Bora, Stein der Winde von Scarla ================================================================================ Kapitel 50: Durch die Wüste --------------------------- Willst du nicht Thunder reiten?“, Moritz schaute fragend zu Justin hinüber, der versuchte, sein Schwert am Sattel einer der Reitechsen zu befestigen. Es gelang ihm nicht. „Meinst du wirklich, ich kann es ihm antun, auf ihm die Wüste zu durchqueren? Er ist kälter gewohnt, normalerweise kennt er nur Schnee und grüne Wiesen und Wälder, aber keinen Wüstensand. Und mit dem schwarzen Fell würde er mir binnen Stunden unterm Hintern wegsterben und das muss nicht sein“, war Justins Antwort und er versuchte jetzt irgendwie, den Sattel noch ein wenig fester zu machen, was ihm aber ebenfalls nicht gelang. „Aha“, machte Moritz und schaute Justin noch einige Minuten zu, wie der sich mit dem Sattel abmühte, es dann aber aufgab und versucht, die Echse zu zäumen. Auch das misslang kläglich, doch auch Moritz und die anderen hatten es nicht hingekriegt. Wortlos trat plötzlich Leilo neben ihm und zäumte die Echse auf, die es sich willig gefallen ließ. „Wie nennt man diese Wesen?“, wollte Justin wissen, nachdem er eine Weile wortlos dabei zugeschaut hatte. „Laufechsen“, war Leilos einsilbige Antwort. Justin musterte das Tier. Ja, es war in der Tat eine Echse, das Tierchen hatte Ähnlichkeit mit einem Dinosaurier. Justin viel nicht mehr ein, wie man diese Dinosaurier nannte, aber sie hatten wirklich große Ähnlichkeit miteinander, wie er fand. Nur das dieser Dino einen Sattel und eine Trense trug und eben nicht ausgestorben war. „Wie heißt du eigentlich?“, wollte er von der Echse wissen, doch Leilo schien nicht so schnell geschalten zu haben, weswegen er antwortete: „Leilo, weißt du doch.“ Justin schüttelte den Kopf: „Nein, nicht du, ich wollte von der Laufechse wissen, wie sie heißt.“ Leilo schaute ihn einen Augenblick lang an, als hätte er nicht mehr die sprichwörtlichen Tassen im Schrank, doch dann fiel ihm wieder ein, das Justin ja keinerlei Problem damit hatte, die Sprache anderer Wesen zu verstehen. Er hatte es zwar noch nicht bei Reptilien ausprobiert, doch er hatte kaum Zweifel, dass es bei einem solch intelligenten Wesen, von solch einer Größe in irgendeiner weise Schwierigkeiten geben würde. Und er hatte Recht, denn die Echse antwortete ihm. »Wir haben keine Namen. Zumindest keine, die du imstande wärst, auszusprechen«, antwortete das Tier. „Ja, das habe ich mir fast gedacht. Willst du mir wenigstens sagen, ob du ein männliches oder ein weibliches Wesen bist? Dann denke ich mir für dich einen Namen aus, den ich auch aussprechen kann“, meinte Justin. »Nein, nein, ich möchte keinen Namen haben. Du wirst sowieso der Einzige sein, der ihn kennt und dafür lohnt es sich nicht, dass ich mir ihn merke«, widersprach das Echsentier. „Nun gut, deine Entscheidung“, Justin zuckte mit den Schultern, hob dann einen der Phönixe von seiner Schulter und setzte ihn auf den Rücken der Laufechse. „Können wir los?“, fragte Leilo neben ihm. „Kommst du etwa mit?“, fragte Timo verwundert und auch Justin machte ein erstauntes Gesicht. „Ja, natürlich! Ihr alleine würdet euch ganz gewiss verlaufen, in der Wüste, denn ihr kennt euch dort nicht aus. Nun ja, keiner kennt sich dort wirklich aus, denn sie ändert ihr Aussehen jeden Tag, doch ich weiß, wo die Oasen sind und ohne Wasser werdet ihr nicht Leben können“, erklärte Leilo. „Klingt einleuchtend“, nickte Justin. „Ja“, sagte Leilo laut und flüsterte dann Justin zu: „Und außerdem möchte ich noch einmal mit dir persönlich und unter vier Augen sprechen.“ „Das hört sich ja mies an. Irgendetwas Schlimmes?