Unter Krähen von Ryoko-chan (Shihos Vergangenheit) ================================================================================ Kapitel 10: Kälte ----------------- Hui, wir nähern uns immer mehr dem Ende… auch das folgende Kapitel ist schon fertig und muss nur noch abgetippt werden. (Ich schreibe mit der Hand vor und tippe dann erst ab…) Vom vielen Schreiben schmerzt bereits meine Hand… und auch, wenn mich diese FF langsam fertig macht, ist sie mein Lieblingsprojekt. +lach+ Mein letztes High School Jahr brach an und ich begann, mir Gedanken über meine weitere Zukunft zu machen. Ich wollte Chemie studieren, soviel stand fest. Aber war es mir von Seiten der Organisation gestattet? Ich nahm mir fest vor, Gin darauf anzusprechen. Doch es gab nur wenig Gelegenheit dazu und meistens war er dermaßen schlecht drauf, dass ich es nicht wagte, ihn anzusprechen. Das Hochgefühl war verschwunden. Nach wie vor wollte ich ihn in meiner Nähe wissen, doch meine anfängliche Schwärmerei und Verliebtheit hatten sich aufgelöst. Naiverweise hatte ich mir eine besondere Beziehung zu ihm gewünscht und wurde durch und durch enttäuscht. Gin sprach kaum noch mit mir, zeigte mir des öfteren die kalte Schulter und wenn er sich mir annährte, war er sehr grob. Ich war verzweifelt, gab die Hoffnung dennoch nicht auf. Ich glaubte fest daran, dass sich eines Tages alles ändern würde. Fest davon überzeugt, gab ich mich völlig der Arbeit hin. Der Winter kam und brachte ganz überraschend Schnee mit sich. Ich freute mich über jede einzelne Flocke, die vom Himmel fiel. Lange hatte ich keinen Schnee mehr gesehen. Die Straßen waren glatt und so machte ich mich zu Fuß auf den Weg zur Schule. Fast keine Autofahrer waren unterwegs und ich genoss die frische, eisigkalte Luft. Auf dem Rückweg ließ ich mir viel Zeit. Ausnahmsweise war heute niemand im Labor und ich musste erst am nächsten Tag wieder arbeiten. Ich überlegte bereits, wie ich meine freie Zeit nutzen konnte. „Hey, warte mal…“ Aus meinen Gedanken gerissen, sah ich auf. Neben mir lief ein Junge in meinem Alter her. Er war sehr groß und seine blonden Haare hingen ihm ins Gesicht. Er war auf meiner Schule, ganz sicher. Aber ich konnte ihn absolut nicht einordnen. Vielleicht war er in einem meiner Kurse… Ich blieb stehen. „Du bist Shiho, oder?“ Er strahlte mich an und ich runzelte misstrauisch die Stirn. Was wollte er von mir? Seine Frage war überflüssig, niemand sonst sah aus wie ich. Eine Japanerin mit rotblondem Haar. Langsam ging ich weiter. „Ja. Und mit wem habe ich die Ehre?“ Seine braunen Augen wurden groß. „Oh, sorry. Ich bin Thomas Harper! Wir haben Chemie zusammen.“ Er hielt mir seine Hand hin und ich nahm sie kurz. Seine Finger waren angenehm warm. Vage erinnerte ich mich und nickte. „Stimmt.“ „Also die Stevens ist ja echt voll die Schlaftablette, findest du nicht auch?“ „Kann sein.“, meinte ich nervös. „Was machst du heute noch so?“ Gute Frage. Ich wusste es selbst nicht. So zuckte ich mit den Schultern. Doch ich riss mich zusammen und versuchte den Mund aufzukriegen. „Ich weiß noch nicht. Eigentlich würde ich ja arbeiten…“ Sofort verstummte ich. Fast hätte ich mich verraten. „Ach, du hast auch einen Job? Was machst du denn? Ich helfe hin und wieder meinem Vater in der Werkstatt.