Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster von Arcturus (Eine Scheibenwelt-Wichtelgeschichte für JoeyB) ================================================================================ Anmerkung: In dieser Geschichte wird es in den einzelnen Kapiteln Fußnoten geben, die mit in Klammern gesetzten Zahlen markiert sind.(1) Ihr findet diese Fußnoten am Ende des jeweiligen Kapitels und in der Charakterbeschreibung ganz unten. Ich rate euch daher, entweder das Kapitel zwei Mal zu öffnen oder die Charakterbeschreibung offen zu lassen, während ihr lest, damit ihr nicht immer scrollen und blättern müsst, wenn ihr auf Fußnoten trefft. Nun wünsche ich euch aber viel Spaß bei der Geschichte. Alles hat einen Anfang. Irgendwo, irgendwie und meistens wurde es irgendwann blutig. Auch diese Geschichte hat einen Anfang. Diesen Anfang verdanken wir dem cleveren Geschäftsmann Sarschnelli Taschenleeri. Sarschnelli Taschenleeri hatte bereits vor einiger Zeit das Geschäft seines Vaters Imma Taschenleeri, einst ein Laden, in welchem Nilpferdfelle verkauft wurden, und das nicht besonders gut, übernommen und einige gewinnbringende Änderungen vorgenommen. Zunächst einmal hatte Sarschnelli erkannt, dass er mit Nilpferdfellen keine großen Einzelhandelssprünge würde machen können, denn Nilpferdfelle waren teuer und außerdem aus der Mode. Stattdessen hatte er sich nun einer neuen Zielgruppe verschrieben: Wenn er von den Eltern kein Geld bekam, dann versuchte er es eben bei den Kindern. Der Grund für diesen Sinneswandel war einfach wie effektiv: Er hatte selbst zwei Kinder, die immer dann, wenn er gerade kein Geld bei der Hand hatte (also quasi immer) mit großen leuchtenden Augen auf ihn zu kamen und ihn darum baten, ihnen etwas zu kaufen – eine von Treib-mich-selbst-in-den-Ruin Schnappers Würstchen, eine dieser modischen Hosen, die alle Kinder neuerdings gerne trugen, einen Hund, ein Pony... Und das Schlimmste daran: Er konnte nicht nein sagen. Aber gerade das brachte ihn auf die Idee. Wenn er als treusorgender Familienvater seinen Kindern nichts abschlagen konnte - wieso sollte es anderen Eltern anders ergehen? Und so kam es, dass Ankh-Morporks erster Spielzeugladen seine Türen öffnete, um Kinderherzen zu beglücken – und Eltern die Ankh-Morpork-Dollar aus den Taschen zu ziehen. Das System lief gut. Zuerst hatte Sarschnelli Taschenleeri lediglich Holzspielzeuge hergestellt. So zum Beispiel kleine Figuren, wie Handwerker-Zwerge, Diebe, Kaufleute und Wachen – dass letztere eine gewisse Ähnlichkeit zu Kommandeur Samuel Mumm aufwiesen und irgendwann dazu neigten, den Kopf zu verlieren, war natürlich nicht nur Zufall. Kommandeur der Stadtwache Samuel Mumm fand das selbstredend weniger lustig - aber dem Volk gefiel es und so folgten diesen Figürchen bald Ringe, die man um seine Hüfte kreisen lassen konnte, Seile, mit denen man springen konnte, Karten, auf denen bunte Bilder gemalt waren, mit denen man spielen konnte (mit Lord Vetinari als stärkste Karte, natürlich), Kugeln aus Schlamm (natürlich frisch aus dem Ankh hinterm Haus) die in verschiedenen Farben glitzerten und rochen und die man nach Belieben formen oder nach (un)schuldigen Passanten werfen konnte. Der große Durchbruch aber erfolgte erst vor einem Monat. Die Idee hatte sein Sohn. Warum sollte man nur mit zehn Zentimeter großen Figuren Kämpfen spielen, wenn man auch größere Figuren benutzen konnte, die man nicht selbst bewegen musste? Ob in Ikonographen, Uhren oder Disorganizern - Kobolde gab es schließlich genug. Man musste ihnen lediglich eine Reihe von Bewegungsabläufen einspeichern. Und so entwarf Sarschnelli Taschenleeri eine ganze Reihe unterschiedlicher Figuren, die er in Ton brannte. Statt ihnen Worte in den Kopf zu legen, setzte er ihnen jedoch eben jene kleine Dämonen ein. Heraus kamen Wesen, die auf ihren Besitzer ohne Zweifel und ohne Widerworte(1) hörten und die ordentlich zuschlagen konnten. Er nannte seine Kreation Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster. Monster, weil viele der Tongeschöpfe eben diesen nachempfunden waren.