Bilder unserer Zeit von ReiRei-chan ================================================================================ Kapitel 10: Alte Freunde - Neue Wege (2001 / 04) ------------------------------------------------ 10. Kapitel – 2001 (April) Dieses Kapitel widme ich meiner herzallerliebsten vulkan_chan, die Geburstag hat! Ich hab sie einfach wahnsinnig lieb und da sie ein Fan meiner Geschichte ist, erscheint es mir ganz passend als Geschenk! Happy Birthday, Süße! ^o^ Das seine Haare länger sind und ihm nun bis auf die Schultern runter reichen ist das erste was mir an ihm auffällt, als er durch die Tür unseres Ladens tritt, uns eines seiner undeutbaren Lächeln zuwirft. „Erich, altes Haus, auch mal wieder da?“, ruft Thomas laut, schwenkt seine Bierflasche hin und her, zieht dem Neuankömmling einen Stuhl ran. Erich lässt sich darauf fallen und sieht mich einen Moment lang einfach nur an. „Wie war’s bei deinen Alten?“, bohrt Thomas nach, erhält als Antwort ein Augenrollen. Scheinbar war es so wie immer, wenn man als Erwachsener nach Hause kommt: Nervtötend. „Bier oder was anderes?“, frage ich unseren Freund, greife hinter mich in einen Kasten hinein und ziehe eine der vielen Bierflaschen heraus, öffne sie an der Tischkante und reiche sie rüber. „Wir betreiben gerade Aufklärung“, erzähle ich Erich, der daraufhin nickt und einen Schluck aus seiner Flasche nimmt. „Echt der Wahnsinn, dass wir so selten Zeit füreinander hatten“, raunt Thomas, lehnt sich lässig in seinem Stuhl zurück und bekommt einen träumerischen Ausdruck in den Augen. „Früher dachten wir, wir würden für immer zusammen rum hängen. Tz, und jetzt kriegen wir es nicht mal auf die Reihe uns einmal in der Woche zusehen und dabei wohnen wir nicht mal in verschiedenen Städten.“ „Nicht weinen“, klopfe ich Thomas auf sein Knie, woraufhin er mir eine angedeutete Kopfnuss verpasst. Eine Weile sitzen wir einfach schweigend zusammen. Etwas, was Erich noch am besten von uns kann. Es ist aber tatsächlich ein Wunder, dass wir drei uns so selten austauschen können. Ständig haben wir was zu tun. Thomas steckt Hals über Kopf in seiner Ausbildung als Erzieher und macht nebenbei noch Besuche in einem Kinderkrankenhaus, während Erich sich in seinem Büro verbunkert oder aber durch Abwesenheit glänzt. Scheinbar wird er Zuhause immer mehr und mehr eingespannt. Und ich selbst muss permanent im Laden arbeiten, auf Jamie aufpassen, darauf achten das Chris nichts anstellt und lasse es mir dabei auch nicht nehmen den Zwillingen hin und wieder einen Besuch abzustatten. „Wir sind erwachsen geworden“, sagt Erich leise, nippt an seinem Bier und steckt sich eine Zigarette an. Thomas nickt zustimmend und seufzt laut auf. „Erinnere mich bloß nicht daran, ich verdränge das so schön.“ Nachdenklich lege ich meinen Kopf in meine Hände und starre auf die Tischplatte vor mir. In ein paar Monaten werde ich fünfundzwanzig Jahre alt sein, macht mich das automatisch zu einem Erwachsenen? „Wie steht es eigentlich bei dir, Rapha?“ Ich hebe den Blick und sehe Thomas einen Moment fragend an. Eigentlich weiß zumindest diese Hälfte meiner besten Freunde, was aktuell gerade bei mir vorgeht, doch als mich an das Gespräch mit meinem Bruder am Frühstückstisch erinnere, dann fällt mir schon wieder was Neues ein. „Bei mir ist alles prima“, antworte ich trotzdem. Diese Ankündigung will ich später machen. Jamie hatte mich gebeten auf seine SMS zu warten, bis ich es den anderen beiden sage. Und bisher ist mein Handy stumm geblieben. „Wirklich? Was ist mit Chris?