Fragmente von SamAzo (One Shot Sammlung) ================================================================================ Erinnerung ---------- Eine dunkle Gestalt sitzt auf der Brüstung des Hochhauses, auf dem wir uns befinden. Noch ist nicht ganz klar um wen es sich handelt und wir gehen näher, um einen eventuellen Selbstmörder aufzuhalten. Das machen wir nicht weil wir ein guter Mensch sind, nein. Lediglich deswegen, weil unser Auto dort unten steht und wir nicht wollen, dass er, wie der Zufall es will, ausgerechnet dieses trifft. Irgendwann wollen wir immerhin wieder nach Hause. Je näher wir kommen, umso besser erkennen wir einen jungen, dunkelhaarigen Mann, der die Beine baumeln lässt, als säße er lediglich auf einer zwei Meter hohen Mauer und nicht auf einem über 70 Meter hohen Haus. „Hey!“, sagen wir. „Das ist ziemlich hoch, bist du sicher, dass du da sitzen willst?“ Er ignoriert uns. Oder zumindest sieht es so aus, da er keinerlei Reaktion zeigt. „Hallo?“ Wir gehen noch näher an ihn heran um sicher zu gehen, dass er uns hört. „Ich soll die Tür zum Dach abschließen, du musst hier runter!“ Wieder null Reaktion. Vorsichtig schauen wir über den Rand hinab. Höhenangst haben wir keine, doch ab genügend Metern wollen wir auch nicht mehr sehen, wie hoch wir eigentlich sind. Schon jetzt ist jedes Auto, jeder Baum, jede Straßenlaterne und jeder Mensch dort unten viel zu winzig für unseren Geschmack. „Setz dich und genieße die Aussicht“, hören wir ihn sagen. „Nein, danke. Ich habe noch etwas zu erledigen. Kannst du jetzt bitte das Dach verlassen?“ Er schüttelt den Kopf. „Wenn ich gehe, dann so wie ich gekommen bin, da brauche ich keine Treppe für.“ „Wie bitte?“ Er schaut mich an und grinst schelmisch. „Setz dich einfach und leiste mir etwas Gesellschaft. Dann zeige ich es dir – vielleicht.“ Wir setzen uns, aber noch vor die Brüstung um auf keinen Fall hinab sehen zu können. Er schaut schweigend in den Himmel bis er sich irgendwann uns zuwendet. „Du bist nicht hier um die Tür abzuschließen! Dazu benötigt man keine Tasche wie diese“, bemerkt er. „Was geht dich das an?“ Er zuckt mit den Schultern, widmet sich der Umgebung indem er sich nun genauer umschaut und richtet sich wieder an uns. „Wen willst du erschießen?“ „Sehe ich aus als würde ich jemanden erschießen wollen?“ „Schade... Aber gut, dass hätte ich mir auch denken können. Wollen wir dann etwas plaudern? Wo ich doch wegen dir hier bin.“ Wir schauen wohl etwas verwirrt und zu allem Überfluss stellt sich dabei der Mund etwas auf, was noch wesentlich behämmerter ausschaut. „Keine Angst, ich bin weder von der Polizei noch ein Arzt. Die Polizisten die ich kenne, reagieren auf diese Aussicht genauso wie du gerade. Und Ärzte kenne ich ehrlich gesagt überhaupt keine.“ „Wer bist du dann? Ein Patient?“, wollen wir wissen. „Das ist eine lange Geschichte. Sehr, sehr lang. Wenn du wirklich etwas darüber hören willst, solltest du dir schon einmal etwas zu Trinken und zu Essen holen. Wobei ich nicht weiß, ob du es wert bist.“ „Na danke“, murmeln wir. „Aber ... du hast Glück. Ich denke es wäre eine tolle Erfahrung mal jemandem zu erzählen was ich bin, ohne ihn danach töten zu wollen.“ Wir schütteln den Kopf und verzichten dankend auf jede weitere Unterhaltung! Sein Grinsen wird noch eine Spur breiter und wir erkennen Zähne, die nicht aussehen wie die eines Menschen. Automatisch schlucken wir und schauen wie weit es bis zur Tür ist. „Zu weit, wenn du vor mir fliehen willst“, merkt er seelenruhig an. Wir überlegen. Ist es ok, wenn wir ihn erzählen lassen, in der Hoffnung das er uns wirklich gehen lässt? Wir sind alleine auf dem Dach, wenn wir hier herunter geworfen werden, wird jeder behaupten es war Selbstmord. Dabei sind wir gar nicht der Typ dafür. Wir sind nicht hier weil wir irgendwelche Depressionen haben und uns umbringen wollen. Wir haben lediglich ... uns. Aber es ist schon schlau von diesem Mann sich uns auszusuchen. Wer würde uns schon glauben? „Du bist ganz schön clever.“ „Bitte?“ „Du hast es wirklich schnell herausgefunden.“ „Aber ich haben nichts gesagt!“ Wieder grinst er uns an. „Ich sollte gehen!“ „Wieso denkst du von dir selber immer als 'wir'? Deswegen bist du hier, nicht wahr? Hab mich schon gefragt, was bei dir nicht richtig ist.“ Wir sagen nichts, stehen nur auf um zurück auf unser Zimmer zu gehen. „Du bist mir zu unheimlich“, sagen wir noch. „Dann werde ich weiter warten. Vielleicht kommt der ein oder andere Springer noch hier herauf. Was genau wolltest du jetzt eigentlich hier oben?“ „Wir... Ich wollte nur etwas Luft schnappen.“ „Verwirre ich dich?“ „Hör auf damit!“ „Dann bleib hier und höre zu. Oder schlaf meinetwegen, aber tu wenigstens so als würdest du zuhören.“ „Bist du so mitteilungsbedürftig?