Bilder unserer Zeit von ReiRei-chan ================================================================================ Kapitel 24: Und der Vorhang fällt (2002 / 06) --------------------------------------------- 24. Kapitel – 2002 (Juni) „Jamie? Ich bin wieder da!“, rufe ich aus dem Flur meiner Wohnung durch die offene Tür und erhalte eine unbestimmte brummige Antwort und seufze laut auf. Es sind nun vier Monate seit dem ersten Anruf aus dem Krankenhaus vergangen und entgegen all meiner und Martinas Versuche ist Jamie bei mir geblieben um sich in meinem Schutz zu verkriechen. Die junge Ehe der beiden steht ziemlich auf der Kippe, doch Jamie weigert sich standhaft seiner Ehefrau in die Augen zu sehen, solange er dieses dunkle Gefühl des Hasses in sich spürt. Zumindest sind das seine eigenen Worte. Ich kann ja verstehen, dass mein Bruder sich nicht allzu wohl bei dem Gedanken fühlt, dass er unserem sterben Vater trotz allem noch einen langsamen und schmerzhaften Tod wünscht, doch auf der anderen Seite fände ich es wichtig, dass er mit Martina darüber redet und sich von ihr trösten lässt. Allerdings sind das Dinge die ich Jamie stundenlang erzählen könnte nur um dann zu sehen wie er sich wortlos von mir abwendet und sich in sich selbst zurückzieht. Also lasse ich es bleibe und versuche so gut ich kann Martina vor einem nervlichen Zusammenbruch zu bewahren. Die Arme tut mir wirklich Leid. So behandelt zu werden hat sie nicht verdient und ich würde unheimlich gerne mehr für sie tun. Doch mehr als mit ihr zu reden und sie dann in der Obhut von Thomas und Chris zu lassen, kann ich nicht machen. Die beiden Jungs sind mir eine unheimliche Hilfe. Erik weiß auch was los ist, und er kommt sogar hin und wieder vorbei, doch hat er selbst kaum Zeit, da seine Abreise nach Frankreich kurz bevorsteht. Außerdem sind seine Worte jedes Mal dieselben: „Wenn der alte Sack endlich weg ist geht’s richtig los. Dann startest du durch!“ Irgendwie kann ich diese Einstellung nicht im gleichen Maße teilen. Leise aufseufzend gehe ich in mein Wohnzimmer, dass seit Jamies Einzug zunehmend verwahrlost ist, da mein kleiner Bruder es nicht für nötig hält sich zu bewegen und etwas Ordnung zu halten. Und da ich mich weigere die ganze Zeit bei ihm zu hocken und mein Leben an mir vorbei ziehen zu lassen und stattdessen lieber meinen Unterricht besuche, habe ich selber kaum genug Freiraum um aufzuräumen. Doch die Diskussionen darüber spare ich mir ebenfalls. Es hätte alles keinen Sinn. Jamie ist beinahe apathisch geworden. Mein kleiner Bruder sitzt auf dem Sofa, die Arme über die Augen gelegt, erstarrt in all seinen Bewegungen und nur sein sich hebender und senkender Brustkorb verrät mir, dass er noch am leben ist. Ich seufze laut auf, setze mich zu ihm und streiche ihm einmal über die Haare, was ihn zu einem tiefen Brummen animiert. „Jamie… rede mit mir“, bitte ich ihn flüsternd. „Gibt nichts“, murrt er unfreundlich, ruckelt hin und her bis ich schließlich meine Hand zurück ziehe und nur noch stumm neben ihm sitze und darauf warte, dass er etwas sagt. Ich weiß, dass er das tun wird, schließlich kenne ich ihn schon länger. „Ich…“, beginnt er nach einer Weile zaghaft, zieht den ersten Arm von seinem Gesicht herunter, blinzelt mit einem Auge vorsichtig um sich an das Licht im Zimmer zu gewöhnen. „Ich will einfach nur, dass es zu Ende ist. Diese Warterei macht mich krank.“ „Warum gehst du nicht nach Hause?“, frage ich sacht um ihn nicht zu erzürnen. „Oder geh doch wieder arbeiten, das lenkt dich ab. Wäre sicherlich besser als tatenlos bei mir in der Wohnung rumzuhängen.“ „Vielleicht“, gesteht er leise. „Aber… es kommt mir so absurd vor das zu tun… als ob es nicht mehr zu meinem Leben gehören würde.“ „Das ist Unsinn, Jamie“, meine ich, sehe ihn nicken. „Ich weiß“, ist seine Antwort darauf und er lässt den Kopf sinken. „Ich fühle mich einfach… wie erstarrt und… antriebslos. Als ob alles in meinem Leben von der einfachen Tatsache abhängen würde, ob er lebt oder eben tot ist. Das ist grausam.“ Ich schweige, schaue aus dem Fenster und denke über die Worte meines Bruders nach. Unser sterbender Vater wirft noch immer seinen mächtigen, beinahe undurchdringlichen Schatten über uns und unseren Alltag. Auch ich warte auf seinen Tod, genau wie Jamie. Und trotzdem frage ich mich, warum das auf einmal so wichtig geworden ist. Mein bisheriges Leben ist doch auch ohne diese Gedanken abgelaufen. Jeder muss irgendwann sterben, auch mein Vater, das war mir immer klar und doch… es fühlt sich an als ob meine gesamte Zukunft davon abhängen würde wann er endlich diese Welt verlässt. Ob es daran liegt, dass man dann in der Vergangenheit von ihm denken und sprechen kann? „Ich denke“, fange ich zögernd an. „Wir müssen einfach versuchen ihn wieder dahin zu schieben wo er her kam. In die Unwichtigkeit. Es lief ohne ihn sehr gut, also sollte uns sein Dahinscheiden nicht so aus der Bahn werfen.“ „Leichter gesagt als getan“, brummt Jamie und innerlich pflichte ich ihm bei. „Na komm“, versuche ich ihn aufzumuntern. „Wir machen einen Spaziergang, mal endlich wieder raus aus den vier Wänden.“ Einen Moment lang mustert Jamie mich skeptisch, scheint es sich dann jedoch anders zu überlegen und zuckt mit den Schultern was ich als ein Einverständnis interpretiere. Gemeinsam gehen wir ins Schlafzimmer und während Jamie sich frische und straßentaugliche Klamotten anzieht, wasche ich mich kurz im Bad. Ich entscheide mich gegen einen Kleiderwechsel und nach kurzer Zeit verlassen wir zu zweit die Wohnung und streben einem unbestimmten Ziel entgegen. Es wird ein langer, sehr ausgiebiger Spaziergang, der uns in die Innenstadt führt, dann wieder aus dieser hinaus, in eine höher gelegene Wohngegend die noch mit einigen Gründflächen und Alleen aufwarten kann. Auf Jamies Wunsch hin gehen wir sogar über den städtischen Friedhof und genießen hier die Ruhe des Tages. Ziellos schlendern wir hin und her, gönnen uns am frühen Abend einen Eisbecher in einer Eisdiele und als ich Jamie vorschlage ihn zum Essen einzuladen, hat er auch zu diesem Vorschlag keine Einwände. Die meiste Zeit schweigen wir uns an, nur hin und wieder greifen wir unser altes Gesprächsthema wieder auf oder sprechen über meinen Unterricht. Es ist ein wenig seltsam, gezwungen und auch unfreiwillig, doch ich ertrage es wegen Jamie. Ich bin froh, dass er zugestimmt hat mit mir hinauszugehen, vielleicht wird ihn das wieder etwas aufpäppeln. Als wir uns gerade darüber unterhalten in welches Restaurant wir einkehren wollen, hören wir zwei Stimmen, die uns rufen. Als wir uns umdrehen erkennen wir Thomas und, zu meinem Erstaunen, Chris, die uns, jeweils schwer bepackt, entgegen kommen. „Hallo ihr beiden“, grüßt Thomas, sobald er bei uns angekommen ist, wackelt dabei mit seinen vier Tüten. „Hi! Was macht ihr denn hier?