“ Ich schnaube unwillig und verpasse Thomas einen Schlag auf den Oberschenkel, der ihn zusammenzucken lässt. Erich lacht rau, drückt seine Zigarette aus und wirft seine langen Haare nach hinten. Eine ungewohnte Bewegung. „Ich hab Chris nach Hause geschickt“, sage ich schließlich, fische meinerseits nach einer Zigarette, finde jedoch keine und nehme dankbar Erichs Angebot an. Als der Glimmstängel brennt inhaliere ich aufatmend den weißen Dunst. „Einfach so?“ „Was heißt hier: einfach so?“, frage ich zurück, ziehe meine Augenbrauen zusammen. Thomas hebt abwehrend die Hände, trinkt sein Bier leer und winkt mir zu, ihm ein neues zu geben. Zögernd komme ich dem nach und sehe ihm dabei zu, wie er erfolglos versucht die Flasche mit Erichs Feuerzeug zu öffnen. Schließlich springt Erich helfend ein. „So wie ich Chris einschätze hat er doch sicherlich nicht einfach brav seine Sachen gepackt. Ich würde mir ja gerne mal deinen Rücken ansehen, an dem er vielleicht gekratzt hat?“ Brummend schnippe ich meine abgerauchte Zigarette nach Thomas, verfehle ihn jedoch, was mich nach einem Bierdeckel greifen lässt, der tatsächlich im Ziel landet. „Der Kerl ist minderjährig, den lasse ich nicht an meinen Rücken.“ „Aber mich würdest du lassen?“, lauert Thomas. „Nur wenn du Todessehnsucht hast“, grinse ich ihn an. „Nach Marius etwa ich, oder was?“ Erschrocken lässt sich Thomas wieder in seinen Stuhl zurück fallen und fuchtelt hektisch mit seinen Händen vor meinem Gesicht herum. Er weiß ja nicht, dass ich Erich direkt am Tag dieses Geständnisses eine SMS geschickt habe und unser Freund über alles Bescheid weiß. „Warum bist du nicht zu mir gekommen, wenn du so einen Druck hattest?“, raunt Erich Thomas in diesem Moment rau ins Ohr, schlingt einen Arm um ihn und drückt ihn nahe zu sich heran. Aufreizend leckt er ihm einmal über die Wange, was Thomas erschrocken auffahren lässt. „Alter!“, kreischt er beinahe. Erich und ich sehen uns einfach nur an, dann brechen wir in schallendes Lachen aus. Ich muss mich von Thomas abwenden, denn sein entrüstetes Gesicht ist einfach zu viel für mich. Er steht da wie eine verschreckte Jungfrau, mit roten Wangen, heftigem Atem und unschlüssig darüber wo er seine Hände hintun soll. Er entscheidet sich dafür Erich eine runterzuhauen. „Das ist NICHT witzig!“, behauptet er dann, was uns erneut zum Lachen anregt. „Ey, da macht man einmal was falsch, EIN EINZIGES MAL, und ihr doofen Idioten hackt darauf herum!“ „Reg dich ab“, grinse ich ihn an. „War doch klar, dass wir damit unseren Spaß haben. Setz dich endlich, Thomas! Wir tun dir schon nichts.“ Thomas ist sich da scheinbar nicht so sicher, denn er schaut uns noch einen Moment lang prüfend an, ehe er sich auf das Angebot einlässt und wieder Platz nimmt. „Na komm“, ermuntere ich ihn. „Erzähl halt mal was war.“ Ich borge mir eine weitere Zigarette aus Erichs Schachtel und gemeinsam beginnen wir erneut zu qualmen, während Thomas sich scheinbar dazu durchringen muss uns von seinem One-Night-Stand mit einem Mann zu berichten. „Marius ist ein Freund von einer Auszubildenden, die ich an der Schule kennen gelernt habe. Und er hat mich eingeladen mal mit ihm weg zu gehen. Er hat mir gesagt, dass er schwul ist und als ich meinte, dass das kein Ding für mich wäre, hat er mich gefragt was ich denn sei“, beginnt Thomas seine Geschichte und sucht dabei fortwährend meinen Blick. „Und du hast gesagt, du weißt es nicht“, mutmaßt Erich, stößt dabei einen Schwall des weißen Rauches aus. Thomas nickt neben ihm, nimmt einen Schluck aus seiner Flasche, sieht mich dann wieder an. „Ihr habt zusammen was getrunken…“, sage ich leise. „Und seid dann zu ihm gefahren…“, führt Erich fort. „Und weil du eine Saufziege bist, die keinen Tropfen zuviel verträgt…“, lache ich rau auf. „Bist du mit ihm in die Kiste gesprungen.