“, wollte der ebenso leise wissen. „Nein, nein, nicht wirklich. Aber es liegt mir sehr am Herzen. Dazu jedoch später, nicht jetzt und nicht hier“, meinte der Elb und ging zu einer Laufechse, die ein Junge herbei brachte. Geschickt kletterte in den Sattel und die anderen gaben ihr bestes, es ihm gleich zu tun. Rauf kamen sie auch alle irgendwie, doch niemand schaffte es auch nur halb so ansehnlich, wie Leilo. Es war eben ein Unterschied, ob man nun auf den Rücken eines Einhorns, eines Pferdes oder auch eines Greifen kletterte, als wenn es der Rücken einer Laufechse war. Doch dann konnten sie los, hinein, in die Hitze der Wüste. Während die Reiter sich langsam aber sicher immer durchgeweichter von ihrem Schweiß fühlten und meinten, unter der Sonne verbrennen zu müssen, konnte man den Feuervögeln dabei zusehen, wie sie sich mehr und mehr erholten und auch die Echsen schienen sich immer wohler zu fühlen. Stunde um Stunde ritten sie so dahin, die einzige größere Pause, die sich machten, waren die Stunden um Mittag herum, denn das hätte keiner von ihnen überlebt, das war sicher. Nein, diese besonders heißen Stunden des Tages verbrachten sie im Schatten eines riesigen Felsens. „Wäre es nicht einfacher, wenn wir nachts reisen würden? Dann würde uns die Hitze nicht so zu schaffen machen“, überlegte Timo als sie so dasaßen und einfach nur versuchten, möglichst kühl zu sein. „Nein, dann hätten wir Pferde nehmen müssen, aber die würden hier nicht allzu lange überleben. Dafür sind die Temperaturschwankungen zu extrem, das macht auf die dauern kaum ein Tier mit. Und die Laufechsen fühlen sich eben wohler, wenn es heiß ist, weswegen sie auch Tagsüber schneller sind, als in der Nacht“, erklärte Leilo, doch es war Timo schlicht zu heiß, um verstehen zu wollen, was der Elb ihm da erklärt hatte und auch die anderen hatten nicht einmal einen Versuch gemacht, zuzuhören. Sie gingen schlicht jeder Anstrengung aus dem Weg. „Heute Nacht werden wir bei einer Felsgruppe unser Lager aufschlagen. In der Nähe gibt es keine Quellen und der Brunnen dürfte um diese Jahreszeit praktisch ausgetrocknet sein, also geht möglichst sparsam mit eurem Trinkwasser um“, mahnte Leilo. Das waren die einzigen Worte, die währen der gesamten, mehrstündigen Pause gewechselt wurde und auch auf dem weiterem Weg waren sie nicht gesprächiger. Als sie am späten Nachmittag dann bei der Felsengruppe ankam, atmeten alle erleichtert auf. Sie sattelten ihre Echsen ab und bereiteten ihr Lager soweit vor, wie es nötig war. Essen würden sie erst, wenn die Sonne untergegangen war, das hatten sie einstimmig beschlossen. Und keiner bereute den Entschluss, den ihnen war zu warm, zum essen. „Also eines weiß ich, ich werde mich im Sommer nie wieder über die Hitze beschweren“, brummt Timo irgendwann und Justin lachte leise und kurz. Doch irgendwann kam dann die Nacht, legte ihre Decke der Kühle und Dunkelheit über das Land. Und mit dem Schwinden der Sonne kam die Kälte. Es wurde nicht wirklich kalt, doch nach der Hitze des Tages war dieser Temperaturumschwung so extrem, das es ihnen allen vorkam, als wären sie plötzlich vom Backofen in die Tiefkühltruhe befördert worden. Irgendwann dann in der Nacht schliefen sie ein. Auf diese oder ähnliche weise vergingen die Tage und sie hatten irgendwann aufgehört, die Tage zu zählen. Leilo hatten nicht einmal Justin angesprochen und der hatte mittlerweile vergessen, dass der Elb mal vorgehabt hatte, mit ihm ein Gespräch zu führen. Irgendwann aber waren sie angekommen, beim Feuerberg. Die Heimat, der Phönixe und wahrscheinlich das größte Paradies auf Erden, für einen Vogel, geboren aus Feuer und Asche, den der Berg hieß keineswegs nur so, weil er inmitten einer Wüste lag und Tag für Tag die Sonne auf ihn nieder brannte. Nein, er hieß so, weil der Berg eine art Vulkan war und selbst wenn er es nicht gewesen wäre, überall in der Umgebung brannte das Feuer. Es schien dabei nichts zu verzehren zu müssen, es schien durch den Sand selbst zu brennen, auch wenn es nicht mehr viel davon gab. Der meiste Sand hat