Das Ende von redluna (ein Sieg trägt immer eine Niederlage mit sich) ================================================================================ Kapitel 2: Durch Flucht und Feuer --------------------------------- Kapitel 2: Durch Flucht und Feuer An ihrem Zielort angekommen wurde Shinichi unsanft auf einen Stuhl geworfen, der in einem kahlen Raum an einem silbernen Tisch stand. Auch in dieser Situation gelang es ihm nicht sein Umfeld zu verdrängen und seinen Verstand zum Erliegen zu bringen. Sein Kopf teilte ihm fast höhnisch mit, dass es nur diese eine Tür gab, die sich hinter Gins Rücken befand. Der Tisch an dem er saß, sah aus, als ob er schon Zeuge unzähliger unangenehmer Gespräche geworden war. Die Tischplatte war zerkratzt und von kleinen Kratern überzogen, die ein netzartiges Muster über die gesamte Fläche bildeten. Ihm gegenüber setzte sich Gin mit einem selbstgefälligen Lächeln und knallte Papier und Stift auf das verbeulte Möbelstück. Conan klammerte sich an die Kante des billigen Aluminiumtischs, als wäre sie der einzige Halt auf der Welt, der ihm noch geblieben war. Vielleicht war das tatsächlich der Fall, als sich sein Gegenüber zu ihm hinunter beugte und ihm das Blatt Papier und den Stift zuschob. Seine düstere Stimme durchschnitt den kahlen Raum wie eine Rasierklinge, kalt und scharf durchbrach sie die unheilvolle Stille, die sich Shinichi im Nachhinein augenblicklich wieder zurückwünschte. „Wer weiß alles Bescheid? Ich will ihre vollständigen Namen und ihren derzeitigen Aufenthaltsort. Versuch keine Tricks.“ Das war keine Bitte. Wartend lehnte sich der riesige Mann auf dem wackeligen Stuhl zurück. Er rührte sich nicht, während er den Detektiv mit seinem erbarmungslosen Blick durchbohrte. Als dieser sich jedoch ebenfalls nicht bewegte schlich sich ein kaum zu erahnendes, unvorstellbar grausames Lächeln, das Shinichi schaudern ließ, auf sein Gesicht. Entschlossen schüttelte der Oberschüler den Kopf. Shinichi würde nicht reden. Er hatte beschlossen, den Mund lieber überhaupt nicht zu öffnen, um sich nicht ungewollt zu verraten. Auf keinen Fall wollte er Gin irgendwelche Informationen liefern. Ran hatte er nicht retten können, aber es war seine Pflicht, schon allein um ihres Opfers Willen, hier schweigend zu Grunde zu gehen und jeden Schmerz über sich ergehen zu lassen. Denn es würde garantiert nicht angenehm werden etwas zu verschweigen, dass Gin wissen wollte. Und so war es auch: Der Schlag, den Gin nach einiger Zeit, die sie reglos verbracht hatten, gegen ihn ausführte, fegte ihn einfach vom Stuhl. Offensichtlich war die Zeit vorbei, in der man ihm die Chance zur Zusammenarbeit gab. Jetzt wurden die Samthandschuhe ausgezogen. Vermutlich würde die Hölle gegen Gin wie ein Spaziergang aussehen. Noch bevor er sich vom Boden aufrichteten konnte, war Gin schon wieder bei ihm, zog ihn zu sich hinauf und zischte ihm zu, dass er reden solle und dass es weniger schmerhaft für ihn werden würde, wenn er kooperierte. Als Shinichi weiterhin schwieg, holte sein Peiniger erneut aus und eine heftige Abfolge von Schlägen ließ den Oberschüler nach Luft ringen. Shinichi keuchte. Die harten Fäuste pressten die Luft aus seinen Lungen und ließen ihn verzweifelt nach Atem schnappen. Es schmerzte. Dennoch wollte er keine Schwäche zeigen indem er schrie, die Genugtuung einer so raschen Niederlage seinerseits würde er Gin nicht gönnen. Er hatte sich die letzten Jahre gut geschlagen, da würde er jetzt nicht kampflos aufgeben. Also biss er sich, als Schmerzen