“, beendet Erich, drückt seine Zigarette aus und klopft Thomas auf die Schulter. Dann sieht er ihm in die Augen, schüttelt den Kopf und sagt: „Alter, du bist so ein Idiot.“ „Du kannst mich mal!“, faucht Thomas etwas unfreundlich zurück und schüttelt die Hand seines Freundes ab. „Jetzt und hier? Wenn Rapha uns zusieht?“, grinst Erich schelmisch. „Als ob ich dabei nur zusehen würde“, beschwere ich mich leise, greife unter dem Tisch nach Thomas’ Knie, streichle es sanft auf und ab, was meinen Freund dazu verleitet missmutig die Augenbrauen zusammen zu ziehen. Einen Moment schweigen wir uns an, die dunkle Stimmung verfliegt, Thomas lehnt sich entspannt zurück, während ich ihn weiterhin sanft streichle. Auch Erichs Hände bewegen sich, liebkosen die feinen Nackenhaare. Gerade ist die Welt einfach in Ordnung. „Mach das nicht noch einmal“, mahnt Erich leise, stößt mit Thomas an und trinkt den Rest seines Bieres dann in einem großen Zug leer. Thomas nickt ergeben, grinst mir schwach zu und ich nehme meine Hand von seinem Knie. „Chris mag mich“, spreche ich in die erneut eingetretene Stille hinein. „Und als ich meinte, dass ich ihn ebenfalls mag, war seine Antwort, dass ihm das vorerst reichen würde. Diese Bratze!“ Fahrig drücke ich meine Zigarette im Aschenbecher aus, streiche mir einmal durch die Haare und verschränke die Arme vor meiner Brust als ich mich gegen die Stuhllehne fallen lasse. „Der Kerl hat Mumm“, spricht Thomas nach einer Weile und kann sich einen Lacher nicht verkneifen. „Aber es überrascht mich kein bisschen, so wie der dich anhimmelt.“ „Scheiße!“, rufe ich aus und belasse es bei diesem Kommentar. „Mach dir keinen Kopf, Alter“, redet Thomas mir zu. „Ihr mögt euch beide, dass ist doch okay. Neue Freunde zu finden ist keine Schande. Und solange du ihn von deinen Hosen fern hältst ist alles im Grünen.“ „Ja… solange ich ihn fernhalte…“, brumme ich unzufrieden mit mir selbst. „Du willst ihm an die Wäsche?“, höre ich Erich leise fragen, zucke daraufhin mit den Schultern. Ehrlich gesagt weiß ich das selbst nicht so genau. Chris ist einfach nur… süß. Und das ist das Problem. Ich steh’ nicht auf süße Jungs. Trotzdem denke ich ein ums andere Mal, dass Chris wunderbar in meine Arme passt. Wie ein Puzzleteil. „Zerbrich dir nicht den Kopf. Was wäre so schlimm daran es mit ihm zu versuchen?“ „Er ist minderjährig.“ „Na und?“, schießt Thomas unbeeindruckt zurück. „Das wird er ja nun nicht ewig bleiben. Und wenn es nur um sein Alter geht… ich finde das er schon recht erwachsene Züge an sich hat. Gib ihm noch ein paar Jahre und dann wird aus ihm ein ganz ordentlicher Kerl geworden sein.“ „Hm“, mache ich leise und nicht sehr überzeugt. „Lassen wir das Thema.“ Ich habe jetzt einfach keine Lust mich mit Chris auseinander zu setzen. Zum Glück klingelt auch gerade in diesem Moment mein Handy und zeigt mir an, dass ich eine SMS von Jamie erhalten habe. Ich lese sie schnell durch und grinse dann breit. „Haltet euch fest, Gentlemen“, sage ich laut und werfe meinen Freunden einen langen Blick zu. „Ich habe die Ehre euch das ultimative Ereignis zu erzählen, dass es am heutigen Abend nur geben kann.