(2) Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster, weil die Tonmonster mit einer Durchschnittsgröße von dreißig bis vierzig Zentimetern schlicht in kaum eine Tasche passten. Es muss nicht erwähnt werden, dass diese Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster reißenden Absatz fanden, denn die meisten Kinder hatten von ihren Eltern ein gewisses Interesse daran geerbt, es lustig zu finden, wenn Anderen – in diesem Falle anderen Nicht-in-die-Tasche-passen-Monstern – Schmerz zugefügt wurden. (Die Betonung lag natürlich auf anderen - wenn man selbst Opfer eines solchen Angriffs wurde, fand man das sehr schnell nicht mehr lustig und schrie nach den Gilden und – wenn man niemand anderen fand – der Wache.) Allerdings erkannten einige findige Leute schon bald, dass diese Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster nicht nur anderen Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster Schmerzen zufügen konnten. Sarschnelli Taschenleeri hegte nachvollziehbarer Weise kein Interesse daran, seine neue Geschäftsidee in den Wind zu blasen, allein schon, weil seine Tochter sich nun nicht nur über ein Mini-Pony freute, sondern über einen Reitstall, und sein Sohn nicht nur einen Schoßhund sein Eigen nannte, sondern zwei Hunde, die ihn beinahe überragten und die die Köpfe auf den Tisch legen und sich die Rattenwurst schnappen konnten, ohne betteln zu müssen. Seine Frau hatte zudem nun endlich das schöne große Haus mit den Dienern, die sie schon immer wollte und ehrlich - was ging es ihn an, wenn ein Zwerg zusammengeschlagen auf der Straße liegen blieb?(3) *** Samuel Mumm, Kommandeur der Stadtwache, sah das ein wenig anders. Das hatte zweierlei Gründe: Einerseits folgte der Welle an zufriedenen Kindern eine Welle an Verbrechen, die es aufzuklären galt, was sich als äußerst schwierig erwies, wenn nicht gerade ein Verbrechen auf frischer Tat erwischt worden war. Die Gründe waren denkbar einfach: ob nun ein Mensch zutrat oder ein Zwerg zuschlug oder ein Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster – das Ergebnis war dasselbe. Und was noch schlimmer war (also zweitens:) diese Wesen verletzten nicht nur einander oder arme schuldige Bürger,(4) sondern auch Wächter. Allein in der letzten Woche hatte es sieben seiner Leute erwischt. Er dachte um. Trolle waren seine Männer der Stunde, wenn er wusste, dass sie bei einem Einsatz mit den Nicht-in-die-Tasche-passen-Monstern zu tun haben würden. Der Gedanke war simpel: einem Menschen konnte man die Schienbeine, Oberschenkel und Kniescheiben brechen, wenn man herzhaft dagegen schlug. Bei einem Zwerg erwischte es vermutlich eher den Kopf. Alles in allem war das jedoch sowohl für Menschen als auch für Zwerge ziemlich schmerzhaft und nicht unbedingt förderlich, wenn es um die Arbeitsmoral ging. Wer sich krankschreiben ließ, kam vielleicht nie wieder.(5) Trolle hingegen waren von Natur aus resistenter, der Silizium-Verbindungen wegen. Außerdem brauchten sie nur einmal das Bein zu heben und dann wieder aufzustampfen - bei der durchschnittlichen Höhe eines Trolls im besten Alter und einem Nicht-in-die-Tasche-passen-Monsters, von denen die Größten lediglich rund einen halben Meter groß waren, (Wegen den Kindern. Sarschnelli Taschenleeri war zwar auf das große Geld aus, aber Kindern Spielgefährten zu geben, welche sie um einen Meter überragten und so nicht nur Kniescheiben und Schienbeine bedrohte, sondern auch alles, was naturgemäß höher lag, wollte er nicht.