Sirenenfang von Ur (Immunität ist alles) ================================================================================ Kapitel 1: Jede --------------- Hey! Ich freue mich, wenn ihr euch hierhin verirrt habt. Das ist meine Sidestory zu Muscheleffekt. Einige Situationen werden euch aus der vorigen Geschichte sicher bekannt vorkommen ;) Ich hoffe, dass es euch gefällt und freue mich wie immer über euer Feedback! Liebe Grüße, _________________________ »Ich weiß echt nicht, wie du das anstellst«, sagt Katja kopfschüttelnd, während wir durch die Gänge der Uni streifen, auf dem Weg zum nächsten Hörsaal. Ich zucke nur die Schultern und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen. Manchmal weiß ich selber nicht ganz genau, wie ich das eigentlich mache, aber Tatsache ist, dass mir die Frauen liebende Frauenwelt zu Füßen liegt. Manchmal glaube ich, dass selbst Katja mir zu Füßen liegt und die steht eindeutig auf Männer. Ihr Freund heißt Torben und der wird immer ganz unruhig, wenn er weiß, dass Katja mit mir unterwegs ist. Vielleicht sollte ich ihn beizeiten mal beruhigen. Katja ist nämlich eher nicht so mein Typ. Sie sieht zwar nicht schlecht aus, aber auch nicht so umwerfend, dass ich sie bei mir im Bett hätte haben wollen. »Tierischer Magnetismus«, entgegne ich lässig und schiebe meine Ledertasche etwas höher auf meine Schulter. Nach jedem Wochenende fragt Katja mir Löcher in den Bauch, wen ich flachgelegt habe. Ich frag mich wirklich, wieso sie daran so interessiert ist, wenn ich da an Leo denke. Die interessiert sich kein bisschen dafür und das obwohl sie lesbisch ist. Aber meine beste Freundin ist sowieso so ein Thema für sich und ich werde nie ganz verstehen, wie um alles in der Welt sie sich dermaßen auf ein einziges Mädchen versteifen kann. Es gibt einfach zu viele hübsche Mädchen auf dieser Welt. Eines von diesen Mädchen geht gerade an mir vorbei, ich kann mir ein leises Pfeifen nicht verkneifen, dann drehe ich mich um, um zu sehen, ob sie mir nachsieht. Tut sie nicht. Sie hebt nur die Hand mit ausgestrecktem Mittelfinger über die Schulter und Katja bricht in lautes Gelächter aus. Ich schnaube verärgert. »Offenbar gibt es doch noch Frauen, die deinem tierischen Magnetismus widerstehen können«, stichelt Katja gut gelaunt und gluckst immer noch amüsiert. Ich drehe mich noch einmal um und sehe gerade so, wie die Brünette um die Ecke biegt. »Ach, sei still. An deiner Stelle wäre ich zu Tode gelangweilt. Hast du eigentlich überhaupt Sex mit Torben?«, erkundige ich mich bissig. Ich mag es nicht, abgewiesen zu werden. Ich bin mir sicher, diese Unbekannte schon mal irgendwo gesehen zu haben, allerdings hab ich keine Ahnung, wo genau. Katja wird rot. »Natürlich haben wir Sex!«, sagt sie entrüstet, »Aber es geht doch nicht immer nur um Sex!« Ich hebe die Augenbrauen und sehe sie an. »Schatz… Geld und Sex regieren die Welt. Ich hab beides und deswegen geht’s mir wunderbar.« Wenn Leo diesen Satz gehört hätte, dann hätte sie mich sicherlich vorwurfsvoll angesehen und die Augen verdreht. Seit sie in dieses Hanna- Mauerblümchen verschossen ist, ist alles noch schlimmer geworden. Sie predigt mir immer, dass ich zu oberflächlich bin und dass sie hofft, dass ich mich eines Tages mal so richtig verliebe, damit ich weiß, wie das ist. Aber ich bin überhaupt nicht an diesem Liebesgefasel interessiert. Es bringt doch nur Ärger, sich so auf eine Person zu fixieren. Am Ende sitzt man allein da, frisst haufenweise Schokolade und heult sich die Augen rot, vergräbt sich in seinem Zimmer und zieht sich schmalzige Filme rein, nur um komplett im Selbstmitleid zu versinken. Ich finde das ziemlich verwerflich. Leo sagt immer, dass ein Leben ohne Liebe gar kein Leben ist und ich weiß sehr genau, dass sie dabei einen ihrer Lieblingsfilme zitiert, dessen Namen ich vergessen habe. Aber ich weiß, dass es ein schrecklich schmalziger Film ist und zu allem Überfluss ist es so eine Art Cinderella- Abklatsch. Ich weiß wirklich nicht, wie sie sich so was ansehen kann, ohne einen heftigen Würgreiz zu bekommen. Nach der Uni habe ich noch keine Lust, nach Hause zu gehen. Manchmal ist es zwar sehr praktisch, allein zu wohnen – vor allem, wenn es darum geht, einen Ort für Sex zu finden – allerdings habe ich eher selten das Bedürfnis, mich in meiner Wohnung zu verschanzen. Deswegen gehe ich jetzt noch was Essen und dann werd ich mal bei Leo anrufen und fragen, ob sie Lust hat, sich mit mir in den park zu setzen. Ich muss noch ein bisschen an meiner Hausarbeit machen und Leo ist gern draußen. Da können wir das gleich miteinander verbinden. Die Blätter der Bäume sind rot, orange und gelb-braun gefärbt, hier und da steht noch eine tapfere, grüne Tanne. Aber der Herbst hat sich unbestreitbar breit gemacht und ich lausche dem Rascheln des Laubes unter meinen Füßen, während ich mich auf den Weg zu meinem Lieblingsimbiss mache. Ich stehe auf mexikanisches Essen. Und der Typ, der in dem Imbiss kocht ist sehr nett und lustig drauf. Und je schärfer das Essen, desto besser. Ist ein bisschen so wie mit den Frauen. Ich unterhalte mich mit der Schwester des Imbiss- Inhabers, die zwar ziemlich gut aussieht, aber leider mit einem Mann verheiratet ist und als ich mit Essen fertig bin, winke ich den beiden zum Abschied und krame nach meinem Handy, um Leo anzurufen. »Ja?« »Hallo, hier ist der Traum deiner schlaflosen Nächte«, melde ich mich grinsend. Ich höre Leo leise lachen. »Interessant. Wie gut, dass ich mich selten an meine Träume erinnere«, sagt sie scheinheilig und ich schnaube entrüstet. »Sei netter zu mir, klar? Ich könnte später mal die Person sein, die dein Haus baut!« Ich höre es im Hintergrund klappern. »Ich werd mir das merken. Weswegen rufst du an?« Ich sehe Leo genau vor mir, wie sie in der Küche herum hantiert und den Hörer zwischen Schulter und Kopf geklemmt hat. »Ich muss noch was für meine Hausarbeit zeichnen. Hast du Lust, dich mit mir in den Park zu pflanzen?«, erkundige ich mich und hole meinen Schlüssel aus der Ledertasche, die über meiner Schulter baumelt. »Klar. Wenn du mir noch ne halbe Stunde Zeit gibst. Ich will noch Mittag essen«, erklärt sie. »Ok. Ich sitz dann unter dem altbekannten Baum«, sage ich, sie lacht und verabschiedet sich, dann legt sie auf. Eine Stunde später unterhalten wir uns wie so oft über die Tatsache, dass Leo jede haben könnte, wenn sie nur wollte und dass ich jede haben kann und das auch nutze, was Leo allerdings kein bisschen gutheißt. Ich versuche schon seit einiger Zeit ihr dieses Mädchen auszureden, auf das sie es abgesehen hat, allerdings fallen meine Ratschläge nicht wirklich auf fruchtbaren Boden. Leo ist – was Hanna angeht – mindestens genauso verbohrt wie ich, wenn es um meine zahllosen Liebschaften geht. Aber immerhin sind wir trotzdem beste Freundinnen und das schon seit dem Kindergarten. Ich weiß noch, damals war ich eine Heulsuse und Leo hat die Jungs immer verprügelt, die mich zum Weinen gebracht haben. Diese Rollenverteilung hat sich dann irgendwann während unserer Orientierungsstufenzeit geändert. Jetzt ist es relativ ausgewogen. Ich denke, Leo und ich haben, was Schlägereien mit Jungs, die der jeweils anderen wehgetan haben, angeht, ungefähr Gleichstand erreicht. Dabei sieht man ihr das gar nicht so an. Sie ist normalerweise ein sehr friedliebender Mensch. Sie spendet Blut, macht eine Ausbildung zur Logopädin und liest sehr viel. Alles in allem ist sie ein Engel. Solange man ihre Herzblätter – und das sind in diesem Fall Hanna und ich – in Ruhe und in Frieden lässt. »Steffi steht übrigens auf dich«, murmele ich, halb vertieft in meine Arbeit und ich aus dem Augenwinkel, wie Leo sich aufsetzt. Bis eben hat sie noch auf dem Rücken gelegen, während ich eifrig am Kritzeln bin. Hausarbeiten sind dermaßen lästig, ich hasse sie. »Wirklich? Das tut mir Leid«, antwortet sie und ich weiß, dass sie es auch so meint. Denn wer immer auch auf sie steht, hat wirklich Pech gehabt. Sie ist mit Haut Haaren einem Mädchen verfallen, das sich selbst für hässlich und unscheinbar hält. Und ich kann ihr da nur Recht geben. Hanna ist wirklich nicht sonderlich auffallend. »Wieso tut dir das Leid? Sie ist eine Granate im Bett«, gebe ich nachdenklich zurück und schnappe mir mein Radiergummi. Ich könnte schwören, dass sie die Augen verdreht. »Allein, weil sie mit dir geschlafen hat, finde ich sie vollkommen uninteressant«, erklärt sie mir sarkastisch und ich lache laut auf. Ich liebe meine beste Freundin, aber ich bin mir sicher, dass sie als alte, verbitterte Jungfer enden wird. »Dein Pech. Ich hätte nichts dagegen, sie noch mal zu haben«, meine ich und lege meinen Block beiseite. Dann höre ich auf zu grinsen und beuge mich verschwörerisch vor. »Sie ist hübscher als Hanna«, sage ich. »Aber nicht so umwerfend«, gibt sie schlicht zurück. »Steffis Brüste sind sehr hübsch«, meine ich. »Hanna kennt sich wunderbar mit Literatur aus«, erklärt sie scheinheilig. »Steffi hat ein Zungenpiercing.« »Hanna spendet für krebskranke Kinder.« »Steffi hat lange Beine.« »Hanna kann Blindenschrift lesen.« Ich stöhne entnervt auf und schnappe mir erneut meinen Block. »Ich weiß echt nicht, was ich bei dir noch machen kann«, sage ich gespielt verzweifelt. »Aufgeben«, schlägt sie grinsend vor. Das wird wohl das Beste sein. Während sie ihrem Mauerblümchen nachjagt, werde ich mir so viele hübsche Frauen auf der Welt gönnen, wie ich kriegen kann. Und eigentlich ist das jede, wenn sie nur auch an Frauen interessiert ist. Kapitel 2: Diese ---------------- So... da ich ja im Moment kein Internet habe (ich klaue es schon wieder bei meinen Nachbarn), dauern die Updates etwas länger. Aber hier ist das neue Kapitel und ich hoffe, dass ihr es mögt. Danke für die lieben Kommentare! Viel Spaß beim Lesen, Liebe Grüße, _____________________ Mein Wohnzimmerfenster steht weit offen, ich sitze auf der Fensterbank und hab mir einen Glimmstängel angezündet. Unten auf der Straße gehen viele Passanten vorbei, ich wohne direkt an einer Hauptstraße. Manchmal macht es Spaß, einfach nur hier zu sitzen und Leuten dabei zuzusehen, wie sie vorbeihasten oder Sachen fallen lassen und mit Freunden lachend herumalbern. Aber ich bin selten nur Beobachterin. Diesen Part habe ich auf meinen Lieblingsplatz auf dem Fensterbrett beschränkt. Viel lieber bin ich der Mittelpunkt des Geschehens. Ich mag mich so, wie ich bin und mache daraus auch keinen Hehl. Deswegen nennen mich viele Leute – vor allem neidische Mädchen und verbitterte Kerle, die keine ins Bett kriegen – arrogant. Wenn das bedeutet, dass ich kein Problem mit mir habe, dann bin ich gerne arrogant. Ich puste das letzte Mal den Rauch gen Himmel, dann drücke ich die Zigarette auf dem Fenstersims aus und schnippe sie hinunter auf die Straße. Anschließend rutsche ich vom Fensterbrett und mach das Fenster wieder zu, strecke mich kurz und werfe einen Blick auf die Uhr an der gegenüberliegenden Wand. Es ist halb sieben. Ich beschließe, dass es an der Zeit ist, duschen zu gehen und mich fertig zu machen. Ich will nachher noch weggehen. Leo hat leider keine Zeit, aber ich hab mich stattdessen mit zwei Mädels aus meinem Studiengang verabredet und sie überzeugt, mit mir zur Ladies Night in unserem Homo- Schuppen hier zu gehen. Sie sind zwar beide nicht lesbisch und haben blöde gekichert, als ich ihnen erzählt hab, dass sie wohlmöglich mal angebaggert werden, aber so ist es besser als ganz allein hinzugehen. Ganz manchmal mache ich das, aber es macht mehr Spaß, wenn man nicht ohne irgendjemanden an der Bar warten muss. Nachdem ich unter der Dusche war, trockne ich mich ab und mache mich daran, meine Haare in Form zu bringen. Meistens bin ich ungeschminkt, aber meine Frisur ist mir heilig. Ich sehe es förmlich schon vor mir, wie gestylt Lilli und Caro sein werden, wenn ich sie abhole. Ich selbst mag es lieber lässig und bequem, auch wenn ich abends ausgehe. Dann ist das höchste der Gefühle ein etwas größerer Ausschnitt. Ich nicke meinem Spiegelbild zufrieden zu und verlasse das Bad vollkommen nackt, husche in mein Schlafzimmer und krame in meinem Kleiderschrank herum, bis ich mich schließlich für eine schwarze Jeans und ein ebenfalls schwarzes T-Shirt entscheide. Leise summend packe ich alles, was ich brauche, in meine kleine, schwarze Eastpack- Tasche und werfe einen kurzen Blick auf mein Handy. ‚Eine Kurzmitteilung erhalten’, kündigt das Display an. Leise pfeifend schnappe ich meine Tasche, gehe ins Wohnzimmer und lasse sie auf meine dunkelrote Couch fallen. Dann setze ich mich daneben und öffne die Sms. »Hey Königin der Nacht, treib’s nicht zu wild heute Abend. Morgen Mittag telen? Lieb dich sehr, Leo« Ich grinse breit und puste mir eine blonde Ponysträhne aus dem Gesicht. Leo ist wirklich kreativ, was meine Spitznamen und Anreden angeht. Manchmal witzelt sie, dass ich sicher jedes Mal enttäuscht bin, wenn ich eine Sms von ihr anstatt von einer meiner hundert Verehrerinnen bekommen hab. Aber da irrt sie sich gewaltig. Ich freu mich immer riesig, wenn sie mir schreibt und abgesehen davon können meine hundert Verehrerinnen mir ohnehin nicht schreiben. Ich gebe niemals meine Handynummer raus. In meinem Telefonbuch stehen genau sechs Handynummern. Leo, Katja, Lilli, Caro, meine