Kaltherzig von P-Chi (Kronenmord) ================================================================================ Kapitel 2: Die Ostgrenze ------------------------ Die fünfzehnmeterhohe Steinmauer war nicht annähernd so eindrucksvoll wie man vielleicht dachte. Die Menschen würden niemals das Grundstück der Vampire betreten können, wenn sie nicht gerade eine Leiter mit sich herumtrugen, aber für Wesen der Nacht genügte ein einziger Sprung, um die Mauer zu erklimmen. Dank meiner Wenigkeit und die einer Soldatengruppierung, wurde die Grenze gut überwacht, bei der allerdings nicht selten jemand umkam. Ob nun Vampir oder Werwolf – es spielte keine Rolle. Wir waren nur die Schachfiguren meiner Schwester, und sie war eine meisterhafte Spielerin. Nebel kroch über den grasbewachsenen Boden, der alle zwei Meter von einem großen Kreuz aus Holz durchstoßen wurde. Die Gräber der Königsfamilie. Vor Jahrhunderten waren wir ein großer Clan gewesen; gespalten in drei Familien. Wir hätten alle beisammen bleiben können, wenn eine Gruppe von Königsschlächtern – eine vampirische Meuterbande, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, alle aus der königlichen Familie auszulöschen – uns nicht verraten hätte, und damit begonnen hatte, ihre eigene Armee zu erschaffen. Sie hatten einen Weg gefunden, Tiere zu verwandeln. Dieser Tag war unser aller Untergang. Die Geburt der Werwölfe. Mit einem kurzen Abstoß sprang ich auf die Mauer und ging sofort in Habachtstellung. Es roch nach Blut. Und Wölfen. Ein Knurren stieg in meiner Kehle auf. Ich sprang von der Mauer und schlich in den Wald, der sich hinter der Grenze erstreckte und somit das Revier der Werwesen markierte. Von weitem konnte ich die Schritte von Vampiren ausmachen, die versuchten ihre Beute einzukreisen. Durch die Bäume, die mir lästigerweise im Weg standen, konnte ich nicht genau erkennen um wie viele Personen es sich genau handelten, aber das war auch unwichtig. Ich würde die Wachposten nun ohnehin ablösen; sollen sich diese doch im Schloss nähren. Ich hielt mich im Schatten, als ich mich den Wächtern näherte und beobachtete mit zusammengekniffenen Augen die Szene. Drei Vampire. Zwei Wolfsjungen. Ein wahres Festmahl für meine Brüder und Schwestern. Aber Wolfsjungen waren tabu, denn es würde die Wölfe nur reizen, und die derzeitige Lage nicht verbessern. Ein Krieg wäre der einzige Ausweg – aber das Ende für beide Rassen. Die drei Vampire, zwei davon hatten dunkles, der andere hellblondes Haar, fletschten schon gespannt die Zähne und lauerten, wie die Vorboten des Todes, den beiden kleinen Junge mit der wilden Lockenmähne auf und ließen ihre Augen bedrohlich aufglühen. Eines der Wolfskinder, mit dunkelgrünen Augen fauchte und stellte sich schützend vor den Kleineren der beiden, der sich mit tränenüberströmtem Gesicht geduckt hielt. Beide waren noch jung; zu jung, um als Vorspeise für Vampire zu enden. In dem Moment, als der Blonde Vampir auf die Jungen zu sprang, wurden diese von mir an den Kragen gepackt und in die Höhe gehoben. Meine Bewegungen waren so schnell gewesen, dass selbst gewandelte Vampire bei meinem Anblick noch blasser wurden. „Na? Genug gespielt?“, fragte ich in klirrend kaltem Tonfall und fixierte das Trio. „Wachablösung. Verschwindet.“ Meine Stimme ließ keinen Widerspruch zu und die beiden Dunkelhaarigen wichen ehrfürchtig vor mir zurück, doch der Hellhaarige, der sich scheinbar für den Anführer hielt, knurrte mich nur bösartig an. „Das ist unsere Beute.“ Die Worte waren nur ein Flüstern, aber unmissverständlich. Meine Lippen wurden schmal, bei dieser Respektlosigkeit. „Ich sagte, Ihr sollt verschwinden“, wiederholte ich und ignorierte die strampelnden Leiber, die ich noch immer fest hielt. „Lasst unsere Beute los!