Adolescence von Bitsubachi (RinxLen) ================================================================================ Kapitel 2: 2 ------------ Sonntag. Eigentlich hatten wir heute immer etwas gemacht. Ob nun zusammen oder mit Freunden. Heute aber nicht. Er musste lernen. Benehmen. Als ob er das nötig hätte! Manieren und anständiges Benehmen haben wir schon von klein auf gelernt. Nur, dass wir es nicht gerade oft für nötig hielten und lieber Streiche spielten. Aber das ist doch auch normal für Kinder, oder? Warum nur er? Warum nicht ich? Warum nicht wir beide? Eigentlich war ich doch die Ältere. Um ein paar Minuten. Doch ich war ein Mädchen und die Linie und das Geschäft gingen schon immer über die Männer des Hauses. Ich seufzte und ließ den Kopf auf das Kissen in meinen Armen fallen. “Hey! Neru an Rin! Hörst du mir eigentlich zu?” Als ich Nerus Stimme hörte, schaute ich auf. “Oh Gott, was ist eigentlich mit dir los?! Du kommst um 8 Uhr in der Früh an, wo du mir erst abgesagt hast! So früh und unangekündigt! Wenn ich nicht vergessen hätte, den Wecker auszustellen, würdest du noch immer im Regen stehen!”, schimpft Neru nun schon zum ich weiß nicht, wie vieltem Male. Im Regen stehen. Wann würde es wohl endlich aufhören immer wieder zu regnen? Bald war schließlich Sommer! Sommer, Sonne, Strand, Eis und Bikini. Dann würden Len und ich wieder die Tage im Ferienhaus verbringen. Feuerwerk, Wassermelonen, ganz viel Spaß. Nur wir zwei. “Rin! Also echt jetzt! Du schaust so deprimiert und abwesend und beachtest mich nicht einmal! Seit eure Eltern wieder da sind geht das nun schon. Jetzt erzähl schon. Was. Ist. Los?” Eindringlich schaute mich Neru an, doch ich wich ihrem Blick aus. Ich wusste selber nicht, was mit mir los war. Wie sollte ich ihr da antworten können? In Gedanken drückte ich das Kissen noch fester. Neru wusste noch nichts von Lens zukünftiger Verlobten. Bisher hatte ich noch nichts von den Verlobungsplänen gesagt. Denn ich wusste, dass sie ist in ihn verliebt war. Ich atmete tief ein und aus. Lugte aus dem Kissen hervor und schaute ihr vorsichtig ins Gesicht. Sie schien zu ahnen, dass es mehr als ein Streit war. Und es nicht direkt um mich ging. “Len...er ist...”, doch ehe ich mehr sagen konnte, war Neru von ihrem Stuhl aufgesprungen und stand da. Bereit für alles, was auch kommen sollte. Sogar das Handy hatte sie schon gezückt. “Was ist mit ihm? Wurde er entführt und vergewaltigt? Haben eure Eltern ihn verkauft?! Wehe, ich werde ihn zurückkaufen! Die Mafia, Yakuza, wer...” - “Weder noch! Viel schlimmer...” Wie versteinert starrte sie mich mit offenem Mund an, bis ihr das Handy aus der Hand glitt. “Er”, stockte ich, “wird nächste Woche ein Mädchen treffen. Unser Vater hat das Treffen arrangiert. Sie ist die Tochter eines Freundes und soll seine Verlobte und zukünftige Frau werden.” Nun, da ich es ausgesprochen hatte, spürte ich einen Stich. Meine Zunge wollte sich nicht mehr rühren. Ich konnte nicht mehr sagen. Auf einmal war mir unglaublich übel und meine Augen begannen zu schmerzen, als hätte ich zu lange ins Licht geschaut. Sie tränten. Eine Träne nach der anderen, ohne dass ich es so richtig wahrnahm. Während ich mich nicht rühren konnte und sogar ins Kissen biss, hob sie ihr Handy auf. Dann setzte sie sich wieder hin und starrte darauf. Jedenfalls glaubte ich das. Durch die Tränen konnte ich keine Umrisse mehr erkennen, lediglich Farbklekse. In meinen Gedanken wiederholte ich die Worte immer wieder. Len würde sich verloben. Mit einem fremden Mädchen. Einem anderen Mädchen. Das ich nicht kannte. Keine ist gut genug für ihn! Er ist zwar faul aber viel zu gütig, als dass irgendein Mädchen ihn verdient hätte! Ich will das nicht. Ich will keine Verlobung zwischen ihr und dieser anderen. Aber wer bin ich, ihm vorschreiben zu dürfen, mit wem er sich verloben darf? Wenn er sich in sie verliebt, dann...ist das doch nur richtig, oder nicht? Ja, es wäre nur richtig. Trotzdem. Warum auch immer. Für mich ist es falsch. Dieses Mädchen, das weder er noch ich kennen. Er sollte sich