Traces of the Love we left von Stiffy ================================================================================ Kapitel 3: Edinburgh Street 31 ------------------------------ Ich stand länger vor Ralphs Haustür, als es normalerweise der Fall ist, wenn man jemanden besucht. In dem Augenblick war mir das allerdings weniger bewusst, da ich mich in der Betrachtung von ihm vollkommen verloren hatte. Wie hätte ich auch an irgendetwas anderes denken können, in diesem Moment, in dem ich ihm in die Augen sah. Seine zeigten mir so deutlich, dass er mich nun auf der Stelle küssen wollte. Mein Körper zuckte schon, um dem entgegen zu kommen, doch statt auf mich zu, machte er letztendlich einen kleinen Schritt zurück. „Komm rein“, bat er mit einem Ton in der Stimme, den ich noch nie gehört hatte. Das ist weder negativ noch positiv gemeint, einfach nur als die Deutung an sich, als eine winzige Tatsache, die mir im selben Moment, in dem ich die bekannten Lippen küssen wollte, auch wieder zeigte, dass ich außer ihnen doch fast gar nichts von ihm kannte. Ich tat also wie mir geheißen, trat an ihm vorbei in einen großen Flur. Sofort schloss er die Tür hinter mir und ich rechnete schon damit, dass er mich nun schnappen würde, doch auch das tat er nicht. Er deutete lediglich mit dem Kopf an, dass ich ihm folgen sollte, und von hier führte er mich eine Treppe hinauf in ein Zimmer, bei dem deutlich zu sehen war, dass es einem siebzehnjährigen Jungen gehörte. Keine Ahnung, weshalb mich das eine Sekunde lang erleichterte. „Möchtest du etwas trinken?“, kam es zögernd, als wir das Zimmer betreten hatten. Noch immer hatte er mich nicht mal mit der Fingerspitze berührt. Eigentlich wollte ich nichts trinken, selbst wenn meine Kehle ausgetrocknet schien, als habe ich zehn Tage in der Wüste verbracht, und dennoch bejahte ich die Frage, da ich spürte, dass mein Blick herum gleiten wollte, dass ich einen Augenblick alleine in diesem Zimmer verweilen wollte. Ich wusste, dass das nicht die feine, englische Art war, doch ich wusste auch, dass ich keine Ahnung hatte, wann ich wieder die Chance haben würde, hier her zu kommen. Deshalb wollte ich alle möglichen Eindrücke in Sekundenschnelle in mich saugen. Hätte ich gewusst, dass es tatsächlich mein einziger Besuch bleiben würde, hätte ich noch viel mehr auf die winzigen Details geachtet. Direkt unter dem Fenster stand ein Schreibtisch mit einem Laptop darauf. Außerdem ein paar Dosen mit Stiften, ein paar Zettel lagen ordentlich gefaltet übereinander. Zu ordentlich. Lächelnd fragte ich mich, ob er wohl aufgeräumt hatte, bevor ich gekommen war. Neben den Zetteln entdeckte ich einige CDs und auf dem Boden neben dem Schreibtisch standen zwei große Mappen, die mir ihren Inhalt nicht unterbreiten wollten. Ehe ich in Gefahr lief, so neugieriger zu werden, riss ich meinen Blick davon los. Ich sah mich weiter um, entdeckte einen Basketball in der Ecke, daneben Sportschuhe, der große Kleiderschrank, das Bett, welches ungewöhnlich glattgestrichen wirkte. Ich lächelte schon wieder ein wenig zu sehr, bis ich weiter schaute an die dem Bett gegenüberliegende Wand. Hier nun nahm realisierte ich erst das riesige Bücherregal und ich konnte nicht anders, als mich genau davon fasziniert anziehen zu lassen. Während ich einen vorsichtigen Schritt nach vorne tat, musste ich mir eingestehen, dass ich nicht erwartet hatte, dass er überhaupt freiwillig las. Er kam mir wirklich nicht wie ein guter Schüler vor, wie jemand, der sich gerne bildete. Dass ich nun aber schwere Werke vor mir sah, ließ ein neues Bild von ihm entstehen. Ein Bild, das mir noch mehr gefiel und das sich dennoch perfekt in das bereits bestehende einfügte. Gerade als ich das erste Buch an mich genommen hatte, war Ralph wieder bei mir. Einen Moment lang wollte ich es zurück schieben, doch da er nur ruhig das Tablett abstellte, nahm ich an, dass diese gewisse Neugierde in Ordnung war. Also schlug ich es auf. „Hast du die alle gelesen?