“ „Ich war fast tausend Jahre lang allein. Um zur Abwechslung also mal ehrlich zu sein, ja.“ „Such dir jemand anderen.“ „Nein. Dazu ist es zu spät.“ Was er mit uns tut ist unklar. Wir spüren nur jede Menge Wind. Jetzt liegen wir auf dem Rücken und schauen in den Himmel. Alles schmerzt. „Au...“ „Hättest du dich nicht gewehrt, hätten wir das Dach nicht wechseln müssen!“ „Was?“ Etwas hektisch schauen wir uns um und tatsächlich sieht es hier anders aus. „Was bist du?“ „Das weißt du noch immer nicht? Schaust du keine Filme?“ Er steht über uns gebeugt, so dass wir sein Gesicht sehen können. „Ich seh kein Fern. Normalerweise nicht. Davon bekomme ich Kopfschmerzen.“ „Oh man.. Ich bin ein Vampir. Davon hast du aber schon etwas gehört, oder?“ Wir lachen. „Klar, ein Vampir!“ Unser Lachen verstummt als wir seinen Gesichtsausdruck sehen. „Du meinst es ernst“, bemerken wir. „Hast du vorhin nicht meine Zähne gesehen? Ich scherze nicht!“ Wir zittern plötzlich, ohne etwas dagegen unternehmen zu können. „Das müssen die neuen Medikamente sein. Ich halluziniere!“ „Sind es nicht. Oder wie sonst solltest du plötzlich auf dem Gebäude gegenüber sein?“ „W ... warum willst du – was auch immer – einem Wildfremden erzählen, der es nicht einmal wissen will?“ „Weil das genau der Richtige für diesen Zweck ist.“ „Darum muss es auch jemand sein, dem niemals einer glaubt.“ „Richtig! Also hör einfach zu.“ - Endlich hält mein unfreiwilliger Zuhörer den Mund und ich kann anfangen zu erzählen. Gut, ich muss zugeben, dass meine Rangehensweise nicht die optimalste ist, aber die Idee kam zu spontan um gut durchdacht zu werden. Abgesehen davon war er der Erste, der mir über den Weg lief und jetzt einfach damit leben muss. Falls er es kann. Ich habe keine Ahnung was für einen Schaden er nehmen kann. Immerhin ist er sowieso etwas wirr im Oberstübchen. Oder ist das gemein es so zu nennen? Ach egal. Es soll um mich gehen und nicht um ihn. Das hier ist meine Nacht und garantiert nicht seine. Ist ja nicht so als habe ich ihn in einer Seitenstraße erwischt. Tz, nein, das wäre zu klischeehaft. 'Vampir überfällt armen Irren in dunkler nächtlicher Gasse' Nein, ganz schlecht. Er kam zu mir. Es war seine Entscheidung und ich habe kaum dabei getrickst. Der Kleine hat sich nicht mehr bewegt. Scheinbar hat er jetzt wirklich schiss. „Hier, deine Tasche. Dann liegt dein Kopf nicht so hart. Falls du liegen bleiben willst.“ Das gehörte zu meinen drei Minuten freundlich sein. Nur kein falsches Bild von mir bekommen! Ich setze mich neben ihn. „Es gibt viele Momente und Nächte in meinem Leben, über die ich berichten könnte. Einige davon sind erst einige Wochen her, andere bereits Jahrhunderte. Was interessiert dich am meisten? Oder soll ich 'euch' sagen?“ „Mach was du möchtest.“ Das tue ich so oder so. „Soll ich dir erzählen wie ich geworden bin wie ich jetzt bin? Ach nein, jeder Vampir erzählt darüber. Zumindest, wenn er mal die Gelegenheit dazu hat.“ „Wie alt bist du?“, fragt er. Noch immer starrt er in den Himmel, an die Stelle wo mein Gesicht noch bis eben war. „Ich war 23, inzwischen bin ich das seit knapp 1200 Jahren. Ganz genau kann ich es dir nicht sagen. Dazu hätte ich wohl mitzählen müssen.“ Er schweigt mich an. Ich könnte seine Gedanken lesen. Habe aber nicht so wirklich Lust darauf. „Wie heißt du?“ Ich schaue ihn an. „Mein Name..“ „Ja, wie heißt du?“ Wenn ich das nur wüsste. „Ist das wichtig? Musst du das wissen?“ „Es wäre ... einfacher.“ „Wie heißt du?“, fragte ich. „Hast du das nicht schon in meinen Gedanken gelesen?“ „Vielleicht. Aber man kann ja nicht immer alles vorher ausspionieren.“ „Miles“, antwortet er mir nach kurzem zögern. Ich nicke. „Bekomme ich jetzt deinen Namen auch zu hören?“ „Ich würde ihn dir sagen, nur weiß ich ihn nicht mehr.“ „Wie vergisst man seinen eigenen Namen?“ Das ist eine berechtigte Frage. „Irgendwo auf dem Weg zwischen hier und dort. Mein tot war ereignisreich und mein Kopf ist auch nur beschränkt aufnahmefähig.“ Er lacht. Er lacht über mich! Eigentlich sollte ich ihn aufhalten. Keiner lacht über mich, vor allem nicht, wenn ich gerade versuche mir meinen eigenen Namen ins Gedächtnis zurück zu rufen. „Halt den Mund! Und nenn mich einfach wie du willst. Vielleicht höre ich ja drauf.“ Noch immer grinst er. Irgendwie fange ich an ihn zu mögen. Er traut sich was, auch wenn er Angst hat. „Kanntest du berühmte Persönlichkeiten?“ „Wen?“ „Keine Ahnung.. Caligula?“ „Wer ist das?“ Etwas erstaunt schaut er mich an. „Ein römischer Kaiser.“ „Keine Ahnung“, sage ich schulterzuckend. „Was interessieren mich olle Kaiser?“ „Was bist du nur für ein Vampir?“ „Einer, der dir gleich den Mund zutackert. Das soll hier keine Fragestunde werden. Und im übrigen ist der Kerl schon länger tot, als ich auf der Welt!