Die fetten Jahre sind vorbei von Katherine_Pierce (Widerstand ist zwecklos) ================================================================================ Kapitel 9: Innerlich tot ------------------------ Der Schnee war längst geschmolzen. Frühling war in Alagaesia eingekehrt. Die Sonne lachte vom Himmel, Blumen begannen zu blühen. Man hörte wieder Vögel singen. Das Wetter wurde wärmer, die Menschen optimistischer. Sie freuten sich über den Tod des Winters. Ja, im Frühling begann ihr Leben von neuem. Allerorten konnte man verliebte Pärchen sehen, spielende Kinder, junge Mütter mit ihren Neugeborenen, alte Weiber, die sich über alles und jeden unterhielten, Männer, die mit der Aussaat auf den Feldern begannen und Tiere, die Junge warfen. Lachen, Jubel, Trubel und Heiterkeit; all dies war nach Alagaesia zurückgekehrt, in das Land ohne Lächeln. Niemand konnte sich dem entziehen, ganz egal, wie miesepetrig er oder sie auch sein mochte. Auch die Soldaten des Königs benahmen sich nicht ganz so übel, wie sie es sonst zu tun pflegten, was ihnen dennoch keine Sympathien eintrug, da sie immer noch unter Galbatorix’ Fuchtel standen und tun mussten, was er von ihnen verlangte. Murtagh, der all dies stumm zur Kenntnis genommen hatte, war weder vom Frühling noch vom verbesserten Verhalten der Soldaten berührt. Er marschierte jeden Tag Meile um Meile, hatte in den vergangen Monaten Alagaesia fast ganz durchquert, immer beflügelt von dem Wunsch, so weit weg wie möglich zu kommen. Aber als er die Chance hatte, das Land zu verlassen, hatte er sie ungenutzt verstreichen lassen. Tief in ihm keimte noch die Hoffnung, Caterina eines Tages wiederzufinden und diesmal an ihrer Seite bleiben zu können. Seine Wanderungen führten ihn immer und immer wieder an den Ort, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Wo er sie vor den Bütteln gerettet hatte, als man sie zur Komplizin eines Diebes erklärt hatte. Obwohl es ihn schmerzte, konnte Murtagh nicht anders. Wann immer er auch nur in der Nähe Dras- Leonas war, musste er die Stadt betreten. Natürlich war das Irrsinn. Gefährlicher Irrsinn. Und doch vermochte er sich nicht gegen den inneren Drang zu wehren, der ihn nach Dras- Leona zog. Er verachtete sich für diese Schwäche und konnte sich ihrer doch nicht erwehren. Zu gern hätte er gewusst, warum Caterina verschwunden war. Alles, was ihm von ihr erhalten geblieben war, war das Medallion mit dem Bildnis ihrer Mutter. Wann immer er sich besonders stark nach Caterina sehnte, holte er das Schmuckstück hervor, klappte es auf und betrachtete mit wehmütigem Blick die junge, ernst dreinblickende Frau, in deren Augen dennoch ein Feuer zu lodern schien, welches ihm von Caterina nur zu vertraut war. Er vermisste sie, vermisste sie so sehr, dass es ihn beinahe wahnsinnig machte vor Schmerz. Sein Leben war völlig sinnlos geworden ohne sie. In den Monaten der Leere machte Murtagh allerdings die Bekanntschaft eines jungen Mannes mit einem Drachen in Begleitung eines Mannes, von dem Murtagh von seiner Mutter schon viel gehört hatte. Er schloss sich ihnen nur an, weil er zum einen nicht allein sein wollte und zum anderen, weil er hoffte irgendwie etwas über Caterina erfahren zu können. Und es hatte etwas konkret Rebellisches, sich dem freien Drachenreiter anzuschließen und somit Galbatorix ein bisschen Sand in die Augen zu streuen. Obwohl Murtagh nicht mehr allein war und abends die Feuerstelle mit Eragon, Brom und Saphira teilte, war er trotzdem einsam und innerlich völlig leer und tot. Das fiel seinen Begleitern durchaus auf, doch wagten sie es nicht, Fragen zu stellen. Brom, der Murtagh besser kannte, als beiden lieb sein konnte, fragte sich