Sirenenfang von Ur (Immunität ist alles) ================================================================================ Kapitel 3: Keine ---------------- Entschuldigt die lange Wartezeit, aber die vielen Projekte und das Studium lassen nicht so viel Zeit übrig. Ich hoffe, das Kapitel gefällt euch. Auch wenn einige sich ja beklagt haben, dass kaum was passiert, bleibt mir nichts anderes zu sagen, als dass ihr wohl noch warten müsst. Meine Geschichten kommen immer nur langsam in Gang ;) Liebe Grüße, ________________ Leo findet das natürlich alles kolossal witzig. Witzig, dass Calla mir erst nur ihren Mittelfinger zeigt und dann diesen unsterblich beschissenen Satz zu mir sagt. »Autogramme gibt’s heut nicht.« Als wäre ich irgendein Fangirl! So gut ist ihre Musik nun auch wieder nicht und sie schon mal gar nicht. Leo ist da anderer Meinung. Sie denkt jetzt, dass ich Calla toll finde. Und dass ich sie deswegen unbedingt rumkriegen will. Aber das sind verdrehte Tatsachen! Ich will sie ja bloß aus Prinzip rumkriegen. Weil ich verdammt noch mal jede haben kann. Das war schon immer so und das wird auch so bleiben. Calla ist keine Ausnahme. Ich finde innerhalb von kürzester Zeit heraus, was sie studiert und wie alt sie ist. Grundinformationen, die für die Jagd eventuell entscheidend sein könnten. Leo lacht sich kaputt. Sie hat mich als Sirene und Calla als meinen gehörlosen Meister genannt. Dabei sollte sie eigentlich eher dankbar sein. Immerhin ist es mir und meinem Genie zu verdanken, dass sie jetzt ihr Mauerblümchen endlich öffentlich an die Hand nehmen kann. Zumindest manchmal. Ich kann es kaum mit ansehen, wenn die beiden sich anstrahlen und Händchen halten und dabei so viele rosa Zuckerherzen versprühen, dass ich sicherlich bald einen Zuckerschock bekomme. Verliebte Pärchen sind so nervtötend. Und jetzt habe ich meine beste Freundin an die Monogamisten verloren. So ein Mist. Hanna ist ja wirklich ganz nett, aber sie hat trotz alledem zu kleine Brüste. Und ihre Hüfte ist zu breit. Und sie ist immer so still, wenn ich dabei bin, so als hätte sie irgendwie Schiss vor mir. Vielleicht ist das auch nur Ehrfurcht, weil ich in ihren Augen so was wie eine Kampflesbe bin. Leos Augen glitzern immer so fürchterlich, wenn sie Hanna ansieht. Und wenn Hanna Leos glitzernden Blicke bemerkt, dann wird sie immer rot und schaut verlegen zur Seite. Wirklich, das Glück meiner besten Freundin in allen Ehren. Aber bei so viel Kitsch möchte man doch einfach nur noch kotzen. Jedes Mal, wenn Hanna mit in unseren Stammladen kommt, dann hat sie ganz riesige Glubschaugen, die mit jedem knutschenden Pärchen, das sie sieht, noch größer werden. Insgeheim habe ich mich schon gefragt, ob Leo und sie überhaupt mal Sex haben. Ich werde Leo beizeiten mal fragen. Nicht, dass meine Freundin irgendwann noch vor sexueller Frustration vergeht. Das könnte ich nicht verantworten. Das Gruselige an der Sache ist, dass Leo ihren Zustand als Überlegenheit gegenüber meinem Zustand ansieht. Sie meint, dass eine glückliche Beziehung besser ist, als flatterhaftes Single- Dasein. Aber das ist wohl alles Ansichtssache und ich bin ganz anderer Meinung. Bevor ich mich an irgendein Mädchen binde und all die anderen