“ „Also kennst du ihn doch, Lügner!“ „Nein, ich kenne lediglich seinen Namen.“ Dass er mich als Lügner betitelt ignorier ich einfach, ihm zuliebe. „Na gut, lassen wir das. Wenn du unter allen umständen etwas los werden willst, dann erzähl über ... das Schlimmste was dir je passiert ist!“ „Wie kommst du denn auf diese Idee?“ Er zuckt mit den Schultern und schiebt sich die Tasche unter seinem Kopf zurecht. Er will wirklich liegen bleiben. „Kam mir als erstes in den Sinn.“ Er lächelt mich an, trotz seiner Angst. Ich höre sein Herz, laut und deutlich und es schlägt schneller als es gesund ist. Ich beobachte ihn noch eine Weile, bis es ihm wohl zu unangenehm wird und er lieber wieder in den Himmel schaut. Also gut. Will ich ihm mal erzählen, was er wissen möchte. „Das Schlimmste was mir je passiert ist. Das ist schon lange her. Kurz nachdem ich ein Vampir geworden bin. Gut 'kurz' ist vielleicht etwas untertrieben. Es dürften einige Jahrzente gewesen sein. Damals war ich mit einem anderen jungen Vampir unterwegs ...“ - „Quint, leg dich nicht mit ihr an! Sie ist eine Hexe, sie hat keinerlei Skrupel jemanden zu töten, schon gar nicht, wenn derjenige bereits tot ist.“ „Du bist ein Feigling. Was soll sie uns schon tun können?“ „Das will ich gar nicht wissen. Ehrlich, sie ist brutal und gemein. Obwohl sie ein Mensch ist, ist sie schlimmer als wir. Schrecklicher als der schlimmste von uns.“ „Oh bitte. Wie viele andere Vampire kennst du, Jirko?“ Der blonde Vampir strich sich einige Haare aus dem Gesicht ehe er seinem Freund antwortete. „Mit dir fünf. Aber das spielt keine Rolle! Es ist bekannt, dass sie keine Gnade kennt und du solltest dir wirklich überlegen, ob es das wert ist.“ „Das ist es! Überleg doch mal, wenn wir sie auf unserer Seite haben, kann uns nichts mehr aufhalten. Sie kann uns vor allem schützen.“ Quint ging weiter in den Wald. Der schmale, nur selten benutze Weg lag in tiefster Finsternis. Woran keiner der Beiden sich weiter störte. „Sie wird uns aber nicht schützen wollen. Die Leute aus dem Dorf Gestern haben dir doch gesagt wie sie auf Dämonen reagiert und für Menschen zählen wir halt dazu. Sie wird uns etwas schreckliches antun!“ Der Dunkelhaarige drehte sich zu seinem Freund um. Er grinste, ein Zeichen dafür, dass er das Ganze nicht wirklich ernst nahm. „Dann bleib hier. Sie wohnt dort alleine, das werde ich gerade noch schaffen.“ Jirko schüttelte den Kopf. „Und dich ihr alleine ausliefern, nein!“ Quint zuckte kurz mit den Schultern und ging weiter, während Jirko ihm folgte. Der Weg bis zu dem Haus der Hexe, wie der Blonde sie nannte, war nicht weit und eigentlich hätten sie schon längst dort sein können, doch Quint wollte unbedingt erst nach Mitternacht ankommen. Warum genau der Dunkelhaarige sich in den Kopf gesetzt hatte diese Frau heimzusuchen um sie dazu zu bringen ihnen zu helfen und sich verwandeln zu lassen, wusste Jirko nicht. Er hielt es für eine dumme Idee. Auch wenn es zuerst noch sehr vielversprechend klang. Nachdem sie die Bewohner dieser Gegend nach ihr befragt hatten, war seine Meinung zu diesem Plan sehr tief gesunken. „Pass auf. Ich habe mir überlegt, das ich wirklich alleine zu ihr gehe. Ich mein, wenn du vollkommen verlassen im Wald wohnen würdest und plötzlich, mitten in der Nacht, zwei unbekannte Männer auftauchen, wärst du auch misstrauisch, oder?“ „Das auf jeden Fall. Aber sie wohnt nicht umsonst alleine im Wald.“ „Wie kommt es eigentlich, dass du so ängstlich bist?“ „Ich bin nicht ängstlich. Lediglich etwas vorsichtiger als du.“ Wieder grinste Quint. „Wir sind so gut wie unsterblich, sie kann nichts machen!“ „Ich befürchte du unterschätzt sie.“ „Und ich befürchte du überschätzt sie! Sie ist nur ein Mensch auch wenn sie diese Kräfte hat.“ Jirko blieb stehen und lauschte in den Wald hinein. „Geh ohne mich. Wirklich! Ich habe keine Lust wegen dir eine Hexe als Feind zu haben.“ „Feigling“, nuschelte Quint leise. „Denk daran, dass ich dich hören kann.“ „Uh, wie konnte ich das vergessen? Ich schätze mal morgen Nacht bin ich wieder da.“ Jikro nickte einmal und verschwand in der Dunkelheit. „Und du bist doch ein Feigling!“, wiederholte Quint. Das Haus der Frau, Quint mochte es nicht sie Hexe zu nennen, stand auf einer kleinen Lichtung. Der Vampir schaute in den Himmel. Die Nacht war, bis auf wenige Wolken Sternenklar und der Mond nur eine winzige Sichel. Es hätte ihm sehr gut gefallen, wenn es stürmen würde. Das hätte seinen Auftritt irgendwie spannender gemacht. Jetzt würde das ganze keinen Spaß machen, also machte er kurzerhand eine Planänderung und klopfte ganz normal an. Zuerst blieb alles ruhig, so wie er es vermutet hatte. Normale Leute schliefen um diese Tageszeit ja auch für gewöhnlich. Er klopfte erneut und dieses Mal hörte er von drinnen einige Geräusche. Bis endlich jemand erschien, dauerte es jedoch noch etwas. Die Tür wurde nur einen Spalt breit geöffnet und eine Frau, die Quint garantiert nie als Hexe bezeichnet hätte, schaute zu ihm. „Es ist spät!