Eltern und meine kleine, siebzehnjährige Cousine Nina, auf die ich einen ziemlich schlechten Einfluss hab und mit der ich ab und an mal einen DVD- Abend starte. »Hallo Herzblatt! Du weißt doch, ich würde nichts tun, was ich sonst nicht auch tue. Ich ruf dich an, wenn ich ausgeschlafen hab und wieder nüchtern bin! Kuzzkuzz, Melli« Ich weiß genau, dass sie jetzt den Kopf schüttelt, grinst und sich denkt, dass sie wohl niemals etwas an meiner ausschweifenden Lebensart ändern kann. Aber es ist ein gutes Gefühl, dass sie mich trotzdem so nimmt, wie ich bin. Während ich mir meine ausgelatschten Stiefel binde und die Jeans hinein stecke, erinnere ich mich daran, wie es damals war, als wir beide langsam aber sicher herausgefunden haben, dass wir irgendwie anders sind als die Mädchen aus unserer Klasse. Leo und ich waren immer schon zusammen. Wir sind wie siamesische Zwillinge, auch wenn ich weiß, dass Leo mit mir nicht über alles reden kann. Über ihre Bücher oder ihre Einstellung zur Liebe. Aber sie weiß, dass ich mir den Arsch für sie aufreißen würde und dass sie sich immer auf mich verlassen kann. Ich war damals die Erste, die es gemerkt hat. Und witzigerweise war Leo diejenige, die mich darauf gebracht hat. Ich finde sie toll, fand sie immer schon toll. Aber damals, mit vierzehn, fand ich sie auf andere Art und Weise toll. Ich glaube, ich war vielleicht ein bisschen verschossen in sie. Aber man hört ja öfter davon, dass Mädchen in ihre beste Freundin verknallt sind, deswegen hab ich mir zuerst nichts dabei gedacht. Bis ich dann auf irgendeiner Party dieses Mädchen gesehen hab. Lara hieß sie, glaub ich. Sie war schon älter, hatte dunkle Haare, einen Undercut, eine Kippe im Mund und ein T-Shirt mit der Aufschrift ‚Nobody knows that I am Lesbian’. Ich wusste, dass ich es unbedingt ausprobieren wollte. Also hab ich’s getestet. Eigentlich wollte ich nur knutschen, aber dann kam doch alles anders und Lara war die Erste, mit der ich geschlafen hab. Sie hat mir auch später noch einiges beigebracht und mich in die Szene eingeführt. Heute hab ich keinen Kontakt mehr zu ihr, sie ist schon vor Jahren weggezogen: ich trauere ihr nicht nach, aber ich denke gerne an die Zeit zurück. Als ich es Leo gesagt hab, meinte sie ganz lässig, dass sie es sich schon gedacht hat. Bei ihr hat es anderthalb Jahre länger gedauert. Herrgott, ich weiß noch, wie sie gelitten hat. Liebeskummer ist wirklich Mist. Damals, als ich sie ständig trösten musste, da hab ich mir geschworen, dass ich niemals so durchhängen will. Ich hab beschlossen, dass Verliebtsein scheiße ist. Ich frag mich echt, woher Leo diesen Optimismus nimmt, wo sie doch fast ein Jahr lang hinter dieser Verena her war. Blöd nur, dass die nichts von Frauen wissen wollte. Seit damals ist Hanna allerdings die Erste, in die Leo sich wieder verliebt hat. Zwischendrin herrschte bei ihr eher Flaute. Die Haustür fällt hinter mir zu und ich knöpfe meine Jacke zu, summe immer noch leise vor mich hin und stecke mir eine Kippe an. Ein ziemlich kühler Wind weht mir um die Nase und es ist schon fast dunkel. Die Straßenlaternen spenden ekelhaft künstliches Licht und ich schiebe eine Hand in die Tasche meiner Jacke, mit der anderen halte ich meine Zigarette. Lara und Verena. Leo und ich sind uns einig, dass es gut so war, wie es war. Auch wenn ich eindeutig das bessere Los gezogen hab. Leo ist da anderer Meinung. Aber sie ist ja ohnehin ein komischer Kauz. »Liebeskummer gehört nun mal dazu«, pflegt sie zu sagen. Ich kann darüber nur die Augen verdrehen. Liebe ist so was Masochistisches. Nein, danke. »Es hat zwar wehgetan, aber ich hab auch daraus gelernt. Ich bin daran gewachsen. Du kannst dich auch nicht ewig drum herum schiffen!« Ja, Leo ist nicht nur eine hoffnungslose Romantikerin, sondern auch ungebrochene Optimistin. Manchmal frage ich mich, wie wir eigentlich so lange miteinander auskommen konnten. Aber es funktioniert wirklich ganz hervorragend. Und das obwohl ich ein emotionaler Krüppel und ein elender Realist bin. Wie ich erwartet habe, sehen Caro und Lilli aus, als wollten sie auf eine Miss- Wahl gehen. Caro ist größer als ich, hat lange, braune Haare und so lange Wimpern, dass sie fast bis zu ihren Augenbrauen reichen. Ihre langen Beine stecken in einem sehr kurzen Rock und enden in hohen Pumps. Ich frage mich, wie sie darauf tanzen will. Lilli hat eine knallenge, weiße Röhrenjeans an. Ihre roten Korkenzieherlocken beißen sich ziemlich mit dem kräftigen Blau ihres T-Shirts, das so einen riesigen Ausschnitt hat, dass ihre großen Brüste mir beinahe entgegen fallen. Als ich demonstrativ darauf starre, kichert Lilli. »Wenn du vorhast, dich heute Nacht abschleppen zu lassen, dann ist das genau das richtige Outfit«, sage ich leicht spöttelnd und Caro und Lilli lachen mädchenhaft hoch und winken ab. Ich bin mir sicher, dass Lesben für sie so ähnlich sind wie Kerle. Nur, dass sie mit denen nicht schlafen. Ich muss in unserem Homoschuppen nie anstehen. Die Einlasskontrollen sind eigentlich immer dieselben und ich hab – bis auf eine, die mir eindeutig zu maskulin ist – mit allen schon gevögelt. Caro und Lilli kichern noch exzessiver, als ich ihnen erkläre, wieso wir nicht anstehen mussten. Sobald wir unsere Jacken abgegeben haben, hat Lilli eine Kampflesbe am Hosenzipfel und ich helfe ihr nicht, sondern grinse nur und sehe zu, wie sie immer röter anläuft. »Ich hab sie ja gewarnt«, sage ich zu Caro, die aussieht, als wäre sie halb neidisch, halb erleichtert darauf, dass Lilli nun eine Interessentin an der Backe hat. Ich meine mich dunkel zu erinnern, dass die Kampflesbe Krissie heißt. Ich beobachte sie und Lilli eine Weile lang amüsiert, dann will ich was trinken und beschließe, dass ich Lilli hier nicht allein stehen lassen kann. »Hey«, sage ich lässig und schiebe mich zwischen die beiden. Krissie sieht mich an und ich bin mir sicher, dass bei ihr der Groschen fällt. »Melina«, sagt sie und es klingt, als wäre sie nicht sicher, ob sie begeistert oder abwertend reden will. »Gehört sie zu dir?«, will Krissie wissen und ruckt in Richtung Lilli. Ich grinse. »Ich würde nicht ‚Nein’ zu ihr sagen, aber sie ist ne Hete«, erkläre ich. Krissie hebt die Augenbrauen, dann grinst sie. »Sag das doch«, meint sie an Lilli gewandt, dann hebt sie die Hand und verschwindet in der Menge. Lillis Wangen leuchten knallrot. »Ich will Tequila«, sage ich ausgelassen und schiebe mich nach der Rettungsaktion hinüber zur Bar. Caro und Lilli folgen mir, hektisch miteinander tuschelnd. Zweifellos geht es um die gerade erlebte Baggeraktion. Ich rette die beiden noch aus zwei brenzligen Situationen, dann haben sie den Dreh raus und geben sich einfach als Pärchen aus. Nach dem sechsten Tequila geht es mir ziemlich gut und ich tanze ausgelassen mit den beiden, während ich es mir nicht verkneifen kann, den Blick über die Menge schweifen zu lassen, um eine eventuelle Kandidatin für heute Nacht zu finden. »Meintest du nicht, dass es heute Abend Live- Musik gibt?«, ruft Caro mir durch den dröhnenden Bass zu. Ich nicke und deute auf die kleine Bühne, auf der schon Instrumente aufgebaut sind. »Wie heißt die Band denn?«, fragt Lilli laut. Ich grübele kurz, dann zucke ich die Schultern. Ich weiß, dass die gleiche Band hier ziemlich oft spielt. Eigentlich immer zur Ladies Night. Und wie zur Bestätigung meiner Gedanken geht die Musik aus und einige Scheinwerfen richten sich zitternd auf die Bühne. Die anwesenden Frauen und Mädchen drehen sich der Bühne zu und einige johlen und klatschen schon. Lilli und Caro sehen ziemlich gespannt aus, als wäre es ein echtes Highlight, das eine Band in einem Homoschuppen spielt. Sie scheinen sehr neugierig zu sein, wie eine Lesbenband aussieht. Vier junge Frauen schieben sich auf die Bühne. Die Frontsängerin trägt einen schwarzen Hut und Armstulpen und ein weißes Tanktop. Sie schiebt das Mikrophon in den Ständer und lässt den Blick über die Menge schweifen. Für einen kurzen Moment streifen ihre dunklen Augen mein Gesicht. Empört erkenne ich sie wieder. Das Mädchen, dem ich nach gepfiffen hab und die mir darauf nur ihren Mittelfinger gezeigt hat. Als sie ihren Blick abwendet grinst sie breit. »Schönen guten Abend«, sagt sie lässig ins Mikro und würdigt mich keines Blickes mehr. »Du starrst sie an wie das achte Weltwunder«, sagt Lilli grinsend. Ich werfe ihr einen bösen Blick zu. »Ich hab nicht gestarrt. Ich hab nur gerade beschlossen, dass ich die heute Nacht mit nach Haus nehme!« Caro und Lilli sehen beeindruckt aus, so als hätte ich gerade den Weltrekord im Langzeittauchen gebrochen. Ich wende mich der nächstbesten Frau neben mir zu. »Wie heißt die Sängerin gleich noch mal?«, frage ich stirnrunzelnd. »Calla«, antwortet die Fremde und grinst breit, »sie ist klasse, oder?« Ich antworte nicht, sondern starre sie nur an. Ihre Stimme klingt wie Marta von Die Happy. Witzigerweise covern sie sogar zwei Lieder von meiner Lieblingsband. Calla sieht mich den ganzen Abend nicht an, aber ich mir sicher, dass sie mich erkannt hat. Lilli und Caro scheinen sich prächtig zu amüsieren, ich selbst tue so, als hätte ich glänzende Laune und singe mit, klatsche ab und an und tanze zum einen oder anderen Lied. Aber insgeheim brodele ich darüber, dass sie mir einen Korb gegeben hat – auch wenn das eigentlich lächerlich ist, da ich ihr ja lediglich hinterher gepfiffen habe. Trotzdem. Ich bin verlegenes Blinzeln, geschmeicheltes Grinsen und interessierte bis begehrliche Blicke gewöhnt. Und nicht berechnende Ignoranz und einen ausgestreckten Mittelfinger. Callas Band ist wirklich gut und heute achte ich das erste Mal so richtig darauf. Calla strahlt so eine Art lässig schlichten Glanz aus, wie sie da auf der Bühne steht, eine Hand locker über das Mikrophon gelegt und immer im Takt der Musik in Bewegung. Sie ist so cool, dass ich kotzen könnte. Und singen kann sie auch noch. Eine Stunde lang spielen sie, – ich hab den Namen der Band schon wieder vergessen – dann verabschieden sie sich unter Jubelrufen und Applaus von der Bühne. »Ich bin mal eben kurz weg«, rufe ich Lilli und Caro zu, schiebe mich durch die Menge an der Bar vorbei, bis nach hinten, wo eine schlichte weiße Tür zu den Toiletten und dem Backstage- Bereich führt. Ich will gerade an die Tür klopfen, da öffnet sie sich von allein und Calla rennt fast gegen mich. Offensichtlich wollte sie aufs Klo. Sie sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an. Den Hut hat sie abgesetzt. Ich sehe ein paar kleine Schweißperlen auf ihrer Stirn. Links über ihrer Oberlippe hat sie ein Muttermal. Gerade will ich den Mund öffnen und irgendetwas Cooles sagen, aber mir fällt nichts ein und das leicht amüsierte Grinsen auf Callas Gesicht hilft mir nicht gerade. Wortlos schiebt sie sich an mir vorbei. »Autogramme gibt’s heut nicht«, sagt sie noch, dann schwingt die Tür der Toilette zu und ich stehe da wie der letzte Trottel. Aber eins weiß ich. Ich werd sie schon noch kriegen und wenn’s das letzte ist, was ich tue. Kapitel 3: Keine ---------------- Entschuldigt die lange Wartezeit, aber die vielen Projekte und das Studium lassen nicht so viel Zeit übrig. Ich hoffe, das Kapitel gefällt euch. Auch wenn einige sich ja beklagt haben, dass kaum was passiert, bleibt mir nichts anderes zu sagen, als dass ihr wohl noch warten müsst. Meine Geschichten kommen immer nur langsam in Gang ;) Liebe Grüße, ________________ Leo findet das natürlich alles kolossal witzig. Witzig, dass Calla mir erst nur ihren Mittelfinger zeigt und dann diesen unsterblich beschissenen Satz zu mir sagt. »Autogramme gibt’s heut nicht.« Als wäre ich irgendein Fangirl! So gut ist ihre Musik nun auch wieder nicht und sie schon mal gar nicht. Leo ist da anderer Meinung. Sie denkt jetzt, dass ich Calla toll finde. Und dass ich sie deswegen unbedingt rumkriegen will. Aber das sind verdrehte Tatsachen! Ich will sie ja bloß aus Prinzip rumkriegen. Weil ich verdammt noch mal jede haben kann. Das war schon immer so und das wird auch so bleiben. Calla ist keine Ausnahme. Ich finde innerhalb von kürzester Zeit heraus, was sie studiert und wie alt sie ist. Grundinformationen, die für die Jagd eventuell entscheidend sein könnten. Leo lacht sich kaputt. Sie hat mich als Sirene und Calla als meinen gehörlosen Meister genannt. Dabei sollte sie eigentlich eher dankbar sein. Immerhin ist es mir und meinem Genie zu verdanken, dass sie jetzt ihr Mauerblümchen endlich öffentlich an die Hand nehmen kann. Zumindest manchmal. Ich kann es kaum mit ansehen, wenn die beiden sich anstrahlen und Händchen halten und dabei so viele rosa Zuckerherzen versprühen, dass ich sicherlich bald einen Zuckerschock bekomme. Verliebte Pärchen sind so nervtötend. Und jetzt habe ich meine beste Freundin an die Monogamisten verloren. So ein Mist. Hanna ist ja wirklich ganz nett, aber sie hat trotz alledem zu kleine Brüste. Und ihre Hüfte ist zu breit. Und sie ist immer so still, wenn ich dabei bin, so als hätte sie irgendwie Schiss vor mir. Vielleicht ist das auch nur Ehrfurcht, weil ich in ihren Augen so was wie eine Kampflesbe bin. Leos Augen glitzern immer so fürchterlich, wenn sie Hanna ansieht. Und wenn Hanna Leos glitzernden Blicke bemerkt, dann wird sie immer rot und schaut verlegen zur Seite. Wirklich, das Glück meiner besten Freundin in allen Ehren. Aber bei so viel Kitsch möchte man doch einfach nur noch kotzen. Jedes Mal, wenn Hanna mit in unseren Stammladen kommt, dann hat sie ganz riesige Glubschaugen, die mit jedem knutschenden Pärchen, das sie sieht, noch größer werden. Insgeheim habe ich mich schon gefragt, ob Leo und sie überhaupt mal Sex haben. Ich werde Leo beizeiten mal fragen. Nicht, dass meine Freundin irgendwann noch vor sexueller Frustration vergeht. Das könnte ich nicht verantworten. Das Gruselige an der Sache ist, dass Leo ihren Zustand als Überlegenheit gegenüber meinem Zustand ansieht. Sie meint, dass eine glückliche Beziehung besser ist, als flatterhaftes Single- Dasein. Aber das ist wohl alles Ansichtssache und ich bin ganz anderer Meinung. Bevor ich mich an irgendein Mädchen binde und all die anderen schönen Frauen aufgebe, muss schon etwas Eklatantes passieren. Zum Beispiel die Apokalypse. Ich habe eine Bekannte, die auch öfter in Leos und meinen Stammclub geht, ein bisschen nach Calla gefragt. Auch wenn ich ihren Studiengang und ihr Alter schon kenne, kann es sicher nicht schaden, noch ein paar mehr Infos über sie zu erfahren. »Sie sammelt Glückskekse«, erklärt Maria mir, während sie leicht abwesend in einem dicken Schinken blättert, dessen Titel ich nicht lesen kann. Ich hebe die Augenbrauen. »Glückskekse? Wieso sollte jemand solche Dinger sammeln wollen?