihm das nächste Mal gegenüberstehst. Sag ihm was er tun muss. Aber bitte...“ sie suchte seinen Blick. „Bitte denke daran: es kann nur die retten, die auch gerettet werden wollen. Und wenn er es nicht will, kannst du nichts tun. Dann ist er für immer verloren.“ „Dazu wird es nicht kommen.“ antwortete Eragon sofort und zog die Hände an die Brust. Seine Stimme klang sicherer als er sich fühlte... Eragon wäre gerne noch länger bei Angela geblieben. Hier fühlte er sich aufgehoben und verstanden. Doch er war zu rastlos um noch länger auf ihren bunten Kissen sitzen zu bleiben. Zuviel ging ihm durch den Kopf, zuviele neue Eindrücke und Gedanken, die er verarbeiten musste und wollte. Aus diesem Grund verabschiedete er sich bald, erhob sich und wandte sich zum gehen. Angela geleitete ihn lächelnd zum Eingang ihres Zeltes. Als er sich dort noch einmal umdrehte sah er, dass ihr dunkler Blick auf ihm ruhte. Ein seltsamer Ausdruck lag in ihrem Gesicht. Nachdenklich, mitleidig, aber auch... Eragon schüttelte den Kopf, wandte sich ab und ging davon. Es kostete ihn Beherrschung, nicht einfach loszurennen. ~ Angela sah ihm nach bis er in der Dunkelheit zwischen den endlosen Zeltreihen verschwunden war. Dann wandte sie sich mit einem leisen Seufzen um und ging zurück in ihr Zelt. Ein leises Schnurren in ihrer Nähe machte sie darauf aufmerksam, dass sie nicht mehr alleine war. Gut, dachte sie sich. Etwas Gesellschaft würde sie hoffentlich aufmuntern. Es tat weh, den Jungen so leiden zu sehen. Und es machte ihr wieder einmal klar, wie jung Eragon noch immer war. Viel zu jung für die gewaltige Bürde, die man ihm gegen seinen Willen auf die Schultern geladen hatte. Und niemand konnte sagen, welchen Schaden seine unschuldige Seele davontragen würde. Nachdenklich trat sie an das kleine Feuer im hinteren Teil ihres Zeltes und hängte den Wasserkessel über die prasselnden Flammen. Ein Tee würde ihr jetzt guttun. Sie spürte weiches Fell an ihren Beinen und lächelte Solembum an, der erwartungsvoll zu ihr hinaufblickte. „Und? Was hältst du davon?“ fragte sie ihn, wohl wissend, dass er ihr nicht die Antwort geben konnte oder würde, die sie sich erhoffte. Erneut seufzte sie. Und wünschte sich sie hätte Eragon alles sagen können. Aber er war noch nicht bereit für dieses Wissen, würde es vielleicht nie sein. Alles was sie tun konnte war darauf zu hoffen, dass er es verstand bevor es zu spät war. ~ Zitternd lehnte Eragon sich zurück, zog den Umhang fester um seine Schultern und ließ sich von Saphiras Körper aufwärmen. Die Nächte hier draußen konnten verdammt kalt werden. Er hätte in sein warmes Zelt gehen können, doch er zog es vor, die Nacht bei seinem Drachen zu verbringen. Träge ließ er seinen Blick über das Lager schweifen, beobachtete Soldaten an mannshohen Feuern, das immer wieder kurze Aufblitzen von Metall und die im Halbdunkeln hastig umherlaufenden Gestalten. Doch er nahm nichts von alldem wirklich wahr. Lange Zeit hatte er geschwiegen, war das Gespräch mit Angela wieder und wieder in Gedanken durchgegangen. Hatte nach Anhaltspunkten gesucht, nach versteckten Hinweisen, irgendetwas, was ihm erklärte, was genau da eigentlich passiert war. Doch wie er es auch drehte und wendete, er kam zu keinem Ergebnis... Saphira? fragte er schließlich. Der Drache antwortete mit einem leisen schnurrenden Geräusch. Was glaubst du, wieso sie uns hilft? Sie hat nicht den kleinsten Zweifel geäußert... Selbst in seinen Gedanken zitterte seine Stimme. Bist du dir sicher, dass du die Antwort wissen willst? Vielleicht würde sie dir nicht gefallen, gab Saphira zurück. Du hast erreicht, was du wolltest. Freu' dich darüber. Alles andere ist unwichtig. Darauf