“, merkte sie an. „Was gibt es dringendes?“ Der Vampir war etwas verwirrt. Sie sah nicht so aus, wie die Leute sie beschrieben hatten. Aber falsch war er auf keinen Fall, immerhin gab es nur dieses Häuschen hier. „Ich habe mich nur etwas verlaufen. Könnte ich reinkommen und mich etwas ausruhen? Ich bin auch sicher vor Sonnenaufgang wieder verschwunden.“ Die Hexe schwieg und schloss die Tür wieder. Quint war etwas verwirrt, hörte jedoch wie sie drinnen umherging und letzlich wieder zur Tür zurück kam. Hatte sie ihn schon durchschaut und einen Pflock geholt? Er hoffte nicht. „So, jetzt kannst du herein kommen.“ Mit diesen Worten öffnete sie die Tür erneut und ließ Quint herein. Er war noch nie in dem Haus einer Kräuterfrau, so wurden 'Hexen' in seinem Dorf genannt, umso neugieriger schaute er sich um. Auf den ersten Blick nichts ungewöhnliches. Trocknende Kräuter und Blumen an der Decke, einige kunstvoll zu einem Gesteck gebunden, Behälter mit ihm unbekantem Inhalt auf einem Regal weiter hinten und ein offener Kamin, an dem in einem kleinen Stöfchen einige Kräuter verbrannten. Der dadurch erzeugte Geruch brannte in seiner Nase, obwohl er nicht einmal regelmäßig atmete. Die Hexe schien es nicht weiter zu stören. Vermutlich war sie es einfach schon gewohnt. Sie hatte eine Decke um sich geschlungen und war barfuß, vermutlich hatte sie darum noch einmal die Tür geschlossen. „Es ist kein schwieriger Weg, aber bei Nacht leicht zu übersehen“, erklärte sie freundlich. „Hast du Hunger? Oder Durst?“ Quint schüttelte den Kopf. „Nein, ich möchte keine Umstände bereiten.“ Er rieb sich die Augen, als diese langsam anfingen zu tränen. Wenn er ehrlich zu sich selber sein würde, waren diese Kräuter das abartigste was er je gerochen hatte. Ihm wurde sogar etwas schlecht, was vollkommen unnatürlich war. Wie konnte sie in diesem Dunst nur leben? Anscheinend bemerkte sie es nicht, oder ignorierte es einfach. Freundlich lächelnd musterte sie ihn und ging langsam um ihn herum. Was ihm nicht sonderlich auffällig vorkam, da er zu sehr mit sich beschäftigt war. Der Rauch machte ihm zu schaffen. „Was machst du so spät noch im Wald?“ „Ich ...“ Das hätte er sich vielleicht auch noch ausdenken sollen. „Naja, eigentlich wollte ich lediglich etwas jagen. Nur dann, hab ich den Rückweg nicht gefunden.“ „Jagen? Ohne Waffen?“ „Oh ich habe Waffen! Ich dachte nur ich lasse sie draußen, damit ich dich nicht erschrecke.“ Sie schmunzelte als er sich wieder über die Augen strich. Seine Arme fühlte sich so schwer an. „Was hast du?“, fragte sie besorgt. „Ich weiß nicht. Anscheinend vertrage ich diesen Rauch nicht.“ „Kein Wunder. Er ist gegen Vampire.“ Quint schaute sie an und konnte beobachten wie sich ihr freundliches Lächeln in ein fieses Grinsen verwandelte. Jegliches Mitgefühl und jede Wärme war aus ihrer Stimme verschwunden. „Was willst du von mir?“, fragte sie streng. Dabei kam sie ihm so nahe, wie er niemanden freiwillig heranlassen würde. „Ich ...“ „Red nicht weiter!“, unterbrach sie ihn direkt wieder. Quint schwieg. Seine Augen tränten noch immer und er versuchte den Rauch aus seiner Nase zu halten um das Brennen los zu werden. „Setz dich lieber, solange du es noch alleine kannst.“ „Was?“ „Mach schon. Ich werde dich nicht auf einen Stuhl hieven wenn du dein Gleichgewicht erst einmal verloren hast.“ Erst als er versuchte sich zu bewegen, fiel ihm auf, dass ihm wirklich schwindelig war. Dieser merkwürdige Rauch war scheinbar so etwas wie eine Wunderwaffe. „Was ist das?“, wollte er wissen. Eine Antwort bekam er nicht. Stattdessen spürte er ihre Hand auf seiner Brust und wie sie ihn mit leichtem Druck zu einem Stuhl schob. Er ließ sich einfach darauf fallen. Unter normalen Umständen würde er sich nicht so herum schieben lassen. Was auch immer diese Kräutermischung ausmachte, sie war schwer zu ertragen und verhinderte jegliche Aktion seinerseits. Die Hexe setzte sich auf seinen Schoß und lehnte ihre Ellbogen auf seine Schultern. „Also noch einmal die Frage: Was willst du von mir?“ „Deine Hilfe. Ich brauche deine Hilfe.“ „Natürlich. So ein Dämon wie du, braucht ausgerechnet von mir eine Hilfestellung. Lüg mich nicht an!“ Quint schluckte und blinzelte einige Male um seine Sicht zu verbessern. Er wollte ihr in die Augen sehen, doch es war zu verschwommen. „Deine Macht, gepaart mit der Unsterblichkeit eines Vampires. Wir könnten viel erreichen.“ Sie machte einen abfälligen Laut und schüttelte den Kopf. „Ich bin unsterblich, Dummerchen! Wie alt bist du? 100 ... 