Ausgeprinzt von mystique (∼ Das etwas andere Märchen ∼ SetoxJoey) ================================================================================ Kapitel 5: ... sich mit ihm verbündete ... ------------------------------------------ Prinz Joey wusste nicht, wie ihm geschah. In einem Moment hatte er noch angenommen, der Drache würde seine geliebte Prinzessin beschützen und dann stellte sich plötzlich heraus, dass es kein Mädchen war, sondern ein kleiner Junge. Ein ängstlicher kleiner Junge. „Marik, komm zurück!“, rief er dem Sandelf zu, welcher nicht von dem Bett zurückgewichen war. Seto tobte vor dem Fenster, sein Schwanz peitschte wild durch das Zimmer, zertrümmerte die Einrichtung. Joey blickte über seine Schulter zu der Tür des Zimmers. Tristan und die anderen standen dort, Bakura vorweg. Joey sah das hungrige Glitzern in den Augen des Wolfes, angesichts eines bevorstehenden Kampfes. „Bleibt zurück“, sagte er eindringlich, sah jedoch nur den Wolf an. „Das ist ein Befehl.“ Dann wandte er sich um und tat das wohl Unüberlegteste, jedoch einzig für ihn logische in dieser Situation: Er stürzte sich mitten in das zerstörerische Getümmel. Marik wich den Schwanzhieben des Drachen aus und trat schließlich geschickt näher an das Bett. „W-wer bist du?“, hörte Joey den Jungen fragen, welcher vor dem Sandelf zurückwich, die Decke mit seinen kleinen Händen fest an sich pressend. Joey blickte zum Fenster, vor dem das Drachengesicht schwebte und sah einen mörderischen Ausdruck in den Augen des Wesens auftauchen. Das ganze würde mit Blut enden, wenn sie nicht eine Lösung fanden. „Marik!“, schrie er den Mann vor sich an, packte ihn am Arm und zog ihn zurück. „Geh weg von dem Jungen!“ „Wir müssen ihn hier raus bringen“, erwiderte Marik nicht minder laut über den Lärm hinweg. „Der Drache wird den Turm zum Einsturz bringen, wenn er so weiter macht.“ „Er wird uns töten, wenn wir noch länger bei dem Jungen bleiben!“ Sie duckten sich, als der Schwanz mit einem Brüllen Setos über sie hinwegfegte und einen Schrank zertrümmerte. Holzteile flogen durch die Luft. „Willst du ihn etwa hierlassen?“, fuhr Marik den Prinzen an. „Der Drache hält ihn hier fest! Nur weil er keine Prinzessin ist, muss er dir nicht egal sein!“ Diese Worte trafen Joey wie ein Schlag. Er schüttelte den Kopf und trat einen Schritt zurück. „Das ist überhaupt nicht –“ Er kam nicht dazu, den Satz zu beenden, weil auf einmal seine Welt erschüttert wurde und er aus seinem Körper gerissen zu werden schien. Alles wurde schwarz. Als die Sicht zu ihm zurückkehrte, lag er inmitten der Trümmern eines Bettpfostens , am anderen Ende des Raumes. Sein Gehör war gedämpft, er nahm alles entfernt wahr. Sein ganzer Körper schmerzte. Der Drache , informierte ihn ein Teil seines kaum noch anwesenden Bewusstseins. Er stand kurz davor, es zu verlieren. Sein unfokussierter Blick richtete sich auf die schemenhafte Gestalt, nur wenige Meter von ihm entfernt. Ein Junge ... Junge ... Etwas in ihm bäumte sich auf. Junge. Es wurde stärker, bis die Erkenntnis schließlich zu ihm durchdrang: Der Junge! Seine Hände tasteten nach dem Untergrund, suchten Halt und langsam richtete er sich auf. Er bewegte sich wie in einem Traum, hockte schließlich am Boden und mobilisierte alle ihm verbliebenen Kräfte, die ihm geblieben waren, um einen Satz zu machen und mit einem dumpfen Geräusch vor dem