Bora, Stein der Winde von Scarla ================================================================================ Kapitel 23: Charly und Thunder ------------------------------ „Wo sind wir hier?”, fragte Shadow. „Ich weiß nicht... ist mir an sich auch egal. Wir müssen nämlich schon wieder die anderen suchen”, murrte Justin unwillig. „Stimmt. Sally ist weg, Moritz ist weg, Kit, Janne. Nur wir vier”, meinte Timo und schaute nacheinander Justin, Shadow und Melody an. „Also ich denke, bevor wir die Anderen suchen sollten wir ersten herausfinden, wo wir hier überhaupt sind. Sonst macht das alles keinen wirklichen Sinn”, ging Shadow praktisch an die Sache heran. „Da hast du Recht, aber kennt sich einer von euch hier aus? Ich mich nämlich nicht. Ich war nämlich bisher nur in der Elbenfeste oder in der näheren Umgebung, es sei den, ich wurde zu einem Fest oder einem Ball eingeladen, aber dann war ich bei meinen Gastgebern an sich auch nur im Hause”, erklärte die Elbe. „Ich habe auch keine Ahnung, ich habe meinen Wald schon lange nicht mehr verlassen. Das letzte mal vor mehr als zehn Jahren, als meine Eltern noch lebten. Damals habe ich meinen Vater begleitet”, erklärte Shadow. „Tja und wir beide kennen uns hier sowieso nicht aus”, beendete Timo. „Moritz müsste hier sein, oder Janne. Die kennen sich gut hier aus und zwar im ganzen Land”, überlegte Justin. „Da die Beiden aber nicht da sind sollten wir wohl einfach drauflos gehen. Irgendwo müssen wir ja hinkommen”, fand Shadow und ging einfach los, querfeldein über die Steppe die sich in alle Himmelsrichtungen erstreckte. Die Anderen folgten ihr. „Ich habe eine Idee”, meldete sich Timo nach einiger Zeit. „Ich auch. Macht ihr drei mal einen kleinen Erkundungsflug und sagt mir, wo ich entlanglaufen muss”, meinte Justin, denn er war der einzige, der keine Flügel besaß. „Genau das war mein Vorschlag, aber ich glaube, ich bleibe lieber bei dir, ich bin noch nicht so gut im fliegen”, fand Timo. „Dann ist doch das hier das Beste, was dir passieren kann, Übung macht nämlich den Meister. Also komm mit”, forderte Shadow ihn auf. „Ich will aber nicht! Mir reicht es, als ich beim lernen schon ständig abgestürzte bin, da muss ich das hier nicht auch noch haben” quengelte Timo. Mit trotziger Miene fügte er hinzu: „Außerdem können wir Justin nicht so einfach alleine lassen, irgendjemand sollte hier bleibe und ihm Gesellschaft leisten.” „Da hast du zwar recht, aber die Gesellschaft wird nicht die deine sein”, beschloss Shadow und zog Timo kurzerhand in die Luft. Sie war sehr kräftig und hatte deswegen kaum Probleme, obwohl Timo zappelte wie verrückt und nicht vorzuhaben schien, ebenfalls seine ledernen Schwingen zu nutzen. Doch irgendwann sah er ein, das sein zappeln nichts brachte und er folgte Shadow widerwillig. Justin lachte leise vor sich hin. „Du bist ziemlich Schadenfroh, was? Dabei ist das doch dein Freund”, fand Melody. Justin schaute sie verdutzt an, dann lachte er laut los. Die Elbe schaute ihn verwirrt an. „Was ist so lustig?”, fragte sie dann. „Diese Formulierung... in meiner Welt sagten man dazu Kumpel. Ein Freund ist jemand, mit dem man zusammen ist, den man liebt, verstehst du?”, Justin lachte noch immer leise. „Nein, genau genommen verstehe ich das nicht so ganz”, antwortete sie. „Ist ja auch egal”, Justin schaute nach oben und beobachtete Shadow dabei, wie sie versuchte, Timo ein paar Tricks zum fliegen beizubringen. „Ich wünschte, ich könnte das auch...”, murmelte er. „Was? Fliegen?”, Melodys schaute ihn fragend an. „Ja. Das wünsche ich mir schon seitdem ich ganz klein bin. Seid ich denken kann ist das mein größter Wunsch. Mein Vater war Pilot, er ist oft geflogen, er hat mich auch einmal mitgenommen. Leider wirklich nur einmal, damals hat er sich die Maschine eines Freundes ausgeliehen. Damals merkte ich, wirklich frei sind allein die Vögel, denn sie trotzen selbst der Schwerkraft”, er seufzte tief. „Aber