sich innerhalb der Jahrhunderte, vielleicht auch Jahrtausende zu Glas zerschmolzen. Schwarzes Glas, das die Hitze der Sonne noch zusätzlich aufsog, wie ein trockener Schwamm das Wasser und entsprechender Weise so heiß war, das es wohl nichts auf Erden gab, das dieser Hitze widerstehen konnte. Sie konnten nicht sehr nahe heran, an dieses Terrain der Hölle, denn selbst in einem Kilometer Entfernung spürte man die Hitze noch, kaum mehr als einen halben Kilometer kam man nicht heran. Selbst da schon verschmorten die Haare der Gruppe und ließ ihre Haut Brandblasen schlagen und so ließen sie die Phönixe ihren letzten Weg alleine flattern. Diese waren natürlich selig, endlich wieder zu Hause zu sein und als Dank, für ihre Rettung bekam jeder eine der langen Schweiffedern und Justin erhielt nicht nur das. Einer der Phönixe flüsterte dem Rotschopf etwas zu, was dieser jedoch für sich behielt, egal wie sehr ihn die anderen auch bedrängten. Er würde die Worte des Feuervogels aufbewahren, in seinem Kopf und in seinem Herzen, solange, bis die Zeit reif war, sie zu nutzen. Dann jedoch machten sie sich endgültig auf den Weg zurück, raus aus diesen Inferno aus Hitze und Feuer. Sie hatten etwas mehr als die Hälfte des Rückweges hinter sich gebracht, als Leilo eines Abends zu Justin kam. „Magst du mit mir kommen? Ich möchte mit dir sprechen“, sagte er und mit einem Nicken folgte Justin der Aufforderung. Eine ganze Weile gingen die beiden einfach nur schweigend nebeneinander her, bis Leilo das Schweigen brach. „Meinst du es erst?“, mehr fragte er nicht, doch Justin wusste sofort, wovon er sprach. Er hatte sofort geahnt, um was es gehen würde, als Leilo ihn damals gesagt hatte, das er mit ihm unter vier Augen sprechen wollte. „Natürlich“, antwortete er, „niemals in meinem Leben habe ich etwas so ernst gemeint.“ Leilo sagte nichts, schaute ihn nur von der Seite her an. „Sie hat dich wirklich sehr gerne. Ich habe nie erlebt, dass sie sich für irgendetwas oder irgendjemanden begeisterte. Was ich auch versuchte, nie schaffte ich es, sie auch nur zum Lächeln zu bringen, oder ihre Augen zum Strahlen. Nur meine Geschichten gaben ihr ein wenig Kindlichkeit in ihr sonst so ernstes Gesicht“, meinte er und schwieg wieder für eine ganze Weile. „Wie hast du es geschafft, Justin?“ „Ich weiß es nicht. Vielleicht hat sie gespürt, dass ich es nicht ertragen kann, sie traurig zu sehen und ihr Lachen ist nur eine Fassade, hinter der sie ihre Tränen versteckt. Es gibt da einen Spruch, in meiner Welt und der lautet Nicht alle sind glücklich, die glücklich erschienen, manch einer lacht nur, um nicht zu weinen. Vielleicht ist es bei Melody ähnlich“, überlegte Justin. „Nein. Das Leuchten in ihren Augen, das spielt sie nicht. Du hast es irgendwie geschafft, ihr ihren Lebenswillen wieder zu geben“, meinte Leilo. „Das mag wohl sein, aber sie hat mir auch meinen wiedergegeben“, antwortete Justin. „Wie das? Hattest auch du keine Freude mehr, am Leben?“ „Nein, nein. Seid Jahren schon nicht mehr. Bei mir war es so, das ich eine ganze Zeit lang nur darum lachte, um den anderen nicht zu zeigen, wie es wirklich in mir aussah. Ein Meer von Tränen flutete mein inneres und meine Gedanken kreisten nur um den Tod. Nur weil sie mich nicht haben sterben lassen wollen bin ich noch am leben. Und lachen tat ich nur, damit sie sich nicht allzu sehr sorgten“, überlegte Justin und schaute hinauf zum schmalen Mond. „Wie darf ich denn das verstehen?“, wieder schaute Leilo ihn fragend an. „Nun, zwei Jahre, bevor ich Melody traf, da sind zwei sehr gute Freunde von mir gestorben. Nein, das stimmt so nicht. Ein guter Freund und das Mädchen, dem ich als erstes mein Herz schenkte. Ich dachte, ich könne nicht mehr leben, ohne die beiden und vor allem nicht mehr ohne sie und deswegen versuchte ich ihr zu folgen, doch meine Mutter ließ mich nicht gehen, in die andere Welt, jenseits der Lebenden. Heute… nein, seitdem ich Melody kenne… bin ich ihr dankbar dafür, doch damals habe ich sie gehasst und ich habe meinen Hass und meine Trauer hinter einem Lachen versteckt. Doch wirklich Leben und wirklich Lachen tue ich erst, seitdem ich sie kenne.