“ „Mach’s nicht so spannend“, grinst Erich, auch wenn seine Augen neugierig funkeln. „Jamie hat Martina einen Heiratsantrag gemacht“, mache ich es kurz und knapp. Erich und Thomas starren mich an, reißen mir beide gleichzeitig das Handy aus der Hand und lesen Jamies freudige Mitteilung, dass Martina den Antrag angenommen hat und er uns alle bald zum feiern einlädt. „Wahnsinn…“, haucht Thomas leise, Tränen blitzen in seinen Augen auf und er kann sich kaum noch auf seinem Stuhl halten. Ich gehe an die Bar, mache uns ein paar hochprozentige Drinks und stoße dann mit meinen zwei besten Freunden auf meinen kleinen Bruder an, der scheinbar sehr schnell erwachsen geworden ist. „Auf Jamie!“, rufen wir unisono und kippen alles in einem Zug runter. Eine Zeit lang trinken wir was das Zeug hält, geben einen Toast auf Jamie und Martina, auf Martina alleine, auf die Hochzeit, das leckere Büffet von Jamie und sogar auf die hübschen Mädchen die eingeladen werden sollen. „Dann kriegst du ja bald Besuch von ihren Eltern“, lallt Thomas wenig später, stellt mit etwas Mühe, aber sehr viel Ehrgeiz sein Glas auf den Tisch. Er hatte eindeutig wieder einen zu viel. „Wieso denn das?“, frage ich ehrlich überrascht nach und kippe den letzten Rest meines Wodkas hinunter. Erich hängt mir gegenüber lässig in seinem Stuhl und grinst dämlich vor sich hin. Entweder hat er gekifft, ist betrunken oder denkt einfach an den größten Mist, den nur er sich vorstellen kann. „Na, zur Hochzeit treffen sich doch immer die Eltern des Paares um zu klären wie viel man sich einmischt und so was… bei meiner Mum war das so… da haben die Eltern die Hochzeit gezahlt.“ Nachdenklich ziehe ich die Augenbrauen zusammen. Darüber habe ich mir keinerlei Gedanken gemacht und auch Jamie hat bisher kein Wort darüber verlauten lassen. Wobei ich davon ausgehen kann, dass er es schlichtweg einfach vergessen hat, dass man nach dem Antrag auch irgendwann zumindest vor dem Standesamt steht. „Ich denk’ nicht, dass deine Eltern da viel machen werden“, redet Thomas weiter, als ich nichts darauf erwidere. Ich hebe bloß die Schultern. „Ich weiß. Es wäre ein Wunder, wenn sie auftauchen würden.“ Seit meinem Besuch im letzten Jahr, habe ich meine Eltern nicht mehr gesehen. Und das ist nun auch wieder fast acht Monate her. Der April steht vor der Tür. Aber es kümmert mich nicht mehr so sehr wie all die Zeit vorher. Es tut noch immer weh, aber es ist dumpf geworden und ich glaube, dass ich langsam damit beginne zu resignieren. Es hat einfach keinen Sinn mit meinen Eltern reden zu wollen. Dafür ist es zu spät. Wenn es einen solchen Augenblick jemals gegeben hat. „Papa ist wieder bei uns eingezogen“, grinst Thomas fröhlich vor sich hin. „Ich weiß“, gebe ich leise zurück. „Hat auch lange genug gedauert.“ „Ja… Sie wollen es langsam angehen… die Stimmung ist komisch. Keiner weiß was er sagen soll, aber wenigstens sind sie wieder soweit, dass sie miteinander leben können.“ Thomas ist erleichtert, dass sieht man ihm an. Seine Fröhlichkeit in den letzten Monaten war künstlich. Die Trennung seiner Eltern hat ihn sehr getroffen und beschäftigt, auch wenn er so was wie ein „Erwachsener“ ist. Schließlich haben die auch Gefühle. „Ich zieh bald weg“, brummt Erich in seinen nicht vorhandenen Bart, wirft die langen Haare erneut über die Schulter zurück und starrt etwas verdrießlich in seine Bierflasche. „Mein Dad will, dass ich meiner Mum mit den Läden helfe.“ „Diese Juwelierskette?“, hakt Thomas nach, erntet ein Nicken. Auch wenn es lange her ist, seit es das letzte Mal passiert ist, so merke ich dennoch auf Anhieb, dass ich Erich noch immer nicht verstehe und so gut wie gar nichts über ihn weiß. Und trotzdem vertraue ich ihm vollkommen. „Vielleicht kriegst du den Laden, Rapha“, murmelt er dann weiter, sieht mich kurz an. „Deine Schulden sind ja schon lange abbezahlt und du kannst damit endlich machen was du willst. Wenn du ihn verkaufen willst, dann lass mich aber mitreden, ich kann das besser als du.