unerträglich wurden, stadtdessen fest auf die Unterlippe. Es folgten noch ein Schlag, und noch einer, viele Weitere, bis seine Unterlippe anfing zu bluten, als immer wieder die Faust auf seinen Körper traf. Wie viel Zeit verging bis Gin endlich von ihm abließ wusste er nicht, aber die Uhrzeit war in diesem Moment zweitrangig. Besorgniserregender war der Umstand erneut auf dem Stuhl zu sitzen und zuzusehen wie Gin eine Box aufschloss, dessen Erscheinen ihm unerklärlich war. Der Oberschüler war sich sicher, dass die kleine Schachtel am Anfang dieser Tortur nicht im Raum gewesen war. Er war verletzt, aber auf seinen Kopf konnte er sich verlassen, immerhin war es das Einzige mit dem er momentan etwas anzufangen wusste. Denken. Er sollte endlich nachdenken. Es musste Jemand diese Schachtel herein gebracht haben als Gin ihn so zugerichtet hatte, vermutlich ein anderes Mitglied der Organisation, dass somit auch von seinem Aufenthaltsort wusste…... Der Junge verfolgte diesen Gedanken weiter, bis er etwas Schlüssiges herausgepickt und zu bearbeiten begann. Seine Überlegungen riefen eine minimale Hoffnung in ihm wach, an die er sich mit aller Macht klammern würde. Wenn es ihm möglich wäre, Kontakt zur Außenwelt aufzunehmen, dann könnte er…. In Gedanken nahmen bereits die ersten Schritte eines Fluchtplans Form an, doch die Vorrausetzung für eine Flucht war beinahe ebenso unmöglich wie lächerlich. Er musste es „nur“ schaffen Gin zu überleben, etwas, dass seine Erfolgsaussichten erheblich senkte. Ein lautes Scheppern riss den Detektiv aus seinen Überlegungen. Gin hatte die Schachtel achtlos fallen lassen und den Tisch gleich darauf hinterhergeworfen. Beides hatte offensichtlich seinen Dienst getan. Der Tisch war als Verhandlungsplatz, der ein falsches Gefühl von einer Art Verhandlungsbasis vermitteln und das jeweilige Opfer zu schnellerer und weniger schmerzvoller Kooperation bewegen sollte, unnötig geworden und den Inhalt der Box hielt der große Mann nun in seinen Händen. Gin schien nun endgültig darauf aus zu sein ihm Schmerzen bereiten zu wollen. Zwischen dem hünenhaftem Riesen und Shinichi befand sich nun ein erschreckend leerer Raum, der sich durch die gemächlichen Schritte seitens Gins zunehmend verkleinerte. Er beugte sich über den Jungen und streckte seine Hand aus. Auf der Handinnenfläche lagen einige kleine, weiße Tabletten. Was sollte das? Erwartete Gin etwa dass er diese Dinger freiwillig nahm? Shinichi versuchte so weit wie es auf dem Stuhl möglich war zurückzuweichen. Gin hielt ihn nicht zurück, sondern ließ die kleinen Tabletten einfach durch eine kaum merkliche Bewegung seines Handgelenks zu Boden fallen, bis nur ein einzige von ihnen zwischen seinen Fingern übrig blieb. Gedankenverloren betrachtete Gin die Tablette beinahe zärtlich. Schließlich hob er seinen Blick und in seinen nunmehr kalten Augen konnte Shinichi nur noch verhalten hämisches Vergnügen aufblitzen sehen. Gin deutete mit einem verächtlichen Kopfnicken auf die Pillen, die sich vor dem Schüler auf dem Boden verstreut hatten. „Die wirst du alle schlucken.“, befahl er mit einer Stimmlage, die jeden Widerspruch unmöglich machte und ihm bedeutete zu schweigen. Doch der Junge war nun einmal ein Starrkopf. Der Oberschüler brachte nicht ohne Mühe ein trotziges Kopfschütteln hervor, dass Gin allerdings weder aus der Fassung brachte noch ihn am Weitersprechen hinderte. „Ob du es glaubst oder nicht, aber du wirst das Zeug sogar freiwillig nehmen, obwohl es mir anderweitig natürlich lieber gewesen wäre. Eine dieser kleinen Pillen enthält das Gegengift und bringt dich in deine ursprüngliche Gestalt zurück, allerdings musst du sie unter den Anderen herauspicken. Dummerweise neutralisieren diese Dinger nicht nur die Wirkung des Gegengiftes, weswegen es keinen Sinn hat alle gleichzeitig zu nehmen. Sie haben zusätzlich auch noch einen unangenehmen, aber relativ praktischen Nebeneffekt.