Bett auf den Boden zu schlagen. Seine Fähigkeit, Distanzen einzuschätzen, war wohl mit dem Treffer des Drachen weggefegt worden. Er lag am Boden und blickte stöhnend nach oben. Er hatte keine Kraft mehr, aufzustehen. Ein Gesicht schob sich in sein Blickfeld. Ohne zu wissen, wieso, streckte er die Hand danach aus. Eine viel kleinere griff nach seiner. Schlagartig kam jede Bewegung im Raum zum Erliegen. Der Drache verstummte. Joey versuchte, seinen Blick zu schärfen, doch alles, was er sah, waren schwarze Haare, die überall zu sein schienen. Das Atmen tat ihm weh. „Mokuba.“ Eine Stimme, nicht die von Marik oder Tristan. Vielleicht Yugis? Nein, Yugi knurrte nicht. Dann musste es Bakura sein ...? „Lass ihn los.“ ... Seto? „Das ist er.“ Wer? „Er ist es, Seto.“ Er verstand nicht ... „Er?! Der Menschenprinz?“ Er gab es auf und sein Griff um die Realität lockerte sich. Er wurde bewusstlos. Ein Schlag gegen den Kopf holte ihn zurück. Er konnte keine Sekunde weggewesen sein. „Jetzt ist nicht der Zeitpunkt, zu schlafen, Mensch.“ Der Drache. Natürlich. Joey knurrte, hob die freie, viel zu schwere Hand und griff sich an den pochenden Hinterkopf. Der Drache hatte die Frechheit besessen, ihn mit seinem Schwanz zu schlagen! Hatte er denn keinen Respekt vor bewusstlosen Menschen? „Mokuba, was hast du gesehen?“ Mokuba? Joey öffnete die Augen – es fiel ihm leichter als vor wenigen Sekunden. Der Schlag des Drachen schien wirklich etwas ausgerichtet zu haben. Vor ihm auf dem Boden hockte der Junge, Joeys Hand noch immer in seiner. Seine Augen waren Auf Joey gerichtet und etwas in ihnen ließ den Prinzen erschaudern. Das waren nicht die Augen eines Kindes. Es waren die Augen einer Person, die schon zuviel gesehen hatte. „Er ist es, Seto“, sagte der Junge und beugte sich vor, schien Joey mit seinem Blick bis auf die Seele sehen zu können. „Er kann mich retten.“ Joey, der die vergangenen Momente damit zugebracht hatte, seine Stimme wieder unter Kontrolle zu bringen und zu fragen, was bei allen Königen hier vor sich ging, sagte: „Hä?“ oOo „Keine gebrochenen Knochen, aber du wirst einige Prellungen davontragen. Und du hast dir den Kopf angeschlagen, deswegen ist dir schwindelig. Du hast Glück gehabt, dass der Bettpfosten deinen Flug abgebremst hat, sonst wärst du in die Mauer geflogen.“ „Was bin ich ein Glücksprinz“, entgegnete Joey laut. Dabei starrte er den Drachen die ganze Zeit über giftig an. Seto ließ sich davon nicht stören. Joey meinte sogar ein amüsiertes Funkeln in den Augen des Wesens wahrgenommen zu haben. Der Prinz war beleidigt. Er hatte die ganze Zeit versucht, diplomatisch zu bleiben und wie dankte der sture Drache es ihm? Mit einem Schwanzhieb und einem anschließenden Schlag auf den Kopf. „Heißt das jetzt soviel wie Waffenstillstand?“, knurrte Bakura, der sich angesichts der Situation merklich verstimmt gab. Marik saß mit verschränkten Armen auf einem Stuhl am Ende der Tafel, die Augen geschlossen und den Kopf in den Nacken gelegt und schwieg bereits seit mehreren Minuten. „Nicht, wenn du mich fragst“, erwiderten Seto und Joey gleichzeitig. Sie starrten sich böse an. Bakura verdrehte die Augen und streckte sich, bevor er sich hinlegte. „Na dann.“ „Es tut mir leid, Prinz.