«, frage ich vollkommen perplex. Wenn Leo Schmuck sammelt, dann kann ich das ja gerade noch nachvollziehen. Aber selbst Briefmarken erscheinen mir sinnvoller als Glückskekse. »Keine Ahnung. Lina aus ihrer Band meinte, dass sie all diese kleinen Zettelchen aufhebt und an eine überdimensionale Pinnwand hängt«, murmelt Maria und runzelt leicht die Stirn, während sie wie ein Berserker durch das Buch blättert, offenbar auf der Suche nach einer essentiellen Information. Ich weiß wirklich nicht, was ich sagen soll. Das Mädel trägt einen schwarzen Hut und eine ebenso schwarze Lederjacke. Sie raucht, singt in einer Band und klingt wie Marta von Die Happy, sie ist cool wie ein Kühlschrank. Aber all das wird bedeutungslos angesichts der unfassbaren Information, dass dieses Mädchen tatsächlich die winzigen Schnipsel aus Glückskeksen sammelt. »Und sie hat diesen Hund«, meint Maria und fährt sich gestresst durch das raspelkurze Haar, »Riesenvieh. ’N Rottweiler, glaub ich. Den nimmt sie fast überall mit hin, wenn der Hund dich schief anschaut, dann fällst du praktisch schon tot um.« Ich verziehe das Gesicht. Ich kann Hunde nicht ausstehen. Vor allem große Hunde. Jeder Mensch hat ein paar peinliche Geheimnisse und seit ich mit sechs Jahren mal von einem Dobermann gebissen wurde – die Narbe ziert immer noch meinen linken Oberarm – habe ich Schiss vor Hunden. Es passt mir nicht sonderlich in den Kram, dass Calla so ein Mordsvieh überall mit sich herumschleppt. »Und sonst so? Mag sie Blumen? Schokolade? Hat sie eine Freundin?«, frage ich. Maria hebt schmunzelnd den Kopf und sieht mich spitzbübisch aus ihren dunkelblauen Augen an. »Stehst wohl auf sie, wie?«, will sie wissen. Ich schnaube nur. »Und selbst wenn. Du kennst mich, mehr als eine Nacht ist nicht drin. Also was ist? Hat sie Jemanden?«, entgegne ich ungeduldig. Maria klappt das Buch zu und stopft es in ihre abgewetzte Ledertasche. »Soweit ich weiß, hatte sie als letztes ’ne Beziehung mit ’nem Kerl. Stefan hieß er, glaub ich. Geht in meinen Rhetorikkurs. So’n blonder Lulatsch«, erklärt sie mir bereitwillig, wirft sich die Tasche über die Schulter und klopft mir auf die Schulter. »Sie ist ’ne Hete?«, frage ich vollkommen verdattert und stehe ebenfalls auf. Maria lacht. »Schätzchen, hast du noch nie was von Bisexualität gehört? Na wie auch immer. Ich bin weg, hau rein!« Und mit diesen Worten wandte sie sich um und machte sich auf den Weg zu ihrem nächsten Tutorium. Bi. Na wunderbar. Weder Fisch noch Fleisch. Mädchen, die irgendwann mal mit einer Frau geknutscht haben und sich nun bisexuell nennen. So etwas kann ich nicht ausstehen. Aber was macht das schon. Ich will ja nur Sex und dann mache ich mich wieder aus dem Staub. Nach der Uni rufe ich bei Leo an und beklage mich bei ihr darüber, dass Calla bi ist. Leo findet das nicht schlimm. Natürlich nicht. Leo findet kaum etwas schlimm. »Du bist ja richtig besessen von dieser Calla«, meint sie amüsiert und ich höre, wie sie am anderen Ende in einen Apfel beißt. Ich grummele. »Ich bin nicht besessen. Ich bin engagiert«, verbessere ich sie. Leo lacht und verschluckt sich an ihrem Apfel. Geschieht ihr ganz recht. Ich lausche einige Sekunden ihrem Husten, dann antwortet sie. »Engagiert dabei, ein Mädchen flach zu legen, das dich nicht haben will«, gibt sie zurück. Für diese Formulierung könnte ich sie wirklich umbringen. »Was heißt denn hier ‚nicht haben will’? Noch hab ich mich ja gar nicht bemüht!«, erkläre ich bemüht lässig. Leo schnaubt. »Maus, wenn du schon drüber nachdenkst, ihr Blumen oder Schokolade zu schenken, – was ziemlich einfallslos ist, nebenbei gesagt – dann ist da mehr dran als dein übliches ‚Engagement’«, antwortet sie schlicht. Ich brodele stumm vor mich hin. »Übrigens hab ich mich letztens mit Lina unterhalten. Du weißt schon, die Bassistin aus Callas Band. Sie meinte, Calla ist Single. Und sie meinte auch, dass Calla keinerlei Interesse an bloßem Rumgebumse hat. Du siehst, ich informiere mich für dich«, sagt sie und ich höre überdeutlich das breite Grinsen. »Wie unglaublich fürsorglich von dir«, brumme ich ungehalten. Sie gluckst leise. »Wieso gibst du es nicht einfach auf und suchst dir ein anderes Opfer? Es gibt so viele Frauen, die auf dich fliegen«, meint sie beschwichtigend und ich höre den schmeichelnden Unterton in ihrer Stimme. Unweigerlich muss ich lächeln. »Ich gebe ja die anderen schönen Frauen dieser Welt nicht auf. Aber es kann nicht schaden, Calla nebenbei zu knacken«, erkläre ich ihr. Sie seufzt. »Na dann tu, was du nicht lassen kannst. Gehen wir heut Abend tanzen? Callas Band spielt auch.« Ich sehe es förmlich vor mir, wie sie ihre Augenbrauen wippen lässt, als sie die letzte Information ausspuckt. Ich grummele. »Bringst du deinen Unschuldsengel auch mit?«, frage ich schmollend. »Wenn du nichts dagegen hast?« Ich verdrehe die Augen. »Dann tu mir einen Gefallen und sag ihr, sie soll mich nicht immer wie das achte Weltwunder anstarren, ok? Das ist echt entnervend«, erkläre ich ihr. Sie räuspert sich. »Ich werd’s ihr ausrichten. Holst du uns um neun ab?« »Hmhm… bis dann!« Ich sehe ziemlich gut aus. Eigentlich sehe ich fast immer gut aus, aber heute Abend sehe ich besonders gut aus. Meine Haare liegen genauso, wie ich sie gerne habe, ich trage ein dunkelrotes, enges T-Shirt und eine schwarze, weite Hose. Vielleicht habe ich mir extra viel Mühe gegeben, was natürlich nicht an Calla liegt. Aber wenn ich sie heute Abend knacke, dann sollte ich dabei schon gut aussehen. Hanna sieht aus wie immer. Pferdeschwanz, ungeschminkt, Jeans und T-Shirt samt flache Stiefel. Ich bin mir nicht sicher, ob ich jemals ein durchschnittlicheres Mädchen als Hanna kennen gelernt habe. Leo sieht natürlich umwerfend aus. Egal, wie viele Frauen ich als schön bezeichnen mag: Meine beste Freundin ist das umwerfendste, wunderschönste und tollste Mädchen auf dieser Welt. Wer was anderes behauptet, kriegt eins auf die Nase. Sie trägt mal wieder drei Viertel ihrer Schmucksammlung, den Großteil davon an ihren schmalen Handgelenken. Ausnahmsweise hat sie ihren unbändigen Locken nicht in einen unförmigen Dutt gezwängt, sondern trägt sie offen. Wenn sie nicht meine beste Freundin wäre und ich mich nicht mit Vorliebe durch die halbe Welt vögeln würde, dann würde ich sie vom Fleck weg heiraten. Wie so oft schieben wir uns an der Einlasskontrolle vorbei und ich bin beglückt darüber, dass Leo ihrem Anhang scheinbar wirklich gesagt hat, sie solle mich nicht immerzu anstarren. »Willst du auch was trinken?«, fragt Leo ihre Freundin laut gegen die dröhnende Musik ankämpfend. Hanna kaut nervös auf ihrer Unterlippe herum. Ich seufze schwer. »Drei Tequila«, sage ich zur Bardame und ich sehe aus dem Augenwinkel, dass Hanna schwer schluckt. Hat wohl noch nie Alkohol getrunken, das kleine Küken. »Tequila ist unser Standard- Getränk«, erklärt Leo lächelnd. Ich schiebe Hanna und ihr je eines der Gläser hin, dann bezahle ich großzügigerweise für uns alle. »Danke«, murmelt Hanna verlegen und hebt vorsichtig das Glas an. Ihre Augen sind auf die Flüssigkeit gerichtet und ich frage mich, ob sie darauf wartet, dass Tentakel aus dem Glas sprießen und sie angreifen. »Prost«, sagt Leo gut gelaunt und wir stoßen behutsam an, um nichts zu verschütten. Wie zu erwarten bekommt Hanna einen Hustenanfall und ich muss mir krampfhaft ein Schmunzeln verkneifen. Hanna geniert sich immer noch, ausgelassen zu tanzen. Ich gestatte Leo gnädigerweise, mit ihr zusammen zu tanzen. Es ist ja nicht so, als müsste ich allein auf der Tanzfläche herumstehen. Ich finde schnell eine hübsche Asiatin, die ich hier noch nie gesehen habe und die für heute Abend mein Opfer sein wird. Sie wird entzückend rot, als ich ihr ein Kompliment für ihre schönen Hände mache. Zehn Minuten später knutsche ich schon mit ihr. Sie muss wohl noch ein wenig üben, aber ich bin immer gern bereit den weniger erfahrenen Frauen meine Fähigkeiten zu demonstrieren. Die Kleine drückt sich so verzweifelt an mich, als hätte sie Angst, ich laufe ihr weg. Unrecht hat sie ja nicht. Wenn ich heute Nacht mit zu ihr gehe und das kriege, was ich haben will – und das ist in diesem Fall zu 99 Prozent ihre Unschuld –, dann werde ich schneller verschwinden, als es ihr lieb ist. Sie wirkt nämlich so selig, als hätte sie gerade die Erfüllung all ihrer unschuldigen Träume gefunden. »Schönen guten Abend euch allen.« Die Stimme klingelt in meinen Ohren und unweigerlich lasse ich von der Kleinen ab, deren Namen ich gar nicht kenne. Die Bühne ist nicht mehr leer und die Tanzmusik hat gestoppt. Vor dem Mikrofonständer steht Calla, wie immer trägt sie ihren Hut, trägt sie schwarze Stulpen. Ihre weiße, kurzärmlige Bluse ist ziemlich weit ausgeschnitten. Zum ersten Mal fallen mir die Leberflecke in ihrem Gesicht aus, einer davon erinnert mich an Cindy Crawford. Ich merke kaum, wie die Fremde neben mir ihre Hand in meine schiebt, als wären wir ein ekelhaft kitschiges Pärchen. Als würden wir irgendwie zusammen gehören. »Ich hab die Band noch nie gehört«, verrät mir die Kleine. Ich runzele irritiert die Stirn und wende den Blick von Calla ab. »Wie ist eigentlich dein Name?«, frage ich zusammenhangslos. Sie wird rot und lächelt schüchtern. »Tian«, erklärt sie. Ich bringe ein Grinsen zustande. Ihr Blick wird ziemlich glasig, so verklärt schaut sie mich an. Manchmal frage ich mich auch, wie genau ich das mache. Dass solche Mädchen sich von mir um den Finger wickeln lassen, dass sie nicht merken, dass ich sie eigentlich nur verarsche. »…unser erstes Lied«, höre ich Callas Stimme und ich wende mich wieder der Bühne zu. Ihre dunklen Augen huschen über mein Gesicht und sie schmunzelt beinahe amüsiert, als sie die Hand wie immer lässig über das Mikrofon legt. Das Jubeln, Klatschen und Johlen der Frauen um mich her klingt wie ein undeutliches Rauschen, während ich den Blick nicht von ihr abwende und als sie zu singen anfängt, kriecht mir eine Gänsehaut die Arme hinauf. Ich schnaube verärgert, ohne die Augen von Calla zu nehmen. Sie singt und singt und singt als hätte sie noch nie etwas anderes getan. Dafür, dass sie so gut singen kann, kann ich sie noch weniger leiden. Ich weiß, dass Leo mich beobachtet und ich weiß, dass Tian mich immer noch anstarrt, als gäbe es nichts anderes außer mir. Aber ich hab keinen Nerv sie anzusehen. Als das erste Lied verklingt, klatsche ich nicht. Ich starre immer noch. »…eins unserer eigenen Lieder…« Ich könnte auf die Bühne steigen und sie einfach knutschen. »…für jemanden geschrieben, der…« Oder ich passe sie heute Abend nach ihrem Auftritt ab. »…As the siren sings!« Leo schiebt sich zu mir hinüber. Tian sieht sie misstrauisch an, doch ich beachte sie nicht. »Was gibt’s?«, rufe ich ihr zu. Leo grinst so breit, dass ihre Mundwinkel sicher bald ihre Ohren erreichen. Ich runzele die Stirn. »Hast du den Titel mitbekommen?«, entgegnet sie laut. Ich zucke die Schultern. »Nicht wirklich. Wieso?« Leo gluckst. Tian drückt meine Hand, doch ich achte nicht auf sie. »…force myself to look away…...« »Ich musste nur an dich denken, weil ich dich doch letztens Sirene genannt habe«, erklärt sie mir. Ich schüttele Tians Hand ab. Sie sieht verwirrt aus. »…and then I turn away, keep the distance, watch your back when you don’t see it...« Um die Kleine abzuschütteln, schiebe ich mich aus der Menge in Richtung Bar und bestelle mehr Tequila. »…close your ears and keep on going as the siren sings…« Sechs Tequila, zwei Bier und einen Barcardi- Cola später bin ich so betrunken, wie schon lange nicht mehr. Tian hängt mir wieder am Rockzipfel. Wir sitzen auf einer Couch am Rand und ich bin eifrig damit beschäftigt, sie ausgiebig zu befummeln. Ihre Wangen sind gerötet und sie atmet ziemlich schwer, während ich ungeniert und ziemlich benebelt ihren Hals beknabbere. »Hey«, sagt eine Stimme neben der Couch und ich löse mich widerwillig von meiner Errungenschaft dieses Abends, um aufzusehen. Prompt fühle ich mich etwas nüchterner. Da steht sie. Mein Gehirn verarbeitet die Information nur langsam, dass Calla mich gerade direkt ansieht und mit mir geredet hat. »Was gibt’s?