“ Er hielt kurz inne, um einem knappen und skrupellosem Lachen Luft zu machen, dass bei anderen Leuten sicher wie ein frostiges oder eher trockenes Husten geklungen hätte. Es war weder filmreif, noch besonders erschreckend, doch Gins Lachen strahlte eine triumphale Sicherheit aus, die Shinichi von innerheraus erschütterte. Sein Peiniger war sich seines Sieges sicher genug, um mit ihm zu spielen, wie die Katze mit der Maus, die dumm genug war aus ihrem Versteck zu kriechen. „Wie ich erfahren habe, ist die Verwandlung in den ursprünglichen Körper und zurück unglaublich schmerzvoll…“, Gin unterbrach sich ein weiteres Mal, diesmal reichte ihm ein grausames Lächeln, bevor er die nächsten Worte belanglos aussprach, als würde er über das Wetter reden. „Und genau diese Schmerzen sind der Nebeneffekt für einen zwölfstündigen Zeitraum. Unangenehm, nicht wahr? Aber eine gibt dir immerhin deinen lächerlichen Körper wieder zurück.“ Gin lies die letzte Tablette fallen und zog einen kleinen Digitalwecker aus seiner weiten, schwarzen Jacke. Er drückte Shinichi das Gerät in die Hand, dessen Display mit einem Piepen zum Leben erwachte. An einer Seite der Verkleidung befand außerdem sich ein kleines Fach, welches sich leicht öffnen lies. „Drück den Knopf an der Unterseite und der Timer geht los. Ich komme in zwei Stunden wieder. Bis dahin solltest du die Pillen aufgesammelt, in der Uhr verstaut und schon eine davon genommen haben, denn dann wirst du in eine andere Unterkunft bekommen. Die hier ist für Verhandlungspartner reserviert.“ Der blonde Riese verließ mit großen Schritten den Raum. Der laute Knall der Tür weckte Shinichi aus seiner kurzweiligen Starre. Er hatte so lange nach einem Gegengift gesucht und war immer wieder auf die Nase gefallen. Jetzt lag es vor ihm, in greifbarer Nähe. Der Oberschüler plumpste ohne nachzudenken von dem Stuhl, der ihn bis dahin gehalten hatte, und versuchte hastig all die Tabletten aufzuheben, die überall verstreut lagen. Es dauerte lange bis er diese Aufgabe erledigt hatte, da seine Finger in kalter Aufregung und zugleich von blanker Angst geprägt, zitterten und sich fahrig ihren Weg über den Boden suchten. Seinen unerschütterlichen Stolz hatte er, auf dem Boden herumkriechend, verloren. Egal was Gin noch alles vorhatte, es würde in seinem eigentlichen Körper um einiges erträglicher sein. Außerdem würde er diese Pillen sonst gewiss auf anderen Wegen verabreicht bekommen. Also war ohnehin gleichgültig, ob er sie von sich aus zu sich nahm. Dennoch fragte er sich warum Gin ihm überhaupt die Möglichkeit gab seine ursprüngliche Erscheinungsform anzunehmen und dadurch resistenter gegen allerlei Foltermethoden werden würde. Es war ihm geradezu schleierhaft. Sein Blick streifte, von Erschöpfung und Kummer gezeichnet, die Anzeige des kleinen Wecker, während er sich voller Widerwillen eine der kleinen Tabletten in den Mund schob. Würde sie ihn erlösen oder ihm Gefühl geben, innerlich zerrissen zu werden? Shinichi zählte die Sekunden, bis die kleinen Zahlen genau den Beginn der neuen Stunde aufwiesen. Dann schluckte er jenes weiße, runde Etwas, welches