200 Jahre? Ich bin doppelt so alt! Ganz ohne die negativen Seiten des Vampirdaseins. Kein Blutdurst, kein verbrennen bei Sonnenlicht ... Du musst verstehen. Ich liebe die Sonne. Ohne sie wäre ich nicht lebensfähig. Hast du jemals deine Geliebte mit auf eine Lichtung genommen und sie so lange verwöhnt, bis ihr beide nichts mehr konntet außer daliegen und das leichte prickeln auf der Haut zu spüren?“ Genießerisch schloss sie die Augen und schien sich an jenes Ereignis zu erinnern. „Die warme Luft um einen herum, die Blumen, die ihren vollen Duft nur tagsüber abgeben...“ Quint seufzte in die Erläuterung der Hexe und riss sie damit aus ihrer Erinnerung. „Oh... jetzt verstehe ich“, flüsterte sie. Ohne jede Vorsicht strich sie dem Vampir die Feuchtigkeit aus den Augen und sah ihn an. Quint konnte nun endlich in die Augen der Hexe sehen. Hätte er das vorher getan, hätte er ihr wahres Alter vielleicht erkannt. Denn auch wenn sie aussah wie mitte Dreißig, ihre Augen zeigten ein völlig anderes Alter. Beinahe liebevoll strich sie ihm über die Wange. „Der Vampir vermisst die Sonne. Oder zumindest jemanden den du mit ihr in Verbindung bringst. Wer ist es? Deine Geliebte? Deine Frau? Oder bist du einer von denen, die ihr eigenes Geschlecht bevorzugen?“ Er knirschte mit den Zähnen. Darauf musste er nicht antworten! Die Hexe lächelte wieder ihr, in keinster Weise, freundliches Lächeln. „Wie niedlich.“ Grob stieß sie sich von ihm ab, als sie aufstand um einmal um ihn herum zugehen. „Ich werde dir zeigen was passieren wird, wenn du die Sonne das nächste Mal siehst.“ Sie nahm ein Seil und fesselte die Hände des Vampirs, der es nicht schaffte sich dagegen zu wehren. Die Kräutermischung, die sie selber im laufe der Jahre entdeckt und perfektioniert hatte, ließ die Verbindung des dämonischen Geistes auf den toten Körper schwächer werden. Im besten Falle war er vollkommen hilflos und konnte nichts dagegen unternehmen. „Ich werde dir zeigen wie deine Zukunft aussieht!“ Langsam fiel es Quint sogar schwer die Augen offen zu halten. Was kaum tragisch war, da sich schon wieder genügend Tränen gebildet hatten, dass er nur verschwommen sah. Er musste hier raus, irgendwie an die frische Luft um diesem Rauch zu entkommen. Leider sah es nicht so aus, als würde es dazu kommen. Seit sie seine Hände gefesselt hatte, war sie nicht wieder in sein Sichtfeld getreten. Er hörte nur wie sie etwas verrieb und leise irgendwelche Dinge vor sich hin murmelte. Es waren wohl einige Minuten vergangen, so genau konnte der Vampir das nicht mehr einschätzen, als sie wieder zu ihm kam und sich erneut auf seinen Schoß setzte. „Trink!“, befahl sie. Quint schüttelte schwach den Kopf und versuchte dem Becher auszuweichen, doch es kostete erstaunlich viel Kraft, die er einfach derzeit nicht besaß. „Trink!“, wiederholte sie während sie ihn unsanft am Kinn festhielt und den Becher mit Gewalt gegen seine Lippen presste. „Ich will nicht, dass du mir den Wald zusammen schreist. Also trink gefälligst!“ Mit einem kurzen Griff an seinem Kiefer bekam sie ihn dazu etwas der Flüssigkeit im Mund zu lassen. Sie hob sein Kinn an, damit er das wenige was er getrunken hatte nicht wieder ausspucken konnte. Dennoch weigerte er sich es zu schlucken. „Glaub ja nicht, dass dir das hilft. Es reicht wenn es lange genug in deinem Mund war.“ Langsam summte sie, bis einige Minuten vergangen waren, und ließ ihn dann los um aufzustehen und die getrockneten Blumen und Kräuter, die über ihm an der Decke hingen, zu entfernen. Quint versuchte das ekelige Gebräu wieder los zu werden, dazu ließ er es einfach aus seinem Mund rinnen. Seit diesem, es war wohl ein Tee, fühlte es sich an, als habe er etwas im Hals, das er nicht durch räuspern beseitigen konnte. Er beobachtete, so gut es ging, was die Hexe tat und wunderte sich darüber, das sie ihn scheinbar mitten in ihrem Haus anzünden wollte. Wobei ihm der Ort ja eigentlich ganz egal sein konnte. Die Hexe fing an etwas auf ihm zu verteilen. Durch den Rauch konnte er nicht riechen was es war aber er hatte eine böse Vorahnung. „Ich hoffe du magst deinen kleinen Vorgeschmack“, flüsterte sie ihm ins Ohr, bevor sie einen brennenden Holzscheit auf seinen Schoß legte und selber einige Schritte zurück wich. „Viel Spaß!