Red and Blue von Murtagh ================================================================================ Kapitel 6: Dead Promises ------------------------ Und da bin ich auch schon wieder. =) Diesmal hab ich mich wirklich sehr bemüht, schnell zu schreiben und euch nicht wieder so lange warten zu lassen. Was nicht einfach war, da sich auch dieses Kapitel zwischendurch ziemlich gesträubt hat. Die nächsten werden einfacher, zum Glück! Und länger. Und epischer! Hoffentlich. *lach* Ein klein wenig Statistik: mein Dokument mit dem unglaublich kreativen Titel „fanfic.odt“ (als ich angefangen hab hatte ich den Titel noch nicht) umfasst bisher 119 Seiten. Ich schreibe in Arial und der Schriftgröße 10 mit einfachem Zeilenabstand. Das Kapitel „Dead Promises“ startet auf Seite 44 und endet auf Seite 51. Das nächste Kapitel, das bisher mit dem Wort „Murtagh“ beginnt, ist bereits jetzt länger als „Dead Promises“ und wird noch um einiges wachsen. Lalala, das wollten auch alle wissen. XD Viel Spaß beim Lesen! +++ Murtagh starrte auf das Amulett in seiner Hand. Zum wievielten Mal, das konnte er längst nicht mehr sagen. Dennoch hoffte er noch immer beinahe verzweifelt, dass sich der Anblick beim nächsten Hinsehen irgendwie verändert haben würde. Wie, das konnte er selbst nicht sagen. Er wusste nicht, was er erwarten, was er hoffen sollte. Und dennoch war er jedes Mal beinahe enttäuscht, wenn er wieder nur den kleinen Anhänger an dem abgewetzten Band vor sich sah. Er war so klein, so unscheinbar. Nicht einmal der Stein schien besonders zu sein. Im fahlen Licht der Sonne glänzte er schwach, erinnerte ihn an die stille Oberfläche eines Teichs an einem düsteren Herbsttag... Dennoch, wenn er Eragons Worten Glauben schenkte, war das alles was er brauchte um die grausamen Fesseln abzustreifen die ihn schon so lange gefangenhielten. Erneut wandte Murtagh seinen Blick von der Kette ab, starrte auf den langsam dunkler werdenden Himmel, der sich über ihm ausbreitete wie ein schweres Tuch, das langsam die Welt unter sich begrub. Alles in ihm wehrte sich gegen das, was Eragon ihm gesagt hatte. Sein Verstand sagte ihm, dass es nichts veränderte, dass es ihm nicht helfen würde. Dass es nichts weiter war als eine weitere kindische Hoffnung, die der König früher oder später zwischen seinen Fingern zu Staub zermahlen würde, wie so viele Male zuvor. Trotzdem zögerte er. Hielt den Anhänger in seiner Hand, drehte ihn hin und her, wieder und wieder. Unfähig, ihn von sich zu schleudern, unfähig, nicht daran zu denken es zu tun. Freiheit... Dieses eine Wort, dieser eine Gedanke, waren alles was ihn dazu brachte, weiter zu kämpfen, weiter zu atmen. Und dennoch schien er sich weiter und weiter davon zu entfernen. Bis der Gedanke an Freiheit nur noch eine vage Idee war, die ihm durch die Finger glitt bevor er sie richtig greifen konnte. Wie konnte er sich nach etwas sehnen, von dem er nicht einmal wirklich wusste wie es sich anfühlte? Murtagh schluckte schwer und schloss die Augen. Illusionen, nichts als Illusionen... Er war niemals frei gewesen. Und er würde niemals frei sein... Nie zuvor war er so nah dran gewesen, sich vollkommen zu fühlen. Sich frei zu fühlen... Der laue Wind blies rauschend durch die tiefgrünen Kronen der Bäume um ihn herum. Die Geräusche erinnerten ihn an den Klang von Wellen, die auf Steine trafen. Unbeherrscht, kraftvoll, aber doch so vertraut, dass alle Gedanken und Gefühle sich ihnen nur allzu bereitwillig anschlossen. Die Welt schien so weit weg, unwirklich, wie ein seltsamer Traum, den sie am Morgen langsam abschüttelten. Als wären sie die einzigen Menschen die es noch gab. Als würden das Gras, die Bäume, die Blätter, der Wind, nur ihnen gehören. Murtaghs Blick glitt über das Gras. Und blieb an ihm hängen. Wieder einmal. Er lag auf der Wiese, die Arme neben sich ausgebreitet, reglos. Nur seine Augen, in denen sich der blaue Himmel spiegelte, verrieten, dass er nicht schlief. Er drehte den Kopf, als er Murtagh bemerkte, und das Blau richtete sich auf ihn, als er lächelte. „Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr zurück.