Kaltherzig von P-Chi (Kronenmord) ================================================================================ Kapitel 3: Ein Dankeschön ------------------------- Noch vor Sonnenaufgang, war ich wieder im Schloss und verkroch mich in meinem verdunkelten Zimmer. Ich hatte kaum einen Schritt über die Türschwelle gemacht, da war auch schon Oleen an meiner Seite und fragte mich nach zwei Vampiren aus, die meiner Schwester einen abgerissenen Kopf vor die Füße gelegt und ihr einen schönen Gruß übermittelt hatten. „Sie war sehr wütend. Was habt Ihr euch nur dabei gedacht, Mylady?“, hatte die Messerwerferin ehrfürchtig geflüstert und war mir im Laufschritt gefolgt, ehe ich ihr die Tür vor der Nase zuknallte. Der Durst brannte in meiner Kehle wie Feuer, als ich mich auszog und unter der Bettdecke verkroch. Als Reinblüterin brauchte ich selten Blut, doch oft genug um mich tagtäglich damit zu quälen. Ich würde vielleicht noch zwei Nächte lang durchhalten können, aber für meine Aufgabe brauchte ich Kraft und ich rechnete bereits damit, Morgen von einer Horde Werwölfe Besuch zu bekommen. Ob die Kleinen wohl bereits ihre Eltern gefunden hatten? Wie immer wurde ich, pünktlich zu Sonnenuntergang, von einem leisen Klopfen aufgeweckt und sprang leicht benommen aus dem Bett. „Mylady Rebecca? Eure ehrwürdige Schwester Leonore, Königin der Vampire und Schlächterin der Werwölfe, wünscht Euch im Speisesaal vorzufinden, bevor Ihr zurück auf Euren Posten geht“, drang eine Fistelstimme von der anderen Seite der Tür zu mir her, deren Nachricht mich erschaudern ließ. Ein Essen mit meiner Schwester. Lieber würde ich mir einen Dolch ins Herz rammen lassen – was wahrscheinlich auch der Fall sein würde, wenn ich nicht dort auftauchte. Mit missmutiger Laune, zog ich mir eine Hose an – damit ich mich auch bewegen konnte, wenn ich um mein Leben rang –, meine braunen Lederstiefel mit Schnallen und zog mir dann meinen langen dunkelroten Mantel mit Kapuze, über meine weiße Bluse mit einem Korsett darüber, an. Sicherheitshalber verstaute ich noch zwei Messer, mit einer gewellten Klinge aus Silber, in meinen Stiefeln und band mir eine schwarze Peitsche um die Hüfte. Letztendlich kümmerte ich mich noch um meine wallenden Haare. Um sie zu bändigen, flocht ich sie zu einem langen Zopf und steckte sie mir, mit glänzenden Nadeln und Spangen befestigt, hoch. Widerwillig ging ich in Richtung Speisesaal, durchquerte dabei viele Zimmer und Gänge, wobei ich hin und wieder einigen verschreckten Bluttrinkern begegnete, die mich entweder mit unverhohlenem Hass oder Neugierde musterten. Bewunderung lag kaum in ihren schwarzen, ausdruckslosen Augen. Es war nicht zu übersehen, wem ihre Treue galt. Mit durchgestrecktem Rücken und nach unten gezogenen Schultern, öffnete ich die Türe und schlüpfte schnell in den hell beleuchteten Speisesaal. Das Licht des Mondes, dass durch die ganze verglaste Wand links von mir, eindrang, strahlte heute Abend unglaublich hell und machte es überflüssig, Kerzen anzuzünden, obwohl wir sie ohnehin nicht benötigten. Zwei Vampire hatten sich in schwarzen Umhängen neben der in der Mitte sitzenden Königin postiert und hielten den Kopf gesenkt, so dass ich keinen Blick auf ihre Gesichter erhaschen konnte. „Rebecca“, flüsterte Leonore mit einem hämischen Grinsen auf den blutroten Lippen und deutete mit ihrem Glas auf den Sitzplatz, am anderen Ende des langen Tisches. „Setz dich doch, Schwester.