Die fetten Jahre sind vorbei von Katherine_Pierce (Widerstand ist zwecklos) ================================================================================ Kapitel 1: Tagwerk ------------------ Kapitel Eins: Tagwerk Beim ersten Hahnenschrei begann der Tag für sie. Die Stadt, in der sie momentan lebte, würde erst in wenigen Stunden zum Leben erwachen. Bis dahin hatte sie noch ausreichend Zeit und Gelegenheit ihre weitere Route zu planen. Alagaesia war ein sehr großes Land und es zu durchstreifen eine Sisyphusarbeit. Doch vor allem bedeutete dieses unstete Leben eines: Freiheit. Eine Freiheit, die sie sonst niemals hätte. Sie konnte sich frei bewegen, konnte gehen wohin sie wollte, wohin der Wind sie trieb. Ihren Lebensunterhalt, wenn man es denn so nennen konnte, verdiente sie mit Tanz und Gesang. Denn sie war eine Spielfrau. Es war untypisch für die junge Frau, allein unterwegs zu sein. Üblicherweise bildeten die Spielleute Clans in denen sie umherzogen und die Bewohner des Landes erheiterten. Doch Caterina zog die Einsamkeit vor. Andere Menschen konnten gefährlich sein; Vertrauen tödlich. Die blonde Spielfrau gähnte. Sie hätte noch länger schlafen können, wenn sie gewollt hätte, aber es drängte sie in Bewegung zu sein. Es hielt sie nie lange an einem Ort, weswegen sie schon so früh am Morgen überlegte, wohin sie als nächstes gehen wollte. Schon drei Tage verweilte sie hier in Dras- Leona. Langsam wurde es gefährlich. Die Schergen des Herrschers über Alagaesia machten kurzen Prozess mit Leuten, die ihnen spanisch vorkamen. Und Spielleute gehörten dazu. Außerhalb der Stadtmauern erwachte auch ein junger Mann mit dunklem Haar. Die Sonne schien ihm genau ins Gesicht. Der Boden war hart, das Gras zerdrückt. Er hatte sich ins Unterholz schlafen gelegt, da er nicht gewillt war von Galbatorix’ Häschern noch von gewöhnlichen Strauchdieben den Garaus gemacht zu bekommen. Er gähnte. Irgendwie vermisste er den Komfort eines richtigen Bettes, auch wenn er schon viele Meilen gewandert war und seit Monaten nicht mehr in einem Gasthaus genächtigt hatte. Er reckte sich den Sonnenstrahlen entgegen, die die kühle Morgenluft erwärmten. Es war Hochsommer. Gegen Mittag würde es sehr warm werden, so dass er gut daran tat, seine Wasservorräte aufzufüllen, ehe er loszog. Entnervt verzog er das hübsche, markante Gesicht, als er gewahr wurde, dass er keinerlei Lebensmittel mehr übrig hatte. In der Gegend um Dras- Leona konnte man schlecht jagen, da es kaum Tiere gab. Dieser widrige Umstand zwang ihn also die Stadt selbst aufzusuchen und dort für sein Auskommen zu sorgen. Sobald er wieder in einer bewaldeteren Gegend war, musste er sich um Nahrung nicht sorgen. Er war ein guter Jäger. Aber er hasste die Beengtheit der Städte. Und vor allem hasste er die Häscher des Herrschers über dieses Land. Der junge Mann wirkte auf andere Menschen meist zwielichtig. Und so musste er mit Diskriminierung und Beschimpfungen leben. Im Grunde hatte er sich damit abgefunden. Er war ein Einzelgänger. Er legte kaum Wert auf Gesellschaft. Wenn er allein war musste er nur einer Person vertrauen: sich selbst. Auch mit dem Vertrauen hatte er es nicht so. Das lag vor allem aber an seiner miesen Kindheit, die er am Liebsten ganz weit verdrängte. ‚Ich sollte losgehen, bevor die Stadtwachen beschließen, dass ich ihnen nicht in den Kram passe.’, dachte er bei sich, gestattete sich aber ein kleines Grinsen. Er würde so oder so nach Dras- Leona gelangen. In genannte Stadt kam langsam Leben. Auf dem Markt wurden die Stände aufgebaut. Bauersfrauen und Handwerker stellten ihre Ware zur Schau. Die junge Spielfrau beobachtete dieses Treiben voller Ungeduld. Ihre Hand krampfte sich um ihr Tamburin. Erst wenn genügend Menschen anwesend wären, durfte sie es wagen, aus ihrer dunklen Ecke zu kommen. Andererseits würde man ihr unterstellen, eine Diebin zu sein. Und bei aller Liebe, das war sie nicht. Nein, sie stahl nicht, aber sie konnte sehr überzeugend sein, wenn es nötig war. Spielleute hatten eine schlechte Reputation, was vor allem aber Galbatorix’ Schuld war. Er wusste, dass das Bunte Volk sich nicht scheute ihn in Tänzen zu parodieren oder in Liedern kund zu tun, was sie von ihm hielten. ‚Warum brauchen die Städter heute so lange, um zum Markt zu kommen?’, fragte die Spielfrau sich. Eine leichte Brise fuhr durch ihr langes blondes Haar. Ihre Aufmerksamkeit wurde von dem Treiben auf dem Markt abgelenkt, als sie einen jungen Mann erblickte, der sich mit genervtem Gesichtsausdruck über den Platz bewegte. Neugierig folgte sie ihm mit ihren Blicken. ‚Den hab ich hier noch nie gesehen.’ Murtagh, so der Name des jungen Mannes, hatte es tatsächlich geschafft, an den Stadtwachen vorbeizukommen, ohne, dass diese einen Aufstand gemacht hätten. Dazu war es vermutlich noch zu früh am Tag gewesen. Jedenfalls schlenderte er missmutig über den Markt. Noch waren zu wenig Menschen da, als dass er hätte wagen können, seinem ersten Gewerbe nachzugehen, welches er je erlernt hatte: das Stehlen. Er war schon lange von zu Hause fort und zu Anfang war Diebstahl sein einziges Überlebensmittel gewesen. Mittlerweile tat er es nur noch äußerst selten, da er die Städte mied und sich in der Wildnis durchaus selbst versorgen konnte. Plötzlich wurde er aus seinen Gedanken gerissen. Der Klang eines Tamburins erklang von irgendwo. Er sah auf. Mitten auf dem Platz stand eine junge Spielfrau und begann mit ihrem Tagwerk. Die Menschen, die nichts zu tun hatten, scharten sich um sie und sahen ihr zu. Auch Murtagh kam nicht umhin, ihr zuzusehen. Ihr geschmeidiger Körper bog sich wie ein Grashalm im Wind. Sie drehte sich, sprang, vollführte Pirouetten. Ihr Blick war völlig entrückt. Dazu schlug sie das Tamburin und das so gekonnt, dass die Bewohner von Dras- Leona nicht anders konnten, als staunen. Murtagh jedoch nutzte die Gelegenheit um sich die ein oder andere Geldbörse anzueignen. Es lief auch so weit ganz gut. Doch ein Stadtbüttel, der das Geschehen aus einer dunklen Ecke überwacht hatte, erwischte den jungen Taugenichts und schlug sofort Alarm. „Ein Dieb!“, brüllte er, zeigte auf Murtagh und sah dann zu der Spielfrau, die abrupt in ihrem Tanz innegehalten hatte. Die Menschen wandten sich dem Büttel und seinem Opfer zu. „Er und die Spielfrau sind im Bunde!“, verkündete der Mann, packte Murtagh am Arm und ging schnellen Schrittes auf die junge Frau zu, die völlig perplex drein sah. „Diebe!“ - „Gesindel!“ erscholl es nun von überall her. Der Büttel trat auf die Spielfrau zu, holte aus und schlug sie heftig. „Was fällt dir ein, diese braven Menschen zu hintergehen, indem du sie ablenkst und dein Komplize hier sie dann ausnimmt?“ Jetzt hagelte es Ohrfeigen für die arme Frau, die doch gar nichts mit Murtaghs Diebereien zu tun hatte. Er mochte ein Einzelgänger sein und sich um die Belange anderer nicht scheren. Aber wenn er eines verabscheute, dann war das Ungerechtigkeit. Kapitel 2: Über Stock und Stein ------------------------------- Kapitel Zwei: Über Stock und Stein „Lasst sie!“, rief Murtagh aus, machte sich von dem Büttel los und ergriff die Hand der Spielfrau. In ihren grauen Augen glitzerten Tränen, die sie mühsam zu unterdrücken suchte. Erstaunt wichen die Menschen zurück. Sie hatten nicht mit einer solchen Aktion gerechnet. „Sie trägt keine Schuld!“ Der Büttel wollte davon nichts hören. Er schrie die Verteidigung Murtaghs nieder und befahl den mittlerweile herbei geeilten Stadtwachen sowohl den Bengel als auch die Spielfrau zu verhaften. Murtagh, der wusste, dass seine Felle davon geschwommen waren, rannte einfach los, immer noch die Blonde an der Hand haltend. Sie hatte Mühe ihm hinterher zu kommen. Die Wachen verfolgten die jungen Leute energisch. Schon bald war die Spielfrau völlig außer Atem, während Murtagh sie weiter durch Gassen scheuchte und zog. „Stell dich nicht an! Oder willst du im Kerker von Dras- Leona landen?“, fauchte Murtagh das Mädchen an, welches sich von ihm mehr schleifen ließ, als dass es selbst gelaufen wäre. „Nein, das nicht.“ „Was stellst du dich dann so an?“, wollte er genervt wissen. „Ich hab noch nichts gegessen heute und außerdem bin ich rennen nicht gewöhnt!“ Er verdrehte die Augen. Na super, eine Spielfrau mit Allüren. Das konnte ja heiter werden. Eine Antwort sparte er sich, legte stattdessen noch einen Zahn zu. Lärm drang an seine geschulten Ohren. Das versprach noch heikel zu werden. Vor allem mit dieser Bürde von Spielfrau. Die keuchte und hechelte erbarmungswürdig, versuchte aber seinem vorgegebenem Tempo zu folgen. Caterina hatte nicht gerade Lust von den Städtern auseinander genommen zu werden. Noch dazu wegen etwas, was sie gar nicht verbrochen hatte. Also biss sie die Zähne zusammen und hielt Schritt. Murtagh nahm das erleichtert zur Kenntnis, ließ sich aber nicht in Sicherheit wiegen. Er war immer wachsam, egal wo er ging und stand. Jetzt galt es vor allem, aus Dras- Leona herauszukommen. Das würde nicht allzu leicht werden. ‚Gut, ich muss improvisieren. Am Besten über die Mauer. Durch das Tor können wir knicken, da würden wir ihnen nur in die Arme laufen.’ Die Stadtmauer zu überqueren stellte sich als ein weiteres, schwieriger als geplantes Ereignis heraus. Caterina trug schließlich die Tracht ihrer Zunft und lange Röcke waren in der Regel nicht dafür gemacht, um Mauern zu erklettern. Das musste auch Murtagh feststellen, dem bald der Kragen platzte. Langsam fragte er sich, warum er sie überhaupt mitgenommen hatte. Im Grunde genommen war sie nur ein Klotz am Bein. Eher hinderlich, als nützlich. ‚Merke: erst denken, dann handeln.’ Er konnte manchmal sehr impulsiv sein und vergaß dann, das Für und Wider abzuwägen, was ihn meist in Bredouille brachte. Letzten Endes hatte er es immer geschafft seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen, aber knapp war es einige Mal schon gewesen. „So, ich helf dir auf die Mauer rauf und wenn du oben bist, dann springst du, kapiert?“, wies er die Spielfrau an. Diese nickte, gab aber ansonsten keine Antwort. Ihr fehlten schlichtweg die Worte. Alles, was bis jetzt passiert war, kam ihr so unrealistisch vor wie ein Traum. Trotzdem ließ sie sich von Murtagh auf die Mauer helfen, blieb dort oben aber sitzen. „Los, spring schon! Mach! Worauf wartest du?“, wollte er wissen. Sie schluckte. „Was ist mit dir? Willst du nicht mitkommen?“, erwiderte sie dann, ihn forschend ansehend. Innerlich stöhnte Murtagh auf. Was interessierte es sie? Um sie aber endlich loszuwerden, nickte er und machte sich daran, die Mauer zu erklimmen. Einen Lidschlag später war er neben ihr, wartet nicht mehr ab, was sie nun tat, sondern sprang behände zu Boden. Die Spielfrau beobachtete ihn, machte selbst aber keinerlei Anstalten es ihm gleichzutun. Schon wollte Murtagh sich zum Gehen wenden, als sie plötzlich auf ihn sprang und zu Boden riss. „Spinnst du?“, fauchte er wütend, nachdem sie sich aufgerappelt hatte und er langsam zu Atem gekommen war. „Nein, tu ich nicht. Aber du hättest nicht im Weg stehen müssen.“, gab sie böse zurück. Am Liebsten hätte er ihr eine reingehauen, erinnerte sich dann aber daran, dass sie es gar nicht wert war, aus der Haut zu fahren. „Außerdem sollten wir weiter, statt uns hier rumzustreiten wie zwei räudige Köter. Der Büttel und seine Häscher sind uns auf den Fersen.“ Jetzt drang Hundegebell an Murtaghs Ohren. Verdammt, dieses freche Stück hatte recht! Ohne genau zu wissen was er tat, schnappte er nach ihrer Hand und zog sie erneut mit sich fort. Stundenlang, so kam es Caterina vor, hechteten sie über Stock und Stein, den Wäldern zu. In irgendeinem Gebüsch hielten sie schließlich inne. Erschöpft sank Caterina in die Knie. Was für ein Höllenmarsch. Sie rang heftig nach Atem. Murtagh hingegen schien sich recht bald wieder zu erholen. ‚Macht er so was eigentlich öfter?’, fragte sie sich, ihn verstohlen musternd. „Was glotzt du so?“, kam es prompt von ihm. „Nichts.“, war die knappe Antwort. Beide sahen sich böse an. Kapitel 3: Trotzkopf trifft auf Trotzkopf ----------------------------------------- Kapitel Drei: Trotzkopf trifft auf Trotzkopf Nachdem Murtagh sich gebührend von den Strapazen erholt hatte und einigermaßen ausgeruht war, erhob er sich, um seinen Weg fortzusetzen. Die Kleine starrte ausdruckslos den Waldboden an. „Also, ich bin dann weg.“, verkündete er. Sie schreckte hoch. „Was? Das geht nicht!“, protestierte sie energisch, ihm einen scharfen Blick zuwerfend. „Ach ja? Und warum nicht?“ Jetzt ging das schon wieder los! Diese Spielfrau machte ihm definitiv mehr Scherereien, als jeder von Galbatorix’ Häschern jemals zuvor. „Na hör mal, wir sind hier irgendwo im Nirgendwo. Ich hab nicht die leiseste Ahnung, wo ich bin und wo die nächste Siedlung ist.“ „Das ist dein Problem, nicht meins.“ Schon wollte Murtagh losstiefeln, da stellte sie sich ihm doch tatsächlich in den Weg. „Von wegen, Freundchen! Wenn du mich allein hier lässt, werde ich verhungern, von wilden Tieren gerissen, verdursten oder schlicht gesagt verrecken.“ Ungerührt zuckte er die Achseln. „Immer noch nicht mein Problem.“, erwiderte er gleichgültig. „Doch!“ „Wieso?“ „Du hast mein Leben gerettet. Jetzt bist du für mich verantwortlich.“, sagte die junge Frau mit Nachdruck. Ihre Körperhaltung ließ erkennen, dass sie keinen Zoll von dieser Überzeugung abweichen würde. „Na und? Sei lieber froh, hier zu sein, anstatt in den Kerkern von Dras- Leona. Wenn du mich entschuldigst, ich geh jetzt.“ Entschlossen schob er sie beiseite und machte sich daran, seinen Weg fortzusetzen. Sie widersprach nicht. Murtagh war erleichtert. Er wollte keine Gesellschaft. Schon gar keine, die ihm so auf die Nerven ging, wie diese Spielfrau. Er war schon eine ganze Zeit lang unterwegs, als er hinter sich etwas lärmen hörte. Irritiert und gleichzeitig alarmiert drehte er sich um. Ein genervtes Stöhnen entfuhr ihm. ‚Warum wundert mich das jetzt nicht?’, fragte er sich voller Selbstironie. Da hing die Spielfrau mit ihren weiten Röcken in einem Dornengestrüpp fest und kämpfte verbissen, um frei zu kommen. Irgendwie war das ein extrem amüsanter Anblick, so dass Murtagh lauthals zu lachen anfing, dabei die giftigen Blick Caterinas geflissentlich ignorierend. Allerdings verging ihm das Lachen rasch, als sie Erfolg hatte und wütend auf ihn zumarschierte. Ehe er sich versah, hatte er schon eine schallende Ohrfeige bekommen. „Was zum...?“, entfuhr es ihm ungläubig. Schon holte Caterina erneut aus, doch diesmal hielt er ihr Handgelenk fest, bevor sie es schaffte, ihn erneut zu schlagen. Für eine Spielfrau, das musste er zugeben, war ihre Schlagkraft ziemlich hart. „Du blöder Bastard!“, schimpfte sie, „Lass gefälligst meine Hand los!“ „Wenn du nicht wieder zuschlägst und mir stattdessen erklärst, warum du mir nachgelaufen bist!“, verlangte Murtagh mit leicht drohendem Unterton. Trotzig hob Caterina das Kinn an. Sie hasste es, Befehle entgegen zu nehmen. Egal, von wem. Genau aus diesem Grund war sie doch schließlich aus Urû’ baen abgehauen. „Wird’s bald?“, knurrte der junge Mann. Caterina ergab sich seufzend in ihr Schicksal. „Ich hab’s dir vorhin doch schon mal gesagt: ich kenn mich nicht aus. Wenn ich nicht bei dir bleibe, wäre das mein sicherer Tod. Also hab ich beschlossen, dir nachzulaufen. Irgendwann musst du ja mal in die Zivilisation zurück.“, gab sie unwillig Auskunft. Murtagh brach in Gelächter aus. „Schätzchen, du weißt wohl nicht, wen du hier vor dir hast.“, erwiderte er, sie genau musternd. „Na und? Was willst du damit andeuten? Du bist wohl kaum einer von Galbatorix’ Männern.“ „Sicher?“ „Ganz sicher.“, fauchte sie. Seine überhebliche Art ging ihr gegen den Strich. Sie war vielleicht nur eine Spielfrau, aber das hieß nicht, dass sie ungebildet oder gar dumm gewesen wäre. Murtagh war abrupt verstummt. Ihr gekränkter Blick machte ihn stutzig. Für ihn waren Spielleute Menschen, die keinem Gesetz folgten, außer ihrem Ehrenkodex. Menschen, die frei waren, auch wenn sie in Alagaesia herumzogen und häufig von Soldaten des Königs schikaniert wurden. Und er ging automatisch davon aus, dass Spielleute keine großartige Bildung hatten. Mal abgesehen von ihren Künsten. Anscheinend war er da auf dem Holzweg. „Ein Häscher des Königs hätte mich längst umgebracht. Er würde harmloser aussehen, als du, aber seine Gedanken wären mit Sicherheit finsterer.“ „Woher willst du wissen, was ich denke?“, fragte Murtagh neugierig geworden. Abfällig schnaubte Caterina, ihm einen undefinierbaren Blick zuwerfend. „Du bist ein guter Mensch, du hast ein aufrichtiges Herz.“, war ihr einziger Kommentar dazu. Nach einer Weile des Schweigens, in der Murtagh sich zu einem Entschluss durchgerungen hatte, sagte der junge Mann schließlich: „Von mir aus begleite mich. Aber nur bis wir in der Nähe von einem Dorf sind. Dann haust du brav ab und lässt mich in Ruhe, klar?“ „Verstanden.“, erklärte Caterina. Dann grinste sie ihn an. Murtagh hatte die dumpfe Vermutung, dass er seine Entscheidung schon bald bereuen würde. Jetzt war es zu spät. Er hatte sich damit einverstanden erklärt, sie solange zu ertragen, bis Zivilisation in Sicht war. ‚Das wird eine lange Zeit werden, bis ich sie wieder los bin.’, dachte er, innerlich seufzend. Aber der Dickkopf dieser Spielfrau war wirklich beachtlich. In der Hinsicht konnte sie sich fast mit ihm messen. Das zeigte sich ganz deutlich, als Murtagh sie kurz allein lassen wollte, um Jagen zu gehen. Ein Lagerfeuer brannte bereits munter vor sich hin. Die Spielfrau saß nah daran und wärmte ihre müden Knochen. Sie blickte allerdings auf, als Murtagh Anstalten machte, davon zugehen. „Wo willst du denn noch hin?“, wollte sie wissen, ihn mit schief gelegtem Kopf ansehend. Sie ähnelte beinah einer Eule. „Jagen. Oder wolltest du fasten?“ Der sarkastische Unterton entlockte Caterina ein freudloses Lächeln. Sie schüttelte stumm den Kopf. „Dachte ich es mir doch. Also, ich bin dann mal weg.“ Ihr erschrockener Gesichtsausdruck brachte ihn zum Grinsen. „Keine Angst, ich komme auch wieder.“, versicherte er, sie immer noch angrinsend. „Wenn’s denn sein muss...“, beschwerte sie sich, dann aber hastig hinzufügend: „Jetzt geh schon! Je eher du dich verziehst, desto schneller bist du wieder hier!