“ Murtagh hätte aufgelacht, wäre sein Hals nicht plötzlich wie ausgetrocknet gewesen. Und er wusste, er würde immer zurück kommen... Er konnte nicht sagen, wann es angefangen hatte, oder wie. Er wusste nur eins: es wurde schlimmer. Jeder Tag mit ihm, jeder einzelne Moment, riss die Wunde in seinem Inneren weiter auf, ließ sie tiefer und tiefer werden. Es hatte eine Zeit gegeben, in der er noch eine Wahl gehabt hatte. In der er sich dazu entscheiden konnte zu gehen. Doch er war geblieben. Und hatte es zugelassen, dass sich dieser Junge in seine Gedanken schlich, in seine Träume, und ihm damit jeden Tag vor Augen führte, wie grausam das Schicksal sein konnte. Sein Verstand schrie. Lauf, lauf, so weit du kannst! Doch er blieb. Bis sich auch der letzte Ausweg hinter ihm verschloss und er wusste, dass es kein Zurück mehr geben würde. Und der warme Wind verwandelte sich in einen Sturm, der alle seine Hoffnungen und Wünsche mit sich riss und ihn allein in tiefer Dunkelheit zurück ließ... Seltsam, dass er jetzt daran dachte. An diesen Moment, der ihm so klein und unbedeutend erschienen war, dass er ihn beinahe schon vergessen hatte. Murtagh lächelte freudlos. Vielleicht hatte der König recht und er war tatsächlich verrückt. Wie sonst war es zu erklären, dass ein Teil von ihm sich in Gedanken an Augen wie Himmel verlor... ... und ein anderer Teil von ihm sich nichts sehnlicher wünschte, als dass genau diese Augen es wären, die ihn endgültig in den Tod schicken würden. Langsam hob er eine Hand und tastete nach der Wunde, die Eragons Schwert an seinem Hals hinterlassen hatte. Der schmale Strich war verkrustet und würde wohl spurlos verheilen. Er hätte ihn sofort verschwinden lassen können, doch er schaffte es nicht, die magischen Worte auszusprechen. Hütete die kleine Wunde stattdessen wie einen Talisman, ein Brandzeichen, eine letzte Erinnerung... Als er die blaue Klinge seines Bruders an seinem Hals gespürt hatte, hatte er sich einen Moment lang gewünscht, Eragon würde es tun. Die Klinge tief in sein Fleisch treiben und ihn endlich erlösen. Er hätte es seinem Bruder nicht vorgeworfen, er wäre nicht einmal wütend auf ihn gewesen. Er hätte in seine blauen Augen gesehen während er starb, und es wäre gewesen wie in jenem Moment vor so langer Zeit. Und er hätte ihm gedankt, dafür, dass er etwas tat, was Murtagh selbst nicht fertig brachte. Doch Eragon hatte es nicht getan. Er vertraute ihm, vertraute darauf, dass er das richtige tun würde. Nach all der Zeit, nach allem was passiert war, vertraute Eragon ihm noch immer. Aus Gründen die Murtagh nicht einmal erahnen konnte. Und er gab ihm eine allerletzte Chance, auch wenn Murtagh der letzte Mensch war, der diese Güte verdient hatte. Murtagh ließ die Hand sinken. Das alles war so verrückt... Er musste über sich selbst lachen, auch wenn ihm die Tränen über das Gesicht liefen. Er war verloren, so verloren... ~ Eragon musste nicht weit gehen. Noch während die Flügelschläge des roten Drachen hinter ihm leiser wurden und schließlich verklangen, konnte er vor sich bereits die ersten Soldaten erkennen. Ihre galoppierenden Pferde wirbelten so viel Staub auf, dass Eragon einen Moment den Eindruck hatte, direkt in einen heranrasenden Sandsturm zu blicken. Sie brüllten ihm irgendetwas zu, aber Eragon konnte sie durch den Lärm, den die unzähligen