“, fragte ich, mit dem Kopf in Richtung der Bücher deutend, als Ralph sich zu mir umgedreht hatte. Ich blätterte sanft durch die über tausend Seiten des Wälzers in meiner Hand. „Alle“, bestätigte er mir. Er trat hinter mich, eine Hand berührte meine Schulter. Ich hielt bei einer Seite inne, tat so, als würde ich sie überfliegen. In Wirklichkeit nahm ich aber seine Nähe in mir auf, diese erste Berührung des Tages, den Atem, der über meinen Nacken strich. Nun, da er mich endlich berührte, kam es mir vor, als sei unser Erlebnis im Schwimmbad eine Ewigkeit her gewesen. Ich hatte mich so nach dieser Nähe gesehnt. Eine Sekunde lang wagte ich es, die Augen zu schließen, doch als ich mir sicher war, dass meine Untätigkeit langsam auffällig wurde, blätterte ich weiter bis zum Ende. Dann stellte ich das Buch weg. Hier nun zögerte ich. Mein Bedürfnis sagte mir, dass ich mich zu ihm umdrehen sollte, doch der Rest meines Körpers versteifte sich nervös. Ich wollte ihn berühren und küssen, doch eigentlich war ich nicht nur deshalb hier. Ich wollte reden, nicht wahr? Ihn kennenlernen… doch wie beginnt man ein solches Gespräch? Da ich in den Millisekunden keine Antwort fand, griff ich ein anderes Buch aus dem Schrank heraus. Fast gleichzeitig berührte auch Ralphs andere Hand mich. Er stand nun so direkt hinter mir, dass ich es erst recht nicht mehr wagte, mich umzusehen. Der Moment war prickelnd und unglaublich intim, weshalb ich das Buch durchblätterte, ohne eine Ahnung zu haben, was für eines es eigentlich war. Ich wollte es nur einfach ganz schnell zurück stellen, um ihn doch endlich küssen zu können. Ehe ich dies aber in die Tat umsetzen konnte, fuhr plötzlich Ralphs Hand nach vorne. Er hielt mich davon ab, eine der letzten Seiten umzuschlagen, blätterte stattdessen drei zurück. „Das ist meine Lieblingsstelle“, flüsterte er in mein Ohr. Dies ließ mich ihn nun doch kurz ansehen. Verwundert. Seine Augen galten mir, während sein Finger auf ein paar Zeilen deutete. Ich wollte etwas erwidern, doch dann folgte ich dem Finger nur und wollte anfangen, zu lesen, als im selben Moment die leise Stimme an meinem Ohr anfing, es für mich zu tun. Alicée whispered, it doesn’t take long, to get to like each other. It takes a long time to deepen, but simply falling in love is a simple thing. Love starts with a smile and grows with a kiss. The touch is the next step and then the heart follows on the way. You learn about the person, connect yourself with them and without even noticing, you can’t take your eyes off anymore. Once it get’s there, there I no turning back. She smiled and she lost hold of Dorian’s hand as the train began to move. Tears came across her face, he wanted to touch them, but he was already too far away. I love you, she thought. She still couldn’t say it, even if this was their last moment together. Still she was afraid of these words. They would hurt her; she couldn’t go on living once expressed her feelings in this simple way. She knew this, she had known since the first time Dorian spoke to her on that rainy day. Since their first moment she was sure, it would end this way. It always ends up in tears and someone to miss. She had been there before, but this time it was certain, it would be the last time. As she saw him trough her tears, waving at her with hurt written all over his face, she knew this would be the last man she ever loved. She wouldn’t see him ever again after this, but in her dreams he would always be there. He always had been. And like this she saw him fading in the fog as the train moved on, bringing her to a live she never wanted. She never had a chance to change her fate, but still she was glad. For one moment in her live Alicée had learned about love. That was everything she needed. She would remember it forever.