jedoch, ob er sich nach Selena erkundigen konnte. Tagelang rang Brom mit sich, ließ es schließlich aber doch bleiben. Er hatte Murtagh beobachtet. Er hatte nicht viel von seinem Vater, nicht äußerlich zumindest. Ob das auch seinen Charakter betraf, vermochte Brom nicht zu beurteilen. Doch der alte Mann sah wohl, dass Murtagh sich von Tag zu Tag quälte, dass er durch irgendetwas Schwerwiegendes extrem aus der Bahn geworfen worden war, ohne dass etwas daran hätte geändert werden können. Brom war neugierig. Zu gern hätte er gewusst, was in Murtagh vorging. Allerdings starb er, bevor er das Geheimnis von Selenas Sohn lösen konnte. Dafür blieb Eragon zurück, der weniger Bedenken in der Hinsicht hatte. Er war 15, noch ein halbes Kind. Was kümmerte ihn Anstand? Was kümmerten ihn gesellschaftliche Konventionen? Durch die Monate, die er mit Brom zugebracht hatte, waren seine Manieren gewissermaßen verwildert. Eragon nahm kein Blatt mehr vor den Mund, wie er es früher in Carvahall getan hatte, hatte tun müssen. Eines lauen Sommerabends, als sie schon auf dem Weg zu den Varden waren und das Nachtlager aufgeschlagen hatten, erwischte Murtagh Eragon dabei, wie er ein fröhliches Liedchen vor sich hin pfiff. Unter normalen Umständen wäre ihm das ziemlich egal gewesen, doch er kannte die Melodie zu gut. Oft genug hatte er Caterina dieses Liedlein singen hören, wenn sie das Abendessen bereitete oder Kleidungsstücke mit Pelz fütterte. Es jetzt aus Eragons Mund zu hören, machte den Schmerz für Murtagh wieder präsent. Die Abgestumpftheit, die er sich als Schutz aufgebaut hatte, wurde von schmerzhaften, lästigen Stichen gestört, vernichtet. Der Verlust Caterinas, den Murtagh für abgehakt gehalten hatte, brach nun mit aller Macht erneut über ihn herein. Ehe er sich zurückhalten konnte, entfleuchte ihm ein Schmerzenslaut, ein ersticktes Schluchzen schon, welches der ehemalige Bauernjunge zu gut vernahm. Er verstummte sofort, seine Aufmerksamkeit ungeteilt auf Murtagh gerichtet, der an einem Baum lehnte, ja, sich fast daran festklammerte. Irgendwie wirkte der Ältere verloren. So unsagbar verloren, dass Eragon von heißer Zuneigung zu ihm erfasst wurde, zu ihm trat und ihn stumm umarmte. Murtagh ließ es über sich ergehen, in Gedanken aber erlebte er jede einzige Sekunde, die er mit Caterina verbracht hatte, noch einmal. Sie erreichten die Varden, wo Murtagh einmal mehr angefeindet wurde, es aber über sich ergehen ließ. Seitdem er Caterina verloren hatte, war ihm egal, was mit ihm geschah. Nun ja, zumindest, solange er nicht starb. Sein Leben wollte er behalten. Noch immer keimte in ihm die Hoffnung, dass er Caterina wieder sehen würde. Irgendwie, irgendwo, irgendwann. Murtagh wollte daran glauben, wollte festhalten an dieser Hoffnung, die, wie er festgestellt hatte, durch nichts zu erschüttern war. Ja, er liebte sie, liebte sie, wie er es nie zuvor getan hatte und wohl auch nie wieder würde. Bekäme er je die Chance, das Rad der Zeit zurückzudrehen, so schwor er sich, würde er Sorge dafür tragen, dass er Alagaesia eher verließ, diesmal aber mit Caterina an seiner Seite. Murtagh konnte ja nicht ahnen, dass er sie eher wieder zu Gesicht bekommen sollte, als er sich das erhoffte. In der großen Schlacht um Farthen Dûr nämlich bewies er Einiges an Geschick und Tapferkeit. Dummerweise fiel er gleich einem mysteriösen Zwillingspaar auf, welches ihn nach der gewonnen Schlacht prompt entführte. Murtagh fand sich, zu seinem maßlosen Entsetzen, in Urû’ baen wieder. Und um allem die Krone aufzusetzen auch noch Auge in Auge mit Galbatorix. Schlimmer konnte es jetzt wirklich nicht mehr kommen. Oder? Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)