Hufe verursachten, nicht verstehen. Saphira war dicht neben ihm. Er streckte eine Hand aus und legte sie auf ihren Hals. Ihre Nähe tröstete ihn. Saphira drehte den Kopf und betrachtete ihn mit einem riesigen Auge. Sie werden eine Erklärung verlangen. bemerkte sie nüchtern. Ich weiß. sagte Eragon und konnte ein Seufzen nicht unterdrücken. Er hatte keine Ahnung, wie er Nasuada erklären sollte, dass der feindliche Reiter erneut entkommen war. Nein, nicht entkommen, erinnerte sich Eragon schmerzvoll. Er hatte ihn gehen lassen. Obwohl er kurz davor gewesen war, ihn zu besiegen und diesem Kampf endlich ein Ende zu setzen. Noch immer spürte er das Gewicht seines Schwertes in seiner Hand, auch wenn die Klinge längst wieder an seinem Gürtel hing. Und noch immer sah er Murtagh vor sich, der mit weit aufgerissenen Augen zu ihm hinaufstarrte. Es wäre so einfach gewesen, den schrecklichen Kampf zu beenden. Doch er hatte es nicht getan. Ein Teil von ihm hatte diese Entscheidung schon bereut, als er Murtagh den Rücken zugewandt hatte. Er war enttäuscht gewesen, verletzt. Er hatte erwartet, dass Murtagh sein Geschenk anders aufnehmen würde. Dass es ihn dazu bringen würde, sich wieder für ihre Seite zu entscheiden, die richtige Seite. Stattdessen hatte er Eragon wieder einmal vor Augen geführt, wie wenig er seinen Bruder eigentlich kannte. Vielleicht war der Graben zwischen ihnen inzwischen wirklich zu tief geworden, um ihn noch überwinden zu können... Die kleine Gruppe schwer bewaffneter Krieger erreichte sie und brachten eine Welle von Staub mit sich, die Eragon husten ließ. Sofort brach eine Flut von Rufen über ihn herein, doch ihr Anführer brachte die Soldaten mit einer herrischen Handbewegung zum Schweigen. Schwerfällig stieg er von seinem Streitross und kam auf Eragon zu. Seine inzwischen nur noch schwach glänzende Rüstung knirschte von Staub und Dreck. Sein Name war Jacub, glaubte Eragon sich zu erinnern. Jacub blieb wenige Schritte von Reiter und Drache entfernt stehen. Er hielt sich nicht mit einer Begrüßung auf: „Jörmundur schickt uns. Wir haben den roten Drachen fortfliegen sehen. Was ist passiert?“ „Er ist entkommen.“ antwortete Eragon knapp. Er seufzte kaum hörbar. Er wollte den Mann nicht belügen, doch er wusste, dass er die Wahrheit nicht verstanden hätte. Er verstand sie ja nicht einmal selbst... Die anderen Soldaten begannen zu tuscheln, doch die Miene des großgewachsenen Kriegers vor ihm blieb unbewegt. Eragon schaffte es nur mühsam, seinem Blick standzuhalten. Jacub war schon sehr lange bei den Varden und genoss das Vertrauen von Nasuada und den anderen Befehlshabern. Und Eragon war sicher, dass er bereits jetzt seine eigenen Schlüsse zog. „Ich verstehe,“ sagte Jacub nach einem kurzem Zögern und drehte sich halb zu der Gruppe hinter sich um. „Dem Reiter und dem Drachen geht es gut!“ Einer der Reiter löste sich aus der Gruppe und ritt wieder zurück zum Heer, um die Nachricht weiterzugeben. Dann wandte Jacub sich wieder an Eragon: „Ihr solltet uns begleiten. Die Anführer müssen erfahren was passiert ist.“ Eragon schüttelte den Kopf. „Nein, ich bleibe bei Saphira.“ Saphira schlug wie zur Bestätigung seiner Worte knapp mit den Flügeln und machte sich abflugbereit. Jacub runzelte die Stirn und betrachtete die Drachendame einen Moment. Dann schien er eine Entscheidung zu treffen. „Wie Ihr wünscht.“ Er drehte sich erneut um und deutete in die Richtung, in die der Reiter kurz zuvor verschwunden war. „Lady Nasuada und ihre Krieger sind stehen geblieben. Jörmundur ist auf dem Weg zu ihr. Sie warten auf Euch, gleich hinter den Hügeln.