« Ich bemühe mich, nicht zu lallen, aber es klappt nicht wirklich gut und fahre mir durch die Haare, während ich zu ihr aufsehe. Ich glaube, sie ist größer als ich. Wie ätzend. »Minderjährige müssen um zwölf raus«, sagt sie an Tian gewandt, die ziemlich sauer und peinlich berührt aussieht. Ich blinzele verwirrt. »Minderjährig?«, frage ich stumpf. Tian springt auf und stapft an Calla vorbei. Ich kichere matt. »Kommst du mit, eine rauchen?« Ohne nachzudenken stehe ich auf. Passt mir immerhin gut in den Kram, ich will Calla schließlich flachlegen. Dann kann ich das gleich einleiten, während ich mir einen Glimmstängel gönne. »Treibst du’s öfter mal mit Minderjährigen?«, erkundigt sich Calla beiläufig, während wir durch den Backstagebereich nach draußen gehen. Hier gibt es einen abgeschlossenen Hinterhof mit zwei Mülltonnen und einem Aschenbecher. »Nö. Kann ja keiner ahnen, dass sie so ein Küken ist«, gebe ich zurück. Meine Zunge ist vom Alkohol ziemlich schwer und es fällt mir schwer, deutlich zu sprechen. Calla schmunzelt, während sie sich eine Zigarette anzündet. Sie hat ihren Hut abgesetzt und fährt sich mit der freien Hand durch die braunen, leicht gelockten Haare. Calla schweigt, während sie raucht. Ich brauche zwei Anläufe, bis ich mein Feuerzeug zum Laufen kriege und schließlich ziehe ich ausgiebig an meinem Glimmstängel und puste den Rauch in Richtung schwarzen Nachthimmel. »Was studierst du eigentlich?«, will sie wissen. Ich drehe den Kopf zu ihr um, aber sie schaut nach oben in die wenigen Sterne, die man sehen kann. »Architektur«, antworte ich. »Hm. Wäre nichts für mich. Macht’s Spaß?«, will sie wissen und wendet ihren Kopf zu mir. Ich hab plötzlich das Gefühl, das ihre braunen Augen mich röntgen. Ihr Blick ist so durchdringend, dass ich schon wieder eine Gänsehaut bekomme, wie vorhin, als sie gesungen hat. Der Alkohol macht diesen Umstand nebensächlich. »Ja. Sonst wäre ich kaum schon im siebten Semester«, gebe ich zurück. Calla schmunzelt schon wieder. Es ist dieses blöde, lässige Schmunzeln, das sogar mich mit meinem Selbstbewusstsein ein wenig schrumpfen lässt. Sie nimmt ihre Kippe zwischen Zeige- und Mittelfinger, hält sie von sich weg und ich kann kaum blinzeln, da hat sie mich an die Backsteinmauer hinter mir gepinnt. Verwirrt starre ich sie an. Mein Gehirn ist gelähmt und mein Herz klopft plötzlich schneller als normal. Sie riecht nach einer Mischung aus Davidoff und Rauch. »Du starrst mich immer so an«, flüstert sie und meine Nackenhaare stellen sich auf, als ich ihren Atem auf meiner Haut spüre, »willst du was von mir?« Ich bin nie um eine Antwort verlegen, aber meine Zunge ist schwer und meine Kehle staubtrocken. Ich wüsste nicht, was ich antworten soll. Ein winziger, betrunkener Teil meines Gehirns will, dass sie mich küsst. »Bist doch sonst nicht auf den Mund gefallen, oder?«, meint sie und schmunzelt schon wieder. Weil mir nichts zu sagen einfällt, beuge ich mich vor, um sie einfach zu küssen und ihr zu demonstrieren, dass ich etwas von ihr will und dass ich es auch bekommen werde. Aber bevor meine Lippen ihre berühren, hat sie sich aufgerichtet und ist von mir zurück getreten. Einen Moment lang sieht sie mich schweigend an, dann schnippt sie ihre Zigarette auf den Boden und tritt darauf. »Ich bin kein Mädchen für eine Nacht, Melina.« Und dann geht sie und lässt mich einfach stehen. Kapitel 4: Eine --------------- Diesmal etwas kürzer, aber dafür passiert mal was :P Darüber beklagen sich ja ständig alle :D Danke für die lieben Kommentare bisher, ich hoffe, es gefällt :) Liebe Grüße, _____________________________ Ich kann das echt nicht fassen. Alkohol hin oder her, wie konnte ich diese Chance verstreichen lassen? Und was zur Hölle will dieses Mädchen eigentlich von mir, wenn sie mich erst um meine Bettgenossin für den Abend bringt, mich dann für eine Zigarette nach draußen bittet und mich zwei Minuten später stehen lässt, mit diesem beknackten Satz? Ist mir doch egal, ob sie kein Mädchen für eine Nacht ist, ich will sie vögeln und sie hat gefälligst genauso glücklich darüber zu sein, wie all die anderen Mädchen, die ich schon im Bett hatte. Als ich Leo davon erzähle, muss sie sich merklich ein Lachen verkneifen, aber ich finde das überhaupt nicht witzig und sehe sie nur böse an. »Du gehst die Sache vielleicht falsch an«, sagt sie mir und legt den Kopf schief, sodass ihr einige ihrer wirren Locken ins Gesicht fallen, »versuch doch, sie ein bisschen besser kennen zu lernen.« »Ich will sie aber nicht kennen lernen, ich will sie ficken«, sage ich störrisch und Leo verdreht die Augen. »Aber manche Mädchen mögen One- Night- Stands nun mal nicht. Ich ja auch nicht. Bei vielen Mädchen muss für Sex noch mehr am Partner dran sein, als gutes Aussehen. Und wenn Calla so jemand ist, dann wirst du dir die Zähne ausbeißen, bis du ihr Gelegenheit gibst, dich besser kennen zu lernen!« Manchmal klingt meine beste Freundin so viel erwachsener als ich, dass ich ihren Kopf gegen eine Wand schlagen möchte. Vielleicht bin ich etwas schlechter auf sie zu sprechen als sonst, weil ich irgendwie weiß, dass sie Recht hat. Aber letztendlich ist jedes ‚Besser Kennen lernen’ auch eine potentielle Gefahr, andere Menschen zu nah an sich heran zu lassen und darauf habe ich weiß Gott keine Lust. Trotzdem knabbere ich auf ihren Worten herum, den ganzen Montag und den ganzen Dienstag, bis ich am Mittwoch schließlich mein auserwähltes Opfer an der Uni sehe. Es gibt nur ein Problem: Sie hat ihren Hund vorbei. Und es ist wirklich ein riesiges Vieh. Immerhin ist er an der Leine und es kostet mich nur lächerliche dreißig Sekunden, um mich zu überwinden, näher an dieses Mordstier heran zu gehen. Sobald er mich sieht, stellt er die Ohren auf und sieht mich forschend an, als wollte er herausfinden, ob ich eine Gefahr für sein Frauchen darstelle. Das leise Knurren, was er von sich gibt, bewegt mich dazu, zwei Meter entfernt von ihr stehen zu bleiben. Sie hat wieder ihren schwarzen Hut auf und die Stulpen an den Handgelenken. »Hi«, sagt sie und sieht mich abwartend an. Ich starre den Hund an. »Hi«, sage ich leicht abgelenkt. »Zoran, mach Sitz«, sagt Calla lässig und sofort setzt der Hund sich auf sein Hinterteil. Ich beäuge ihn misstrauisch. Er starrt zurück. »Er beißt nicht«, sagt Calla und das Grinsen, das ich in ihrer Stimme höre, lässt mich aufblicken. »Hätte ich auch nicht gedacht«, gebe ich so gelassen zurück, wie es mir möglich ist, wenn ein riesiger Rottweiler direkt vor mir sitzt. »Lust auf einen Spaziergang?«, erkundigt sie sich bei mir und ich sehe sie missmutig an, immer noch sauer wegen ihres Abgangs am Wochenende. »Ich hasse spazieren gehen«, erkläre ich, aber ich setze mich trotzdem in Bewegung, als sie losgeht, den Hund fest an der Leine. Er trottet o-beinig und wackelnd neben ihr her und hechelt. Gott, ich hasse Hunde. »Scheinbar nicht genug, um nicht mitzugehen«, sagt sie amüsiert und kramt in ihrer Tasche nach einer Schachtel Zigaretten. Sie schiebt sich einen Glimmstängel in den Mund und zündet ihn sich an. »Woher wusstest du eigentlich, dass die Kleine minderjährig war?«, frage ich. Was Besseres fällt mir nicht ein. Sie grinst. »Ehemalige Nachhilfeschülerin. Bio«, sagt sie knapp und zieht an ihrer Zigarette. Jetzt, wo ich sie rauchen sehe, habe ich auch Lust auf eine Kippe. Also stecke ich mir auch eine an. »Ach ja… du bist ja Medizinerin«, schnaube ich und versuche sie mir im weißen Arztkittel vorzustellen. »Mhm, hast dich informiert, was?«, gibt sie scheinheilig zurück und ich spüre augenblicklich, wie ich rot anlaufe. Vielleicht sollte ich ab und an erst denken und dann reden. Ich sage nichts dazu, sondern schweige eisern, während ich immer mal wieder den Hund mustere. Er mustert mich genauso misstrauisch, wie ich ihn, als wüsste er, dass ich sein Frauchen bloß flachlegen will. »Stehst wohl nicht so auf so Tiere, was?«, erkundigt sie sich bei mir. Ich sehe sie von der Seite an. »Hab nur was gegen Hunde«, erkläre ich widerwillig und fahre mir durch die kurzen Haare. »Ach so. Mal gebissen worden?« Sie hat diese komische Angewohnheit, manchmal nur halbe Sätze auszuspucken. Das finde ich merkwürdig. Aber sie sammelt ja auch Glückskekse, vielleicht sind Mädchen, die Glückskekse sammeln, immer ein bisschen komisch drauf. »Ja. Mit sechs«, sage ich und frage mich gleichzeitig, wo wir eigentlich langgehen. Fragen will ich aber nicht. Dann klingelt ihr Handy. Sie kramt es hervor und wirft einen Blick aufs Display. Verächtlich verzieht sie das Gesicht, drückt den Anrufer weg und stopft sich ihr Handy wieder in die Hosentasche. »Telefonierst du nicht gerne?«, frage ich stumpf. Sie muss lachen. »Geht so. Aber das war mein Exfreund«, erwidert sie und ich schließe daraus, dass sie sich mit dem wohl nicht mehr so gut versteht. Bis eben hatte ich ja ganz vergessen, dass sie eins von diesen Bi- Weibchen ist. »Du hast wohl was gegen Bisexuelle, was?«, fragt sie beiläufig. Ich zucke mit den Schultern. »Weder Fisch noch Fleisch. Und dann stellen sie irgendwann fest, dass sie doch Kinder und einen Schwanz beim Sex wollen«, erkläre ich. »Bei dir geht’s immer nur Sex, was?«, meint Calla abfällig und bläst den Rauch ihrer Zigarette gen Himmel, dann dreht sie den Kopf und sieht mich an. »Ihr Homosexuellen redet immer davon, dass ihr von den Heterosexuellen diskriminiert und ausgeschlossen werdet, aber ihr grenzt euch von den Bisexuellen ab, genau wie die Heterosexuellen. Intolerante Menschen, die behaupten, dass man sich für eines entscheiden muss, widern mich an. Niemand hat sich seine sexuelle Orientierung ausgesucht. Ich verliebe mich nicht in Brüste oder einen ‚Schwanz’, wie du es so schön ausdrückst. Ich verliebe mich in den Menschen, der in dem Körper steckt. Wenn man mir einen Vorwurf machen will, weil Körperlichkeiten mir völlig egal sind, dann bitte sehr, aber solche Leute können mir gestohlen bleiben.« Ich starre sie an. Erstens einmal bin ich beeindruckt, dass sie ganze Sätze sprechen kann und dann wiederum vertritt sie ihren Standpunkt immer noch mit dieser gelassenen Stimme, obwohl sie eindeutig wütend ist. Ich kann darauf nicht einmal etwas erwidern, weil ich weiß, dass sie im Grunde irgendwie Recht hat. Aber es gibt genügend Mode- Bisexuelle, die… »Wenn du dich noch nie in eine Frau verliebt hast, könnte ich genauso gut behaupten, dass du nicht wirklich lesbisch bist, so wie du zu mir sagst, ich sei weder Fisch oder Fleisch. Jemand, der Gefühle meidet und sich vor Nähe versteckt, kann mir keinen Vorwurf machen, dass ich nicht weiß, was ich bin und was ich nicht bin. Ich habe beides schon erlebt. Komm raus aus deiner schwarz-weißen Welt und schau dich mal ein bisschen um in der Realität…« Mir ist gerade danach, im Boden zu versinken. Ich habe sonst eine durchaus große Klappe und bin schlagfertig. Aber gerade weiß ich einfach nicht, was ich sagen soll. Meine Kehle ist trocken und ich schnippe meine gerade erst angezündete Zigarette zu Boden. Erst als Calla anhält und nach einem Schlüssel kramt, wird mir klar, dass ich mit ihr zusammen zu ihrer Wohnung gegangen bin. Sie wirft ihre Zigarette in den nächstbesten Gulli, dann sieht sie mich einen Moment lang schweigend an. Ich wühle in meinem Kopf nach etwas Coolen, das ich sagen könnte, aber mir fällt partout nichts ein. Calla hat mein Gehirn blockiert. Sie öffnet die Haustür und schickt ihren Monsterhund hinein, dann schiebt sie ihren Fuß zwischen die Tür und betrachtet mich eingehend. Mir wird aus unerklärlichen Gründen ziemlich warm, als sie mich so mustert und ich schlucke. Dann, als hätte sie nichts anderes vorgehabt, umfasst sie mein linkes Handgelenk und zieht mich zu sich. Eine Sekunde später habe ich ihre Lippen auf meinen und meine Knie werden weich wie Pudding, als sie mich innig küsst. Ihre Lippen sind weich und nachgiebig und fordernd und ich scheine das Küssen plötzlich verlernt zu haben. Mein Gehirn ist wie leer gefegt und meine Eingeweide ringeln sich in meinem Innern wie ein Haufen lebendiger Spaghetti. Dann, ganz plötzlich lässt sie mich los. »Man sieht sich«, sagt sie und im nächsten Augenblick fällt die Tür hinter ihr zu. Während ich mich benommen frage, was das sollte, ärgere ich mich gleichzeitig darüber, dass sie es immer wieder schafft, mich einfach so stehen zu lassen. Kapitel 5: Nichts ----------------- »Sie hat dich geküsst?«, fragt Leo vollkommen verdattert und starrt mich an, als hätte ich ihr eben die Apokalypse verkündet. Ich fühle mich, als hätte ich gerade eine schwere Grippe überstanden. Nur das Fieber ist scheinbar immer noch da. Jedes Mal, wenn Leo Callas Namen erwähnt, wird mir unangenehm warm und ich komme mir schon total paranoid vor, weil ich mich andauernd nach allen Seiten umdrehe, um zu sehen, ob Calla hier irgendwo mit ihrem riesigen Hund herumläuft. Leo ist zu mir an die Uni gekommen, ich habe gerade zwei Stunden frei und wir sitzen an einem Tisch in der Nähe der Caféteria und trinken heiße Schokolade. »Ja… einfach so! Erst sagt sie mir, sie wäre kein Mädchen für eine Nacht und dann rückt sie mir auf die Pelle! Ich meine, was soll das? Was will sie eigentlich von mir?