“, wünschte sie ihm mit einem gehässigen Ton. Die Hitze die ihn erfasste, verursachte Schmerzen die er mit nichts bisherigem vergleichen konnte. Das Feuer fraß sich über seinen Körper und verbrannte gierig alles was es erreichen konnte. Jedes züngeln der Flammen raubte Quint nicht nur den Verstand sondern auch etwas seines Bewusstseins. Schon im ersten Moment hatte er gehofft das es schnell gehen würde. Doch das war ein Wunschtraum. Auch wenn es an zu vielen Stellen und zu stark schmerzte, weigerten sein Körper und sein Geist sich aufzugeben. Als das alles verschlingede Feuer sein Gesicht erreichte, war das schmerzhafteste, als es sich seiner Augen bemächtigte. Der tiefe Atemzug, den er automatisch machte um zu schreien, brannte in seiner Lunge. Der Schrei, den er seit dem ersten stechenden Schmerz einfach nur herausbrüllen wollte, kam nicht. Kein Ton kam über seine weit aufgerissenen Lippen. Nur gut, dass es ihm in diesem Moment gleichgültig sein konnte. Es hätte ihm so oder so nicht weiter geholfen. Wasser traf ihn, eiskalt, was ihn genauso quälte wie das Feuer. Sein Körper zitterte und er konnte kaum erwarten, dass die Heilung einsetzen würde. Solange musste er aushalten. Lange würde es nicht dauern, hauptsache die Schmerzen würden verschwinden, und dann könnte er es dieser Hexe zeigen. Ja, das trieb ihn an, das half ihm diese Situation zu überleben und am Ende als Sieger da zustehen. Wenn er es sich nur lange genug einredete. Solange er noch konnte. Die Zähne fest aufeinander gebissen wartete er ab und verfluchte die Hexe in Gedanken auf das tödlichste. Die Heilung setzte für ihn nicht schnell genug ein. Als erstes verging der Schmerz, was ihn sichtlich entspannen ließ. Quint versuchte zu ihr zu sehen. Es war schwer etwas zu erkennen, aber am Ende trafen sich ihre Blicke. Sie grinste ein unheilvolles, breites Lächeln, das Quint sagte, dass sie noch lange nicht fertig mit ihm war. „Den letzten, armen Menschen hast du Gestern getötet, nicht wahr? Darum heilst du so schnell. Aber glaube mir, das wird sich bis zum Sonnenaufgang geändert haben.“ Wieder verteilte sie diese zähflüssige Masse auf ihm, von der er nicht genau sagen konnte was es war. So stark wie es brannte musste es irgendein Harz sein. Doch sicher war er sich bei der Vermutung nicht. Sie hatte sichtlich Spaß dabei, was sich darin äußerte, dass sie beinahe zärtlich das Zeug auf ihm verteilte. „Jetzt bist du wenigstens warm“, hauchte sie ihm entgegen, als sie seinen Blick bemerkte. Kaum das sie fertig war, zündete sie ihn erneut an und wieder traf ihn der Schmerz, den er eben erst hinter sich gelassen hatte. Dieses Mal behielt er die Zähne zusammen gebissen. Er versuchte den Schrei zu unterdrücken, was nicht sehr lange gelang. Noch bevor er die Augen schloss um sich dem laut- und sinnlosen Ausdruck seines Leidens zu widmen, sah er sie. Die Hexe setzte sich auf den Boden und genoß sichtlich was sie sah. Es dauerte immer länger bis sie ihn löschte und je öfter sie diese Prozedur wiederholte um so schwerer fiel es ihm zu ertragen was mit seinem Körper geschah. Dazu kam, dass, dadurch das er sich immer wieder heilte, sein Durst in ungeahntem Maße anstieg. Die Frage war nun, würde ihm die Qual oder der Durst den letzten Funken Verstand rauben? Die Hexe wusste genau wie es ihm ging und sie hatte recht behalten, denn inzwischen heilte so gut wie nichts mehr an ihm. „Bald ist Sonnenaufgang. Freust du dich schon?“ Irgendwann hatte sie die Decke gegen ein Kleid gewechselt, was er nicht sehen konnte und auch nicht weiter interessierte. „Vorher habe ich aber noch eine kleine Überraschung für dich. Als kleines Geschenk so zusagen.“ Quint wollte den Kopf schütteln, war jedoch nicht in der Lage dazu. Das nächste was er wahrnahm war der beste Duft der ihm jemals in die Nase gestiegen war. Blut. Ihr Blut und er konnte regelrecht spüren wie sein Körper zu der Quelle des Glücks wollte. Egal wie viel Kraft es kostete und Schmerzen bereitete, sein Körper machte sich selbstständig. Nur kam er nicht weit, da er noch immer an den Stuhl gefesselt war und sie hatte wirklich penibel darauf geachtet, dass weder der Stuhl allzu großen Schaden nahm, noch die Fesseln sich lösten. Die Hexe lachte. Ihr gefiel wohl der Anblick eines verzweifelten, verbrannten Vampires, der versuchte an ihren Lebenssaft zu kommen. Was er nicht tun könnte, wenn das Kräutergemisch noch wirken würde. Doch das war seit Stunden aus. „Du bekommst ein paar Tropfen. Ich will ja, dass du die Sonne sehen kannst, oder zumindest den blauen Himmel. Das letzte was du je sehen wirst! Abgesehen davon musst du schon selber hinaus gehen.