fiel ihm keine Erwiderung ein. Sie hatte recht, wieder einmal. Eragon musste gegen seinen Willen lächeln. Er hob einen Arm und legte seine Hand auf Saphiras mächtige Schulter. Du hast ja recht. Ach, Saphira, was würde ich nur ohne dich tun... Saphira drehte den Kopf und sah ihn mit einem großen blauen Auge an. Soll ich dir darauf wirklich eine Antwort geben? Ihr höhnischer Unterton entging Eragon nicht, doch er fühlte keinen Zorn. Langsam ließ er sich auf das von unzähligen Stiefeln und Drachenkrallen arg in Mitleidenschaft gezogene Gras sinken und verschränkte die Arme hinter dem Kopf. Über ihm leuchteten die Sterne, unzählige winzige weiße Lichter, die unendlich weit weg waren und deren Licht ihre Welt trotzdem Nacht für Nacht erreichte und erhellte. Erst jetzt spürte er das Rasen seines Herzens, die Anspannung die schon den ganzen Nachmittag und Abend von ihm Besitz ergriffen hatte. Die ganze Zeit war ihm nicht aufgefallen, sie sehr ihn das alles mitnahm. An diesem einzigen Tag, in nur wenigen Stunden, hatte sich soviel verändert. Und es würde sich erst zeigen müssen, ob diese Veränderungen Gutes oder Schlechtes hervorbringen würden. Dieser Gedanke sollte ihm Angst machen, aber merkwürdigerweise spürte er nichts dergleichen. Stattdessen empfand er eine seltsame Euphorie. Er hatte es geschafft, er hatte eine Lösung gefunden! Er konnte Murtagh retten! Wenn es dafür nicht schon zu spät war... ~ Murtagh trat auf den weitläufigen Hof hinaus und blinzelte in der plötzlichen Helligkeit. Er hob eine Hand um seine Augen abzuschirmen und sah sich um. Der Hof war voller Menschen. Das Licht spiegelte sich in unzähligen Rüstungen, Kettenhemden, Schwertern und Schilden. Unzählige Stimmen verschmolzen zu einem lauten Summen, wie bei einem Bienenschwarm. Sein Erscheinen ließ viele der Gespräche verstummen, Gesichter wandten sich ihm zu, unsicher, ungeduldig, wartend. Murtagh ließ langsam seinen Blick über die Reihen an Männern schweifen, die sich hier zusammengefunden hatte um den Worten ihres Befehlshabers zu lauschen. Seinen Worten. Doch Murtaghs Blick ging durch sie hindurch, als wären sie nichts als Schatten, Geister. In seinem Kopf hörte er wieder und wieder die letzten Worte des Königs. „Ich gebe dir noch diese eine Gelegenheit, dich zu bewähren. Beweise mir, dass du nicht so wertlos bist wie du in der letzten Zeit gezeigt hast.“ Schon beim bloßen Gedanken an die eiskalte Stimme Galbatorix', an die grausamen Befehle, die er ihm ohne jede Emotion gegeben hatte, schnürte sich ihm die Brust vor Hass zusammen. „Wir haben lange genug zugelassen, dass dieses Kind und seine Soldaten alles in Chaos stürzen. Es wird Zeit, dass wir ihrem Treiben Einhalt gebieten und diesem Zirkus ein Ende machen!“ In seinen Gedanken rammte Murtagh Galbatorix sein Schwert in den Leib, so tief wie es die Klinge zuließ. Und er stand über ihm, blutüberströmt, und sah ihm dabei zu, wie er langsam sein verfluchtes Leben aushauchte. Und er empfand nichts, nur Befriedigung. „Meine Spione haben mir berichtet, dass unsere Feinde ihre Truppen zusammenziehen und in unsere Richtung führen. Sie verlassen also endlich ihr dunkles Rattenloch und zeigen sich.“ Sein hässliches Lachen hallte laut von den hohen Wänden wider. „Ich will, dass du ihnen entgegen ziehst. Ich gebe dir genug Männer mit, um ihren Angriff im Keim zu ersticken. Sie mögen glauben, dass sie hier tatsächlich etwas erreichen können. Aber du wirst sie vom Gegenteil überzeugen.“ Er beugte sich auf seinem Thron nach vorne, sein Blick bohrte sich in Murtaghs. „Und ich will, dass du den Reiter und seinen Drachen herbringst, koste es was es wolle!“ Murtagh presste die Lippen zusammen um nicht loszuschreien... „Herr...