[1] Stille lag in der Luft, als Ralph das Buch in meinen Händen zuschlug. Der Windhauch erreichte mein Gesicht. Seine Finger berührten meine auf dem Einband, ich spürte seinen heißen Atem an meiner Haut, und ich spürte, wie Traurigkeit von mir Besitz ergriffen hatte. All diese Eindrücke waren so unglaublich intensiv, dass ich kaum wagte, zu atmen, aus Angst, ich könne aus diesem Moment erwachen. Auch als er mir das Buch aus den Händen nahm und es zurück zwischen die anderen stellte, hielt ich noch den Atem an, folgte seinen Fingern mit den Augen, wie sie sich letztendlich mit meinen verschlangen. Jetzt erst ging mir die Luft aus; schnell sog ich neue in mich hinein. „Traurig?“, fragte er flüsternd und lehnte seinen Kopf an meinen. Seine Stimme klang nun wieder anders als während des mitreißenden Textes, doch dennoch nicht weniger gefühlvoll. „Ein wenig“, brachte ich hervor, noch immer tief ergriffen. Ich hob den Blick zu dem Buch, welches nun wieder zwischen den anderen stand, und atmete bewusst ein und aus, lehnte meinen Kopf an seinen, nahm die Finger um meine wahr. Fading snow, laß ich. Ich musste schlucken, als mir seine Worte von zuvor bewusst wurden, als mir klar wurde, dass er diese tragische Szene zu seinen liebsten erklärt hatte. Der Gedanke tat mir weh mit einem Mal, ich wusste nicht weshalb, aber ich fand ihn schwer, zu ertragen. Der Körper hinter mir kam mir noch näher. Nun berührte er mich, Ralph schlang seine Arme um meinen Oberkörper. Nun schloss ich die Augen, lehnte mich in die Umarmung, spürte, wie er das Kinn auf meinem Haar betten konnte, war er doch fast einen Kopf größer als ich. „Liest du gerne traurige Geschichten?“, fragte ich schließlich, unsicher, die Stille zu unterbrechen. „Eigentlich nicht.“ Ich hörte sein Lächeln. „Aber Alicées Stärke, obgleich ihrer Traurigkeit, hat mir immer gefallen.“ „Ich hätte dich nicht so eingeschätzt.“ „Ich weiß.“ Er strich mir durch die Haare. „Niemand würde das, denn kaum einer weiß, wer ich wirklich bin.“ Nun hob er das Kinn, ebenso die Arme. Sanft drehte er mich zu sich herum, ich spürte das Bücherregal in meinem Rücken. Seine Finger fanden mein Gesicht, berührten es sanft. „Und keiner weiß, was wir hier tun…“ „Reden?“ Ich konnte nicht anders, als diese Situation ins Lächerliche zu ziehen. Sie war mir unangenehm, sie sagte so viel aus, ohne dass ich eine Ahnung hatte, was wirklich in ihr vorging. Ich verstand ihn, das hatte ich geglaubt, doch gerade wusste ich nicht alles von ihm. „Nicht einmal das wissen sie...“, ging er aber nicht auf meinen versuchten Scherz ein. Er küsste mein Kinn, meinen Mund, sah mir noch immer in die Augen. „Und wenn sie hiervon wüssten, würden sie wahrscheinlich tot umfallen.“ „Wer sind Sie?“ „Alle.“ Wieder erkannte ich die Furcht in seinem Blick, noch stärker als zuvor. Ein erneuter Kuss lenkte mich ab, dieses Mal mit mehr Leidenschaft. Er zeigte mir deutlich, dass er jetzt nicht reden wollte, nicht darüber. Er bestätigte mir die Vermutung, wie schwer ihm jedes Wort fiel. Doch wie sollte ich ihn nur mit Berührungen verstehen? Sollte es auf dieser Grundlage weiter gehen? Seufzend gab ich es dennoch auf. Ich wollte reden, doch ich wollte auch von ihm geküsst werden, ihn berühren, und weiß Gott, ich wollte noch viel mehr als das. Also ließ ich mich darauf ein. Wir sanken am Bücherregal zu Boden. Noch immer hatte Ralph die Arme um mich geschlungen und die Lippen mit meinen verbunden. Nun traute ich mich, ließ meine Hände wandern und seinen Schritt berühren. Ich spürte Ralph zucken, das gefiel mir. Ich öffnete die Augen wieder, um ihn anzusehen, während ich weiter ging, den Reisverschluss öffnete, sein Stöhnen vernahm. Dann plötzlich riss er die Augen auf. Erschrocken hielt ich inne. „Aaron?“ „Ja?“, piepste ich. Sekundenlang fixierte er mich direkt, schien irgendetwas in meinen Augen zu suchen, erst nach Sekunden beugte er sich näher an mein Ohr heran. „Ich würde gerne...“ Er berührte meine Wange, meinen Nacken. Seine Stimme klang nervös. „Ich würde gerne mit dir schlafen.“ Mir raubten sie die Sinne, diese Worte. Für einen Moment lang nahm ich nicht mal mehr die Berührungen wahr. Und ich konnte auch nicht denken, konnte die Worte nur schwer begreifen. Andererseits raste mein Herz wie wild. Natürlich, auch ich hatte es mir vorgestellt. „Es…“ Meine Stimme brach, ich wusste nicht, ob ich es sagen durfte, doch ich tat es dennoch. „Es ist mein erstes Mal…“ „Meines auch.