“ Ich nicke ihm nur zu. Mir kommt das alles etwas zu plötzlich. Es sind wieder zu viele Ereignisse auf einmal und ich brauche Zeit um darüber nachzudenken. Wenn Erich nicht mehr da ist, dann schmeiße ich den ganzen Laden alleine. Im Gegensatz zu mir hat Erich aber Wirtschaft und Marketing studiert und weiß wie man Geschäfte am Laufen hält. „Vielleicht sollte ich ein Fernstudium machen…“, denke ich laut, stütze meinen Kopf in meine Linke und schließe einen Moment lang die Augen. „Wir reden da noch drüber“, kommt Erichs halb verständliche Antwort. „Ich hab noch ein bisschen Zeit.“ „Okay“, erwidere ich und schiebe das Problem so von mir. „Welchen Laden sollst du denn übernehmen?“, fragt Thomas und etwas zittert in seiner Stimme. Scheinbar muss man sich vor der Antwort fürchten. „Den in Paris.“ Nach dieser Eröffnung ist es lange still. Keiner bringt mehr ein Wort heraus und nach einer Stunde des stummen Schweigens lösen wir unser Treffen auf. Wir räumen alles zusammen, ich wische den Tisch noch einmal ab, dann schaltet Thomas das Licht aus und tritt als Erster in den frühen Morgen heraus. Es ist bereits halb vier. Ich ziehe hinter Erich die Türe zu, lege dabei meine Hand auf seine Schulter, drücke ihn kurz aber beherzt und drehe dann den Schlüssel im Schloss. Es ist beinahe so, als wollte ich uns drei damit in einschließen. Nur für diesen Moment festhalten, was wir vielleicht für lange Zeit nicht mehr haben werden. Einträchtig gehen wir nebeneinander die Straße entlang, genießen die Kühle des anbrechenden Tages und vertreiben jeden dunklen Gedanken aus unserem Kopf. Erich reicht mir eine letzte Zigarette, verspricht mir bald vorbei zu kommen um alles zu klären und drückt uns schließlich beide fest in seine Arme, dann wendet er sich um und mit einem lässigen Wink biegt er in die Querstraße ab und entschwindet Richtung Bahnhof. „Reiche haben es auch nicht leicht“, murmelt Thomas neben mir, hakt sich bei mir unter und ich sehe ihm an, dass er an Tage zurück denkt, in denen ich nicht da gewesen bin. An seine persönlichen Tage mit Erich. „Glück kann man sich nicht kaufen wie Schmuck“, antworte ich ihm, ziehe ihn mit mir und viel zu früh – viel zu früh – stehen wir vor meiner Wohnungstür. „Soll ich dich nach Hause bringen?“, frage ich ihn noch, doch er wehrt ab. „Passt schon.“ Ich ziehe ihn in eine feste Umarmung, dann schließe ich die Tür auf und trete in meine Wohnung, während ich ihn alleine draußen zurück lasse. Die drei Musketiere lösen sich langsam auf. Schließlich muss jeder seinen eigenen Weg im Leben finden. Auch wenn ich mir ein Leben ohne den engen Kontakt zu den Menschen die ich liebe einfach nicht vorstellen kann, weiß ich, dass man loslassen muss um einander Nahe zu sein. Das habe ich bei Jamie gesehen. Wir haben viele Jahre getrennt verbracht und die Zeit zusammen war sehr kurz, aber kein anderer Mensch wird mir jemals so viel bedeuten wie mein kleiner Bruder. Die Zeit heilt nicht alle Wunden, aber sie zeigt neue Wege auf, die von den Schmerzen wegführen. Man muss sich nur wagen einen davon zu wählen. Mit diesem Gedanken klettere ich zu Jamie ins Bett, der sich schlaftrunken zu mir herumdreht, einmal kurz blinzelt, ehe er sich in die Kissen zurücksinken lässt und dabei einen Arm um mich legt. Dass ich nach Rauch und Bier stinke und in meinen Klamotten schlafen will, stört ihn dabei nicht. Und dicht an meinen Bruder gedrängt, schlafe ich schließlich ein. --- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)