“, will ich neugierig wissen, schaue kurz zu Chris, der mit dem Handy am Ohr neben Thomas steht und mich sanft anlächelt, ehe er wieder leise eine Antwort flüstert, sich schließlich sogar abwendet. „Och wir beide hatten heute irgendwie Hummeln im Arsch, wollten das Wetter genießen und sind uns dann im Park in die Arme gelaufen“, erzählt Thomas fröhlich. „Und dann hatten wir die Idee gemeinsam nach neuen Klamotten zu gucken.“ „Ihr seid dann wohl fündig geworden, was?“, hakt Jamie leicht belustigt nach, deutet auf die reiche Ausbeute der beiden und Thomas kann es sich nicht verkneifen uns einige Stücke seiner neuen Errungenschaften zu zeigen. Ich beteilige mich eher abwesend an dem Gespräch der beiden, hänge mit meinen Augen an Chris fest, der mit wenigen Schritten auf und ab läuft, noch immer in sein Gespräch vertieft, die Augenbrauen leicht zusammengezogen so als ob ihm nicht wirklich gefallen würde, was er zu hören bekommt. Es dauert jedoch nur noch ein paar Minuten ehe er mit einem sanften Lächeln auflegt. Er dreht sich um, kommt auf uns zu und japst einmal erschrocken auf, als ich ihn ruckartig an meine Brust ziehe, meine Hand in seinem hellbraun schimmernden Haar vergrabe und ohne jede Verzögerung seinen Mund mit dem meinen verschließe. Vollkommen überrascht stolpert er zwei Schritte nach hinten, doch ich setze ihm nach, lasse unsere Verbindung nicht breche, schiebe meine Zunge zwischen seinen Lippen vorbei, entlocke ihm damit ein erstes, tiefes Stöhnen. Ich grinse zufrieden, ziehe mich zurück, fahre ihm einmal durch die Haare und sehe ihm schließlich mit einem verschmitzten Lächeln ins Gesicht. Seine Augen wirken ein wenig vernebelt, sein Mund schimmert feucht und seine Hände liegen verkrampft um die Henkel seiner Einkaufstüten. „Hi“, flüstere ich ihm ins Ohr, bemerke zufrieden wie er unter meinem Atem erschauert. „Hey“, kommt es schwach zurück. „Soll ich dir die Tüten abnehmen?“ „Hmhm“, brummt er leise, was mich auflachen lässt. Ich greife nach seiner rechten Hand, umfasse sie und schiebe dann meine Finger zwischen seine. Als er die Tüten loslässt, fange ich sie auf. „Ey, seid ihr mal endlich soweit?“, ruft Thomas laut lachend, deutet hinter sich auf eines der vielen italienischen Restaurants. „Jamie und ich haben Hunger! Macht schon!“ Ohne weitere Erklärungen wenden sich die beiden ab, gehen ins Innere hinein und lassen Chris und mich alleine zurück. Ich sehe meinen Freund noch einmal an, dann ergreife ich seine freie Hand und ziehe ihn mit mir, den anderen zwei hinterher. Wir suchen im Innern nach Thomas und Jamie, entdecken sie an einem der hinteren Ecktische sitzend und gesellen uns zu ihnen. Ein Kellner kommt geschäftig herangetrabt, reicht uns die Karten und nimmt unsere Getränkebestellungen auf. Ich bin überrascht als Jamie sich nur eine einfache Apfelschorle bestellt. Während der letzten Zeit hatte ich immer die Angst, dass er in den Alkoholismus abrutscht. „Ich hab echt Kohldampf“, mault Thomas leise, schlägt eine Seite des Menüs um und huscht mit den Augen gierig über die gedruckten Zeilen. „Hm… das Jägerschnitzel sieht gut aus.“ „Ich tendiere eher zu dem Rahmschnitzel“, antwortet Jamie, streicht mit dem Finger über die Worte. „Nudeln fände ich besser“, murmelt Chris leise, stockt jedoch als Thomas in sein Colaglas prustet und Jamie eine Augenbraue in die Höhe zieht. „Was?“ „Wir wissen doch, dass du auf Nudeln stehst“, sagt Jamie gespielt pikiert, hebt das Glas an seine Lippen und streckt dabei den kleinen Finger von sich. „Vor allem, auf welche ganz spezielle Nudel“, spinnt Thomas lachend den Faden weiter, bringt Chris damit zum erröten. Ganz schnell ist mein Freund wieder hinter dem Menü verschwunden, greift jedoch unter dem Tisch, für die anderen beiden unsichtbar, nach meiner Hand, drückt sie fest. „Was hältst du von der Tunfisch-Spinat Pizza, Jamie?“, wende ich mich ungerührt an meinen Bruder, der mich noch einmal kurz angrinst, ehe er wieder ernst wird. „Klingt nicht schlecht, aber ich bin nicht so für Pizza.“ „Und du, Thomas? Bleibst du bei deinem Schnitzel?“, richte ich meine Aufmerksamkeit nun auf meinen besten Freund, der sich leise lachend hinter seiner Karte versteckt. Vorsichtig richtet er sich in seinem Sitz auf, zwinkert mir verschwörerisch zu, ehe er seine Auswahl bestätigt. Die Rangordnung ist somit wieder hergestellt und auch die Röte auf Chris’ Gesicht hat sich wieder normalisiert. Eine Weile grübeln wir noch, doch als der Kellner schließlich kommt, geben wir unsere Bestellung auf und sind mit unserer Auswahl zufrieden, als das dampfende Essen nach nicht einmal einer halben Stunde vor uns steht. Thomas und Jamie haben sich beide für ein Jägerschnitzel entschieden über das sie gleich gierig herfallen, Chris ist bei seinem überbackenen Nudelauflauf mit Champignons geblieben, während ich mich nach einem kurzen hin und her für die Spinatpizza entschieden habe. Die ersten Minuten des Essens vergehen in Schweigen, lediglich von einem überschwänglichen Seufzer oder einer kleinen anerkennenden Bemerkung in Bezug auf das eigene Gericht unterbrochen. Schließlich leiere ich ein Gespräch über Thomas’ Ausbildung an, was uns alle mit lustigen Geschichten aus dem Kindergartenalltag versorgt. Ich bin froh, als ich bemerke, wie Jamie zusehends auftaut. Aber um schlechte Stimmungen zu vertreiben war Thomas schon immer der Beste. „Schmeckt es dir?“, raune ich Chris neben mir leise zu, der sich für einen kurzen Moment erschrocken zeigt. „Ja, sehr. Magst du probieren?