mit einer verloben, die ihn kennt. Länger. Neru vielleicht. Oder mit... ...mir? “Wir werden das verhindern!”, plötzlich hatte Neru ihre Stimme wieder und war selbstbewusster als je zuvor. Diese selbstbewusste Art riss mich je aus meinen Gedanken. Mit den Ärmeln versuchte ich mir die Tränen wegzuwischen, da reichte sie mir ein Taschentuch und schaute mich besorgt an. “Jetzt mach dir mal keine zu großen Sorgen! Das hat mich zwar wirklich vom Stuhl gerissen, aber ich lasse nicht zu, dass ein anderes Mädchen außer mir seine Braut wird!” Die eine Hand zur Faust geballt, streckte sie in die Luft und steht wie entflammt da. Leidenschaft, Wut und ungeheuerlicher Tatendrang, den man nur bei neuen Handys oder Len zu sehen bekam. Den restlichen Tag verbrachten wir damit, uns für jede nur erdenkliche Situation einen Plan auszudenken, wie wir das Treffen stören, es verhindern könnten. Wieder daheim ging ich gleich auf mein Zimmer. Hunger hatte ich genauso wenig, wie mich mit irgendwem zu unterhalten. Meine Eltern haben keine Anstalten gemacht, mit zu schelten, weil ich so lange fort war und nicht gelernt habe. Also konnte man mir ansehen, dass etwas nicht stimmte? Ja. Als ich in meinen großen Spiegel im Zimmer blickte, war ich richtig geschockt. Die verheulten, geschwollenen, roten Augen. Wie ein Zombie auf Drogenentzug. Nachdenklich betastete ich die geschwollenen Augen. Im Fernsehen hab‘ ich mal gesehen, wenn man Löffel in das Gefrierfach und sie dann auf die Augen legt, soll das besser werden. Überlegend, ob ich Gumi nun darum bitten soll und michgerade Bettfertig machen wollte, hörte ich jemanden geschäftig reden. Bei genauerem hinhören, schnürte es mir die Brust zusammen. Len. Mein Bruder war im Zimmer nebenan und telefonierte. Zu dieser späten Stunde. Ohne es wirklich zu wollen, saß ich noch ehe ich es bemerkte vor der Trenntür und linste durch den Spalt. Da saß er auf dem Boden, an sein Bett gelehnt direkt mir gegenüber. „Aber ich will noch keine Verlobte! Nicht irgendein Mädchen, das ich gar nicht kenne! Du weißt doch, dass ich…“, als er kurz aufschaute, schrak ich zurück und ging zur Seite. Hatte er mich gesehen? Doch statt meiner größten Befürchtung nach die Tür aufzumachen und zu fragen, ob ich ihn belauscht habe, stimmt er murmelnd seinem Gesprächspartner zu. Dem Ton nach, sprach er mit Kaito, seinem besten Freund. Mit seinen rund 19 Jahren, also gute drei Jahre älter als wir, ging er bereits an die Universität. Auch wenn er nicht danach aussah. Dass sich die beiden kennen gelernt haben, als Kaito ausversehen zu unserer Schule statt seiner ging und keine Vorlesung gefunden hat…unglaublich, wirklich unglaublich. So einer und Uni! Plötzlich wurde Len lauter. Hoffentlich konnten das unsere Eltern nicht hören, denn wie er fluchte! Wie wenig er eine Verlobte vorgestellt bekommen, wie wenig er nach der Pfeife unserer Eltern tanzen wollte. Noch ehe sein Zorn abgeflaut war, starrte er betreten, traurig zu Boden. Sein Blick war in diesem Moment so einsam. Am liebsten wäre ich reingegangen, hätte ihm das Telefon aus der Hand genommen und umarmt. Ihn gebeten, sich mir anzuvertrauen, seinen Gefühlen freien Lauf zu lassen. Alles. Nur dass er nicht mehr diesen schmerzlichen Ausdruck hatte, der mich selbst so tief berührte. Jäh versetzte dieser Anblick meinem Herzen einen Sprung. Es schlug schneller und mein Gesicht brannte beinahe. Ungläubig, verwirrt, um mich abzulenken, holte ich mein neues Skizzenbuch. Mein altes war voll, all die Zeichnungen aus meiner Freizeit und dem Unterricht waren da drin. Erinnerungen, Gefühle, Gedanken, die außer meiner Lehrerin und Neru keiner kannte. Auch enthielt es fast nur Zeichnungen von meinem Bruder, weil er einfach das beste Motiv in meiner Umgebung war! Immer erhältlich. Verträumt starrte ich auf das leere Buch in meinen Händen. Dann nahm ich einen Kohlestift, setzte mich an den Spalt, von welchem aus ich Len davor beobachtet hatte und begann zu zeichnen. Sein feines Gesicht, das meinem glich und doch ein völlig anderes war. Seine sanften Gesichtszüge, die