“ Eragon nickte. Jacub betrachtete ihn noch einen Moment lang, dann drehte er sich um und ging zu seinem Pferd zurück. Schwerfällig zog er sich auf den Rücken des Tieres und griff nach den Zügeln. Dann gab er einen knappen Befehl und die Soldaten setzten sich wieder in Bewegung. Eragon wartete, bis sich die Staubwolke gelegt hatte und betrachtete die blassgrüne Ebene vor sich. Die Reiter waren schnell und es dauerte nicht lange, bis sie hinter den Hügeln verschwunden waren. Mit einem tiefen Seufzer sank er in sich zusammen. Noch immer wusste er nicht, wie er Nasuada und den anderen erklären sollte, was er getan hatte. Und dass er inzwischen selbst nicht mehr sicher war, ob es nicht ein Fehler gewesen war. „Was mache ich hier bloß...“ murmelte er leise. Saphira stieß ihm ihre Schnauze in den Rücken und warf ihn beinahe um. Eragon drehte sich zu ihr um und zwang sich zu einem Lächeln. Na los, bringen wir es hinter uns. Saphira nickte nur und senkte den Kopf, damit er sich auf ihren Rücken ziehen konnte. Dann stieß sie sich vom Boden ab und stieg langsam in die Höhe. ~ Als Eragon einige Zeit später das Quartier der Heerführer verließ, war es bereits dunkel. Unzählige Feuer warfen seltsame Schatten an die Wände der Zelte und auf den zertrampelten Boden. Die Stimmen aus dem Zelt hinter ihm wurden leiser und leiser, als er sich langsam auf den Weg durch das Lager machte. Ein besonderes Ziel hatte er nicht, er wollte einfach nur weg. Nachdem er und Saphira Nasuada und ihren Begleitern entgegen geflogen und direkt vor ihnen gelandet waren, hatte er einen Moment lang mit dem Gedanken gespielt, einfach zu lügen. Ihnen zu erzählen, dass Murtagh ihn überlistet, überrumpelt hatte und dann entkommen war. Vielleicht hätte er auch sagen können, er habe ihn schwer verletzt fortgeschickt, um Galbatorix einen Beweis seiner Macht zu senden. Doch als die Anführer vor ihm zum stehen kamen und sich Nasuadas bohrender Blick auf ihn richtete, entschied er sich doch für die Wahrheit. Oder zumindest einen Teil davon. Glücklicherweise hatten sie die Nachricht von Murtaghs Entkommen besser aufgenommen als er gefürchtet hatte. Nasuada hatte sogar ein wenig Stolz darüber gezeigt, dass er ihn beinahe besiegt hatte. Ihre Worte waren gewählt und ruhig, doch Eragon entging der stumme Vorwurf in ihren Augen keinen Moment lang. Er wusste, dass das Thema für sie noch lange nicht erledigt war. Und tatsächlich, als sie am frühen Abend ihr Lager in einer breiten Senke unweit eines verlassenen Dorfes errichteten, ließ sie ihn erneut zu sich kommen. Eragon hatte sich den ganzen Tag davor gefürchtet, aber irgendwie war er auch erleichtert, das Gespräch jetzt endlich hinter sich bringen zu können. Entgegen seiner Erwartung war Nasuada nicht alleine, als er ihr Zelt in der Mitte des Lagers betrat. Ein halbes Dutzend ihrer engsten Vertrauten waren bei ihr. Die Mehrzahl stammte aus den Reihen der Varden, doch Eragon erkannte auch eine Frau aus Surda. Außerdem stand auch Jacub an Nasuadas Seite. Sein Blick verriet Eragon, dass er mit seiner Vermutung richtig gelegen hatte. Der Mann hatte das Ende ihres Kampfes offenbar auf seine Weise gedeutet und es nicht versäumt, Nasuada seine Ansichten mitzuteilen. „Eragon,“ begann Nasuada und erhob sich aus ihrem Sessel. Mit schnellen Blicken musterte sie ihn. „Wie ich gehört habe, geht es dir gut?“ Eragon verschränkte aus einem plötzlichen Impuls heraus die Arme vor der Brust. „Du hast mich doch nicht hergerufen, um mich nach meinem Befinden zu fragen, oder?“ Seine Stimme klang schärfer als gewollt. „Nein,“ entgegnete Nasuada und runzelte die Stirn. „Ich habe dich hergerufen, weil ich wissen will, was da draußen passiert ist. Ich habe euren Kampf gesehen. Saphira hat den Drachen schwer verletzt. Wieso hast du ihn nicht gefangen genommen? Oder ihn getötet?