“ Unwillig blickte Murtagh auf. Vor ihm stand einer seiner Kommandanten, der einen Teil der Truppen in Murtaghs Namen befehligte. Der Mann war deutlich älter als Murtagh und hatte in seinen zahlreichen Kämpfen nicht nur wertvolle Kampferfahrungen sondern auch einige Narben gesammelt. Er schien schon eine Weile auf Murtagh eingeredet zu haben ohne dass der ihm zugehört hatte. Aus diesem Grund hatte sich auf seinem Gesicht mittlerweile ein deutlicher Ausdruck von Missfallen ausgebreitet. „Geht es euch gut, Herr?“ fragte er, nun da er sicher war, dass Murtagh ihn endlich bemerkt hatte. Das Lächeln auf seinem Gesicht war so falsch, dass Murtagh ihm am liebsten ins Gesicht geschlagen hätte. „Natürlich,“ antwortete er mit einiger Verspätung und wandte sich zum Rest der Soldaten um, die auf dem Hof standen und noch immer mit einer Mischung aus Erwartung und Unsicherheit zu ihm heraufsahen. Wie lange hatte er dagestanden ohne sich zu rühren? „Wie weit seid Ihr mit den Vorbereitungen?“ fragte er den Mann hinter sich ohne ihn anzusehen. Ein eindeutig respektloses Verhalten, doch Murtagh verschwendete keinen Gedanken daran. Auch der Angesprochene ließ sich nichts anmerken, als er antwortete: „Sehr gut. Wie der König und Ihr befohlen habt, haben wir die ersten drei Regimente Eurer Männer hier versammelt. Weitere Soldaten warten draußen vor der Stadt. Wir sind bereit zum Abmarsch und warten nur noch auf Euer Kommando.“ Murtagh nickte grimmig: „Gut. Dann sollten wir sie nicht länger warten lassen.“ Anschließend wandte er sich mit lauter Stimme an die Krieger auf dem Hof und brüllte: „Was steht ihr hier noch herum? Ihr habt eure Befehle, also bewegt euch endlich!“ Unter den lauten Rufen der anderen Kommandanten setzten sich die Männer geordnet in Bewegung. Laut hallte der metallische Klang ihrer Waffen und Rüstungen von den hohen Mauern der Burg wider. Murtagh beobachtete, wie sich die kraftstrotzenden Männer zum inneren Tor der Stadt bewegten. Die neuen, die erst seit wenigen Wochen dabei waren, fügten sich gut ein und waren kaum noch von den anderen zu unterscheiden... „Herr, es gibt da noch etwas...“ begann der Mann neben ihm erneut. Murtagh brummte einen Fluch und sah ihn wieder an. Das falsche Lächeln war verschwunden. Glück für ihn... dachte Murtagh grimmig. „Was ist denn noch?“ fragte er und versuchte erst gar nicht, den genervten Unterton in seiner Stimme zu verstecken. „Herr, der Reiter,“ fuhr der Kommandant fort. „Die Spione im Lager unserer Feinde haben gesagt, dass er bei ihrem Angriff dabei sein wird. Ich schlage vor, dass wir...“ Murtaghs eisiger Blick ließ ihn verstummen. Langsam trat der junge Drachenreiter auf den Kommandanten zu und bemerkte zufrieden, dass dieser vor ihm zurückwich. „Der Reiter und sein Drache haben Euch nicht zu interessieren,“ zischte er zornig. „Ihr habt Eure Befehle. Kümmert Euch um die feindlichen Soldaten, haltet sie auf, was immer dazu nötig sein sollte. Aber der Reiter und der Drache gehören alleine mir. Wenn Ihr sie seht, will ich, dass Ihr mir augenblicklich Bericht erstattet, sonst werdet Ihr nichts tun. Ich werde eigenhändig jeden töten der es wagt sich ihnen auch nur zu nähern! Habt Ihr das verstanden?“ Der andere Mann nickte schnell. „Verstanden, Herr.