“, schiebt er mir seinen Teller rüber und ich picke mir tatsächlich zwei Nudeln heraus, puste und probiere schließlich. Ich gebe mein positives Urteil darüber ab, lächle Chris an und ernte dafür einen durchaus als einladend zu bezeichnenden Blick. Innerlich aufseufzend stelle ich jedoch fest, dass ich heute keine Zeit habe um sie mit meinem Freund zu verbringen. Ich muss für meine erste Zwischenprüfung lernen. „Ah, Raphael“, lenkt da Thomas meine Aufmerksamkeit auf sich. „Ich habe gestern Abend übrigens mit Erich telefoniert. Wegen Frankreich. Er fliegt nächstes Wochenende.“ „So bald schon?“, bin ich irritiert. „Ich dachte er wollte erst im August rüber?!“ „Scheinbar machen seine Eltern Druck. Er soll sich vorher eingewöhnen und die Leitung des Teams so früh als möglich übernehmen“, berichtet Thomas, verzieht dabei ein wenig die Mine. „Er wollte keine Party haben, meinte aber, dass er sich freuen würde, wenn wir ihn am Flughafen verabschieden würden.“ „Typisch Erich“, lächle ich knapp. „Mir hätte er das nie gestanden.“ „Er ist eben so“, revidiert Thomas. Doch wir wissen beide, dass die Beziehung zwischen uns drei immer schon speziell war. Thomas und ich hatten von Anfang an das beste Verhältnis zueinander, während mich und Erich wohl so etwas wie freundschaftlicher Respekt verbunden hat. Wir verlassen uns auf den anderen, greifen in der Not auf ihn zurück, aber emotional stehen wir uns einfach nicht so nahe. Das war eben immer Thomas’ Spezialgebiet. Es ist also nicht überraschend, dass Erich in solchen Dingen Thomas mir vorzieht, schließlich fühlt er sich dem auch mehr verbunden als mir. Das ist wohl die große Gemeinsamkeit die Erich und ich haben. Das Essen verläuft ruhig und sehr harmonisch. Wir erzählen uns gegenseitig sehr viel, jedoch hat das Gesagte kaum einen nennenswerten Inhalt. Es ist freundschaftliches Geplänkel, kleine Streitereien und alles in allem sehr witzig aufgepeppt. Wie versprochen zahle ich für Jamie mit, Chris und Thomas begleichen ihre Rechnung selbst und als wir endlich nach draußen treten ist es bereits dunkler geworden. Trotz des Sommerwetters ziehen schwarze Wolken auf und es steht zu befürchten, dass es heute noch ein Gewitter geben wird. „So, ihr Lieben“, meldet sich Thomas wieder zu Wort. „Ich mache mich dann auf den Heimweg. Morgen muss ich wieder früh raus.“ Gemeinschaftlich verabschieden wir uns voneinander und Thomas versichert mir noch einmal, dass er sich bei mir melden wird, wenn er aus Erich herausbekommen hat welchen Flieger er nehmen will und wann wir uns am Flughafen zu einem Überraschungsabschied zusammenfinden werden. Etwas unschlüssig stehen wir verbliebenen Drei herum. Jamie hat sich wieder in sich selbst zurückgezogen, starrt abwesend vor sich hin und ich bemerke die Bewegung innerhalb seiner Jackentasche. Wieder einmal dreht er sein Handy hin und her, kann sich nicht dazu entschließen seine Frau endlich anzurufen. „Mach schon“, versuche ich ihn dazu zu ermutigen, doch augenblicklich schließt sich seine Faust um das Gerät, die Bewegung erstirbt und er wendet sich von mir ab. Ich seufze leise, schaue dann zu Chris der mich mit einem mitfühlenden Blick ansieht und zucke schließlich mit den Schultern. „Ich bin mit meinem Latein am Ende“, gestehe ich, schaue kurz zu Jamie, der sich bereits ein ganzes Stück weit entfernt hat. In der Hinsicht muss ich mir allerdings keine Gedanken um ihn machen. Er hat einen Schlüssel und wird sicherlich alleine in die Wohnung zurückgehen. „Möchtest du noch einen Kaffee trinken? Bei mir?“ Unsicher sehe ich zu Chris, der mir allerdings mit keiner Geste zu verstehen gibt wie dieses Angebot gemeint ist. Rein freundschaftlich oder verbunden mit irgendwelchen Hoffnungen? Es liegt an mir das zu entscheiden. Ich weiß, dass ich morgen früh aufstehen muss, das Lernpensum nimmt nicht wirklich ab und ich habe Kurse zu denen ich gehe, Lehrer die ich besuchen muss. Aber hier und jetzt fühle ich, dass ich es keinen Tag länger alleine aushalte. Ich nicke Chris zu und greife nach einem Teil seiner Tüten, die er mir überlässt. Der Weg zu ihm nach Hause ist lang und wir gehen nur sehr langsam. Ich bin mir nicht einmal sicher wie viel Uhr wir mittlerweile haben, aber es zählt auch nicht. Chris berichtet mir von seinem Alltag in der Schule, er plappert wahllos vor sich hin und ich höre ihm zu, weil ich es genieße, seiner Stimme zu lauschen. Als wir endlich angekommen sind, und Chris gerade nach seinem Haustürschlüssel kramt, wird uns von innen geöffnet und Frau Berger steht im Rahmen, mit hochgesteckten Haaren, einem Bleistift hinter dem rechten Ohr und einem übermüdeten Blick auf dem Gesicht. „Wollt ihr auch einen Kaffee?“, fragt sie leise, mustert mich mit einem kurzen Blick, doch dann lässt sie uns anstandslos rein und wir folgen ihr in die Küche, aus der man die ersten Töne der Kaffeemaschine hören kann. Ich werfe einen Blick auf die Uhr und stelle fest, dass es kurz nach neun ist. „Was ist los, Mama?“, fragt Chris, stellt seine Tüten auf einem Stuhl ab und lässt sich von mir bereitwillig die Jacke abnehmen, die ich zusammen mit meiner an der Garderobe im Flur aufhänge. „Mein Laptop ist abgestürzt… und meine Präsentation für morgen ist weg… einfach weg…“ „Kann ich dir helfen?“ „Das ist lieb, Schatz“, lächelt Chris’ Mutter, schüttelt dabei jedoch den Kopf. „Ich werde das schon hinbekommen. Was habt ihr zwei denn noch vor?“ Ihr Blick gilt dabei eindeutig mir und ich werde das Gefühl nicht los, dass es ihr eigentlich überhaupt nicht Recht ist, dass ich hier bin oder auch nur eine einzige Sekunde mit ihrem Sohn verbringe. Diese Frau strahlt etwas aus, dass mich ungeheuer nervös werden lässt und ich schwanke zwischen einem Rückzug und ob ich ihr nicht einfach den Hals umdrehen sollte. „Wir wollten uns gemütlich ins Wohnzimmer setzen und ein bisschen miteinander reden. Raphael hatte nicht so viel Zeit, deswegen dachte ich, wenn ich ihm heute schon in die Arme laufe, dann können wir uns auch über die neusten Dinge austauschen.