du bist doch schon geflogen. Auf dem Greifen.” „Ja, an sich schon, mit dem Flugzeug fliegen ist es ja ähnlich, aber ich will ja nicht mit irgendwelchen Hilfsmitteln fliegen, sondern mit meinen eigenen Flügeln. Wie ein Vogel”, Justin streckte seine Arme zur Seite, wie als würde er seine Flügel ausbreiten. Melody lachte. „Weist du, manchmal werden Träume ja wahr”, meinte sie. „Ich weiß, aber leider nur meine nicht. Ich werde nie fliegen können, ich bin eben kein Vogel”, er seufzte missmutig und schaute hinauf in den tiefblauen Himmel. „Justin, du musst an deine Träume glauben, sonst werden sie sich nie erfüllen. Und du bist hier an dem Ort, an dem die Träume wahr werden. Hier ist das Land, das dir alle Wünsche erfüllen kann. Du bist ein Sohn der Winde und deswegen bin ich mir sicher, das du irgendwann einmal den Wind spüren wirst, der dort oben weht”, Melody deutete gen Himmel. Justin murmelte etwas, was sie nicht verstand. „Was sagtest du?”, erkundigte sie sich. „Nichts, nichts, es hatte keine Bedeutung, vergiss es”, antwortete Justin. „Hey ihr zwei!”, rief Shadow von oben. „Was ist?!”, rief der Rotschopf ihr zu. „Ich habe eine Stadt gesehen! Schwenkt ein wenig nach rechts ab, dann geht ihr direkt rauf zu!”, antwortete die Chito und flog wieder ein Stück voraus zu Timo. Die Beiden korrigierten ihre Richtung. Vor ihnen lag ein Hügel, deswegen konnten sie die Stadt nicht sehen. „Eines weiß ich, das hier ist nicht mehr mein Reich”, meinte Melody als sie fast oben waren. „Wie kommst du darauf?”, wollte Justin wissen. „Weil es hier viel zu warm ist. In meinem Reich ist es selbst im Sommer ein wenig kühler. Es liegt ja auch sehr weit oben im Norden”, antwortete Melody. „Stimmt, das wollte ich dich schon mal fragen, ich habe immer nur Schnee gesehen. Liegt in deinem Reich selbst im Frühling und im Herbst Schnee? Sogar im Sommer?”, fragte der Rotschopf. „Ja. Sogar im Sommer. Aufgrund eines Zaubers kann der Schnee nicht schmelzen. Deswegen ist es auch das einzige Reich in dieser Welt, wo die Schneeblume wachsen kann. Sie braucht nämlich das ganze Jahr über Schnee. Es gibt sie nur in hohen Gebirgen oder weit oben im Norden oder unten im Süden. Aber selbst im Süden und im Norden schmilzt der Schnee manchmal in besonders warmen Sommern. Nur in meinem Reich nicht, dort liegt er immer”, erklärte die Elbe. „Das find ich stark! Im Hochsommer Rodeln gehen, das muss voll Spaß machen, aber, dann kann man ja auch nie mit kurzen Klamotten raus, weil es ja dann auch immer zu kalt ist. Schwimmen gehen geht auch nicht und wann pflanzt ihr etwas an? Getreide und Obst und Gemüse?” „Du hast mir nicht richtig zugehört”, tadelte Melody, „ich sagte, das der Schnee nicht schmilzt, aber wenn es warm wird, dann wärmt sich der Schnee mit. Er bleibt nicht kalt, sondern wird warm, er schmilzt nur einfach nicht. Schwimmen gehen und kurze Sachen tragen, das kann man schon, wenn es nur warm genug ist. Getreide und ähnliches wird einfach in den Schnee gepflanzt, es sind nämlich besondere Pflanzen, sie überstehen selbst bitterste Kälte.” „Aber warum können dann diese Schneeblumen wachsen, wenn sie doch die Kälte brauchen?”, Justin war verwirrt. „Sie brauchen nicht die Kälte, sondern den Schnee selbst. Er ist so etwas wie die Erde für andere Pflanzen, aber die Schneeblume blüht nicht oft. Nur alle hundert Jahre und bald ist es wieder soweit”, Melodys Augen leuchteten. „Warum freust du dich so auf die Blumen?”, wollte Justin wissen. „Das hat etwas mit der Tradition meines Reiches zu tun. Es ist so, dass die roten Schneeblumen das Zeichen wahrer Liebe sind, sie sind aber auch unglaublich selten. Die Männern suchen diese Blumen, wenn es ein Mädchen gibt, das sie lieben und wenn es wirkliche, wahre Liebe ist, die er empfinden, dann blüht sie weiter, solange, bis seine Liebe erlischt, dann verwelkt sie. Es gibt sogar Geschichten, wo die Blume noch lange nach dem Tod des Mannes noch geblüht