“ Bei den Worten wurden Joeys Gesichtszüge weicher und seine Miene schuldbewusst. Der Junge – Mokuba – saß, in einige Decken gewickelt, zwischen den Klauen des Drachen. Diese wirkten neben dem Jungen weniger bedrohlich als beschützend. Joey seufzte und gab Yugi mit einem vorsichtigen Nicken – begleitet von einer Welle Kopfschmerzen – zu verstehen, dass er ihn nicht weiter behandeln musste. „Schon gut. Wenn sich jemand entschuldigen muss, dann bin ich es. Und zwar für die Voreile von mir und meinen Freunden.“ Bakura gab einen abfälligen Laut von sich, rührte sich jedoch nicht weiter. Er hatte die Augen geschlossen, doch seine Ohren waren weiterhin wachsam aufgerichtet. Joey überging die Reaktion und fuhr fort: „Wir haben eure Privatsphäre verletzt und dafür entschuldige ich mich. Wenn es etwas gibt, was ich tun kann, um euch dafür zu entschädigen –“ „Joey“, sagte Tristan leise und mahnend. Er saß hinter dem Prinzen. „Handele dir nicht noch unnötige Aufgaben ein.“ Mokubas Gesichtszüge hellten sich auf. „Da gibt es etwas!“ Tristan ließ sich auf seinem Stuhl nach hinten fallen und legte die Hand an die Stirn. „Als hätte ich es nicht gesagt.“ „Mokuba“, mischte sich der Drache in das Gespräch ein, „überfordere den Menschen nicht.“ „Aber Seto, er ist es!“ „Was bin ich?“, fragte Joey. „Es gibt sicherlich noch andere Menschen, die dafür infrage kommen“, beharrte Seto. „Das wissen wir nicht. Seto, mir läuft die Zeit davon.“ Mit einem seltsamen Gefühl beobachtete Joey, wie ein dunkler Ausdruck in den Augen des Drachen erschien. Ein Ausdruck, der gezeichnet war von Schmerz. „Ich weiß.“ Joey räusperte sich. Als Prinz war er es nicht gewöhnt, dass man in seiner Gegenwart von ihm in der dritten Person sprach. „Darf ich erfahren, worum es geht?“ Alles in Setos Blick sprach Nein, darfst du nicht, doch Mokuba nahm ihm die Aufgabe des Antwortens ab. „Wir brauchen Eure Hilfe, Prinz.“ Joey straffte seine Haltung. „Nichts so förmlich. Ich heiße Joey. Und ich sagte bereits, dass ich euch etwas schuldig bin.“ Mokuba lächelte. „Ich bin sehr krank, Joey. Meine Kraft schwindet und bald habe ich keine Kontrolle mehr über meinen Körper.“ Längst hatten sich alle Blicke auf Mokuba gerichtet, selbst der von Bakura. Joey empfand Mitleid, aber auch Bewunderung, weil Mokuba es ihnen so unberührt schilderte, ohne eine Miene zu verziehen. „Wie kann ich dir helfen?“, fragte Joey schließlich ernst. Längst hatte er sich dazu entschlossen, dem Jungen jeden Wunsch zu erfüllen. Einer so starken Persönlichkeit konnte er keine Bitte abschlagen. „Es gibt eine Möglichkeit, ihn zu heilen“, sprach zu Joey Verwunderung nun Seto. „Auf einem Berg, einige Tagesmärsche von hier entfernt, wächst eine Pflanze. Sie kann die Krankheit heilen.“ „Und wozu braucht ihr mich?“ Seto konnte sie doch sicherlich viel schneller erreichen. „Sie ist zu klein“, sagte Seto mit finsterem Blick. „Bitte?“ „Sie ist zu klein für mich. Ich kann sie nicht transportieren, dazu brauche ich die Hände eines Menschen. Und Mokuba kann ich nicht mitnehmen, weil die Reise ihn sein Leben kosten könnte.“ Für Joey wollte das noch immer keinen Sinn ergeben. „Ja aber warum ich? Dazu könntet ihr auch Yugi, Marik oder Tristan mitnehmen.“ „Ich weiß es nicht, Mensch“, knurrte der Drache. „Mokuba hat seit einigen Jahren Visionen von einer Person, die kommt und uns hilft. Und offenbar –“ „Bist du es“, beendete Mokuba den Satz mit einem fröhlichen Lächeln. „Und da sich schon einige meiner Visionen erfüllt haben, glauben wir, dass es nur mit dir funktioniert. Kannst du uns helfen, Joey? Bitte!