Bora, Stein der Winde von Scarla ================================================================================ Kapitel 3: Morgens am See ------------------------- Genervt und wütend stapfte Justin die Treppe hinab. Mit einem Ruck riss er die Haustür auf und Nadja, die davor stand, machte einen Hüpfer nach hinten. „Was ist?”, knurrte er missgelaunt. „Ähm... wir waren doch... verabredet...”, meinte sie und schaute ihn verschreckt an. „Aber doch nicht so früh! Es ist ein Samstag! Da steht doch niemand um acht Uhr bei jemand anderem auf der Matte!”, giftete Justin. „Wie kommst du auf acht? Es ist halb zehn und wir hatten uns um neun verabredet!”, verteidigte sich Nadja. „Aber seid acht Uhr morgens tut hier irgendjemand Sturmklingeln”, knurrte der Rotschopf. „Das war ich nicht, um acht habe ich Maxi geputzt und hab ihn dann auf die Weide gebracht”, verteidigte sie sich. „Dann war irgendwer anders so dämlich, eineinhalb Stunden Sturm zu klingeln. Wie dem auch sei, komm rein, ich muss mich noch fertig machen, wie du siehst hab ich bis vor kurzem noch gepennt… oder es wenigstens versucht…”, erklärte er. Während Nadja sich in die Küche setzte, machte Justin sich fertig. Schnell zog er sich ein Shirt über den Kopf, schlüpfte in eine Hose und Bürstete grob und mehr schlecht als recht seinen roten Wasserfall aus Haar. „Wo sind denn eigentlich Helen und Ginny?”, wollte Nadja wissen, während Justin, nun fertig angezogen und zurecht gemacht, ihre Hündin Collie ausgiebig begrüßte. „Keine Ahnung, die sind schon länger weg, sonst wären die ja zur Tür gerannt. Aber ich frage mich, wer das war...”, überlegte Justin, nun nicht mehr ganz so schlecht gelaunt. „Vielleicht Sally, die kam mir nämlich gerade stinksauer entgegen. Sie wäre mir fast ins Gesicht gesprungen, als ich wissen wollte, ob du da bist”, bemerkte Nadja. „Nein, nicht mal Sally hat so eine große Macke, eineinhalb Stunden zu klingeln. Obwohl... ausschließen sollte ich es nicht”, stimmte er zu. „Meinst du nicht, das deine Mutter dich umbringt, wenn sie den Boden sieht?”, fragte sie und deutete auf die Fliesen, die nicht mehr weiß waren, sondern braun von langem Fell der Colliehündin. „Kann schon sein, aber Helens Niesattacken sind das wirklich alle mal wert “, war Justins Kommentar, das er mit einem breiten Grinsen zum besten gab. „Wenn du meinst... ich mische mich da besser nicht ein. Nehmen wir Rex mit?”, wollte sie wissen. „Nein, Gino fährt heute weg und nimmt seinen Hund mit. Deswegen nur du, ich und Collie. Und so ganz nebenbei hab ich immer noch nicht verstanden, weswegen du eine Colliehündin Collie nennst”, bemerkte der Rotschopf plötzlich. „Immerhin passt der Name! Vergessen kann man ihn auch nicht und besser als Lassie ist er sowieso “, erklärte sie. „Okay, da hast du recht, aber sonst... Na ja egal, lass uns losgehen. Sonst ist es Mittag, bevor wir auch nur das Haus außer Sichtweite haben und das muss ja nicht sein”, fand er. Die Beiden machten sich auf den Weg. Über Gott und die Welt redend gingen sie zum See, Collie immer vor ihnen her laufend. Beim See angekommen schauten sie leise auf das Wasser hinaus. Die Sonne ließ es glitzern und eine leichte Briese kräuselte es. Ein Angler angelte nicht weit von ihnen und ein paar Kinder spielten auf dem Steg bei den Segelbooten. Ein paar Segler durchpflügten das Wasser. Ein ganz normaler Sommermorgen. Doch ganz plötzlich starrte Justin auf eine Stelle in der Nähe der kleinen Insel mitten im See, als würden dort Geister tanzen. „Nadja, siehst du das auch?”, fragte er entgeistert. „Was denn? Meinst du die Kinder? Wenn die dort nicht bald verschwinden, dann fallen sie bestimmt noch ins Wasser”, antwortete diese. „Nein, ich meine nicht die Kinder, ich meine das da, was bei der Insel im See schwimmt”, quiekte Justin. Nadja folgte verwirrt seinem fast schon entsetzten Blick. „Ich weiß nicht, was du meinst... ein paar Enten auf der Insel, aber sonst doch nichts Besonderes und schon gar nichts, worüber man so einen Aufstand macht”, fand sie. „Aber... du siehst es echt nicht?”, hackte Justin nach. „Nein, egal was du meist, ich sehe nichts Besonderes”, antwortete sie. „Dann... bilde ich mir das ein. Anders kann es nicht sein... das, was ich sehe, das ist einfach unmöglich, also ist die einzige vernünftige