Die Chemie der Alkane von Magic ================================================================================ Kapitel 2: Isomere - Philus --------------------------- Es war Nachmittag geworden, die Sonne schien sanft auf die Landschaft nieder, die Baumwipfel wehten im zarten Wind und spendeten kühlen Schatten. Die Jugendlichen hatten ein paar Baumstämme angetragen und ein Lagerfeuer aufgebaut, um das sie sich setzten konnten. Über das Lagerfeuer hatten sie ein Grillgitter befestigen können und darauf einen großen Topf gestellt, in dem eine schöne warme Suppe vor sich hin köchelte. Man hatte sich mit Philus bereits gut angefreundet und den Geisbock Lipus als ungefährlich und Fabelwesen oder Halluzination eingestuft. Es war alles so unwirklich: diese Gegend, dieses Tier, wie Philus gekleidet war.. doch was brachte es, sich darüber den Kopf zu zerbrechen, die Pfadfinder jedenfalls waren der Ansicht, mit vollem Magen ließe es sich besser denken und überhaupt erst mal den Geist zur Ruhe kommen lassen. „Hm.. riecht ja köstlich!“, schnupperte Jackson, dem schon das Wasser im Mund zusammen lief, mit seinem riesigen Zinken. „Nichts da! Erst mal bekommt unser kleiner Gast etwas!“ Mit der Suppenkelle klopfte Gogo dem Englischlehrer auf die Finger, die Richtung Topf gewandert waren. Die Pfadfinderin nahm kurz darauf eine Suppenschüssel und gab zwei große Schöpfer hinein und überreichte sie dem Jungen. Er hatte Tränen in den Augen: „Ich habe schon lange nichts mehr warmes zu Essen gehabt!“ Augenblicklich begann er gierig zu schlingen, verbrannte sich dabei die Zunge, da er vor Ungeduld und Hunger nicht abwarten konnte, bis die Mahlzeit verträglich abgekühlt war. „Och Gottchen, wie niedlich! Der ist ja richtig ausgehungert!“, lächelten die Jugendlichen verständnisvoll und ließen sich auch ihr soeben überreichtes Essen genüsslich schmecken. Es herrschte zunächst eine gefräßige Stille. Nur das Klacken des Campingbestecks in den Plastikschüsseln war zu vernehmen und manierloses Geschlürfe. Kein Geplapper oder Gekicher der Kinder. Dieser Moment der Stille ging allen durch Mark und Bein. Sie begriffen in dieser Zeit, dass es doch kein Traum war, keine Einbildung, sondern Realität. Und als die ersten Schüsselchen leer waren, begannen die ersten zu fragen: „Und wie kommen wir wieder nach Hause?“ „Nun, also wir werden wohl noch jemanden suchen mit einem Fahrplan und Wegbeschreibung zurück nach Tokio, dann finden wir ganz schnell den Weg!“, lachte Jackson und warf schwungvoll seinen Gabel-Löffel in die leere Suppenschale, die er soeben unüberhörbar laut leergeschlürft hatte. „Lubikaka, hieß das nächste Dorf, oder?“, vergewisserte sich der Lehrer bei dem kleinen Jungen, während er sich mit dem Ärmel den Mund abwischte. „Was?! Ihr kommt aus Tokio?“, schockiert starrte Philus die Gruppe an, riss seine Augen dabei weit auf, als konnte er seinen Ohren kaum glauben. „Das kann nicht sein.“, er schüttelte den Kopf und feixte, er hatte sich doch bestimmt verhört. „Doch, sicher. Wir kommen aus Tokio, sind alle von der Fukui-Gesamtschule und wollten eigentlich einen Ausflug in die Berge machen, aber irgendwie sind wir hier gelandet. Wie heißt diese Gegend überhaupt?“, wollte Ryô wissen, der seine Portion auch schon aufgegessen hatte und aus dem großen Suppentopf nachschöpfte. Philus verzog etwas die Miene, als sei es doch lächerlich dies nicht zu wissen: „Nein, nein. Ihr meint vielleicht die Ruinen von Tokio, denn diese Stadt existiert schon lange nicht mehr! Ihr befindet euch auf den Ländereien der Städte Tentor und Lubija. Ihr müsst wirklich einen weiten Weg hinter euch haben, wenn ihr das nicht wisst!“ „Was?!