«, ereifere ich mich entrüstet und rühre so heftig in meiner Schokolade, dass Sahne zu allen Seiten spritzt. Leo wischt sich geistesabwesend einen Klecks Sahne vom Unterarm. »Erinnerst du dich noch an dieses Lied?«, fragt sie nachdenklich und tunkt ihren Zeigefinger in das Sahnehäubchen auf ihrer Schokolade, dann schiebt sie sich in den Finger in den Mund und leckt ihn gedankenverloren ab. Ich muss nicht zu Steffi hinüber sehen, um mitzubekommen, dass sie sicherlich gleich anfängt zu sabbern. Meine beste Freundin ist halt eine geile Sau. »Welches Lied?«, frage ich total perplex, weil ich im Moment wirklich andere Sachen im Kopf habe. Calla zum Beispiel. »Na das Lied, das Calla gesungen hat, den Abend, als sie dich anschließend zu einer Kippe nach draußen gebeten hat«, sagt Leo und sieht mich gespannt an. Ihr Gesicht wirkt erleuchtet. Ich glaube, all diese Bücher über Allgemeinbildung, Religionen und Geschichte tun ihr nicht gut. Jetzt führt sie sich schon auf wie Buddha. »Ich hab doch nicht auf die Lieder geachtet«, sage ich stirnrunzelnd. Leo schüttelt leicht den Kopf. »Sicher, du warst abwechselnd mit deiner Asiatin und Calla beschäftigt. Hätte dir gut getan, mal zuzuhören, ich erinnere mich grad an die Textzeilen. Hat sie nicht so was gesungen wie ‚and then I turn away, keep the distance, watch your back when you don’t see it’?. Und dann irgendwie noch... warte, ich hab’s gleich... ‚close your ears and keep on going as the siren sings’. Weißt du nicht mehr, dass ich dich den Tag als Sirene betitelt habe?« Ich sehe sie an und weiß wirklich nicht, wovon sie redet. »Wie kannst du dir so was nur merken?«, frage ich verständnislos und nehme einen Schluck Schokolade. »Darum geht’s doch gar nicht!«, sagt Leo ungeduldig und wedelt mit der Hand in meine Richtung, »Glaubst du nicht, dass sie dich damit gemeint hat?« Mitten in der Bewegung halte ich inne. Steffi starrt Leo immer noch an. Ich starre Leo auch an. Mir wird plötzlich wieder sehr heiß und ich frage mich, ob ich eventuell bald eine dicke Erkältung bekomme. Schüttelfrost ist garantiert ein sicheres Zeichen dafür. »Wie? Mich? Hä?« Ich habe mich selten geistreicher angehört. Leo findet das offenbar auch, denn sie lacht. »Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich meinen, dass du so mit Calla beschäftigt bist, dass du kaum noch einen klaren Gedanken fassen kannst«, meint sie scheinheilig. Ich schnaube verächtlich. »So ein Schwachsinn! Ich denke überhaupt nicht an sie!« Aber ich weiß, dass das glatt gelogen ist. Ich denke tatsächlich an nichts anderes mehr und die Vorlesungen und Seminare gleiten an mir vorbei wie inhaltslose Wortsalate. Leo scheint zu wissen, was in mir vorgeht, denn sie seufzt wie unter einer schweren Last und sieht mich an, als sei mein Gehirn aus Glas. »Melli, ich kenne dich, seit ich drei Jahre alt bin. Wir haben eine Menge Scheiße zusammen gemacht und ich weiß sehr wohl, dass du nichts von Gefühlen hältst. Aber vielleicht darf ich dir sagen, dass es absolut nichts bringt, Gefühle zu leugnen, wenn sie denn nun einmal doch da sind. Man kann nicht durchs Leben marschieren und ernsthaft glauben, dass Gefühle an einem immer und immer wieder abprallen…« Ich sehe Leo ungehalten an und nehme einen großen Schluck heißer Schokolade. In meinem Kopf spielt wiederholt die Szene vor Callas Haustür, in der sie mich innig küsst. Es ist mir vor mir selbst peinlich, wenn ich daran denke, wie wackelig meine Beine geworden sind, als sie mich geknutscht hat. Aber ich weiß auch, dass mir vor Leo nichts peinlich sein muss. Wir kennen uns schon so lange und wir wissen alles voneinander. »Na schön«, schnaube ich und sehe meine beste Freundin missmutig an, »ich finde sie interessant. Aber mehr nicht. Von Gefühlen kann keine Rede sein!« Leo seufzt und fährt noch einmal mit ihrem Zeigefinger durch die Sahne auf ihrer Schokolade, als wolle sie mir mit dieser resignierten Geste mitteilen, dass ich ein hoffnungsloser Fall bin. Den Rest des Tages lasse ich die Uni sausen. Es hat keinen Sinn mich in die Vorlesungen und Seminare zu setzen, wenn ich ohnehin nichts von dem aufnehmen kann, was die Dozenten mir erzählen. Dummerweise sind Semesterferien noch lange nicht in Sicht und so muss ich mich doch noch zu Hause hinsetzen und mich durch Texte über gotischen Baustil wühlen. Die nächsten Wochen bin ich so mit Arbeiten für die Uni beschäftigt, dass ich nicht einmal Zeit habe, am Wochenende wegzugehen. Leo beklagt sich schon bei mir, aber was soll man machen. Ich möchte meinen Durchschnitt von 1,4 gerne halten und daher lasse ich meine Freizeit ein wenig kürzer treten. Zeit für eine heiße Schokolade mit Leo ist natürlich immer drin, wir setzen uns auch – sofern das Wetter es zulässt – ab und an noch in den Park, doch jetzt geht es deutlich auf den Winter zu und schon Anfang November sind die Läden voll mit glitzernder Weihnachtsdeko und mit Schmuck beladenen Tannenbäumen. Ich mache mir nicht viel aus Weihnachten, Leo jedoch liebt all den Trubel und die Lichter und vor allem den Weihnachtsmarkt, der Ende November bei uns in der Stadt auftaucht. Meine abgegebene Hausarbeit hat eine befriedigende 1,2 bekommen, die Klausurentermine sind im Januar und ich komme mir ein wenig vor wie eine Streberin, weil ich schon Mitte November damit anfange, meine Notizen zu ordnen. An einem ziemlich stürmischen Freitag werde ich daran erinnert, dass es da irgendwo in meinem Hinterkopf noch jemanden gibt, über den ich möglichst wenig nachdenke und den ich auch schon über einen Monat nicht mehr gesehen habe. Trotzdem ist Calla nicht aus meinem Kopf und meinen Gedanken verschwunden, wie das normalerweise der Fall ist, wenn ich einmal ein Mädchen hatte. Von vielen meiner Eroberungen weiß ich noch nicht einmal den Namen. Den muss man ja auch nicht wissen, wenn man nur Sex will. Wenn ich bedenke, dass ich abgesehen von Callas Namen, ihrem Alter und ihrem Studiengang auch noch den Namen ihres elenden Riesenköters kenne, dann sollte ich mich eventuell fragen, ob mein Interesse sich noch im gesunden Rahmen bewegt. Es ist früher Abend und ich habe Leo versprochen heute Abend mal wieder mit ihr auszugehen. Sie hat mir gesagt, dass Hanna nicht mitkommen kann, weil sie mit ihren Eltern übers Wochenende zu einer Familienfeier fährt. Wir treffen uns heute schon um halb sieben, weil wir vorher noch ein bisschen quatschen wollen und ich bin pünktlich bei Leos Wohnung und werde prompt hereingelassen. Leos Haare fliegen ihr um den Kopf wie ein Kraut und Rüben. Sie hat so widerspenstige Locken, dass sie sie eigentlich immer zum Zopf trägt. Offenbar ist sie dazu noch nicht gekommen. Sie grinst mich an und ich ziehe meine Schuhe aus, bevor ich mich in ihrem Wohnzimmer aufs Sofa werfe. »Und? Hat Hanna mittlerweile ihren Eltern gesagt, dass sie eine Freundin hat?«, erkundige ich mich bei ihr und Leo seufzt leise, was mir schon Antwort genug ist. Ich verdrehe die Augen. »Also nein«, sage ich etwas säuerlich. Dieses ganze Versteckspiel macht Leo sicherlich noch irgendwann wahnsinnig, denn Hanna hat bisher nur ihrer besten Freundin erzählt, dass sie mit einem Mädchen zusammen ist. Leo sagt Hanna immer, dass sie ihr Zeit gibt und dass es nicht eilt, aber ich weiß genau, wie viel es Leo bedeuten würde, wenn sie einfach mal durch die Fußgängerzone gehen könnte und dabei Hannas Hand halten darf. Aber das geht nicht. Aus Hannas Sicht zumindest. »Erst kriegt sie es nicht gebacken, sich selbst einzugestehen, dass sie auf Frauen steht und dann stolpert sie schon in die nächste Krise. Wie kriegt dieses Mädchen überhaupt sein Leben geregelt?«, entrüste ich mich. Leo setzt sich neben mir aufs Sofa und sieht mich halb kläglich, halb vorwurfsvoll an. »Sie hat halt Angst, dass ihre Eltern es nicht akzeptieren und dann nicht mehr mit ihr reden oder so…«, erklärt sie. Ich verdrehe die Augen. »Wenn ihre Eltern so intolerant sind, dann sollte Hanna sich mit dem Arsch auf ihre Meinung setzen. Ihre Eltern sollten sich glücklich schätzen, dass ihre Tochter so eine tolle Freundin gefunden hat!« Leo lächelt unweigerlich und piekt mich in die Wange. »Du bist süß«, sagt sie leise. Ich brumme nur, breite die Arme aus und sie lässt sich gegen mich kippen, damit ich sie umarmen kann. »Wenn du meine Freundin wärst, dann würd’ ich es der ganzen Welt erzählen wollen«, sage ich leise und Leo kichert matt gegen meine Schulter. »Irgendwo in dir steckt eben doch eine romantische Ader«, sagt sie. Ich grummele und zur Vergeltung für diesen Satz fange ich an sie zu kitzeln. Wir betreten unsere Stammbar und Leo strahlt zufrieden. »Endlich wieder mit dir hier. Callas Band spielt heute wieder«, sagt sie und legt ihren Arm um mich. Ich gebe ein undefinierbares Geräusch von mir und frage mich, ob ich es gut oder schlecht finden soll, dass ich Calla nach ziemlich langer Zeit wieder sehe. Aber spätestens um zehn Uhr weiß ich, dass ich mich nicht freue, weil sie immer noch genauso lässig und genauso cool ist und mich immer noch genauso ignoriert wie schon am Anfang. Ich könnte kotzen. Unwillig verziehe ich mich an die Bar, als ihre Band anfängt zu spielen und genehmige zwei Tequila hintereinander. Sie spielen ‚Run’ von Snow Patrol. Ich mag das Lied. Aber die Tatsache, dass ich eine Gänsehaut von Callas Stimme bekomme, mag ich nicht. Sie klingt immer noch wie Marta von Die Happy und ich finde das überhaupt nicht witzig, dass sie sich anhört wie die Sängerin meiner Lieblingsband. Und dieser Hut, den hasse ich auch. Weil der ihr so verteufelt gut steht. Mein Magen fühlt sich an, als hätte ich eine Menge Wodka- Ahoi getrunken, als ich ihren Mund anstarre und mir wieder einfällt, wie es sich angefühlt hat, diesen Mund zu küssen. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, dass ich sie gerne noch einmal küssen würde. Oder auch zweimal. »To think I might not see those eyes, makes it so hard not to cry...« Callas Stimme sei verflucht. Leo sollte mich nicht Sirene nennen. Das sind doch diese komischen Sagengestalten, die singen und Männer verführen und deren Stimmen keiner widerstehen kann. Ich kann nicht singen und Männer verführe ich auch nicht, denke ich missmutig zwischen zwei weiteren Tequila. Während ich darüber nachdenke, ob ich noch einen Schnaps möchte, tritt eine kleine Gestalt neben mich, die mir bekannt vorkommt und im nächsten Augenblick fällt mir ein, woher ich sie kenne. Es ist die kleine Asiatin, die Calla damals verscheucht hat. Sie lächelt mich leicht glasig an und ich hab ihren Namen schon wieder vergessen. »Hi«, sage ich lässig und trete ein Stück näher zu ihr. Sie wird augenblicklich rot und räuspert sich. »Hallo«, meint sie mit leicht zittriger Stimme. Leo steht irgendwo an der Bühne und hört der Musik zu. »And I can barely look at you, but every single time I do, I know we’ll make it anywhere away from here…« Kurz huschen meine Augen zur Bühne und ein Blitz fährt durch meinen Körper, als ich sehe, dass Calla mich beim Singen direkt anblickt. Das Lied ist im nächsten Augenblick zu Ende und Calla kündigt ‚There she goes’ von ‚Sixpence none the richer’ an. Ich wende den Blick hastig von ihr ab, strecke eine Hand nach der kleinen Asiatin aus und ziehe sie zu mir. Seit über einem Monat hatte ich kein Mädchen mehr. Seit Callas Kuss, um genau zu sein. Was natürlich nur daran liegt, dass ich so viel mit der Uni zu tun hatte. »Darf ich dich küssen?«, schnurre ich der Kleinen ins Ohr und sie gibt ein Geräusch von sich, das nach Zustimmung klingt, also küsse ich sie fordernd auf den Mund und spüre, wie sie in meinen Armen erzittert. »Für jemanden, der mir nicht mehr aus dem Kopf geht«, höre ich Calla sagen und mir wird heiß bei dem Gedanken, dass sie mich damit meinen könnte. Aber während ich die Kleine küsse, rede ich mir krampfhaft ein, dass ich nicht, absolut gar nichts für Calla fühle und dass sie mir schon noch aus dem Kopf gehen wird, wenn ich mich nur gründlich genug mit anderen Mädchen beschäftige. »There she goes again, racin’ through my brain.« Kapitel 6: Etwas ---------------- »Jetzt ist es offiziell! Sie steht auf dich!«, sagt Leo begeistert und klopft mir auf den Rücken, während wir durch den Park schlendern. Leo trägt eine dicke Jacke, ich einen kurzen Mantel. Der Herbst wird immer kühler und der Himmel ist mit grauen Wolken verhangen. Es riecht nach Schnee und die Blätter sind nun nicht mehr hübsch bunt, sondern matschig, gelb und braun. »So ein Quatsch! Also, ich meine, ok, dann steht sie halt auf mich, aber sie würde garantiert keine schmalzigen Lieder für mich singen«, entgegne ich störrisch und verschränke meine Arme beim Gehen. Leo schmunzelt leicht und sagt erstmal nichts mehr in diese Richtung. Wir kauen das Thema Calla jetzt schon seit über einer halben Stunde durch – seit wir von ihr zu Hause in Richtung Park losgegangen sind. Die nächsten Meter legen wir schweigend zurück, bis wir an einen Teich kommen und Leo zwei Scheiben altes Brot aus der Tasche kramt. Wir stellen uns ans Ufer und beobachten die Enten, die darauf herumpaddeln und hin und wieder die Köpfe ins Wasser tauchen. Leo wirft ein Stück Brot ins Wasser und die Enten schwimmen begeistert und hastig auf uns zu. »Wie läuft’s mit deiner Perle?