“ Selbst wenn Eragon lügen wollte, spätestens jetzt wären alle Worte aus seinem Kopf verschwunden, egal wie gut er sie vorbereitet hätte. Nasuadas Fragen waren simpel, trotzdem lösten sie einen Sturm von Emotionen in ihm aus. Wieder sah er sich auf der sandigen Wiese stehen, das tiefblaue Schwert in der Hand, seinen Bruder vor sich, blutend, besiegt. Doch seine Hand bewegte sich nicht... „Wieso hast du es nicht beendet?“ fragte Nasuada erneut. „Wieso ist dieser Verräter nicht tot?“ Eragon hob den Kopf und starrte sie an. Sie hatte Mühe, ihre Wut zu verbergen. „Ich... „ begann er langsam, wurde jedoch überraschend von Jacub unterbrochen. „Er hat ihn gehen lassen. Ich war mit meinen Männern ganz in der Nähe. Wir wollten ihm helfen, aber wir kamen zu spät.“ Er machte einen Schritt nach vorne und deutete auf Eragon. „Der Reiter und sein rotes Monster sind fortgeflogen und er hat sie nicht aufgehalten!“ Eragon wollte aufbegehren, doch Nasuadas eisiger Blick brachte beide Männer zum schweigen. Nur schwer gelang es Eragon, die Fassung zu bewahren. Der offene Vorwurf machte ihn wütend, auch wenn jedes einzelne Wort der Wahrheit entsprach. Er hat kein Recht, so mit mir zu reden... zischte er in Gedanken. Saphira versuchte, ihn zu besänftigen, doch es gelang ihr nur bedingt. Nasuada richtete ihren Blick wieder auf Eragon. „Ist das wahr?“ „Ich...“ er zögerte. „Ja.“ Zumindest darin war er sich sicher. „Und wieso hast du das getan?“ Eragon schwieg und starrte zu Boden. Die Wut schwelte noch immer in ihm und machte es ihm schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. „Wieso hast du ihn gehen lassen?“ Eragon antwortete noch immer nicht. „Sag es mir, Eragon! Wieso hast du zugelassen, dass er uns wieder entkommt?“ Die letzten Worte hatte sie fast geschrieen. „Ich weiß es nicht.“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern. Und Nasuada hatte ihn entweder nicht gehört oder ignorierte seine erbärmliche Antwort. Sie wiederholte ihre Fragen wieder und wieder, befahl ihm, drohte ihm, doch Eragon konnte ihr keine befriedigendere Antwort liefern. Wie auch, wo er doch selbst nicht verstand, wieso er so gehandelt hatte? „Ich habe ihn besiegt und ich kann ihn wieder besiegen. Er ist keine Gefahr mehr für uns.“ war alles, was er hervorpressen konnte. Und irgendwann verstanden sie, dass sie nicht mehr aus ihm herausbringen würden. Nasuada entließ ihn mit einem knappen Wink. Eragon entging nicht, dass sie ihn ansah wie einen Fremden. Alles in ihm schrie danach, sich bei ihr zu entschuldigen. Doch als er sich am Eingang des großzügigen Zeltes noch einmal zu ihr und ihren Begleitern umdrehte, brachte er kein Wort über die Lippen. Eragon hörte Schritte hinter sich und erkannte Aryas Gang sofort. Ihr Erscheinen wunderte ihn, war sie doch nicht bei seinem Gespräch mit Nasuada anwesend gewesen. Vielleicht hatte sie aber auch im Verborgenen gewartet, um ihn jetzt in Nasuadas Auftrag erneut auszufragen. Der Gedanke machte ihn wütend und erinnerte ihn einmal mehr daran, wie tief der Riss zwischen ihm und seinen Mitstreitern inzwischen geworden war. Wie wichtig die Pflichten im Vergleich zu alten Freundschaften... Trotzdem blieb Eragon nicht stehen und drehte sich nicht um. Er wusste nur zu genau, was sie sagen würde und er hatte nicht die Kraft, mit ihr zu streiten. Saphira meldete sich in seinen Gedanken und äußerte ihre Zweifel über sein Verhalten. Ich finde, ich habe mir genug Feinde für einen Tag gemacht... war alles, was er sagte, bevor er seine Gedanken vor ihr verschloss. Dass sein kindischer Trotz seine Lage auch nicht verbessern würde, ignorierte er gekonnt. Die Schritte hinter ihm wurden schneller und Sekunden später wurde er gepackt und herumgerissen. „Was war das, Eragon?