“ Alle schrieen auf und Ryô ließ sogar vor Schreck seine Schüssel in den großen Suppentopf fallen. Während er der Schüssel, die wie die Titanic im vor sich hinköchelnden Topf unterging, nachschaute bemerkte er, dass ihm soeben der Appetit vergangen war. Er rieb sich den Kopf und runzelte die Stirn, während er sich umdrehte und die entgeisterten Gesichter seiner Kameraden beobachtete, die scheinbar auch keine Muse mehr hatten ihre restlichen Schüsseln leer zu essen. „Tokio gibt es schon seit vielen, vielen Generationen nicht mehr. Es soll einmal die größte Stadt der alten Welt gewesen sein, leider ist von ihr heute nichts mehr übrig, außer ein paar Ruinen. Man erzählt sich, dass Tokio als erstes der großen Städte fiel, als die Zhayad in diese Welt kamen. Lange Zeit gab es nur Kriege und Naturkatastrophen, in denen alles aus der alten Welt zerstört wurde. Wir Menschen müssen uns dem Königshaus unterordnen, wer sich den Zhayad widersetzt wird getötet, ... so wie mein Vater...“ Er begann zu Schluchzen und kniff die Augen fest zusammen, fing sich aber rasch wieder und erzählte mit gebrochener und zittriger Stimme weiter: „Mein Vater war Astrologe in der Stadt Tentor, drei Tagesritte von hier. Er sollte unter anderem für die Zhayad die Sterne deuten. Er deutete anhand der Sternkonstellation, dass eine alte Prophezeiung sich bald erfüllen würde. Aber statt ihm zu Glauben, wie es die Königsfamilie schon immer getan hatte, klagten sie ihn an wegen Hochverrates und Aufhetzerei gegen das Königshaus der Zhayad.“ Er rieb sich die Tränen aus den geröteten Augen. Gespannt hingen die Pfadfinder voller Entsetzen an Philius’ Lippen. „Vor ein paar Tagen kamen sie dann. Nachts. Sie brannten unser Haus nieder und...“, er vermochte nicht weiterzusprechen. Trauer, Angst und Wut schnürten ihm die Kehle zu, er weinte. „Furchtbar.“, sagte Floret fassungslos und kopfschüttelnd. Sie saß neben dem kleinen, fremden Jungen und legte tröstend Ihre hand auf seine Schulter – sie wusste leider nicht anders ihr Mitgefühl auszudrücken. Alle waren schwer betroffen von der traurigen Geschichte und viel mehr von dem kleinen Jungen, der so bittere Tränen weinen musste. Es klang so, als seien sie nicht nur in einer anderen Welt gelandet, sondern auch in einer anderen Zeit. Nächtliche Überfälle, Niederbrennen von Häusern, wegen Hetzerei und Hochverrates angeklagt werden.. das klang verdächtig nach dunklen mittelalterlichen Zeiten aus Geschichtsbüchern. „Wir müssen es verhindern! Die Zerstörung von Tokio!“, rief Jackson mit funkelnden Augen und sprang euphorisch um das Lagerfeuer herum. „Wir werden den Verlauf der Geschichte verändern! Das ist mit Sicherheit unsere Bestimmung! Vielleicht werden wir ja dann Helden sein! Sie werden uns feiern!“ Der Amerikaner kam auf merkwürdige Ideen und man sah ihm an, dass sein Kopfkino gerade einen Blockbuster zeigte, womöglich mit ihm als Hauptrolle, für die er garantiert einen ganzen Sack voll Auszeichnungen für sein Schauspieltalent und sein gutes Aussehen kassiert hätte. „Angenommen, es stimmt was der Kleine sagt und Tokio vor vielen Jahren zerstört wurde, dann ... sind wir in der Zukunft gelandet? Wie soll so etwas denn gehen?“, schlussfolgerte Skipper mit gerunzelter Stirn. „Zeitreisen, mein Lieber! Zeitreisen! Wir sind die ersten Menschen, die durch die Zeit gereist sind!“, erklärte Jackson mit ernster und visionärer Stimme. „Sie haben eindeutig zu viele Filme gesehen, Sensei!“, schimpfte Gogo und schüttelte nur den Kopf, ihr Lehrer musste wahnsinnig geworden sein, es bestand kein Zweifel mehr daran. Skipper brauchte erst einmal eine Zigarette um seine angespannten Nerven zu beruhigen. „Amazing!