«, erkundige ich mich bei ihr. Leo antwortet zunächst nicht und betrachtet nachdenklich das Brot in ihrer Hand. »Es läuft super… solange wir allein sind«, gibt sie schließlich zu und sieht auf. Ihre großen Augen sehen bedrückt aus, da kann sie mir erzählen, was sie will. »Ihr seid fast zwei Monate zusammen und sie hat sich immer noch nicht daran gewöhnt, mit einer Frau zusammen zu sein?«, erkundige ich mich und bin ernsthaft bemüht, nicht allzu verächtlich zu klingen, aber ich kann diese feige Lebenseinstellung nicht nachvollziehen, die Hanna an den Tag legt. Ich will, dass die Welt weiß, was ich bin und dass sie mich dafür akzeptiert, was mich ausmacht. Wer mich nicht so hinnimmt, wie ich eben bin, der hat mich einfach nicht verdient. »Ich glaube nicht. Oder besser gesagt: Doch, schon, nur hat sie immer noch Angst, wie andere Leute darauf reagieren könnten. Ich kann es ja auch irgendwie verstehen, aber es deprimiert mich trotzdem, diese ganze Versteckspielerei«, meint sie und wirft noch ein Stück Brot zwischen die Enten, die sich allesamt begeistert darauf stürzen. »Ich kann es nicht verstehen«, sage ich ungehalten und mustere das resignierte Profil meiner besten Freundin. Langsam frage ich mich, ob es nicht besser gewesen wäre, die beiden nicht zu verkuppeln. Wenn ich mir dieses Elend so ansehe, dann bin ich mir fast sicher, dass Hanna eher schlecht als gut für meine Leo ist. Leo sagt nichts zu meinem Kommentar und so schweige ich auch über dieses Thema. Nachdem sie ihre beiden Scheiben Brot an die Enten verfüttert hat, gehen wir weiter und ich lege einen Arm um sie. Sie lächelt kaum merklich und schlingt ihren Arm um meine Taille. Sicherlich sehen wir jetzt aus wie ein Liebespaar. Die nächsten Minuten verbringen wir mit angenehmeren Gesprächsthemen, bis wir schließlich über Partys auf Alkohol kommen und Leo mich dafür auslacht, dass ich vor ungefähr einem halben Jahr einen richtigen Absturz und den ersten Blackout meines Lebens hatte. Als wir bei ihr vor der Wohnung ankommen, sehe ich sie prüfend an und lege den Kopf schief. Sie kramt nach ihrem Schlüssel. »Red mit ihr«, sage ich unvermittelt und sie hebt den Kopf, um mich einen Moment lang leicht stirnrunzelnd anzusehen. Dann lächelt sie aber doch. »Ich versuch es mal«, meint sie und schließt die Tür auf. Ich grinse, lege ihr einen Arm um die Schulter und drücke ihr einen Kuss auf den Mund. Das kühle Metall ihres Unterlippenpiercings drückt gegen meine Lippen und sie zwinkert mir zu, dann verschwindet sie im Treppenhaus. Wenn jemals eine Beziehung in Frage kommen würde, dann nur mit dem Mädchen, das gerade in diesem altmodischen Treppenhaus verschwindet. Soviel steht fest. Die nächsten Tage über muss ich feststellen, dass meine Flucht in die Knutscherei mit der kleinen Asiatin keine gute Idee war. Jetzt habe ich eine Stalkerin. Ich habe keine Ahnung, woher sie die Zeit und den Elan nimmt, ständig in der Uni aufzutauchen und mir zuzuwinken, mich anzustrahlen und mich zu fragen, ob wir zusammen nach Hause gehen können. Nach Hause ist in diesem Moment sicher meine Wohnung, aber bevor ich der kleinen Nervensäge noch zeige, wo ich wohne, hacke ich mir lieber beide Beine ab. Egal wie oft ich ihr sage, dass ich keine Lust auf sie habe und dass das eine einmalige Sache war, sie scheint das entweder nicht zu verstehen, oder aber zu ignorieren. Leo findet das alles sehr lustig und meint, es geschieht mir recht, weil ich Calla eins reinwürgen wollte, indem ich mit der Kleinen angebandelt habe. Als hätte es Calla irgendwie gestört, dass ich mit der kleinen rummache. Und als wäre dieses Lied wirklich für mich bestimmt gewesen. Das ist doch nun wirklich lächerlich. Aber egal, wie sehr ich mir versuche einzureden, dass Calla mir total egal ist und ich am besten keinen Gedanken an sie verschwenden sollte, desto mehr kreisen meine Gedanken um sie und um die Möglichkeit, dass Leo Recht mit ihrer Vermutung hat und dieser Jemand, der Calla nicht mehr aus dem Kopf geht, vielleicht ich bin. Eine Woche nach dem verhängnisvollen Abend habe ich schließlich die Schnauze voll. Diese ganzen Gedanken an Calla gehen mir auf den Keks und ich beschließe, einfach zu ihrer Wohnung zu gehen und sie zur Rede zu stellen, dann hat sich die Sache ein für allemal. Wenn ich sicher weiß, dass sie mich nicht gemeint hat, dann ist es egal, dass sie mich geknutscht hat, denn das war sicherlich nur, um mich zu ärgern. Vor ihrer Haustür gehe ich auf und ab. Ich zähle sogar mit. Ganz sieben Mal stapfe ich hin und her, bis ich mit nervig hämmerndem Herzen auf das Klingelbrett starre. Die Dumpfe Erkenntnis, dass ich Callas Nachnamen nicht kenne, kriecht mir durchs Gehirn. Na toll. Schließlich drücke ich wahllos auf einen der Klingelknöpfe im ersten Stock und als die Tür summt, drücke ich sie auf und stapfe durchs Treppenhaus die Treppe hinauf. Die Fliesen hier sind ausgesprochen geschmacklos. Senffarben. Meine architektonischen Augen huschen über das uralte und morsch aussehende Treppengeländer. Im ersten Stock treffe ich auf eine geöffnete Tür, die allerdings nicht zu Callas Wohnung gehört. Eine alte, zerknitterte Frau steht misstrauisch hinter einem Türspalt und starrt mich an. »Ich kaufe nichts«, krächzt sie unfreundlich und ich bin kurz davor, die Augen zu verdrehen. Aber ich verkneife es mir und räuspere mich. »Ich suche Calla. Wissen Sie, in welchem Stock sie wohnt?«, erkundige ich mich bemüht höflich. Das Gesicht der alten Dame hellt sich bei der Erwähnung von Calla merklich auf und sie öffnet ihre Tür einen Spalt breiter. »Ah, das liebe Mädchen. Sie wohnt im dritten Stock auf der linken Seite«, sagt sie mit ihrer zittrigen, uralten Stimme. Dann verzieht sie wieder misstrauisch das Gesicht. »Sind Sie eine Freundin von ihr?«, will sie wissen. Ich hüstele leise. »Ja, könnte man so sagen. Danke für die Auskunft«, erwidere ich und haste die Treppen hinauf, bevor die Alte mich noch weiter löchern kann. Als ich im dritten Stock angekommen bin, stehe ich vor der linken Wohnungstür. Scheinbar gibt es jedem Stockwerk dieses geschmacklosen, unrenovierten Hauses zwei Wohnparteien. »Paliga« steht auf dem Schild neben der Tür. Calla Paliga. Der Name klingt protzig. Aber irgendwie passt er zu Calla. Abgesehen davon, dass er protzig klingt, klingt er nämlich auch lässig. Und ziemlich künstlerisch. Wenn ich meinen Namen daneben stelle, wirke ich wie ein graues Mäuschen. Melina Borchers. Unglaublich besonders. Calla Paliga und Melina Borchers. Und wann habe ich eigentlich angefangen, unsere beiden Namen nebeneinander zu denken? Die einzige Namensfolge, die in meinem Kopf normalerweise existiert, ist folgende: Eleonore Kaufmann und Melina Borchers. Leo und Melli. Wie sich das eben gehört. Vielleicht ja auch ein bisschen Leo und Hanna. Als mir schließlich aufgeht, was für einen Schwachsinn ich eigentlich denke, drücke ich vor lauter Ärger über mich selbst fest entschlossen auf den Klingelknopf. Fast augenblicklich bricht drinnen ein donnerndes Bellen los und ich höre, wie der Hund hinter der Tür auftaucht und das Bellen noch lauter wird. »Zoran, aus!«, höre ich Callas energische Stimme und dann öffnet sich die Tür und da steht sie. In einem knielangen Hard Rock Café T- Shirt aus Dublin. Und sonst trägt sie nichts. Obwohl ich normalerweise zu würdevoll bin, um Frauen anzugaffen und innerlich zu sabbern, so muss ich doch in diesem Moment zugeben, dass Callas lange Beine und die Brüste, die sich – ohne BH – unter dem T- Shirt abzeichnen, mein Blut ziemlich in Wallung bringen. Ich räuspere mich, als sie fragend die Augenbrauen hochzieht. »Chices… Shirt«, sage ich matt und als wäre ich der dämlichste Mensch unter der Sonne. Normalerweise bin ich auch nicht um einen coolen Spruch verlegen, aber gerade ist mein Gehirn gefällt mit Gedanken an Calla, die ziemlich leicht bekleidet vor mir steht und auch noch so ätzend lässig am Türrahmen lehnt. Der beknackte Riesenköter starrt mich schon wieder so misstrauisch an, genau wie die Oma. Alle Welt scheint Calla vor mich beschützen zu wollen. Vielleicht hat die Welt ja auch Recht damit. »Danke«, sagt Calla und ich sehe ihre Mundwinkel zucken. Das holt mich aus meiner Starrerei in die Wirklichkeit zurück. »Ich muss mit dir reden«, sage ich und meine Kehle ist trocken wie die Wüste Sahara. Na toll. Sie verzieht anerkennend das Gesicht und tritt beiseite, damit ich hereinkommen kann, allerdings sitzt da immer noch der Hund und ich rühre mich nicht von der Stelle. Calla scheint sich daran zu erinnern, dass ich Hunden nicht sonderlich wohlgesonnen bin, denn sie zieht Zoran am Halsband nach hinten. Dass ich mich an den Namen des Untiers erinnere, beunruhigt mich. Ich schiebe mich an der Wand entlang an dem Biest vorbei und ich sehe, dass Calla sich auf die Unterlippe beißt, um sich ein Lachen zu verkneifen. Ich finde das allerdings überhaupt nicht lustig und brummele ungnädig. Calla schickt ihren Hund ins Schlafzimmer und er trottet o-beinig davon und verschwindet hinter einer halbgeöffneten Tür. Als der Hund verschwunden ist, habe ich Ruhe genug, um mich ein wenig umzusehen. Der Flur ist winzig. Ich wohne in einer ziemlich großen Zwei- Zimmer- Wohnung, was wohl daran liegt, dass meine Eltern ziemlich viel Knete haben. Es gibt nur drei Garderobenhaken und einen winzigen Schuhschrank hier im Flur. Calla dreht sich um und macht zwei Schritte in Richtung einer anderen Tür, stößt sie auf und geht mir voran durch den Türrahmen. Ich folge ihr und kann nicht umhin, ihr auf den Hintern zu starren. Ich glaube, sie trägt String- Tangas. Meine Fantasie überschlägt sich mit Versautheiten und ich schlucke leicht, dann hebe ich den Blick wieder und finde mich in einem kleinen Wohnzimmer wieder, das man genauso gut als Musikzimmer hätte bezeichnen können. Es gibt keinen Fernseher, dafür aber eine große Musikanlage und einen uralt aussehenden Plattenspieler. Neben dem Fenster stehen zwei Notenständer, mehrere Notenbücher- und Blätter liegen auf dem kleinen, zerkratzten Holztisch verteilt, der vor einem zerknautschten, dunkelroten Sofa steht. Der Wohnzimmerschrank besteht aus zwei Schubladen, zwei doppelten Schranktüren und einer kleinen Vitrine, über dem Sofa hängt ein ziemlich großes Bild von Callas Hund. »Worüber wolltest du doch gleich mit mir reden?«, erkundigt sich Calla, setzt sich aufs Sofa und schlägt ihre Beine übereinander. Wenn ich nicht so viel Selbstbeherrschung hätte, wäre mir beim Anblick ihrer entblößten Oberschenkel wohlmöglich die Kinnlade auf die Füße gefallen. Jetzt, wo sie mich das fragt und wo sie da so sitzt, habe ich fast schon wieder vergessen, wieso ich eigentlich hier bin. Ich öffne den Mund, um etwas zu sagen, aber mir fällt beim besten Willen nicht ein, wie ich das, was ich eigentlich fragen wollte, formulieren soll. Normalerweise wäre das kein Problem. Ich würde einfach fragen: »Sag mal, stehst du auf mich?« Aber mein Sprachzentrum scheint blockiert, oder zumindest mein Zentrum für Schlagfertigkeit und selbstbewusstes Auftreten. Unschlüssig stehe ich herum, bis Calla neben sich aufs Sofa setzt. »Setz dich doch«, sagt sie und ich meine, ein amüsiertes Funkeln in ihren dunklen Augen zu sehen. Langsam gehe ich um den beladenen Tisch herum und setze mich neben sie. Sie beobachtet mich aus dem Augenwinkel, ich lasse meinen Blick erneut durchs Zimmer schweifen. Mein Blick fällt auf zwei Instrumente, die auf einem kleinen Beistelltisch neben den Notenständern liegen. »Du spielst Flöte?«, frage ich vollkommen verdattert. Sie lacht leise. »Das ist nicht ganz richtig. Ich spiele Pan- und Querflöte. Überrascht?« Ich nicke und sehe zu den beiden Gegenständen hinüber. »Hätt’ ich nicht gedacht… bei dem, was deine Band so spielt«, entgegne ich. Sie wiegt den Kopf leicht hin und her. »Die Flöten waren schon vor der Band da. Und manchmal bringen wir sie auch ein, allerdings kann ich nicht gleichzeitig singen und Flöte spielen. Deswegen ist das eher ungeeignet für uns«, erklärt sie und mir fällt auf, dass sie schon wieder in ganzen Sätzen mit mir spricht. »Ich vergess immer, wie eure Band eigentlich heißt«, sage ich nachdenklich und schaue mich nach weiteren Dingen im Zimmer um. Ich entdecke eine große Pinnwand direkt neben der Tür. Sie ist vollgepinnt mit vielen schmalen, kleinen Papierstreifen. Ich erinnere mich daran, dass Calla ja die Zettelchen aus Glückskeksen sammelt. »Siren’s Song«, erklärt Calla. Ich blinzele verwirrt und sehe sie an. »Ach wirklich?«, frage ich stumpfsinnig und sie lacht schon wieder leise. Mir kriecht eine Gänsehaut über den Nacken. Ich ärgere mich darüber und denke gleichzeitig daran, dass Leo mich als Sirene bezeichnet hat. Und daran, dass ich finde, dass das Wort Sirene zu Calla viel besser passt, weil sie so eine tolle Stimme hat. »Hast du nicht auch ein Lied geschrieben, das irgendwas mit Sirene heißt?