“ Wie konnte man bettelnden Kinderaugen einen Wunsch abschlagen? Joey hatte ohnehin nicht vorgehabt, abzulehnen. „Natürlich.“ „Vergisst du nicht etwas, Joey?“, meldete sich Marik unvermittelt zu Wort. Es war das erste Mal, seit sie den Turm hinter sich gelassen hatten, dass er sprach. Seine Augen waren auf den Prinzen gerichtet. „Deine Aufgabe? Der eigentliche Grund, weswegen du hergekommen bist.“ Joey seufzte. „Glaubst du wirklich, ich würde nach alldem noch den Wunsch verspüren, einen Drachen zu erlegen und eine Prinzessin zu suchen? Na ja, eine Prinzessin kann ich mir immer noch suchen, wenn wir Mokuba geholfen haben.“ Ganz so optimistisch war er eigentlich nicht mehr. Immerhin waren Prinzessinnen so leicht nun auch wieder nicht zu finden ... Damit müsste er sich später befassen. Marik zuckte die Schultern. „Deine Entscheidung, Prinz.“ „Ganz recht“, stimmte Bakura ihm zu und die beiden tauschten einen halb amüsierten Blick aus. Joey erhob sich, richtete sich an den Drachen. „Wollen wir?“ Überraschung zeichnete sich auf den Zügen des Drachen ab. „Jetzt? Hast du es so eilig, Mensch?“ „Du etwa nicht?“, fragte Joey provozierend. Er wusste, dass er damit bei dem Drachen einen wunden Punkt berührte. Seto reckte den Hals. „Wir können jederzeit aufbrechen. Von mir aus auch sofort.“ „Je schneller Mokuba geheilt ist, desto schneller kann ich mit eine Prinzessin suchen.“ „Ach darum geht es dir nur?“ „Natürlich nicht“, gab Joey genervt zurück. Seto erhob sich langsam, stand nun über Mokuba. Tristan trat an Joey heran. „Ich begleite, dich Prinz.“ Wie auf ein Kommando sprangen Bakura und Marik auf. „Wir auch!“ Joey schmunzelte und drehte sich zu seinen Freunden um. Sie alle waren bereit, mit ihm zu gehen – ihn auf eine Mission zu begleiten, für die er sich verpflichtet hatte. Er schüttelte den Kopf. „Nein, ich gehe alleine.“ Tristan runzelte die Stirn. „Bist du dir sicher?“ „Ja, Tristan. Jemand muss bei Mokuba bleiben. Und was euch betrifft“, er richtete sich an Marik und Bakura, „habe ich einen Auftrag für euch. Natürlich nur, wenn ihr einverstanden seid. Ich befinde mich in keiner Position, euch Befehle zu erteilen.“ Bakura gähnte. „Komm zu Sache, Mensch.“ Marik gab ihm einen Klaps auf den Kopf und Bakura knurrte. „Elfe“, zischte er. „Ich bitte euch darum, Nachforschungen anzustellen, ob es irgendwo in diesem Teil des Königreichs Prinzessinnen gibt. Prinzessinnen in Not ziehe ich natürlich vor, damit ich meiner Aufgabe gerecht werde.“ Marik lachte. „Ich verstehe.“ Er sah Bakura an, welcher mit den Schultern zuckte. „Von mir aus. Hauptsache Abwechslung.“ „Einverstanden, Prinz.“ „Danke. Und euch“, er sah Yugi, Tristan und Duke der Reihe nach an, „bitte ich, bei Mokuba zu bleiben und auf ihn aufzupassen.“ „Ich schätze, du lässt sich so oder so nicht umstimmen“, resignierte Tristan. „Solange du heile zurückkommst, tue ich alles, Joey.“ „Ich weiß.“ Joey sah zu dem Drachen auf. „Bist du damit einverstanden?“ „Mokuba?“, fragte Seto und auf ein Nicken des Jungen schien auch er halbwegs zufrieden. „Ja, Mensch, ich bin einverstanden.“ „Bringt Mokuba in eines der intakten Zimmer in der ersten Etage“, sagte er zu Yugi. „Er war schon viel zu lange hier unten und darf sich nicht überanstrengen.