“, feixte Darwin. Er und Zack teilten große Otaku-Leidenschaften. Für die beiden war die missliche Lage in der sie sich befanden wie aus einem Manga geschnitten. Sie konnten die Trauer und Besorgnis der anderen kaum teilen, viel mehr freuten sie sich darüber wie Jackson: Sie würden Helden werden. „Ihr seid doch doof!“, zischte Floret, nachdem sie das Grinsen ihrer Kameraden bemerkt hatte. „Aber wieso?! Wir sind durch die Zeit gereist! Wir werden die Welt retten!“, strahlte Zack über beide Backen. „Die Welt retten?! Wie denn? Hast du einen magischen Zauberstab oder ein sprechendes kleines fettes Monster dabei oder was?“ Sie verpasste ihm eine Kopfnuss. „Ich will wieder nach Hause! Hier ist es doof! Ich will zu meinen Eltern!“, schluchzte Sara und vergrub ihr Gesicht in ihrem Teddybären. Arway schloss sie sogleich in die Arme, als große Schwester fühlte sie sich verpflichtet Sara zu beschützen und zu trösten. „Werde ich meinen großen Bruder und meine Eltern nie wieder sehen?“, schluchzte Maya und ehe sich die Truppe versah, weinten auch schon alle der jüngeren Mitglieder und hatten Angst, nie wieder nach Hause zu kommen. „Jetzt beruhigt euch wieder mal. Ich ... ich verspreche euch, wir werden schon irgendwie wieder nach Hause kommen.“ Jackson versuchte, seine Schützlinge zu beruhigen, jedoch mit minderwertigem Erfolg. „Irgendwie sind wir hier her gekommen und irgendwie kommen wir auch wieder nach Hause.“, meinte Ready gefasst, zum Erstaunen aller. Er war verhältnismäßig ruhig geblieben, in seiner Stimme lag Mut und Zuversicht, keine Angst oder Sorge wie es bei den anderen der Fall gewesen wäre. „Und wir lassen uns doch nicht unterkriegen, das wird schon klappen, dass wir wieder in unsere Zeit zurückkommen!“ Durch diese Worte, die er so selbstsicher aussprach, gab er seinen Freunden wieder Ruhe und Hoffnung zurück. Jackson nickte dankend und zustimmend zu ihm hinüber. „Hey, ich bin stolz auf uns. Wir sind gerade mal...“ Jackson sah auf seine Armbanduhr. „.. 4 Stunden in dieser Zukunft und wissen schon genau, was unser Problem ist.“, feixte er um alle aufzumuntern. „Wir sind Pfadfinder. Wir sind die Alkanen! Wir nehmen jede Herausforderung an – das ist doch auch unser Motto!“, meinte der Englischlehrer um ein wenig die Stimmung zu heben. Die Kinder begannen wieder ihre Stimmen zu finden, und ihre Gedanken abzulenken und plapperten quer durcheinander, erzählten von ihren Vorstellungen und wie sie die ganze Situation empfanden. „Hey Philus, wer sind diese Zhayad überhaupt?“, fragte Ready vorsichtig den kleinen Jungen, während Jackson begeistert damit zubrachte, die anderen Gruppenmitglieder mit komischem Getänzel und seinen Visionen von der Rettung der Welt aufzumuntern. „Zhayad? Sie sind... hm, das ist schwer zu beschreiben. Sie sehen aus wie Menschen, sie sind aber Dämonen. Sie sind sehr schnell und viel stärker als Menschen je sein könnten und manche von Ihnen haben besondere Fähigkeiten.“, erklärte dieser. „Dämonen?!“ Philus nickte: „Ja! Aber der Schlimmste von Ihnen ist ihr König: Dekan! Er ist der Mächtigste von allen!“ Etwa zur selben Zeit spielte sich gar nicht allzu weit weg von dem Rastplatz der Pfadfinder eine ganz andere Szene ab. In einem edlen, königlichen Saal standen ein paar Männer in schwarz-grauen Uniformen, bestehend aus einer strammen, zugeknöpften Jacke, einer Hose und schwarzen Stiefeln. Die Jacke und Hose waren aus schwerem, samtartigen Stoff und an Ärmeln und Kragen mit feinen Stickereien versehen. An den Gürteln der Uniformen waren Schwerter befestigt, mit goldfarbenen Schnüren und Kordeln. Sie schauten finster drein und standen stocksteif da. „Hauptmann, der gesuchte Junge konnte bislang nicht gefunden werden.