«, frage ich beiläufig und mein Herz beginnt wie wild zu hämmern. Langsam aber sicher steuern wir auf das Thema zu, über das ich eigentlich mit ihr reden will. Meine Hände werden ganz feucht. Calla schmunzelt. In diesem Moment fällt mir auf, dass ich sie das erste Mal ohne Hut sehe. Ihre leicht gewellten Haare fallen ihr etwas zerzaust auf die schmalen Schultern. Ohne Stulpen kann man ihre schlanken, langen Finger sehen, die zum Flötespielen sicher gut geeignet sind. »Ja, so ein Lied hab ich geschrieben. Allerdings war es ursprünglich als Panflötenstück gedacht. Aber mir gingen einige Textzeilen nicht mehr aus dem Kopf, deswegen habe ich es für die Band umgeschrieben«, erklärt sie und steht auf. Ich beobachte sie mit kribbelndem Magen, während sie vorsichtig die Panflöte von dem kleinen Beistelltisch aufhebt und dann einige Blätter auf den einen Notenständer schiebt. »Ich spiel’s dir vor«, meint sie und setzt die merkwürdig aussehende Flöte an die Lippen, die mich dunkel an Peter Pan erinnert. Im nächsten Moment kriecht die Gänsehaut aus meinem Nacken über meinen ganzen Körper, als Calla anfängt, auf diesem wunderlichen Instrument zu spielen, das auch diese komischen Indianer manchmal benutzen, wenn sie bei uns in der Fußgängerzone spielen. Es klingt fremdartig und mysthisch und ich ertappe mich dabei, wie ich tiefer ins Sofa sinke und die Augen schließe. Ich habe zwar keine große Ahnung von Musik, aber das, was Calla da spielt, klingt wirklich toll. Als die Musik schließlich aufhört, öffne ich blinzelnd die Augen und setze mich wieder gerade hin. Calla sieht amüsiert zu mir herüber und ich spüre, wie mein Gesicht heiß wird. »Klingt ganz gut«, sage ich bemüht lässig, doch ich scheitere kläglich, weil meine Stimme heiser vor Verlegenheit ist. In Callas Gegenwart fällt es mir schwer, genauso rotzfrech zu sein wie normalerweise. Calla legt die Flöte beiseite und kommt zum Sofa zurück. Als sie sich setzt, rutscht ihr Shirt wieder nach oben und ich bin einen Moment lang versucht, mich einfach auf sie zu stürzen. Aber das hat sich im nächsten Augenblick erledigt, weil Calla sich aufs Sofa kniet, sich über mich beugt und mich zärtlich auf den Mund küsst. Mein Gehirn schaltet sich ab, als ich meine Arme um sie schlinge und sie zu mir ziehe. Sie landet halb auf mir und ich spüre überdeutlich, wie sich ihre Brüste gegen meine drücken. Meine Hände gleiten fahrig über ihren Rücken. Das Shirt hat nun vollends seinen Sinn verfehlt und ist soweit hoch gerutscht, dass es nun nur noch die Hälfte von Callas Rücken bedeckt. Ihre nackte Haut unter meinen Finger benebelt meine Sinne, ihre Zunge an meinen Lippen bringt mein Herz dazu, noch einen Zahn zuzulegen. Eine ihrer schlanken Hände fährt unter meinen Pullover, tastet sich meinen Bauch hinauf und erreicht schließlich meinen BH. Ich keuche erregt auf, als sie ihn leicht beiseite schiebt und ihre Fingerspitzen über die entblößte Haut streichen. Als sie den Kuss löst, gebe ich ein unwilliges Geräusch von mir und halte sie fest, damit sie ja nicht auf den Gedanken kommt, von mir herunter zu steigen. Ihre Lippen sind im nächsten Moment neben meinem Ohr. »Weißt du noch, im Mai«, flüstert sie und ich schaudere leicht, als ihr Atem meine Ohrmuschel streift, auch wenn ich keine Ahnung habe, wovon sie redet, »als du total betrunken auf dieser Party warst, an die du dich nicht mehr erinnerst?« Ich runzele verwirrt die Stirn, doch mein Gehirn tut sich schwer mit dem Denken. Ich bin viel zu scharf auf sie, als dass ich jetzt mit dem Rummachen aufhören wollen würde. »Du hast mich mit zu dir nach Hause genommen und jetzt weißt du es nicht mehr. Du willst mich rumkriegen, dabei hast du schon mal mit mir geschlafen«, wispert sie. Ich spüre, wie ich sie automatisch loslasse und anstarre. Ihr Blick ist unergründlich und mein Herz sackt in die Gegend meiner Kniekehlen. Soll das ein Scherz sein? Wir haben schon miteinander geschlafen und ich weiß es nicht mehr? Kapitel 7: Alles ---------------- Hier haben wir also das letzte Kapitel! Kein Kitsch! Jippie ;) Aber es hätte auch nicht zu den beiden gepasst. Danke für die lieben Kommentare und die Favoriteneinträge. Vielleicht bis zur nächsten Shojo Ai Story :) Viel Spaß beim Lesen und liebe Grüße, ____________________________ Nach dreißig Schreckenssekunden sackt mir der Magen in die Kniekehlen und ich fühle mich plötzlich winzig klein. Mein Gehirn tut das, was es immer in diesen Situationen tut: Es fährt den Selbstschutzmechanismus hoch und ich höre, wie ich spreche. »Achso? Und ich dachte du bist kein Mädchen für eine Nacht?« Meine Stimme klingt sarkastisch und beißend, so als wäre es Callas Schuld, dass ich mich an die verdammte Party im Mai nicht mehr erinnern kann. Es war mein erster und einziger richtiger Absturz, ich weiß nicht mal mehr, wieso ich mich so abgeschossen habe. Gute Laune und Leo in meiner Nähe. Während ich darüber nachdenke, setzt Calla sich auf und fast zeitgleich kommt mir noch ein zweiter Gedanke. War Calla zu der Zeit nicht sogar noch mit ihrem langen, blonden Lulatsch zusammen? Sie steht auf und streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Ihr Gesicht sieht vollkommen nichts sagend aus, als sie sich zu mir umdreht und mich ansieht. »Wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt gern allein sein.« Obwohl ihre Stimme ruhig ist, glaube ich einen ziemlich kühlen Unterton heraus zu hören und ich schlucke unweigerlich. Einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken, mich zu weigern. Mein Herz krampft sich unangenehm zusammen und ich stehe auf, streiche mir ebenfalls durch die Haare und schiebe meinen Pullover hinunter. Aber Calla lässt mir keine Gelegenheit dazu, zu bleiben, sie pfeift durch die Zähne und ihr Monster von einem Hund kommt durch die Tür gewatschelt und setzt sich treudoof an Callas Seite. Offenbar will sie wohl ganz sicher gehen, dass ich verschwinde und das tue ich jetzt auch. Als die Tür hinter mir zufällt, fühle ich mich so miserabel wie noch nie in meinem Leben. Ich stehe noch eine ganze Weile lang vor der geschlossenen Tür und frage mich, was genau eigentlich passiert ist. Ich habe schon einmal mit Calla geschlafen. War sie zu dieser Zeit mit ihrem Exfreund zusammen? Ich verstehe überhaupt nichts mehr und langsam gehe ich die Treppen in dem hässlichen, senfgelben Treppenhaus hinunter, für das ich jetzt keine Aufmerksamkeit mehr übrig habe. Ich merke gar nicht, wo ich überhaupt hinlaufe, bis ich feststelle, dass ich vor Leos Tür stehe. Nach einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass es halb fünf ist. Ich drücke auf den Klingelknopf mit der Aufschrift Kaufmann und zu meiner Erleichterung summt der Türöffner. »Du siehst schrecklich aus«, begrüßt Leo mich unumwunden. Sie hat nasse Haare und trägt ihren flauschigen, dunkelroten Bademantel. Ich bin nicht mal in der Stimmung dazu, etwas Freches zu erwidern. Stattdessen gehe ich in die Wohnung, ziehe meine Schuhe und meine Jacke aus und drehe mich zu ihr um, um ihr zu erzählen, was gerade passiert ist. Leo hebt ihre Augenbrauen und zieht mich forschend an. »Sag mal… weinst du?« Ich stutze und schüttele den Kopf, fahre mir mit dem Handrücken über die Wange und erstarre. Da sind tatsächlich Tränenspuren und ich hab es nicht mal gemerkt. Ich hab seit Jahren nicht mehr geflennt und wenn doch, dann nur beim Lachen. Ich weiß auch gar nicht, warum ich flenne. Calla steht mir nicht nahe, wir haben uns nicht gestritten, ich hab keine Ahnung, was eigentlich mit mir los ist. Ich habe das Gefühl neben mir zu stehen und nur Außensicht zu haben. Ich bin nicht traurig, ich bin nur verwirrt. Und irgendwie sauer. Aber eigentlich mehr auf mich selbst. Allerdings weiß ich wiederum nicht, weswegen ich sauer auf mich selbst bin. Das ist alles zum Kotzen. Deswegen mag ich Gefühle nicht, sie nerven und man versteht sie nicht. Leo nimmt mich in den Arm, aber das hilft mir irgendwie auch nicht weiter, sie macht alles noch schlimmer damit, was auch immer ALLES eigentlich ist. »Du hast seit sechseinhalb Jahren nicht mehr geweint«, stellte sie fest, schiebt mich ins Wohnzimmer und gießt Tee von einer Kanne in ihre Lieblingstasse. Dann hält sie mir die Tasse hin und kramt nach einem Taschentuch. »Ich weine ja eigentlich gar nicht«, sage ich entnervt und wische mir über die Augen, »es fühlt sich gar nicht wie weinen an, ich merke nicht mal, dass ich weine, ok?« Leo verdreht die Augen, reicht mir ein Tempo und sieht mich abwartend an. Ich nehme die Tasse Tee und rieche daran. Wahrscheinlich Blutorange. Leos Lieblingstee. »Also, du weinst nicht. Weswegen weinst du denn eigentlich nicht?«, fragt sie mich. Ich grummele leise, nehme einen Schluck Tee und starre in die Tiefen der Flüssigkeit. Dann sehe ich auf und schaue meine beste Freundin an, die abwartend dort sitzt und darauf wartet zu erfahren, weswegen ich nicht weine. Selbst in meinen Gedanken klingt das bescheuert. Also erzähle ich ihr die kurze Geschichte von meinem Entschluss, mit Calla zu reden, von der Vereitelung durch das Hard Rock Café T-Shirt, vom Rummachen und Panflötenmusik und schließlich von der Wahrheit, die Calla mir offenbart hat. Leo hört schweigend zu, nimmt mir ab und an die Teetasse aus der Hand und genehmigt sich einen Schluck, ehe sie sie mir zurück reicht. Als ich schließlich geendet habe, seufzt sie leise und lehnt sich in ihrem Sofa zurück. »Manchmal frage ich mich heimlich, ob das Klischee von naiven Blondinen auf dich zutrifft«, sagt sie dann unvermittelt und ich bin so verblüfft, von Leo so etwas zu hören, dass mir die Kinnlade leicht herab sinkt. Sie zuckt die Schultern. »Vielleicht ist es ja auch kein Zufall, dass die Worte blond und blind nur von einem einzigen Vokal unterschieden werden. Hast du dir schon mal überlegt, dass du vielleicht doch mehr an ihr interessiert bist, als du glaubst? Dass du ausnahmsweise mal mehr als Sex willst? Du sitzt hier wie ein Häufchen Elend, so hab ich dich noch nie gesehen. Normalerweise hättest du dich darüber tot gelacht oder dich geärgert, weil du dich nicht mehr dran erinnerst, ob Calla gut im Bett war oder nicht. Aber du tust nichts dergleichen. Du weinst und trinkst meinen Lieblingstee, den du sonst immer abscheulich gefunden hast«, sagt sie, verschränkt die arme vor ihrem flauschigen Bademantel und sieht mich fast herausfordernd an. Offenbar ist das der Punkt, an dem sie das Gefühl hat, mir so richtig den Kopf waschen zu müssen. »Übrigens hab ich vorhin mit Tian geredet«, fügt sie hinzu. Ich blinzele verwirrt, immer noch schwirren mir Leos Worte im Kopf herum. »Wer ist Tian?«, frage ich stumpf. Sie schüttelt resigniert den Kopf. »Die kleine Asiatin, die dir ständig nachrennt. Ich hab ihr erzählt, dass du auf SM stehst und deine ‚Opfer’ gern mit zu Orgien nimmst. Ich war überzeugend, sie hat’s offenbar geglaubt. Scheint ziemlich naiv gewesen zu sein«, meint sie erklärend. Wenn ich nicht so sehr mit meinem Calla. Problem beschäftigt gewesen wäre, dann hätte ich darüber gelacht. Aber immerhin hab ich Dank Leo ein Problem weniger. Ich glaube, so schweigsam wie an diesem Abend war ich schon lange nicht mehr. Nachdem Leo mir unterschwellig den Kopf gewaschen hat, denke ich die ganze Zeit über ihre Worte nach und wir essen Schokolade, gucken einen total hohlen Film à la American Pie und eigentlich möchte ich sie gerne fragen, ob sich was Neues bei ihr und Hanna ergeben hat, aber ich weiß, dass ich ohnehin nicht richtig zuhören könnte und das hat Leo ja nun wirklich verdient. Ich weiß nicht mehr, wann ich eigentlich auf ihrer Couch eingeschlafen bin, aber ich träume wirre Sachen von riesigen Panflöten, Glückskeksen und einem Hund, der mit Leos Stimme zu mir spricht. Gott sei Dank ist Samstag. Als ich aufwache, rieche ich Kakao und frische Croissants und Leos Shampoo. Blinzelnd öffne ich die Augen. Leo hat eine kuschelige Wolldecke über mir ausgebreitet und mir eins von ihren geschätzten fünfhundert Kissen unter den Kopf geschoben. Ich höre sie leise in der Küche summen und als ich mich aufsetze, kommt sie gerade mit zwei Marmeladegläsern und einem Honigglas aus der Küche ins Wohnzimmer. »Guten Mittag«, sagt sie lächelnd und stellt die Sachen auf ihren Tisch. Ich reibe mir die Augen und gähne herzhaft. »Wie spät ist es?