hat, in all ihrer Pracht. Manche blühen auch heute noch, so sagt man, auf dem Grab der Verstorbenen”, Melodys Augen leuchteten immer mehr. „Ach, und du hoffst, das dir jemand so eine Blume schenkt, ja?”, Melody nickte und Justin lachte. „Warum lachst du mich aus? Meinst du, mir würde nie jemand eine solche Blume schenken?”, fragte sie gekränkt. „Nein, ich lache nicht über dich. Im Gegenteil. Ich finde die Idee an sich schon wunderschön. Nein, ich lache, weil es wohl kein Mädchen auf der Welt gibt, die nicht mit strahlenden Augen von dieser Geschichte sprechen würde und es nicht eine, die sich nicht über so eine Blume freuen würde. Aber man kann sich doch nie sicher sein, das die Männer die Blume wirklich gesucht haben. Es gibt bestimmt ein paar, die damit das ganz große Geld machen wollen und die Blumen suchen und sie dann verkaufen”, überlegte Justin. „Nein. Man kann die Blume nur an eine Person weiter geben und nur an eine, die man vom ganzen herzen liebt. Wenn sie jemand verkaufen würde, dann würde sie binnen Sekunden welken”, erklärte Melody. Justin nickte nachdenklich. Die Beiden waren mittlerweile fast bei der Stadt Angleangt. „Also ich hoffe vom ganzen Herzen, das ich eine bekomme und sie in aller Blüte stehen wird, bis zu meinem Tod”, meinte Melody, „und vielleicht sogar noch Jahre später.“ Justin schwieg dazu. Beide standen nun direkt vor dem Eingang zur Stadt. Justin hielt Ausschau nach Timo und Shadow. Die Beiden kamen angeflogen. Shadow landete elegant direkt neben Justin, Timo wollte es ihr nachmachen, hatte aber zuviel Schwung und landete nicht auf den Füßen, sondern legte sich lang. Seine drei Freunde konnte sich das lachen kaum verkneifen. Timo stand wieder auf und brummte etwas vor sich hin. Justin schluckte um nicht laut los zu prusten. „Wir sollten reingehen”, fand er und biss sich auf die Lippen. „Ja, lach dich doch Tod”, knurrte Timo, denn ihm war das alles keineswegs entgangen. Nun konnten sie alle wirklich nicht mehr an sich halten und alle drei prusteten laut heraus. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich beruhigt hatten und Timos Laune war in der Zeit immer schlechter geworden. „Tut mir leid”, japste Justin, „aber das sah so komisch aus, wie du versucht hast, Shadow nachzuahmen.” „Komisch?“, wollte Melody wissen, „ich fand das eigentlich eher ziemliche niedlich, wie ein kleines Kind, das seinen Eltern unbedingt etwas nachmachen möchte.“ Timo zeigte beiden die kalte Schulter. Er ging durch das Tor und wurde regelrecht überrannt. Ein junges Mädchen mit braunem Haar stieß mit ihm zusammen und viel hin. Sie hatte nicht aufgepasst, aber trotzdem fauchte sie Timo sogleich an: „Kannst du nicht aufpassen, wo du hinrennst!?” Timo wollte schon zum Gegenschlag ausholen und seine ganze schlechte Laune an dem Mädchen auslassen, als er sie erkannte. Verdutzt schaute er sie an. „Charly?”, fragte er. Auch das Mädchen schaute ihn nun genauer an, während sie sich den Dreck von der Kleidung klopfte. „Kennen wir uns?”, fragte sie genervt und ziemlich bissig. Justin und die beiden Mädchen traten zu den Kontrahenten. „Hey Charly, was machst du denn hier?”, rief der Rotschopf sogleich begeistert. Das Mädchen schaute nun zu ihm und ihr Gesicht hellte sich auf. „Justin! Hier steckst du also!” „Wie, wo soll ich sonst sein?”, erkundigte sich der Rotschopf. „Na, vielleicht zu Hause! Mein Gott, du kannst doch nicht einfach mal so sagen, ich habe keinen bock mehr, also hau ich ab!”, fauchte Charly. „Hab ich auch nicht, ich hatte gute Gründe, aber was machst du eigentlich hier?”, wollte er wissen. „Ich bin zufällig hier, ich... Ach, hier ist nicht der richtige Ort, um so etwas zu besprechen”, fand das Mädchen. Sie schaute noch einmal zu Timo. „Vor allem nicht mit solchen ungehobelten Kerlen”, fauchte sie. Justin lachte: „Dieser ungehobelte Kerl kann nun echt nichts dafür, das du ihn über den Haufen rennst. Außerdem kannst du ihn auch mit