“ Seine Augen waren ganz weich. „Zumindest auf diese Weise.“ „Wirst du… vorsichtig sein?“ Er nickte leicht, lächelte schwach. „Soweit ich es kann.“ Nun musste auch ich lächeln, hob meinerseits meine Arme und berührte sein Gesicht. Ich glaube, ich tat es zum ersten Mal in dem Bewusstsein, dass dies hier viel weiter reichte als einfaches Begehren. Natürlich begehrten wir uns, doch da war mehr. Auch wenn keiner von uns wusste, was es war, so wussten wir doch beide, was es werden würde. Ich habe keine Ahnung, weshalb ich das plötzlich verstand, vielleicht durch die Stelle in dem Buch, vielleicht, weil er dies Geheimnis mit mir teilte, vielleicht, weil ich in diesem Augenblick begriff, dass es nichts auf der Welt gab, was mich in jenem Moment aus seinen Armen hätte reißen können. Ich berührte seine Wimpern, als er die Augen schloss. Ich küsste sie. „Dann will ich es auch“, hauchte ich. Mein Atem zitterte dabei. „Ich will mit dir schlafen.“ Wenn ich daran zurückdenke, war es wirklich nicht gerade die angenehmste Erfahrung, die ich an diesem Sonntagnachmittag machte. Es tat höllisch weh, auch wenn ich mir sicher war, dass Ralph alles tat, um mir die Schmerzen bestmöglich zu nehmen. Er war langsam, vorsichtig, wollte sich einige Male zurückziehen und aufhören, doch ich drängte ihn, weiter zu machen. Ich wollte es, tatsächlich wollte ich das. Ich hatte das Gefühl, dass es Ralph und mich einen großen Schritt näher bringen würde. Und ich wollte ihm nah sein, so nah wie möglich. Irgendwas an ihm hatte sich in mein Herz gestohlen und ich wollte es nicht gehen lassen. Also ertrug ich die Schmerzen, sah sein Gesicht, wie es sich vor Lust verzog, nahm wahr, wie wunderschön die Schweißperlen auf seiner Stirn aussahen, und dass ich in dem Moment vielleicht glücklicher war als je zuvor. Als er mir anschließend ins Ohr flüsterte, dass es ihm leid täte, konnte ich nicht anders, als ihn nur noch fester an mich zu ziehen. „Es war schön“, sagte ich ehrlich, während seine Finger sanft meinen Rücken streichelten. „Und nächstes Mal wird es mir auch Spaß machen… oder das Mal danach…“ Ich wusste genau, dass ich mich unter anderen Umständen mit diesen Worten weit aus dem Fenster herausgelehnt hätte, doch hier war es nicht so. Natürlich, er hatte es mir nicht gesagt; rein von den Fakten her hatte ich noch immer keine wirkliche Ahnung, was dieser Junge eigentlich von mir wollte, von mir dachte, was er erwartete. Mein Herz allerdings wusste es, irgendwie. Seine Augen hatten es mir gezeigt, seine zärtlichen Berührungen. Dies war nicht nur ein Abenteuer, ein neues Experiment, dies war weitaus mehr als das; wir bedeuteten einander bereits weitaus mehr. Aus diesem Grund wagte ich diese Worte, die zum ersten Mal von einer Zukunft sprachen. Ich musste sie ihm sagen, denn ich wünschte mir von ihm eine Erwiderung, wünschte mir, ihn nicht nur durch Blicke verstehen zu müssen, sondern durch seine eigenen Worte. Wir mussten endlich reden, über uns. Ich würde es nicht ertragen, nach Hause zu gehen, mit nichts mehr als meiner Vorstellung von uns. Nun, da ich diese Worte gesprochen hatte, blieb er einen Moment lang stumm. Doch es beängstigte mich nicht, da er mir noch immer in die Augen dabei sah. Wie konnten sie mir nur schon so vertraut sein? Ich erwartete, jeden Moment ein Lächeln auf Ralphs Lippen zu sehen, doch letztendlich blieb es aus. Stattdessen fragte er ganz sanft, ob ich das wirklich wollen würde. „Ja“, antwortete ich ebenso zurück. Konnte er das denn nicht sehen, spüren? „Ich auch.“ Er schluckte und wand den Blick ab. Mein Herz wollte vor Freude hüpfen, doch ich merkte, dass da mehr war als diese einfachen Worte. Er versteifte sich ein wenig und ich begriff vollends, dass ich das erwartete Lächeln nicht sehen würde. Stattdessen zitterte seine Stimme bei den nächsten Worten: „Und genau das macht mir Angst.