“ Quint war es egal. Alles was zählte war ihr Blut. Er wollte ihr Blut. Jetzt! Sofort! Auf der Stelle! Und das bekam er. Zwar wirklich nur einige Tropfen, die sie auf sein Gesicht und in seinen Mund tropfen ließ, aber er würde schon einen Weg finden an noch mehr zu kommen. Irgendwie! Die Hexe öffnete ihre Tür und die frische, morgendliche Briese wehte herein. Quint spürte den kühlen Wind auf sich. Er hätte gezuckt, wenn nicht alle verbliebenen Sinne auf die Hexe gerichtet gewesen wären. „Nun komm.. du willst dich doch rächen, oder? Dann komm auch und zeig mir was für ein Dämon du bist“, hörte er sie sagen. Seine Arme waren so wund und taub, dass er nicht einmal bemerkt hatte, dass sie seine Fesseln beseitigte. Noch immer kam kein Ton über seine Lippen. Ansonsten hätte die Hexe ein Knurren hören können. Seine Augen funktionierten noch immer nicht, aber seine Nase und ein Sinn von dem er nicht sagen konnte wie er hieß, wiesen ihm den Weg. Sie lockte ihn auf eine kleine Wiese hinter ihrem Haus auf der Lichtung. Auch wenn er ein übernatürliches Wesen und unter normalen Umständen schneller und stärker war, kicherte sie. Sie tänzelte ohne jede Sorge, ließ den Vampir jedoch nicht aus den Augen. Er kam näher, jedoch eher langsam. Die Verbrennungen und die Tageszeit machten es ihm schwer. Das wenige was vom Morgengrauen zu sehen war, brannte schon zu genüge auf seinem geschundenen Fleisch. Was dann geschah, war außerhalb seiner Wahrnehmung. Er spürte einen anderen Vampir, einen den er kannte, der jedoch gar nicht da sein sollte. Das Nächste was er wirklich wahrnahm, war wie er mitsamt der Hexe auf dem feuchten Rasen lag. Quint ließ sich diese Chance nicht entgehen und biss zu. Sie wehrte sich, kam gegen den festen Griff ihres Opfers jedoch nicht an. Erst als sie sich nicht mehr bewegte löste er den Griff und schubste sie von sich. Das frische Blut wirkte sofort. Er erkannte die Äste über sich und sah wie sie langsam schärfer wurden. Der Wind bewegte die Blätter und erzeugte so ein leises Rauschen. Gebannt schaute Quint in den Himmel. Die Bäume schienen sich zu bewegen und er fühlte sich, als sei er Teil eines riesigen Mobile. Wann konnte man von hier die Sonne sehen? Er spürte die Hände des anderen Vampirs, die ihn in die sichere Dunkelheit zogen. „Jirko...“, hauchte Quint. Noch immer war seine Stimme nicht sonderlich gut zu hören. „Du bist ein Idiot. Ein dummer, hirnloser Idiot!“ „Ich hab dich auch vermisst.“ „Sie hätte dich getötet!“ „Aber ich lebe noch, anders als sie.“ „Glaub mir, sie ist nicht tot. Darum sollten wir auch so schnell wie möglich von hier weg. Meinst du, dass du schnell genug bist? Es wird sonst ziemlich knapp.“ Quint nickte. „Mir geht es blendend.“ „Sieht man. Das blühende Leben. Jetzt komm, ich will hier nicht länger bleiben!“ - „Wir kamen noch rechtzeitig in eine verlassene Höhle. Die nächsten zwei Nächte war ich damit beschäftigt wieder ich selber zu werden.“ Das war es, jetzt wusste er es. Ich sehe zu Miles. Seine Augen sind geschlossen. Der Mistkerl ist wirklich eingeschlafen! „Du kennst deinen Namen doch noch“, nuschelt er. „Was meinst du?“ „Der eine Vampir hieß Quint, der andere Jirko. Da es dein schlimmstes Erlebnis war, musst du Quint sein.“ „Ja, das bin ich...“ Das dieser Name damals schon kein richtiger war, erwähne ich einfacher halber mal nicht. Aber es war einer meiner Namen und er war ok. Miles sieht nicht so aus, als habe er viel mitbekommen, vielleicht besser so. Was soll ich jetzt noch sagen? Der Tag ist bis jetzt nur ein etwas hellerer Streifen am Horizont. Noch nicht weiter nennenswert. Es ist also noch Zeit bis zu meinem geordneten Rückzug. „Quintus“, nuschelte Miles. „Du und die Römer..“ Er grinst und blinzelt zu mir. Ich lehne mich auf die Ellbogen und schaue in den Himmel. Eine Frage habe ich dann doch. „Warum bist du mit einer Tasche auf das Dach gekommen?“ „Ein Geschenk.“ „Was hattest du vor?“ „Ich habe jemandem versprochen seinen Bildern fliegen beizubringen.“ „Was?“ „Na, weißt du was ein Scherenschnitt ist?“ „Ja, doch.. Hab ich mal was von gehört.“ „Einer in der Klinik macht den ganzen Tag nichts anderes. Lauter Schmetterlinge, Libellen, Enten. Ich glaube es war auch ein Schwan dabei. Auf jeden Fall liebt er alles was mit fliegen zutun und Flügel hat und ich habe ihm versprochen, das ich seinen Bildern das Fliegen beibringe.“ „Interessant. Was hast du vor?“ „Ich habe aus Taschentüchern kleine Fallschirme gebaut. Ich hoffe das reicht ihm.“ Jetzt lache ich. „Das ist nicht nett!“ Oh doch, das ist es. Von ihm, diesem anderen Irren gegenüber. „Die Idee ist toll, aber wieso willst du sie Nachts fallen lassen? Da sieht er sie doch gar nicht.“ „Sonst komme ich doch nicht auf das Dach.“ Ich schüttel den Kopf. Wie kommt man auf so eine Idee? „Pass auf. Ich dachte mir, wenn du mir schon, mehr oder weniger freiwillig, zuhörst, dann könnte ich auch etwas für dich tun.“ „Wirklich?“ Etwas überrascht schaut er auf und setzt sich. „Das würdest du machen?“ „Klar. Du gehst den Kerl wecken und ich werf die Dinger runter, dann kann er sie auch sehen.“ „Das wäre... nett.“ Eigentlich viel zu nett. Ich bin zu alt um nett zu sein! „Aber erst muss ich dich wieder auf das richtige Dach bringen.“ „Können wir da einfach gehen? Mir ist noch schlecht vom Weg hierhin.“ „Dann erkläre mir, wie du ungesehen rein gehen willst.