«, will ich wissen. Leo wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr. »Halb zwölf. Du hast mein Kissen angesabbert«, informiert sie mich schmunzelnd und ich grummele ungehalten, schiebe die Wolldecke von mir herunter und lasse mich auf einen ihrer Stühle fallen. »Warst ja schon so fleißig«, murmele ich immer noch im Halbschlaf und sehe dabei zu, wie Leo mir Kakao in eine Tasse schenkt. »Kann nicht jeder so ein Murmeltier sein wie du. Ich war schon einkaufen und hab ein paar Telefonate geführt«, erklärt sie beiläufig. Ich bin nicht aufnahmefähig genug, um es merkwürdig zu finden, dass Leo sich schon so früh am Tag quer durch die Stadt telefoniert. Wir frühstücken ausgiebig, hören Musik dabei und beobachten ab und an, wie draußen von einem heftigen Wind weiße Wolken am blass- blauen Himmel dahin getrieben werden. Als wir fertig gefrühstückt haben, helfe ich Leo beim Abräumen und Spülen, wir albern ein wenig herum und ich vergesse für einige Minuten fast gänzlich, dass ich gestern geflennt habe. Bis ich in Leos Badezimmerspiegel schaue und feststelle, dass ich aussehe wie Quasimodo, der Glöckner von Notre Dâme. Das erinnert mich an Calla und an das Knutschen und an die Panflöte und an die Party im Mai. Na wunderbar. Sofort fällt meine Laune in den Keller und ich grummele leise, dann mache ich fertig, ehe ich schließlich nach Hause gehe, weil ich noch einige Dinge für die Uni erledigen muss. Zu meinem Entsetzen bin ich kurz davor, Amok zu laufen. Und der Grund dafür ist so beschissen, dass ich ununterbrochen lauthals fluchen will. Ich will sie sehen. Unbedingt. Und wenn es nur mal ein kurzer Blick in der Uni wäre. Aber sie ist einfach nie da, wo ich bin, ihre Band tritt im Dezember nicht in meinem Lieblingsschuppen auf, sie ist wie vom Erdboden verschluckt und es macht mich wahnsinnig. Nachts werde ich manchmal wach, weil ich von ihren Küssen träume und dann schaue ich mich um und mir fällt ein, dass Calla ganz sicher nicht hier ist. Und ich komme mir ziemlich bescheuert vor. Aber nur ich weiß von diesen Träumen und dem Wunsch, dass Calla tatsächlich da ist, wenn ich aufwache. Ich sehe schon Leos triumphierendes Grinsen vor mir. Aber Leo schweigt sich über das Thema Calla vollkommen aus. Nach ihrem kleinen Ausbruch in ihrer Wohnung sagt sie kein Wort mehr über Calla oder über meine chronische Dummheit, was dieses Thema angeht. Dafür kauen wir das Thema Hanna sehr ausführlich durch und als sie mir kurz vor Weihnachten sagt, dass Hanna ihr versprochen hat, es ihren Eltern endlich zu beichten, da leuchten ihre Augen wie zwei Neonlichter. »Und gestern haben wir das erste Mal öffentlich Händchen gehalten«, sagt sie und ihre Wangen färben sich vor lauter Freude rot. Ich seufze leise. Ich würde mit niemandem Händchen halten wollen. So weit kommt es noch. »Es ist so toll, endlich springt sie über ihren Schatten. Ich überlege schon die ganze Zeit, was ich ihr zu Weihnachten schenken könnte«, meint Leo glücklich seufzend. Ich kann nur den Kopf schüttelnd. Leo kriegt von mir eins von diesen Armbändern, wo man verschiedene Teile dranpinnen kann. Ein Teil hab ich ihr schon gekauft, so eine kleine Plakette mit einem Ahornblatt drauf, weil sie so auf den Herbst steht. Ja, ich schenke meiner besten Freundin Schmuck. Na und? Sie sammelt ihn ja schließlich. Ich hab es nicht so mit Weihnachten. Die ganzen Lichter und das Gedränge in der Stadt und all diese grelle Weihnachtsdeko. Ich hab in meiner Wohnung eine Vase mit ein paar Tannenzweigen drin, da hängen fünf oder sechs rote Christbaumkugeln dran und auf meinem Wohnzimmertisch steht ein Windlicht mit Kerze drin. Das ist das höchste der Gefühle, was ich für Weihnachten aufbringen kann. Wenn ich meine Eltern besuche, werde ich sicherlich mit Gansessen und Lebkuchen und Lichterketten überhäuft, da muss ich meine eigene Bude schließlich nicht auch noch in so eine Weihnachtshölle verwandeln. Das Fest der Liebe. Pf. Wer braucht so was schon? Wird alles komplett überbewertet. Am zwanzigsten Dezember schreibt Leo mir eine Sms, dass sie in einer Viertelstunde bei mir ist und dringend mit mir reden muss. Meine Warnglocken bimmeln sofort. Vielleicht ist irgendwas mit Hanna oder so was. Aber als Leo bei mir ankommt, in einen dicken Mantel, Schal und eine Wollmütze gehüllt, sieht sie strahlend und wunderbar gut gelaunt aus. »Was ist mit dir los? Du siehst aus wie ein beleuchteter Christbaum«, sage ich verwirrt und sie kichert leise, zieht ihre absatzlosen Stiefel aus und wirft ihren Mantel samt Schal und Mütze einfach in die nächstbeste Ecke. »Erstens: Ihre Eltern sind nicht tot umgefallen, waren leicht geschockt, aber wollen mich kennen lernen und haben mich zum Essen am zweiten Weihnachtsfeiertag eingeladen!«, sagt sie euphorisch und strahlt mich so breit an, dass ich beinahe erblinde. »Oh, cool«, sage ich und grinse. Ich verkneife mir ein »Hat ja lang genug gedauert!«. Ich will Leos Laune nicht trüben. »Und zweitens: Ich habe mit Calla gesprochen und jetzt weiß ich alles!« Fast verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke und meine Kinnlade sackt einige Zentimeter nach unten. »Du hast… was?«, entgegne ich fassungslos. »Erinnerst du dich noch, wie du mit Hanna telefoniert und ihr gesagt hast, dass du sie umbringst, wenn sie das nicht endlich mit mir regelt? Ich habe mir ein Beispiel an dir genommen. Wenn du schon weinst, dann ist eindeutig Not an der Frau und deswegen habe ich die Sache in die Hand genommen«, erklärt sie mir enthusiastisch und rauscht an mir vorbei in mein Wohnzimmer. Auf den Schreck muss ich mir erstmal eine Zigarette anzünden. Ich gehe zu meinem Fenster, reiße es – ungeachtet des Schneegestöbers draußen – auf und stecke mir einen Glimmstängel an. »Und… und was heißt das genau… du hast die Sache in die Hand genommen?«, frage ich leicht krächzend und ziehe hektisch an meiner Kippe. Leo sieht so begeistert aus, dass ich mich am liebsten aus dem Fenster stürzen möchte. Ich spüre entnervt, dass mein Herz wie eine Dampflok pumpt. »Auf der Party im Mai seid ihr zusammen zu dir gegangen. Sie hat dich nach Hause gebracht, weil du total betrunken warst und kaum noch laufen konntest. Reden konntest du dafür umso besser und sie hat mir erzählt, dass du die ganze Zeit meintest, sie sei ja so hübsch und dass du Angst vor Bindungen hast und dass der einzige Mensch, den du je heiraten würdest, ich bin…« Ich starre sie an wie die Wirklichkeit gewordene Heiligenerscheinung. »Ich… ich hab gesagt, dass ich Schiss vor Bindung habe?«, frage ich total verdattert. Ich kann es gar nicht glauben, dass ich im besoffenen Zustand so etwas von mir gebe. Einmal übertreibt man und dann das… »Ja, hast du offenbar. Sie hat dich rauf gebracht und meinte, dass sie dich schon länger beobachtet hat und obwohl du betrunken warst, fand sie dich total interessant, einfach weil du nach außen hin immer so ein Macker bist. Sie hat schon ewig keine Frau mehr gehabt und meinte, sie hätte sich total zu dir hingezogen gefühlt…« Mir wird plötzlich ziemlich heiß und ich räuspere mich. Aber ich kann nichts sagen und lasse Leo einfach weiter reden. »Dann hat sie mir erzählt, – und jetzt kommt der Knüller, pass auf – dass sie früher genauso war wie du. Bis sie neunzehn war, hat sie alles Weibliche abgeschleppt, was sie kriegen konnte. Ist das nicht witzig? Jedenfalls hat sie damit aufgehört, nachdem sie mit dir geschlafen hat. Irgendwann nach Beginn ihres Studiums kam sie ja mit diesem Kerl zusammen, dessen Namen ich grad vergessen hab. Aber ist ja auch egal, jedenfalls hat sie mit dir geschlafen, obwohl sie mit ihrem Freund zusammen war und sie hat mit ihm Schluss gemacht, weil sie durch dich gemerkt hat, dass sie mehr zu Frauen tendiert und immerzu an dich denken muss. Verstehst du? Sie hat wegen dir ihren Kerl verlassen! Und jetzt kommt der Oberhammer…« Ich kann mir fast nicht vorstellen, was noch oberhammermäßiger sein soll, als das, was Leo mir gerade erzählt hat. Mir ist ganz schwindelig vor lauter wahnwitzigen Informationen über Calla. »Sie hat immerzu versucht, deine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, als sie gepeilt hat, dass du den Abend vergessen hast, aber du hast sie nie bemerkt. Und als sie dann anfing dich demonstrativ zu ignorieren, da hast du plötzlich angefangen dich für sie zu interessieren, verstehst du? Und als sie meinte, sie sei kein Mädchen für eine Nacht, da hat sich das nur auf dich bezogen und auf die Nacht, in der ihr beide Sex hattet. Das hieß nur, dass sie mehr von dir will als Sex, aber du konntest dich natürlich nicht erinnern, weil du so blau warst. Sie hat gesagt, dass sie eigentlich kein Beziehungsmensch ist, aber dass sie den Gedanken total unerträglich findet, dass du dich weiterhin durch die Gegend vögelst, obwohl du Gefühle für sie hast, was sie übrigens gemerkt hat«, fährt Leo fort und strahlt mich an. Ich schnippe die Zigarette aus dem Fenster, wische mir Schneeflocken vom Pulli und schließe fröstelnd das Fenster. »Du meinst, dass sie… also… ich meine…« Ich kann die Informationen kaum verarbeiten, weil es so viele unglaubliche Informationen waren, auf die ich nie gekommen wäre. Leo steht auf und knuddelt mich. »Verstehst du? Ich hab dich als Sirene bezeichnet, aber sie war auch immer eine. Ihr habt euch gegenseitig gefangen«, meint sie glucksend. Ich hänge matt in ihren Armen und weiß nicht, was ich davon halten soll. Was bedeutet das nun? Dass Calla eine Beziehung mit mir probieren will? Ich fühle mich ganz taub und in meinem Kopf schwirrt alles. »Du willst sie doch… oder?«, fragt Leo und sie klingt dermaßen herausfordernd, dass ich mich gar nicht traue, ihr zu widersprechen, auch wenn ich das wohl normalerweise getan hätte. Ob es nun stimmt, oder nicht. »Naja… ja… vielleicht so ein bisschen«, sage ich kleinlaut. Allein, dass es mir in den letzten Tagen so beschissen ging, weil ich Calla nicht gesehen habe, zeigt selbst mir, dass da wohl nicht nur Sex im Spiel ist. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich bereit für so ein Beziehungsding bin. Ich bin vierundzwanzig und hatte bisher noch keine Freundin. Sicher bin ich eine totale Versagerin in solchen Dingen. »Wunderbar! Sie kommt in einer halben Stunde hier her, ich hab ihr deine Adresse gegeben. Versau es nicht, das ist eins meiner Geschenke für dich zu Weihnachten!«, meint sie überschwänglich, drückt mich noch einmal und drückt mir einen Kuss auf den Mund, dann rauscht sie aus dem Wohnzimmer und ich höre, wie sie sich im Flur anzieht. Mein Körper wechselt von Taubheit auf ein total komisches Kribbeln überall. Diese Achterbahnfahrt ist echt scheiße. »In einer halben Stunde?«, frage ich zur Sicherheit und werfe einen Blick auf die Uhr. Leo nickt und setzt sich ihre beige Wollmütze auf die widerspenstigen Locken. »Viel Glück. Wir telefonieren und ich komm am ersten Weihnachtsfeiertag zu dir und bring dir dein Geschenk«, meint sie lächelnd, wuschelt mir durch die Haare und dann winkt sie mir, ehe sie die Treppen hinunter verschwindet. Ich stehe noch eine ganze Weile wie angewurzelt da und rühre mich nicht. Dann schließe ich die Tür, schaue erneut auf die Uhr und falle fast um, weil es nur noch zwanzig Minuten sind, bis Calla herkommt. Ich renne ins Bad und starre in den Spiegel. Sehe ich gut aus? Die Frage hab ich mir seit vierundzwanzig Jahren nicht gestellt, oder sie jedes Mal mit ‚Ja’ abgetan. Jetzt bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher und greife hastig nach meinem Haargel. Zwei Sekunden später stelle ich es wieder weg und haste stattdessen ins Wohnzimmer, um ein bisschen für Ordnung zu sorgen. Eigentlich ist das nötig, weil es bei mir immer ordentlich ist, aber es kann nicht schaden, die Kissen noch mal zurechtzurücken und ein peinliches Foto von Leo und mir in eine Schublade zu stecken. Gerade überlege ich mir, ob ich nicht doch noch Haargel benutzen will, als es klingelt. Mein Herz und ich fahren zusammen und mir wird noch heißer, als ich in Richtung Tür schlurfe. Es fühlt sich an, als wäre mein Körper doppelt so schwer wie sonst. Ihre Schritte auf der Treppe klingen unnatürlich laut in meinen Ohren und als ich sie sehe, rutscht mir das Herz in die Hose und schlägt dort in einem atemberaubenden Tempo weiter. Ich glaube, ich bekomme gleich einen Herzinfarkt. Hut, Stulpen, Lederjacke. Die lässige Art. Wieso ist sie zwei Jahre jünger als ich und benimmt sich wie eine weise alte Frau? »Hallo«, sagt sie und lächelt ganz merkwürdig. Ich werde sicher gleich ohnmächtig. Wieso hat mir nie jemand gesagt, wie man in solchen Situationen handeln sollte? Wieso hat Leo mir keine Tipps gegeben? Die elende Verräterin. »Wo hast du dein Untier gelassen?«, frage ich matt. Herzlichen Glückwunsch, Melina Borchers. Sie haben den Nobelpreis für die dümmsten Fragen und eine Kaffeemaschine gewonnen… »Der kann auch ein paar Stunden allein sein«, versichert sie mir amüsiert und zieht ihre Schuhe aus. Denen folgt die Lederjacke und dann steht sie in meinem Flur und sieht sich um. Schweigend und sich umsehend schlendert sie in Richtung Wohnzimmer und ich folge ihr. So nervös war ich nicht mal bei meiner Einschulung. »Deine beste Freundin ist sehr nett«, meint sie und betrachtet interessiert eins meiner Modelle, das in der Ecke des Wohnzimmers steht. »Weiß ich«, nuschele ich. Calla schmunzelt. »Und du würdest sie heiraten. Das muss Liebe sein«, fügt sie hinzu. Aus irgendeinem Grund laufe ich knallrot an. »Ähm…ja…« Sie kommt zu mir herüber und ich wünsche mir schnellst möglich eine Gebrauchsanweisung. Aber sie scheint genau zu wissen, was sie will, denn sie legt ihre Arme um meine Taille und zieht mich zu sich. »Ich bin ein Gefühlskrüppel«, krächze ich. Sie grinst. »Weiß ich…« »Und ich bin kein Beziehungsmensch«, füge ich noch leiser hinzu. Sie mustert mich ganz aus der Nähe, als wäre ich das Spannendste, was sie je gesehen hat. »Ich auch nicht.« »Und ich hab wirklich keine Ahnung, wie…« Offensichtlich ist ihr das alles egal und sie will es trotzdem probieren. Ich kann es nicht fassen. Ich habe mir gerade eine Art Beziehungsding ans Bein gebunden und meine Freiheit flattert durchs Fenster davon. Seltsamerweise fühlt sich ihr inniger Kuss besser an als jeder, den ich je in Freiheit bekommen habe. Wie sagte Leo vorhin? Ach ja. Die Sirenen haben sich gegenseitig gefangen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)