“ Thomas klang ehrlich interessiert, also sog ich mir irgendwas aus den Fingern. „Ähm, ich… helfe im Supermarkt aus. Ja… aber, heute… da hab ich frei.“, erzählte ich. Er klatschte in die Hände und ich zuckte unwillkürlich zusammen. Soviel Lebensfreude war ich nicht gewohnt. „Hast du dann Lust, mit mir essen zu gehen?“ Zögernd blickte ich ihn an. Mich hatte noch nie jemanden eingeladen. Sonst ignorierte man mich für gewöhnlich. Aber wieso sollte ich sein Angebot ablehnen? Zeit hatte ich genügend und Thomas schien ein netter Kerl zu sein. „Klar… gerne.“ Ich versuchte mich an einem Zahnpastalächeln. Er führte mich in eine rappelvolle Pizzeria. Der Laden schien beliebt zu sein, ich erkannte einige Leute aus meiner Schule. Wir hatten Glück und erwischten einen Platz am Fenster. „Hast du großen Hunger?“, fragte Thomas grinsend. Seine weißen Zähne strahlten zwischen den vollen Lippen. „Es geht…“, erwiderte ich. Mein Magen fühlte sich aufgrund der ungewohnten Situation ganz flau an. Wir bestellten und während wir aufs Essen warteten, sah ich aus dem Fenster. Aus diesem dunkelgrauen Himmel fielen doch tatsächlich diese wunderschönen, weißen Flocken. Die Welt sah unter dieser Schneedecke so friedlich aus… warum konnte es nicht wirklich so sein? Völlig in Gedanken versunken, vergaß ich Thomas’ Anwesenheit und bemerkte erst nach einigen Minuten, wie er mich musterte. Verlegen strich ich mir über die Haare. „Ich… entschuldige bitte…“ Wie peinlich. Da wurde ich von einem Jungen eingeladen und starrte nur so vor mich hin. Er lachte leise, aber es klang in keiner Weis gemein. „Schon okay. Du siehst süß aus, wenn du so träumerisch aus dem Fenster blickst.“ Ich errötete. War das etwa eine Anmache? Aber er machte nicht den Eindruck eines Playboys. Ich fasste seinen Kommentar einfach als Kompliment auf. „Danke.“ Thomas lächelte. Unsere Bestellung kam und eine zeitlang waren wir mit Essen beschäftigt. Darüber war ich etwas erleichtert, da mir nicht wirklich ein Gesprächsthema einfiel. Worüber sprachen Jugendliche in meinem Alter? Kinofilme? Den letzten und einzigen Film hatte ich mit meiner Schwester gesehen, ich war also nicht auf dem neuesten Stand. MTV? Innerlich stöhnte ich auf. Er tupfte seinen Mund mit der Serviette ab. „Gehst du auf den Frühlingsball?“ Schnell senkte ich den Blick und mir wurde schlagartig bewusst, was ich eigentlich alles verpasste. „Ich glaube nicht.“, antwortete ich. Thomas nippte an seinem Colaglas, trank einige Schlücke. „Du gehst nicht viel weg, hm? Was machst du sonst so?“ Arbeiten, dachte ich. „Ich lese sehr viel.“, erwiderte ich stattdessen. Tolle Antwort, Shiho. Du bist eine wirklich interessante Persönlichkeit. „Tatsächlich!? Was liest du denn so? Ich mag Stephen King! Seine Bücher sind richtig genial.“ „Ich… interessiere mich für Chemie.“ Es war die Wahrheit, nicht mehr und nicht weniger. Genauso wie die Tatsache, dass ich weder Freunde, noch Hobbies hatte. Es gab meine Schwester, Gin und die Arbeit. Alles weitere hatte ich aufgegeben. „Es tut mir Leid, wenn ich dich langweile!“ Die ganze Szene wurde mir plötzlich schrecklich unangenehm und ich sprang auf, kramte nach meinem Portemonnaie. „Ich muss gehen!“, sagte ich panisch. Er griff nach meinen Händen und ich zuckte erschrocken zurück. Thomas schüttelte den Kopf. „Nicht doch… du warst eingeladen, schon vergessen?