schönen Frauen aufgebe, muss schon etwas Eklatantes passieren. Zum Beispiel die Apokalypse. Ich habe eine Bekannte, die auch öfter in Leos und meinen Stammclub geht, ein bisschen nach Calla gefragt. Auch wenn ich ihren Studiengang und ihr Alter schon kenne, kann es sicher nicht schaden, noch ein paar mehr Infos über sie zu erfahren. »Sie sammelt Glückskekse«, erklärt Maria mir, während sie leicht abwesend in einem dicken Schinken blättert, dessen Titel ich nicht lesen kann. Ich hebe die Augenbrauen. »Glückskekse? Wieso sollte jemand solche Dinger sammeln wollen?«, frage ich vollkommen perplex. Wenn Leo Schmuck sammelt, dann kann ich das ja gerade noch nachvollziehen. Aber selbst Briefmarken erscheinen mir sinnvoller als Glückskekse. »Keine Ahnung. Lina aus ihrer Band meinte, dass sie all diese kleinen Zettelchen aufhebt und an eine überdimensionale Pinnwand hängt«, murmelt Maria und runzelt leicht die Stirn, während sie wie ein Berserker durch das Buch blättert, offenbar auf der Suche nach einer essentiellen Information. Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Das Mädel trägt einen schwarzen Hut und eine ebenso schwarze Lederjacke. Sie raucht, singt in einer Band und klingt wie Marta von Die Happy, sie ist cool wie ein Kühlschrank. Aber all das wird bedeutungslos angesichts der unfassbaren Information, dass dieses Mädchen tatsächlich die winzigen Schnipsel aus Glückskeksen sammelt. »Und sie hat diesen Hund«, meint Maria und fährt sich gestresst durch das raspelkurze Haar, »Riesenvieh. ’N Rottweiler, glaub ich. Den nimmt sie fast überall mit hin, wenn der Hund dich schief anschaut, dann fällst du praktisch schon tot um.« Ich verziehe das Gesicht. Ich kann Hunde nicht ausstehen. Vor allem große Hunde. Jeder Mensch hat ein paar peinliche Geheimnisse und seit ich mit sechs Jahren mal von einem Dobermann gebissen wurde – die Narbe ziert immer noch meinen linken Oberarm – habe ich Schiss vor Hunden. Es passt mir nicht sonderlich in den Kram, dass Calla so ein Mordsvieh überall mit sich herumschleppt. »Und sonst so? Mag sie Blumen? Schokolade? Hat sie eine Freundin?«, frage ich. Maria hebt schmunzelnd den Kopf und sieht mich spitzbübisch aus ihren dunkelblauen Augen an. »Stehst wohl auf sie, wie?«, will sie wissen. Ich schnaube nur. »Und selbst wenn. Du kennst mich, mehr als eine Nacht ist nicht drin. Also was ist? Hat sie Jemanden?«, entgegne ich ungeduldig. Maria klappt das Buch zu und stopft es in ihre abgewetzte Ledertasche. »Soweit ich weiß, hatte sie als letztes ’ne Beziehung mit ’nem Kerl. Stefan hieß er, glaub ich. Geht in meinen Rhetorikkurs. So’n blonder Lulatsch«, erklärt sie mir bereitwillig, wirft sich die Tasche über die Schulter und klopft mir auf die Schulter. »Sie ist ’ne Hete?«, frage ich vollkommen verdattert und stehe ebenfalls auf. Maria lacht. »Schätzchen, hast du noch nie was von Bisexualität gehört? Na wie auch immer. Ich bin weg, hau rein!