Tausend Gründe von ReiRei-chan (- Ja und Nein zu sagen -) ================================================================================ Epilog: Weil die Zeit keine Wunden heilt ---------------------------------------- Es ist stickig und die Luft ist geschwängert von dem Duft etlicher Zigarettenmarken. Die Fenster sind nur einen Spalt breit geöffnet, denn draußen tobt ein kleiner Schneesturm. Es ist Dezember. Und Weihnachten steht kurz vor der Tür. „Auf geht’s!“, spreche ich mir selber Mut zu, drücke die warme Hand, die sanft meine Finger umschließt und trete weiter in den großräumigen Saal ein. Das Stimmengewirr erhebt sich, Gläser klirren und Lachen ertönt. Es herrscht eine ausgelassene Stimmung. Dann richten sich die ersten Augenpaare auf mich und ich werde von Armen umschlungen, an erhitzte Körper gedrückt. „Mensch, Jonny! Das du doch noch kommst, wie schön!“ Kathrins Haare fallen ihr in prächtigen Locken über die Schulter. An ihrem Finger glitzert ein silbernes Schmuckstück. Ich beglückwünsche sie und bin ehrlich erstaunt, als sie mir sagt, dass ihr Zukünftiger kein anderer als Dennis sein wird. Der Obermacho. „Da hat sich aber viel getan“, lache ich, lasse mich von ihr zu den anderen schleifen, die fremde Hand immer fest in meiner eigenen haltend. Ausgelassen begrüße ich meine ehemaligen Freunde, zu denen ich meist nur sporadischen Kontakt habe. Wenn überhaupt. Nach der Schulzeit haben sich viele Wege getrennt. „Ist sie da?“, frage ich Henrike und sie deutet mir den Weg zum Büffet. Tatsächlich mache ich dort ihren roten Haarschopf aus. Sie sind kurz, gehen ihr nur noch bis knapp unter das Kinn. Sie trägt einen schwarzen Rock, darüber eine weiße Bluse. Sehr chic. Neben ihr steht ein junger Mann, keine dreißig. Smarte Figur, nettes Lächeln. Auch an seinem Finger sehe ich den verräterischen Ring. Und an ihrem? „Melanie.“ Langsam dreht sie sich zu mir um, ein Lächeln huscht über ihre Lippen, dann fixiert sie meine Begleitung, die ich sanft nach vorne ziehe. Er ist schüchtern. „Das ist Karsten“, stelle ich ihn vor, die beiden geben sich die Hand. „Wir sind seit vier Jahren zusammen.“ „Nein, wie schön!“, haucht sie, stellt mir dann ihren Verlobten vor. Jan. „Wie geht es dir, Jonny?“ „Gut, danke. Und dir?“ „Blendend. Im Frühling soll die Hochzeit sein.“ Ihr Gesicht strahlt, ihre Augen funkeln wie edle Smaragde. Sie hat rosig angehauchte Wangen und ich bemerke, dass sie immer wieder über ihren Bauch streicht. Sie ist schwanger. „Hast du Lukas schon gesehen?“, fragt sie spitz und ich schüttle den Kopf. „Er steht drüben bei der Musikbox und starrt dich an, seit du den Raum betreten hast. Jonny, ich…“ Ihre Stimme bricht und alarmiert schaut Jan auf. Sie beruhigt ihn, lässt ihn bei Karsten stehen und gemeinsam gehen wir die wenigen Schritte zu den Getränken herüber. „Es tut mir leid“, flüstert Melanie leise und im selben Augenblick ziehe ich sie in meine Arme. Ihre Wärme hat mir gefehlt. „Ich… ich konnte nicht anders…“, schluchzt sie, schaut jedoch irritiert auf, als ich befreit auflache. Ja, sie konnte nicht anders. Melanie war eine verwöhnte Prinzessin, daran gewöhnt alles zu bekommen was sie wollte. Lukas war eine Trophäe. Ich habe sie ihr genommen und damit ihren Stolz. Nach meinem Geständnis haben wir ein halbes Jahr nicht miteinander gesprochen. Und auch wenn ich es mit Lukas versucht hatte, so war unsere Beziehung überschattet von meinen Schuldgefühlen. Es war in die Brüche gegangen. „Wenn ich nur früher, dann wärt ihr vielleicht heute…“ „Nein, schon gut!“, unterbreche ich sie, blicke zu Karsten zurück, der mir einen liebevollen Blick schenkt. „Ich bin glücklich. Mit Karsten.“ „Oh, Jonny, wirklich, ich freu mich für dich. Aber all die Zeit habe ich nie aufgehört mir Vorwürfe zu machen und mich zu fragen was gewesen wäre, wenn ich dir nur gesagt hätte, dass du… du…“ „Du warst eben eine Prinzessin.“ Wir lachen beide. „Jan ist der Richtige“, lächelt sie mich dann an. „Ich glaube er hat mich von meiner Prinzessinen-Manie ein für alle mal geheilt.