“ Das Streicheln auf meinem Rücken war verstummt. „Weshalb?“, fragte ich vorsichtig. „Weil du...“ Plötzlich wand er sich aus meinen Armen, setzte sich auf. „Weil du ein Junge bist. Und weil ich einer bin…“ Er vergrub seinen Kopf in seinen Händen, atmete schwer. Ich zögerte, setzte mich ebenfalls auf, berührte nun meinerseits seinen Rücken. Er schrak darunter zusammen, weshalb ich die Hand sofort zurückzog. „Das ist doch nicht schlimm…“, versuchte ich es zögerlich. Sofort sträubte sich sein Körper gegen diese Worte, zuckte, er riss die Hände zurück. „Doch, das ist es!“, schrie er. „Ich bin das nicht!“ Er sah mich direkt an, Schmerz verzog seine Züge. „Ich bin nicht so! Ich bin nicht…“ Er brachte es nicht mal über die Lippen, schlug stattdessen mit voller Wucht auf die Decke ein. Ich zucke zusammen aufgrund seiner Aggression. Dabei überraschte mich das Gespräch nicht. Ich hatte nichts anderes erwartet, wenn ich es mir vorgestellt hatte. Ich wusste, dass es so kommen würde. Seine Augen hatten mich nicht angelogen, und ich hatte sie richtig gedeutet. Die Furcht war so groß, wie ich gedacht hatte. Ich schaffte es, seine verkrampfte Hand auf der Decke zu berühren und er ließ es zu. Ich spürte nun das Zittern ganz deutlich, das seinen ganzen Körper durchzog, welches auch sein Blick widerspiegelte. Sanft streichelte ich seine Haut. „Ich bin es schon.“ Ich sah ihn unverwandt an, auch als sein Blick nun ungläubig wurde. „Ich bin schwul.“ Die Abneigung in seinen Augen war unglaublich intensiv. „Wie kannst du dir da so sicher sein?“, klang es nach Abscheu. Nicht gegen mich, das wusste ich. „Ich bin es einfach.“ „Aber…“ „Es ist kein Fluch.“ „Doch, das ist es!“ Nun plötzlich sprang er auf, stand nackt vor mir und sprach mit solch einer Verzweiflung in der Stimme, dass ich das Gefühl hatte, jegliches von ihm vor mir ausgebreitet zu haben. „Es ist nicht normal so zu sein! Die Leute akzeptieren das nicht! Sie starren einen an, sie reden über einen, lachen… Sieh dir doch die Schwuchteln auf der Straße an! Man lästert über sie und die Spinde werden mit Dreck beschmiert! Ich will nicht so sein! Ich will nicht, dass mich jeder anstarrt! Meine Eltern sollen mich nicht so sehen, sie sollen doch stolz auf mich sein, sie sollen nicht glauben, dass sie ein Weichei zum Sohn haben. Sie wollen doch Enkelkinder... sie wollen doch…“ Die Stimme brach ihm, plötzlich rannen Tränen seine Wangen hinab. Er ging in die Knie, schlug die Hände vors Gesicht. Im nächsten Augenblick war ich bei ihm. Er wehrte sich gegen meine Hände, drängte sich zurück, stieß an das Bücherregal am anderen Ende des Raums. Irgendwas fiel heraus, es erhielt unsere Aufmerksamkeit nicht. Stattdessen schaffte ich es endlich, meine Arme um den Körper zu schlingen, der größer war als meiner, muskulöser, männlicher, stärker… und doch wirkte er an meinem in diesem Augenblick zerbrechlich, winzig, zittrig, schwach. Er weinte. Ich war mir nicht sicher, ob ich die Verzweiflung wirklich nachvollziehen konnte, welche in diesem Moment durch seine Sinne drang, doch ich wusste, dass sie echt war. Ich selbst war dem nie ausgesetzt gewesen, nicht in dieser heftigen Weise; nicht mal in der Anfangszeit. Ich hatte mich geärgert, hatte mich vielleicht kurzzeitig scheußlich gefühlt, versucht, es zu ändern, doch letztendlich hatte ich schnell begriffen, dass es nichts brachte, dass ich nichts ändern konnte, dass es vielleicht nicht mal was zu ändern gab. Vor Jahren hatte ich angefangen, mit der Gewissheit meiner Selbst zu leben, mit mir, so wie ich war. Ralph aber schien bis dort noch einen unendlich langen Weg vor sich zu haben, länger, als ich ihn mir je hätte vorstellen können. Ich hielt ihn lange in meinen Armen fest, auch als er schon längst aufgehört hatte, zu schluchzen. Ich suchte nach Worten, die ich ihm sagen könnte, doch wirklich finden, tat ich keine. Alles hätte in meinen Ohren abgegriffen gewirkt, nichts davon hätte ihm wahrscheinlich geholfen. Also schwieg ich und wartete, bis er mich wieder ansah. In Wahrheit hatte ich sogar ein wenig Angst vor dem ersten neuen Blick. Als er ihn mir schließlich schenkte, konnte ich ihn kaum sehen. Draußen war es mittlerweile dunkel geworden, nur aus dem Flur drang Licht in das Zimmer herein und warf Schatten auf unsere Körper. Aus diesem Grund konnte ich zwar seine Augen erkennen, jedoch nicht den Ausdruck in ihnen. Vielleicht daher überraschten mich die Worte, die er mit ruhiger, fast neugieriger Stimme in die angebrochene Dunkelheit sprach. „Wie lange beobachtest du mich schon?