“ Merkwürdig fand Murtagh diese Aussage schon. Er zuckte mit den Schultern und verstand zwischen den Bäumen. Caterina derweil rückte nich näher an das Feuer heran. Ihre Blicke huschten wachsam hin und her. Sie würde es niemals zugeben, doch sie hatte tierische Angst vor der Dunkelheit. Als Murtagh erfolgreich von der Jagd zurückkehrte, verharrte er verwundert im Schutz der Bäume. Die Spielfrau saß ja fast IM Feuer! Er spürte ganz deutlich, dass sie sich unwohl fühlte. Daran, dass sie allein war, konnte es nicht liegen. Schließlich war sie auch auf sich gestellt unterwegs gewesen, als er in Dras- Leona auf sie gestoßen war. Eine ziemlich ungewöhnliche Spielfrau. Für gewöhnlich zogen sie in Clans umher und waren gruppenorientiert. Da es nicht das Alleinsein konnte, versuchte Murtagh hinter ihr Geheimnis zu kommen. Natürlich hätte er auch einfach fragen können, aber so wie er sie einschätzte, würde sie ihm nur etwas Pampiges erwidern. Tatsächlich jagte Murtagh ihr einen gewaltigen Schrecken ein, als er fast lautlos zwischen den Bäumen hervortrat und sich ihr von der Seite näherte. Ihr Gezeter amüsierte ihn allerdings mehr, als dass es ihn verdrießt hätte. Er würde schon noch hinter den Grund ihres merkwürdigen Verhaltens kommen. Kapitel 4: Reisegefährten ------------------------- Die folgenden Tage stellten eine arge Geduldsprobe für Murtagh und Caterina da. Sie hatten sich zwar halbwegs arrangiert, aber sie gerieten dennoch häufig genug aneinander, so dass es vorkam, dass sie von einer harmlosen Unterhaltung in den schönsten Streit schlitterten, ohne recht zu wissen, wie es dazu gekommen war. Noch dazu war Murtagh sich ganz sicher, dass diese Spielfrau ein Geheimnis wahrte, welches zu ergründen ihn sehr reizte. Sie benahm sich manchmal einfach nicht wie eine von ihrem Schlag. Zwar trug sie die Tracht ihrer Zunft, doch ihre Sprache und ihr Benehmen erinnerten ihn an jemanden, den er vor langer, langer Zeit einmal gekannt hatte, als er noch ein kleiner Knirps von sieben Jahren gewesen war. Es war merkwürdig, wie gewandt die Spielfrau sich ausdrücken konnte, wie scharfzüngig und sarkastisch ihre Worte sein konnten. Zudem schien sie über ein Wissen zu verfügen, welches weit über das hinausging, was Murtagh von einer Angehörigen des Bunten Volkes erwartet hätte. Sie schaffte es immer wieder ihn zu überraschen. Andersherum war es ganz ähnlich. Caterina staunte über die Fähigkeiten, die ihr Begleiter an den Tag legte. Und sie wusste, dass er, so wie sie, ein Geheimnis wahrte, welches er niemals preisgeben würde. Nicht einmal dann, wenn sein Leben davon abhinge. Und selbst seine miese Laune und die Kommentare, die er manchmal abgab und die sie zur Weißglut trieben konnten die Spielfrau nicht davon abbringen, ihn gewissermaßen zu mögen. Seinen Namen hatte er ihr mittlerweile verraten, sowie sie ihm den ihrigen. Beide hatten gestutzt, hatten sie doch früher einmal eine Person gekannt, die genau denselben Namen trug. Aber sie dachten sich nichts weiter dabei. Ganz sicher konnte es nicht DER Murtagh sein. Oder DIE Caterina. Nachdem sie eine Woche gemeinsam unterwegs gewesen waren und langsam aus dem dichten Wald in weniger zugewachsene Gefilde kamen, beschloss Murtagh noch einmal ein Reh zu jagen, von dem sie einige Tage leben konnten, sollten sie wirklich so weit vom Weg abgekommen sein, wie er befürchtete. Caterina, die ihn belustigte, indem sie an ihrem Gesang feilte, blieb urplötzlich stehen. „Ich gehe nicht weiter.“, verkündete sie, dabei einen trotzigen Unterton, der Murtagh stutzen ließ und neugierig machte. „Warum nicht?“, wollte er wissen, während er sich zu ihr umdrehte. Unwillkürlich zog sie den Kopf ein, doch ihr Blick war hart und entschlossen. Murtagh zog eine Augenbraue hoch, dann wiederholte er seine Frage. Er konnte nicht verhindern, dass sich ein Quäntchen Ungeduld in seine Stimme schlich. Caterina hatte wirklich viele Macken und Schrullen, aber dass sie sich geweigert hatte, weiterzugehen, hatte er bisher noch nicht erlebt. In den letzten sieben Tagen war sie ihm brav gefolgt, wohin auch immer er sie geführt hatte. Und kein Ton der Beschwerde war über ihre Lippen gekommen. Warum also stellte sie sich jetzt an? Caterina biss fest auf ihre Unterlippe. Sie schlang ihre Arme um ihren Körper, als fröstele sie. Und tatsächlich hatte sie das Gefühl, es sei kälter geworden. Murtagh musterte sie weiterhin, jetzt aber mit wirklich brennender Neugier. Dieses Verhalten hatte er bei ihr bislang nur gesehen, wenn er vom Jagen kam und sie allein am Feuer saß und sich fast darin versteckte. „Was ist?“, bohrte er nach. Ein unendlich langer Seufzer war ihre Antwort. Doch ehe er weiternachforschen konnte, streckte sie den Arm aus und deutete mit dem Zeigefinger auf die verschwommenen, aber schon zu erkennenden Umrisse einer großen Stadt. „Das ist Urû’ baen.“, erklärte sie. „Na und?“ „Da geh ich nicht hin. Nicht mal in die Nähe dieser verderbten Stadt!“, erwiderte sie heftig. Aus ihrem Ton filterte Murtagh sowohl panische Angst, als auch heißen, alles verzehrenden Hass. Was war in der Hauptstadt Alagaesias geschehen, dass sie einen solchen Widerwillen zeigte, auch nur mehrere Meilen an die Stadt heranzukommen? „Wieso nicht?“ Murtagh hatte seine Neugier zügeln wollen, doch es war ihm nicht gelungen. Ehe er die Frage herunterschlucken konnte, hatte er sie bereits ausgesprochen. Mit Schrecken sah er die Reaktion seiner Reisegefährtin. Caterina wurde kreidebleich, Tränen sprangen in ihre grauen Augen und rannen über ihre Wangen, die normalerweise von gesunder Farbe waren und sich das ein oder andere Mal schon vor Verlegenheit rot wie eine Tomate gefärbt hatten. Aus ihrer Kehle drang ein schrecklicher Laut, der Murtagh Gänsehaut verursachte und ihm ein unbehagliches Gefühl einflößte. Es klang, als würde sie ersticken. Aber das konnte gar nicht sein, da sie ja nichts verschluckt hatte und niemand da war, der ihr die Luft abdrückte. Caterina schnappte krampfhaft nach Luft. Sie sank gegen einen Baumstamm hinter ihr, dankbar für die Stütze. Wann immer sie Urû’ baen zu nahe kam oder zu lang an Galbatorix dachte, bekam sie diese Beschwerden. Es war gut, dass sie geflüchtet war, aber schlecht, dass sie unter einem solchen Trauma litt. Sie schloss ihre Augen und rang um Fassung, um Ruhe. Ja, sie musste sich beruhigen, sich klar machen, dass alles in Ordnung war, dass niemand sie dazu zwingen würde, Urû’ baen zu nahe zu kommen. Nach diesem Vorfall beobachtete Murtagh sie ganz genau. Sie hatte es zwar geschafft ihre Fassung wiederzugewinnen, doch hatte dieser Anfall ihm ziemlich Angst eingejagt. Und es gab wirklich nicht viele Dinge in Alagaesia von denen Murtagh das hätte behaupten können. So hatte er denn eine Kehrtwende gemacht und beschlossen einen großen Bogen um Urû’ baen zu machen, obwohl das bedeutete, dass er und Caterina noch länger Reisegefährten blieben. Andererseits war dieses schreckliche Gebaren der Spielfrau kaum mitanzusehen gewesen, so dass Murtagh beschloss, seine Begleiterin noch ein wenig länger in Kauf zu nehmen. Er war schließlich nicht grausam. Dennoch, seine Neugierde wuchs ins Unermessliche. Wieder hatte er etwas an Caterina entdeckt, dass ihn rätseln ließ. Was war in ihrer Vergangenheit vorgefallen, dass sie derart reagierte? ‚Ob sie wohl Ähnliches erlebt hat, wie ich?’, fragte er sich, während er durch das Unterholz schlich, auf der Suche nach Wild. Auch als er erfolgreich ein Reh geschossen hatte und den Rückweg zum Lager einschlug, beschäftigte er sich in Gedanken weiterhin mit dieser Frage. Allerdings blieb er stocksteif stehen, als er bemerkte, dass Caterina nicht am Feuer saß. Nur ihr abgetragener, zerschlissener Mantel und das Tamburin lagen da, von dem Mädchen aber keine Spur. Murtagh kam nicht umhin, einen Schrecken zu bekommen. Wo konnte sie hin sein? Er hatte sich so daran gewöhnt, sie am Feuer kauern zu sehen, wenn er von der Jagd kam, dass er jetzt erschrak, sie nicht vorzufinden. Dabei hatten sie sich größtenteils nur angezickt und beschimpft, hatten sich gestritten, heftige Wortgefechte geliefert. Und dennoch, Sorge machte sich in Murtagh breit. Fast widerwillig musste er zugeben, dass er sich nicht nur an Caterinas Anwesenheit gewöhnt hatte, sondern dass er sogar Zuneigung zu ihr gefasst hatte und sie mochte. Er mochte sie. „Bei allen vermaledeiten Häschern Galbatorix’, dieses Weibsstück liegt mir am Herzen!“, fluchte er. Da fingen seine scharfen Ohren den Klang von Wasser, das gestört wird, auf. Er folgte dem Geräusch, schlich langsam näher. Und stoppte schließlich im Schutz einer großen Buche. Dort lag ein Felsentümpel, gespeist von einem Waldbächlein, welches durch eine schmale Rinne weiter in das Unterholz führte. Der Vollmond beschien mit seinem silbernen Licht diese Szenerie. Nichts störte den vollkommenen Augenblick. Bis in der Mitte des Teiches plötzlich ein Kopf auftauchte, gefolgt von einem schlanken, geschmeidigen Körper, der im silbrigen Mondlicht schimmerte. Murtagh stockte der Atem. Unwillkürlich krampften seine Hände sich in den Stamm der Buche. Er wollte den Blick abwenden, konnte es aber nicht. Die Spielfrau derweil bemerkte ihn gar nicht. Sie ließ ein leises, perlendes Lachen ertönen, während sie sich langsam wieder in das Wasser sinken ließ und ein paar Runden drehte. Als sie erneut ihren Körper zeigte, fielen Murtagh mehrere Details auf, die er zuvor nicht bemerkt hatte, da er so gebannt gewesen war von diesem Anblick. Ihr Rücken, dem sie ihm zugewandt hatte, war nicht makellos. Sonderbare Striemen verliefen auf ihm, schienen zwar alt zu sein, jedoch nie ganz verheilt. Sie hoben sich dunkel ab gegen die gespenstisch weiße Haut, die so rein wie Neuschnee wirkte. Das lange blonde Haar der Spielfrau war im Nacken zu einem Knoten gefasst, so dass Murtagh ihren anmutigen Hals erkennen konnte. sie drehte sich etwas, so dass er ihr Profil sehen konnte. Sicher, sie war keine klassische Schönheit zu nennen; dafür waren ihre Gesichtszüge nicht regelmäßig genug, aber irgendetwas an ihr ließ einen das übersehen. Als sie sich schlussendlich völlig in seine Richtung gedreht hatte, war Murtagh doch versucht, seine Augen ganz fest zu verschließen. Sicherlich würde die Spielfrau ihm eine runterhauen, sollte sie jemals erfahren, dass er sie bei ihrem nächtlichen Bad beobachtet hatte. Doch so sehr er auch gar nicht hinsehen wollte, er war einfach zu schwach dagegen anzukämpfen. Er musterte ihre vollen, milchig-weißen Brüste, die schmale Taille, die zu kurz geratenen Beine, das Gesicht mit den ausdrucksstarken, grauen Augen, umrahmt von blondem Haar. Seltsam, ihre Haut war zu hell, um einer Spielfrau zu gehören, ihr Haar hatte nicht die klassische Farbe. Vielleicht war sie ein Mischling. Aber nein, er glaubte, etwas an ihr wiederzuerkennen. Das plötzliche Klatschen von Wasser ließ ihn aus seiner Trance erwachen. Die Spielfrau hatte sich hinter einen Felsen versteckt. Laute Stimmen drangen an Murtaghs Ohr. ‚Verdammt!’, durchzuckte es ihn. Wie hatte er nur so dumm sein können? ‚Wir sind nahe an Bullridge dran. Hier lauern ebenfalls Soldaten!’, rief er sich in Erinnerung. Hastig begab er sich zurück zum Lagerplatz, raffte die Habseligkeiten Caterinas, sowie seine eigenen zusammen und machte sich daran, das Mädchen aus seiner prekären Lage zu befreien. Caterina war gleichwohl erschrocken, aber auch sehr erleichtert über Murtaghs Geistesgegenwart. Sie hatte schon befürchtet, von den Soldaten geschnappt zu werden, was unweigerlich zur Entdeckung ihrer Person geführt hätte. Und dann wäre sie wieder in Urû’ baen gelandet, wo man sie eingesperrt hätte in ein Turmgemach. ‚Nicht zu vergessen die grausame Strafe, die mich für meine Flucht erwartet hätte.’, dachte sie unbehaglich, während sie rasch in ihrer Kleider schlüpfte, den Umhang umlegte und Murtagh so leise wie möglich folgte. Als sie eine ganze Weile gegangen waren und der junge Mann es schließlich für sicher genug befand, anzuhalten und endgültig das Nachtlager aufzuschlagen, schlang Caterina ihre Arme um ihn und sagte aus tiefstem Herzen nur ein einziges Wort: „Danke!“ Kapitel 5: Jahrmarkt in Gil' ead -------------------------------- Kapitel Fünf: Jahrmarkt in Gil’ ead Als der Sommer sich dem Ende neigte, waren Murtagh und Caterina immer noch gemeinsam unterwegs. Entgegen ihrer ursprünglichen Abmachung begleitete sie ihn weiterhin. Jetzt, da die goldenen Tage des Sommers rasch vergingen, machten sie öfter Abstecher in Dörfer und Städte. Sie folgten keiner festen Route, doch eines vermied Murtagh so gut er konnte. Nämlich die Umgebung Urû’ baens. Er hatte nicht vergessen, wie seine Gefährtin reagiert hatte, als sie nur verschwommene Umrisse der Stadt ausmachen konnte. Und mittlerweile kannte er sie besser. Er wusste, dass sie nicht feige war. Deswegen hatten sie zwar Dras- Leona nochmals passiert, hatten sich aber von der Hauptstadt Alagaesias ferngehalten. Wenn sie sich in der Zivilisation zeigten, gaben sie sich als Bruder und Schwester aus. Caterina sang und tanzte, um ein bisschen Geld zu verdienen, welches sie im Winter für Herberge und Mahlzeiten ausgeben konnten. Murtagh machte sich daran, ihre Kleidung gegen die Kälte zu füttern und er bestand darauf, dass seine Begleiterin ordentliches Schuhwerk anfertigen ließ. Es ging schon auf den Herbst zu, als sie von dem großen Jahrmarkt in Gil’ ead hörten. Sie wussten beide, dass ihnen ein Auftritt dort viel Geld einbringen würde. Ihre Überlebenschancen würden damit um ein Vielfaches steigen. Und obwohl es gefährlich war, sich in eine so große Stadt zu wagen, die voller Soldaten und Halsabschneidern war, waren sie entschlossen, Gil’ ead einen Besuch abzustatten. In den letzten Tagen hatten sie Station in einem Dorf am Isenstar gemacht, wo man sie auf den Jahrmarkt hingewiesen hatte. Am Morgen des Tages, bevor der Markt eröffnen würde, brachen sie früh auf, um rechtzeitig in Gil’ ead sein zu können, um eine gescheite Unterkunft zu finden. Murtagh ging es ähnlich wie Caterina, er fühlte sich hinter Stadtmauern nicht wohl, so dass er hoffte, nach drei Tagen wieder fortgehen zu können. Außerdem fürchteten sie beide die Entdeckung durch Soldaten, denn sie hatten jeder ein kleines, aber sehr brisantes Geheimnis, das sie wahrten und worüber sie niemals ein Wort verloren. Sie vertrauten dem anderen zwar, aber noch nicht genug, um ein so essenzielles Geheimnis zu verraten, von dem ihr Leben abhängen konnte. Sie hielten sich beide bedeckt, was ihre Vergangenheit anging und wichen geschickt aus, wenn die Sprache doch einmal auf das Thema kommen sollte. Caterina ließ lediglich verlauten, dass ihre Mutter bei einer Fehlgeburt gestorben war, als sie ungefähr fünf Jahre alt gewesen war. Murtagh sagte gar nichts. Aber das musste er auch nicht. Seine Begleiterin kannte ihn nun gut genug, um zu wissen, dass es manche Dinge gab, über die er niemals ein Wort verlieren würde. Sie akzeptierte das. Schließlich verlangter von ihr auch nicht, dass sie alle Karten offen auf den Tisch legte. Er fragte nicht einmal, warum sie sich stets etwas Erde ins Gesicht schmierte, ehe sie sich in ein Dorf wagten, obwohl ihm das sehr merkwürdig vorkam. Doch Murtagh sagte nichts. Gegen Abend erreichten sie die Stadttore Gil’ eads. Die Wachen beäugten zwar die Spielfrau und den abgerissenen Jüngling, der sie begleitete, misstrauisch, hielten sie aber nicht auf. Fragend sahen die beiden jungen Leute sich an. Wo sollten sie hin? Sie waren nur einmal vor langer Zeit in dieser Stadt gewesen, konnten sich nicht mehr daran erinnern, da sie beide im Säuglingsalter gewesen waren. „Was hältst du von einer Herberge am Stadtrand?“, brach Caterina schließlich das Schweigen. Murtagh nickte nur zur Antwort. Ohne ein Wort griff er nach ihrer Hand und führte sie fort von ihrer beider Standort. Hinterher kamen die Wachen noch auf dumme Gedanken. Seit Murtagh Caterina heimlich bei ihrem Bad beobachtet hatte, war er erschreckend eifersüchtig geworden. Ein Gedanke daran, dass ein anderer Mann sie eines Tages in seinen Bann ziehen und sie mit demjenigen gehen könnte, versetzte Murtagh einen schmerzhaften Stich in seiner Herzgegend. Und schon manches Mal, wenn er Caterina hatte tanzen sehen, hatte es ihn gedrängt, sie danach anzufahren. Für seinen Geschmack tanzte sie viel zu anzüglich. Bei anderen Spielfrauen war es ihm völlig egal, nur bei ihr hatte er ein Problem damit. Caterina wiederum merkte nicht mal, wie Murtagh sich manchmal als ihr Liebhaber aufspielte. Sie war in dieser Hinsicht völlig abgeklärt. Liebe, so hatte sie in der Nacht beschlossen, in der sie Urû’ baen und ihrem alten Leben den Rücken gekehrt hatte, war nichts für sie. Sie würde sich niemals verlieben und somit auch nie Probleme mit Männern haben. Oder mit einem gebrochnen Herzen. Bislang hatte sie das auch gut durchgehalten. Aber die Frage war, wie lange noch.... Nach einer Weile des ziellosen Herumirrens hatte Murtagh schließlich eine Herberge erspäht, die nicht teuer, aber recht ordentlich war. Er zog Caterina zu dem Gebäude und fragte nach dem Wirt. Dieser zeigte sich nicht erfreut, dass eine Spielfrau und ein Habenichts in seinem Haus wohnen wollten, doch als er ihr Geld sah, änderte sein Verhalten sich und er war sehr höflich zu Caterina. Dies veranlasste Murtagh zu der Bemerkung, sie sei seine Verlobte und er wünsche, dass sie in einem Raum nächtigten. Nicht nur der Wirt sah ihn daraufhin irritiert an. Der arme Mann hatte geglaubt, es mit einem Geschwisterpaar zu tun zu haben. Auch Caterina kam nicht umhin, sich stark zu wundern. Bisher hatte Murtagh kein Problem damit gehabt, dass sie sich als Geschwister ausgaben, warum änderte er das jetzt? Aber sie hielt den Mund. Das konnte sie getrost später ansprechen. Oder es gar nicht erwähnen, was vielleicht sogar am besten war, da Murtagh sehr ungehalten werden konnte, wenn man versuchte, ihm Informationen zu entlocken, die er preiszugeben nicht bereit war. So ließen sie sich denn ein Zimmer vom Wirt zuweisen und waren ziemlich zufrieden, dass sie eine Bleibe gefunden hatten, in der sie sich einigermaßen sicher und wohl fühlen würden. Caterina stieß einen Schrei des Entzückens aus, als sie sah, dass sie ein Bett hatten. Sie hatte mit Strohsäcken gerechnet. Murtagh, der sie beobachtete, konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Es war einfach zu niedlich, wie sie sich über das Bett freute und er beschloss, es ihr ganz allein zu lassen, obwohl es ihn auch gereizt hätte, noch einmal den Komfort eines anständigen Bettes zu genießen. So stand er mit verschränkten Armen angelehnt im Türrahmen und beobachtete seine Begleiterin, die ihm in diesem Moment vollkommen Glückes als das schönste Wesen auf der ganzen, weiten Welt erschien. Er wunderte sich nicht einmal, wo dieser Gedanke herkam. Er genoß einfach den Augenblick. Am nächsten Morgen erwachte Caterina im Morgengrauen. Sie gähnte verstohlen, wandte dann ihren Kopf und musste lächeln, als sie Murtaghs entspanntes und weitaus weniger grimmiges, schlafendes Gesicht sah. Sie hatte ihn überredet, neben ihr im Bett zu schlafen. Es war doch Unsinn darauf zu verzichten, wenn sie schon einmal die Gelegenheit hatten. Murtagh hatte schließlich knurrig zugestimmt und ihr zu verstehen gegeben, dass sie gefälligst nicht versuchen sollte, ihn zu umarmen oder ähnliches. Lachend hatte Caterina ihm versichert, dass das Letzte sei, wonach ihr der Sinn stand. Und so war es auch. Murtagh war für sie nur ein Begleiter. Ein Freund. Ein Helfer. Mehr nicht. Wenigstens für den Augenblick. Jetzt, da sie ihn so beobachtete, wie das Morgenrot sein hübsches, markantes Gesicht rot und golden beschien, kam er ihr wie der schönste Mann auf Erden vor. Ein liebevolles, gar zärtliches Lächeln, ließ ihr Antlitz erleuchten. Sie war versucht, ihre Hand auszustrecken und ihn zu berühren. Ihm eine dunkle Haarsträhne aus der Stirn zu streichen. Mit ihrem Fingern die Konturen seines Gesichtes nachzuzeichnen. Seine Haut zu berühren, um zu ergründen, ob sie wohl weich war oder hart, wie seine Gesichtszüge es zu tun beliebten. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr, wehmütig und irgendwie auch glücklich zur selben Zeit. Wie kam es, dass Murtagh ihr so schön erschien? Vertraut? So... wertvoll? ‚Nun ja, er hat mein Leben gerettet. Er duldet mich an seiner Seite.’ Aber warum tat er das? Darauf fand Caterina keine befriedigende Antwort, obwohl sie so lange darüber nachgrübelte, bis der Gegenstand ihrer Überlegungen seine Augen aufschlug und herzhaft gähnte. „Morgen...“, kam es verschlafen von ihm. Caterina lächelte ihn warm an. „Guten Morgen!“ Ihre Stimme war voller Überschwang. Ganz ungewohnt, wie Murtagh fand, aber durchaus angenehm. Er warf ihr einen Blick zu, der sie ziemlich einschüchterte. „Mach mal grad Platz, ich muss kurz verschwinden.“, raunzte er. Irritiert sah sie ihn an, sprang aber aus dem Bett und ließ ihn passieren. Ohne einen weiteren Blick verließ Murtagh den Raum, die Tür fiel hinter ihm ins Schloss. Das hatte irgendwie einen so endgültigen Klang, dass Caterina Angst bekam, er könne nicht mehr zurückkommen. Hatte er etwa doch nicht geschlafen und von ihrer Narretei etwas mitbekommen? Allein der Gedanke beschämte sie so sehr, dass sie leuchtend rot anlief und ihren Kopf senkte. Sie hoffte, dass sie sich nicht allzu lächerlich gemacht hatte. Murtagh konnte sehr verletzend sein, ohne es zu merken oder beabsichtigen. Er war nun mal ein nüchterner, zynischer Charakter. ‚Ich sollte aufhören, mir darüber den Kopf zu zerbrechen!’, rief Caterina sich energisch zur Ordnung. Murtagh derweil war zum Abort verschwunden. Nachdem er seine Notdurft verrichtet hatte, lehnte er sich an die hölzerne Trennwand, die für ein wenig Privatsphäre sorgte. Ihm war seltsam zumute. Immer noch stand ihm das warme Lächeln seiner Begleiterin vor Augen. Woran hatte sie gedacht, dass sie ihn so begrüßt hatte? Sie war zwar ein enthusiastischer Charakter, aber diesen Wesenszug ließ sie nur sehr selten zum Tragen kommen. Er schüttelte den Kopf. Er sollte sich wirklich keine Gedanken darüber machen. Das war doch absurd! Mit einem Seufzer kehrte er dem Donnerbalken den Rücken und machte sich auf den Weg in ihr gemeinsames Zimmer. Schon auf der Treppe hörte er Caterinas Gesang. Aber etwas war anders daran. Er konnte sich nicht erinnern, sie jemals von der Liebe singen gehört zu haben. Und wenn doch, dann hatte ihre Stimme ganz anders geklungen, nämlich nicht im mindestens so leidenschaftlich. Caterina hatte Geschichten von der Liebe immer emotionslos vorgetragen. Man hatte ihr nicht abgekauft, dass die Hauptakteure in den Liedern sich wirklich liebten. Deswegen war Caterina immer ausgewichen, wenn man sie um einen solchen Vortrag gebeten hatte. Heldengeschichten und Lieder über längst vergangene Schlachten waren etwas, was ihr mehr lag. Aber nun konnte Murtagh ganz deutlich die Veränderung hören. So blieb er eine Weile vor der Tür stehen und lauschte ihrer Stimme, die an- und abschwoll. Verstohlen beobachtete er Caterina durch den Spalt, den er die Tür geöffnet hatte. Sie tanzte albern durchs Zimmer, nur um innezuhalten und mit verklärtem Gesichtsausdruck die Wand anzustarren, dabei ein unglaublich glückliches Lächeln auf den Lippen. Irgendwie schien sie zu strahlen. Und dann tat sie es. Sie sagte ein Wort in der Alten Sprache. Murtagh konnte sich einen erstaunten Laut nicht verkneifen. ‚Wieso kennt sie die Alte Sprache?’, überlegte er fieberhaft, die Stirn gefurcht. „Was machst du denn da?“ Erschrocken sah er auf und genau in Caterinas halb erschrockenes, halb ärgerliches Gesicht. Der Glanz, der auf ihr gelegen hatte, war verschwunden. „Ich...“, begann Murtagh, brach aber ab und war tatsächlich tödlich verlegen. „Ist ja auch egal, der Markt eröffnet in Kürze!“, knurrte er und schob sich an ihr vorbei ins Zimmer. Sie sah ihm fassungslos nach, schloss dann aber die Tür und hüllte sich in Schweigen. Schließlich brachen sie auf, um in der Stadtmitte der Eröffnung des Jahrmarktes beizuwohnen. Der Bürgermeister von Gil’ ead würde dies tun. Der Platz war bereits vollgestopft mit Menschen, so dass Murtagh und Caterina sich nicht weiter als bis in die dritte Reihe vordrängeln konnten. Wie üblich war der mächtigste Mann der Stadt von Soldaten flankiert. Als sie an Caterina und Murtagh vorbeikamen, wandte Erstere ihren Kopf zur Seite, so dass man ihre Gesichtszüge nicht erkennen konnte. Zwar hatte sie sich vor dem Aufbruch Erde ins Antlitz gerieben, um ihren Teint dunkler zu machen, doch man konnte nie wissen. Schließlich war es erst knapp zwölf Monde seit sie Urû’ baen den Rücken gekehrt hatte. Bislang hatte sie von einer Suchaktion nichts mitbekommen, doch das musste nichts heißen. Sicherlich war ER nicht so dumm, ihr Verschwinden an die große Glocke zu hängen. Damit würde er einen Feinden in die Hände spielen und das war ganz sicher das Allerletzte, was ER wollte. Dennoch fühlte Caterina sich häufig verfolgt und unternahm alle nur möglichen Versuche, unerkannt zu bleiben. Es war gut, dass sie so wandlungsfähig war. Murtagh hatte ihre Reaktion mit Staunen aufgenommen. Es waren nur Soldaten. Und da Jahrmarkt war, würde man sie als Spielfrau wohl kaum ins Gefängnis werfen lassen. Aber andererseits schien Caterina unter einer ausgeprägten Paranoia zu leiden, ähnlich derjenigen, die auch ihn zeitweise quälte. Nach einer endlos scheinenden Ansprache des Bürgermeisters war der Augenblick da. Der Jahrmarkt begann. Die Menge zerstreute sich und die Spielleute und Gaukler suchten sich Ecken, in denen sie ihre Künste vorführten. Caterina, die sich bislang von großen Märkten ferngehalten hatte, staunte über all die verschiedenen Dinge, die es hier zu sehen gab. Ein Feuerschlucker beeindruckte sie ganz besonders, sehr zum Missfallen Murtaghs. „Sollten wir nicht auch nach einer Ecke suchen?“, unterbrach er daher Caterinas Gestarre. Abwesend nickte sie, voll glühender Bewunderung für den Feuerschlucker. Murtagh runzelte die Stirn, griff nach ihrem Arm und zog sie mit sich davon, als er plötzlich innehielt. „Brisingr.“, hörte er Caterina sagen. Der Feuerschlucker hatte plötzlich nichts mehr zu lachen. Die Fackel, die er in der Hand gehalten hatte, wurde von einem Flammenstoß verzehrt und er hatte sich übel verbrannt. Caterina, die nicht wusste, was sie da getan hatte, fühlte sich plötzlich ziemlich wacklig auf den Beinen und unendlich müde. Ehe Murtagh sich versah, war sie schon ohnmächtig geworden und sank Richtung Boden. Rasch hob er sie auf seine Arme und machte, dass er davonkam. Auf dem Weg zur Herberge grübelte Murtagh über zweierlei nach: zum einen, wie es kam, dass eine Spielfrau die Alte Sprache beherrschte und zum anderen, wieso sie durch Benutzung selbiger Magie wirken konnte. Denn nichts Anderes war es gewesen, was sie da getan hatte, wenn auch wahrscheinlich völlig unbeabsichtigt. Er sah auf ihr Gesicht nieder. Immer noch war sie bewusstlos. Ihr Körper war erstaunlich leicht. Er hatte sie für etwas schwerer gehalten. Gefällig schmiegten ihre Konturen sich an seine Brust. Murtagh schluckte. Das war kein guter Augenblick, um sich einzugestehen, dass er sie begehrte. Aber es ließ sich auch nicht leugnen. Er wollte sie. Ob das ausgelöst worden war durch ihr nächtliches Bad in jenem Tümpel im Wald? Unwirsch schüttelte er den Kopf. ‚Reiß dich zusammen!’, ermahnte er sich, während er Caterina die Treppe der Herberge hinauftrug. Der Wirt und einige Gäste im Schankraum beobachteten das Ganze, ließen sich aber keine Reaktion anmerken. Murtagh schenkte ihnen keine Beachtung. Er musste dringend mit Caterina reden. Das hieß, wenn sie das Bewusstsein wiedererlangt hatte. Hoffentlich dauerte das nicht allzu lange... Murtaghs Geduld wurde nur auf eine kurze Probe gestellt. Kurz nachdem er sie auf das Bett gelegt hatte, schlug sie ihre Augen auf und sah sich verwirrt um. „Was ist passiert?“, wollte sie wissen. Murtagh, der am Fenster gestanden und auf das Treiben in den Straßen geblickt hatte, drehte sich zu ihr um. Seine Miene war sehr ernst und er sah streng aus. Caterina bekam unwillkürlich Angst vor ihm. Er setzte sich auf die Bettkante, griff nach ihrer Hand, die, wie er feststellen musste, erschreckend kalt war. „Du hast Magie benutzt.“, antwortete er schlicht. Ihre Augen wurden riesengroß, dann aber füllten sie sich mit Tränen und Abscheu klang aus ihrer Stimme. „Ich bin verderbt!“ Heftig machte sie sich von Murtagh los, fiel mehr, als das sie sprang, aus dem Bett und stolperte auf die Tür zu, wo sie sich mit dem Riegel abmühte. Doch ehe sie ihn aufbekommen hatte, drückte Murtagh seine Hand auf das Holz. Er würde sie jetzt nicht gehen lassen. In ihrem verwirrten Zustand war sie eine Gefahr für sich selbst und alle anderen. Dass das auch ihn einschloss, übersah er geflissentlich. „Bleib ruhig.“, beschwor er sie. Ein tiefer Seufzer entfuhr ihr. Mit sanfter Gewalt brachte Murtagh sie dazu, sich umzudrehen, so dass sie ihm in die Augen sehen konnte, wogegen sie sich allerdings wehrte und den Kopf gesenkt hielt. Mit festem Griff schlossen seine Hände sich um ihre Oberarme. „Sieh mich an.“, verlangte er. Doch sie gehorchte nicht. Stattdessen biss sie auf ihre Lippe und versuchte, die aufsteigenden Schluchzer zu unterdrücken, die ihrer Kehle entweichen wollten. „Sieh mich an.“, wiederholte er, befehlender klingend. Immer noch weigerte sie sich. Murtagh rang um Selbstbeherrschung. Ihr Trotz machte ihn nicht nur wütend, sondern ließ ihn sie noch mehr begehren, als er es ohnehin schon tat. „Sieh mich an, Caterina.“, kam es sehr gepresst von ihm. Er versuchte sowohl Zorn, als auch Verlangen in seiner Stimme zu unterdrücken, was ihm nur halb gelang. Jetzt endlich leistete sie seinem Gesuch Folge und hob ihren Blick. In den grauen Augen schimmerten Tränen und ihr gesamter Gesichtsausdruck sprach von massivem Selbsthass. Ihm stockte der Atem. Ein heftiges Pochen an der Tür ließ sie auseinander fahren. „Aufmachen in Galbatorix’ Namen!“, ertönte eine grobe Stimme. Caterina erschrak und drängte sich schutzsuchend an Murtagh. Er fluchte leise, glaubte er doch zu wissen, dass es sich um Soldaten handelte, die sie beide nun in die Kerker Gil’ eads werfen sollten, weil man Caterina beim Wirken der Magie erwischt hatte. „Aufmachen!“, wiederholte die Stimme polternd und hieb fester gegen die Tür aus Eichenholz. Unsicher und fragend sah Caterina zu Murtagh. Dieser zuckte die Achseln, schob sie dann hinter sich und öffnete die Tür. Davor standen tatsächlich zwei Soldaten, die ziemlich dümmlich aussahen und von grobschlächtiger Gestalt waren. „Der Bürgermeister von Gil’ ead wünscht Euch zu sehen, Spielfrau!“, donnerte der Größere der beiden Soldaten. Vor Überraschung klappte Caterina die Kinnlade herunter. „Wieso?“, wollte sie dann wissen, ganz vergessend, dass ihre Tränen den Schmutzfilm auf ihrem Gesicht unregelmäßig hatten werden lassen, so dass man ihre weiße Haut gut sehen konnte. Die Soldaten allerdings waren viel zu dumm, um das zum einen zu bemerken und zum anderen ihre Schlüsse daraus zu ziehen. „Weil Ihr neu seid und der Bürgermeister die Abwechslung liebt. Wir sollen Euch und Euren Begleiter in den Palast von Gil’ ead bringen, damit Ihr den Herrn mit Eurer Kunst erfreut.“, gab der Soldat Auskunft. Caterina nickte. Das war eine gute Gelegenheit, um viel Geld zu verdienen. Das würde ihnen vielleicht einen längeren Aufenthalt in Gil’ ead ersparen. Auch Murtagh sah den Vorteil darin, obwohl er sich noch immer Sorgen machte. „Wir werden Euch begleiten.“, sagte er schließlich, eine Hand begütigend auf Caterinas Schulter gelegt, da sie jetzt neben ihm stand. Die Soldaten nickten und ließen Murtagh und der Spielfrau den Vortritt. Sie verließen gemeinsam die Herberge und schlugen den Weg zum Palast ein. Keiner der beiden jungen Leute ahnte, dass sich in Gil’ ead hoher Besuch aufhielt, der ihnen beiden nicht angenehm sein konnte... Kapitel 6: Mit knapper Not -------------------------- Kapitel Sechs: Mit knapper Not Wie staunte Caterina als sie die Pracht in Palaste Gil’ eads sah. Es war zwar erst knapp ein Jahr vergangen seit ihrer Flucht aus Urû’ baen, aber die Monate in der freien Natur hatten ihr jegliches Gespür für Luxus genommen. So war es nicht verwunderlich, dass sie sich mit großen Augen umsah, zumal sie niemals in Gil’ ead gewesen war. Jedenfalls nicht in einem Alter, in dem ihre Erinnerungen schon präzise genug gewesen wären, als dass sie sich jetzt noch darauf besinnen könnte. Murtagh, der sich noch allzu gut an das Heim seines Vaters Morzan erinnern konnte und an die Pracht, die dort geherrscht hatte, fand es amüsant, dass Caterina so die Augen übergingen. Für einen Moment vergaß er ganz, wie merkwürdig es war, dass sie in der Lage war Magie zu wirken und dass sie die Alte Sprache beherrschte. Er sah sich selbst um, jedoch eher unbehaglich, da er Palästen im Allgemeinen und diesen hier im Besonderen nichts abgewinnen konnte. Zu seinem Glück dauerte es gar nicht lang, bis der Saal erreicht war, in dem der Bürgermeister sich am Liebsten aufzuhalten pflegte. Wie für einen Mann von Rang üblich hatte er Lakaien, Diener und Gäste von ebenso makelloser Abstammung, wie der seinen, um sich versammelt und sah der Spielfrau und ihrem Begleiter huldvoll entgegen. Murtagh, der unwillkürlich den ganzen Raum auf Gefahren untersuchte, spürte die Anwesenheit von jemandem, der sich nicht öffentlich zeigte oder zeigen wollte. Er hielt dies für ein schlechtes Omen. Allerdings konnten weder er noch Caterina jetzt noch kehrt machen, auch wenn Murtagh das Gefühl hatte, dass sie das dringend tun sollten. „Ich grüße Euch, Spielfrau.“, ertönte die salbungsvolle Stimme des Bürgermeisters. Er hatte sich erhoben und die Arme zum Zeichen des Willkommens weit ausgebreitet. Er war ein gewichtiger Mann mit einem Doppelkinn und kleinen, funkelnden Schweinsäuglein, die in ihren Höhlen rasch hin und herrollten, als sei er extrem angespannt und nervös. Seine Kleidung war, seinem Stand angemessen, prachtvoll. Er trug sattes Rot, einen Gürtel, der mit Edelsteinen verziert war und Lederstiefel aus kostbarem Leder. Ohne Zweifel war auch der Stoff von Hose und Tunika sehr wertvoll. An seinen Fingern glitzerten zahlreiche Ringe und seine dunkler Bart, durchzogen von silbrigen Strähnen, verbarg kaum das Doppelkinn. Sein Haar wirkte trotz der sicherlich täglichen Waschung strähnig und ungepflegt. Zudem hatte er ein übelriechendes Parfum aufgelegt, das Murtagh selbst aus einer Entfernung von zwei Metern in der Nase stach und ihn selbige unwillkürlich rümpfen ließ. Caterina derweil hatte die Begrüßung erwidert, in dem sie einen höflichen Knicks vor dem Bürgermeister und den anderen Würdenträgern machte. Dann lächelte sie höflich und fragte, womit sie denn die Gesellschaft erfreuen könnte. Die Männer berieten sich untereinander und kamen nach einer Weile hitziger Diskussion zu dem Schluss, dass die Spielfrau erst tanzen sollte. Caterina nickte ergeben. Sie wusste, dass sie, wenn sie ihrer Sache gut machte, mit einem fürstlichen Lohn rechnen konnte. Deshalb war sie entschlossen, ihr Bestes zu geben. Der Bürgermeister klatschte in die Hände und ein paar Musikanten, die Caterina zuvor gar nicht aufgefallen waren, kamen in den Fokus ihres Blickes. Sie begannen eine berühmte Zigeunerweise zu spielen, die auch Caterina kannte. Sie fing an, die Schritte dazu zu machen und bald schon hatte sie völlig vergessen, dass sie Zuschauer hatte. Ganz entrückt folgte sie dem Rhythmus, in ihrer eigenen kleinen Welt gefangen. In den Schatten des Raumes hielt sich eine wichtige Person auf, die auf Geheiß des Königs den Jahrmarkt in Gil’ ead überwachen sollte. Es gab da nämlich etwas, was Galbatorix furchtbar grämte. Und aus diesem Grund war der Herrscher über Alagaesia bereit an jedem noch so absurden Ort nach dem zu suchen, was ihm abhanden gekommen war. Galbatorix hatte seinen fähigsten Mann mit der Aufgabe betraut, ihm wiederzubeschaffen, was verloren gegangen war. Und da der König nicht dumm war, ahnte er, dass das, was er suchte, sich eine Tarnung zugelegt hatte. Aber sein treuer Diener Durza würde Erfolg haben. Dessen war Galbatorix sich ganz sicher. Durza also beobachtete die kleine Spielfrau ganz genau. Ihren Begleiter bemerkte er kaum. Er sollte nach etwas Ausschau halten und er würde sich nur auf dieses eine Detail konzentrieren. Natürlich wusste er, was seinem König gestohlen worden war, aber eigentlich interessierte es Durza nicht weiter. Er machte seine Arbeit. Dafür durfte er ein paar Menschen quälen. Das war ein gerechter Tausch, auch wenn der Schatten am Liebsten mehr als nur die paar kläglichen menschlichen Wesen gefoltert hätte. Einen Elfen zum Beispiel, die waren zäher. Man konnte mehr Spaß haben mit ihnen. ‚Ich muss mich konzentrieren, darf mich nicht ablenken lassen.’, beschwor er sich und widmete sein Augenmerk wieder der Spielfrau, die immer tollkühner tanzte und schließlich in der Ekstase einen kleinen Fehler machte, der allerdings kaum jemanden aufgefallen sein dürfte. Die Würdenträger und ihr stupider, fetter Anführer, der Bürgermeister, glotzten das Mädchen an, als wäre es etwas zu essen. Die gierigen Blicke zogen die Spielfrau fast aus, doch sie merkte es nicht. Oder tat wenigstens so. Als sie schließlich zu Boden sank und ihre Tanzeinlage damit beendet hatte, erscholl Geklatsche und Gejohle. Man dankte der jungen Frau für ihren Auftritt und bat sie, doch etwas zu singen. Da wurde es für den Schatten interessant. Er würde in kürzester Zeit in der Lage sein, herauszufinden, ob er gefunden hatte, wonach es den König verlangte. Ein ziemlich gemeines Grinsen erschien auf Durzas schmallippigen Mund und kräuselte ihn zu einer Fratze abstoßender Gehässigkeit. Mit einem breiten Lächeln und geröteten Wangen bezog Caterina Aufstellung vor den hohen Herren. Dabei wurde sie weder von Murtagh noch von Durza aus den Augen gelassen. Sie räusperte sich kurz und fragte dann ihre Zuhörer, welche Art Lied sie denn zu hören begehrten. Man sprach sich für etwas Lustiges aus und auf dem Gesicht der jungen Frau breitete sich einmal mehr ein Grinsen aus. Was sie vorhatte, war riskant, aber wenn sie es etwas umdichtete, würde es garantiert nicht auffallen. Sie wusste, was echte Spielleute sangen und sie wusste auch, dass vor dem Bunten Volk nichts geheimgehalten werden konnte. ER hatte nur Glück, dass ER immer eingesperrt hatte, was IHM nun verloren gegangen war, so dass das gemeine Volk noch nichts ahnte. Und das würde auch so bleiben. Unter keinen Umständen wollte Caterina zurück. „Meine Herren, ich werde nun mit meinem Vortrag beginnen. Selbstverständlich handelt es sich hierbei um ein Spottlied, welches nicht ganz ernst gemeint ist. Darum ersuche ich um Nachsichtigkeit, falls ich doch Missfallen erregen sollte.