(6)) war es eine einfache Rechnung. Jedenfalls: Diese Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster waren ein akutes Problem. Das sah zwar Vetinari ähnlich – sie hatten am Morgen im rechteckigen Büro gestanden und lange geschwiegen – aber es war nicht das einzige Problem, dass beide sahen. In der gesamten Stadt gab es mittlerweile wohl mehrere hundert Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster – das heißt, hunderte Kinder mit großen unschuldigen Augen, die weinten, um sich schlugen und bissen, wenn man ihnen ihre Spielzeuge wegnehmen wollte. Und da waren noch die Eltern. Große, nicht ganz so unschuldige Erwachsene, die mit einem schweren Knüppel(7) hinter einem auftauchten, wenn man es versuchte. Kurzum: außer den Betroffenen und der Wache wünschte kaum jemand, dass diese Wesen wieder vom Markt und somit aus der Stadt verschwanden. Mumm selbst hatte sich in das Hauptgebäude der Wache am Pseudopolisplatz zurückgezogen und dachte nach. Gerne hätte er gesagt, dass er an einer Lösung des Problems grübelte und irgendwie tat er das ja auch, vielleicht mit etwas verschobenem Blickpunkt. Vor ein paar Tagen hatte sich Sybil zwei dieser Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster gekauft. Sie waren nicht groß, gerade einmal zehn Zentimeter. Sybil fand sie niedlich. Er nicht. Nicht, seitdem eines der Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster ihm beinahe den Finger gebrochen hatte, als er es berühren wollte. Aber Sybil fand sie niedlich. Und sie spielten so schön mit den Drachen. Es käme auch nur ganz selten zu einer Explosion. Seiner Meinung nach war das kein Spielen, sondern ein Kampf ums Überleben – während die Sumpfdrachen die kleinen Tonfigürchen als willkommene Zwischenmahlzeit ansahen, waren die Kobolde im Innern nicht sonderlich erpicht darauf, im Bauch eines dieser explosionsgefährdeten Tiere zu landen. Verdauung war genauso wenig eine Option, wie in die Luft gejagt zu werden. Und so rannten die Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster in den Pferchen von einer Ecke zur anderen und mehrere hungrige Sumpfdrachen hüpften freudig hinter ihnen her, bis sie sich vor lauter Freude selbst entzündeten. Und das fand Sybil niedlich. Er seufzte. Frustriert griff er nach einem der Berichte im Eingangsfach, sah auf die Schrift und warf das Papier noch frustrierter zurück auf den Stapel. So konnte das nicht weiter gehen. Er musste eine Möglichkeit finden, die Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster aus der Stadt zu werfen – und aus Sybils Sumpfdrachenstall. Möglichst, bevor ein Unglück geschah. *** Auf Patrouille mit Karotte Eisengießersohn zu gehen war schwierig. Diese Meinung war in den letzten zehn Minuten in Kettil Wagenreißer gereift. Es waren zehn sehr, sehr lange Minuten gewesen. Angefangen hatten sie damit, dass Karotte ihm, Kettil, einem der neuen Zwerge in der Wache, zeigen wollte, wie man auf Patrouille ging. Dann hatten sie das Wachhaus am Pseudopolisplatz verlassen. Seitdem hatte Kettil zwei Dinge gelernt: 1.) Karotte grüßte jeden, den er kannte. 2.) Karotte kannte jeden. Sie waren nicht weit gekommen, denn die Straßen waren voll. Das lag an der Uhrzeit, hatte Karotte ihm gesagt. Es war gerade Nachmittag und fast jeder Bewohner Ankh-Morporks schien auf den Beinen zu sein, um noch ein paar Besorgungen zu verrichten, bevor man sich in sein sicheres Heim zurück zog, oder um von seiner Arbeitsstätte nach Hause zu gehen, wo bereits warme Wassersuppe und leckeres Kantenbrot(8) auf ihn warteten. Kettil jedenfalls hatte in diesen zehn Minuten bereits mehr Ankh-Morporkianer kennengelernt, als während der zwei Wochen, die er nun hier war, zusammen. Gerade hatte Karotte wieder die Hand eines Mannes ergriffen und schüttelte sie artig. "Guten Tag Herr Allesmeins. Was macht die Arbeit?" "G-g-g-gut, H-h-h-herr", stotterte der Angesprochene, Angstschweiß auf der Stirn. Kettil verstand nicht ganz, weshalb, fand das Ganze aber befremdlich. Karotte hingegen schien von der Furcht seines Gegenübers nichts zu bemerken. "Und die Kinder sind wohl auf? Deine Ehefrauen auch?" Allesmeins versuchte, sich aus dem Griff des zwei Meter