“ Chris klingt bei diesen Worten so unschuldig, dass ich beinahe laut auflachen möchte. Ich habe schließlich noch an ganz andere Dinge gedacht die wir hätten tun können, die ihm wohl nicht einmal in den Sinn gekommen sind. Aber auf der anderen Seite… ich kann es ihm nicht verdenken. Schließlich habe ich ihn damals derart bedrängt, dass es mich nicht wundern würde, wenn er mich nicht mehr wollte. Küssen ja… aber ob wir jemals weiter gehen werden? „Setzt euch doch schon mal, ich bringe euch dann den Kaffee.“ „Ist das wirklich okay, Mama?“ „Sicher, Schatz. Geht schon.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen schiebt Chris mich in den Flur, von da aus dann zum Wohnzimmer. In mir flammen die Bilder auf, die Ereignisse vom letzten Mal, dass ich in diesem Raum war. Seitdem habe ich es immer bewusst vermieden zu Chris zu gehen, habe ihn lieber zu mir kommen lassen. Schuldgefühle, denen ich aus dem Weg gehen wollte. „Setz dich“, bietet Chris an, lässt sich im gleichen Atemzug auf die Couch fallen, seufzt leise auf und lächelt mich an. Er wirkt so unbedarft und unschuldig. Mir wird schlecht. „Vielleicht sollte ich wieder…“ „Nein“, unterbricht mich Chris energisch, legt mir eine Hand auf den Arm, packt feste zu und zieht mich nach unten sodass mir keine andere Wahl bleibt, als mich neben ihn zu setzen. „Ich habe dich so lange nicht gesehen und du hattest auch nie wirklich Zeit um mit mir zu telefonieren und jetzt wo du hier bist, lasse ich dich nicht mehr gehen!“ „Seit wann stehst du auf SM?“, fragte ich belustigt nach und genieße es, das er rot anläuft und sein Gesicht von mir wegdreht. „Ich mein’ doch nur…“, sagt er kleinlaut, rückt etwas näher an mich heran. „Ich weiß, Chris, ich weiß“, seufze ich leise, widerstehe dem Drang, meinen Arm um ihn zu legen, nur mit Mühe. „Tut mir leid.“ „Das braucht dir nicht leid zu tun. Ich weiß ja, dass du viel lernen musst und ich finde es gut, sogar sehr gut, dass du dein Abi nachmachst und so. Es ist nur… ich hätte nicht gedacht, dass wir uns dadurch gar nicht mehr sehen können.“ „Du machst schließlich auch dein Abitur“, gebe ich knapp zur Antwort. „Ja, und ich wünschte, ich würde es nicht tun! Dann könnte ich schon längst mit meinem Großvater arbeiten!“, ruft Chris trotzig aus, funkelt mich böse an. „Sei froh, dass deine Mutter dich dazu gezwungen hat. Am Ende musst du es auch nachmachen, wie ich, und das ist ehrlich gesagt kein großer Spaß. Mach es jetzt und du hast später keinen Ärger“, rede ich gegen ihn an und ich merke, wie er zu schmollen anfängt. In diesem einen Punkt ist Chris tatsächlich noch das Kind, das er im Grunde wirklich ist. Mit achtzehn ist Chris noch so jung. Als ich so alt war wie er, habe ich bereits zwei Jahre auf mich allein gestellt gelebt, gearbeitet, Rechnungen bezahlt, und versucht über die Runden zu kommen. Mein Leben war so ganz anders als seins. Wird es immer sein. Wie viel Normalität steht mir zu, wenn ich so unnormal aufgewachsen bin? „Raphael? Woran denkst?“, reißt mich Chris aus meinen Gedanken. „Dein Gesicht sah so finster aus.“ „Es… es ist nichts. Ich bin nur müde.“ „Wirklich? Dann lass uns schlafen gehen.“ Chris wirkt nicht im Mindesten überzeugt, aber ich bin froh, dass er das Thema ruhen lässt und wir uns gemeinsam auf den Weg in sein Zimmer machen. Als er die Wohnzimmertüre aufmacht, steht Frau Berger direkt davor, mit einem Tablett in der Hand und schaut verwirrt zu uns. „Oh, Mama… entschuldige, wir gehen doch schon schlafen. Es ist spät. Soll ich das für dich wegräumen?“, plappert Chris drauf los und ich bin mir fast sicher, dass er damit seine eigenen Unsicherheit und Verletzbarkeit überspielen will. Er nimmt seiner Mutter das Tablett aus der Hand und verschwindet laut klappernd in der Küche. „Sind Sie immer so misstrauisch?“, frage ich Frau Berger, die daraufhin ihre Haltung strafft und mich mehr denn je abfällig mustert. „Man kann nicht vorsichtig genug sein.“ „Sie übertreiben maßlos“, knurre ich. „Finden Sie? Sie machen nicht gerade einen koscheren Eindruck“, erwidert sie gelassen. „Ich bin also nicht spießig genug“, kontere ich und bemerke mit diebischer Freude, wie sich ihr Mund zu einem formlosen Strich verspannt. „Ich versuche nur meinen Sohn zu beschützen“, sagt sie mit Nachdruck in der Stimme. „Er ist alt genug.“ „Und das glauben Sie wirklich?“, trifft sie den Nagel auf den Kopf und ich weiß, dass sie es auch weiß. Wie auch immer sie das geschafft hat, aber sie hat meine Gedanken exakt erraten und zielsicher ihr Salz in meine Wunde gestreut. In diesem Moment kommt Chris jedoch zurück, schaut verdutzt zwischen uns hin und her, ehe er mich am Arm packt, sich knapp von seiner Mutter verabschiedet und mich mit sich die Treppen hinaufzieht. „Raphael“, ruft mich Frau Berger zurück und ich bleibe wie angewurzelt stehen. Der Blick aus ihren Augen ist drohend und erinnert mich an einen Raubvogel. Durchdringend. „Montega ist kein Glück verheißender Name. Nicht in meiner Familie.“ Scheinbar minutenlang starren wir uns an, halten den anderen mit unseren Augen fest und dieses stumme Duell scheint kein Ende zu finden. Erst eine Berührung von Chris an meinem Arm, zieht mich aus diesem Bann und ich bringe ein grimmiges Lächeln zu Stande. „Dann wird es mir eine Freude sein Sie daran zu erinnern, dass ich Ihnen nicht das Du angeboten habe“, antworte ich finster, bemerke zufrieden wie sie sich verspannt und löse mich endlich von ihrem Anblick. Wortlos gehe ich an einem erschrockenen Chris vorbei, der diese ganze Situation nicht verstanden hat. In seinem Zimmer reiße ich mir das Shirt vom Leib, pfeffere es in die nächstbeste Ecke und tigere dann unruhig auf und ab. „Rapha?