“, tat Caterina kund, ließ sich zusichern, dass man ganz sicher nicht beleidigt sein würde und ihr Lied begann: „Dem König ward ein Schatz gestohlen, wir sollten ihn ihm wiederholen. Es hieß, es würd' ihn furchtbar grämen, fürstlich der versprochene Lohn. Der Grund sich der Dinge anzunehmen und auf große Fahrt zu gehen. Da war der eine - mit sich nicht ganz alleine - der wohl niemals ein Wort sprach doch gut mit Pfeil und Bogen traf. Und da war der, der größer als ein Baum - der konnte zuhauen. Und da war die Kleine - die hatte vielleicht Beine - sie war die Schlauste und war schön wie keine. Und schließlich ich, ihr Anführer wohl, als Vagabund das Land kannt'. So zogen wir los dem Schatz auf der Spur. Ist's Gold oder Silber, ist's Edelstein pur? Keiner wusste was es war und das war sehr sonderbar... Des Königs Schatz ist auf der Flucht, getrieben von der Eifersucht! Er hatte wohl zu viele Mätressen, dabei sein eigenes Weib vergessen! So zogen wir von Stadt zu Stadt, fragten wer gesehen hat, welch' übler Lump den Schatz geklaut oder wie er ausschaut, doch niemand hatte was gesehen, von diesem Frevel, dem Vergehen. Doch dann wurden Gerüchte laut, von einer wunderschönen Braut, die durch das Land lief, hier und da, doch für jeden Fremde war. Vielleicht ja sie die freche Diebin, wir folgten ihr geschwind hin. So zogen wir los, dem Schatz auf der Spur. Ist's Gold oder Silber, ist's Edelstein pur? Keiner wusste was es war und das war sehr sonderbar... Des Königs Schatz ist auf der Flucht, getrieben von der Eifersucht! Er hatte wohl zu viel Mätressen, dabei sein eigenes Weib vergessen! Als wir die Frau dann schließlich fanden, ihr sogleich die Hände banden, schauten wir genauer hin: "Seht! Es ist die Königin!" Sie erzählt uns Sachen unter Tränen, die wir nicht mehr erwähnen...“ Kaum, dass die Spielfrau den ersten Satz beendet hatte, wusste Durza, dass er einen Volltreffer gelandet hatte. Er hatte gefunden, was der König vermisste und es zeugte nur von Dummheit, dass das Mädchen so dreist war, einen solchen Text vorzutragen, selbst wenn dieser verändert war und nicht genau den Tatsachen entsprach. Der Schatten rieb sich eifrig die Hände. Während die dummen Würdenträger noch lachten, trat er aus seiner dunklen Ecke hervor und ging gemessenen Schrittes auf das Mädchen zu. Sie würde ihm nicht entkommen. Dazu war sie zu ungebildet. Murtagh hatte ja gewusst, dass da was im Busch war. Es kostete ihn nur den Bruchteil einer Sekunde, zu erkennen, dass sie beide mächtig in der Klemme steckten. Ein Schatten. Murtagh stöhnte auf. Und nicht nur einer. Ausgerechnet Durza musste es sein... Zwar war es Ewigkeiten her, dass Murtagh das Haus seines Vaters verlassen hatte, doch an den Schatten konnte er sich noch allzu gut erinnern. Manches Mal war Durza bei ihnen aufgekreuzt und dann hatte Selena ihren Sohn hastig aus dem Zimmer gelotst. Trotzdem wusste Murtagh, dass sowohl sein Leben, als auch das Caterinas verwirkt war, wenn sie nicht rasch flohen. Und nicht einmal dann konnte er mit Gewissheit voraussagen, dass sie überleben würden. Während der Schatten auf die Spielfrau zuging und Murtagh hin und her überlegte, wie sie beide mit heiler Haut davonkamen, war Caterina zur Salzsäule erstarrt. Natürlich kannte sie Durza. Besser, als ihr lieb war. Sie schluckte, konnte sich nicht mehr rühren. Was hatte sie sich nur dabei gedacht, dem Wunsch des Bürgermeisters nachzukommen? Sie hätte ahnen müssen, dass es an der Sache einen Haken gab. Fieberhaft sann sie über eine Möglichkeit nach, zu entkommen. Ihr Blick schweifte zu Murtagh, der den Schatten mit einer Mischung aus Hass und Abscheu, aber auch Furcht, musterte. Sie schluckte. Dann drehte sie sich auf dem Absatz um und rannte. Rannte so schnell, wie ihre Beine sie tragen wollten. Murtagh, der ihren Blitzstart mitbekommen hatte, folgte ihrem Beispiel. Doch Durza ließ sich nicht so leicht abhängen. Er war ein Schatten und magiebegabter als die meisten Wesen Alagaesias. Die Elfen mochten ihm noch das Wasser reichen, wie der König auch. Aber abgesehen davon gab es keinen Zweifel an Durzas vollkommener Macht. Und die würde er einsetzen, um seinen Auftrag zu erfüllen und seinem König auf dem Silbertablett zu servieren, was ihm einst gestohlen in jener hellen Sommernacht vor zwölf Monden. Durza kannte kein Erbarmen. Das wussten auch Murtagh und Caterina, weswegen sie Fersengeld gaben, um dem Palast von Gil’ ead und der Stadt an sich schnellstmöglich zu entkommen. Der Schatten war ihnen dicht auf den Fersen, doch die Angst verlieh den jungen Leuten Flügel. Sie hatten Glück, dass es noch hell war, denn im Dunkeln wäre Durza ihnen definitiv überlegen gewesen. Sie hetzten durch enge Gassen, quetschten sich in Hauseingänge und hatten sich irgendwann völlig verlaufen. Doch das alles zählte nichts. Hauptsache, sie waren dem Schatten entronnen. Wenn auch nur mit knapper Not... Kapitel 7: Eine erste Annäherung -------------------------------- „Ist er weg?“ Atemlos spähte Caterina hinter einem Heuwagen hervor. Sie und Murtagh trieben sich nun seit Stunden im Gewirr der Gassen Gil’ eads herum, eifrig darauf bedacht, nicht entdeckt zu werden. Die Dämmerung brach herein. Sie wussten beide, dass es gefährlich war, weiter auf der Straße herumzulungern, zumal Durza im Dunkeln um Einiges mächtiger war, als bei Tageslicht. „Ja. Ich seh jedenfalls nichts von ihm. Los, machen wir, dass wir zur Herberge kommen und morgen beim ersten Hahnenschrei verschwinden wir von hier!“, sagte Murtagh leise. Er hatte unbewusst nach Caterinas Hand gegriffen und hielt sie noch immer fest mit der seinen umschlossen. Die junge Frau nickte, schauderte aber kurz. „Was ist?“, hakte Murtagh nach. Er konnte den besorgten Unterton kaum aus seiner Stimme verbannen. Über die ganze Aufregung war ihm noch präsenter geworden, wie sehr ihm die Spielfrau ans Herz gewachsen war. Aber er fragte sich auch, was Durza wohl von ihr gewollt haben könnte... „Ich... Nichts.“, erwiderte Caterina ausweichend und machte einen Schritt auf die Straße hinaus. Doch Murtagh hielt sie zurück. „Ich will eine Antwort haben, Cat.“ Er klang ernst und der Ausdruck in seinen dunklen Augen schien ihr tief ins Herz zu fahren. Cat. So hatte er sie noch nie zuvor genannt. Nur eine einzige Person, die sie vor langer Zeit einmal gekannt hatte, hatte sie so angesprochen. Caterina stutzte. Sie erwiderte Murtaghs Blick unverwandt und ganz langsam weiteten sich ihre Augen. Ihre Lippen öffneten sich. „Murtagh.“, sagte sie sehr leise, immer noch bohrten braune Augen sich in graue. „Ja?“, fragte er ungeduldig, aber auch atemlos. Bei der Art und Weise, wie Caterina eben seinen Namen ausgesprochen hatte, war ihm eine Gänsehaut über den Rücken gelaufen. Wieder herrschte eine Weile Schweigen. Doch dann kam es ganz abgeklärt von Caterina: „Wir sollten hier nicht rumlungern. Gehen wir!“ Und diesmal leistete Murtagh keinen Widerstand. Er war sich jedoch sicher, dass sie eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen. Sie hatten es glücklich in die Herberge geschafft. Ein schwerer Regen ging nieder. Sie hatten es nicht gewagt, Licht zu machen, da durchaus die Gefahr bestand, dass Durza die Soldaten nach ihnen schickte. Stille herrschte im Raum. Caterina saß mit angezogenen Knien auf dem Bett, ihren Umhang um sich gelegt und tief in Gedanken versunken. Auch Murtagh ging es ähnlich. Er stand am Fenster und bewachte den Innenhof. Sie würden, wie abgemacht, im Morgengraue Gil’ ead verlassen. Bis dahin konnte er nur hoffen, dass sie nicht entdeckt würden, dass Durza ihnen nicht weiter nachstellen würde. ‚Durza kennt mich. Was, wenn er mich Galbatorix ausliefern will?’, fragte Murtagh sich. Aber warum hätte der Schatten dann auf Caterina losgehen sollen? ‚Vielleicht hat er geglaubt, er könne sie als Geisel nehmen...’, überlegte der junge Mann weiter. Ein plötzlicher Donnerschlag riss ihn aus seinen trübsinnigen Gedanken. Dann folgte ein klägliches Wimmern. Sofort fiel Murtaghs Blick auf Caterina, die sich zusammen kauerte und den Kopf eingezogen hatte. Wie zum Schutz hatte sie die Arme über ihrem Kopf verschränkt. Ein Blitz zuckte über den Himmel, dann folgte unmittelbar darauf ein krachender Donner. Wieder fuhr das Mädchen zusammen. Das Wimmern wurde lauter. Murtagh machte vorsichtig einen Schritt auf sie zu. Bei näherem Hinsehen konnte er erkennen, dass sie zitterte. Offensichtlich hatte sie Angst, versuchte aber krampfhaft, es nicht zu zeigen. Unwillkürlich musste er lächeln. Beim nächsten Donner erschrak auch Murtagh. Das Gewitter musste genau über der Stadt sein. ‚Seltsam. Dafür war es den Tag über nicht warm genug...’, fiel es dem jungen Mann ein. Sein Gesicht verfinsterte sich. Das musste Durzas Werk sein, der verhindern wollte, dass die Spielfrau und ihr Begleiter flohen. ‚Wenigstens dieses Ziel hat er erreicht.’, dachte Murtagh grimmig, während sich ihm das Herz zusammenzog bei der Betrachtung Caterinas. Sie musste wirklich wahnsinnige Angst haben. Jetzt drang sogar ein erstickter Schluchzer aus ihrer Kehle. Murtagh fühlte sich recht nutzlos. Er wusste nicht, was er tun sollte. Oder ob das überhaupt angebracht war. Doch beim nächsten Donnerschlag nahm Caterina ihm die Entscheidung ab. Sie warf sich einfach an seine Brust, heftig schluchzend und zitternd. Überrumpelt, aber auch mitleidig, legte Murtagh seine Arme um sie und drückte sie nah an sich. Irgendwie rührte ihn ihr Verhalten. Sie tat immer so stark und dann fürchtete sie sich vor einem einfachen Gewitter? Unwillkürlich musste er lächeln. Mit jedem Donnerschlag krallte Caterina sich stärker an ihm fest. Schon seit frühester Kindheit hatte sie entsetzliche Angst vor Gewittern. Generell war sie sehr lärmempfindlich. Umso verwunderlicher war es denn auch, dass sie ihr Brot ausgerechnet als Spielfrau verdiente. Auf Märkten war es schließlich auch laut. Allerdings war es nicht diese Art von Lärm, die Caterina Angst machte. Nein, im Gegenteil. Seit sie denken konnte, war es laut gewesen, wenn ihr Vater sie bestraft hatte. Und er war ein sehr strenger Mann. Mächtig, ja, aber nicht wie ein Vater sein sollte. Er hatte keine Probleme damit gehabt, seiner kleinen Tochter Schläge zu verabreichen. Dass diese Züchtigungen im Privaten abgelaufen waren, wo niemand Caterina hatte schreien hören außer den Bediensteten, war ihr Glück. Oft hatte sie drei Tage danach noch nicht sitzen oder liegen können. Dann waren ihr weitere Fehler unterlaufen, die man ihrem Vater aber nicht gemeldet hatte. Die Mägde und Ammen, die sich um Caterina gekümmert hatten, waren sehr mitleidig gewesen und freundlich, wenn sie konnten. Ihren Vater hingegen hatte Caterina nur zu Gesicht bekommen, wenn eine Strafe anstand. Kein Wunder, dass sie ihn nicht lieben konnte. Was ihre Mutter anging, nun, diese war in dem Moment aus dem Leben geschieden, da sie ihrer Tochter dazu verholfen hatte, das Licht der Welt zu erblicken. Caterina hatte deswegen keinerlei Erinnerung an die Frau, die sie geboren hatte. Aber es gab ein Bild im Hause ihres Vaters, in einer kleinen Kammer. Früher hatte Caterina oft davor gestanden und die hübsche Frau mit den kornblumenblauen Augen und dem Haar von der Farbe von Sommerweizen betrachtet. Sie war sehr jung gewesen, als sie Caterinas Vater zum Mann genommen hatte. Im Flüsterton tuschelten die Mägde über die alten Geschichten und das kleine, einsame Mädchen hatte versucht, jedes Wort in sich aufzusaugen, um sich ein Bild machen zu können von der Frau, die so wunderschön und zerbrechlich aussah und von der Caterina doch nur das Haar geerbt hatte. Und ein paar ihrer Eigenschaften, wie etwa den Freiheitsdrang. Auch die Singstimme mochte Caterina von ihrer Mutter haben. Wie gern hätte sie diese Frau gekannt, hätte sie ‚Mutter’ genannt und sich ihr anvertraut, wenn Sorgen sie quälten. Doch dazu würde es nie kommen, denn es war ja Caterinas ureigenste Schuld. Ihre erste Tat war gewesen, ihre Mutter zu morden. Wieso sie gerade jetzt die Vergangenheit Revue passieren ließ, wusste sie nicht. Aber es war gut, dass Murtagh bei ihr war. Obwohl das Gewitter noch immer tobte, zuckte Caterina nicht mehr zusammen. Sie wurde immer ruhiger. Die Flucht aus dem Palast und der Schreck von Durza entdeckt worden zu sein, saßen ihr tief in den Knochen und machten sie müde. Am Liebsten hätte sie sich zu einer Kugel zusammengerollt und hätte geschlafen. Doch dann hätte sie ja Murtagh loslassen müssen und das wollte sie nicht. Seine Nähe war ihr zu angenehm, zu wohltuend, als dass sie sich von ihm hätte lösen mögen. Murtagh, der sie die ganze Zeit über festgehalten hatte, spürte dies natürlich und es ließ ihn gleich noch mehr schmunzeln. Also war er doch nicht ganz allein mit seiner Zuneigung. Sie brachte ihm wohl in etwa dasselbe entgegen, auch wenn er sich nicht festnageln lassen wollte, was dieses dämliche Verlangen nach ihr anbelangte. So hatte Murtagh bisher nicht empfunden. Es war ja nicht nur ihr Körper, den er besitzen wollte, sondern auch ihr Geist. Alles an ihr wollte er ergründen, sie zu seinem Eigentum erklären. Und im Gegenzug war er bereit, ganz ihr zu gehören. ‚Aber das wird nie geschehen.’, dachte er fast schon wehmütig, während er mit einer Hand nun sanft über ihr Haar streichelte. Ein Seufzer entfuhr ihm, ganz leise. Doch Caterina hatte ihn trotzdem gehört. „Was ist los?“, fragte sie mit vom Schluchzen rauer Stimme. Sie hob den Kopf, um in Murtaghs Gesicht sehen zu können. Irritiert sah er zu ihr hinab. Sie war gut einen bis anderthalb Köpfe kleiner als er. Dieser Ausdruck in ihren Augen, fragend und zugleich besorgt, machte Murtagh ganz kribbelig. Er kämpfte hart gegen den Drang an, sich einfach zu nehmen, wonach es ihn gelüstete. ‚Doch, sagte er sich, ‚wenn ich das tue, dann bin ich nicht besser als Morzan. Und ich will ein guter Mensch sein. Sie wird mir schon zu verstehen geben, wenn sie fühlt wie ich.’ Oh, wie gern hätte Caterina das getan, wenn sie nur geahnt hätte, dass sie längst verloren war, dass es für sie beide kein Zurück mehr gab. Aber sie wusste es nicht. So betrachtete sie Murtagh abwartend, während sie auf eine Antwort wartete, die sie niemals bekommen würde. Stattdessen fand sie sich unversehens noch fester an Murtagh gepresst wieder. Er schluckte. Es ging einfach nicht. Er konnte nicht gut sein. Er wollte es ja so gerne, aber... Murtagh ließ nun alle guten Vorsätze fahren. Sie musste eben mit den Konsequenzen leben. Wenn sie sich nicht für ihn interessierte, fein, dann konnte sie ihn ja immer noch verlassen. ‚Du Narr!’, höhnte eine Stimme in seinem Inneren, die der Morzans gar zu ähnlich klang, ‚Diese Weib hat dich mit Haut und Haar gebannt. Mit Leib und Seele gehörst du ihr, du blinder Tor! Los, nimm, was dir gehört!’ Alles Wehren war vergebens. Murtagh hasste sich dafür, dass er so leicht seinem Verlangen nachgab. Es zeichnete ihn nur als Schurken aus. Während Murtagh diesen inneren Kampf austrug, fragte Caterina sich, was wohl in ihm vorgehen mochte. Er sah so gequält aus... Litt er etwa Schmerzen? Konnte sie irgendetwas tun, um ihm zu helfen? Gab es denn nichts, was sie tun konnte? Musste sie ertragen, ihn leiden zu sehen? „Murtagh?