verursachte, dass sich seine Zunge pelzig und trocken anfühlte, mit großer Mühe hinunter, sich gegen seinen rebellierenden Magen sträubend, der versuchte, dass Ungewollte kleine Objekt gleich darauf wieder loszuwerden. Der Junge ließ sich erschöpft auf dem schmuddeligen Beton des kalten Bodens nieder um auf die eine oder andere Folge des Medikamentes zu warten. Doch nichts geschah. Minutenlang wartete er, mit keinerlei Reaktion. Das war unerwartet. Mit seiner freiwilligen Einnahme des Medikaments hatte Shinichi das kleinere Übel gewählt, auch wenn er Gin somit die Möglichkeit gab ihn weiter in eine Ecke zu drängen und gewünschte Informationen aus ihm herauszupressen, so wären ihm die Tabletten wohl oder übel verabreicht worden. Aber die ausbleibende Wirkung verwirrte Shinichi. Sollte das ganze eine Finte seitens Gins gewesen sein? Zutrauen würde er es ihm jedenfalls. Aber worauf sollte das hinauslaufen? Sollte es lediglich seinen Stolz brechen oder seinen Willen untergraben? Es blieb ihm nichts anderes übrig als zu warten. Sekunden verstrichen, aus denen schließlich Minuten wurden. Die Zeit floss zäh und langsam wie Gummi als er die Anzeige des kleinen Uhrwerks mit seinen Blicken sprichwörtlich erdolchte. Ein qualvolles Stechen in seiner Brust durchbrach die Lethargie, die sich in der kurzen Zeit auf seinen Körper gelegt hatte. Erschrocken fuhr Shinichi hoch, nur um gleich darauf von heftigen Wellen des Schmerzes erneut zu Boden gezwungen zu werden. Er hatte das Gefühl, sein Herz würde sich so sehr zusammenziehen, als würde es ,während es mit einer unnormalen Geschwindigkeit heftig gegen seine Brust schlug, versuchte aus seinem Brustkorb auszubrechen. Auch alle anderen Funktionen, die sein Körper normalerweise ausführte, unterlagen nicht mehr seiner Kontrolle. Er konnte nicht atmen, irgendetwas Unsichtbares schnürte Shinichi mit aller Gewalt die Kehle zu und verhinderte, dass er die so sehr benötigte Luft in seinen nach Sauerstoff schreienden Körper bekam. Jeder Muskel wurde ihm unter den Schmerzen bewusst, zog sich zusammen, dehnte sich und zerrte an ihm. Shinichi schrie. Schrie sich die Schmerzen von der Seele, die seinen Körper peinigten. Die Unerträglichkeit seiner Qualen sollte nicht ungehört bleiben. Als Gin die Tür des Raumes nach nicht einmal der Hälfte der besprochenen Zeit öffnete, hallten die Schreie des Jungen durch die Unterirdischen Flure des renommierten Verstecks. Das Gebäude wirkte wie ausgestorben, doch wenige Türen von dem „Verhandlungszimmer“ entfernt lehnte eine scheinbar junge Frau regungslos über ihrem Schreibtisch, das Gesicht in den Händen vergraben. Sie wusste, was in diesem Zimmer geschah, warum es geschah und am schlimmsten, wem das geschah. Das war einer der Grund ihrer kurzweiligen Verzweiflung. Sie hatte all ihr Vertrauen in den Jungen gesetzt, einen Jungen, der obwohl er clever für sein Alter, sein wirkliches Alter, gewesen war und sich gut verborgen im Untergrund bewegt hatte, immer noch ein Junge blieb, unfähig sich mit der gesamten Organisation anzulegen. Diese zu zerschlagen. Sharon Vinyard presste sich die Hände auf die Ohren, als die Schreie an Lautstärke gewannen. Gin musste den Jungen direkt an ihrer Tür vorbeiführen, wie eine Jagdtrophäe, die er gewonnen hatte. Sein Handeln schrie geradezu: Sieh her, ich bin besser als du! Du hast versagt! Doch darüber konnte Sharon nur den Kopf schütteln. Sie war diesen ewigen Konkurrenzkampf leid, der in der Organisation über Leben und Sterben bestimmte. Vermutlich war