trotz des Schmerzes, den er gerade ausdrückte, erkennbar blieben. Meine Augen begannen wieder zu tränen, um mich herum schien alles dunkler zu werden. Die Lieder wurden mir schwer, das Telefonat nebenan wurde immer leiser. Ehe ich mich versah, rührte sich meine Hand nicht mehr, bis ich schließlich in tiefen Schlaf fiel. Ein Uhr zeigte das leuchtende Display des Handys nun an. Ein Uhr in der Nacht. Nun war also schon Montag. Heute war der Test über die Schullektüre. Hoffentlich ging alles gut. Len konnte nicht schlafen. Ständig dachte er an das Treffen in einer Woche. Vielleicht würde es ja doch ganz nett werden und sie konnten erst mal nur Freunde sein. Sein Blick wanderte von der Handynummer des noch immer unbekannten Mädchens durch das Zimmer und blieb an einem Lichtstrahl hängen. Konnte Rin etwa auch nicht schlafen? Wegen dem Test? Lernte sie noch? Seit ihre Eltern wieder zurückgekehrt waren, haben sie nichts mehr zusammen gemacht. Keine großen Gespräche mehr geführt, geschweige denn mit ihren Freunden. Nur noch gelernt. Leise stand er auf. Behutsam schlich er auf den feinen Spalt der Trennwand zu. Wenn er hinübergehen würde, über diese ‚Schwelle‘, so fühlte er, wären sie wieder vereint. Doch als er versuchte, sie zur Seite zu schieben, wollte ihm das nicht gelingen. Ungläubig versuchte er es darauf etwas kräftiger und tatsächlich – sie rollte zur Seite. Jedoch bereute er es zugleich, das getan zu haben, denn jäh rutschte und fiel etwas mit voller Wucht auf seinen Fuß. Gerade noch so konnte er einen Schmerzensschrei und Fluchen unterdrücken. Im Schein der Lampe sah er, dass es seine Schwester war. Sie schlief. Eine kurze Zeit, so lange, bis es ihm bewusst wurde, starrte er sie an. Dann setzte er sie vorsichtig auf und versuchte sie zu wecken, worauf sie allerdings partout nicht reagieren wollte. Also musste er sich was anderes überlegen. So würde sie nur krank werden. Als er sich zu ihr hinunter setzte, bemerkte er, was Rin auf ihrem Schoß hatte. Ihr Skizzenbuch. Er war beim Kauf dabei gewesen. Tatsächlich war es sogar von ihm. Es hatte ihr so gut gefallen. Darum hatte er es ihr geschenkt. Eigentlich wollte er es ihr nur aus der Hand nehmen und mitsamt dem Bleistift weglegen, aber er war neugierig, was seine Schwester gezeichnet hatte. Er blickte in sein eigenes Gesicht. Nicht fertig. Eine Skizze. Kohle. Wann hatte Rin das gezeichnet? Hatte sie ihn…belauscht? Er bückte sich vor Rin erneut, nahm sie auf seine Arme und trug sie, wie eine Braut, zu ihrem Bett. Genauso friedlich, glücklich, sah sie aus, aber er fragte sich, ob sie geweint hatte. Noch immer wirkten ihre Augen leicht geschwollen. Len legte Rin auf ihr Bett und deckte sie zu, anschließend löschte er das Licht. Aber anstatt gleich in seine Hälfte des Zimmers zurückzukehren, setzte er sich an den Bettrand. Die Augen gewöhnten sich an die Dunkelheit und so schaute er sie noch immer an. Seine Schwester. Engelsgleich schlief sie. Immer an seiner Seite. Schon seit er denken konnte. Nun, da alles wie ein Traum schien, seine Zukunft wohl bald besiegelt sein würde, machte er sich Gedanken. So zierlich wie sie war, so fröhlich und manchmal launisch. Wie die Jahreszeiten. Jeder mochte etwas anderes an ihr. Manche aber einfach alles. Kaum merklich, neigte er sich nach vorne. Rutschte etwas näher heran. Weiter nach vorne. Noch ehe seine Lippen die ihre berührten, hielt er inne. Was tat er da? Sie war seine Schwester! Außerdem schlief sie und…Len kniff kurz die Augen zusammen. Ach was soll’s! Ohne weiter zu überlegen küsste er sie. Auf die Stirn. Sofort ging er zurück in sein Zimmer, wo er die Trennwand wieder zuzog. Mit den Fingerspitzen berührte er seine eigenen Lippen und fragte sich, wie ihm der Gedanke – seine Schwester zu küssen, richtig zu küssen – überhaupt kommen konnte. Verwirrt und mit erhitztem, hochrotem Kopf stand er gegen die Wand, die ihre beiden Zimmer trennte. Froh, dass es Nacht war. Froh, dass sie geschlafen hatte. Froh, dass es so gekommen war. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)