“ Ich musste schlucken, wurde mit Sicherheit rot. Plötzlich war es mir peinlich, dass er mir schon bei unserer Einschulung aufgefallen war. Aber musste mir vor ihm überhaupt etwas peinlich sein? Wir saßen beide nackt zusammen auf seinem Zimmerboden und seine Tränen waren gerade erst getrocknet. „Lange“, sagte ich schließlich nur. Er nickte, strich sich übers Gesicht. Vielleicht, um sicher zu gehen, dass er nicht mehr weinte. „Du bist mir vor ein paar Wochen aufgefallen“, sagte er dann. „Bei deinem Referat.“ Ich konnte mich noch genau daran erinnern. Ich hatte es schon immer gehasst, vor der gesamten Klasse zu reden, am liebsten wäre ich damals im Boden versunken. Ihn hatte ich allein durch die Aufregung gar nicht wahrgenommen, wie niemanden im gesamten Raum. „Du hast das Thema wirklich toll rübergebracht… es hat mich vorher nicht mal interessiert, aber ich konnte meine Augen nicht von dir nehmen…“ Nun glühte ich wahrscheinlich wie eine Lampe im Rotlichtmilieu, doch wenigsten erhellte ich nicht ebenso den Raum. Ralph lächelte nur gedankenverloren, als er weiter sprach: „Danach hab ich dich manchmal beobachtet und gesehen, dass auch du ab und an zu mir schaust… Ich dachte, das sei Zufall… doch dein Blick, als du mich am Mittwoch im Klassenzimmer gesehen hast…“ „Er war eindeutig, was?“, nahm ich ihm die Worte weg. Ich konnte mich so brennend genau an die Situation erinnern. Nun küsste ich sanft sein Haar, grinste hinein. „Nicht direkt… aber er hat Interesse gezeigt, glaube ich… Und dann wollte ich dich so gerne küssen…“ Diese Eröffnung ließ mich genau das im nächsten Moment tun. Lange und sanft. „Ich dich auch“, gab ich danach zu. „Und dann hätte ich Nick wirklich erschlagen können…“ Ein Grinsen endlich auch auf Ralphs Gesicht. „Ich auch… einen Moment lang dachte ich sogar, er sei dein Freund…“ „Weshalb?“ „Ich weiß nicht. Sein Blick war ziemlich… Wie soll ich sagen…“ Leicht zuckt er mit den Schultern. „Aber er ist es nicht, oder?“ „Nein.“ „Das ist gut.“ Ralph streckt sich in meinen Armen, küsst mich nun. Und dieses Mal wurde mehr daraus. Der Körper in meinen Armen stützte sich vom Boden ab, mit einem Mal lag ich unter ihm. „Tut es noch weh?“, strich Ralphs Hand über die Seite meines Oberschenkels. „Ich weiß nicht.“ Ich öffnete meine Beine ein Stück, hob die Hände und zog ihn zu mir hinab. „Lass es uns herausfinden…“ Ich ging an jenem Sonntag nicht mehr nach Hause. Ralphs Eltern waren auf Dienstreise und somit empfand er keine Furcht, mich bei sich zu haben, im Gegenteil, wie er mir leise ins Ohr flüsterte, als wir verschwitzt auf dem Zimmerboden in den Armen des anderen lagen; er genieße meine Nähe, das waren seine Worte. Ich konnte sie nur zurück geben. Auch wenn ich noch immer ein wenig Schmerzen empfand, war da auch dies unbeschreibliche Glücksgefühl in meinem Körper, die Erleichterung, dass er sich beruhigt hatte… und der faszinierende Gedanke daran, dass ich ihm bereits ein paar Wochen zuvor aufgefallen war. Ich konnte es kaum glauben, auch als er es mir auf meine Frage hin versicherte. Ich hatte immer angenommen, dass ich wie Luft für ihn gewesen sei. Nicht ein Mal war ich auf den Gedanken gekommen, dass auch er mich beobachtete. Nun erfüllte mich dieser Gedanke mit purer Freude und das sagte ich ihm später auch, als wir uns eine Pizza in den Ofen geschoben hatten und mit knurrenden Mägen am Boden der Küche saßen, uns hier wieder und wieder sanft küssten. Die Pizza verbrannte, am Ende aßen wir trockene Bagel mit