sie einfach zu alt dafür. Auch wenn ihr ewig junger Körper es verbarg, hatte sie das Gefühl einmal zu oft gelebt zu haben, obwohl sie erst um die Fünfzig war. Das sah Man(n) ihr allerdings nicht an, eine Tatsache die sie bisher immer sehr geschätzt hatte, aber die Dinge änderten sich. Das Hin und Her der Jagd hatte seinen Reiz verloren. Vor ihrer Tür wurde der Tumult lauter und zu ihrer Verwunderung hörte sie ein dumpfes Geräusch und ein tiefes Fluchen. Hatte der Kleine Gin etwa getreten? Ihre kleine Silberkugel war entweder mutig oder dumm, denn das konnte doch nur schief gehen. Ihren Kollegen schien das jedoch nicht zu stören, er setzte seinen Weg einfach fort, immer weiter den Gang entlang. Die Geräusche entfernten sich allmählich, bis sie schließlich der Stille Platz machten. Einige Minuten verstrichen ohne dass sich Sharon zu rühren wagte, dann erhob sie sich, bereit einen neuen Versuch zu starten. Ihr Ziel war zum greifen nah, sie musste nur noch die letzten Hebel in Bewegung setzen. Ihre Schritte waren entschlossen und ruhig, als sie durch die Gänge strich, auf der Suche nach ihrer gefährlichsten Spielfigur. Sie nahm eine Kurve nach der anderen, sich unentwegt tiefer in den Gebäudekomplex hinein bewegend. Die Türen wurden immer seltener und als sie sich schließlich vor der letzten Tür in diesem Gang befand, kamen zwei Gestalten in Sichtweite. Gin hielt Shinichi wie ein kleines Mündel in den Armen, während die Gestalt des Detektivs unablässig zuckte. Schreie waren keine mehr zu hören, Sharon vermutete, dass Gin den Kleinen schließlich doch geknebelt hatte, um sein Trommelfell zu schonen, oder das seiner Kollegen. Sie beschloss schnell näher zu treten, um auf sich aufmerksam zu machen. Die Absätze ihrer Schuhe verursachten ein klackerndes Geräusch auf dem Boden. In der Hörweite ihres Kollegen angekommen erhob sie ihre Stimme und wechselte von der vorsichtigen Verfolgung in die höhnische Offensive. „Hallo Gin, kommst du etwa in das Alter in dem Mann sich nach den Freuden der Jugend zurücksehnt, oder gefällt es dir einfach deine Macht vor Kinder zur Schau zur stellen, nachdem dein Ruf bei den meisten Leuten ziemlichen Schaden genommen hat?“, gehässig begrüßte sie ihn und stützte ihr Kinn wie üblich auf ihrem Handrücken ab, so dass der Eindruck entstehen könnte, ihre Frage sei ernst zu nehmen gewesen. Wie erwartet ging Gin nicht darauf ein, auch wenn sie sah sein Mundwinkel verärgert zuckte und sein Blick noch eine Spur finsterer wurde. Es war aber auch tragisch, dass ihre Silberkugel unaufhaltsam ein großes Loch in die Deckung geschossen hatte, dass die Organisation vor den neugierigen Blicken der Außenwelt abschirmte. Die Verantwortung dafür hatte Gin von diesem Moment an wie ein Kreuz zu tragen gehabt. Er war mit der Schadensbegrenzung beauftragt worden, die der Aufgabe, die er sich selbst zur Priorität erklärt hatte, das Übel an der Wurzel zu packen, ganz wunderbar ergänzte. Die spottenden Rufe seiner Kollegen ignorierte er dabei gekonnt, aber Sharon wusste, dass die Demütigung den großen Mann und sein noch sehr viel größeres Ego ungemein reizte. Sie beschloss noch einen Schritt weiter zu gehen. „Kommst du mit seinem Verhör klar oder soll ich mal mit ihm reden? Der Kleine sieht eher so aus, als würde er den Löffel abgegeben, als irgendetwas von sich preiszugeben. Wie viel hast du schon herausbekommen? Seine Lieblingseissorte oder seine Schuhgröße?