“ Ohne den Blick abzuwenden, ließ ich mich auf den bepolsterten Sessel sinken, der einem Thron glich. Vor mir, am Rand des mahagonifarbenen Tisches, stand ebenfalls ein Weinglas, aber anstatt mit Rotwein, war es mit Blut gefüllt. Mit Blut, dessen Geruch mir süße Verführungen zuflüsterte und deren Farbe auf mich hypnotisch wirkte. Vorsichtig legte ich meine zittrigen Finger an das Glas, damit dieses nicht unter dem Druck, der von mir ausging, zerbrach, doch noch wagte ich es nicht, die warme Flüssigkeit zu kosten. Sie stammte frisch aus der Quelle; höchstens zwei Minuten alt. Welch eine Verschwendung wenn ich mich nicht erbarmte … aber schließlich saß ich mit meiner Schwester an einem Tisch. Und wie sie mich fixierte, passte mir gar nicht. Das Blut könnte vergiftet sein, kam es mir in den Sinn und verwarf diesen dummen Gedanken sofort wieder. Wenn dies der Fall hätte sein sollen, dann hätte sie sich kaum die Mühe gemacht, einen Eid abzulegen, um mich an ihre Dienste zu binden. „Warum hast du mich gerufen, Leonore?“, fragte ich sachlich und stellte das Glas zurück auf den Tisch. Mit den Fingerspitzen schob ich es noch ein gutes Stück weiter von mir weg. Ich würde Frederique und Lucius darum bitten müssen, mir noch vor meinem Verschwinden einen Menschen bringen zu lassen. Mein Durst war stärker, als ich gedacht hatte. „Was für eine nette … Geste, du dir doch ausgedacht hast, liebste Schwester. Für deine Verhältnisse“, fügte sie noch hinzu und nahm einen weiteren Schluck. Sicher spielte sie auf den abgetrennten Kopf an, den ich ihr hatte überbringen lassen. Die Männer hinter ihr bewegten sich keinen Millimeter. „Ja“, stimmte ich zu. „Das hatte ich mir auch gedacht, nachdem er versucht hatte mich anzugreifen.“ Die Vampirin zog eine ihrer perfekten Augenbrauen in die Höhe und lächelte. „Interessant wie du die Dinge regelst. Und ich dachte bereits, wir hätten nichts gemeinsam.“ Mir wurde übel bei dem Gedanken, aber ich zwang mich, mir nichts anmerken zu lassen. Diese Genugtuung würde ich ihr nicht geben. „Gibt es sonst noch etwas, worüber du mit mir sprechen wolltest?“ „Hmm, ja, da war allerdings noch etwas.“ In ihren Augen blitzte etwas Schalkartiges auf. „Von nun an wird Evelyn mit dir die Ostgrenze bewachen, sei also so gut und versuch nicht sie in Stücke zu reißen.“ Ich versuchte erst gar nicht ein Knurren zu unterdrücken. „Dieses Biest wird gefälligst an deiner Seite bleiben!“, zischte ich. Leonore fauchte wie eine Katze und warf mit ihrem Glas nach mir. Ich neigte meinen Kopf zur Seite und hörte das laute Splittern von Glasscherben, als es hinter mir an der Wand abprallte. Leicht zuckte ich bei diesen kratzigen Tönen zusammen. Mit einem kurzen Blick über die Schulter sah ich wie das Blut lange Bahnen von einem großen roten Fleck auf einem meiner Lieblingsgemälde nach unten zog und beendete dieses Gespräch indem ich mich erhob. Kurz blieb ich noch stehen, wagte es aber nicht mich umzudrehen und in die leuchtend roten Augen meiner Schwester zu sehen. Derart furchtlos waren selbst die stärksten Krieger nicht. „Sollte“ – ich knirschte mit den Zähnen – „Evelyn auch nur einen Fuß auf mein Gebiet setzten, so wirst du von ihr noch weniger finden als lediglich den Kopf.“ „Ist das eine Drohung?