“ „Du hattest wohl keine schöne Jugend“, überlegte Leilo. „Nun, es kommt wohl hier auf die Sicht des Betrachters an, denn wenn ich erfahre, wie es meinem Bruder in all de Zeit ging, in der ich mir um nichts mehr Sorgen machen musste, als welche Ausrede ich für nicht gemachte Hausaufgaben nutze oder was es zum Abendessen gab. Verglichen mit ihm hatte ich eine wundervolle Kindheit, aber aus meiner Sicht betrachtet ist mein Leben ein Scherbenhaufen.“ „Das Gefühl kenne ich nur zu gut und ich verstehe auch, warum du damals versuchtest, vor deinem Leben davonzulaufen. Ich habe es auch versucht, wenn auch auf andere Weise und es hat bei mir auch geklappt“, meinte der Elb. „Inwiefern?“, wollte Justin wissen. „Nun ja, vielleicht hat Melody es irgendwann einmal erzählt, aber ich habe früher in der Elbenfeste gearbeitet. Ich war der engste Vertraute der damaligen Schwestern, die das Land regierten und ich hatte mich darum zu kümmern, die Nachfolge der Schwestern zu finden und diese auszubilden“, erzählte Leilo. „Melody und Kit, nicht wahr?“ Der Elb nickte. „Ganz genau, Melody und Kit. Die beiden sind für mich, wie meine Töchter. Ich bereue es immer noch, meine Pflicht so ernst genommen zu haben und sie beide in dieses Leben gezwungen zu haben, denn das haben sie beide nicht verdient. Nun, auf jeden Fall regierten damals noch Chikru und Catchicane. Chikru war immer der kleine Wildfang, Kit als Kind nicht unähnlich, während Catchicane immer höflich und wohlerzogen war, wie Melody eben auch. Nun, die Jahre, die ich bei den beiden verbrachte, vergingen und Chikru wurde für mich mehr und mehr wie eine kleine Schwester, während Catchicane für mich mehr wurde, als eine Schwester oder eine gute Freundin und diese Zuneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. So manche, wundervolle Nacht verbrachten wir miteinander und dann kam dieser verhängnisvolle Tag. Es herrschte damals Krieg im Land. Das Elbenreich hatte sich soweit wie möglich herausgehalten, doch irgendwann ging das nicht mehr, irgendwann fingen die benachbarten Länder an, die Dörfer zu plündern und zu zerstören und so beschlossen die Schwestern, das es nun nötig wurde, in das Geschehen einzugreifen. Sie konnten nicht mehr mit ansehen, wie die Lebenden dahingeschlachtet wurden, während sie wohlbehütet in ihrem Schloss saßen und so begannen auch sie damit, Krieg zu führen und sie schlugen die Feinde auch zurück! Chikru war eine hervorhangende Heeresführerin während Catchicane die Strategie übernahm. Sie arbeiteten gut zusammen und ergänzten sich und schon bald sah es so aus, als würde das Elbenreich den Sieg davontragen und das, obwohl sie sich anfangs nicht einmischen wollten. Doch das war den anderen Reichen natürlich ein Dorn im Auge und so beschloss man, einstweilig einen Waffenstillstand zu halten und die Schwestern gemeinsam zu beseitigen. Man stürmte das Schloss zu einem Zeitpunkt, an dem keiner damit rechnete, weswegen sie auch Erfolg hatten. Chikru wurde gleich beim ersten Ansturm von einem Pfeil durchbohrt, Catchicane geriet in Gefangenschaft, so wurden wir gezwungen aufzugeben. Sie erzählten den Führern, dass man Catchicane frei lassen würde, wenn wir unsere Waffen niederlegen würden, doch das war natürlich eine Lüge, jedoch eine, auf die wir alle hereinfielen. Wir gaben auf, doch sie wollten ja nicht, das wir gleich dorrt weitermachen, wo wir aufgehört hatten, deswegen ließ man Catchicane am Tag der Herbsttagundnachtgleiche Köpfen. Wir alle mussten es mit ansehen, nicht einmal den Kindern gestatteten sie die Abwesenheit, doch