großen Zwerges zu befreien, ohne dabei zu unhöflich zu wirken, und scheiterte. "J-j-j-ja, H-h-h-h-herr." "Und Du stiehlst auch nicht wieder ohne Lizenz?" "N-n-nein, H-h-h-herr." Kettil, der erst seit gestern in der Wache war, stutzte. Der Mann zitterte nicht nur, er wurde auch noch rot und das schien nicht an den verstärkten höflichen Fluchtversuchen zu liegen. Er erkannte Lügen nicht sonderlich gut, aber die hier roch er mit dem Wind. "Das ist gut, Herr Allesmeins. Ich wünsche Dir noch einen guten Tag. Hoffentlich sehen wir uns bald wieder." Karotte klopfte dem zitternden Gauner wohlwollend auf die Schulter, dann entließ er ihn lächelnd. "J-j-ja, H-h-herr." Kaum aus Karottes Griff entlassen, rannte Herr Allesmeins schneller, als Kettil ihm zugetraut hätte. Kettil sah zu Karotte auf. "Warum lässt Du ihn gehen? Er hat doch gelogen, oder?", fragte er zögerlich. Es war erst sein zweiter Tag, doch so nett Karotte auch war – irgendetwas in ihm wollte es nicht, dass er sich diesem Mann gegenüber einen Fehler erlaubte. Karotte jedoch schüttelte nur leicht verwundert den Kopf. "Aber nein. Herr Allesmeins ist ein herzensguter Mann. Warum sollte er uns belügen?" Kettil fielen ohne Nachzudenken mehr Gründe ein, als er Finger an der Hand hatte. Er kam nicht dazu, Widerworte anzubringen. Irgendwo krachte es. Es klang, als würde etwas Hartes gegen etwas nicht ganz so Hartes klatschen. Das Harte könnte Ton sein. Es krachte erneut. Ja, ganz sicher Ton. Kettil wohnte unter einer Töpferei. Er wusste, wie sich Ton anhörte, wenn er auf etwas weiches schlug. Der Töpfermeister warf jeden Abend die fehlgeschlagenen Brennversuche seiner Lehrlinge nach selbigen. Und er war gut im Treffen. Kinderstimmen jubelten. Karotte und Kettil tauschten keine Blicke miteinander. Sie brauchten es nicht. Das war eine Eigenschaft, die jeder Wächter entwickelte, sobald er in die Wache eintrat. Jeder Wächter wusste, was er zu tun hatte, wenn er auf Patrouille war. Wächter gingen gemeinsam in den Kampf. Wächter rannten gemeinsam davon. Es war eine eigene Sprache. Eine Sprache ohne Wörter, ein Spiel aus Gesten und Instinkten.(9) Kettil ließ Hauptmann Karotte den Vortritt, blieb jedoch dicht hinter ihm, denn noch etwas hatte er sehr schnell gelernt: Die Leute hatten vor Karotte Respekt. Vielleicht sogar Angst. Er nahm an, dass das an Karottes Größe lag: er war ein zwei Meter großer Zwerg und damit größer als die meisten Zwerge und viele Menschen. Er war auch breiter als die meisten Zwerge und Menschen. Auch wenn er die Gründe nur vermuten konnte, wusste er doch eines ziemlich sicher: Er war nur ein ganz normaler Zwerg, der vor kurzem in die Stadt gekommen war. Wenn er darauf hoffte, dass jemand vor ihm zurück wich, weil er jetzt in der Wache war, brach man ihm unter Umständen gleichermaßen empfindliche wie wichtige Gliedmaßen. Vor Karotte hingegen hatten die Leute Respekt. Sie überlegten es sich, ob sie ihm die Axt wirklich ins Gesicht rammen wollten. Bald kam eine Gruppe Menschen in Sicht, eine jener Trauben, die sich immer dann zusammen scharrten, wenn es etwas zu gaffen gab. Die meisten waren Kinder – und ab da wurde es ungewöhnlich. Während Karotte den Größenvorteil auf seiner Seite hatte, traf dies auf Kettil nicht zu und so war er dazu gezwungen, sich zu entscheiden – relative Sicherheit oder Befriedigung des Rechtsbewusstseins? Karotte nahm ihm diese Entscheidung ab. Kettil wusste nicht, was sein Kollege erkannt hatte, das ihm verborgen blieb, doch es brachte ihn dazu, einzuschreiten. Er zog seine Dienstmarke, hielt diese hoch und bahnte sich mit einem "Stadtwache, bitte tretet zurück!" seinen Weg. Das Kielwasser, das Karotte hinterließ, war breit genug für Kettil, um diesem eilig zu folgen, bevor sich der Kreis wieder schloss. Im Kreis angekommen musste der Zwerg nur noch an Karotte vorbei schauen, um sich ein Bild machen zu können. Das Erste, was er feststellte, war: Er hatte mit seiner Vermutung, da würde etwas aus Ton auf etwas, das nicht aus Ton bestand, treffen, Recht gehabt. Auch fand er bestätigt, dass dieses, was nicht aus Ton war, wesentlich weicher war. Es war ein Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster. Gelb lackiert, vierzig Zentimeter groß. Sah aus wie eine unförmige Ratte, die er nicht auf dem Teller haben wollte, und eigentlich mochte Kettil Rattenfleisch.