“, fragte sie leise. So leise, dass sie nicht wusste, ob er sie verstanden hatte oder nicht. Erneut bekam sie keine Antwort zu hören. Stattdessen beugte er sich zu ihr herunter und ehe sie sich versah, hatte er seine Lippen sanft auf die ihren gelegt. In diesem Moment, da Caterina noch völlig verwirrt war, sprang der Funke über. Sie schlang ihre Arme um ihn und erwiderte diesen Kuss, für sie doch der allererste, mit einer ungekannten Leidenschaft. Erfreut über ihr Zugeständnis, wagte Murtagh es, den Kuss zu vertiefen. Innig und eng ineinander verschlungen standen sie dort, während draußen die Welt unterzugehen schien. Es war erst der Beginn einer Verbindung, die ihnen einmal zum Verhängnis werden sollte... Kapitel 8: Der Zorn eines Königs -------------------------------- Durza, der zähneknirschend gestehen musste, dass er versagt hatte, war zu Galbatorix zurückgekehrt. Natürlich war der Herrscher Alagaesias ganz und gar nicht begeistert, als er sich anhören musste, dass sein treuester Diener nicht in der Lage gewesen war seinen Auftrag zu erfüllen. Andererseits wusste Galbatorix nun, als was sich sein verloren gegangener Schatz tarnte. Und bestimmt würde sie leichtsinnig genug sein, bald wieder unter Menschen zu gehen. Es würde ein Leichtes sie einzufangen. Oh ja, und wenn er sie erst wieder hatte, würde er ihr gehörig die Leviten lesen. Derweil Galbatorix diesen rachsüchtigen Gedanken nachhing, befahl er seinen Soldaten und Durza die Suche nach dem verlorenen fortzusetzen. Es war nun leichter, sie zu entdecken, da man um ihre Tarnung wusste. Zudem wurde sie begleitet von jemandem, der Galbatorix nur zu bekannt war. Welche Ironie des Schicksals... Seit jenem verhängnisvollen Ereignis in Gil’ ead mieden Caterina und Murtagh die Zivilisation, wie der Teufel das Weihwasser. Zu sehr fürchtete die Spielfrau, entdeckt zu werden. Sie wollte nicht von Murtaghs Seite gerissen werden. Nicht jetzt, wo sie ganz langsam erkannte, wie sehr er ihr am Herzen lag. Der Kuss, den sie mit Murtagh geteilt hatte, beschäftigte sie noch lange danach. Ja, es verging eigentlich kein Tag, an dem Caterina nicht rätselte, warum er sie geküsst hatte und warum es ihr so gefallen hatte. Seltsam in der Tat, da Murtagh nun verschlossener erschien als je. Ob es daran lag, dass sie ihn hatte gewähren lassen? Caterina seufzte lautstark. Sie wurde einfach nicht schlau aus ihrem Gefährten. Er benahm sich so widersprüchlich. Mal war er fast schon fürsorglich, dann wieder abweisend und kalt. Nur hinter den Grund für seine abrupten Stimmungswechsel kam Caterina nicht. Nach und nach belastete sie das ziemlich, doch da sie wusste, dass Murtagh Jammerliesen nicht mochte, hielt sie ihren Mund und grübelte stattdessen. Sie glaubte tatsächlich, dass ihm das nich auffallen würde. Allerdings hatte sie sich gehörig geschnitten, was das anbetraf. Auch wenn es nicht den Anschein hatte, bemerkte Murtagh sehr wohl, wie sehr Caterina sich in intensives Nachdenken versenkte. Er fragte sich, warum, war aber zu stolz, um nachzufragen. Er konnte sich jedoch ausmalen, dass es etwas mit ihm zu tun haben musste, da seine Begleiterin ihn manchmal geschlagene zehn Minuten am Stück anstarrte, ohne einen Ton zu sagen, aber immer den Anschein erweckte, kurz davor zu sein, eine Frage zu stellen, auf die sie die Antwort aber schon zu kennen schien, so dass sie letztendlich doch schwieg. Ein bisschen ängstigte das Murtagh, der sich selbst wie ein Dorftrottel vorkam, weil er es nicht auf die Reihe bekam, Caterina reinen Wein einzuschenken, was seine Gefühle für sie betraf. Da er aber noch nie zuvor so empfunden hatte und nicht wusste, ob es ihr genauso ging, hatte er einfach zu viel Angst, von ihr verletzt zu werden. Natürlich war das ein dummer Gedanke. Er war schließlich Murtagh. Ihn haute so leicht nichts um. ‚Außer dieser Frau.’, ging es ihm trübsinnig, aber auch begehrlich durch den Kopf, als sie in der Höhle saßen, die sie im Wald unweit des Buckels gefunden hatten. Da sie nach dem Jahrmarkt nicht mehr in die besiedelten Gegenden Alagaesias zurückgewollt hatten, hatten sie beschlossen, im Wald zu überwintern. Caterina hatte Geschick darin bewiesen die Höhle ein wenig wohnlicher zu machen. Sie hatten eine feste Feuerstelle und aus den Jagderfolgen Murtaghs hatte das Mädchen eine gut gepolsterte Bettstatt errichtet, die sie sich allerdings teilen mussten. Nicht, dass Murtagh das groß gestört hätte, zumal es wirklich ziemlich zugig wurde in der Höhle. Den Großteil des Tages verbrachte Murtagh mit der Jagd, während Caterina Feuerholz sammelte und ein paar gefrorene Beeren auftrieb. Mittlerweile war der Winter hereingebrochen und Schnee bedeckte mit einer tiefen Schicht den Waldboden. Zum Glück war es jedoch nicht so kalt, als dass der kleine Bach, welcher sich in Höhlennähe befand, zugefroren wäre. So hatten sie eine Wasserquelle, was zum Kochen dringend notwendig war. Alles in allem hatten die beiden Ausreißer sich damit abgefunden, einen trostlosen Winter in einer miefigen, kleinen Höhle eingesperrt zu sein und sie kamen nach einer Weile auch wieder besser miteinander aus. Caterina hatte beschlossen, nicht länger zu rätseln und war stattdessen zu ihrem alten, fröhlichen Selbst zurückgekehrt. Nun ja, so fröhlich man eben in einer solchen Situation sein konnte. Dass Murtagh den größten Teil des Tages gar nicht anwesend war, machte es für die Spielfrau nicht gerade einfacher, aber sie gewöhnte sich daran. Wenn er denn also von der Jagd heimkam, hörte er sie singen. Sie wollte schließlich ihre Stimme nicht einrosten lassen. Unablässige Übung war unerlässlich, wenn sie den hohen Standard halten wollte, den sie erreicht hatte. Einmal konnte er sie auch dabei beobachten, wie sie für sich tanzte. Was Murtagh erstaunte, war die Tatsache, dass es sich nicht um eine Zigeunerweise handelte, als vielmehr um ein höfisches Menuett. Erneut keimte in ihm der Verdacht auf, dass sie etwas verbarg. Es musste etwas Schwerwiegendes sein, wenn sie es so sehr behütete. Besonders die Nächte waren freudlos, da es trotz des Feuers doch klirrend kalt wurde. In Pelze gewickelt saßen Murtagh und Caterina an ihrem flackernden Lagerfeuer und versuchten, sich warm zu halten. Bei der Gelegenheit vertraute Caterina ihm an, dass sie etwas sehr Wertvolles besaß. Aus einer Tasche, die in ihren Rock eingenäht war, zog sie ein goldenes Medallion. Sie öffnete das Türchen und zum Vorschein kam eine Miniatur. Darauf zu sehen war eine wunderschöne, junge Frau mit kornblumenblauen Augen und Haaren von der Farbe wie Sommerweizen. In ihrem Blick lag eine unbestimmte Traurigkeit. Murtagh wusste sofort, dass die Frau auf dem Bild Caterinas Mutter war. Er sah es an der Art und Weise, wie sie mit dem Medallion umging, wie sie es betrachtete. Und natürlich fiel ihm eine gewisse Ähnlichkeit zwischen den beiden Frauen auf. Zwar hatten Caterinas Gesichtszüge nicht im Mindestens dieselbe Regelmäßigkeit, wie die ihrer Mutter, aber die Form ihrer Augen und die Haarfarbe waren identisch. „Sie ist früh gestorben, nicht wahr?“, durchbrach Murtagh das Schweigen, welches sich über die Höhle gelegt hatte. Caterina nickte. „Ja.“, antwortete sie mit leiser Stimme, „Am Tage meiner Geburt.“ Mitleidig nahm Murtagh ihre Hand und drückte sie. Es tat ihm Leid, dass sie ihre Mutter niemals hatte kennenlernen dürfen. Stumm ließ Caterina ihn gewähren. Sie konnte nicht sagen, dass sie sie vermisste, denn sie hatte ja niemals mütterliche Liebe erfahren. Dass sie eine Zuneigung zu der Frau auf dem Bild empfand, war nur natürlich. Caterina machte sich ihre eigene Vorstellung von ihrer Mutter. Und in ihren Tagträumen, als sie noch ein kleines Mädchen gewesen war, da war ihre Mutter immer an ihrer Seite gewesen, um sie vor dem Zorn des Vaters zu schützen. Caterina wusste instinktiv, dass sie gewisse Eigenschaften nur von ihrer Mutter haben konnte, auch wenn es sie beschämte, ihrem Vater in gewissen Dingen ähnlich zu sein. Sie wollte nichts mit ihm gemein haben, mit dem Mann, den sie nur zu Gesicht bekommen hatte, wenn er sie strafen wollte für irgendein Vergehen. Er war immerzu grausam gewesen. Und seine Schergen ebenfalls. Langsam neigte der Tag sich dem Ende zu. Murtagh war auf dem Heimweg. Heute hatte er Glück gehabt und einen Hirsch erlegt, sowie mehrere Kaninchen aus den Fallen geholt. Dann konnte Caterina sich wenigstens nicht beklagen, dass es keine Arbeit für sie gäbe. Er lächelte vor sich hin. Irgendwie hatte er sie vermisst. Ob sie wohl schon auf ihn wartete? Er war später dran als üblich. Bestimmt würde sie ihm vorhalten, dass er ihr einen Schrecken eingejagt habe. Und dass er sie nicht mehr so lang allein lassen dürfe. ‚Vielleicht, ganz vielleicht gelingt es mir ja sogar ihr ein Lächeln zu entlocken, wenn ich ihr sage, dass wir nach der Schneeschmelze Alagaesia verlassen werden.’, überlegte er. In letzter Zeit hatte er immer wieder mit diesem Gedanken gespielt. Jetzt hatte er eine konkrete Form angenommen. Zuerst würden sie nach Surda gehen und dann übers Meer entfliehen. Weit fort von allem. An einen ruhigen Ort, wo sie ungestört und in Frieden leben konnten. Als Mann und Frau. ‚Ach, Unsinn!’, dachte Murtagh, während er unwirsch den Kopf schüttelte. Solche romantischen Fantastereien passten gar nicht zu ihm. Normalerweise behielt er immer die Nerven, bewahrte einen kühlen Kopf. Aber seit er Caterina diesen Kuss gestohlen hatte, gingen ihm ständig solche idiotischen Ideen durchs Hirn. Und er konnte sich immer weniger dagegen wehren. Er musste ehrlich eingestehen, dass er sich mit ihr eine solche Zukunft vorstellen konnte, auch wenn dies bedeutete, sesshaft zu werden. Für sie würde er seine Freiheit aufgeben, ihr seine Eigenwilligkeit opfern. ‚Wenn sie doch nur wieder lächeln würde...’ Weiter stapfte Murtagh durch den tiefen Schnee, dabei rückte er seine Last auf dem Rücken zurecht. Es war nicht mehr weit bis zur Höhle. Und das war gut. Ihm knurrte der Magen. Er sehnte sich danach, sich am warmen Feuer niederzulassen. Ausruhen wollte er. Und dabei Caterina beobachten, wie sie das Abendessen vorbereitete, ihm von ihrem Tag erzählte oder gar ein Lied sang. ‚Sie ist still geworden in den letzten paar Tagen.’, fiel es Murtagh ein. Er bog um einen Tannenhain. Da kam die Höhle in Sicht. ‚Seltsam... diese ganzen Fußspuren stammen aber nicht nur von ihr. Und mir.’ Plötzlich bemächtigte sich ein grausiges Gefühl Murtaghs. Er hatte panische Angst. Etwas war nicht in Ordnung, das konnt er deutlich spüren. Adrenalin schoss durch seine Adern, zwang ihn dazu, schneller voranzuschreiten, um sicherzugehen, dass Caterina da war, wo er sie vermutete. Er hetzte auf die Höhle zu, quetschte sich durch den Eingang und hatte Mühe seine Augen an das Dunkel zu gewöhnen. Warum brannte kein Feuer? Wo war Caterina? Kapitel 9: Innerlich tot ------------------------ Der Schnee war längst geschmolzen. Frühling war in Alagaesia eingekehrt. Die Sonne lachte vom Himmel, Blumen begannen zu blühen. Man hörte wieder Vögel singen. Das Wetter wurde wärmer, die Menschen optimistischer. Sie freuten sich über den Tod des Winters. Ja, im Frühling begann ihr Leben von neuem. Allerorten konnte man verliebte Pärchen sehen, spielende Kinder, junge Mütter mit ihren Neugeborenen, alte Weiber, die sich über alles und jeden unterhielten, Männer, die mit der Aussaat auf den Feldern begannen und Tiere, die Junge warfen. Lachen, Jubel, Trubel und Heiterkeit; all dies war nach Alagaesia zurückgekehrt, in das Land ohne Lächeln. Niemand konnte sich dem entziehen, ganz egal, wie miesepetrig er oder sie auch sein mochte. Auch die Soldaten des Königs benahmen sich nicht ganz so übel, wie sie es sonst zu tun pflegten, was ihnen dennoch keine Sympathien eintrug, da sie immer noch unter Galbatorix’ Fuchtel standen und tun mussten, was er von ihnen verlangte. Murtagh, der all dies stumm zur Kenntnis genommen hatte, war weder vom Frühling noch vom verbesserten Verhalten der Soldaten berührt. Er marschierte jeden Tag Meile um Meile, hatte in den vergangen Monaten Alagaesia fast ganz durchquert, immer beflügelt von dem Wunsch, so weit weg wie möglich zu kommen. Aber als er die Chance hatte, das Land zu verlassen, hatte er sie ungenutzt verstreichen lassen. Tief in ihm keimte noch die Hoffnung, Caterina eines Tages wiederzufinden und diesmal an ihrer Seite bleiben zu können. Seine Wanderungen führten ihn immer und immer wieder an den Ort, an dem er sie zum ersten Mal gesehen hatte. Wo er sie vor den Bütteln gerettet hatte, als man sie zur Komplizin eines Diebes erklärt hatte. Obwohl es ihn schmerzte, konnte Murtagh nicht anders. Wann immer er auch nur in der Nähe Dras- Leonas war, musste er die Stadt betreten. Natürlich war das Irrsinn. Gefährlicher Irrsinn. Und doch vermochte er sich nicht gegen den inneren Drang zu wehren, der ihn nach Dras- Leona zog. Er verachtete sich für diese Schwäche und konnte sich ihrer doch nicht erwehren. Zu gern hätte er gewusst, warum Caterina verschwunden war. Alles, was ihm von ihr erhalten geblieben war, war das Medallion mit dem Bildnis ihrer Mutter. Wann immer er sich besonders stark nach Caterina sehnte, holte er das Schmuckstück hervor, klappte es auf und betrachtete mit wehmütigem Blick die junge, ernst dreinblickende Frau, in deren Augen dennoch ein Feuer zu lodern schien, welches ihm von Caterina nur zu vertraut war. Er vermisste sie, vermisste sie so sehr, dass es ihn beinahe wahnsinnig machte vor Schmerz. Sein Leben war völlig sinnlos geworden ohne sie. In den Monaten der Leere machte Murtagh allerdings die Bekanntschaft eines jungen Mannes mit einem Drachen in Begleitung eines Mannes, von dem Murtagh von seiner Mutter schon viel gehört hatte. Er schloss sich ihnen nur an, weil er zum einen nicht allein sein wollte und zum anderen, weil er hoffte irgendwie etwas über Caterina erfahren zu können. Und es hatte etwas konkret Rebellisches, sich dem freien Drachenreiter anzuschließen und somit Galbatorix ein bisschen Sand in die Augen zu streuen. Obwohl Murtagh nicht mehr allein war und abends die Feuerstelle mit Eragon, Brom und Saphira teilte, war er trotzdem einsam und innerlich völlig leer und tot. Das fiel seinen Begleitern durchaus auf, doch wagten sie es nicht, Fragen zu stellen. Brom, der Murtagh besser kannte, als beiden lieb sein konnte, fragte sich jedoch, ob er sich nach Selena erkundigen konnte. Tagelang rang Brom mit sich, ließ es schließlich aber doch bleiben. Er hatte Murtagh beobachtet. Er hatte nicht viel von seinem Vater, nicht äußerlich zumindest. Ob das auch seinen Charakter betraf, vermochte Brom nicht zu beurteilen. Doch der alte Mann sah wohl, dass Murtagh sich von Tag zu Tag quälte, dass er durch irgendetwas Schwerwiegendes extrem aus der Bahn geworfen worden war, ohne dass etwas daran hätte geändert werden können. Brom war neugierig. Zu gern hätte er gewusst, was in Murtagh vorging. Allerdings starb er, bevor er das Geheimnis von Selenas Sohn lösen konnte. Dafür blieb Eragon zurück, der weniger Bedenken in der Hinsicht hatte. Er war 15, noch ein halbes Kind. Was kümmerte ihn Anstand? Was kümmerten ihn gesellschaftliche Konventionen? Durch die Monate, die er mit Brom zugebracht hatte, waren seine Manieren gewissermaßen verwildert. Eragon nahm kein Blatt mehr vor den Mund, wie er es früher in Carvahall getan hatte, hatte tun müssen. Eines lauen Sommerabends, als sie schon auf dem Weg zu den Varden waren und das Nachtlager aufgeschlagen hatten, erwischte Murtagh Eragon dabei, wie er ein fröhliches Liedchen vor sich hin pfiff. Unter normalen Umständen wäre ihm das ziemlich egal gewesen, doch er kannte die Melodie zu gut. Oft genug hatte er Caterina dieses Liedlein singen hören, wenn sie das Abendessen bereitete oder Kleidungsstücke mit Pelz fütterte. Es jetzt aus Eragons Mund zu hören, machte den Schmerz für Murtagh wieder präsent. Die Abgestumpftheit, die er sich als Schutz aufgebaut hatte, wurde von schmerzhaften, lästigen Stichen gestört, vernichtet. Der Verlust Caterinas, den Murtagh für abgehakt gehalten hatte, brach nun mit aller Macht erneut über ihn herein. Ehe er sich zurückhalten konnte, entfleuchte ihm ein Schmerzenslaut, ein ersticktes Schluchzen schon, welches der ehemalige Bauernjunge zu gut vernahm. Er verstummte sofort, seine Aufmerksamkeit ungeteilt auf Murtagh gerichtet, der an einem Baum lehnte, ja, sich fast daran festklammerte. Irgendwie wirkte der Ältere verloren. So unsagbar verloren, dass Eragon von heißer Zuneigung zu ihm erfasst wurde, zu ihm trat und ihn stumm umarmte. Murtagh ließ es über sich ergehen, in Gedanken aber erlebte er jede einzige Sekunde, die er mit Caterina verbracht hatte, noch einmal. Sie erreichten die Varden, wo Murtagh einmal mehr angefeindet wurde, es aber über sich ergehen ließ. Seitdem er Caterina verloren hatte, war ihm egal, was mit ihm geschah. Nun ja, zumindest, solange er nicht starb. Sein Leben wollte er behalten. Noch immer keimte in ihm die Hoffnung, dass er Caterina wieder sehen würde. Irgendwie, irgendwo, irgendwann. Murtagh wollte daran glauben, wollte festhalten an dieser Hoffnung, die, wie er festgestellt hatte, durch nichts zu erschüttern war. Ja, er liebte sie, liebte sie, wie er es nie zuvor getan hatte und wohl auch nie wieder würde. Bekäme er je die Chance, das Rad der Zeit zurückzudrehen, so schwor er sich, würde er Sorge dafür tragen, dass er Alagaesia eher verließ, diesmal aber mit Caterina an seiner Seite. Murtagh konnte ja nicht ahnen, dass er sie eher wieder zu Gesicht bekommen sollte, als er sich das erhoffte. In der großen Schlacht um Farthen Dûr nämlich bewies er Einiges an Geschick und Tapferkeit. Dummerweise fiel er gleich einem mysteriösen Zwillingspaar auf, welches ihn nach der gewonnen Schlacht prompt entführte. Murtagh fand sich, zu seinem maßlosen Entsetzen, in Urû’ baen wieder. Und um allem die Krone aufzusetzen auch noch Auge in Auge mit Galbatorix. Schlimmer konnte es jetzt wirklich nicht mehr kommen. Oder? Kapitel 10: Zeit des Wiedersehens --------------------------------- Kaum, dass Murtagh den Schock verwunden hatte, in den Händen Galbatorix’ gelandet zu sein, erwartete ihn direkt der Nächste. Statt ihm ordentlich einzuheizen und ihn grausam zu bestrafen für ein Vergehen, dessen Murtagh nicht schuldig war, ließ der Herrscher über Alagaesia etwas wie Milde walten. Der junge Ausreißer wurde einfach auf einen Stuhl gegenüber des Thrones von Galbatorix gefesselt und durfte dort seines weiteren Schicksals harren. Aber auch dies ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem Murtagh zwei Tage und Nächte allein im Thronsaal verbrachte, hatte der König beschlossen, ihm seine Zukunftsperspektiven zu eröffnen. Selbstgefällig schritt Galbatorix vor Murtagh auf und ab. Eine ganze Weile lang, bis er schließlich abrupt innehielt und sich zum Gesicht des Burschen herabbeugte. „Schön, schön, schön.“, ließ Galbatorix verlauten- allerdings in einer Art und Weise, die Murtagh klar machte, dass mit ‚schön’ nichts gemeint sein konnte, was ihm auch nur im geringsten zusagen würde. Also stellte der Jüngling sich auf das Schlimmste ein. Er ahnte, dass Galbatorix ihn nicht töten würde. Dafür war er nun doch zu wertvoll. Schließlich befanden sich noch zwei Dracheneier in des Königs Gewahrsam. Und da Murtagh nun einmal Morzans Sohn war, standen die Chancen nicht schlecht, dass er ebenfalls ein Drachenreiter war. Dies bedeutete zwar, dass er unter der Knute Galbatorix’ würde leben müssen, aber es war immer noch besser als zu sterben. So grauenvoll es auch sein mochte, ein Sklave des Königs zu sein, der Tod schreckte Murtagh zu sehr, als dass er ihn in Kauf genommen hätte. Zumal vielleicht Galbatorix etwas mit dem Verschwinden Caterinas zu tun gehabt hatte. Und, so plante Murtagh es wenigstens, wenn er sich beim König lieb Kind machte, konnte er etwas über Caterinas Verbleib herausfinden. Doch so wie man plant und denkt, so kommt es nie. Eigentlich hätte Murtagh das wissen müssen. Nachdem der König seinem Gefangen noch eine Weile ins Gesicht gestarrt hatte, ging er zwei Schritte zurück und stellte sich wieder aufrecht hin. Dabei grinste er derart abartig, dass Murtagh einen Augenblick lang versucht war, seinen Kopf zu senken, damit er diese Fratze nicht länger zu betrachten brauchte. „Du gehörst jetzt mir.