“ Ich bleibe stumm. Er ruft mich noch zwei Mal bei meinem Namen, doch als ich auch darauf nicht antworte, verschwindet er im Bad. Die Geräusche um mich herum verblassen und ich nehme nichts mehr wahr, außer meinen schweren Atemzügen, die wie Feuer in meiner Brust brennen. Ich bin wütend. So unendlich wütend. Auf mich, auf sie… und aus unerklärlichen Gründen, auch auf meinen Vater. Das alles ergibt für mich keinen Sinn und ich spüre den Hass in mir aufwallen. Mein Leben ist endlich in geregelten Bahnen verlaufen und ich hatte eine Zukunft, doch nun ist das alles scheinbar untergegangen in dem Schatten den der Tod meines Vaters wirft. Immer noch bin ich abhängig von ihm, in einer Weise, die ich selbst kaum verstehe. Warum nimmt es mich so sehr mit, dass er bald nicht mehr sein wird? Ist es, weil er seine Geheimnisse mit ins Grab nimmt? Ich werde nie erfahren, warum mein Vater plötzlich angefangen hat mich und meine Mutter zu hassen, warum er mich schlug. Ich werde nie erfahren, warum er es damals vorzog bei uns zu bleiben, anstatt uns zu verlassen. Und ich werde nie erfahren, warum er am Ende seines Lebens all seine Gefühle vor seinem Körper begraben hat. Zischend stoße ich meinen angehaltenen Atem aus, lehne mich nach vorne, stützte meine geballten Hände auf der Fensterbank ab und starre blicklos aus dem Fenster. Es ist sinnlos über derlei Dinge nachzudenken, aber ich kann es auch beim besten Willen nicht verhindern. Diese Fragen nach dem Warum fressen mich innerlich auf und ich weiß, dass mit dem Sterben meines Vaters, auch jede Hoffnung auf Antwort stirbt. „Komm ins Bett“, höre ich Chris’ leise Stimme hinter mir. Als ich mich umdrehe, sitzt er auf dem Bett, die Knie angezogen, die Arme darum geschlungen und die Augen wachsam auf mich gerichtet. Ich brauche einen Moment, ehe ich meine Beine wirklich in Bewegung setze, doch dann ist es ganz leicht. Jeder Schritt zu Chris hin wird einfacher und als ich vor ihm stehe, meine Hose und meine Socken schnell ausziehe, ist es beinahe wie eine Erlösung, als ich mich neben ihn legen und ihn in meine Arme ziehen kann. Doch schnell merke ich, dass sein Körper ganz verspannt ist. Auch wenn er sich nun neben mir zurecht rückt und die Decke über uns zieht, so steht er doch ganz eindeutig unter Strom. „Es tut mir leid“, flüstere ich ihm zu, sehe ihm aufrichtig in die Augen. „Du vertraust mir nicht, oder?“, fragt er mich ebenso leise zurück und ich sehe wie verletzt er ist. „Doch“, antworte ich. „Chris, ich vertraue dir.“ Sein Nicken ist schwach, kraftlos und bedeutungslos. Er glaubt mir nicht. „Aber du vertraust mir nicht genug“, spricht er seinen Gedanken schließlich aus und stößt mir damit direkt durchs Herz. Wie seine Mutter, findet er meine Schwachstellen auf Anhieb. „Nein“, gestehe ich leise, wende den Blick von ihm ab. „Noch nicht.“ „Okay“, ist seine einzige Antwort darauf, doch die Anspannung fällt augenblicklich von ihm ab. Zwar dreht er sich nun mit dem Rücken zu mir, doch er kuschelt sich ganz nah an mich heran und erlaubt es mir, dass ich ihn fest in meine Arme schließe. Es ist ruhig und kein Laut ist zu hören. Selbst seine Atmung erkenne ich lediglich an der Bewegung. Meine Gedanken sind dafür umso lauter und es kommt mir beinahe so vor, als gäbe es ein unheimlich dröhnendes Geschrei in meinem Kopf. Ich kann es nicht abstellen, aber solange Chris in meinem Arm liegt, kann ich ihm auch nicht zuhören. Es ist, als wäre er derjenige, der den Lautlos-Knopf auf der Fernbedienung gedrückt hat. Und nur er allein, kann den Ton in meinen Gedanken wieder anstellen. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit bis ich endlich einschlafen kann. --- Es ist laut und unheimlich eng. Lars und Johannes sitzen neben mir, kabbeln sich die ganze Zeit über und kein ermahnendes Wort bringt sie zur Ruhe. Bernhard hat sichtlich mit dem dichten Verkehr zu kämpfen und Marianne verliert beinahe die Geduld mit ihren Zwillingen. Da das Auto der beiden nur für uns fünf reicht, sind Thomas, Jamie, Martina und Chris in Martinas Wagen unterwegs. Mein Bruder hat sich noch immer nicht mit seiner Frau ausgesprochen und eigentlich ist es allein Thomas zu verdanken, dass Martina überhaupt mitfährt. Er hat sie angerufen als klar war wann wir alle zum Flughafen fahren würden. Außer ihr und den beiden Erwachsenen hat nämlich niemand ein eigenes Auto. Dementsprechend fühlt Martina sich auch überhaupt nicht ausgenutzt. Thomas und ich haben das wieder gut gemacht, in dem wir ihr einen kleinen Blumenstrauß überreicht haben und zumindest hat sie nun eine Chance um endlich mal wieder ein paar Worte mit ihrem Mann zu wechseln. Und ich habe ihr auch eindeutig versprochen dafür zu Sorgen, dass Jamie heute nicht entwischen wird. „Jetzt reicht es aber endgültig!“, lässt Marianne einen lauten Schrei los, der ihre Zwillinge erschrocken zusammen zucken lässt. „Wenn ihr euch nicht endlich benehmt, dann bleibt ihr im Auto sitzen, habt ihr mich verstanden?!“ Daraufhin kehrt endlich so etwa wie Ruhe ein und man kann Bernhard erleichtert aufseufzen hören. Es sind keine drei Kilometer mehr bis zum Ziel und der Verkehr ist eindeutig dichter und verworrener geworden. Hinter uns fährt der andere Trupp, der immer mal wieder richtig Mühe hat an uns dran zu bleiben. Auf dem Flughafengelände angekommen, kurven wir eine ganze Weile herum, bis wir schließlich zwei geeignete Parkplätze gefunden haben. Ich strecke mich ausgiebig, packe Johannes und Lars am Kragen, als die beiden sich wieder aufeinander stürzen wollen. In letzter Zeit haben sie sich wegen irgendetwas ganz gewaltig in die Haare bekommen und rauben damit allen den wirklich letzten Nerv. Resolut trennt Marianne die beiden und Bernhard spricht noch einmal ein väterliches Machtwort, ehe sie mit Thomas voraus gehen. Chris kommt zu mir, hakt sich bei mir unter und gemeinsam folgen wir den anderen, lassen Jamie und Martina zurückfallen. Als ich einen Blick über die Schulter riskiere, sehe ich, dass Martina ganz eindeutig ihre angestaute Wut an meinem kleinen Bruder auslässt, der das allerdings auch vollkommen verdient hat. Er muss sich endlich wieder einkriegen, wenn er die Beziehung mit Martina nicht vollends gefährden will. „Wann geht denn sein Flug?“, fragt Chris mich und wirft einen neugierigen Blick auf die Anzeigetafel. „In anderthalb Stunden. Er dürfte gerade sein Gepäck aufgeben.“ Wir kämpfen uns zu zweit durch die Menge, werden schließlich von Thomas eingeholt, der uns zeigt wo wir hin müssen. Als Erstes sehe ich Erichs Eltern, etwas weiter weg steht seine Schwester. Alle begrüßen sich gegenseitig und die beiden Elternpaare fallen bald in eine höfliche Plauderei. An einem Schalter, nicht weit von uns weg, steht Erich. Er hat zwei große Koffer neben sich stehen und spricht mit der Frau gegenüber. Kurz darauf wuchtet er das erste der beiden Ungetüme auf das Förderband, kurz danach das zweite. Es dauert eine ganze Weile, ehe er alle Formalitäten erledigt hat und sich umdreht. Sein Blick ist nüchtern wie immer und ich bin mir ziemlich sicher, dass Thomas mal wieder nicht dicht halten konnte und die Überraschung im Grunde keine mehr ist. Wir vertreiben uns die letzte Zeit mit albernen Späßen, Martina und Jamie kommen schließlich nach und bald schon wird es Zeit uns an das richtige Gate zu begeben. Auf dem Weg dahin drängt Erich sich neben mich und seufzt leise. „Wie anstrengend“, brummt er. „So sind Freunde manchmal“, stichle ich, knuffe ihn dabei in die Seite. „Wie sieht es bei dir aus?