“, hauchte die samtene Stimme, direkt hinter mir. Ich konnte fast ihren eiskalten Atem im Nacken spüren. „Nein. Es ist nur eine Warnung“, erwiderte ich frostig und stolzierte hinaus. Auf dem Weg in den öffentlichen Speisesaal – der für die Untertanen Leonores zur Verfügung stand und in dem ich hoffte Lucius zu finden – begegnete ich dem Teufel. Oder, besser gesagt, der Teufelin mit den roten Haaren und dem eiskalten Blick. Das kleine Mädchen blickte mich von unten hinauf an – in ihren Augen lag die brodelnde Verachtung, mit der ich oft genug Bekanntschaft gemacht hatte und es nicht noch einmal darauf anlegte. Damals, als sie sich eben erst Leonore angeschlossen hatte und ich deswegen eifersüchtig wurde und sie zum Duell herausgefordert hatte, hätte mir das kleine Monster beinahe den Kopf abgerissen. Dabei hätte ich doch wissen müssen, dass Evelyn, dank dem Blut meiner Schwester, um einiges mächtiger war, als die anderen ‚Neugeborenen’. Schlussendlich hatte ich dennoch gesiegt und ihr jämmerliches Leben, als Schoßhündchen meiner Schwester, verschont. Mittlerweile bedauerte ich es zutiefst. Die Rothaarige verschwand um eine Ecke, ohne mich auch nur eines weiteren Blickes zu würdigen. Anders war ich es ohnehin nicht gewohnt. Ein anderes Verhalten käme der Apokalypse gleich. „Mylady?“, fragte eine mir allzu bekannte Stimme und ich drehte mich um, um den Vampir mit den langen braunen Haaren, die er mit einem blauen Band im Nacken zusammen gebunden hatte und den schwarzen Augen, die leer auf einen Ort hinter mir starrten, zu begrüßen. „Lucius“, sagte ich und entdeckte Frederique, flankiert von zwei dunkelblonden Vampirinnen, hinter ihm. Auch ihm nickte ich leicht zu und machte zwei Schritte auf sie zu. Die Vampirin, die sich rechts in Frederiques muskulösen Arm eingehakt hatte, machte unmerklich einen Schritt zurück. Ich musste an mich halten, um nicht zu grinsen und sie noch mehr in die Enge zu treiben. Ich hob eine Hand. Die beiden Vampirinnen verschwanden. Frederique, dessen welliges Haar wie ein Vorhang über seine linke Gesichtshälfte fiel, stellte sich neben Lucius und verbeugte sich. Die beiden waren kaum älter als ich, standen aber stets an meiner Seite wenn ich sie brauchte. Dennoch würden sie sich niemals gegen die Königin stellen. Das wäre Hochverrat und würde mit dem endgültigen Tode bestraft. „Bringt mir einen Menschen auf mein Zimmer“, bat ich und schlenderte gemächlich in genau diese Richtung. „Sehr wohl, Mylady“, sagten die beiden in tiefem Bariton und eilten dann in den Kerker, in denen sich die Gefangenen meiner Schwester, wie die Ratten, tummelten. Sie hatte eine ziemlich eigene Vorstellung, was das Thema ‚Haustiere’ anbelangte. Gelangweilt und gesättigt, lag ich mit geschlossenen Augen, auf einem Baumstamm, deren Rumpf noch halb an den Wurzeln hing und den Stamm deshalb etwas angehoben hielt. Die Magd, die Lucius und Frederique mir gebracht hatten, war abgemagert gewesen und hielt sich kaum noch am Leben. Kaum etwas, aus dem man viele Nährstoffe ziehen könnte, aber es würde reichen. Entweder meine beiden Vampire waren im Kerker auf meine Schwester getroffen, die ihnen befohlen hatte mir das magerste Ding mitzubringen, oder dort unten gab es tatsächlich kaum noch Überlebende. Ich erschauderte bei der Erinnerung, an den dunklen, feuchten Keller, der