während die wenigstens ihre Augen schließen oder wegsehen konnten, zwang man Melody und Kit dazu, es mit anzusehen. Als eine art Warnung. Kurz danach war der Krieg zu ende und Melody und Kit wurde die Führung des Reiches in die Hände gelegt, obwohl beide noch zu jung waren, dazu. Aber nun, wie ich schon sagte, für mich war Catchicane mehr, als nur eine Freundin, ich habe sie geliebt. Geliebt, mehr als alles andere auf Erden, sie war mir wichtiger, als mein Leben. Nachdem ich wusste, dass es Kit und Melody gut gehen würde, bin ich gegangen, auf eine Reise, quer durch die Welt, um einen Ort zu finden, der mich nicht ständig an Catchicane erinnert. Gefunden habe ich ihn hier“, schloss der Elb seine Erzählung. „Deshalb“, murmelte Justin. „Was deshalb?“, hakte Leilo gleich nach. „Nun, ich fragte Melody, warum du hier wärst, aber sie wollte es mir nicht sagen, sie sagte, dass sie nicht daran erinnert werden wolle. Jetzt verstehe ich, was sie meinte“, antwortete Justin. „Für sie war der Tod Catchicane sicherlich ebenso schlimm, wie für mich, wenn nicht sogar noch schlimmer. Immerhin war sie damals erst zehn“, seufzte Leilo. „Und hatte sicherlich eine enge Bindung zu Catchicane“, fügte Justin nachdenklich hinzu. „Ganz recht, aber, nun, ich weiß eben, wie es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt und ich möchte nicht, das Melody das gleiche durchmachen muss, wie ich“, meinte Leilo. „Nein, das wird sie nicht, denn auch ich weiß, was es heißt, einen geliebten Menschen zu verlieren, denn auch ich musste diesen Schmerz durchmachen, vor noch nicht allzu langer Zeit. Nein, glaube mir, Melodys Glück ist mir wichtiger, als alles andere auf Erden“, erklärte Justin. „Dann hoffe ich, das du die Worte so ernst meinst, wie du sie sagtest und das dies für dich auch in Jahren noch gilt, denn wenn mir zu Ohren kommt, das du sie schlecht behandelst, dann werde ich dir eigenhändig den Hals umdrehen“, erklärte Leilo in einem so sachlichem Ton, als würde er Justin darauf hinweisen, das an diesem Ort etwas bestimmtes verboten sei und er es deswegen bitte unterlassen soll. Der Rotschopf nickte einfach nur und sie gingen zurück, zu den anderen. Viele, viele Tage waren vergangen, seitdem sie losgegangen waren, als sie wieder in Port Qualla ankamen. Lord Korala hatte schon sehnlichste auf sie gewartet und bedrängte sie gleich damit, von ihrer Reis zu erzählen. Es dauerte nur eine kurze Zeit, bis sie ihre Reise geschildert hatten und der Lord zufrieden nickte. Er schien ein wahrer Fan von Geschichten jeglicher art zu sein, würde er in der Welt leben, in die Justin und Timo hineingeboren wurden, wäre er vermutlich ein wahrer Bücherwurm, der praktisch dreiundzwanzig Stunden am Tag lesen oder in einer Bibliothek sitzen würde. Wahrscheinlich tat er dies auch hier, hatten sie seine private Bibliothek ja gesehen, doch die Bücher, die man hier las waren andere als jene, die man in der Menschenwelt las. Diese hier waren in erster Linie Berichte aus der Vergangenheit oder von Reisen irgendwelche wichtigen Leute. In der Menschenwelt las man dagegen eher Krimis oder auch Abenteuer Romane, Horror oder Fantasy. Für die Wesen hier war ein normaler Krimi wohl ebenso sehr Fantasy, wie für die Menschen ein guter Fantasyroman. Doch der Lord schien Geschichten jeglicher art zu lieben. Er nickte begeistert, nachdem sie geendet hatten. „Und was werdet ihr nun tun, wo ihr die Feuervögel nun wieder zurückgebracht habt?“, wollte er wissen. „Nun, die nächste Aufgabe besteht darin, die Zentauren zu befreien, das werden wir als nächstes in Angriff nehmen“, antwortete Moritz. „Was hat der Todesgott noch mal gesagt, als er uns die Aufgaben stellte? Wo werden sie gefangen gehalten?“, erkundigte sich Melody müde. „Dämonenwald oder so ähnlich hat er es genannt“, antwortete Justin. »Klasse«, meldete sich Jerry zu Wort. „Inwiefern?