“, fragt er. „Gut. Ich habe die ersten Prüfungen soweit bestanden. Das Lernen geht weiter.“ „Nicht nachlassen, hörst du? Schreib mir, wenn du was brauchst.“ „Schon gut, ich komm’ klar“, lache ich, bin überrascht, als er mir einen Arm um die Schulter legt und mich näher an ihn drückt. „Ich mein’s ernst. Schreib mir.“ „Erich… was…?“ Doch ich komme nicht mehr dazu meine Frage zu stellen, denn wir sind am Gate angekommen und Erichs Eltern wuseln sich zwischen uns, wollen die Ersten sein, die sich von ihm verabschieden. Außerdem ermahnen sie ihn sicherlich noch, vor allem seine Mutter wird ihn wohl mit Ratschlägen wegen des Ladens bombardieren. Der erste Aufruf für den Flug erfolgt und nun nimmt auch seine Schwester ihn in den Arm, doch die Kabbelei kann man auch noch zehn Meter weiter erkennen. Es ist kein ruhiger Abschied und ich glaube fast, dass die beiden froh sind, endlich Abstand voneinander zu bekommen. Marianne, Bernhard, Lars und Johannes, halten es kurz, aber herzlich, Martina nimmt Erich ebenfalls in den Arm und wünscht ihm alles Gute, Jamie kassiert dafür einen heftigen Schlag auf den Rücken. Chris steht eher unschlüssig herum, bis Erich ein Einsehen mit ihm hat und ihn kurz, aber fest in die Arme zieht. Irgendetwas flüstert Erich meinem Freund ins Ohr, was diesen zum Lachen bringt, doch durch die ganzen Gespräche um mich herum, kann ich kaum verstehen was es ist. Thomas packt mich am Arm, zieht mich und Erich mit sich nach vorne und irgendwie habe ich das ungute Gefühl, dass das hier ein ganz emotionaler Moment zu werden droht. „Pass da drüben auf dich auf, hörst du?“, mahnt Thomas leise, versucht so streng wie möglich zu gucken. „Ich bin ja nicht du“, kontert Erich gelassen, schmunzelt vor sich hin und lässt noch so manchen Spruch über sich ergehen, bis sein Flug schließlich zum letzten Mal angesagt wird. Jetzt umarmen er und Thomas sich lange und man kann ihnen ansehen, dass ihnen dieser Abschied nicht leicht fällt. In Thomas’ Augen schimmern sogar die ersten Tränen. „Pass auf dich auf“, wiederholt er und dieses Mal nickt Erich bloß. „Schick uns mal `ne Karte“, sage ich grinsend, umarme Erich ebenfalls. „Du wirst uns fehlen.“ „Ihr mir auch“, gesteht Erich leise, lacht dann auf. „Als ob wir uns nie wieder sehen würden, ihr Hornochsen. So, ich muss los!“ Und mit diesem lockeren Spruch auf den Lippen dreht er sich um und kramt das Flugticket aus seiner Jacke. Ehe er jedoch außer Sicht ist, schaut er über die Schulter nach hinten, grinst breit und ruft: „Ach übrigens, Thomas, ich weiß über deine homoerotischen Ausflüge bescheid, du Noob!“ Und während Thomas der Unterkiefer runter fällt, verschwindet Erich endgültig und ich mache mich ganz klammheimlich aus dem Staub. --- Die Woche zwischen dem gemeinsamen Essen mit Jamie, Thomas und Chris ist genauso schnell rum gegangen wie die, in der Erich abgereist ist. Ich kann mich nicht mal mehr wirklich dran erinnern, was ich in diesen zwei Wochen gemacht habe und starre am Freitag wie hypnotisiert auf das Kalenderblatt. Nur noch das Wochenende und dann ist der Juni auch schon wieder rum. Habe ich im März tatsächlich meine ersten Prüfungen geschrieben? Seufzend erinnere ich mich daran, dass bald die nächsten sind und ich mich immer noch erfolglos um ein Praktikum bewerbe. Da ich nicht genau weiß was ich später mit meinem Abschluss anfangen möchte, habe ich mich erst einmal auf ganz unterschiedlichen Gebieten beworben. Thomas hatte mir sogar angeboten ihn im Kindergarten besuchen zu kommen, aber ich glaube nicht, dass das etwas für mich ist. Vielleicht sollte ich mir mal wirklich ernsthafte Gedanken darüber machen. Aber wann immer ich mir meine Zukunft vorstelle, wird es vor meinen Augen schwarz. Ich bin schon Mitte zwanzig und kann außer einer langjährigen Erfahrung einer Clubleitung und eines nachgemachten Abitur nichts vorweisen. Außerdem habe ich bisher keinerlei spezifische Interessen. Nichts was der Schulstoff mir bietet ist irgendwie von Bedeutung. Das einzig Gute ist, dass ich aufgrund Erichs Zuarbeitung zumindest den ein oder anderen Tausender auf dem Konto habe. Es ist nach wie vor nicht viel, aber wenigstens muss ich in der ersten Zeit nichts verhungern. Den Laden haben Erich und ich bereits verkauft, das Geld geteilt und nun ist er nach Frankreich gezogen und ich jobbe ab und an in einer Küche. Knochenarbeit, aber die verträgt sich mit meinem wirren Lernrhythmus. Entschlossen mich auf andere Gedanken zu bringen, wende ich mich von dem Kalender ab, stelle mit einem kurzen Blick auf die Uhr fest, dass es bereits sieben Uhr ist und ich noch immer nichts gegessen habe. Einen Moment lang überlege ich mir, ob ich Chris fragen soll, ob er vorbeikommt und mit mir isst, doch dann verwerfe ich die Idee wieder. Nach meinem letzten Besuch habe ich nicht den Eindruck, dass seine Mutter noch wirklich gut auf mich zu sprechen ist und außerdem hat nun auch die Abiturphase angefangen und Chris muss lernen und Klausuren schreiben. Ich will ihn nicht stören. Mir lässt er schließlich auch den Freiraum den ich brauche. Als ich gerade nach der Kühlschranktüre greifen will, klingelt mein Handy, das ich achtlos auf den kleinen Küchentisch geworfen habe. Ohne auf die Nummer zu achten, gehe ich ran, melde mich eher unverbindlich. „Spreche ich mit Herrn Raphael Montega?“, fragt mich eine Stimme, die mir vage bekannt vorkommt. „Ja“, gebe ich nur knapp zur Antwort, verharre ganz erstarrt in meiner Position. „Hier spricht Herr Richards, der behandelnde Arzt Ihres Vaters.“ „Was ist passiert?