Vornamen ansprechen.” Charly schaute ihn verwundert an. „Ah ja, wenn du ihn mir verrätst, dann schon”, meinte sie. Wieder lachte Justin. „Hey, komm schon, so sehr hat sich Timo auch nicht verändert”, grinste er, „nur seine Ohren ein wenig, die Flügel, Haare ein bisschen länger, seine Kleidung…“ Er deutete mit einer Geste, das er noch eine ganze eile so hätte weitermachen können. Charly starrte Timo an. „Nein, gar nicht”, meinte sie sarkastisch, „das ist hier aber niemals Timo! Der sieht viel zu cool aus, für den Verlierer von zu Hause.” Shadow, Melody und Justin lachten abermals laut los, während Timo wütend schnaubte. „Kannst mir glauben, das ist Timo, aber du hast recht, das ist nicht der richtige Ort für ein freudiges Wiedersehen”, Justin wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkel. „Kommt mit, hier in der nähe ist ein Wirtshaus”, erklärte Charly und führte sie. Im Gasthaus angekommen legte das Mädchen gleich los und wollte alles wissen. Justin erzählte kurzerhand einfach die ganze Geschichte von Anfang an, ab und an ergänzten Timo, Shadow und Melody etwas, was er vergessen hatte. „So, jetzt berichte aber du, was dir passiert ist”, forderte er als er geendet hatte. „Okay, hört zu. Ihr ward schon eine ganze Weile weg, übrigens glaubt man mittlerweile, dass ihr nicht mehr am Leben seid, aber ich soll ja erzählen, was los war. Also, ich war bei meiner Tante und bin dort spazieren gegangen und bei ihr gibt es einen großen Wald und da habe ich mich verlaufen. Durch Zufall entdeckte ich dort dieses komische Tor, aus Spaß bin ich durchgegangen und war dann plötzlich hier. Also hier, in dieser Welt. Eine Elbe ritt mich fast über den Haufen, als ich ankam und sie fragte was ich hier machen würde und alles. Ich erzählte ihr was geschehen war und seitdem lebe ich bei ihr, bis ich wieder irgendwie nach Hause kann. Etwa einem Monat ist das jetzt her”, erklärte Charly kurz und knapp. „Okay. Frage, warum denken die, wir wären Tod?”, wollte Timo wissen. „Weil ihr seid fast einem Jahr unauffindbar seid vielleicht?”, zickte Charly ihn an. „Was ist mit unseren Eltern, geht es denen gut?”, fragte Justin. „Nein, die sind allesamt mit den Nerven am Ende. Mittlerweile geht es wieder. Zumindest bei den Eltern von Sally und deinen Eltern, Timo. Sie hoffen noch immer, dass ihr bald wiederkommt, obwohl die Polizei schon meinte, dass ihr wahrscheinlich nicht mehr lebt. Richtig Tod erklärt wird man ja erst nach sieben Jahren, wenn keine Leiche auffindbar ist. Egal, auf jeden fall mach ich mir um deine Mutter richtig Sorgen, Justin. Die ist total mit den Nerven am Ende! Immerhin, erst kommt ihr Mann bei einem Flugzeugabsturz ums Leben und jetzt schwindet auch ihr einziger Sohn so auf einmal!”, tadelte das Mädchen. Justin lächelte leicht. „Dann wird die Freude doch umso größer. Ich hoffe nur, dass meine Mutter nichts Dummes macht”, meinte er. „So was wie du nach Marinas Tod?”, fragte Charly. „Genau. Ich habe nämlich eine wirklich erfreuliche riesen Überraschung für sie, aber erst einmal müssen wir unsere Aufgabe hier erledigen. Wie heißt die Stadt und welchem Reich gehört sie an?”, fragte der Rotschopf. „Es ist das Reich der Blauen Zauberer. Die Stadt hier ist das Dorf am blauen Wasserfall. So hat Chantal mir das zumindest gesagt”, meinte Charly. „Kannst du damit was Anfangen, Melody, weist du ungefähr, wo wir hier sind?”, wollte Justin wissen. „Ja. Ich denke, wir sollte zurück zur Elbenfeste, vorerst. Von hier aus ist der Weg zwar nicht sonderlich weit, aber sehr gefährlich, wir müssen durch den Nebelsee”, antwortete sie. „Ein See? Durch? Vergiss es, ich bin ein Chito”, machte Shadow aufmerksam. „Ich weiß, aber es ist ja auch kein richtiger See, sondern so was ähnliches. Also, es ist kein Wasser drin, sondern wo eigentlich Wasser sein sollte ist Nebel, verstehst du?”, versuchte Melody zu erklären. „Natürlich, ich bin ja nicht blöd”, antwortete Shadow hochnäsig. „Auf