“, durchbrach Galbatorix die Stille. Er klang beinahe geschäftsmäßig. Murtagh zog eine Augenbraue hoch. „Ach ja? Wie kommt Ihr auf diese dumme Idee?“ Er grinste, jedoch nicht sehr lange, denn eine harte Ohrfeige traf ihn. Damit hatte Galbatorix klargemacht, dass er sich von niemandem auf der Nase herumtanzen ließ. Von einem Bengel wie Murtagh schon gar nicht. Schweigend steckte dieser die Demütigung ein, darauf bedacht, sich einen solchen Fehltritt nicht noch einmal zu erlauben. „Ich kenne deinen wahren Namen, Murtagh Morzanssohn.“ Immer noch klang Galbatorix erschreckend beiläufig. Er hatte jetzt die Hände hinter dem Rücken verschränkt. Als Murtagh das hörte, lief ihm ein grausiger Schauer über den Rücken. Binnen einer Sekunde wusste er, dass der König wahr gesprochen und nicht geblufft hatte. Also war er jetzt zum Gehorsam gegen Galbatorix verpflichtet. ‚Und das bedeutet, ich kann Caterina abhaken...’ Der Gedanke schmerzte ihn so sehr, dass er gar nicht mitbekommen hatte, dass der König weiter geredet hatte. Erneut traf ihn eine Ohrfeige, schmerzhafter noch als die davor. „Willst du mir wohl zuhören?“, fauchte Galbatorix, der es absolut nicht abkonnte, wenn man ihn mit Missachtung strafte. Da wurde er sehr schnell sehr zornig und dann war er unberechenbar. Diesen Wesenszug kannte Murtagh von seinem Vater Morzan nur zu gut, daher verzichtete er darauf zum einen eine freche Antwort zu geben und zum anderen unaufmerksam zu sein. Galbatorix, der ahnte, dass er noch einmal von vorn beginnen musste mit seinem Vortrag, beeilte sich durch den üblichen Teil des absoluten Gehorsams und der grässlichen Strafe für Verrat zu kommen, damit er den interessanteren und ungleich wichtigeren Aspekt zur Sprache bringen konnte. Brav hörte Murtagh sich an, was der König zu sagen hatte, doch es berührte ihn in keinster Weise. All das waren Phrasen mit denen Murtagh gerechnet hatte. Was er jedoch nun zu hören bekommen sollte, erwischte ihn völlig auf dem falschen Fuß. Galbatorix räusperte sich vernehmlich, um sich Murtaghs ungeteilter Aufmerksamkeit sicher sein zu können. Die hatte er tatsächlich. „Nun, da ich dir einleuchtend beschrieben habe, wie ich mir unsere Zusammenarbeit vorstelle, möchte ich dir etwas weitaus Wichtigeres anvertrauen. Es wird ein einschneidendes Erlebnis in deinem Leben sein, das kannst du mir glauben.“, begann Galbatorix, der zwar kein Freund großer Worte war, den Triumph jedoch gern ein wenig hinauszögerte. Verständnislos sah Murtagh ihn an. War es nicht schon schlimm genug, dass man ihn gezwungen hatte, Galbatorix’ Sklave zu sein? „Vor vielen, vielen Jahren wurde eine Prophezeiung gemacht, die sich nur durch dich erfüllen kann. Sie besagt, dass der dritte und letzte Drachenreiter aus der Verbindung deiner Person mit königlichem Blut hervorgehen wird. Da ich ein Mann bin und keinerlei Verlangen danach verspüre, der Sodomie zu huldigen, hast du insoweit Glück gehabt, dass nicht ich derjenige bin, mit dem du den Bund eingehen wirst.“ Hier machte der König eine genüssliche Pause, um sehen zu können welche Wirkung seine Worte auf Murtagh gehabt hatten. Der junge Mann war ganz und gar nicht begeistert von der Aussicht mit einem Spross des Königs vermählt zu werden. Er wollte nur eine. Und das war Caterina. „Wie ich sehe, scheinst du nicht sehr begeistert zu sein von der Tatsache, dass ich dir meine Tochter, mein einziges Kind, zur Frau geben will.“, bemerkte der König süffisant. Auch sein stures Töchterlein hatte sich nach Kräften gegen eine Zwangsheirat gewehrt. Jedoch ohne Erfolg. Sie hatte die Strafe für ihren Ungehorsam längst erhalten und kurierte die Folgen davon in ihrem Schlafgemach im obersten Stockwerk des Turmes, der zum Westflügel des Palastes in Urû’ baen gehörte, aus. Zumindest hatte sie das bis eben getan, als Galbatorix seine Diener angewiesen hatte, das störrische Ding herunterzuholen und in den Thronsaal zu bringen, damit sie ihren Zukünftigen kennenlernen konnte. „Wieso sollte ich auch?“, entfuhr es Murtagh unbeabsichtigt. „Du solltest dich geehrt fühlen, weißt du. Es war gar nicht so einfach ihrer habhaft zu werden...“, erwiderte der König beinahe gelassen. Murtagh schnaubte. Wahrscheinlich hatte Galbatorix das Mädchen in irgendeinem Gemach eingesperrt, bis es alt genug gewesen war, Kinder zu gebären. Von dieser idiotischen Prophezeiung hatte Murtagh noch nie gehört. Oder aber er hatte es erfolgreich verdrängt. „Sie war ein ungezogenes Mädchen, oh ja.“, erging Galbatorix sich weiter in sinnlosem Gebrabbel, welches er aber schließlich unterbrach, um in die Hände zu klatschen. „Genug von diesem Unsinn. Du sollst meine Tochter kennenlernen.“ Damit gab der König ein paar Dienern einen Wink und sie zerrten ein sich wehrendes, in kostbares Tuch gewandetes Mädchen hinter sich in den Saal. So wie sie sich gebärdete, musste sie wirklich einen üblen Widerwillen gegen die Ehe verspüren, wie Murtagh belustigt feststellte. Schließlich aber reichte es dem König. Er trat auf das Mädchen zu und verpasste ihr links und rechts ein paar schallende Ohrfeigen, die sowohl die Gestrafte, als auch Murtagh nach Luft schnappen ließen. Er war entsetzt über die Grausamkeit, die Galbatorix gegenüber seiner eigenen Tochter an den Tag legte. Dieser Mann war kein Mensch, er war ein Monster! Das wurde Murtagh nun immer klarer. „Stell dich nicht an, Tochter. Du wirst jetzt deinen Bräutigam begrüßen.“, befahl Galbatorix herrisch. Das Mädchen machte keinerlei Anstalten mehr, sich zu wehren. Bei dem Gerangel mit den Dienern hatte sich ihre Hochsteckfrisur gelöst und das weizenblonde Haar floß über ihre Schultern und den Rücken. Um zu verhindern, dass die junge Frau abhaute, packten die Bediensteten sie an den Armen und zwangen sie, sich vor Murtagh aufzubauen. Dieser war schon neugierig, wenn es ihn dennoch mit Abscheu erfüllte, eine andere als Caterina heiraten zu müssen. „Nun, Tochter, sieh ihn an.“, kam direkt der nächste Befehl vom König. Widerwillig gehorchte sie und erstarrte. Auch Murtagh war völlig fassungslos. Das konnte, nein, durfte nicht wahr sein! Unmöglich. Nein. Er wehrte sich dagegen, so gut er konnte, aber schließlich musste er es doch einsehen. Caterina war Galbatorix’ Tochter. Kapitel 11: Lug und Trug, eine Hochzeitsnacht und andere Probleme ----------------------------------------------------------------- Nicht nur für Murtagh war es ein Schock so unvermittelt Caterina gegenüber zu stehen. Auch sie traute ihren Augen kaum. Ja, sie hatte sogar richtiggehend Panik. Allzu gut wusste sie, wie sehr Murtagh Galbatorix und seine Machenschaften verabscheute. Da sie ein Teil im Leben des Königs war, würde Murtagh sicherlich auch sie nun hassen, selbst wenn sie nichts dafür konnte, die Tochter eines solchen Monsters zu sein. Unsicher sah sie Murtagh an, versuchte in seinen dunklen Augen zu lesen und herauszufinden, ob er schlecht von ihr dachte. Als sie vor Monaten einfach so verschwunden war, war sie nicht freiwillig gegangen. Durza war mit einem Aufgebot Soldaten erschienen und hatte sie einfach mitgenommen. Den Zauberkräften des Schattens hatte Caterina nicht viel entgegenzusetzen gehabt. Kein Wunder, dass Murtagh keine Spuren eines Kampfes vorgefunden hatte, als er von der Jagd zurückkehrte und die Höhle verlassen vorfand. Gegen einen Schatten konnten nur die wenigsten bestehen. Ein wehrloses Mädchen ohne nennenswerte Waffen zur Verteidigung schon gar nicht. Wenigstens für ihre Ergreifung hatte Galbatorix sich dem Schatten gegenüber großzügig gezeigt. Durzas eigentlicher Auftrag hatte geheißen, auch Murtagh in Gewahrsam zu nehmen. Was war Caterina heilfroh gewesen, dass er zu dem Zeitpunkt im Wald umherstapfte und die Fallen überprüfte. Jetzt hingegen wollte sie vor Scham am Liebsten im Boden versinken. Es hatte seinen guten Grund gehabt, warum sie ihm nie gesagt hatte, wessen Kind sie war. Nun ja, mit Morzan als Vater war man sicher gestraft genug, dennoch hatte Caterina wohlweislich den Mund gehalten, wann immer die Sprache auf ihre Familien kam. Murtagh war schließlich ebenso verschlossen gewesen in dieser Hinsicht wie sie. Ebenfalls aus gutem Grund, wie Caterina nun wusste, allerdings mit dem kleinen, aber feinen Unterschied, dass sie Murtagh seiner Herkunft wegen nicht verurteilte. Niemand konnte schließlich etwas dafür, wer oder was seine Eltern waren. Gewisse Tatsachen ließen sich nun mal nicht aus der Welt schaffen, so sehr man dies auch wünschen mochte. Alles, was einem übrig blieb, war der Versuch, das Beste daraus zu machen. In Caterinas Fall war dies Flucht gewesen. Ein Vergehen, für welches sie bereits hatte büßen dürfen. Ihr Körper schmerzte immer noch von all den Schlägen, ihre Seele von den Verwünschungen, die Galbatorix ausgestoßen hatte, als er sie für ihren Ungehorsam strafte. War es da verwerflich, dass sie ihren eigenen Vater hasste? War es unverständlich, dass sie einen Ausweg gesucht hatte? Konnte Murtagh, der selbst ein gebranntes Kind war, ihr wirklich vorwerfen, die Tochter diesen Scheusals zu sein, welches sich anmaßte König zu sein? Galbatorix, der das Wiedersehen der Beiden mit amüsierter Miene angesehen hatte, befand nun, dass es an der Zeit war ein paar letzte Informationen loszuwerden, damit die Hochzeitsvorbereitungen getroffen werden konnten. Es hieß zwar immer, man solle nichts überstürzen, aber der König wusste sehr wohl, dass jeder Moment, den er zögerte, Eragon Schattentöter weitere Verbündete um sich sammelte. Das konnte Galbatorix sich nicht leisten, zumal die Urgals ihm auch nicht mehr so zu Willen waren, wie sie es hätten sein sollen. Also musste das Wiedersehen der ‚Kinder’ möglichst kurz gehalten werden. Der König räusperte sich vernehmlich, dann erhob er seine Stimme: „Nun, da ihr heiraten werdet, ist es an der Zeit euch davon in Kenntnis zu setzen, was ich von euch erwarte. Solltet ihr euch mir widersetzen, wisst ihr ja, was geschehen wird.“ Galbatorix kostete diesen letzten Satz besonders aus. Eine gelungene Demonstration seiner Macht, wie er fand. Vor allem aber befriedigte es ihn zu sehen, wie Caterina und Murtagh zusammenzuckten, als er zu sprechen anfing. Das lag allerdings nur daran, dass sie noch so gebannt vom Anblick des jeweils anderen gewesen waren, dass sie völlig vergessen hatten, dass Galbatorix auch noch anwesend war. Schmerzlich hatte er ihnen diese Tatsache ins Gedächtnis gerufen. „Ich wünsche, dass die Ehe unter allen Umständen vollzogen wird. Es interessiert mich nicht im Geringsten, ob du, meine Tochter, körperlich dazu in der Lage bist, zu empfangen. Ich dulde keine Widerrede!“ Bei diesen Worten sah er vor allem Murtagh an. Galbatorix wusste, dass seine Tochter sich nur allzu lebhaft an die Stunden erinnern konnte, in denen er sie ihres Vergehens wegen gezüchtigt hatte, deshalb hielt er es nicht für nötig, sie noch einmal daran zu erinnern. Bei Morzans sturem Sohn sah das allerdings schon wieder ganz anders aus. „Die Zeremonie wird morgen stattfinden, wenn die Sonne untergeht. Der Bund mit deinem Drachen wird geknüpft nachdem du meine Tochter zu deiner Frau gemacht hast, verstanden?“ Murtagh nickte. Was blieb ihm auch groß anderes übrig? „Ich denke, wir verstehen uns.“ Mit diesen Worten gab Galbatorix seinen Dienern einen Wink. „Bringt meine Tochter in ihr Gemach zurück, sie soll sich ausruhen. Den Jungen geleitet in den Ostflügel.“, befahl der König. Schon gehorchten die Diener und rissen Caterina von Murtaghs Anblick los. Widerstandslos ließ sie sich abführen, als wäre sie eine gemeine Diebin und nicht eine Frau von ‚edlem’ Geblüt. Sie so zu sehen, machte es Murtagh schwer, sie zu hassen. Aber sie hatte ihn nun mal belogen. Hatte ihn arglistig getäuscht, sich sein Vertrauen erschlichen und ihn im Endeffekt doch nur benutzt. Sie verdiente es nicht besser. Bevor Caterina endgültig aus seinem Blickfeld verschwand, erhaschte er einen flüchtigen Moment lang einen entschuldigenden, fast schon flehenden Blick aus ihren grauen Augen. Es schnitt ihm in Herz, sie in den Fängen dieser Lakaien zu sehen, die sich nicht darum kümmerten, ob sie ihr wehtaten oder nicht. Doch sein verwundetes Herz war noch nicht bereit, ihr ihren Verrat zu vergeben. Nein, das benötigte Zeit. Jede Menge Zeit. In ihrem Turmgemach ließen die Diener Caterina los. Mit einem beinahe schadenfrohen Grinsen zogen die beiden Männer sich zurück. Die Tür fiel mit einem Krachen, das den Klang von etwas Endgültigem hatte, zu. Zurück blieb eine junge, verzweifelte Frau, die sich fragte, welchen Sinn ihr Leben noch hatte, wenn der Mann, den sie liebte, sie aus tiefstem Herzensgrunde verabscheuen musste. Entkräftet von der Begegnung mit Murtagh, die sie doch weitaus mehr mitgenommen hatte, als sie zugeben mochte, sank Caterina auf ihr klammes, kaltes Bett mit dem ausladenden Himmel, der ihr heute noch trostloser erschien als sonst. Was hätte sie dafür gegeben, jetzt bei Murtagh sein zu dürfen. Eine Chance zu bekommen, alles zu erklären. Er, als Sohn Morzans sollte doch Verständnis aufbringen können für ihren Widerwillen auch nur ein Wort über ihre wahre Herkunft zu verlieren. Immerhin hatte er ihr auch nie gesagt, wer er wirklich war. Zugegeben, sie hatte gerätselt und ein paar Mal versucht, ihm aus der Nase zu ziehen, wo er herkam, was mit seiner Familie war, aber als sie gemerkt hatte, dass er jedes Gespräch abblocken würde, welches seine Vergangenheit zum Thema hatte, hatte sie es gelassen. Durch das Vertrauen, welches sie ihm entgegen gebracht hatte und noch immer tat, war es ihr egal gewesen. Murtagh hatte ihr nie Grund gegeben, ihm zu misstrauen. Eher das Gegenteil war der Fall gewesen. In seiner Nähe hatte sie sich unglaublich sicher und geborgen gefühlt. Obwohl wortkarg hatte er es doch vermocht, ihr Wärme zu geben, sowie Schutz. Dinge, die sie in ihrem Leben zuvor nur selten erfahren hatte. Während Caterina vor sich hin trotzte, wurde Murtagh wenig sanft in sein Gemach befördert. Es befand sich ebenfalls in einem Turm, jedoch lag dieser gegenüber dem Westflügel, wo man die Tochter des Königs einquartiert hatte. Offensichtlich war das Turmzimmer ein selten frequentierter Ort, da eine erhebliche Staubschicht auf den Möbeln lag und die Vorhänge am Himmelbett ziemlich zerschlissen und knittrig wirkten. ‚Galbatorix versteht es, seinen Gästen die Lust am Bleiben auszutreiben.’, dachte Murtagh bei sich. Weniger neugierig als viel mehr angeekelt, begutachtete der junge Mann den Rest der Zimmerausstattung. Wenn das Gemach Caterinas ebenso aussah und sie immer so gehaust hatte, konnte er durchaus verstehen, warum sie abgehauen war. Da hatte ja sogar er es besser gehabt daheim. Zumindest solange Selena lebte. Mit einem Plumps ließ Murtagh sich auf das Bett fallen. Wenigstens die Matratze schien weich. Er verschränkte die Arme hinter dem Kopf und starrte in den dunkelgrünen, von Staub bedeckten und Motten zerfressenen, Himmel. Dabei ließ er die Zeit, die er mit Caterina außerhalb Urû’ baens verbracht hatte noch einmal Revue passieren. Jetzt, da er um ihre Herkunft wusste, wurde ihm Einiges klarer. Kein Wunder, dass sie nicht in die Nähe ‚dieser verderbten Stadt’ hatte kommen wollen. Sicherlich war Galbatorix in der Lage, festzustellen, ob jemand an dem Ort war, an dem er sein sollte. Murtagh schüttelte sich. Auch, dass Durza in Gil’ ead auf Caterina losgegangen war, machte nun Sinn. So wie der junge Mann Galbatorix einschätzte, hatte es dem König ganz und gar nicht zugesagt, dass seine Tochter, seine Lebensversicherung, einfach so verschwunden war. Allerdings musste Murtagh zugeben, dass es gewieft gewesen war, auch unter dem einfachen Volk nach der verlorenen Tochter zu fahnden. Unerkannt natürlich, damit nicht bekannt würde, dass Galbatorix nicht einmal seine pubertierende Tochter unter Kontrolle hatte. Bei diesem Gedankengang wunderte Murtagh sich ohnehin, dass der König noch nicht hinter Caterinas wahren Namen gekommen war. So, wie sie sich aufgeführt hatte vorhin im Thronsaal, war es klar, dass der Herrscher Alagaesias keine übersinnliche Macht über das Mädchen hatte. Damit war sie ein wenig stärker als Murtagh, der zu seiner Schande gestehen musste, dass er es Galbatorix allzu einfach gemacht hatte, ihn unter seine Knute zu zwingen. Jedoch musste man dabei auch beachten, dass diese vermaledeiten Zwillinge, die so maßgeblich an Murtaghs Misere Schuld waren, ihn zuvor schon ziemlich geschunden hatten. Da war es nicht weiter verwunderlich, dass Galbatorix leichtes Spiel gehabt hatte mit Murtagh. ‚Wenigstens ist Durza tot.’, dachte der Jüngling zufrieden. Doch währte dieser Gemütszustand nicht allzu lange, da ihm wieder zu Bewusstsein kam, dass er ab dem morgigen Tag in Ketten gelegt würde, die zu sprengen er niemals die Macht haben würde. „Hah... Heiraten...“, schnaubte Murtagh wutentbrannt. Er hatte ja nichts dagegen, dass Caterina seine Braut war, aber die Umstände gefielen ihm umso weniger. Warum hatte er sie beide nicht gleich außer Landes geschafft, nachdem Durza sie in Gil’ ead attackiert hatte? „Dann wären wir heute wahrscheinlich um ein Vielfaches glücklicher...