“ Er sah Murtagh noch einen Augenblick lang an, dann wandte er sich um und folgte den Soldaten. Nachdenklich blickte Murtagh ihm hinterher, als er zwischen die Männer trat und ihnen in gewohnt herrischem Ton mitteilte was sie zu tun hatten. Einige schauten zu Murtagh auf, doch als sie seinen Blick bemerkten, wandten sich die meisten rasch wieder ab. Er wusste genau was in diesen Momenten in den Männern vorging, verstand ihre Augen, die ihn mit einer Mischung aus Bewunderung, Abneigung und Furcht ansahen. Er war anders als sie, er war kein einfacher Soldat, nicht einmal ein einfacher Mensch. Er besaß eine Macht, die sie sich nicht einmal in ihren kühnsten Träumen vorstellen konnten. Und er hatte es genossen, anfangs. Das Gefühl, über ihnen zu stehen und sie alles tun lassen zu können was er wollte. Er hatte sich wie ein Auserwählter gefühlt, als Galbatorix ihn in den magischen Künsten unterwiesen, ihn in seine Pläne eingeweiht, ihm riesige Heere unterstellt hatte, die jedem seiner Befehle widerstandslos folgten. Er war sein Schwert gewesen, sein Prinz. Doch irgendwann hatte er erkennen müssen, dass das, was er für Ehrfurcht gehalten hatte, in Wirklichkeit nicht mehr als Angst und Hass war. Und er wusste, wenn sie die Gelegenheit hätten, die meisten seiner Krieger würden ihn auf der Stelle töten. Sie konnten es nicht ertragen, Befehle von ihm entgegenzunehmen, von ihm, der so viel jünger war als viele von ihnen, und so viel unerfahrener. Von Galbatorix' einzigem Schüler, der ihn in den Künsten der Magie unterwies, dunkler, mächtiger Magie, aus Gründen, die sie weder kannten noch verstanden. Wenn sie wüssten, was das bedeutet, würden sie wahrscheinlich anders denken... dachte Murtagh düster. Hör auf, dich zu grämen, Murtagh. Thorns ruhige Stimme riss ihn aus seinen düsteren Gedanken. Er wandte sich um und sah den roten Drachen an, der einige Meter von ihm entfernt auf einem freien Stück des Hofes stand. Die verbliebenen Soldaten hielten einen großzügigen Sicherheitsabstand zu dem riesigen Drachen. Bist du bereit? fragte der Drache in seinen Gedanken. Murtagh nickte stumm und ging die breite Treppe hinunter und zu Thorn hinüber. Langsam und bedächtig ließ es eine behandschuhte Hand über die raue Haut des Drachen gleiten, als er um ihn herumging und sich kurz darauf in den ledernen Sattel auf seinem Rücken schwang. „Na los, bringen wir es hinter uns.“ murmelte er leise. Thorn schüttelte den Kopf. Murtagh streichelte ihm über das Stück Hals, das er von seiner Position aus erreichen konnte. Ich weiß... aber wir müssen es tun. Ich wünschte es wäre nicht so. Ich wünschte ich könnte dir das ersparen. antwortete Thorn und Murtagh konnte seinen Schmerz spüren wie seinen eigenen. Das kannst du nicht. war seine einzige Antwort. „Ich werde tun, was immer Ihr von mir verlangt. Ich bin nur hier, um Euch zu dienen. Ich werde Euch nicht noch einmal enttäuschen.“ Langsam und mit gesenktem Blick erhob er sich langsam aus seiner knienden Position und richtete sich auf. Ohne ein weiteres Wort drehte sich der Reiter um und verließ den Thronsaal. Dem Kampf, dem Schmerz, dem Tod entgegen. ~ Der kalte Wind trieb ihm Tränen in die Augen, die er immer wieder wegblinzelte. Angespannt ließ Murtagh seinen Blick erneut über das Heer am Horizont gleiten, das sich langsam aber stetig weiter in seine Richtung bewegte. Sie waren der Stadt nah gekommen. Zu nah, wenn es nach ihm ging. Doch Galbatorix schien sich seiner Sache sehr sicher zu sein, wenn er sie so tief in sein Gebiet ließ. Und auch wenn nicht einmal Murtagh genau wusste, wie groß seine Truppen waren und über welche geheimen Reserven der Tyrann noch verfügte, so wusste er doch eines mit Sicherheit: es würde eine Schlacht werden, wie das Land sie noch nie erlebt hatte. Erneut erwischte er sich dabei, dass er den Himmel absuchte. Nach einem hellen Blitzen, einer Bewegung, dem Schein saphirblauer Schuppen. Und er betete so sehr, dass der Himmel leer blieb... +++ Der zweite Teil wird noch länger. Und ist zu etwa ¾ fertig. =) Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)