“ Joey hatte sich von ihnen entfernt und war zu der Ecke gegangen, in denen ihre Taschen standen. Er nahm eine der Reisertaschen und begann, Proviant, Verbandszeug und Seile umzusortieren, bis er alles Notwendige beisammen hatte. Dann richtete er sich auf. Reflexartig wanderte seine Hand zu seinem Gürtel, doch sie griff ins Leere. Joeys Blick glitt an seiner Rechten hinab und traf auf die leere Schwertscheide. „Ich brauche eine Waffe“, bemerkte er, überrascht, dass er den Verlust seines Schwertes ganz vergessen hatte. „Brauchst du nicht, Mensch“, gab Seto unbeeindruckt zurück. „Solange du an meiner Seite bleibst, wird dir nichts geschehen.“ Nur widerwillig stimmte der Prinz zu. Ohne Schwert fühlte er sich hilflos aber er würde es sich in der Gegenwart des Drachens nicht anmerken lassen. „Na gut. Lass uns aufbrechen.“ Er nickte seinen Freunden zu. Seto beugte sich hinab und Mokuba legte die Arme um seine Schnauze, eine Geste der Vertrautheit, bei der Joey sich vorkam, als würde er etwas beobachten, das eigentlich nur Mokuba und Seto zustand. Er wandte den Blick ab. Dann verließ er gemeinsam mit dem Drachen den Saal und anschließend das Schloss. Er schlug die Richtung der Ställe ein, in denen sie die Pferde abgestellt hatten, doch ein schwerer Drachenschwanz versperrte ihm unvermittelt den Weg. Joey sprang mit einem überraschten Ausruf einen Schritt zurück, dann funkelte er den Drachen an. „Was?!“ „Damit würdest du die Zeit unserer Reise nur unnötig verlängern“, gab Seto unbeeindruckt zurück. Er breitete die Schwingen aus und in einer flüssigen Bewegung beugte er seinen Oberkörper nach unten, legte eine Schwinge auf den Boden. Joey starrte sprachlos auf dieses Bild, unfähig sich zu rühren. Als einige ereignislose Momente verstrichen, verlor der Drache die Geduld. „Ich gebe dir fünf Sekunden, Mensch, dann packe ich dich und trage dich in meinen Klauen zu dem Berg.“ Sein Blick zeigte, dass er es absolut ernst meinte. Joey löste sich aus seiner Starre und stolperte auf den Drachen zu. Mit viel Überwindung – als würde er ein heiliges Objekt entweihen – brachte er sich dazu, Seto zu berühren. Als seine Hand sich auf die Schuppen des Drachen legten war er im ersten Moment überwältigt von der unbändigen Kraft, die unter ihnen zu liegen schien. Die Schuppen waren rau, doch gleichzeitig auch seltsam glatt und eben. Zaghaft hob er einen Fuß an und begann, auf Setos Rücken zu steigen. Auf halbem Weg ging ein Ruck durch den Flügel, der Joey ein Stück in die Luft katapultierte. Mit einem Ächzen landete er zwischen den Schultern des Wesens. „Dumme Echse“, murmelte er missgestimmt und rieb sich das schmerzende Gesäß. Belustigung lag in dem Blick des Drachen. „Bequem, Euer Hoheit?“ „Nun flieg schon los“, erwiderte Joey ungeduldig. Setos Feixen konnte er nicht länger aushalten. „Zu Befehl“, höhnte Seto und spannte seinen Körper an. Joey spürte jede Muskelbewegung unter sich und ein unbekanntes Gefühl bemächtigte sich seiner. War es Ehrfurcht? „Wartet!“ Seto verharrte. Tristan war in der Portaltür erschienen. Er blickte zu ihnen auf, doch nach einigen Augenblicken erkannte Joey, dass sein Blick ausschließlich auf Seto gerichtet war. „Bring mir meinen Prinzen heile zurück, Drache.“ Seto erwiderte den Blick ausdruckslos, dann nickte er kaum merklich. „Das werde ich.“ „Es wäre besser für dich.