Frischkäse und einer Tüte Chips, was mir in meinem Leben noch nie derartig gut geschmeckt hat. Anschließend redeten wir stundenlang. Es waren zum größten Teil sehr unwichtige Dinge; das Leben halt, unsere Hobbys, ein bisschen über die Schule, doch irgendwann auch ein bisschen mehr über uns. Dass dies alles erst am Montag begonnen hatte, dass ich erst seit so kurzer Zeit begann, mehr von ihm wahrzunehmen, zu lernen, konnte ich bald kaum noch glauben. Hatte ich tatsächlich vorher nie mit ihm geredet? Wusste ich so gar nichts über ihn, außer den unwichtigen Dingen, wie sein Geburtsdatum oder eben den Namen seines Vaters? Ich hatte nicht mal gewusst, dass er ein Einzelkind war, ebenso wie ich ihm nun zum ersten Mal von Lizzy erzählte. Wir redeten über diesen Unterschied und über anderen Gegensätzen bei uns. Ich erzählte ihm, dass ich schon vor Jahren mein Coming-Out gehabt hatte, und er beichtete mir, dass er sich nicht vorstellen könnte, es seinen Eltern in den nächsten zwanzig zu gestehen. „Glaubst du wirklich, dass sie dich verurteilen würden?“, wurde die Stimmung an dieser Stelle, irgendwann in der Nacht, wieder ernster. „Sie sind sehr christlich“, sagte er nur. „Es würde für sie eine Sünde sein, glaube ich. Und es würde ihren Namen beschmutzen.“ „Also willst du dich verstecken?“ „Ich weiß es nicht…“ Er schaltete das Licht ab. Gerne hätte ich mich über ihn gebeugt, es wieder entflammt, doch ich glaubte, dass er diese Dunkelheit nun dringender brauchte als ich den Ausdruck in seinen Augen. Ich spürte seine Finger an meinem Schlüsselbein. „Willst du…“ Ich zögerte, griff nach den Fingern und umschloss sie. „Willst du, dass es zwischen uns weiter geht?“ „Ja.“ Es kam ohne Umschweife. Die Antwort war offensichtlich gewesen. „Das heißt, ich soll mich auch verstecken? Ein guter Freund von dir sein? Mehr nicht…“ Er zögerte, ich merkte, dass er meine Hand loslassen wollte. „Eigentlich…“ Ich ließ ihn frei, drehte mich etwas. Sehen konnte ich ihn natürlich nicht, nur erahnen. „Eigentlich?“, fragte ich nach. „Ich weiß nicht… Wir können nicht...“ In meinem Magen zog sich etwas zusammen. Ich ahnte schon, was er sagen wollte, bevor er es über die Lippen brachte. Vielleicht tat es dadurch weniger weh. Oder nur umso mehr? „Wir können keine Freunde sein…“ „Weshalb nicht?“ Meine Stimme war dünn, sofort spürte ich seine Finger, die nun meine suchten. Nur widerwillig ließ ich zu, dass sie sie fanden. „Es geht einfach nicht… versteh doch… ich... kann nicht ständig so in deiner Nähe sein… ich glaube, das ertrage ich nicht… und in der Schule… sie haben… du bist…“ „Warum ist es dir so wichtig, was die denken?“ Nun zog ich an meiner Hand. Er hielt sie fest. „Ich weiß es nicht“, kam es leise. Ich seufzte, spürte, dass meine Augen brannten. „Ich schon“, sagte ich dann und als keine Antwort kam, ich die Frage in der Dunkelheit spürte, sprach ich weiter: „Es ist tiefer zu fallen, wenn man beliebt ist, nicht wahr? Man hat mehr zu verlieren… Die Leute haben ihr makelloses Portrait von einem bereits gemalt, und man will es ja nicht zerstören, nur weil man nicht so toll ist, wie die Leute erwarten. Außerdem ist man es nicht gewohnt, im Mittelpunkt von abschätzenden Blicken zu stehen. Deshalb hat man Angst vor ihnen, vor der Tiefe...“ Es sollte kein Vorwurf sein, es war einfach eine Tatsache, und dennoch glaube ich, dass er sich angegriffen fühlte. Denn plötzlich war seine Hand weg. Und auch sonst berührte mich keine Stelle seines Körpers mehr. Ich wollte mich entschuldigen, doch letztendlich tat ich es nicht. Stattdessen drehte ich mich weg von ihm, vergrub mein Gesicht ein Stück in der Decke und schloss die Augen. Ich wusste, dass ihm meine Worte wehgetan hatten, da sie wahr waren, doch er hatte mir auch wehgetan. Merkte er das nicht? Ich konnte nicht einschlafen, so sehr ich es auch versuchte. Ich vernahm Ralphs ungleichmäßigen Atem neben mir und musste die ganze Zeit an seine Worte denken. Es schmerzte, zu wissen, dass er in der Öffentlichkeit nicht mal ein Freund von