“ Sie unterbrach sich für ein helles Lachen. „Wenn du ihn umbringst, bevor er singt, kannst du deinen Exekutionsbefehl eigenhändig unterschreiben, wäre wirklich ein Jammer es soweit kommen zu lassen, jetzt wo du doch so beliebt bist.“ `Komm schon, spring darauf an´, setzte sie im Geiste fort, `Das ist das Risiko nicht wert, gib den Kleinen weiter. ´ Gin knirschte mit den Zähnen. „Wenn du glaubst, du kommst besser mit ihm klar, dann hier,“ er ließ den schlaffen Kinderkörper in die Arme der triumphierenden Sharon fallen, „aber sag nicht, ich hätte dich nicht gewarnt. Der Knirps bettelt geradezu um den Tod. Außerdem steht er unter Medikamenten, du wirst also nicht viel Sinnvolles erfahren. Nichts was dir helfen könnte.“ Offensichtlich dachte Gin, Sharon würde sich einige Lorbeeren vom Chef ergattern wollen, da auch ihre Beliebtheit hatte in der letzten Zeit hatte leiden müssen. Erleichtert, dass er ihr das Ganze Szenario so leicht machte, ging sie darauf ein. Mit ihrer Beute in den Armen trat sie an Gin vorbei, durch die Tür, die er angesteuert hatte. Gin selbst verschwand wie ein düsterer Schatten in den Gängen und nahm die unbehagliche Atmosphäre mit sich. Ungeduldig zählte Sharon die Sekunden, ehe sie es wagte, erneut aus der Tür hinaus, wieder auf den Flur zu schlüpfen. Sie hatte nicht vor, den Jungen in eines der Gästequartiere zu bringen. Leise schlich sie in ihr Büro zurück und verriegelte die Tür. Vorsichtig setzte sie sich in ihren ausladenden Schreibtischstuhl und befreite den Jungen auf ihrem Schoss von dem Knebel. Shinichi sah aus als wäre er der Ohnmacht nahe und er wehrte sich nicht, als er wie ein kleines Kind in den Armen von Sharon lag, leicht vor und zurück wiegend, während sie flüsterte: „Du hast deine Aufgabe erfüllt, mach dir keine Sorgen. Bald ist die Organisation vernichtet und du gehst in dein altes Leben zurück, kannst erneut die Schule besuchen, Verbrecher jagen...„ Ihre Stimme verlor sich, als sie darüber nachdachte und einen kleinen Packen aneinandergehefteter Papierzettel in die innen Tasche seiner Jacke schob und ihm zärtlich über das Haar strich. Diese Zettel würden ihrem kleinen Vertrauten helfen die Organisation endlich zur Strecke zu bringen. „Nein, vergiss das wieder, leb dein Leben am Besten von jetzt an etwas ruhiger.“ Sie strich dem Jungen das Haar aus der Stirn, während er leise und unverständliche Sätze zu flüstern versuchte. Beruhigend untersagte sie ihm das Sprechen und bat ihn darum zu schlafen, um Kräfte zu sammeln. Als der Detektiv endlich ihrer Bitte nachgekommen war, seufzte Sharon schwer und ging in Gedanken noch einmal ihren Fluchtplan durch. Egal wie allein sich Shinichi auch fühlen mochte, er hatte viele Menschen die ihm helfen wollten. Einige, davon war er persönlich schon immer überzeugt gewesen, würde ihn finden, oder darauf hoffen, dass er sie erreichte. Das waren Freunde wie Heiji, Ai, der Professor oder seine Eltern. Aber die meisten Leute, die er kannte, unterschätzte er. Shinichi hätte niemals angenommen, dass sich Kogoro in den Fall seines Verschwindens einmischen und zu annehmbaren Ergebnissen kommen würde, hätte nie erwartet Hilfe von einem anderen sehr geschätzten Gegner zu erhalten, der hinter seine Geheimnisse gekommen war. Aber vor allem hätte er nicht mit der Glanzleistung gerechnet, die Ayumi gelungen war. Sie stand, unentdeckt auf der Parkanlage einer Firma, die dem Haus in das Conan verschleppt wurde gegenüberstand. Das Mädchen hielt einen kleinen metallenden Gegenstand in ihren Händen, ihren Detektiv- Transmitter und flüsterte schnell einige Sätze in das Mikro. Auf der anderen