“ Wie Joey seinen Freund doch liebte. Da stand Tristan vor einem sechs Meter hohen Drachen und drohte ihm, sollte er den Prinzen nicht unbeschadet zurückbringen. Joey hob die Hand und winkte seinem besten Freund zu. „Mir wird nicht passieren, Tristan!“ Ein Ruck ging durch den Körper unter ihm, als die Schwingen zu schlagen begannen. Joey krallte sich in die Halsschuppen vor sich, um von den Bewegungen nicht vom Rücken des Drachen geworfen zu werden und fragte sich, ob er Tristan damit nicht doch zuviel versprochen hatte. Wenn er nicht aufpasste, würde er vielleicht noch unschöne und vor allem tödliche Bekanntschaft mit dem Boden machen. Der Moment, in dem der mächtige Drachenkörper sich in die Luft erhob und jeglicher Gegenkraft zum Trotz den Boden verließ, warf jegliche Sorgen des Prinzen über Bord. Vergessen war Tristan, der ihnen noch immer mit dem Blick folgte, vergessen seine Aufgabe, eine Prinzessin zu finden. Vergessen, dass er ein Prinz war. Als der Wind durch seine Haare rauschte und Seto sich mühelos in die Lüfte hinauf schwang, das Schloss unter ihnen kleiner und kleiner wurde, erlebte Joey ein bis dahin nie erlebtes Gefühl der Befreiung. Es war unbeschreiblich. Es war das Schönste. Mehrere Hundert Meter vom Boden entfernt löste er den Griff um die Schuppen und riss die Arme in die Luft und legte den Kopf in den Nacken, die Augen geschlossen. Er dachte nicht daran, dass er fallen könnte. Aus irgendeinem Grund wusste er, dass Seto ihn nicht fallen lassen würde. Er sah nicht, dass Seto ihn aus den Augenwinkeln immer wieder beobachtete – aufmerksam, beinahe schon neugierig. Was er bemerkte, war der provokante Flugstil des Drachens. Er flog so hoch, dass Joey meinte, die Wolken berühren zu können, flog Schlangenlinien, die den Magen des Prinzen Aufregungssaltos schlagen ließen. „Mehr hast du nicht zu bieten?!“, rief Joey über den Flugwind hinweg und wusste, dass Seto ihn gehört hatte. „Halt dich gut fest, Mensch“, erwiderte der Drache und Joey hatte gerade noch Zeit, sich flach mit dem Bauch an die Rückenschuppen des Drachen zu pressen und mit seinen Händen nach Halt zu suchen, da führte Seto bereits kunstvolle Flugmanöver durch, bei denen Joey für gewöhnlich durch das alleinige Zusehen übel geworden wäre. Jetzt versetzten sie ihn jedoch in einen nie gekannten Zustand der Euphorie und ließen ihn mit einem unbändigen Verlangen nach mehr zurück. Er liebte das Fliegen. Mit verstreichenden Stunden wurde der Flug ruhiger. Nach dem anfänglichen Hochgefühl kehrte der Prinz rasch auf den Boden der Tatsachen zurück. Dennoch verlor die Umgebung nicht an Reiz. Stundenlang beobachtete er die Welt aus einer Perspektive, die er zuvor nie erlebt hatte. Wälder, deren Durchqueren Tage gebraucht hätte, überflogen sie in wenigen Minuten. Flüsse wirkten wie Rinnsäle, die sich durch die Landschaft schlängelten. Dörfer wirkten wie Ansammlungen von Spielhäusern und Menschen wie Insekten. Der Himmel war endlos. Viele weitere Stunden blickte der Prinz abwesend in das unbegrenzte Blau über sich, verlor sich in den Wolken und in der Vorstellung, was hinter dem Blau liegen mochte und wie lange sie bräuchten, um die Sonne zu erreichen. Irgendwann spürte er, wie Müdigkeit ihn überkam. An das stetige Schlagen der Flügel hatte er sich gewöhnt, aber seine Muskeln begannen, sich zu beschweren und seine Aufmerksamkeit driftete ab. Wieder und wieder schreckte er auf, nachdem sein Kopf zur Seite gesunken war und sein Griff um die Schuppen sich gelockert hatte. Er konnte sich vorstellen, wie wichtig es für Seto war, die Pflanze für Mokuba zu finden und zu dem Jungen zu bringen, deshalb bat er nicht um eine Pause. Stattdessen tat er das einzige, um sich von der Müdigkeit abzulenken: Er begann, mit Seto zu sprechen. Oder zumindest versuchte er es, denn der Drache erwies sich als furchtbar unkommunikativ. „Ich bin noch nie zuvor geflogen.