« Und mit diesen Worten wandte sie sich um und machte sich auf den Weg zu ihrem nächsten Tutorium. Bi. Na wunderbar. Weder Fisch noch Fleisch. Mädchen, die irgendwann mal mit einer Frau geknutscht haben und sich nun bisexuell nennen. So etwas kann ich nicht ausstehen. Aber was macht das schon. Ich will ja nur Sex und dann mache ich mich wieder aus dem Staub. Nach der Uni rufe ich bei Leo an und beklage mich bei ihr darüber, dass Calla bi ist. Leo findet das nicht schlimm. Natürlich nicht. Leo findet kaum etwas schlimm. »Du bist ja richtig besessen von dieser Calla«, meint sie amüsiert und ich höre, wie sie am anderen Ende in einen Apfel beißt. Ich grummele. »Ich bin nicht besessen. Ich bin engagiert«, verbessere ich sie. Leo lacht und verschluckt sich an ihrem Apfel. Geschieht ihr ganz recht. Ich lausche einige Sekunden ihrem Husten, dann antwortet sie. »Engagiert dabei, ein Mädchen flach zu legen, das dich nicht haben will«, gibt sie zurück. Für diese Formulierung könnte ich sie wirklich umbringen. »Was heißt denn hier ‚nicht haben will’? Noch hab ich mich ja gar nicht bemüht!«, erkläre ich bemüht lässig. Leo schnaubt. »Maus, wenn du schon drüber nachdenkst, ihr Blumen oder Schokolade zu schenken, – was ziemlich einfallslos ist, nebenbei gesagt – dann ist da mehr dran als dein übliches ‚Engagement’«, antwortet sie schlicht. Ich brodele stumm vor mich hin. »Übrigens hab ich mich letztens mit Lina unterhalten. Du weißt schon, die Bassistin aus Callas Band. Sie meinte, Calla ist Single. Und sie meinte auch, dass Calla keinerlei Interesse an bloßem Rumgebumse hat. Du siehst, ich informiere mich für dich«, sagt sie und ich höre überdeutlich das breite Grinsen. »Wie unglaublich fürsorglich von dir«, brumme ich ungehalten. Sie gluckst leise. »Wieso gibst du es nicht einfach auf und suchst dir ein anderes Opfer? Es gibt so viele Frauen, die auf dich fliegen«, meint sie beschwichtigend und ich höre den schmeichelnden Unterton in ihrer Stimme. Unweigerlich muss ich lächeln. »Ich gebe ja die anderen schönen Frauen dieser Welt nicht auf. Aber es kann nicht schaden, Calla nebenbei zu knacken«, erkläre ich ihr. Sie seufzt. »Na dann tu, was du nicht lassen kannst. Gehen wir heut Abend tanzen? Callas Band spielt auch.« Ich sehe es förmlich vor mir, wie sie ihre Augenbrauen wippen lässt, als sie die letzte Information ausspuckt. Ich grummele. »Bringst du deinen Unschuldsengel auch mit?«, frage ich schmollend. »Wenn du nichts dagegen hast?« Ich verdrehe die Augen. »Dann tu mir einen Gefallen und sag ihr, sie soll mich nicht immer wie das achte Weltwunder anstarren, ok? Das ist echt entnervend«, erkläre ich ihr. Sie räuspert sich. »Ich werd’s ihr ausrichten. Holst du uns um neun ab?« »Hmhm… bis dann!« Ich sehe ziemlich gut aus. Eigentlich sehe ich fast immer gut aus, aber heute Abend sehe ich besonders gut aus. Meine Haare liegen genauso, wie ich sie gerne habe, ich trage ein dunkelrotes, enges T-Shirt und eine schwarze, weite Hose. Vielleicht habe ich mir extra viel Mühe gegeben, was natürlich nicht an Calla liegt. Aber wenn ich sie heute Abend knacke, dann sollte ich dabei schon gut aussehen. Hanna sieht aus wie immer. Pferdeschwanz, ungeschminkt, Jeans und T-Shirt samt flache Stiefel. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals ein durchschnittlicheres Mädchen als Hanna kennen gelernt habe. Leo sieht natürlich umwerfend aus. Egal, wie viele Frauen ich als schön bezeichnen mag: Meine beste Freundin ist das umwerfendste, wunderschönste und tollste Mädchen auf dieser Welt. Wer was anderes behauptet, kriegt eins auf die Nase. Sie trägt mal wieder drei Viertel ihrer Schmucksammlung, den Großteil davon an ihren schmalen Handgelenken. Ausnahmsweise hat sie ihren unbändigen Locken nicht in einen unförmigen Dutt gezwängt, sondern trägt sie offen. Wenn sie nicht meine beste Freundin wäre und ich mich nicht mit Vorliebe durch die halbe Welt vögeln würde, dann würde ich sie vom Fleck weg heiraten. Wie so oft schieben wir uns an der Einlasskontrolle vorbei und ich bin beglückt darüber, dass Leo ihrem Anhang scheinbar wirklich gesagt hat, sie solle mich nicht immerzu anstarren. »Willst du auch was trinken?«, fragt Leo ihre Freundin laut gegen die dröhnende Musik ankämpfend. Hanna kaut nervös auf ihrer Unterlippe herum. Ich seufze schwer. »Drei Tequila«, sage ich zur Bardame und ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Hanna schwer schluckt. Hat wohl noch nie Alkohol getrunken, das kleine Küken. »Tequila ist unser Standard- Getränk«, erklärt Leo lächelnd. Ich schiebe Hanna und ihr je eines der Gläser hin, dann bezahle ich großzügigerweise für uns alle. »Danke«, murmelt Hanna verlegen und hebt vorsichtig das Glas an. Ihre Augen sind auf die Flüssigkeit gerichtet und ich frage mich, ob sie darauf wartet, dass Tentakel aus dem Glas sprießen und sie angreifen. »Prost«, sagt Leo gut gelaunt und wir stoßen behutsam an, um nichts zu verschütten. Wie zu erwarten bekommt Hanna einen Hustenanfall und ich muss mir krampfhaft ein Schmunzeln verkneifen. Hanna geniert sich immer noch, ausgelassen zu tanzen. Ich gestatte Leo gnädigerweise, mit ihr zusammen zu tanzen. Es ist ja nicht so, als müsste ich allein auf der Tanzfläche herumstehen. Ich finde schnell eine hübsche Asiatin, die ich hier noch nie gesehen habe und die für heute Abend mein Opfer sein wird. Sie wird entzückend rot, als ich ihr ein Kompliment für ihre schönen Hände mache. Zehn Minuten später knutsche ich schon mit ihr. Sie muss wohl noch ein wenig üben, aber ich bin immer gern bereit den weniger erfahrenen Frauen meine Fähigkeiten zu demonstrieren. Die Kleine drückt sich so verzweifelt an mich, als hätte sie Angst, ich laufe ihr weg. Unrecht hat sie ja nicht. Wenn ich heute Nacht mit zu ihr gehe und das kriege, was ich haben will – und das ist in diesem Fall zu 99 Prozent ihre Unschuld –, dann werde ich schneller verschwinden, als es ihr lieb ist. Sie wirkt nämlich so selig, als hätte sie gerade die Erfüllung all ihrer unschuldigen Träume gefunden. »Schönen guten Abend euch allen.« Die Stimme klingelt in meinen Ohren und unweigerlich lasse ich von der Kleinen ab, deren Namen ich gar nicht kenne. Die Bühne ist nicht mehr leer und die Tanzmusik hat gestoppt. Vor dem Mikrofonständer steht Calla, wie immer trägt sie ihren Hut, trägt sie schwarze Stulpen. Ihre weiße, kurzärmlige Bluse ist ziemlich weit ausgeschnitten. Zum ersten Mal fallen mir die Leberflecke in ihrem Gesicht aus, einer davon erinnert mich an Cindy Crawford. Ich merke kaum, wie die Fremde neben mir ihre Hand in meine schiebt, als wären wir ein ekelhaft kitschiges Pärchen. Als würden wir irgendwie zusammen gehören. »Ich hab die Band noch nie gehört«, verrät mir die Kleine. Ich runzele irritiert die Stirn und wende den Blick von Calla ab. »Wie ist eigentlich dein Name?