“ Hastig zog ich mir die Jacke über. „Gehen wir bald noch mal zusammen essen?“, fragte er. Thomas wirkte ratlos und doch hatte er mich noch nicht abgeschrieben. In diesem Moment fühlte ich mich wirklich schlecht. Er war so freundlich zu mir und gab sich große Mühe. Und doch konnte ich nicht mit ausgehen. Ich hatte keine Zeit, mit irgendwem Pizza zu essen oder zu einer Party zu gehen. Ich war ein Organisationsmitglied und Wissenschaftlerin. „Ich glaube nicht.“, antwortete ich und hastete aus dem Restaurant. Was musste dieser Junge von mir denken? Ich wollte es nicht wissen. Nie war ich ein normales Kind gewesen, dass unbeschwert mit seinen Freunden gespielt hatte. Weder eine Kindheit, noch Jugend hatte ich gehabt. Ich war in die Organisation hineingeboren und auch wenn sie mich von meiner Schwester trennten, so sorgte man für mich und gab mir die beste Ausbildung. Es war ganz natürlich, dass ich daher für die Organisation arbeitete. Es erschien mir wie eine logische Konsequenz. Dass ich für die Organisation meine gesamte Freizeit opferte und meine Kindheit aufgegeben hatte, war mir nicht weiter schlimm vorgekommen. Schließlich kannte ich nichts anderes… bis Thomas mir an jenem Nachmittag die Augen öffnete. Unheimlich deprimiert schloss ich die Tür meiner Wohnung auf und kleidete mich im dunklen Flur aus. Ich machte mir nicht die Mühe, das Licht anzuknipsen. Seufzend stellte ich meine Schuhe neben der Kommode ab und erstarrte. Im Wohnzimmer stand regungslos eine Person am Fenster. Adrenalin schoss durch meinen Körper und fast hätte ich aufgeschrieen, bis ich die blonden Haare erkannte. „Gin…“ Atemlos keuchte ich auf. Er stand mit dem Gesicht an dem großen Fenster, hatte mir seinen Rücken zugewendet. Draußen schneite es noch immer. „Ich hab auf dich gewartet, Sherry. Wo warst du?“ Ich schluckte und versuchte, gelassen zu wirken. „Pizza essen.“, antwortete ich knapp. „Und wer ist der Junge?“ Ich bemerkte den bedrohlichen Unterton in seiner Stimme und biss mir auf die Lippe. Natürlich hatte man mich die ganze Zeit über observiert. Keine Minute war ich aus den Augen gelassen worden. „Er ist ein Mitschüler.“ „So, so…“ Beunruhigt trat ich an Gin heran, wollte ihm ins Gesicht blicken. Gin wandte sich herum, holte urplötzlich aus und ich fiel zu Boden. Dabei schlug ich mit dem Kopf auf dem Tisch auf. Benebelt lag ich vor seinen Füßen. Ängstlich blickte ich hoch, in sein wutentbranntes Gesicht. „Was glaubst du, wer du bist!?“ Er packte mich am Kragen meiner Bluse und zog mich zu sich hoch. „Ich lasse nicht zu, dass DU ein kleines Flittchen wirst! Du gehörst MIR und wenn sich dieser Wichser noch einmal in deine Nähe wagt, kann er was erleben!“ Er ließ mich los und ich prallte unsanft auf den Fliesen auf. Wimmernd blieb ich liegen. Blut tropfte auf meine Bluse und als ich mir später durchs Gesicht fuhr, wusste ich, dass es aus meiner Nase lief. „Ab sofort bist du nicht mehr alleine unterwegs, dafür werde ich sorgen!“ Lautlos liefen mir die Tränen über die Wangen, vermischten sich mit dem Blut. Gin sah wieder aus dem Fenster. Es schneite mich mehr allzu stark, doch stetig die Schneedecke und die Welt verwandelte sich in ein Winterwunderland. Es war so ruhig. Eine unnatürlich Stille hatte sich in der Wohnung ausgebreitet. Innerlich schrie ich aus Leibeskräften. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)