“ „Das ist gut.“ Ich blicke mich im Raum um. Das Banner mit unserer Zahl. 1991. Unser Abschlussjahr. Seitdem sind weitere achtzehn Jahre vergangen und pünktlich zur Dopplung unserer Volljährigkeit wurde ein Klassentreffen organisiert. Ein schöner Moment. Nostalgisch. „Hier.“ Ich reiche ihr meine Karte, auf die ich vorsorglich auch meine privaten Nummern drauf geschrieben habe. „Vielleicht gehen wir mal zusammen essen. Und danach ein vierer Date.“ „Aber natürlich!“ Ihr Gesicht strahlt und sie wirft mir ihre Arme um den Hals. Jan und Karsten gesellen sich wieder zu uns und ich gebe meinem Geliebten einen liebevollen Kuss. Ebenso wie Melanie und Jan. Zwei Paare. Ganz normal. „Entschuldige mich ein letztes Mal“, wende ich mich an Karsten der mir zunickt und dann mit Argusaugen verfolgt wie ich auf Lukas zugehe. Der muss schlucken und ist nervös. Ebenso wie ich. Aber anders. Ganz anders als vor achtzehn Jahren. „Lukas“, strecke ich ihm die Hand hin, er ergreift sie und ich ziehe ihn in meine Arme. „Schön dich zu sehen. Wie geht es dir?“ „Gut, danke der Nachfrage. Und dir offensichtlich auch. Dein Freund?“ „Ja.“ Ich sehe zu Karsten zurück. Ich lächle. „Karsten.“ „Dein Traummann?“ „Ja.“ Lukas hat sich verändert. Er ist groß geworden. Breiter. In seinem Gesicht hat sich viel geändert, aber seine Augen sind noch immer die gleichen. Und sie sehen mich noch immer auf diese sanfte, liebevolle Art und Weise an, die ich so an ihm gemocht habe. „Und du? Hast du auch jemanden?“ „Derzeit nicht, nein.“ Sein Blick wandert kurz zu meinem Freund. Zu Melanie. „Hab viel zu tun. Da kann ich mir so was nicht leisten.“ „Hör auf“, mahne ich leise. „Womit?“ „Dir zu wünschen, was nicht geht.“ „Ich habe nie aufgehört dich zu lieben.“ „Ich weiß“, seufze ich leise und erwidere seinen forschen Blick mit kühler Entschlossenheit. „Ich auch nicht“, gestehe ich dann, nehme einen Schluck aus meinem Bierglas, das mir irgendwann an diesem Abend irgendwer in die Hand gedrückt hat. Sein Blick ruht auf mir. Er wartet. Und er hat noch Hoffnung. „Ich erinnere mich gerne an die Zeit die wir zusammen hatten. Auch wenn sie nur kurz war. Eine schöne Erinnerung.“ Wir sehen uns an. „Und? Willst du sie aufleben lassen?“ „Nein. Aber ich würde dennoch gerne etwas revidieren.“ Er ist überrascht, seine Hände zittern und nur mühsam kann er sich an der Musikbox aufrecht halten. Mir war nicht bewusst gewesen, wie ernst es ihm tatsächlich war. Ich selbst bin schnell über ihn hinweggekommen. „Weißt du noch was du zu mir gesagt hast?“, frage ich, doch er schüttelt den Kopf. Tatsächlich sind zu viele Worte zwischen uns gefallen. Auch schlechte. Unser Zerwürfnis war tief greifend und schien unüberwindbar. Damals. „Du meintest, dass wenn ich mich gegen dich entscheide, es dich nicht mehr für mich gibt. Und in den vergangenen Jahren war das leider so.“ Ich suche in seinen Augen nach einer Antwort, einem Zeichen, doch er verharrt still, wartet. „Ich entscheide mich gegen dich, aber ich will dich nie wieder so aus meinem Leben ausschließen. Kannst du damit leben?“ Lange ist es still. Wir sehen uns nur an und alte Funken sprühen zwischen uns. Ein Feuer vergangener Leidenschaft entbrennt und ich bin versucht mit ihm zu verschwinden. Diese Gefühle wieder auszuleben. Doch ich tue es nicht. Eben sowenig wie er. Die Flammen verlöschen. „Ich denke schon. Sehr gut sogar.“ Wir lachen, reichen uns die Hände, ziehen uns in die Arme des anderen und flüstern uns zum allerletzten Mal unseren Liebesschwur zu. Es sind Narben, die nie verheilen. Immer wieder wird es ein „Was wäre wenn“ geben. Und vielleicht kommt sogar der Tag an dem uns eine gemeinsame Beziehung möglich ist. Doch schon heute wissen wir, dass wir unsere Chance hatten. Die tiefe Liebe die wir einst empfunden haben mögen ist verklungen. Und alles was bleibt ist der Schatten der Zeit und die nostalgischen Erinnerungen an unser Abschlussjahr. --- Something that we all left behind. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)