“, wollte sein Bruder wissen, der daraufhin mehrere unverständliche Blicke seiner Freunde bekam, diese aber ignorierte. »Der Dämonenwald ist ein riesiges Waldgebiet auf Polara. In ihm leben jene Wesen, die man bei euch wohl als Böse bezeichnen würde, also Vampire, Werwölfe, Harpyien, Basilisken, Guady… viele Wesen«, erklärte Jerry. „Guady? Was ist denn das?“, neugierig schaute Justin den Falken an, doch es war nicht Jerry, der antwortete, sondern Melody. „Einem Guady willst du nicht begegnen, Justin, sei dir da mal sicher. Sie sehen niedlich aus, wie eine putzige Mischung aus Eichhörnchen und Kaninchen, doch es sind Bestien, die töten, einfach um des Tötens willen. Sie bringen sich auch gerne einmal gegenseitig um, wenn sie keine Opfer finden. Sie leben nur in der Nähe von Sümpfen, weil sie die giftigen Gase zum Leben brauchen“, erklärte sie. „Das hört sich ja sehr lieb an“, meinte Justin und Timo nickte zustimmend. »Die Guady gehören meinem Wissen nach zu den direkten Anhängern des Todesgottes. Sie verehren ihn und er ist der einzige, der sie wirklich unter Kontrolle hat«, fügte Jerry hinzu. „Noch besser, das heißt, dass wir da gleich ein doppeltes Problem haben“, brummte Justin. »Nein, sie werden zwar alles tun, was er sagt, aber schlimmer als sie normalerweise sind, kann es nicht sein. Sie sind intelligent. Blutrünstig aber intelligent. Wahrscheinlich wird sich der Todesgott gar nicht einmischen, sie werden es auch alleine schaffen, euch zur Strecke zu bringen«, meinte Jerry. „Noch besser, also intelligente kleine Bastarde, die nichts lieber tun wollen, als uns alle in der Luft zerfetzte. Da lacht doch das Herz“, knurrte Justin sarkastisch und Jerry lachte in seinen Gedanken. »Ja, genau so ist es, Bruderherz«, nickte er. „Schön und gut, aber wie wollen wir eigentlich wieder zurückkommen, auf unseren Kontinent? Hatte Jerry nicht gesagt, das er eine Idee hat?“, wollte Shadow wissen. Sie war blass unter ihrer sonnenverbrannten Haut und ihre Augen merkwürdig glanzlos. Erst jetzt viel das Justin auf, wo er sie das erste mal seid Wochen genauer betrachtete. Besorgt betrachtete er sie eine Weile und anders als sonst erwiderte Shadow seinen Blick nicht, sondern schaute müde ins Leere. Den anderen schien es gar nicht aufgefallen zu sein, das mit Shadow etwas nicht stimmte, denn sie schauten alle Justin erwartungsvoll an, doch Jerry sagte ihm nichts, und so konnte er auch nichts an die anderen weitergeben. „Nun, wenn ihr möchtet, dann werde ich euch ein Schiff zur Verfügung stellen. Ich besitze eine große Handelsflotte, von der mehrer Schiffe in Richtung nördlichen Kontinent unterwegs sind. Ich denke, das wäre für euch die einfachste Methode oder nicht?“, meinte Lord Korala und Justin nickte, immer noch Shadow beobachtend. „Das wäre wohl die einfachste Methode, nur wie lange wird die überfahrt dauern? Könnt ihr uns da in etwa eine Zeit nennen?“, erkundigte sich Moritz. „Nun, etwa drei Wochen, vielleicht auch vier“, antwortete der Lord und Moritz nickte. „Nun ich denke, sie werden nichts dagegen haben, wenn wir uns nun zum Schlafen zurückziehen, oder, Mylord?“, wollte Melody wissen und wie um ihre Worte zu unterstützen gähnte Timo in diesem Augenblick herzhaft. Lord Korala lachte laut auf, nickte dann: „Nein, ist in Ordnung. Schlaft euch nur mal ordentlich aus. Ihr müsst nur etwa eine Stunde, bevor ihr los wollt, bescheid sagen, damit wir das Schiff startklar machen können. Ansonsten wünsche ich euch angenehme Träume.“ Melody nickte höflich, dann trotteten sie alle hinaus auf den Gang und machten sich auf den Weg, in ihre Zimmer. Shadow fiel dabei immer weiter zurück, was anscheinend nur Justin auffiel, zumindest machte keiner Anstalt, auf sie zu warten, und so ließ auch er sich zurückfallen. „Shadow, was ist los?