“ Aryas Augen brannten vor Zorn. „Hat Nasuada dich geschickt?“ fragte Eragon und blickte sie trotzig an. Er versuchte, sich aus ihrem Griff zu befreien, doch Arya packte ihn noch fester. „Das tut nichts zur Sache.“ sagte sie spitz. Also hatte ich recht... dachte Eragon. „Ich will wissen, was da draußen passiert ist!“ „Ich hab alles gesagt, was ich weiß.“ entgegnete Eragon genervt. „Lüg' mich nicht an, Eragon! Was hast du getan? Du verschweigst etwas!“ Aryas Wut traf ihn wie kochendes Wasser. Eragon öffnete die Lippen, wollte etwas sagen, doch sein Mund war mit einem Mal wie ausgetrocknet. Arya hatte kein Erbarmen. Ihre schmalen Hände schlossen sich so fest um seine Oberarme, dass es schmerzte. Erneut fragte sie ihn und hielt ihre Stimme nur noch mit Mühe unter Kontrolle. Eragon schluckte und starrte an ihr vorbei. In seinem Kopf drehte sich alles. Ein Teil von ihm wollte es ihr sagen, wollte, dass sie ihn verstand. Doch würde sie das?! „Ich habe...“ begann er schließlich. Aryas Blick bohrte sich in seinen und sein Widerstand bröckelte immer mehr. Mühsam befreite er sich aus ihrem Griff. Einen Moment lang hasste er sie beinahe dafür, dass sie es nach wie vor perfekt verstand, ihn tun zu lassen was sie wollte. „Du hast recht, ich hab' nicht alles gesagt. Ich...“ Eragon fixierte ihr Gesicht. Ihre Augen waren eisige Seen. Sie wartete. „Ich habe Murtagh weggeschickt und ich... ich habe ihm etwas gegeben, einen Anhänger, den ich von...“ Er brach ab, besorgt, was passieren würde, wenn Arya erfuhr, dass Angela einen Beitrag zu seinem Geheimnis geleistet hatte. Saphira schien seine Sorge nicht zu teilen. Die blaue Drachendame kam plötzlich aus der Dunkelheit zwischen zwei Zeltreihen hervor und wandte sich an Arya, ohne Eragon auch nur anzusehen. Mit ruhiger Stimme erzählte sie Arya von Eragons Treffen mit der Hexe, von dem Zauber, von dem Amulett, von der Hoffnung, was es bewirken könnte. Eragon ballte die Hände zu Fäusten und biss sich auf die Lippen. Er wusste, dass Arya die Wahrheit verdient hatte. Dennoch fühlte er sich von Saphira verraten. Auch wenn er selbst sie erst vor wenigen Augenblicken aus seinem Kopf ausgesperrt hatte. Arya hörte zu und als Saphira geendet hatte, schwieg sie eine ganze Weile. Eragon begann zu hoffen, dass sie nicht so wütend werden würde wie er befürchtet hatte. Doch als sich die Elfenfrau zu ihm umdrehte und ihn ansah, wusste er, dass er sich irrte. Ihre Augen loderten vor Zorn. „Was... wie konntest du das tun, Eragon?“ fragte sie fassungslos. Eragons Augen weiteten sich. Er schluckte schwer. Er konnte sich nicht erinnern, Arya jemals so wütend gesehen zu haben. Alles in ihm schrie danach, sich zu entschuldigen, zu rechtfertigen! Ihr zu sagen, dass er einen Fehler gemacht hatte, einen schrecklichen Fehler, und dass er es bereute! Doch seine Stimme weigerte sich, ihm zu gehorchen. „Ich...“ krächzte er hilflos. Arya kam auf ihn zu, eine Hand halb erhoben, so dass Eragon einen absurden Moment lang fürchtete, sie würde ihn schlagen. Stattdessen blieb sie vor ihm stehen, so dicht, dass er ihren Atem auf seinem Gesicht spüren konnte. Er wollte sich abwenden, ihrem Blick entkommen, doch ihre schlanken Finger umfassten blitzschnell sein Kinn und zwangen ihn dazu, ihr in die Augen zu sehen. „Sag es mir, Eragon. Sag mir, wieso du das getan hast!“ Er wollte antworten, doch sein Hals war wie ausgedörrt. Ihr Griff wurde fester, tat weh. Als er nicht antwortete, ließ sie ihn schließlich los und wandte sich von ihm ab. Eragon atmete langsam aus. Erst jetzt merkte er, dass er die Luft angehalten hatte. Sein Hals brannte und erinnerte ihn einmal mehr an den Kampf mit Murtagh. Aryas Reaktion schürte seine Zweifel, ließ sie auflodern wie einen Waldbrand. Er sah zu Arya, beobachtete sie. Die Elfe hatte ihm den Rücken zugewandt und schien nachzudenken. Einen seligen Moment lang glaubte er tatsächlich, dass ihre Wut sich gelegt hatte. „Ich denke nicht, dass...