(10) So weit war alles in Ordnung. Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster-Kämpfe gab es in letzter Zeit recht oft. Und ab und an waren auch kleinere Hunde oder größere Ratten das Ziel. Die Sache hatte nur einen Haken: Der Gegner der gelben Ratte war kein Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster. Es war auch kein kleinerer Hund und keine größere Ratte. *** Während nicht weit entfernt vom Pseudopolisplatz zwei Wachen ein Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster und seinen Besitzer festnahmen, ahnte Sarschnelli Taschenleeri davon noch nichts. Er befand sich noch in seinem Laden in der Freudentränenstraße.(11) Der Tag war noch nicht ganz vorüber, aber bald, und er war erfolgreich gewesen. Das Geschäft brummte. Kinder mit ihren Eltern liefen ihm beinahe die Türen ein, nur um eines(12) der begehrten Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster zu bekommen. Die Tonwesen waren teuer. Dementsprechend wollte jedes Kind eins haben. Die ärmeren Eltern kauften ihren lieben Kleinen nur die kleinen Figuren, die er oft im Sonderangebot hatte. Das richtige Geld machte er mit den großen Figuren, denn man war natürlich im Vorteil, wenn das eigene Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster in einem Kampf dreimal so groß war wie das des Gegners - es war nämlich in der Regel auch dreimal so stark. Außerdem: Es war nur Ton und im Gegensatz zu Golems konnte man nur geringfügige Beschädigungen reparieren. Kinder ließen das gerne außer Acht, wenn sie ihre Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster aufeinander losließen.(13) Die Glocke über der Ladentür bimmelte fröhlich und Sarschnelli überlegte, ob er anbauen sollte. Er fertigte seine Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster im Hinterhaus des Geschäftsgebäudes, mittlerweile mithilfe seiner beiden Schwestern. Doch die Nachfrage war groß. Nicht nur Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster wurden gekauft, wenn man schon einmal da war. Langsam wurden seine Lager zu klein. Außerdem lag sein Geschäft in einer recht hübschen Gegend. Saubere Fassaden. Der Dreck lag in der Straße nur ein paar Zentimeter hoch, wenn der Ankh nicht gerade zu viel Schlamm führte. Man wurde nur von der Diebesgilde überfallen. Nach Absprache, natürlich. Keine unlizensierten Diebe. Kein kniehoher Dreck, der einem Löcher in die neuen Stiefel fraß. Hier ließ es sich gut leben. Er könnte noch ein paar Etagen auf das Erdgeschoss setzen, dann wäre auch für seine Familie genug Platz, als Zweitwohnung. Er hätte wieder Zeit für seine Frau. Und für Aktivitäten im Bett.(14) Zwei Männer kamen zu ihm an die Kasse. Er musterte sie abwesend, in Gedanken bei seinen immer größer werdenden Zukunftsplänen. Vielleicht konnte er eins der Nachbargebäude kaufen und es in einen Pferdestall umbauen, denn der aktuelle lag beinahe schon außerhalb der Stadtmauern, ziemlich weit weg. Seine Tochter musste immer durch die Stadt, um zu ihren Lieblingen zu kommen und dort hatte er sie nicht im Blick.