jeden fall müssen wir durch diesen See oder wie? Wie weit ist es zu Fuß?”, fragte Justin. „Zu weit, wir brauchen in jedem Fall Einhörner oder besser noch Elbenpferde”, meinte Melody. „Pferde sollten kein Problem sein, Chantals Mann hat einen Stall voll. Er leiht euch ganz bestimmt ein paar”, überlegte Charly. „Dann sollten wir vielleicht gleich los. Besser, wir verlieren möglichst wenig Zeit”, sagte Justin und stand auf. „Hast recht, mir nach”, forderte Charly die Vier auf und führte sie zu einem Stall der ein wenig außerhalb der Stadt lag. Vor dem Haus waren ein paar Elben damit beschäftigt, ein Einhorn zu halten. „Sie haben ihn!”, jubelte Charly als sie das sah. „Sie haben wen?”, hakte Justin nach. „Den da! Das ist ein Einhorn, den schon ganz viele versucht haben, zu fangen, aber kaum einer hat es geschafft und die, die es geschafft haben, denen ist er binnen weniger Minuten wieder ausgebrochen!”, erklärte das Mädchen und zeigte auf das Einhorn. Justin betrachtete sich das Tier ganz genau aus der Ferne. Das Tier sah aus, als hätte jemand die Nacht selbst eingeschmolzen und aus ihr den Hengst gemacht. Das Horn und die gespaltenen Hufe waren aus einem dunklen Silber und blitzten wie die Sterne in der Nacht, der Hengst selbst war kräftig, man sah deutlich seine gut entwickelten Muskeln unter dem schwarzen Fell arbeiten und sah dabei jedoch so fein und zerbrechlich aus, wie es nur unter Einhörnern sein konnte. Das bemerkenswerteste an dem schwarzen Tier aber waren seine Schwingen. Er trug zwei wunderschöne, nachtschwarze Schwingen, mit dem sich das Tier zu wehren wusste. Die Männer schafften kaum, ihn zu halten. Das Einhorn wieherte schrill. Justin schluckte. „Sie müssen ihn freilassen”, murmelte er. „Was? Warum? Weist du, wie viel das Vieh wert ist? Von dem Geld können Chantal und Tay mehr als zwei Jahre leben!”, ereiferte sich Charly. „Wenn sie ihn nicht schnell wieder frei lassen, werden sie mehr verlieren, als jede Menge Geld”, prophezeite er. „Und wieso? Will er sie einen nach den anderen aufspießen? Das Horn eines Einhorns ist empfindlich, er würde es sich nur abbrechen”, meinte Charly. Justin antwortete ihr nicht mehr, sondern ging langsam auf das Gewusel zu. Er stand nur ein wenig hinter den Männern, als sich das Tier plötzlich beruhigte. Der Hengst stand da, mit bebenden ´Flanken und hoch erhobenem Kopf. Die Männer schnauften. Einer blickte sich um. „Hey, was machst du hier?”, fragte er barsch. Justin beachtete ihn nicht, sondern drängelte sich zu dem Hengst durch. Einer der Männer griff nach ihm und wollte ihn zurückhalten, doch er ging unbeirrbar einfach weiter. Erst vor dem Hengst blieb er stehen. Der entspannte sich sichtlich und Justin hob die Hand und strich vorsichtig und langsam über die Stirn des nachtenden Tieres. Das Fabelwesen ließ es geschehen und der Rotschopf lächelte ein wenig. Er trat langsam an die Seite des Hengstes und bevor ihn jemand daran hindern konnte, löste er die Stricke, die das Einhorn gefangen hielten. Oder besser, er wollte sie lösen, doch als die Männer sahen, was er vorhatte, rissen sie ihn grob zurück, bevor er auch nur einen Knoten öffnen konnte und stießen ihn weg. „Verschwinde!”, knurrte einer ihn an, doch niemand hatte mehr die Zeit, sich um ihn zu kümmern, denn sofort begann de Hengst wieder zu toben. Justin stand erstaunlich still einfach nur daneben und beobachtete alles. Die Männer zerrten den Hengst in den Stall und sperrten ihn ein, Justin schaute weiterhin nur zu. Melody, Timo, Shadow und Charly traten zu ihm. „Was sollte das denn gerade?”, fragte die Brünette wütend. Einer der Männer kam auf sie zu. „Würde mich auch interessieren. Wir habe Stunden gebraucht, den schwarzen Satan zu fangen und dann willst du dahergelaufener Knirps ihn einfach wieder frei lassen!”, knurrte er. „Ihr solltet ihm seine Freiheit wiedergeben. In Gefangenschaft stirbt er, denn er ist nicht dafür geschaffen, gefangen