“, frage ich automatisch nach. „Ihr Vater… seine Werte sind sehr schwach. Wir fürchten, dass es bald zu Ende geht. Wenn Sie allerdings…“ „Nein“, falle ich dem Arzt ins Wort. „Keine lebensverlängernde Maßnahmen. Keine Operationen.“ „Herr Montega…“ „Was ist mit meiner Mutter? Ist sie im Krankenhaus?“ „Ja. Die Pflegerin hat sie hierher gebracht.“ „Gut, ich komme.“ Ich beende das Gespräch, lehne mich an die Küchenzeile und bedecke mein Gesicht mit meinen Händen. Ein unkontrollierbares Zittern hat meinen Körper ergriffen und in den ersten fünf Minuten bin ich nicht in der Lage mich zu bewegen. Mit einem verschwommenen Blick schaffe ich es bei Jamie und Martina anzurufen. Sie nimmt ab und klingt genauso erschöpft wie ich mich gerade fühle. Es tut mir so leid und so weh ihr zu sagen, dass die Krise erneut aufgelebt hat. Schweigend hört sie mir zu, dann höre ich ein lautes Geräusch, gefolgt von ihren Schluchzern. Scheinbar ist sie vor dem Telefon zusammengebrochen. Jamies Stimme ertönt nun im Hintergrund, nur mit Mühe kann er ihr den Hörer entwinden, dann berichte ich auch ihm was passiert ist. Er bleibt ganz still. Es dauert eine halbe Ewigkeit bis er sich wieder zu Wort meldet. „Ich kann nicht“, flüstert er. „Gott, ich kann das nicht.“ „Ich fahre jetzt ins Krankenhaus“, sage ich. „Mutter ist da und es werden sicherlich Papiere auftauchen die ich lesen und unterschreiben muss. Ich muss mit dem Pflegedienst besprechen wie…“ „Gott, Raphael!“, unterbricht mich Jamie schnaubend. „Wie kannst du nur so ruhig bleiben? Er stirbt! Unser Vater stirbt! Und du… du… wie kannst du jetzt nur an derlei Dinge denken?!“ „Weil ich muss, Jamie!“, brülle ich ihn an und er wird ganz still. Auch Martinas Schluchzen verebbt. „Das ist meine Art damit umzugehen! Ich kümmere mich um die Dinge die anfallen, die wichtig sind, die gemacht werden müssen! Soll ich mich unter meiner Decke verkriechen und warten bis alles vorbei ist? Wie gerne würde ich das, Jamie, aber ich kann nicht! So funktioniert das Leben nun mal nicht! Mutter ist nicht mehr zurechnungsfähig und ich bin derjenige der für alles verantwortlich ist. Ich treffe die Entscheidungen, ich trage die Verantwortung und die Last! Dinge müssen geregelt werden und ich werde das tun! Ich habe keine andere Wahl! Aber ich habe auch gelernt damit umzugehen! Ich verstecke mich nicht. Nicht mehr. Das Krankenhaus muss wissen was mit Vater geschehen soll, eine Beerdigung will bezahlt und vorbereitet werden, wir können ihn schließlich nicht einfach im Wald verscharren! Mutter muss aus dem Haus raus! Es gibt so viele Dinge und es gibt niemanden der sie macht! Du ziehst dir lieber die Decke über den Kopf und hoffst, dass das alles an dir vorübergeht, aber ich kann das nicht. Einen trifft es immer!“ Ich schnaufe schwer, fahre mir über die schweißnasse Stirn, nehme mein Handy vom Ohr und lasse mich langsam an der Küchenzeile entlang gleiten, setze mich auf den Boden und bin einfach nur noch fertig mit der Welt. „Tut mir leid“, brumme ich schwach, als ich mich wieder sicher genug fühle überhaupt etwas zu sagen. „Schon gut, du hast ja recht“, gesteht Jamie leise. „Es tut mir leid, Raphael. Lass… lass mir noch ein bisschen Zeit und… ich komm’ dann nach.“ „Ja. Ist gut.“ Ich lege auf und im selben Moment löst sich die erste Träne aus meinem Auge, gefolgt von einem ganzen Sturzbach an aufgestauten Gefühlen. Immer wieder schlage ich mit dem Hinterkopf gegen den Schrank in meinem Rücken, presse mir die geballten Hände gegen die Stirn, schüttle mich in meinem Heulkrampf, die Zähne verbissen aufeinander gepresst. Ich weiß nicht mehr was ich noch denken oder fühlen soll. Bin ich erleichtert? Froh? Nicht wirklich. Ich kann nicht einmal sagen, warum ich überhaupt weinen muss, aber es ist als wäre ein riesiger Staudamm in meinem Inneren gebrochen und ich würde nun in meiner eigenen Flut an Gefühlen ertrinken. Es ist so merkwürdig. Langsam rapple ich mich wieder auf, verwische die Spuren meiner Trauer im Bad, ziehe mir frische Sachen an, nehme Handy, Schlüssel und Geldbörse mit, verlasse die Wohnung. Unpassenderweise strahlt die Sonne. Der Weg zum Krankenhaus dauert mit Bus und Bahn länger als ich erwartet habe und mir bleibt viel zu viel Zeit um über die Dinge nachzudenken. Mein Vater wird sterben. Heute oder vielleicht doch erst in ein paar Tagen. Es geht zu Ende mit ihm… aber wann? Ich freue mich nicht darüber, irgendwie ist es falsch Freude über den Tod eines anderen Menschen zu empfinden, auch wenn man diesen nur in schlechter Erinnerung behalten wird. Ich will einfach nur wissen warum alles so gekommen ist. Was hat die Liebe meines Vaters zu seiner Familie zerstört? Vielleicht sind es noch immer die Gedanken, die ich als Kind hatte, die mich bis heute verfolgen. War es meine Schuld? Habe ich etwas getan was meinen Vater dermaßen verärgert hat? Ich werde das alles nicht los. Wird es verschwinden, wenn er tot ist? Oder wird sich nichts ändern, bleibt alles so wie es war? Dieses schwarze Loch in meiner Brust weitet sich aus, je mehr ich darüber nachdenke. Ich weiß nicht was die Zukunft für mich bereithält. Ich weiß es einfach nicht. Es macht mir Angst einer solchen Ungewissheit entgegen zu gehen. Gefangen in der Zeit… so fühle ich mich. Auf der Schwelle zu einer neuen Epoche und doch nicht stark genug um diesen letzten Schritt zu gehen. Wird mein Vater das für mich tun mit seinem Tod? Beendet er die eine Ära und läutet eine neue ein? Ich gehe den Weg zum Krankenhaus hoch, erkundige mich mechanisch auf welchem Zimmer mein Vater liegt, geistere durch die kühlen Korridore und merke nicht einmal wie ich vor der Tür zum stehen komme. Wie durch einen Schleier trete ich in das Zimmer, alles scheint mir mit Nebel voll zu sein und keinerlei Geräusch dringt zu mir. Ich höre Doktor Richards wie er etwas von einer drastischen Ausweitung des Krebses spricht und welche Organe mittlerweile betroffen sind. Das Versagen einiger Funktionen, den Sauerstoffmangel. Aber alles was ich sehe, ist der kranke, verkomme Mann, der mir gegenüber in seinem Bett liegt. Nur mühsam kann ich das Heben und Senken seines Brustkorbs verfolgen, sehe die Schläuche die zu ihm führen und wünsche mir, ich hätte ein Messer dabei um sie eigenhändig durchzuschneiden. Die Haut dieses Mannes ist verrunzelt, die