(15) "Bitteschön, die Herren? Was darf's denn sein? Eine Puppe für die Tochter vielleicht?" Die Männer hatten keine Kinder dabei. Geld für das andere Nachbargebäude hatte er sicher auch noch, oder konnte es sich verdienen, er musste nur seinen Schwestern weniger Lohn auszahlen. Seine Frau hatte schon immer einen eigenen Laden haben wollen, in der sie Schönheit gegen Geld anbieten konnte. "Oder lieber ein Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster für den Sohn?" Die Männer sahen auch nicht so aus, als wollten sie irgendetwas kaufen. Und wenn seine Frau gut verdiente, dann würden sie noch mehr Geld haben. Vielleicht reichte es dann für die weitere Anbauten. Ein ganzes Produktionsgelände. "Nicht?" Irgendwer schrie. *** (1) Die Kobolde hätten widersprechen können, wenn sie es gewollt hätten. Immerhin hörte man auch aus diesen Tonwesen immer wieder Sätze wie „Du musst erst den Knopf drücken, du Dummkopf!“ Da sie aber weder Phantasie noch ein Moralverhalten besaßen, wie es für den Satz „Nein, ich möchte den kleinen Timmy nicht schlagen und ihm auch nicht alle Knochen im Leib brechen und ihm nicht die Haut abziehen und ihn nicht in ein Fass voll mit Würsten von T.M.S.I.D.R. Schnapper stecken.“ notwendig gewesen wäre, verzichteten sie einfach darauf. (2) Eines hatte überraschend viele Tentakel, Saugnäpfe und Schnäbel, ein anderes hätte ein Miniatur-Mensch sein können, wäre es nicht so furchtbar hässlich gewesen. (3) Das passierte immerhin jeden Tag, auch ganz ohne sein Zutun. (4) Langjährige Stadtwachenerfahrung hatte Mumm unter anderem folgendes gelehrt: Es war klüger, davon auszugehen, dass zunächst einmal jeder eines Verbrechens schuldig war, auch wenn man noch nicht wusste, um welches es sich genau handelte. (5) Das war vielleicht nicht unbedingt die Schuld des Kranken, sondern die des Arztes. Das Ergebnis blieb allerdings dasselbe. (6) Außerdem hatte er noch keine wirksame Methode gefunden, dafür zu sorgen, dass Dämonen Tonkörper einer größeren Größe steuern konnten - bei fünfzig, maximal einundsechzig Zentimetern war Schluss, wenn er nicht mit Ausfällen und Bewegungsstörungen Vorlieb nehmen wollte. (7) Oder mit einem Nudelholz, mit dem man Zwergenbrot bearbeitet hatte. (8) Eine besondere Art von Brot, die fast ausschließlich aus Kanten besteht. An unnötigem, weichem, beißbarem Inneren wurde gespart. Immerhin war es billig. Allerdings wurde man davon nicht satt, weil man sich zuvor die Zähne daran ausbiss, was das Kauen des Kantens übermäßig erschwerte. Die Gilde der Zahnärzte freute dies allerdings, weshalb sie monatlich zehn Ankh-Morpork-Dollar an die zuständigen Bäcker spendeten. (9) Besonders die Instinkte sind hierbei interessant, denn in solchen Situationen wie die, in der Kettil und Karotte sich gerade befanden, sind vor allem zwei Aspekte von herausragender Wichtigkeit: Kampfesgeist und Flucht. Solange man nämlich mindestens zu zweit war und sich hinter dem anderen halten konnte, konnte man ruhig in die Gefahr gehen und seine Neugierde befriedigen, denn man war in der Regel nicht der Erste, der dem Gegner gegenüber trat. Logischerweise war man dann auch nicht die arme Sau, die einem Schlag standhalten musste, welcher einem die Nase brechen konnte. Auf der Flucht hingegen wurde man weit weniger häufig gefressen/verprügelt/von Tentakeln in irgendwelche ekligen, dunklen, stinkenden Löcher gezogen – zumindest wenn man schneller war, als der jeweils Andere. Dies Instinkte traf auf Hauptmann Karotte zwar nur bedingt zu, aber Kettil hatte auch nicht vor, vor Karotte zu treten oder langsamer zu laufen als dieser. (10) Aber nur mit viel Ketchup. Oder in der Suppe, ebenfalls mit viel Ketchup. (11) Niemand wusste so genau, woher die Straße ihren Namen hatte. Man munkelte, es läge an den wohlduftenden Gerüchen, die vom Ankh auf der anderen Seite der Häuserreihe herüber wehten, die einem vor allem im Sommer so manche Träne ins Auge trieben. (12) Oder auch zwei, drei oder zehn. (13) Außerdem heulte der Gegner so schön, wenn man sein Nicht-in-die-Tasche-passen-Monster kaputt machte. (14) Für letzteres benötigte er seine Frau nur bedingt, ein paar hübsche Näherinnen taten es auch. (15) Und seine Tochter kam langsam in das Alter, in welchem sie Interesse am anderen Geschlecht finden könnte. Oder am eigenen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)