“ begann er vorsichtig, doch Arya unterbrach ihn sofort. „Sei still, Eragon.“ Ihre Stimme war eine eisige Klinge. Langsam drehte sie sich zu ihm um. „Wie konntest du das tun, Eragon?“ fragte sie erneut. Er wollte antworten, doch sie ließ ihn nicht zu Wort kommen. „Wieso, Eragon? Wir stehen kurz vor der entscheidenden Schlacht gegen den König! Wir haben Jahrzehnte gebraucht, um so weit zu kommen wie wir jetzt sind! Unzählige Menschen vertrauen auf uns! Sie vertrauen darauf, dass es uns endlich gelingt, den Tyrannen zu stürzen und sie aus der Sklaverei zu befreien! Du hattest die Gelegenheit, deinen Teil dazu beizutragen und du hast sie verstreichen lassen! Sag mir wieso! Sag mir, wieso du uns im Stich lässt!“ Eragon starrte sie an, entsetzt, fassungslos. Ihr Ausbruch hatte alle Gedanken aus seinem Kopf gefegt und nur eisige Leere hinterlassen. „Ich musste es tun!“ keuchte er hilflos. „Du ... du hast mich gefragt ob ich bereit bin, ihn zu töten! Und ich habe es versucht. Aber... ich bin nicht bereit dafür. Ich kann ihn nicht töten, verdammt, ich kann es einfach nicht!“ „Dann lass es einen von uns tun, lass es mich tun!“ gab Arya zurück, plötzlich erschreckend ruhig. Eragon schüttelte nur schwach den Kopf. „Willst du...willst du uns alle für sein Leben opfern?“ Die Kälte breitete sich weiter aus, fraß sich durch seine Gefühle, seine Seele. „Nein... nein!“ Seine Stimme bebte. Arya blickte ihn wortlos an. „Es war doch nur... Angela hat mir von einem Zauber erzählt und ich habe...“ Eragon sah zur Seite, war nicht länger fähig, ihrem Blick standzuhalten. „Ich... ich bin kein Mörder.“ Stille breitete sich zwischen ihnen aus. „Aber ein Verräter?“ Etwas in Eragon schien bei ihren Worten zu zerbrechen. In Aryas Stimme hatte sich eine Kälte geschlichen, die er von ihr nicht kannte. „Was... was redest du denn da?“ fragte er heiser. „Du bist ein Krieger, Eragon. Du bist den Varden, den Elfen, den Zwergen und den Menschen gegenüber eine Verpflichtung eingegangen. Sie vertrauen auf dich, sie brauchen dich. Und du wirfst dieses Vertrauen weg für einen Mann, der mehr als einmal versucht hat, dich zu töten und deine Güte mit Füßen tritt.“ Arya verschränkte die Arme vor der Brust und sah ihn an wie einen Fremden. „Ich habe dir vertraut, Eragon, wir alle haben das. Du bist der letzte Drachenreiter, unsere größte Hoffnung. Ich habe geglaubt, dass dir das klar ist. Stattdessen verrätst du uns, wieder und wieder. Und überlässt unseren Feinden einen Zauber, von dem keiner von uns sicher sagen kann, welche schreckliche Wirkung er haben könnte.“ „Ich...“ begann Eragon leise, doch Arya brachte ihn mit einer Handbewegung zum Schweigen. „Nein, Eragon. Ich habe genug gehört. Und ich weiß, dass du dir darüber keine Gedanken gemacht hast,“ Sie schenkte ihm ein trauriges Lächeln. „Leider macht das deinen Verrat nicht ungeschehen.“ Ihre Worte trafen ihn wie ein Schlag in die Magengrube. Das war es also, was sie von ihm dachte. Dass er ein Verräter war, genau wie Murtagh. „Nasuada wird es dir nicht sagen, denn sie weiß, dass wir dich brauchen. Aber manchmal denke ich, dass wir ohne dich vielleicht besser dran wären. Ich habe dir zum letzten Mal vertraut.“ Eine schreckliche Leere ergriff von ihm Besitz. Arya sah ihn noch einen Moment lang an, dann wandte sie sich an Saphira. „Du hättest ihn aufhalten müssen.