Seite der Leitung wurden kurze Befehle ausgetauscht und von eifrigem Rascheln unterbrochen. Ayumi hatte Ai und dem Professor den Aufenthaltsort von Conan mitgeteilt, woraufhin Heiji beinahe überstürzt aufgebrochen wäre. Nur mit Mühe und mit vollem Körpereinsatz war es Ai gelungen Heiji davon abzuhalten, Hals über Kopf loszufahren und in die Höhle des Löwen zu stürzen. Ai rechnete auch weiterhin mit überstürzter Handlung des Detektivs und hatte den Professor veranlasst das Auto abzuschließen während sie ihr weiteres Vorgehen innerhalb der verrammelten Wagens besprachen. Sie schienen in heftige Diskusionen vertieft, als Ayumi durch den Transmitter fragte, was sie nun tun könne. Sie schien weder Angst zu haben, noch sonderlich hilflos zu sein, weshalb Ai sie anwies an Ort und Stelle zu verharren und die Lage im Auge zu behalten. Das Mädchen erklärte sich einverstanden und wendete sich erneut dem Gebäude auf der anderen Seite der Straße zu, so dass Ai sich ihren beiden Kumpanen widmen konnte. Der schusselige Professor war grade damit beschäftigt Heiji zu erklären, was er unter einem Ablenkungsmanöver verstand und Ai musste zugeben, dass in ihrem alter Freund mehr steckte, als sich auf den ersten Blick vermuten ließ. Mehrere Augenblicke später holte die drei Lebensretter jedoch die Realität ein. Sie steckten mitten im Tokioer Berufsverkehr. Ayumi starrte auf die Tür des Gebäudes der Entführer. Das konnte nicht sein. Das ergab doch keinen Sinn, vollkommen unmöglich. Sekunden vorher hatte eine große, hübsche blonde Frau die Tür aufgemacht und war mit Conan hinausgeschlichen. Die Frau sah aus wie ein Engel oder wie jemand der im Fernsehen auftrat, während Conan schlaff wie eine Puppe in ihren Armen hing. Die Frau sah sich um, zog den Kopf ein und überquerte die Straße. Wieder glitt ihr Blick in alle Richtung, zu schnell um irgendetwas richtig zu sehen. Ayumi rannte sie fast um, als sie an ihr hochsprang wie ein tollwütiger Terrier und rief: „Lassen Sie ihn los! Was haben Sie mit ihm gemacht? Warum bewegt er sich nicht? Conan! Conan!“ Sie fing an zu weinen und ein Tränenschleier legte sich über ihre Augen. Langsam beugte sich Sharon über Ayumi und zog sie weiter auf den Parkplatz, darauf bedacht nicht von dem Gebäude in ihrem Rücken aus gesehen zu werden. In sicherer Entfernung angekommen legte sie Conan in die Arme des Mädchens und fragte es eindringlich: „Wird jemand herkommen, um euch Beide von hier wegzubringen? Es ist wirklich wichtig, dass ihr von diesem Ort fortkommt. Hast du das verstanden?“ Ayumi nickte schüchtern und wischte sich mit einem Schniefen die Tränen vom Gesicht. Sie vertraute Sharon an, dass der Professor in wenigen Momenten eintreffen und ihr helfen würde. Sharon strich dem beinahe bewusstlosen Jungen die Haare aus dem Gesicht und verabschiedete sich im Stillen von ihm. Sie wünschte ihm alles Glück, dass diese Welt noch zu bieten hatte, während sie sich langsam erhob und den Parkplatz verlies. Das erste Mal seit zwanzig Jahren hatte sie das berauschende Gefühl frei zu sein, frei von den Zwängen und Pflichten der Organisation, für die sie einstmals mit all ihrem Eifer gekämpft hatte und die ihr so vieles abverlangt hatte. Sie würden sie jagen und vermutlich auch finden, aber für den Moment war sie frei und sie hatte vor, es auch möglichst lange zu bleiben. Wortlos ließ sie ihr altes Leben hinter sich zurück. Der klapprige Käfer kurvte in ruckartigen Bewegungen die asphaltierte Straße hinunter, während die Insassen sich suchend, nach dem