«, frage ich zusammenhangslos. Sie wird rot und lächelt schüchtern. »Tian«, erklärt sie. Ich bringe ein Grinsen zustande. Ihr Blick wird ziemlich glasig, so verklärt schaut sie mich an. Manchmal frage ich mich auch, wie genau ich das mache. Dass solche Mädchen sich von mir um den Finger wickeln lassen, dass sie nicht merken, dass ich sie eigentlich nur verarsche. »…unser erstes Lied«, höre ich Callas Stimme und ich wende mich wieder der Bühne zu. Ihre dunklen Augen huschen über mein Gesicht und sie schmunzelt beinahe amüsiert, als sie die Hand wie immer lässig über das Mikrofon legt. Das Jubeln, Klatschen und Johlen der Frauen um mich her klingt wie ein undeutliches Rauschen, während ich den Blick nicht von ihr abwende und als sie zu singen anfängt, kriecht mir eine Gänsehaut die Arme hinauf. Ich schnaube verärgert, ohne die Augen von Calla zu nehmen. Sie singt und singt und singt als hätte sie noch nie etwas anderes getan. Dafür, dass sie so gut singen kann, kann ich sie noch weniger leiden. Ich weiß, dass Leo mich beobachtet und ich weiß, dass Tian mich immer noch anstarrt, als gäbe es nichts anderes außer mir. Aber ich hab keinen Nerv sie anzusehen. Als das erste Lied verklingt, klatsche ich nicht. Ich starre immer noch. »…eins unserer eigenen Lieder…« Ich könnte auf die Bühne steigen und sie einfach knutschen. »…für jemanden geschrieben, der…« Oder ich passe sie heute Abend nach ihrem Auftritt ab. »…As the siren sings!« Leo schiebt sich zu mir hinüber. Tian sieht sie misstrauisch an, doch ich beachte sie nicht. »Was gibt’s?«, rufe ich ihr zu. Leo grinst so breit, dass ihre Mundwinkel sicher bald ihre Ohren erreichen. Ich runzele die Stirn. »Hast du den Titel mitbekommen?«, entgegnet sie laut. Ich zucke die Schultern. »Nicht wirklich. Wieso?« Leo gluckst. Tian drückt meine Hand, doch ich achte nicht auf sie. »…force myself to look away…...« »Ich musste nur an dich denken, weil ich dich doch letztens Sirene genannt habe«, erklärt sie mir. Ich schüttele Tians Hand ab. Sie sieht verwirrt aus. »…and then I turn away, keep the distance, watch your back when you don’t see it...« Um die Kleine abzuschütteln, schiebe ich mich aus der Menge in Richtung Bar und bestelle mehr Tequila. »…close your ears and keep on going as the siren sings…« Sechs Tequila, zwei Bier und einen Barcardi- Cola später bin ich so betrunken, wie schon lange nicht mehr. Tian hängt mir wieder am Rockzipfel. Wir sitzen auf einer Couch am Rand und ich bin eifrig damit beschäftigt, sie ausgiebig zu befummeln. Ihre Wangen sind gerötet und sie atmet ziemlich schwer, während ich ungeniert und ziemlich benebelt ihren Hals beknabbere. »Hey«, sagt eine Stimme neben der Couch und ich löse mich widerwillig von meiner Errungenschaft dieses Abends, um aufzusehen. Prompt fühle ich mich etwas nüchterner. Da steht sie. Mein Gehirn verarbeitet die Information nur langsam, dass Calla mich gerade direkt ansieht und mit mir geredet hat. »Was gibt’s?« Ich bemühe mich, nicht zu lallen, aber es klappt nicht wirklich gut und fahre mir durch die Haare, während ich zu ihr aufsehe. Ich glaube, sie ist größer als ich. Wie ätzend. »Minderjährige müssen um zwölf raus«, sagt sie an Tian gewandt, die ziemlich sauer und peinlich berührt aussieht. Ich blinzele verwirrt. »Minderjährig?