“ „...“ „Es ist unglaublich!“ „Ach.“ „Ich wünschte, ich hätte auch Flügel und könnte fliegen, wann ich wollte!“ „Hn.“ Joey riss der Geduldsfaden. „Herrgott, tu doch wenigstens so, als ob es dich interessiert!“ Seto blickte über seine Schulter. „Ich habe mich bereit erklärt, mit dir zu reisen, Mensch. Das bedeutet nicht, dass ich willens bin, mich in irgendeiner Weise auf dich einzulassen oder mit dir zu sprechen.“ Joey verschränkte die Arme. „Du bist langweilig.“ „Und diese Aussage – von dir gemacht – soll mich stören? Als ob es mich kümmern würde, was du von mir hältst.“ „Du bist unbeteiligt, gefühlskalt, stur und nervig.“ „Und du bist unbeherrscht, voreilig, sturer und nerviger. Hörst du vielleicht, dass ich mich beschwere?“ „Trotzdem scheint dir viel an Mokuba zu liegen“, fuhr Joey unbeirrt fort. Seto reagierte nicht. „Ich frage mich wieso. Ist er deine Prinzessin?“ „Er ist noch ein Junge“, knurrte Seto. Joey hob abwehrend die Hände. „Ich wollte dir ja gar nichts unterstellen, aber da du nicht mit mir redest, muss ich eben spekulieren. Wenn es dich stört, dann erzähl es mir und ich bin still.“ Seto musterte ihn skeptisch. „Und du bist dann wirklich still, Mensch?“ Joey hob die linke Hand. „Ich schwöre es. Bei meiner Prinzenehre.“ Seto verdrehte die Augen. „Wie auch immer.“ Er richtete seinen Blick nach vorne und einen Moment befürchtete Joey, er würde ihn jetzt nicht mehr beachten, doch dann begann er zu sprechen: „Ich kenne Mokuba, seit den Tag, an dem er geboren wurde. Ich war immer an seiner Seite und habe ihn beschützt. Als man ihn ver- ... als er krank wurde, habe ich mir geschworen, einen Weg zu finden, ihn zu heilen. Bis heute ist es mir nicht gelungen und mit jedem verstreichenden Tag sehe ich, wie er schwächer wird. Trotzdem versucht er alles, damit ich mich nicht um ihn sorge. Er bleibt optimistisch, und zuversichtlich – für uns beide - weil ich es seit vielen Jahren nicht mehr bin. Jetzt habe ich die Chance, mein Versprechen einzulösen und Mokuba für seine Geduld zu entlohnen.“ Joey lauschte Seto voller Faszination. Das Verhältnis, das Seto beschrieb, erinnerte ihn an das von Geschwistern. Es war wie bei ihm und Serenity. Er hatte auch immer versucht, sie zu beschützen – und sei es vor den Spinnen unter ihrem Bett. Was Seto schilderte, war – „Familie“, flüsterte Joey. Seto sah ihn an und für einen Augenblick lag Wohlwollen in seinem Blick, dann wich der Ausdruck so unvermittelt, wie er aufgetaucht war und der Drache blickte wieder nach vorne. „Du hast deine Antwort, Mensch. Nun schweig.“ Joey lag vieles auf der Zunge: Dass er in etwa nachempfinden konnte, wie Seto sich fühlte. Dass er das Verhaltend es Drachen ehrte. Dass er ihm unter allen Umständen – und nicht nur einer einfachen Verpflichtung wegen – helfen würde. Stattdessen schwieg er. Weil er merkte, dass es die beste Reaktion war, um Seto zu zeigen, dass er verstand. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)