“ sagte sie düster. Saphira knurrte zur Antwort und blies kleine Rauchwölkchen aus. Dann drehte sich die Elfe um und verschwand in der Dunkelheit. Eragon sah ihr nach, auch als sie schon längst nicht mehr zu sehen war. Sein Körper hatte zu zittern begonnen und ihm war schrecklich kalt. Er schlang die Arme um den Körper, doch auch das wollte nicht helfen. Das war es also, was Arya von ihm dachte, was sie alle von ihm dachten. Und der einzige Grund, wieso sie ihn dafür nicht bestraften, war, dass sie seine Fähigkeiten brauchten. Das sollte ihn erleichtern, aber eigentlich tat es nur weh. Wann hatte er sich derart von ihnen abgewandt? Was war nur aus ihm geworden?! Mit einem Gefühl vollkommener Hilflosigkeit sank er auf die Knie. ~ Das Pferd unter ihm bewegte sich auf und ab, auf und ab, auf und ab... Es lag etwas Einlullendes in diesem stetigen Rhythmus, doch er konnte sich nicht darin verlieren. Er vermisste die Höhe, den Wind, das Gefühl glatter Schuppen unter seinen Beinen... Eragon ritt an Nasuadas Seite. Offiziell, weil Saphira sich von ihren Verletzungen erholen sollte. Aber Eragon wusste, dass der wahre Grund ein völlig anderer war. Die Anführerin wollten ihn im Auge behalten. Wie einen kleinen Jungen... dachte Eragon düster und schaute sich suchend nach Saphira um. Sie flog hoch über ihnen und ihre blauen Schuppen verschmolzen beinahe mit dem Blau des Himmels. Der Anblick versetzte ihm einen Stich. Er gehörte nach da oben, zu ihr... Der Klang eines Horns riss ihn aus seinen Gedanken. Suchend sah er sich nach dem Verursacher um und erblickte einen Botschafter, der sich ihnen in schnellem Galopp näherte. Eragon runzelte die Stirn. Er kannte den rotgelockten jungen Mann und er wusste, dass sein Eintreffen stets eine besonders wichtige Nachricht bedeutete. Die Gruppe von Reitern kam zum stehen und wartete auf den Botschafter. Der wandte sich direkt an Nasuada und reichte der Anführerin der Varden eine schmale Schriftrolle. Nasuada entrollte sie sofort und las einige Minuten lang konzentriert. Dann hob sie den Blick und betrachtete den jungen Mann einen Augenblick lang. „Ist das wirklich sicher?“ fragte sie dann. „So wahr ich hier stehe.“ antwortete der junge Mann sofort und hob eine Hand an die Stirn. „Was ist passiert?“ rief Eragon neugierig, doch Nasuada ignorierte ihn. Eine weitere Strafe, dachte Eragon beleidigt. Sie las die Nachricht erneut, dann drehte sie sich endlich zum Rest ihrer Gruppe um. „Der Reiter ist verschwunden.“ Eragon starrte sie einen Moment verständnislos an. Ihr strenger Blick richtete auf ihm, als erwarte sie, dass er ihr die Erklärung dafür liefern könnte. „Verschwunden... was soll das heißen?“ fragte Eragon stattdessen. Er war völlig verwirrt. Lautes Getuschel breitete sich aus und Nasuada hob die Hand, um für Ruhe zu sorgen. Noch immer sah sie Eragon an. Als er nicht weitersprach, wandte sie sich an ihre Begleiter. „Wir haben heute Nachricht von mehreren unserer Spione erhalten. Alle sagen dasselbe. Der Drachenreiter ist verschwunden. Der König soll außer sich vor Wut sein.“ Chaos brach aus, doch Eragon war wie gelähmt. Murtagh war verschwunden... Hatte er es geschafft? Hatte er ihn retten können? Aber wenn es so war, wieso war er dann nicht hergekommen? Wieso kämpfte er nicht mit ihm? Wieso lief er davon...? Nur an Rande nahm er wahr, dass eilige Befehle gebrüllt wurden und einige der Krieger und Elfen die Gruppe verließen. Irgendwann stand Nasuadas Pferd neben ihm. „Wenn du eine Erklärung dafür hast, verlange ich von dir, dass du sie mir mitteilst.“ sagte sie so leise, dass nur er sie hören konnte. Eragon schüttelte nur den Kopf. „Ich wünschte ich wüsste es.“ Das war die Wahrheit. +++ Ich werde mich bemühen, Kapitel 6 in spätestens 2 Monaten hochzuladen. Hoffentlich pack ich das... o_O/ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)