in einem Stall zu stehen. Die Sehnsucht nach Freiheit wird ihn verzehren, denn er ist doch fast schon ein Gott und Götter darf man nicht einsperren. Er ist nicht für dich”, antwortete Justin ruhig. „Der Satan und ein Gott? Nie! Das ist eher der Teufel!”, rief der Elb verächtlich. „Muss ich dir Recht geben, Tay”, stimmte Charly zu. „Was wollt ihr für ihn? Ich werde alles tun, was ihr von mir wollt, gibt mir nur dieses Einhorn”, meinte der Rotschopf plötzlich. „Nein, nein, Junge. Ich habe schon einen Käufer. Er bezahlt mir mehr, als du in deinem ganzen Leben verdienen kannst. Das prachtvolle Tier wird der Reichsherr selbst der Herrin des Elbenreichs im Norden zum Geschenk machen”, erklärte Tay. Justin warf Melody einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel zu. Die verstand sofort, worum er sie bat. „Dann könnt ihr mir das Tier auch gleich geben”, fand sie. „Dir? Warum soll ich ihn dir geben? Ich glaube kaum, dass du das Nördliche Elbenreich regierst, der Reichsherr würde sich bestimmt nicht mit einer solchen Schlampe abgeben, wie dir. Nicht einmal von Adel bist du, sonst würdest du hier bestimmt nicht ohne Wachen umherlaufen”, erklärte Tay abfällig. Melody sog scharf die Luft ein. „Mit erinnert mich daran, Jack zu sagen, er solle dem Kerl den Kopf abschlagen sobald wir wieder zu Hause sind”, zischte sie wütend. Tay schnaubte hochnäsig. „Warum hast du sie eigentlich hergebracht, Charly?”, wollte er barsch wissen. „Äh, ja, weil sie Pferde brauchen. Ich hatte gehofft, du würdest ihnen und mir ein paar leihen, ich möchte sie nämlich begleiten. Zwei von ihnen sind gute Freunde von mir”, erklärte sie. Der Elb sah nicht sehr begeistert aus. Melody blitze ihn noch immer wütend an, drehte sich dann plötzlich um und ging. „Kommt ihr? Mit solchen Trampeln will ich nichts zu tun haben”, fauchte sie. Tay schaute ihr abfällig nach, dann stutze er. „Warte, Mädchen, komm zurück”, befahl er, doch Melody bliebe lediglich stehen, aber auch das nur, um zu schauen, wo ihre Freunde blieben, nicht weil der Kerl es ihr befahl. Der ging mit schnellen Schritten zu ihr und riss grob ihre Hand hoch und musterte genau den Ring an ihren Finger. Er zog ihn sogar ab und betrachtete ihn noch eingehender, während Melody kochte vor Wut. Die anderen kamen zu den Beiden. Tay wurde kreideweiß im Gesicht. „Oh Herrin, warum muss nur mir das passieren?”, murmelte er. „Weil du ein Trottel bist vielleicht”, knurrte Melody herablassend. „Es tut mir Leid, ich wusste wirklich nicht, das ihr es seid, ihr seht so anders aus, als an jenem Tag, als ich euch das letzte Mal sah!”, erklärte Tay und Panik verzerrte seine Stimme. Melody nahm ihn den Ring aus den Händen und steckte ihn wieder auf ihren Finger. „Lasst uns gehen, wir werden sicher noch einen anderen Stall finden, wo man uns die Pferde mit Freude leihen wird”, meinte sie mit hochnäsigem Ton. „Nein, nein, ich werde euch die Pferde geben, ich werde sie euch schenken!”, Tay fürchtete um sein Leben, denn er hatte gehört, was Melody in ihrer Wut zu ihren Freunden sagte. Melody gab einen abfälligen Laut von sich, sah ganz so aus, als wollte sie sich abermals einfach umdrehen und davon stolzieren, doch dann trat Justin zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie schaute ihn leicht verwundert an, dann nickte sie. „Okay. Ihr lasst das Einhorn frei und dafür vergesse ich die unschöne Szene am Anfang”, bot sie an. Tay überlegte kurz, doch sein Leben war ihm wichtiger und so willigte er ein. Er ging zum Stall, die Anderen warteten. „An dem Hengst scheint dir ja eine Menge zu liegen”, meinte die schwarzhaarige Elbe plötzlich. „Wie man es sieht. Leid getan hat er mir schon vorher, aber als ich ihn genauer betrachtete hatte ich wieder so ein Gefühl und da ich in den letzten Monaten gelernt habe, das es besser ist, auf meine Gefühle zu hören tat ich es auch dieses mal, mehr ist da nicht bei. Aber irgendwie war das gerade