«, frage ich stumpf. Tian springt auf und stapft an Calla vorbei. Ich kichere matt. »Kommst du mit, eine rauchen?« Ohne nachzudenken stehe ich auf. Passt mir immerhin gut in den Kram, ich will Calla schließlich flachlegen. Dann kann ich das gleich einleiten, während ich mir einen Glimmstängel gönne. »Treibst du’s öfter mal mit Minderjährigen?«, erkundigt sich Calla beiläufig, während wir durch den Backstagebereich nach draußen gehen. Hier gibt es einen abgeschlossenen Hinterhof mit zwei Mülltonnen und einem Aschenbecher. »Nö. Kann ja keiner ahnen, dass sie so ein Küken ist«, gebe ich zurück. Meine Zunge ist vom Alkohol ziemlich schwer und es fällt mir schwer, deutlich zu sprechen. Calla schmunzelt, während sie sich eine Zigarette anzündet. Sie hat ihren Hut abgesetzt und fährt sich mit der freien Hand durch die braunen, leicht gelockten Haare. Calla schweigt, während sie raucht. Ich brauche zwei Anläufe, bis ich mein Feuerzeug zum Laufen kriege und schließlich ziehe ich ausgiebig an meinem Glimmstängel und puste den Rauch in Richtung schwarzen Nachthimmel. »Was studierst du eigentlich?«, will sie wissen. Ich drehe den Kopf zu ihr um, aber sie schaut nach oben in die wenigen Sterne, die man sehen kann. »Architektur«, antworte ich. »Hm. Wäre nichts für mich. Macht’s Spaß?«, will sie wissen und wendet ihren Kopf zu mir. Ich hab plötzlich das Gefühl, das ihre braunen Augen mich röntgen. Ihr Blick ist so durchdringend, dass ich schon wieder eine Gänsehaut bekomme, wie vorhin, als sie gesungen hat. Der Alkohol macht diesen Umstand nebensächlich. »Ja. Sonst wäre ich kaum schon im siebten Semester«, gebe ich zurück. Calla schmunzelt schon wieder. Es ist dieses blöde, lässige Schmunzeln, das sogar mich mit meinem Selbstbewusstsein ein wenig schrumpfen lässt. Sie nimmt ihre Kippe zwischen Zeige- und Mittelfinger, hält sie von sich weg und ich kann kaum blinzeln, da hat sie mich an die Backsteinmauer hinter mir gepinnt. Verwirrt starre ich sie an. Mein Gehirn ist gelähmt und mein Herz klopft plötzlich schneller als normal. Sie riecht nach einer Mischung aus Davidoff und Rauch. »Du starrst mich immer so an«, flüstert sie und meine Nackenhaare stellen sich auf, als ich ihren Atem auf meiner Haut spüre, »willst du was von mir?« Ich bin nie um eine Antwort verlegen, aber meine Zunge ist schwer und meine Kehle staubtrocken. Ich wüsste nicht, was ich antworten soll. Ein winziger, betrunkener Teil meines Gehirns will, dass sie mich küsst. »Bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen, oder?«, meint sie und schmunzelt schon wieder. Weil mir nichts zu sagen einfällt, beuge ich mich vor, um sie einfach zu küssen und ihr zu demonstrieren, dass ich etwas von ihr will und dass ich es auch bekommen werde. Aber bevor meine Lippen ihre berühren, hat sie sich aufgerichtet und ist von mir zurück getreten. Einen Moment lang sieht sie mich schweigend an, dann schnippt sie ihre Zigarette auf den Boden und tritt darauf. »Ich bin kein Mädchen für eine Nacht, Melina.« Und dann geht sie und lässt mich einfach stehen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)