“ „Da fällt mir schon was ein. Nur würd ich wirklich lieber gehen. Außerdem gibt es da unten einen guten Laden, da könnte ich was Frühstücken. Ich habe nämlich Hunger.“ „Hunger für zwei, was?“ „Für drei.“ Ich muss grinsen, genauso wie er. „Na gut, dann gehen wir halt ganz normal. Wie Menschen.“ „Ich bin ein Mensch.“ „Als ob ich das nicht wüsste.“ „Kannst du anderes trinken als Blut?“ „Wieso?“ „Ich will dich einladen.“ „Nein. Lieber nicht. Abgesehen davon, dass du höchst wahrscheinlich nicht einmal Geld dabei hast. Beim letzten Versuch habe ich mich tagelang schlecht gefühlt. Aber du kannst gerne Frühstücken. Ich warte solange.“ „Oh, stimmt ja. Mein Geld ist in meinem Schrank. Dann hat sich das erledigt.“ Ich stehe auf und reiche ihm eine Hand. „Ich bezahl schon.“ „Danke“, erwidert er fröhlich. „Sag mal, ist es nicht unglaublich dämlich, dass du nur dabei sitzen kannst?“ Er nimmt meine Hand und lässt sich hochziehen. So war das nicht geplant. Aber ich habe heute scheinbar eine sentimentale Nacht und benehme mich nur zur Hälfte wie ich selbst. „Man gewöhnt sich daran.“ Ich bezweifle, dass die Leute in dem 'Laden' nicht erkennen woher er stammt. Er trägt immerhin einen klinikeigenen Schlafanzug und ein kleines Bändchen am Handgelenk, mit irgendwelchen Daten darauf. Aber das erwähne ich einfach mal nicht. Er ist immerhin nicht dumm. Tatsächlich holt er eine Jacke aus seiner Tasche, von der ich mich frage, wieso er sie nicht schon eher angezogen hat. Für einen Menschen müsste es schon recht kühl hier oben sein. „Können wir?“, frage ich. „Aber klar. Solange es durch das Treppenhaus geht.“ Ich nicke. Nehmen wir halt die Treppe. - Wir sitzen hier nicht das erste mal. Nur die Uhrzeit ist eine vollkommen Andere als sonst. Die Bedienungen kennen uns noch nicht. Was in anbetracht unseres Begleiters vielleicht auch ganz gut ist. Der Laden ist noch fast leer. Nur ein Polizist in Uniform und ein Pärchen sind sonst noch hier. Noch ist unser Essen nicht da. Nur der heiße Kaffee steht vor uns. Auch Quint hat einen bestellt. Zur Tarnung, wie er uns sagt. Schweigend schütten wir Unmengen von Milch und Zucker in das dunkle Getränk. Sonst ist es zu bitter und das mögen wir nicht. „Hast du dich beruhigt, weil du geschlafen oder weil du dich an mich gewöhnt hast?“, fragt er. „Ich habe nicht geschlafen... Naja, vielleicht ein wenig gedöst an einigen Stellen.“ Wir hoffen, dass er uns nicht böse ist. Er selber hatte gesagt, dass es reicht wenn wir nur so tun als würden wir zuhören. Wir haben zugehört, solange es ging. Er schmunzelt und rührt unnützerweise in dem Kaffee den er sowieso nicht trinken wird. „Darf ich etwas fragen?“ „Du hast vorher auch nicht nach einer Erlaubnis gefragt, also nur raus damit.“ „Wenn du ... uns ... zu einem Vampir machen würdest, was würde passieren?“ Es ist schwer zuzugeben, dass wir selbst mit Tabletten nicht ganz alleine in unserem Kopf sind. Selbst jemandem, der es schon weiß. Quint schaut uns an. „Vermutlich nichts weiter“, antwortet er. „Es gäbe drei Möglichkeiten. Die Wahrscheinlichste ist, dass du einfach du selber bleibst. Oder in deinem Fall ihr selber. Das nächste, was öfters passiert wenn schon ein psychischer Defekt vorliegt – dir somit auch passieren könnte – wäre das du vollkommen deinen Verstand verlierst. Meistens leben diese Vampire allerdings nicht lange. Das letzte und Unwahrscheinlichste ist, dass du plötzlich alleine in deinem Kopf bist.“ Interessiert nicken wir. Das Essen kommt und die Bedienung fragt Quint erneut ob er nicht doch etwas haben will. Er lehnt ab, während wir etwas beleidigt sind, da sie netter zu ihm als zu uns ist. „Ich würde dich aber nicht zu meinesgleichen machen“, sagt er nachdem die Blondine weg ist. „Das will ich auch gar nicht. War nur neugierig.“ Wir fangen an zu essen und schauen ab und an zu ihm. Er achtet nicht auf uns sondern schaut nach draußen. Es wird heller. Wir wollen nicht, dass er wegen uns zu spät wegkommt. „Das Geschenk kann bis Morgen warten“, sagen wir darum. Jetzt sieht er uns an ohne ein Wort zu sagen und ohne das wir raten können was er denkt. „Vermisst du noch immer die Sonne?“, fragen wir deshalb. Ein trauriges Lächeln. „Ich vermisse nicht die Sonne. Nur eine Person. Eine einzige Person...“ Wir fragen lieber nicht um wen es sich handelt sondern essen weiter. „Morgen nach Sonnenuntergang auf dem Dach!“, sagt er plötzlich. Die Traurigkeit ist nicht mehr zu erkennen als wir ihn ansehen. „Morgen Abend!“, bestätigen wir seinen Vorschlag. „Dann lass es dir schmecken und pass auf, dass sie dich nicht erwischen.“ Quint legt Geld auf den Tisch, steht auf und geht. Er nimmt seinen vollen Kaffeebecher mit und wirft ihn in den Abfall. Wir schauen ihm hinterher, mit dem Gefühl ihn nicht wieder zu sehen. „Lassen wir uns überraschen!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)