sich als Tunnelsystem unter dem Schloss verborgen hielt. Die Schreie, die ich damals als Kind wahrgenommen hatte, hallten mir noch immer in den Ohren nach. Die verstümmelten Leichen und zerfetzten Körper hatten mich wünschen lassen ich wäre blind. Doch am schlimmsten war der Geruch. Verdrecktes Blut. Verbranntes Fleisch. Der Duft des Todes. Das Knacken eines Astes lenkte mich ab und ließ mich, mit der Hand an meiner Peitsche, aufspringen. Ich rümpfte die Nase, als mir der unverwechselbare Geruch eines Werwolfs entgegen wehte. „Zeigt Euch“, befahl ich missgelaunt. Ein ungewohnter Laut hallte von den Bäumen wieder. Ein langsames Händeklatschen. Irritiert wirbelte ich herum und starrte den Werwolf, der in Menschengestalt an der Mauer lehnte, fassungslos an. Wie konnte er sich unbemerkt an mir vorbei schleichen? War ich derart in Gedanken versunken gewesen? „Wer seid Ihr?“, fragte ich mit monotoner Stimme. „Die Frage ist doch eher die, wer Ihr seid“, meinte der Fremde mit tiefer Stimme und musterte mich ziemlich auffällig. Ich war es nicht gewohnt, dass man mich so offen ansah, da die meisten den Blick senkten, oder einfach durch mich hindurch schauten. „Ich bin eine Bluttrinkerin“, sprach ich das Offensichtliche aus. Er schien nicht daran interessiert zu sein, die Grenze zu überqueren, also würde ich auch nicht einschreiten müssen. Und was wenn er zu mir wollte? Ich überdachte diese Idee und schüttelte innerlich den Kopf. Lächerlich. Der Werwolf legte den Kopf schief, wobei ihm einige haselnussbraune Haarsträhnen ins Gesicht fielen. „Willst du mich nicht angreifen?“ Ich kniff die Augen zusammen. Meine Ignoranz siegte über meine Aufregung darüber, dass er es sich einfach so herausnahm mich zu duzen. Wahrscheinlich sprachen alle Werwölfe so. „Dasselbe hatte ich mich auch gerade gefragt.“ Der Mann, mit dem kantigen Gesicht und den listigen Augen eines Fuchses, lachte ungeniert los und stützte sich wieder an der Wand ab. In dem Moment, packte ich aus reinem Reflex meine Peitsche und warf sie schnalzend nach ihm. Das schwarze Haar umschlang seinen linken Fußknöchel, und noch in derselben Sekunde schleuderte ich den Griff über einen dicken Ast und fing ihn auf der anderen Seite wieder auf. Mit einem kräftigen Ruck meinerseits wurde der Werwolf in die Luft gerissen und schwang nun kopfüber, seinen freien Fuß leicht angewinkelt, hin und her. „Wie unhöflich“, war sein einziger Kommentar dazu. Hatte er denn keine Angst? War er nicht wütend? Meine Verwirrung muss mir ins Gesicht geschrieben gewesen sein, denn der Mann in den kurzen Hosen und mit nacktem Oberkörper, seufzte theatralisch und verschränkte die Arme, die nun die lange Narbe, auf seiner Brust, verdeckten. „Wollt Ihr mich nicht runterlassen?“ Ich schnaufte. „Nicht in nächster Zeit. Zuerst würde ich gerne noch einige Dinge in Erfahrung bringen. Wie ist Euer Name?“ Sein Kiefer spannte sich deutlich an und ich konnte praktisch hören wie er mit den Zähnen knirschte. „Tristan“, meinte er dann abschätzend. Ich fragte nicht nach, ob das wohl sein richtiger Name war; es war nur wichtig zu wissen wen ich umbrachte – falls er sich als Bedrohung herausstellen sollte. „Und Ihr?“ Wieder war ich kurz davor mein Gesicht zu verziehen. „Becca.“ Der Wolf hob seine dunklen Augenbrauen, was ziemlich merkwürdig aussah, als er da so vor sich hin schwankte. „Also gut, Becca. Bist du die Gedankenleserin?