“, schrie er, zog einen Dolch aus seinem Gürtel, und rannte auf mich zu. Ich seufzte über die Dummheit so mancher gewandelter Vampire. Es würde ihm rein gar nichts nützen, wenn er mit einem Zahnstocher auf mich losging. Wunden reinblütiger Vampire heilten innerhalb weniger Sekunden, deshalb war es auch so schwer gewesen unsere Familien umzubringen. Schon überhaupt die Tatsache, dass ein Wesen der Nacht einen Dolch bei sich trug, war Irrsinn. Er musste wohl erst kürzlich gebissen worden sein, doch warum war er dann an der Grenze postiert? Hatte ihn meine Schwester für entbehrlich gehalten? Es war mir gleich – wenn er nicht gehorchte, würde er ohnehin nicht lange Leben, also zog ich seine Qualen auch nicht in die Länge, sondern warf die Wölfe hoch in die Luft und nutzte diese Gelegenheit um meinem Angreifer den Kopf abzureisen. Meine Augen glühten rot, als der tote Körper zu Boden plumpste und der Kopf nur wenige Meter entfernt landete. Ich fing die beiden schreienden Gören auf und warf den übrig gebliebenen Vampiren einen giftigen Blick zu. „Wenn ihr es noch einmal wagen solltet, meinen Worten nicht zu gehorchen, werdet ihr genauso enden wie er.“ Ich deutete mit einem Nicken auf den kopflosen Leib. Mit dem Fuß rollte ich ihnen den Kopf zu. „Nehmt den hier mit und richtet meiner Schwester, der Königin, einen schönen Gruß aus.“ Die beiden waren verschwunden wie der Blitz, als sie erkannten, wen sie so erzürnt hatten und ließen mich mit den beiden Wölfchen alleine. Endlich. Ich setzte die beiden stillschweigend ab und ignorierte das Fauchen und Brüllen, mit dem sie mich verschrecken wollten. „Denkt ihr etwa, ich habe Angst?“, fragte ich die beiden mit hochgezogener Augenbraue. Der Kleinere, mit den hellbraunen Augen, warf seinem Freund einen verwirrten Blick zu und wich einen Schritt zurück. Dieser schien genauso ratlos zu sein, wie er selbst. „Und jetzt wundert ihr euch, dass ich euch nicht umbringe“, riet ich und stemmte die Arme in die Hüften. „Sie liest unsere Gedanken“, flüsterte der Ältere mit weit aufgerissenen Augen und ballte seine kleinen Hände zu Fäusten. Ich lachte über diese Unverfrorenheit, aber ich würde ihnen ihre Illusionen nicht nehmen. Je mehr Angst sie vor mir hatten, desto schneller würden sie lernen, dass man mit Vampiren nicht spaßen konnte. Ein lang gezogenes, schrilles Heulen ertönte in der Ferne und ließ alle Anwesenden erstarren. Jemand rief nach den Jungen. Besser, wenn diese Personen nicht in die Nähe der Grenze kamen. Ich war gerade nicht auf einen Kampf aus. Ich wollte meine Ruhe haben in diesem stillen Wald. Beunruhigt machte ich den Wolfsjungen platz und sprang auf den Ast eines Baumes. „Schnell, lauft zu euren Eltern“, flüsterte ich, damit mich die listigen Werwölfe nicht hören konnten. „Und spielt in Zukunft woanders. Zu diesen Zeiten ist es sehr gefährlich hier draußen.“ Ich zwinkerte den beiden noch einmal zu und rannte wieder zurück zur Steinmauer. Binnen weniger Sekunden war ich wieder an Ort und Stelle, als hätte ich diesen Platz in den letzten fünfhundert Jahren nie verlassen. Mein kaltes Herz wurde schwer bei dem Gedanken. Ich mochte diesen Ort nicht - hier stand man stets an der Vordersten Front und hatte gar keine andere Wahl, als um sein Leben zu kämpfen. Entweder man starb im Kampf gegen die Werwölfe, oder man wurde von den Bluttrinkern hingerichtet, weil man die Wölfe auf das Grundstück der Königin gelassen hatte. Wenn man an einen Ort postiert wurde, dann auf Ewig. Und wenn ich ‚auf Ewig’ sagte, dann meinte ich es auch genau so. So oder so, gab es keinen Ausweg. Gefangenschaft für immer. Nur mein hoher Rang und meine hervorragenden Fähigkeiten im Nahkampf, hatten es mir ermöglicht, lebend wieder ins Schloss zurück zu kehren. Nacht für Nacht, für eine sehr, sehr lange Zeit. Während eines solchen Zeitraumes, wurden Gefühle stumpf. Ich fühlte weder Freude, noch Hass, einfach gar nichts. Ich blieb leer und kümmerte mich einfach um meine Aufgabe, doch irgendwann hatte ich mir die alles entscheidende Frage gestellt. Warum kämpfe ich? Natürlich, um meine Rasse zu schützen, aber wer hatte denn mit dem Krieg begonnen? Wir! Warum, also, sollte ich mich gegen die Gerechtigkeit stellen und weiterhin das Schloss verteidigen? Ich wusste es nicht. Wahrscheinlich lag es daran, dass diese Personen, die ich kaum kannte und mir, im tiefsten Inneren meiner Seele furchtbare Angst einjagten, die einzigen Lebewesen sind, die mich akzeptierten wie ich war. Reinblütig. Gefährlich. Durstig. Und vollkommen allein. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)