merkwürdig”, fand er. „Was denn?”, erkundigte sich Timo. „Ich konnte verstehen, was er gesagt hat. Er hat die Männer angeschrieen, sie sollen ihn loslassen”, antwortete Justin nachdenklich. „Das Einhorn? Das hat doch nur gewiehert”, fand Charly. Shadow schaute hoch zur Sonne. „Wie alt bist du heute geworden?”, fragte sie dann. „Hä, wie?”, nicht nur Justin schaute sie verwirrt an. „Na, die Herrin sagte, du hast am Tag der Sommersonnenwende Geburtstag und die ist heute. Das kann man gut an der Sonne erkennen”, erklärte die Chito. Justin dachte nach. „Der Tag der Sommersonnenwende, also der einundzwanzigste Juni. Heute ist Sommeranfang und heute hätten meine Eltern Hochzeitstag und heute ist mein Geburtstag, da hast du recht. Sechzehn Jahre alt bin ich heute geworden”, murmelte er vor sich hin. „Nun, dann ist es vielleicht nicht mehr ganz so merkwürdig”, überlegte Melody. „Inwiefern?”, hakte Timo nach. „Es ist so, laut den Geschichten der Elben hat der Weltenretter die Macht, die Sprachen jener zu verstehen, die die Sprache der Unsterblichen verlernt haben. Das sind zum Bespiel die Tiere, Pferde, Hunde, Katzen. Wesen, die nichts sagen können, zumindest nichts, was wir verstehen würden. Einhörner gehören eigentlich nicht dazu, sie können die Sprache der Unsterblichen, zumindest meistens, aber du scheinst mehr Macht zu haben als in den Geschichten”, meinte Melody. „Wie kommst du darauf?”, fragte Charly. „Weil er nicht nur die Sprache derer kann, die die Sprache der Unsterblichen nicht können, sondern er kann anscheinend auch die Sprachen, die nur eine bestimmte Art spricht. Also wenn das zutrifft, dann würde er es zum Beispiel auch verstehen, wenn Melody in der Elbensprache spricht, obwohl sie ja die Sprache der Unsterbliche kann. Habt ihr das halbwegs verstanden?”, erkundigte sich Shadow. „Ja, ich schon”, meinte Justin. Er schaute zu Melody: „Sag mal was auf Elbisch.” Sie schaute ihn verdutzt an. „Auf was? Elbisch?”, sie lachte laut auf. „Oh Justin“, meinte sie, „Elbisch, was soll das denn für ein Wort sein?“ „Na, die Elbensprache, die Sprache, die nur die Elben sprechen”, erklärte Justin ungeduldig. Melody lächelte immer noch, sagte dann etwas in einer merkwürdigen, unbekannten Sprache. „Ich habe dich verstanden, Melody. Ich habe verstanden, was du sagtest!“, rief Justin begeistert. Melody nickte lächelnd. „Warte mal, heißt das, der kann jetzt alle Sprachen der Welt? Alle sprachen, die es gibt?”, wollte Timo wissen. „Verstehen wohl schon, aber wie es mit Sprechen aussieht ist dann wohl doch noch eine andere Frage”, meinte Shadow dazu. „Das ist ja stark!”, Charly war sichtlich begeistert. „Werden wir sehen”, fand Justin. Tay kam mit dem Einhorn heraus, ein paar andere Männer führten ein paar Pferde. „Die sind für euch, Lady Melody. Ich schenke sie euch. Alle”, erklärte Tay. Das schwarze Einhorn blieb still stehen, als wüsste er, dass er bald wieder frei sein würde. Justin nahm dem Elben den Strick aus der Hand, führte den Hengst ein wenig weg und löste dann den Knoten. „Tu das, was du am besten kannst und renne”, sagte er und ging ohne einen weiteren Blick zurück zu seinen Freunden. „Ich werde sie begleiten”, sagte Charly gerade zu Tay, „vielleicht komme ich so nach Hause.” Tay nickte und lächelte ihr aufmunternd zu. „Recht so. Es ist besser, wenn du nicht weiter hier bleibst. Ich werde es Chantal sagen, wenn du es ihr sagst, dann überredet sie dich nur, das du doch bleibst”, meinte er und deutete einem der Männer Charly eines der deutlich edleren Pferde zu geben. Shadow, Timo und Justin würdigte er nicht einen Blickes, er wandte sich stattdessen an Melody. „Mylady, ich hoffe, ihr kommt nach Hause und ihr freut euch über die Pferde. Ich wünsche euch alles Gute auf Erden”, erklärte er demütig und deutete einem weiteren Mann mit nur einem Blick, Melody eine edle, schneeweiße Stute zu geben. Die nahm das Pferd zwar entgegen, gab es jedoch an Shadow weiter