Erklärung, das ich es mir einbilde...”, nuschelte er. „Wieso, was siehst du denn?”, Nadja war neugierig geworden. „Ich sehe dort...”, er sprach nicht weiter, denn er war nicht mehr am See, sondern stand in einer Halle, gebaut aus weißem Stein. Große Fenster ließen helles Sonnenlicht herein fluten, aber es gab nichts in diesem Raum, was ihn blendete. Er sah, dass vor dem größten der Fenster ein Wesen stand, doch er konnte nicht sagen, ob ein Junge oder ein Mädchen, ein Kind oder ein Greis. Das Licht verwischte die Konturen einfach zu sehr. Es, was auch immer es war, stand einfach nur da und schaute aus dem Fenster. Doch dann drehte es sich um und kam auf Justin zu. Es wurde immer deutlicher, aber erst als das Wesen vor ihm stand konnte er erkennen, was es war. Ein Mädchen, etwa in seinem Alter und ein wenig kleiner. Ihr Haar ging ihr weit unter die Hüften und war so schwarz, als hätte jemand an der Stelle ein Stück aus der Wirklichkeit geschnitten. Sie wurden auf Tallieenhöhe mit einem goldenen Reif zusammen gehalten, was dem Anblick einen Hauch von Seltsamkeit verlieh. Bei der Farbe der Haare hatte man das Gefühl, sie würden schlicht und ergreifend alles verschlucken, was in ihre Nähe kam. Ihren Rücken zierten große, schneeweiße Schwingen, die somit einen krassen Gegensatz zu dem nichtsfarbenem Haar bildete. Ihre Augen waren kastanienbraun und so tiefgründig, wie ein Brunnen in der Wüste. Sie hielten einen fest, egal wie sehr man sich auch wehrte, und zugleich wusste Justin auch, dass er in ihnen ertrinken würde, wie in einem Meer aus Tränen und enttäuschter Hoffnung, wenn er sie noch länger anschauen würde. Sie sah traurig aus, und doch glomm ein Funken Hoffnung in ihrem Blick. Sie setzte dazu an, etwas zu sagen, doch bevor ein Wort ihre Lippen verließ, war Justin wieder am See. „Oh mein Gott!”, keuchte er. „Was ist denn?”, wollte Nadja wissen. „Ich habe einen Engel gesehen...”, nuschelte Justin. Nadja schaute ihn verblüfft an: „Was hast du gesehen?” Justin schüttelte denn Kopf: „Vergiss es. Es ist nicht wichtig.” Sie schaute ihn zweifelnd an. Einer plötzlichen Eingebung folgend drehte er sich um. Ein Fremder stand da und beobachtete die Beiden. Trotz der spätsommerlichen Wärme trug er einen Mantel und einen Hut. Außerdem noch eine Sonnenbrille. Justin schaute ihm direkt in die Augen. Ihre Blicke hielten einander fest in ihren Bann. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte Justin nicht wegschauen können. Erst Nadja löste diesen Bann. „Hey, was ist los, Juss?”, fragte sie. Er schluckte und schaute nun sie an. „Nichts... mir... geht es nur nicht so gut... ich glaube, ich gehe besser nach Hause...”, meinte er. „Wenn du meinst... kommst du dann vielleicht nachher noch mal vorbei bei mir? Wenn es dir wieder besser geht?”, fragte sie. Justin nickte: „Ja, wenn es mir wieder gut geht…“ Dann machte er sich schnell auf den Weg nach Hause. Dort legte er sich ganz gegen seine Gewohnheit auf das Sofa im Wohnzimmer. Eine Weile starrte er die Decke an und überlegte, was mit ihm los sei, das er solch merkwürdigen Dinge sah. Diese Visionen hatte er schon immer gehabt, doch waren sie früher immer gekommen, wenn er geschlafen hatte, nicht wenn er wach gewesen war. Außerdem waren sie normalerweise nicht so sinnlos, sondern so, das sie durchaus in der Wirklichkeit geschehen konnten. „Das muss doch irgendetwas bedeuten...”, brummte er vor sich hin. Mit einem Seufzer setzte er sich auf und griff nach dem Telefon. Während es tutete begann er, das Wohnzimmer ein wenig sauber zu machen. Das war ein Tick von ihm, immer wenn er telefonierte, begann er damit, irgendetwas sauber zu machen. Dann klickte es. „Ja, Swena Sommer am Apparat, wer dort?”, fragte eine Stimme. „Hallo Swena. Ich bin es, Justin. Sag mal hast du heute Zeit? Ich brauche jemanden zum Reden”, sagte er. „Oh, hallo! Ja, ich habe heute Zeit und habe schon gedacht, ich muss mich heute langweilen. Wo wollen wir uns treffen und wann?”, wollte Swena wissen. „Am besten bei einem Eis in der Eisdiele, so gegen... drei Uhr?”, fragte er. „Okay, ist in Ordnung. Bis dann”, verabschiedete sich Swena. „Ciao”, meinte auch Justin. Dann legte er auf und schaute, was er sich zum Mittagessen machen konnte. 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