mir sein wollte. Doch irgendwie schmerzte mich die Tatsache für ihn fast noch mehr. War er so unglücklich mit sich selbst, dass er kein Risiko eingehen wollte? War wirklich ein Bild für andere entstanden, das er nicht zu zerstören wagte? Wie schwer musste dies für ihn sein, mit der Gewissheit, jemanden gleichen Geschlechts zu begehren? In mir kam schnell das Verlangen auf, mich zu ihm umzudrehen, ihn wieder in die Arme zu schließen und zu küssen. Plötzlich wollte ich ihn wieder trösten, ihm sagen, dass die Welt gar nicht so böse war, wie sie für ihn erschien. Doch ich konnte es nicht. Ich konnte kein Glied meines Körpers dazu bringen, sich zu bewegen. Ich konnte nicht den ersten Schritt gehen… und dementsprechend gut tat es, als er ihn ging. Es war zunächst nur einer seiner Handrücken, der sacht meinen Rücken berührte. Als ich nicht darauf einging, bewegte Ralph sich auf der Matratze und griff über mich. Seine Finger fanden meine und er hielt sich förmlich daran fest. Seine Lippen legte er in meinen Nacken, den er küsste, liebkoste, an dem er weiter wanderte, bis zu meinem Ohr. „Es tut mir leid“, flüsterte er, was eine Träne dazu bracht, sich aus meinem Augenwinkel zu lösen. Und ich drehte mich auf den Rücken, suchte ihn in der Dunkelheit und erkannte im fahlen Mondlicht nur das Glänzen seiner Augen. Nach ihnen streckte ich meine freie Hand aus, fand sein Gesicht, berührte es sanft. Ich sagte nichts. Ich hätte ihm nicht sagen können, dass ich ihn verstand, denn das tat ich nicht. Ich hätte ihm auch nicht sagen können, dass ich ihm verzieh, denn eigentlich wollte ich wütend auf ihn sein. Stattdessen ließ ich einfach nur zu, dass er sich hinab beugte und mich küsste. Es war der bitterste Kuss von allen, aber vielleicht auch der süßeste. Part 3 ~ Ende [1] - FADING SNOW: Ich weiß nicht, weshalb ich das Bedürfnis hatte, diese Szene in Englisch zu schreiben, aber die Worte dazu flossen nur so aus meinen Fingern. Daher gibt es die deutsche Fassung an dieser Stelle^^ Alicée flüsterte, es dauert nicht lange, sich ineinander zu verlieben. Es dauert lange Zeit es zu vertiefen, doch das einfache Verlieben ist eine einfache Sache. Liebe beginnt mit einem Lächeln und wächst mit einem Kuss. Die Berührung ist der nächste Schritt und das Herz folgt auf dem Fuße. Du lernst etwas über die Person, verbindest dich selbst mit ihr und ohne es überhaupt zu bemerken, kannst du deine Augen nicht mehr von ihm nehmen. Wenn es einmal so weit gekommen ist, gibt es kein Zurück mehr. Sie lächelte und verlor die Berührung von Dorians Hand, als der Zug sich zu bewegen begann. Tränen rannen über ihr Gesicht, er wollte diese berühren, aber sie war schon zu weit entfernt. Ich liebe dich, dachte sie. Sie konnte es noch immer nicht sagen, auch wenn dies ihr letzter Moment zusammen war. Immer noch hatte sie Angst vor den Worten. Sie würden sie verletzen; sie könnte nicht weiterleben, wenn sie ihre Gefühle einmal auf diese einfache Weise ausgedrückt hätte. Sie wusste dies, sie hatte es gewusst seit dem ersten Mal, als Dorian an jenem Regentag mit ihr gesprochen hatte. Seit ihren ersten Moment war sie sich sicher, dass es so enden würde. Es endet immer Tränen und damit, jemanden zu vermissen. Sie hatte zuvor schon erlebt, aber dieses Mal war es sicher, es würde das letzte Mal sein. Als sie ihn durch ihre Tränen sah, ihr zuwinkend mit Schmerzen überall in seinem Gesicht geschrieben, wusste sie, dies war der letzte Mann, den sie je lieben würde. Sie würde ihn hiernach nie wiedersehen, aber in ihren Träumen wäre er immer da. Er war immer da gewesen. Und so sah sie ihn im Nebel verschwinden, je weiter der Zug fuhr, der sie zu einem Leben bringen würde, das sie nie gewollt hatte. Sie hatte nie eine Chance gehabt, irgendwas an ihrem Schicksal zu ändern, doch trotzdem war sie froh. Für einen Moment in ihrem Leben hatte Alicée die Liebe kennengelernt. Das war alles, was für sie nötig war. Sie würde sich für immer daran erinnern. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)