“, trat einer der Männer hervor. Es war ein Soldat, so wie die anderen Männer auch, die neben ihm in einer Reihe standen. Er hatte zu einem Anführer gesprochen, der am Fenster stand und ihnen den Rücken zuwandte. Er hatte einen langen schwarzen Umhang, der lange Schatten warf. Er stützte sich mit den Händen auf dem Fenstersims ab und betrachtete mit ruhenden Augen die Straße, die unter dem Fenster vorbei führte. „Er wird noch auftauchen. Haltet die Männer zurück, Sie sollen auf Anweißungen warten.“, entgegnete der Hauptmann ohne sich umzudrehen. Sein hellgraues bis weißes Haar schillerte silbern im Tageslicht, dass durch das Fenster hereinschien. Gerade war der Geländebus losgefahren. Die Pfadfinder hatten beschlossen, Philus in die Handelsstadt Lubija zu folgen, in der Philus einen guten Freund seiner Familie besuchen wollte, schließlich hatte er ja niemanden mehr und benötigte Hilfe. Dieser gute Freund war niemand geringeres als der Bürgermeister der Handelsstadt und würde mit Sicherheit den Alkanen mit Rat und Tat für ihre Heimkehr weiterhelfen können. Die Kinder saßen teilweise ganz angespannt in ihren Sitzen und betrachten stillschweigend und skeptisch die Landschaft, die an ihnen vorbeizog. Vor dem Geländewagen ritt Philus auf seinem Geißbock in schnellem Schritt voran. Sie wollten gegen Nachmittag die Handelsstadt erreicht haben und der Weg war noch weit. In der Stereoanlage des Fahrzeuges dudelte eine fröhliche Sommermusik vor sich hin. „Ach herrje!“, schrak plötzlich Ready auf. „Was ist?“, erkundigte sich Jasmin sofort, die neben ihm saß und von Readys Schrecken selbst erschrocken war. „So bei der Musik fällt mir ein, ich wollte mir nach dem Wochenende eigentlich das Neue Album von ,Summerfunk’, dieser Rockband, kaufen. Jetzt gibt es die gar nicht mehr und ich hatte mich schon so sehr darauf gefreut ... Du musst mich trösten!“, er jammerte und drückte sich mit gespielter trauriger Miene an des Mädchens Oberweite und erntete für diese freche Tat sofort eine schallende Ohrfeige. „Mao!“, rief Darwin mit seinem stark ausgeprägten englischen Slang und legte die letzte Karte in seiner Hand auf den Kartenstapel auf dem Sitz, den er, Ryô, Floret und Zack als Spieltisch benutzten. „Wir spielen aber Tichu!“, Floret warf ihm einen strengen Blick zu. „It is doch egal. Hauptsache I am winning!“, grinste der Rotschopf triumphierend. „Ach, diese Runde ohne mich.“, so Ryô, während Zack die Karten neu mischte und Floret sich mit Darwin über dessen merkwürdige Gewinnsträhne zoffte. Ryô setzte sich hinüber, neben Wong, der eifrig auf sein Laptop hämmerte. „Was machst du da?“, erkundigte sich der Sportler neugierig, sah auf den Monitor und entdeckte ein paar Berechnungen. „Ich versuche einige Informationen zu sammeln um meine Theorie auszubauen.“, sagte er schnell und arbeitet weiter. „Theorie? Was denn für eine Theorie?“ Er versuchte zu erkennen, was der Kleine machte. „Nun... Flora und Fauna haben sich verändert und auch dieser Zeigenbock, Lipus. Es muss etwas passiert sein, ganze Evolutionssprünge, sodass eine solch starke Veränderung stattfinden kann. Und Evolutionssprünge finden eigentlich nur alle paar Millionen oder Milliarden Jahre statt. Ich versuche Daten darüber zusammeln, was genau in dieser Zeit passiert ist, wenn ich meine Theorie auf ein paar Fakten aufstellen kann, werde ich dir gerne mehr darüber erzählen.“, erklärte der kleine chinesische Junge und tippte eifrig auf seinem Computer weiter. Ryô war beeindruckt, dass der kleine Knirps mitdachte und der Zahlen- und Buchstabensalat auf dem Computerdisplay waren für Ryô äußerst verwirrend ... der kleine Grundschüler war wohl wirklich ein Genie wie es alle sagten. Wie könnte sonst ein 10-jähriger mit Evolutionstheorien und Berechnungen darüber freiwillig und intensiv beschäftigen? Der Bus hielt nach einer langen Fahrt an. Sie waren am Ziel: Lubija. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)