“, wollte er wissen. „Nichts… nichts…“, antwortete die Chito, doch ihre Stimme allein sprach ihrer Worte lüge, denn sie klang seltsam kraftlos, wie bei einem Menschen, der bis an seine körperlichen Grenzen und noch weiter gegangen ist und nun einfach nicht mehr weiter konnte, selbst dann nicht, wenn sein Leben davon abhängen würde. Und Shadow wusste, das ihre Worte im krassen Gegensatz zu ihrer Stimme standen, weswegen Justin nicht einmal darauf antwortete. Sie machte noch genau drei Schritte, dann musste sie sich schwer gegen eine Wand stützen, sonst wäre sie einfach umgekippt. „Shadow, was ist los?“, fragte Justin eindringlich. „Nichts, was du ändern könntest“, antwortete sie und atmete dabei schwer. „Shadow!“, fauchte Justin, „Sag, was los ist!“ Er hatte Angst um das Mädchen, vor allem, da vor seinem inneren Auge plötzlich Rei’s lebloser Körper auftauchte. Er wusste, dass er nie wieder einen seiner Freunde Tod sehen wollte und er wusste, dass er es würde, wenn es Shadow nicht bald besser ging, doch um ihr zu helfen musste er erst einmal wissen, was ihr fehlte. „Nichts, es ist nur die Hitze“, hauchte die Chito. „Wie, die Hitze?“, bohrte Justin weiter. „Na, die Hitze eben. Ich bin Kälte gewohnt, die Wüste hat mir nicht gut bekommen. Sobald wir wieder in kühleren Gebieten sind wird es mir sicher wieder besser gehen“, erklärte sie. Justin schaute sie forschend an, er spürte, das da mehr hinter wahr. Auch die anderen waren solche Hitze nicht gewohnt, aber keiner von ihnen war so fertig, wie Shadow. „Shadow, da ist noch etwas, nicht wahr?“, fragte er nach einigen Sekunden in besorgtem Tonfall. „Ja, aber ich will nicht, das irgendjemand es erfährt, ich will nicht, das ihr mich solange bearbeitet, bis…“, sie brach ab und vor stummer Pein kniff sie die Augen zusammen. „Shadow, es ist Nacht, draußen ist es nicht mehr allzu warm. Wenn du möchtest, dann können wir rausgehen und uns ein wenig unterhalten. Es ist leichter, mir Problemen fertig zu werden, wenn man mit jemanden darüber gesprochen hat“, erklärte er mit sanfter Stimme. „Ich weiß, aber ich weiß auch, was du sagen wirst und auf ein schlechtes Gewissen habe ich keine Lust, nicht wirklich“, antwortete sie und schaute zu Boden. „Und was ist, wenn ich nichts dazu sage? Egal ob ich es gut finde, oder nicht? Wenn ich nichts dazu sage und auch versuche, keinerlei Regung zu zeigen? Willst du es mir dann sagen?“, fragte er. Shadow schien einen Moment lang zu überlegen, dann schüttelte sie jedoch den Kopf. „Nein, nichts gegen dich, aber ich möchte es dir nicht verraten und wenn ich Pech habe, dann wirst du es sowieso bald wissen“, sagte sie und stieß sich von der Wand ab, ging mit schnellen Schritten den Weg weiter. Justin schaute ihr bedrückt nach und nahm sich vor, demnächst mehr auf die Chito zu achten, sie aber nicht wieder so zu bedrängen. Langsam ging auch er weiter. »Ich weiß, was mit ihr los ist«, meldete sich Jerry in seinem Kopf. Justin schaute sich um, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken. »Du suchst mich vergeblich, ich sitze hier bei deiner Geliebten und warte, dass du endlich auch mal auftauchst. Sie übrigens auch. Das du dich abgeseilt hast, ist ihr gerade nicht aufgefallen, aber jetzt wartet sie schon geduldig auf dich««, erklärte Jerry. „Ach so“, machte Justin, „und was ist mit Shadow?“ »Das werde ich dir nicht sagen. Solche Informationen musst du dir erarbeiten«, antwortete der Falke. „Wie? Wie soll ich mir denn so was erarbeiten? Soll ich deine Federn bürsten oder wie?“, murmelte Justin. »Es fällt dir schwer, deine Fragen nur zu denken, stimmt’s? Und nein, du brauchst nur meine Gedanken zu lesen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger«, meinte Jerry. „Ja, es fällt mir schwer. Ich bin es einfach nicht gewohnt, aber warum bist du eigentlich so versessen darauf, das ich deine Gedanken lesen kann?