Haare sind ihm ausgefallen, die Chemotherapie die meine Mutter veranlasst hat bevor sie geistig völlig weggetreten ist, hat ihre Spuren hinterlassen. Auch nachdem ich sie wieder abgeschafft habe, hat er sich nicht erholt. Der Krebs ist scheinbar wirklich groß. Ich weiß, dass die Ärzte und Schwestern über uns reden, über mich. Sie wissen, dass ich derjenige war, der gegen meine Mutter die rechtlichen Vollmachten erkämpft hat. Ich habe Mutter einem psychologischen Gutachten unterzogen, man hat sie für nicht mehr zurechnungsfähig erklärt und die Verantwortung für alle Dinge liegt nun bei mir. Es ist eine Last, aber ich habe sie gewollt. Dieses eine Mal, habe ich sie ganz bewusst gewollt. Ich könnte meinen Vater behandeln lassen. Unmengen an Geld zum Fenster rauswerfen um mich an eine knappe Chance zu halten, dass er überleben könnte. Aber ich weiß, dass er das nicht will. Und ich will es noch viel weniger. Er soll sterben. Hier und heute. Vor meinen Augen! Diese Gedanken erschrecken mich und ich weiß ganz genau, dass ich mich später dafür hassen werde, aber jetzt… jetzt sind sie richtig. Und sie tun mir gut. Es kommt mir vor wie ein Triumph. Auch wenn ich kein strahlender Held bin, ist er doch sicherlich der böse Schurke. Und ich werde gewinnen. Er weiß das; und ich genieße es. Als ich zu ihm hintrete bemerke ich den weißen Briefumschlag der auf seinem Tabletttisch liegt. Unsere Blicke begegnen sich und ich habe ein flaues Gefühl im Magen, als ich meine Hand danach ausstrecke und bemerke, dass er bereits geöffnet wurde. Der Bogen Papier, den ich daraus hervorziehe, ist bereits vergriffen und an mehreren Stellen geknickt. Dinge wurden markiert und ich erkenne die Handschrift meines Vaters, auch wenn ich die Worte nicht bewusst lese. Das Logo in der oberen Ecke gehört zu einem medizinischen Institut. Ich sehe zu ihm auf und meine ein Lächeln auf seinen vertrockneten Lippen sehen zu können, aber ich bin mir nicht sicher. Vielleicht ist er auch längst in ein Delirium gefallen. Zum ersten Mal bemerke ich nun meine Mutter, die am Bettrand sitzt, immer wieder mit ihren Händen die Bettdecke über seiner Brust glatt streicht. Sie wiegt sich hin und her, schluchzt und brabbelt wirres Zeug. Die Pflegerin, die ich eigens für sie eingestellt habe, steht am Fenster, knetet die Hände ineinander und wirft mir hin und wieder einen vorsichtigen Blick zu. Sie weiß, dass ich es ihr untersagt habe meine Mutter zu trösten. Am liebsten würde sie wohl zu meiner Mutter gehen und beruhigend auf sie einreden, aber ich habe es ihr unter Androhung eines Rausschmiss’ verboten. Vielleicht erscheine ich in fremden Augen hartherzig und unmenschlich, aber sie alle wissen nicht wie ich gelitten habe… und noch immer leide. Keiner kann nachvollziehen wie ich aufgewachsen bin, wie hart das Leben unter diesen Eltern war. All die Dinge die sich in meinem Kopf abspielen, wenn ich sie ansehe. Niemand weiß das. Also ist es mir egal, wie ich wirke. Langsam schlage ich die erste Seite um, überfliege die Zeilen. Mein Herz rast wild geworden in meiner Brust und ich bete zu einem mir unbekannten Gott, dass das nicht wahr sein kann. „Nein“, flüstere ich, wende das Blatt, lese die nächsten Zeilen. 99,9% Wahrscheinlichkeit… die zu testende Person… mit der Probe… die Worte verschwimmen vor meinen Augen und ich schüttle wie irregeworden den Kopf. „Bitte nicht… nein… nein…“, raune ich immer wieder, kralle meine Finger in die Blätter, die dadurch einmal mehr zerknittert werden. Ich hefte meinen Blick auf die sterbende Gestalt meines Vaters, der scheinbar ruhig zurückblickt. Seine Hände sind in das Bettlaken verkrallt und am liebsten würde ich ihm jeden Finger einzeln brechen. „Was willst du damit erreichen?“, schreie ich laut, mache meiner Verzweiflung damit Luft und erschrecke Doktor Richards und die Pflegerin beinahe zu Tode. „Warum jetzt? Warum jetzt? Gott verdammt!“ Ich wende mich von dem Bett des Sterbenden ab, werfe die Hände in einer hilflosen Geste in die Luft, kann die Blätter dabei jedoch nicht loslassen. Sie sind an mich gekettet und werden nur ein weiterer Alptraum in meinem Leben sein. Eine schlaflose Nacht mehr. Was macht das schon, nicht wahr? Wer braucht schon inneren Frieden? Meine Schultern beben aus den verschiedensten Gefühlsempfindungen heraus und keine kann ich wirklich in Worte fassen. Doktor Richards erklärt mir verzweifelt, dass mein Vater mich wahrscheinlich nicht einmal hören kann. Er vegetiert lediglich vor sich hin und sein Blick ist eine Illusion seines Bewusstseins. Nichts ist mehr von ihm übrig geblieben, als der Drang zu atmen. Langsam drehe ich mich herum, schiebe den Arzt erbarmungslos zur Seite, der die reine Mordlust in meinen Augen wohl gesehen und verstanden hat, und nun nervös ist wie ein scheues Reh. Ich beuge mich über meinen Vater, von dem ich mir sicher bin, dass er mich noch hören kann, bringe mein Gesicht nah zu seinem, schaue ihm nur noch einmal kurz in die Augen. „Dafür wirst du in der Hölle schmoren“, raune ich grimmig. „Und wenn ich dir eigens nachkommen muss, aber letzten Frieden gibt es für dich nicht, du Monster!“ Ich richte mich auf, blicke zu meiner Mutter, deren Position sich nicht ein kleines bisschen verändert hat, hin zur Pflegerin, die nun doch ihre Arme um sie gelegt hat und sie zu beruhigen versucht, und zu Doktor Richards, der verloren neben mir steht. „Wehe Sie beleben ihn wieder“, drohe ich dem Mediziner, blicke auf, als ich Schritte höre und kurz darauf Jamie und Martina im Raum stehen. Der Blick meines kleinen Bruders wandert automatisch zu mir und ich sehe die Angst darin. Wortlos gehe ich an ihm vorbei, balle meine Hände zur Faust und zerknülle die Papiere damit endgültig. Wieder gehe ich durch die Korridore des Krankenhauses, wieder fühlt es sich unwirklich an. Aber die Beklemmnis ist verschwunden. Ich weiß nun, dass mein Vater diesen Tag nicht mehr überleben wird und das bereitet mir eine grimmige Genugtuung. Alles was bleibt ist Trauer und Verzweiflung, die über mich hinwegschwappt und mich mit sich reißt, als ich das Krankenhaus verlasse und in den strahlenden Sonnenschein hinaustrete. --- Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)