“ Ich legte den Kopf fragend schief und wartete auf eine Erklärung. Der Mann räusperte sich. Obwohl sein Gesicht langsam rot anlief, zeigte er in dieser Hinsicht keine Regung. „Bist du die Frau die die beiden Wolfsjungen verschont hatte?“ „Und wenn ich es wäre?“, fragte ich argwöhnisch. Tristan zog die Augenbrauen zusammen. „Bist du es nun, oder nicht?“ Ich verdrehte die Augen und murrte etwas von „Schon möglich“, was wohl Antwort genug für den Werwolf war. In dem Augenblick, an dem ich meine schwarzen Augen gen Himmel richtete, hörte ich meine Peitsche reißen, als hätte der Wolf lediglich einen Wollfaden zerrupft und wurde von zwei starken Armen zu Boden gerissen. Er ist schnell!, schoss es mir durch den Kopf und ließ mich wieder zu Besinnung kommen. Blitzschnell und in fließender Bewegung rollte ich mich auf ihn drauf und zog eins der Messer aus meinem Stiefel, das ich ihm an die Kehle drückte. „Nicht – bewegen“, wies ich ihn an. Mit dieser Aktion hatte er nicht gerade meine Sympathien geweckt. Einige meiner Haarsträhnen hatten sich aus meiner behelfsmäßigen Hochsteckfrisur gelöst und fielen auf den Brustkorb des Werwolfes. Seine Atmung blieb ruhig. Er schien sich seiner völlig sicher zu sein. Wie dumm. „Allein die Tatsache, dass Ihr mich angegriffen habt, wäre Grund genug um Euch zu töten“, teilte ich ihm laut meine Gedanken mit. Um seinen Mundwinkel zuckte es. „Wer hat denn behauptet, dass ich dich töten will?“ Diese Aussage irritierte mich sogar noch mehr als alles Vorhergegangene. „Und was hattet Ihr stattdessen vor?“, fragte ich, nicht überzeugt von seiner Unschuld. Eine warme Hand legte sich auf meine Hüfte; ich schnitt ihm dafür ein kleines Andenken in den Hals. Mit einem gewöhnlichen Messer, hätte ich seine Haut niemals durchdringen können. Immerhin dachte ich im Voraus und hatte deshalb eine Silberklinge genommen. Glücklicherweise kannten wir die Schwachstellen unserer Feinde; sie aber nicht die unseren. Keinesfalls eingeschüchtert, legte er seine andere Hand auf meine Wange. Die Hitze brannte wie Feuer auf meiner Haut. Ich versuchte den Schmerz wegzublinzeln, doch vergebens. Zu lange hatte ich ohne Berührung gelebt, als dass ich dieses Gefühl jetzt einfach hätte wegstecken können. „Aufhören“, flüsterte ich. Es klang in meinen Ohren wie ein Wimmern. Anstatt zu tun, was ich ihm sagte, wanderte seine Hand von meiner Wange in meinen Nacken und drückte meinen Kopf soweit runter, dass meine Nasenspitze dicht an seiner lag. Meine Finger verkrampften sich um den Griff meines Messers und selbst meine Selbstbeherrschung ging langsam flöten. Hatte dieser Mann denn keinen Überlebensinstinkt? Wie lange wollte er mich noch aus dieser Nähe anstarren, bevor ich ihn seines Kopfes erleichterte? Ich hatte mich nie in solch einer Situation befunden, und konnte scheinbar nicht allzu gut damit umgehen. Vielleicht wäre Evelyn doch ganz nützlich gewesen. „Was habt Ihr vor?