“, wollte Justin wissen. »Ganz einfach, weil es unser beider Leben retten kann. Wenn du immer, selbst im Schlaf, meine Gedanken kennst, dann kannst du mögliche Gefahren erkennen, ohne dass ich es dir sagen muss. Und das spart Zeit, vielleicht nur Sekunden, aber diese Sekunden können über Leben und Tod entscheiden, Bruderherz. Und wenn du unbedingt sterben willst, dann ist das deine Sache, aber ich hänge am Leben, egal wie beschissen es bisher war«, fauchte Jerry giftig. „Warte mal, hab ich das richtig verstanden? Selbst wenn ich schlafe, selbst wenn du schläfst, liest du meine Gedanken?!“, wollte der Rotschopf entsetzt wissen. »Schön, das du mir zuhörst«, war Jerrys Antwort und Justin wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass sein Bruder in diesem Moment von einem Ohr zum anderen grinsen würde, wenn ein Falke so etwas könnte. »Und ja, genau so ist es. Du hast, seitdem ich deine Gedanken lesen kann, nicht einen Gedanken gedacht, denn ich nicht kenne.« „Bastard“, knurrte Justin doch da kam ihn ein Gedanke. „Sag mal“, murmelte er, „wäre es dir denn gar nicht peinlich, wenn ich deine Gedanken lese und du gerade mit einem Mädchen…“ Jerry ließ ihn gar nicht aussprechen, da kam schon die Antwort: »Nur weil ich der Heeresführer bin, heißt das nicht automatisch, das ich immer ein eigenes Zelt oder ähnliches habe. So manches mal bestand unser Lager nur aus ein paar Decken und einem Feuer und auch da habe ich nie einen Grund gesehen, mir meine männlichen Triebe zu verkneifen«, brummte Jerry und Justin wurde rot, wie eine Tomate, als er sich eine solche Szene vorstellte. »Schamgefühl ist anerzogen, nicht angeboren, mein lieber«, fügte Jerry erklärend hinzu. „Okay. Okay, okay, ich werde wirklich mein gesamtes Leben ändern müssen“, befand Justin, den ihm wurde in just dem Moment klar, was es eigentlich genau bedeutete, nämlich, das er keinen geheimen Gedanken mehr hatte. »Oder aber du gewöhnst dich einfach daran, dass ich jedes dabei bin, wenn du dich mit deiner liebsten vergnügst«, griente Jerry „In jedem Fall ersteres“, knurrte Justin trocken. »Deine Entscheidung. Nun, wieder zum eigentlichen Thema, wenn du wissen willst, was mit Shadow ist, dann ließ meine Gedanken, anders wirst du nicht an diese Information rankommen«, meinte Jerry und schwieg danach. Egal, was Justin auch sagen mochte, Jerry antwortete nicht mehr und so ging Justin weiter zu seiner Unterkunft, denn er war während der Unterhaltung stehen geblieben. Das erste, was er sah, als er das Zimmer betrat, war Melody, die sich splitterfasernackt auf der Decke zusammengerollt hatte und schlief. Das zweite war ein Raubvogel, ein Turmfalke, der, egal wie unmöglich es auch war, es geschafft hatte, sein Schnabel zu einem breiten Grinsen zu verziehen, während er zwischen dem Mädchen und Justin hin und her schaute. Justin sagte nichts, sondern ging wortlos zum Fenster, schnappte sich seinen Bruder, und warf ihn schlicht und ergreifend aus dem Fenster. Da sie nicht im Erdgeschoss waren, hatte Jerry genügend Zeit, seine Schwingen auszubreiten und sanft zu Boden zu gleiten. Von dort aus schaute er noch einmal zum Fenster hoch, blitze Justin belustet entgegen, flatterte dann los, sich seine Beute zu fangen. Er war zwar keine Eule, das er in der Nacht sehen konnte, doch das Licht des Mondes, der wieder in einem fast vollständigem Kreis am Himmel stand, schenkte ihm genügend Licht, das er seinen Weg finden konnte. Außerdem würde bald die Sonne im Osten den Horizont empor klettern, dann hatte er in jedem fall genügend Licht, für die Jagd. Justin dagegen schaute noch einen Moment lang giftig das Fenster an, zog sich dann ebenfalls fast vollständig aus und legte sich ins Bett. Er wusste, dass er auch so schon genug schwitzen würde, vollständig angezogen war der Tag nicht durchzustehen. Auch nicht, wenn man ihn verschlief. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)