“ Irgendwann war Murtagh erschöpft eingeschlafen. Als er die Augen wieder aufschlug, war es draußen tintenschwarz. ‚Wie lange habe ich wohl geschlafen?’, fragte er sich, während er sich streckte. Ihm kam es vor wie kaum eine Stunde, so gerädert fühlte er sich, was vor allem der unsanften Behandlung durch Galbatorix zu verdanken war. Allerdings war Murtagh nicht der Einzige, der mitten im Dunkel der Nacht aufgewacht war. Durch das Fenster konnte er ganz genau den Lichtschein im gegenüberliegenden Turm erkennen, im höchsten Stockwerk. Das musste Caterinas Zimmer sein. Das Licht flackerte, dann erlosch es. Murtagh war nun hellwach und mit großem Interesse bei der Sache. Was hatte Caterina vor? Nun, was hatte sie vor? Eine gute Frage- aber leicht beantwortet. Sie versuchte, aus ihrem Gemach, in welches sie eingesperrt war, zu entkommen. Sobald sie das einmal geschafft hatte, wollte sie auch Murtagh zur Freiheit verhelfen und dann mit ihm an ihrer Seite Urû’ baen den Rücken kehren. Ein für alle mal. Allerdings endete der Fluchtversuch der jungen Dame schon recht bald. Galbatorix ließ sich vielleicht einmal übertölpeln, aber niemals ein zweites Mal. Das musste auch Caterina erfahren, die ganz und gar nicht begeistert davon war, einmal mehr der Grausamkeit ihres Erzeugers ausgesetzt zu sein. Murtagh bekam von dem ganzen Theater ungefähr die Hälfte mit. Die Geschehnisse entlockten ihm ein Lächeln. So und nicht anders kannte er Caterina. Immer zu allen Schandtaten bereit. Ja, das war ihm schon früher aufgefallen. Sie konnte eine noch so dumme Idee haben, wenn sie davon überzeugt war, tat sie alles, damit sie ihr Ziel erreichte. Galbatorix hingegen fand das Benehmen seiner Tochter überhaupt nicht witzig und fasste daher einen Beschluss. Sollte doch ihr Zukünftiger Sorge dafür tragen, dass sie nicht ausbüxte. Kurzerhand wurde Caterina also für die restliche Nacht in Murtaghs Gemach gepfercht. Darüber wiederum konnte der junge Mann nicht lachen, hatte er sich doch geschworen, sie bis in alle Ewigkeit ihres Betrugs wegen zu verachten. Dummerweise lief auch diese Sache aus dem Ruder, so dass im Morgengrauen klar wurde, dass die bevorstehende Hochzeit zwar kein Freudenfest würde, aber auch keine Trauerfeier. Umso aufgeregter war natürlich Caterina, als es daran ging, sich die Hochzeitsnacht vorzustellen. Allein der Gedanke daran ließ sie rot anlaufen wie eine Tomate. Insgeheim hatte sie sich gewünscht, diese Erfahrung mit Murtagh zu teilen. Dass ihr kleiner Wunschtraum nun wahr werden sollte, konnte sie gar nicht fassen. Vielleicht würde diese Ehe nicht ganz so schlimm, wie sie befürchtet hatte... Kapitel 12: Eine Eheschließung sondergleichen --------------------------------------------- Während der neue Tag herauf dämmerte wurden schon eifrig Hochzeitsvorbereitungen getroffen. In der Küche waren die Köche und anderen Bediensteten damit beschäftigt, ein Festmahl herzurichten, das seinesgleichen suchen sollte. Immerhin war heute ein besonderer Tag und der musste besonders begangen werden. Auch im restlichen Schloss herrschte Hochbetrieb. Es wurde dekoriert, geputzt, gewienert und gebohnert, bis alles glänzte und in unbekannter Pracht erstrahlte. Normalerweise hatte der Palast etwas Bedrückendes, Freudloses an sich, doch heute wurde das ausgemerzt und das Gebäude zeigte sich wenigstens ein einziges Mal von seiner Schokoladenseite. Festgewänder waren bereits in groben Zügen vorbereitet worden. Nun mussten die Personen, die sie tragen sollten, sie nur noch anprobieren, damit man ihnen den Feinschliff verpassen konnte. Mit dieser Beschäftigung war denn auch der Tag der beiden Verlobten angefüllt. Dazu kamen noch etliche hygienische Maßnahmen, die auch viel Zeit in Anspruch nahmen, so dass Murtagh und Caterina sich kaum sahen. Zudem durfte der Bräutigam seine Zukünftige erst in ihrem Hochzeitskleid sehen, wenn die Zeremonie begann. Alles andere brachte Unglück. So sagte man zumindest. Und auf Aberglauben gab man in Alagaesia durchaus eine Menge. Mehr, als manchmal angebracht gewesen wäre. Diese Trennung gab den beiden jungen Leuten, Zeit über das nachzudenken, was sie an diesem Abend erwarten würde. Es ging auf den Sommer zu und die Tage waren nun länger. Es dauerte also noch seine Zeit, ehe es wirklich ernst wurde. Doch das machte die Situation nicht unbedingt leichter. Weder für Murtagh, der sich tausend Meilen weit fort wünschte, noch für Caterina, die es ebenfalls vorgezogen hätte, sich an einem völlig anderen Ort zu befinden. Es fiel ihnen schwer, zu akzeptieren, dass noch an diesem Abend ihre Zukunft unter stetiger Überwachung stehen würde. Nur in ihrem gemeinsamen Gemach würde es so etwas wie Privatsphäre geben. Nachdem Murtagh entdeckt hatte, wer sie wirklich war und der Abscheu nach zu urteilen, die aus seinen Blicken und seinem Verhalten gesprochen hatte, war Caterina sich sicher, dass auch dieser kleine Trost ihr nichts nützen würde. Bei Sonnenuntergang würde sie mit einem Mann vermählt, der sie hasste. Und warum? Weil sie einen Vater haben musste, der mehr ein Monster als ein Mensch war. Dabei war der Gedanke, Murtagh zu heiraten eigentlich kein schlechter. Eher im Gegenteil. Und vor allem die Sache, die eine Ehe einschloss, die wollte Caterina unglaublich gern mit Murtagh erleben. Nun wurde ihr Wunsch zwar wahr, aber sie konnte sich an einer Hand abzählen, dass es niemals so würde, wie in ihren Träumen. Wenn man jemanden verachtete, ging man nicht zärtlich mit ihm um. Also konnte sie sich auf eine unschöne Nacht einstellen. Allein der Gedanke daran ließ sie erschauern. Allerdings nicht vor Wonne. Auch Murtagh kam nicht umhin, sich Gedanken zu machen. Er fragte sich, womit er das verdient hatte. War es nicht schon schlimm genug, Morzans Sohn zu sein? Musste er jetzt auch noch eine verwandtschaftliche Beziehung mit Galbatorix eingehen? In diesem Augenblick wünschte der junge Mann sich nichts sehnlicher, als in der Schlacht um Farthen Dûr gefallen zu sein. Dann würde er jetzt nicht in einem solchen Schlamassel stecken. Aber andererseits würde er auch nicht die Gelegenheit bekommen, nach der er sich sehnte, seit er Caterina bei ihrem nächtlichen Bad beobachtet hatte. Er wusste, dass sie unberührt war und das reizte ihn ungemein. Murtagh selbst hatte schon einschlägige Erfahrungen in der körperlichen Liebe gemacht und war durchaus in diesem Metier bewandert. Es war nur schade, dass er es nicht würde genießen können. Jemanden, der einen so schändlich hintergangen hatte, behandelte man nicht zärtlich. Auch wenn es einem im tiefsten Inneren nicht gefiel, der Person, die man einmal am meisten auf der Welt geliebt hatte, wehzutun. Sie hatte nichts Besseres verdient. So vertrieben sich die Brautleute den Tag mit allerlei Gedankengängen, die die Zeit jedoch nicht aufhalten oder gar still stehen lassen konnten. Kurz vor Sonnenuntergang brachte man Murtagh in den Thronsaal, wo Galbatorix und die wenigen Gäste, die der Herrscher auf die Schnelle hatte auftreiben können, schon warteten. Ein triumphierendes Grinsen zierte die grotesken Züge des Königs. Er wusste, dass er seinem Sieg und dem ewigen Leben einen wichtigen Schritt näher gekommen war. Niemand konnte jetzt noch die Eheschließung zwischen Morzans Sohn und seiner eigenen Tochter verhindern. Galbatorix würde für immer Herrscher über Alagaesia sein. Nichts und niemand würde ihn je von seinem Thron stoßen. Schon gar kein vorwitziger Bauerntölpel namens Eragon Schattentöter. Die großen Flügeltüren zum Thronsaal öffneten sich, die geladenen Musikanten begannen zu spielen und Caterina betrat den Raum. Sie war in ein weißes Kleid aus edlem Stoff gehüllt, das ihre Konturen sanft umschmeichelte und ihren Körper an den richtigen Stellen in Szene setzte. Das blonde Haar war zu einer eleganten Frisur hochgesteckt worden, die viel Zeit und Nerven in Anspruch genommen hatte. Ausnahmsweise hatte man Caterina mit Schmuck ausstaffiert. Ein Diadem saß auf ihrem Kopf. Die daran befestigten Diamanten brachen sich im Licht der untergehenden Sonne und malten blutrote Flecke auf das blonde Haar. An Caterinas Ohren baumelten tropfenförmige Rubine und um ihren schlanken Hals lag ein Geschmeide aus Gold und Granaten. Murtagh verschlug es bei ihrem Anblick wider Willen den Atem. Ja, sie war hübsch. Nein, mehr als das. Schön. Wunderschön. Und dieses Wesen des Lichts sollte in weniger als einer Stunde ihm gehören. Er konnte es nicht fassen. Und das obwohl er eigentlich böse auf sie war und sie für ihren Verrat hasste. Dennoch konnte er sich nicht gegen das wehren, was ihre so ungewohnt elegante und luxuriöse Erscheinung in ihm auslöste. Zum Einen war das Begehren. Das kannte er bereits und damit konnte er umgehen. Zum Anderen war das aber auch eine Regung, die er abgetötet geglaubt hatte und die ihn nun mit voller Wucht traf. Es war eigentlich egal, wessen Tochter Caterina war. Er wollte sie trotzdem. Bevor Murtagh sich in weiteren Gedanken verstricken konnte, hatte Caterina den Thronsaal durchmessen und neben ihm Stellung bezogen. Ihre Miene war völlig starr, was ihrer aktuellen und nicht alltäglichen Schönheit einen unschönen Abbruch tat. Aber wer konnte es ihr verdenken? Nach all den Grausamkeiten, die sie von ihrem Erzeuger gewohnt war, war diese die schlimmste. Heiraten, schön und gut, vor allem den Mann, den man liebte. Doch auf Befehl? Immerhin war sie für immer bei Murtagh in Ungnade gefallen. Wenn er nur gekonnt hätte, da war Caterina sich sicher, hätte er sich schlichtweg geweigert, sie zu seiner Frau zu nehmen. Ein leiser Seufzer entfuhr ihr. Zu ihrem Glück war Murtagh der Einzige, der ihn hörte. Galbatorix war nämlich derweil damit beschäftigt, eine kleine Ansprache an die sehr dürftige Gästeschar zu richten. „Meine lieben Freunde, ich bin hocherfreut, euch alle so zahlreich begrüßen zu dürfen zu einem so freudigen Ereignis, das mich als Vater zu einem Teil aber auch mit Trauer erfüllt. Eine Tochter mit einem anderen Mann gehen zu lassen, fällt niemals leicht.“ So voller Lug und Trug waren diese Worte, dass sowohl Murtagh, als auch Caterina am Liebsten protestiert hätten. Galbatorix hatte keine lieben Freunde. Nicht mal seinen Drachen Shruikan konnte man dazuzählen. Zahlreich waren die anwesenden Gäste definitiv nicht; es handelte sich um kaum ein Dutzend, was vor allem daran lag, dass der König die Heirat so überstürzt angesetzt hatte und keine Zeit geblieben war, Leute einzuladen, die weiter weg lebten als einen halben Tagesmarsch. Also hatte Galbatorix sich mit Menschen von Stand aus der Hauptstadt zufrieden geben müssen. Hochzeiten mochten durchaus freudige Ereignisse sei, aber wohl kaum im Palast des Herrschers von Alagaesia. Und dass Galbatorix so etwas wie Trauer auch nur ansatzweise empfinden konnte, bezweifelten alle Anwesenden. Der König war schließlich nicht umsonst für seine Härte und die zahlreichen Gräueltaten bekannt. Es gab nur einen einzigen Grund, der es Galbatorix schwer machte, seine Tochter einem anderen anzuvertrauen: der Schwund seiner Macht über die junge Frau. Gänzlich unbeeindruckt von den angewiderten Gesichtern der Brautleute fuhr die Geißel Alagaesias in ihrer Rede fort: „Ich habe lange darüber nachgesonnen, wer der geeignete Bräutigam für meine Tochter sein könnte und bin schließlich zu der Überzeugung gelangt, dass nur ein einziger Mann in Frage kommt. Und wer könnte es anders sein, als der Sohne meines verschiedenen, aber geschätzten Morzan?“ Der König legte eine Kunstpause ein, um huldvoll den verhaltenen Applaus entgegen nehmen zu können. Danach gab er sich redlich Mühe, die versammelten Menschen nicht länger mit seinen Rhetorikkünsten zu langweilen, sondern direkt zum Eingemachten überzugehen. Das erleichterte vor allem Caterina, die es einige Mühe gekostet hatte, den Mund zu halten. Jedes einzelne Wort war verlogen und vergiftet und verdrehte die Tatsachen auf eine so groteske Art und Weise, dass einem speiübel dabei wurde. Ein Räuspern des Königs erfolgte, um die Aufmerksamkeit aller auf die Zeremonie zu lenken. Als er sicher sein konnte, dass ihm wirklich jeder Auge und Ohr schenkte, begann er. Da er ein Drachenreiter war, brauchte es keinen Priester, um eine Ehe zu schließen. Sein Rang erlaubte es ihm, selbst als Schließer der Ehe zu fungieren und da er der König war hätte auch kein gegenteiliges Gesetz ihn aufhalten können. Seitdem er abtrünnig geworden war, hatte Galbatorix nur noch das getan, was ihm gefiel. Das war die einzig wahre Art zu leben. Mit salbungsvoller Stimme führte der König durch das Ritual. Die beiden jungen Leute kannten die erforderlichen Worte natürlich auswendig. Wie hätten sie auch nicht? Man hatte sie während der Erziehung, die sie genossen hatten, und zwar gemeinsam, wie ihnen beiden in der vergangenen Nacht klar geworden war, ziemlich gedrillt. Erfreulicherweise war der Ehebund schneller geschlossen, als sie befürchtet hatten, so dass sie sich nicht länger vor aller Augen präsentieren mussten. Nachdem Galbatorix sie rechtmäßig zu Mann und Frau erklärt und Murtagh Caterina den obligatorischen Kuss verpasst hatte, wurde erst einmal gespeist und das sehr ausgiebig. Zum Tanzen kam es dann allerdings nicht mehr, weil fast nur Herren anwesend waren, die es für spaßig hielten, sich gegenseitig unter den Tisch zu saufen. Sobald erkenntlich war, dass das Mahl in einem Saufgelage enden würde, erhob der König sich. Er gab den Frischvermählten einen herrischen Wink. Gezwungenermaßen gehorchten sie der Weisung und folgten Galbatorix aus dem Thronsaal hinaus. Caterina ahnte, was jetzt folgen würde. Sie waren verheiratet und die Nacht noch lang genug, um die Ehe auch gültig zu machen. Vorher würde der König einen weiteren Schritt in Richtung der Prophezeiung machen wollen. Und sie hatte Recht. Galbatorix brachte sowohl Murtagh, als auch Caterina in den Raum, den er so stark bewachen ließ, dass es ein absolutes Wunder war, dass es den Elfen gelungen war, Saphiras Ei zu stehlen. Insgeheim fragte Caterina sich heute noch, wie das hatte gutgehen können. Und sie empfand großen Respekt vor denjenigen, die sich bereit erklärten hatten, das Risiko einzugehen, auch wenn sie wohl nie einen von ihnen kennenlernen würde. Ihr Leben war hier und jetzt beendet worden. Sie würde für immer in Urû'baen festsitzen, mit einem Ehemann, der sie hasste und einem Vater, der sie behandelte,als ob sie Abschaum wäre. Während Caterina ihren trübsinnigen Gedanken nachhing, hatte Galbatorix Morzans Sohn zu den beiden verbliebenen Eiern geführt. Eines davon war rot, das andere grün. Da Murtagh nicht auf den Kopf gefallen war und Galbatorix ja schon verraten hatte, was ihm zukünftig vorschwebte, wusste der Jüngling, was nun auf ihn zukam. Er war der Sohn seines Vaters. Drachenreiterblut floss durch seine Adern. Wenn er wider Erwarten nicht in die Fußstapfen Morzans treten sollte, würde Galbatorix zweifellos sehr enttäuscht sein. 'Und genau das wünsche ich mir!', dachte Murtagh, beinahe verzweifelt. Er wollte keine Marionette des Königs sein, sondern einfach in aller Ruhe sein Leben fristend. Am Besten weit weg von Urû'baen und allem, was mit dem Imperium zu tun hatte. Jetzt im Moment hoffte Murtagh sehnlichst, dass keines der Eier für ihn bestimmt war. Manchmal brachte es nichts, wenn ein Elternteil Drachenreiter war. Nicht alle Kinder erbten die Begabung oder was sonst vonnöten war. Bislang hatte der junge Mann sich nicht näher damit beschäftigt. „Nur zu.“, durchdrang Galbatorix' Stimme ziemlich unsanft Murtaghs Gedanken, „Berühre sie.“ Murtagh fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Sie waren trocken und rissig. Vor Aufregung und sogar Angst schnürte sich seine Kehle ein. Der Hals war mindestens so ausgetrocknet wie seine Lippen und das Schlucken fiel ihm schwer. Außerdem hatte er das Gefühl, etwas furchtbar Wuseliges gegessen zu haben, obwohl er kaum einen Bissen runtergerbacht hatte beim Festmahl im Thronsaal. Langsam, ganz langsam, wie ein schon sehr alter Mensch, streckte Murtagh seine Hand nach dem roten Ei aus. Es schimmerte im Licht des Fackelscheins. Und es schien nach ihm zu rufen. Der Drang, es zu berühren, wurde unwiderstehlich. Murtagh konnte sich nicht länger dagegen sperren. Es war sinnlos sich zu wehren, sinnlos, dagegen zu kämpfen, sinnlos, … Seine Hand kam auf der roten Schale zu liegen. Kaum, dass seine Haut in Kontakt mit dem Ei trat, durchfuhr Murtagh ein wohliger Schauer. Er wusste, dass es richtig war. Seine Augen, die er bis jetzt geschlossen hatte, flogen auf. Ein Ruck ging durch das Ei. Es begann, sich zu bewegen, herumzurollen. Und dann ein leises Splittern und Krachen. Die Schale zeigte Risse und zerbrach alsbald in ihre Bestandteile. Voller Spannung verfolgte Murtagh das Schauspiel, welches sich ihm bot. Dabei vergaß er ganz, dass er sich nicht allein im Raum befand. Galbatorix' triumphierende Fratze bemerkte er nicht und auch Caterinas grüblerisches Gesicht nahm er nicht wahr. Jetzt zählten nur noch der Drache und er. Murtagh, der Sohne Morzans und Selenas, war ein Reiter. Er hatte einen Partner. Jemand, der mit ihm verbunden sein würde auf eine Art und Weise, wie niemand sonst. Nicht einmal mit einer Frau könnte Murtagh je so eine Einheit bilden. Und dann war er da. Klein, ein wenig verschrumpelt und rot, wie die Eierfarbe es bereits hatte vermuten lassen, hockte er da und sah sich suchend um. Ein Lächeln erhellte Murtaghs vormals so finstere Züge. Er konnte gar nicht anders, als dieses kleine Wesen in sein Herz zu schließen. Dabei hatte er es noch nicht einmal berührt und den Bund noch nicht geschlossen. Doch das holte Murtagh nun rasch nach. Behutsam näherte er seine Hand dem neugeborenen Drachen. Neugierig neigte das Junge seinen Kopf zur Seite und betrachtete Murtaghs Hand. Als Mensch und Drache nur noch Zentimeter auseinander waren, reckte der kleine, rote Kerl seinen Hals und stupste sanft mit seinem Maul gegen Murtaghs Hand. Hitze durchfuhr Murtagh. Ein leicht brennender Schmerz entstand an der Stelle, an der der Drache ihn berührt hatte. Ihre Verbindung war geschaffen. Von nun an würde Murtagh gezeichnet sein bis in die Ewigkeit. Nur, dass es sich diesmal um ein erfreulicheres Zeichen handelte, als um die Narbe, die er Morzan zu verdanken hatte. „Dorn.“, flüsterte Murtagh ergriffen. Seine Stimme klang heiser und war rau, weil sein Hals so trocken war. Der Drache fiepte und krabbelte dann unbeholfen auf Murtagh zu. Mit einem glücklichen Lächeln nahm er seinen Partner hoch. Noch war Dorn so klein, dass er auf die Hand Murtaghs passte, doch bald schon würde er wachsen und gedeihen und irgendwann würde er fliegen können. 