“, fragte ich und versuchte nicht allzu verschreckt zu klingen. „Ich bedanke mich“, hauchte Tristan und legte seine einladenden Lippen auf meine, ehe sich mein Verstand wieder einschalt und mich wie eine Furie anschrie, ich solle den Feind meiner Rasse endlich töten. Aber er schmeckte so köstlich… Ehe ich diesen schrecklichen Gedanken fortführen konnte, sprang ich auf und flüchtete auf einen Baum. Mein Puls ging viel zu schnell. Für gewöhnlich schlug mein Herz nur Acht bis Neun Mal in der Minute; eine etwas verstörende Besonderheit der Reinblüter. Wir waren nicht direkt ‚tot’. Wir waren lebendig, unsere Haut war relativ warm und wir konnten sogar Tränen vergießen. Sinnlose Kleinigkeiten, wie ich fand. Und in eben solchen Moment verfluchte ich meine Abstammung. Es wäre leichter gewesen genauso tot zu sein, wie die gewandelten Vampire. „Geht!“, fauchte ich Tristan an, der sich mit einem breiten Grinsen auf dem Gesicht aufrappelte und zu mir hoch blickte. „Du bist wirklich interessant, Becca“, sagte der Wolf, sichtlich amüsiert über meine Reaktion. Ich knurrte einen Fluch in einer fremden Sprache und zügelte sofort wieder mein Temperament. Er hatte mich überrumpelt, das war alles. Es würde nie wieder vorkommen und sollte er es doch versuchen, würde er Bekanntschaft mit meinen Fangzähnen machen. „Es wäre klüger wenn Ihr verschwindet.“ „Eine Frage noch“, bat Tristan mit schief gelegtem Kopf. „Warum hast du die Kinder am Leben gelassen? Ihr Vampire geltet doch als absolut gnadenlos.“ Diese Frage war leicht zu beantworten. „Ich trage die Sorge dafür, dass niemand die Grenze überquert. Sollte dies doch geschehen, wird Der- oder Diejenige sofort eliminiert.“ „Das beantwortet nicht meine Frage.“ Aber eine andere Antowrt gab ich ihm nicht, das war anscheinend selbst ihm klar. Noch ein letztes Mal winkte Tristan, dann begann er sich zu verwandeln. Nur wenige Vampire hatten jemals die Verwandlung in einen Werwolf miterlebt, doch den Gerüchten nach musste es sehr schmerzvoll sein. Ich konnte seine Knochen brechen hören, als sich sein Körper veränderte, größer wurde. Ein leichter bläulicher Schimmer, lag auf seiner Haut und einige Sekunden später auf seinem goldbraunen Fell; doch ich wusste nicht ob es vielleicht nur an dem Vollmond lag, der uns heute Gesellschaft leistete. Die Beine des Mannes wurden länger, ebenso seine Arme, aus denen Furcht erregende Klauen wuchsen. Sein breiter Rücken krümmte sich leicht und sein Kopf nahm die Gestalt eines riesigen Wolfes an. Er war gigantisch. Beinahe so groß wie ein ausgewachsener Hengst. Irgendetwas hatte gerade von mir Besitz ergriffen und ich glaube ich war einfach zu stolz dafür, um mir einzugestehen, dass es wohl Angst war. Ohne dass ich es richtig mitbekam, stand ich wieder auf festem Boden und hatte meine beiden Messer in den Händen. Ich war bereit ihn zu töten, sollte es zu einem Handgemenge kommen. Mit einem Schuss könnte ich unter Umständen sogar sein Herz treffen, fragte sich nur ob das Silber ihn schnell genug hinwegraffen würde. Bevor ich meinen endgültigen Entschluss fassen konnte, blinzelte mich der Wolf, dessen Augen zu menschlich für mich wirkten, mit herausgestreckter Zunge an, gab ein kurzes Jaulen von sich und verschwand hinter dem schützenden Schleier der Dunkelheit. In den ersten Minuten konnte ich nicht anders als ihm hinterher zu starren und zu hoffen das es weder eine Falle war, noch das er versuchte Verstärkung zu holen. Nichts geschah und ich ließ mich wie erstarrt auf den Erdboden plumpsen. Das war mit Abstand einer der merkwürdigsten Nächte meines Lebens. Fragte sich nur, ob es noch schlimmer werden konnte. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)