und machte so deutlich, dass sie noch immer wütend war. Sie nahm den Männern auch nacheinander die anderen Pferde ab und verteilte sie, sie selbst behielt einen Fuchs mit Fell so rot wie Justin Haare. Sie saßen auf und ritten los, einzig Melody bedanke sich nicht mehr und würdigte keinem der Männer auch nur einen letzten Blick. „Weiß auch nur einer, wo es lang geht?”, fragte Timo nach einer Weile. Shadow zuckte zur Antwort mit den Achseln, Melody ignorierte ihn einfach, Charly schüttelte den Kopf und Justin ritt, tief in Gedanken versunken, einfach so vor sich hin. Timo seufzte. „Leute, es hat keinen Sinn, einfach so drauflos zu reiten, ohne die Richtung zu kennen”, fand er. „Timo, sei ruhig”, fauchte Melody, „ich kenne den Weg, also folg mir einfach.” „Ja, reg dich mal wieder ab! Wir können wirklich nichts dafür, dass dieser Kerl so dämlich ist, also mach uns doch nicht so an”, knurrte er. Melody antwortete einfach nicht, sie ritten einfach stumm weiter. Es wurde schon langsam Nacht, als Justin sie bat, anzuhalten. „Wieso, was ist denn?”, wollte Timo wissen. Justin deutete gen Westen, dorthin, wo die Sonne langsam aber sicher hinterm Horizont verschwand. Ein schwarzes Einhorn mit silbernem Horn und Hufen und großen, nachtschwarzen Schwingen stand da und beobachtete sie. Der Rotschopf sprang vom Rücken seines Pferdes und ging zu dem Hengst. „Warum folgst du uns?”, fragte er als er vor dem Tier stand. »Ich möchte euch begleiten«, antwortete das Einhorn. „Wieso? Ich verstehe nicht…”, meinte Justin. »Mein Schicksaal ist es, dich zu begleiten«, schnaubte der Rappe. „Und gegen das Schicksaal kommt man nicht an, ich weiß”, er schaute zu Boden. »Genau. Ich werde dich begleiten. Steig auf«, forderte der Hengst. „Ich soll auf dir Reiten?”, er machte einen abwehrenden Schritt zurück, „das kann ich nicht! Es ist ein unverzeihbarer Frevel, ein Einhorn zu reiten!” Der Hengst schnaubte: »Der wäre es nur, wenn du mich reiten würdest, wenn ich es nicht will, aber ich bitte dich sogar darum.« Justin schaute sich unsicher um. „Bist du sicher?”, fragte er. »Ja«, das Tier stellte sich seitlich zu den Rotschopf, »steig endlich auf.« Der Rotschopf schluckte schwer, nickte dann. Er kletterte auf den Rücken des Einhorns. Erst wusste er nicht, wohin mit den Beinen, denn die Flügel behinderten ein wenig das bequeme sitzen, doch dann hatte er eine halbwegs passende Position gefunden. „Wie heißt du eigentlich?”, wollte er dann wissen. »Nennt mich, wie es euch beliebt, denn mich nennt sowieso jeder, wie er es will«, antwortete das Einhorn und setzte sich in Bewegung. Sein Schritt war kraftvoll und dennoch federleicht. Kein vergleich zu einem anderen Pferd. „Okay. Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich nun nennen soll, aber mir wird schon etwas einfallen”, meinte der Junge und hielt sich an der langen, nachtschwarzen Mähne fest. Nachdenklich murmelte er ein paar Namen vor sich hin. „Ich hab es! Thunder! Der Name ist passend, find ich”, rief er. »Okay. Dann nennt mich Thunder«, stimmte das Einhorn zu. Der Hengst trat zu jedem einzelnem Pferd und rieb kurz seine Nüstern an den der Anderen. „Wieso reitest du jetzt ihn?”, wollte Timo wissen. „Er wollte es so. Aber ich denke, wir machen uns wieder auf den Weg, das heißt, wenn du fertig geschmust hast, Thunder”, bemerkte der Rotschopf. »Was heißt hier schmusen? Ich habe lediglich die Anderen begrüßt. Auf der Art der Einhörner. Ich muss mich doch mit meinen Reisegefährten bekannt machen oder würdest du mit jemand Reisen, den du nicht einmal im Mindesten kennst und dementsprechend nicht vertrauen kannst? Ich nicht«, verteidigte sich der Rappe. „Ist ja schon gut, schon in Ordnung, ich habe nichts gesagt”, meinte Justin. „Was hat er gesagt?”, wollte Charly wissen. „Vergesst es, lasst uns lieber los reiten”, redete sich der Junge heraus. Die Anderen nickten zustimmend. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)