'Nein, WIR werden fliegen können.', verbesserte Murtagh sich rasch. Gerade jetzt in diesem Augenblick vollendeten Glücks konnte der junge Mann sich keinen schöneren Ort auf Erden vorstellen. Es war nahezu perfekt. Dorn und er, für immer eine Einheit, ein Team. War es nicht das, wonach er sich immer gesehnt hatte? Kapitel 13: Hinter verschlossener Tür ------------------------------------- Monate waren ins Land gezogen. Der Sommer war beinahe vorüber, man begann sogar schon teilweise die Ernte einzubringen. In dieser Zeit hatten sich einige Dinge getan. Nicht nur war Eragon Schattentöter bei den Elfen gewesen, wo er eine Menge gelernt hatte, nein, er hatte es auch geschafft, weitere Verbündete um sich zu scharren. Ein komplettes Dorf namens Carvahall hatte sich unter Führung Rorans, dem Cousin ebenjenen Drachenreiters, in den Buckel zurückgezogen und schlug sich zu den Varden durch. Aber auch in Urû'baen hatte sich Einiges getan. Dorn war gewachsen und unter Ableitung des Königs hatten Murtagh und sein Drache eine Menge gelernt. Nicht nur Gutes, dass darf nicht unter den Teppich gekehrt werden. Im Großen und Ganzen jedoch verlief die Ausbildung nicht so schlimm, wie Morzans Sohn zunächst befürchtet hatte. Zwar war Galbatorix ein harter, strenger Lehrer, aber da Murtagh der Kampf im Blut lag und auch die Magie langsam begann, sich dem Willen des jungen Mannes zu fügen, konnte man definitiv von Fortschritten sprechen. Es gab nur einen einzigen Wermutstropfen, der sowohl Murtagh, als auch Galbatorix das Leben vermieste. Dabei handelte es sich um Caterina. Obwohl sie jetzt beinahe ein halbes Jahr verheiratet waren und Murtagh immer noch dazu gezwungen wurde, jede Nacht bei seiner Frau zu liegen, war ihm bislang kein Erfolg beschieden gewesen. Ob es daran lag, dass Caterina heimlich Mittel und Wege fand eine Schwangerschaft zu verhindern oder schlicht daran, dass solche Dinge nicht mit Gewalt herbeigeführt werden konnten, war dabei unklar. Es bedeutete allerdings, dass Murtagh nicht in Frieden schlafen konnte, weil er Nacht für Nacht mit ihr in einem Gemach eingepfercht war. Zumindest hätte er das sollen. Sie hatten getrennte Gemächer und das war auch gut so. Nach dem Vollzug der ehelichen Pflichten ließ Murtagh seine Frau nämlich allein. Wirklich die ganze Nacht mit ihr in einem Raum zu verbringen, hielt er nicht aus. Er hatte ihr noch immer nicht vergeben. Und es sah auch nicht so aus, als ob es in nächster Zeit dazu kommen würde. 'Du solltest aufhören, so gemein zu ihr zu sein.' Ungebeten mischte Dorn sich in die Gedanken Murtaghs ein. Der König hatte ihnen den Nachmittag zur freien Verfügung überlassen und unter Aufsicht hatten Murtagh und sein Drache eine Runde fliegen können. Jetzt lag Dorn gemütlich auf einem Felsen, während sein Reiter an selbigem lehnte. Eigentlich hatte Murtagh gedacht, dass der Drache döste, doch offensichtlich war dem nicht so. „Wie ich mich Caterina gegenüber verhalte, ist doch meine Sache!“, schnaubte Murtagh angefressen. Jetzt spielte schon sein Partner Moralapostel! 'Ich finde trotzdem, dass du langsam aufhören solltest, sie zu verachten. Ich mag Galbatorix genausowenig wie du, auch wenn wir es ihm verdanken, dass wir zueinander gefunden haben. Niemand kann etwas für seine Eltern. Und du bist in der Hinsicht auch nicht gerade mit einer weißen Weste gesegnet.' Dorn klang ziemlich pikiert. Und das zu recht. Er wollte seinem Reiter doch nur behilflich sein. Außerdem mochte der junge Drache Murtaghs Ehefrau irgendwie. Wenn sie sich begegneten, sprach sie freundlich mit ihm und benahm sich ganz anders als Galbatorix. Vor dem König und dessen Grausamkeit hatte Dorn eine Heidenangst, auch wenn er das nicht freiwillig zugegeben hätte. Zudem wusste er Dinge, die Murtagh verborgen blieben. Als Drache hatte Dorn ein gutes Gehör und die Gemächer der Eheleute lagen einander gegenüber, getrennt nur von einem zugigen Korridor. Noch war Dorn klein genug um in Murtaghs Gemach zu passen, doch das war nur eine Frage der Zeit. Jedenfalls hatte der junge Drache Caterina schon mehrmals beim Weinen belauschen können. Für ihn war es offensichtlich, dass die junge Frau litt. Vor allem unter dem Verhalten ihres Ehemanns, der sich so gar nicht für sie erwärmen konnte. Aber gerade Unterstützung und etwas Zuneigung von Murtagh hätte Caterina gut gebrauchen können. Schließlich war Galbatorix nicht gerade das, was man einen liebevollen Vater nannte und oft genug ließ er sein Kind spüren, wie sehr er enttäuscht von ihr war, weil sie es nicht einmal fertig brachte, schwanger zu werden. „Wie kommst du überhaupt dazu, dich einzumischen?“, fauchte Murtagh, der nun deutlich saurer klang. Dorn schnaubte. 'Weil unsere Seelen zufällig miteinander verbunden sind und es bedeutet, dass ich deine Empfindungen mitbekomme.', verkündetet der Drache leicht beleidigt. „Ich versteh trotzdem nicht, was das mit Caterina zu tun hat.“, beharrte Murtagh. Genervt seufzte Dorn. Musste er dem sturen Bengel denn alles erklären? 'Du magst sie. Nein, mehr als das. Du mochtest sie schon, bevor du wusstest, wessen Tochter sie ist und du kannst mir nicht weismachen, dass sie dir jetzt egal ist, nur weil du hinter ihr Geheimnis gekommen bist.' „Und wenn doch?“, fragte Murtagh trotzig. Diesmal fiel die Antwort des Drachen reichlich grimmig aus. 'Dann bist du ein Idiot! Aber DU bekommst ja auch nicht mit, wenn sie sich die Augen ausheult, nachdem du ihr mal wieder wehgetan hast.' „Wehgetan? Ich?“ Empört sprang Murtagh auf. Er funkelte den Drachen wütend an. „Sie hat mir dich die ganze Zeit was vorgespielt! Und sie verdient es, dass man ihr wehtut, so wie sie mich verletzt hat!“ Es hätte nicht viel gefehlt und Dorn hätte eine zornige Stichflamme auf seinen Reiter losgelassen. Dank der mentalen Verbindung konnte Murtagh den Zorn spüren, der wild und heiß durch Dorns Adern pulste und dafür sorgte, dass er dem jungen Mann vor sich eine geharnischte Antwort gab. 'Und? Hast du nicht auch etwas vor ihr verborgen und das aus den gleichen Gründen? Wenn du nur so über sie denken kannst, bist du auch nicht besser als Galbatorix!' Jetzt schnappte Murtagh nach Luft. Wie konnte Dorn es wagen, ihn mit der Geißel Alagaesias zu vergleichen? Das schlug dem Fass den Boden aus! Ehe der Streit eskalieren konnte, trat einer der Soldaten, die Murtagh und Dorn begleitet hatten, auf die beiden zu. „Entschuldigung, Sire, aber wir sollten allmählich zurückkehren. Es wird bald dämmern und der Herr hat uns verboten, uns danach noch außerhalb der Stadtmauern aufzuhalten.“ Damit war nicht nur der kleine Schlagabtausch zwischen Drache und Reiter beendet, sondern auch der Ausflug. Seufzend machte sich das Gespann aus Fabelwesen und Mann auf den Heimweg. Den ganzen Tag über hatte Caterina in ihrem Gemach eingesperrt verbracht. Bis kurz vor der Abenddämmerung jedenfalls. Dann nämlich hatte sie sich in den kleinen, verwahrlosten Rosengarten begeben, der zum Palast dazugehörte und um den sich niemand je zu kümmern schien. Das machte Caterina traurig, aber sie wusste ganz genau, dass man ihr nie erlauben würde, diese Aufgabe zu übernehmen. Im Moment hatte sie nur einen Auftrag: fruchtbar zu sein und sich zu mehren. Und mit dem schien sie überfordert. Das war sie eigentlich auch, wenn sie ganz ehrlich war. Aber wie sollte sie auch schwanger werden wollen, wenn das bedeutete, dass ihr Ehemann sie danach nie wieder anrühren würde? Die vergangenen Monate waren eine Qual gewesen. Vor allem im Ehebett. Obwohl Murtagh gewusst haben musste, dass sie nie zuvor bei einem Mann gelegen hatte, war er wenig einfühlsam gewesen, geschweige denn zärtlich. Er war seiner Pflicht gleichgültig nachgekommen, hatte sich rhythmisch auf und in ihr bewegt wie ein toter Gegenstand. Und jedes Mal danach verließ er sie. Stumm. Er sprach nicht mit ihr. Wünschte ihr weder eine gute Nacht noch einen guten Morgen. Das Lager miteinander zu teilen bereitete keinem von ihnen Freude. 'Aber warum habe ich dann das Gefühl, dass es nur eine Maske ist?', fragte Caterina sich in Gedanken, während sie mit langen Schritten den Rosengarten durchmaß, bis sie ihren geheimen Rückzugsort erreicht hatte. Dort ließ sie sich auf einer verwitterten, alten Steinbank nieder, verborgen von dornigen Ranken und der grausamen Realität. Sie seufzte laut auf. „Ich bin so unglaublich dumm!“, schalt sie sich, dabei den Kopf schüttelnd, „Wie konnte ich mir nur einbilden, dass er mir je vergeben würde?“ Natürlich bekam sie keine Antwort. Sie war ja völlig allein. Und die Frage nur eine rhetorische. „Wenigstens etwas Freundlichkeit kann ich doch erwarten, oder nicht? Er müsste doch verstehen können, warum ich kaum ein Wort über meine Abstammung verloren habe.“ Es tat gut, endlich mal all den Dingen Luft zu machen, die sie schon seit Monaten bedrückten. Hier lief sie wenigstens nicht Gefahr, von irgendwem belauscht und verpetzt zu werden. Auf noch mehr Prügel war sie nicht scharf. Ganz im Gegenteil. „Ich wünschte, ich könnte aufhören, ihn zu lieben!“, rief Caterina voller Verzweiflung aus und das in ebenjenem Moment, da Murtagh mit Dorn am Rande des Gartens auf dem Weg zum Drachenpferch war. Stocksteif blieben beide stehen. Die Stimme Caterinas war beiden bestens vertraut. Aber solche Worte von ihr zu hören, war seltsam. Stillschweigend trafen Dorn und Murtagh eine Entscheidung: lauschen. Doch viel mehr gab es nicht zu hören. Nur das leise Schluchzen der jungen Frau durchdrang das dichte Geflecht der Hecke, die sie einhüllte in halb verblühte Rosen. 'Jetzt musst du etwas tun.', ließ Dorn sich vernehmen, ehe er einfach seinen Weg fortsetzte, in der Hoffnung, dass Murtagh ihm folgen würde. Schweigend tat er dies auch. Ihm ging nicht aus dem Kopf, was er gehört hatte. Dass sie ihn lieben könnte, so wie er sie geliebt hatte, verwirrte ihn. Das Wissen drohte die Mauer, die er um sich und sein Herz errichtet hatte, einzureißen. Er wollte das nicht. Und irgendwie wollte er es doch. Eigentlich war er schlicht und ergreifend überfordert mit der aktuellen Situation. Erst als Murtagh einmal mehr im Gemach seiner Ehefrau eingeschlossen war und er sie am Fenster stehen sah, beleuchtet vom Licht des Vollmonds, beschloss er, den Rat seines Drachen zu beherzigen. Dorn hatte Recht. So konnte es einfach nicht weitergehen. Bevor Murtagh sich aber ins Gefecht stürzte, betrachtete er den Rücken Caterinas, den sie ihm zugewandt hatte. Sie trug bereits ihr übliches Nachtgewand, das Haar floss offen über ihre Schultern und umrahmte sie wie wasserfallartige Kaskaden. Ein leiser Seufzer entfuhr ihm. Dann straffte er seine Schultern, nahm all seinen Mut zusammen und trat bis auf wenige Schritte hinter Caterina. Sie spürte seine unmittelbare Nähe und zuckte zusammen. Ein Zittern überlief sie und Murtagh gewahrte, dass sie sich vor ihm fürchtete. Ja, sie hatte verdammte Angst vor ihm, ihrem Ehemann! Wie weh ihm das tat. Nicht allein die Erkenntnis, aber auch ihre Reaktion auf sein Näherkommen. Und das schmerzte ihn wirklich. Bevor sie beide in die Fänge des Königs geraten waren, hatte sie nie so auf ihn reagiert. Es war eher andersherum gewesen und Murtagh musste zugeben, dass er oft genug mit dem Gedanken gespielt hatte, das Lager mit ihr zu teilen. Irgendwie war es nie so weit gekommen, nicht mal ansatzweise. Er hatte sie schließlich auch nur ein einziges Mal geküsst. Aber dennoch, er wollte nicht, dass sie Angst vor ihm hatte, obwohl er natürlich wusste, warum es so war. Seit er zum ersten Mal mit ihr zu einem Wesen verschmolzen war, hatte er ihr nie auch nur ansatzweise so etwas wie Zärtlichkeit entgegen gebracht. Weder vorher, noch während dem Akt, noch danach. Er fühlte sich ziemlich mies deswegen. Jetzt zumindest. 'Ich muss versuchen, es irgendwie wieder gutzumachen.', dachte er, während er die Hand ausstreckte und sie sanft auf Caterinas Schulter legte. Sie zuckte stärker zusammen, so als habe er sie geschlagen. „Sieh mich an.“, bat Murtagh sie mit leiser Stimme. Er klang alles andere als unfreundlich, was Caterina mehr als verwunderte. Dennoch gehorchte sie, aus Angst, ihn zu erzürnen, wenn sie nicht seinem Wunsch entsprach. Aus ihrem Blick sprachen sowohl Verwirrung, als auch Angst. Ja, sie wusste nicht, was er jetzt vorhatte und das brachte sie dazu, sich zu fürchten. Dass er sie so sanft berührte, war mehr als ungewohnt und entsprach nicht dem, was sie von ihm sonst kannte. Als sie in seine Augen blickte, lagen darin weder Verachtung, noch Hass, noch Abscheu. Stattdessen konnte Caterina in ihnen einen Ausdruck erkennen, den sie seit dem Winter nicht mehr in ihnen gesehen hatten. Sie wirkten direkt zärtlich. Prompt reagierte ihre Körper darauf mit einem Kribbeln in den Eingeweiden. Gänsehaut überzog ihre nackten Arme. Murtagh stockte bei ihrem Anblick der Atem. Diese Mimik wollte er nicht sehen. Sie sollte ihn so ansehen, wie sie es im Winter getan hatte. 'Los jetzt, sag irgendetwas!', ermahnte er sich, doch er brachte nicht ein einziges, mickriges Wort über seine Lippen. Was war er nur für ein elender Feigling! Langsam wanderte seine Hand von ihrer Schulter zu ihrem Hals und endete schließlich auf ihrer Wange. Sachte strich er darüber. Dann machte er einen weiteren Schritt auf Caterina zu und zog sie mit dem anderen Arm nah an sich, so dass er ihren weichen Körper an seinem spüren konnte. Das Zittern wurde stärker. Offensichtlich hatte sie immer noch Angst vor ihm, obwohl er nichts tat. Außer sie eben im Arm zu halten. Murtagh räusperte sich, doch er brachte kein Wort über die Lippen. Immer noch nicht. Aber er war noch nie ein Freund großer Worte gewesen. Vor allem dann nicht, wenn Taten so viel mehr Zweifel ausräumten. Bevor Caterina wusste, wie ihr geschah, hatte Murtagh mit Daumen und Zeigefinger sanft ihr Kinn angehoben. Sie musste ihm jetzt wirklich in die Augen blicken, auch wenn sie nicht wollte. Murtagh ließ sich Zeit, ihr Gesicht zu betrachten, das immer noch zur Hälfte vom silbrigen Licht des Mondes beschienen wurde. Ihm stockte der Atem. Hitze breitete sich ihn ihm aus. Ein wildes Verlangen überkam ihn, von dem er wusste, dass es seit dem Winter in ihm schwelte. Er hatte es bis dato unter Verschluss gehalten, weil er nicht gewollt hatte, dass Caterina merkte, wie sehr er sie eigentlich begehrte. Aber jetzt, nachdem er gehört hatte, dass sie ihn liebte und dass er sich wirklich wie ein Volltrottel benommen hatte, konnte er seine Gier nach ihr nicht länger zügeln. Ein leises Knurren entfuhr ihm, ehe er den Schritt wagte. Seine Lippen legten sich zunächst noch sanft und zärtlich auf die ihren, was Caterina überrascht zurückweichen lassen wollte. Doch Murtagh würde nicht zulassen, dass sie sich ihm entzog. Nicht heute Nacht. Der Kuss wurde leidenschaftlich und als Caterina ihre Arme um ihn schlang und sich an ihn presste, wusste Murtagh, dass er ohnehin schon verloren hatte. Er würde ihr heute zeigen, dass er im Bett auch ganz anders sein konnte, würde beweisen, dass es auch angenehm sein konnte. Auch wenn er sich sonst immer Mühe gegeben hatte, es so schrecklich wie möglich für sie beide zu gestalten. Jetzt schämte er sich dafür. Dorn hatte eben doch in allem Recht gehabt. „Warte...“ Ihre Stimme klang atemlos in seinem Ohr. Halb unbekleidet lag sie unter ihm auf dem Bett, die Laken bereits zerwühlt von ihrer Leidenschaft, obwohl sie es noch nicht getan hatten. Murtagh hob seinen Kopf, den er gerade zwischen ihren Brüsten versenkt hatte. Ein wenig verwundert sah er sie an. „Ich...“, hob sie an, brach dann aber ab und ließ ein etwas verzweifeltes 'Warum tust du das?' hören. Ein leichtes Lächeln erblühte auf Murtaghs sonst so finsteren Zügen. Er schmiegte sich an sie, ehe er in ihr Ohr hauchte: „Weil ich dich liebe.“ Bevor Caterina weiter protestieren konnte, versiegelte er ihre Lippen mit einem innigen Kuss. Eine ihrer Hände vergrub sich in seinem Haar, sie presste sich an ihn und als er ihr das Nachtgewand endgültig vom Leib zerrte, unterbrach sie nicht wieder. Murtagh aber hielt inne. Er hatte einen Blick auf ihren Körper unter ihm geworfen. Noch gestern war ihre alabasterfarbene Haut unversehrt und makellos gewesen. Heute überzogen blutige Striemen sie und entstellten die Schönheit. Schockiert löste Murtagh sich von seiner Frau. „Was ist das?“, fragte er mit heiserer Stimme. Ängstlich setzte Caterina sich auf. Sie raffte ihr Nachtgewand, welches Murtagh achtlos neben sie geschmissen hatte, an sich, um den schrecklichen Anblick zu verbergen. Tränen bildeten sich in ihren Augenwinkeln und drohten, über ihre Wangen zu laufen. Sie verachtete sich für diese Schwäche. Als sie nicht antwortete, versuchte Murtagh ihr den Stoff wegzuziehen, doch Caterina krallte ihn so fest an sich, dass es zwecklos war. Stattdessen wiederholte Murtagh seine Frage. „Was ist das?“ Caterina schluckte. Warum nur musste er danach fragen? Es war doch eben noch alles perfekt gewesen. Warum musste jetzt alles wieder kaputt gehen, was sich so positiv verändert hatte? Es war so unfair! Mit einem Ruck hatte Murtagh es nun doch geschafft, ihr den Stoff zu entreißen. Er ließ seine Augen mit gequälter Miene über die Schrunden, die ihre weiche Haut vom Bauch abwärts bedeckten und die ihm zunächst bei all der Leidenschaft nicht aufgefallen waren, wandern. „War das dein Vater?“, fragte er schließlich so leise, dass man ihn kaum hören konnte. Jetzt schluchzte Caterina auf. Sanft zog er sie an sich und wiegte sie hin und her, um ihr wenigstens etwas Trost spenden zu können. Hass auf Galbatorix durchflutete seine Adern. Wie konnte jemand nur so grausam sein? Aber Murtagh kannte die Antwort. Sein eigener Vater war ja auch nicht anders gewesen. Trotzdem tat es ihm weh, Caterina so geschunden zu sehen. „Liebst du mich wirklich?“ Sie lagen nebeneinander in der Dunkelheit. Caterina hatte ihren Kopf auf Murtaghs Brust gebettet, er den Arm um sie gelegt. Ihr beider Atem war nun wieder ruhig und die Hitze, die durch ihre Körper pulsiert hatte, verklungen. Geblieben war ein Gefühl höchster Befriedigung, welches sei beide nie zuvor in diesem Ausmaß verspürt hatten. Vor allem Caterina nicht, für die die eheliche Pflicht von Anfang an eine Qual gewesen war. Gänsehaut breitete sich auf ihrer Haut aus, als Murtagh begann, sie sanft zu streicheln. „Ja.“, sagte er schließlich, „Und das schon seit dem Winter.“ Für einen Moment schloss Caterina ihre Augen. Sie war in diesem Moment wirklich einfach nur glücklich. Ein breites Lächeln lag auf ihren Lippen. Dieses Geständnis bedeutete ihr eine Menge. Murtagh spürte das, weswegen er schwieg. In Gedanken ließ er die vergangenen beiden Stunden noch einmal Revue passieren. So voller Hunger, aber gleichzeitig auch Zärtlichkeit hatte er noch nie eine Frau geliebt. Und so leidenschaftlich, zugleich aber doch irgendwie unschuldig hatte ihn noch keine empfangen. Natürlich hatte er Caterina schon vorher besessen und rein körperlich gesehen war sie auch längst nicht mehr unschuldig, doch die Art und Weise, wie sie sich ihm hingegeben hatte... Murtagh vermochte nicht, es zu beschreiben. Dafür hatte er keine Worte. Es war perfekt gewesen. „Ich liebe dich auch.“ Murtagh merkte auf. Er hatte gar nicht mehr damit gerechnet, etwas von ihr zu hören. „Das macht mich glücklich.“, verkündete er mit einem zufriedenem Lächeln. Und zum ersten Mal seit sie verheiratet waren, schlich er sich nicht wie ein Dieb in sein eigenes Gemach, sondern blieb an Caterinas Seite, wo er hingehörte. Vielleicht würde von jetzt an alles besser werden. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)