kleinen Mädchen mit dem großen blauen Augen Ausschau haltend, umsahen. Obwohl sie mit Sicherheit genauso wachsam war wie ihr Sitznachbar war keine große Überraschung für Ai, dass die scharfen Augen des Oberschülerdetektives des Westens die beiden kleinen Gestalten zuerst ausmachten, zwischen den schrottreifen Wagen zweier Angestellter der Druckerei am Ende der Straße kauernd und auf Rettung wartend. Möglichst unauffällig parkte er Professor seinen Wagen in der Nähe und innerhalb weniger Minuten waren sowohl Conan als auch Ayumi auf der Rückbank untergekommen. Heiji und Ai machten sich sofort auf die Suche nach Verletzungen an den kleinem Kinderkörper, während der Professor sich die Erlebnisse von Ayumi schildern ließ. Agasa erfuhr, dass die Frau aus diesem Gebäude gekommen war und dass sich Conans Entführer noch darin befand. Ayumis Beschreibung nach zu urteilen war es nicht schwer gewesen ihn als Gin zu identifizieren. Also wird dieses Gebäude von hochrangigen Mitgliedern besucht, dachte sich der Professor und fasste einen tollkühnen Entschluss. Ohne großen Verdacht zu erregen verließ er das Auto und öffnete den Kofferraum um seinen Ersatzkanister Benzin aus eben solchem zu nehmen. Entschlossen wechselte er die Straßenseite. Heiji und Ai hatten nichts von dem Verschwinden des Professors bemerkt. Das Mädchen hatte sich sofort daran gemacht die Wunden des geschrumpften Oberschülers zu behandeln. Der Detektiv an ihrer Seite war ihr keine besonders große Hilfe, war er doch ziemlich versunken in irgendwelche Zettel, die er in den Taschen der kleinen Jacke gefunden hatte. Ab und an gab er ein verwundertes Geräusch von sich, während er die Stirn in Falten legte. Aus einem ihr selbst unerklärlichen Grund ärgerte es Ai, dass er den Zettel wichtiger fand als seinen schwerverletzten Freund. Dementsprechend fielen auch ihre nicht allzu freundlichen Blicke, die er von ihr bekam. Unbehaglich wand er sich unter ihren Blicken und fragte mit der für ihn typischen Direktheit: „Was ist?“ Sie deutete vorwurfsvoll auf Shinichi, der halb auf ihr lag, damit sie seine Verletzungen an Bauch und Rücken genauer untersuchen konnte. „Würdest du mir mal zur Hand gehen? Lesen kannst du wenn dieser Ort in größtmöglicher Entfernung hinter uns liegt.“ Professor Agasa tappte durch den starken Qualm der Ausgangstür entgegen. Warum war er überhaupt in das Gebäude hineingegangen? Nachdem er ein Feuer gelegt hatte, um möglichst viel Aufregung zu schaffen, vielleicht sogar Polizei und Feuerwehr anzulocken, hätte er sich zurückziehen müssen. Es hätte gereicht, den brennenden Scheit an der Tür zu positionieren, aber er hatte sich ja versichern müssen, dass das Feuer sich wirklich ausbreitete. Hier stand er nun: In der Eingangshalle des Gebäudes von dichten Rauchsäulen umzingelt und strauchelte mehr schlecht als recht dem Ausgang entgegen, als er ein ersticktes Husten hörte. Er blieb stehen und versuchte etwas durch den Vorhang, den das Feuer über seine Augen gelegt hatte, auszumachen. Keine vier Schritte von ihm entfernt lag eine Frau. Sie sah jung aus und war auf ihre eigene, gefährliche Weise recht hübsch, befand Agasa im Geiste. Ganz ohne Zweifel war sie ein Mitglied der schwarzen Organisation, eine skrupellose Mörderin und einer der Schrecken die hinter jeder Ecke lauerten an der Shinichi, Ai und er vorbeiliefen. Sollte er sie liegen lassen? Konnte er es überhaupt? Diese Frau war zwar eine Mörderin, aber sie war auch ein Mensch. Ein Mensch der an einer Rauchvergiftung sterben würde, sollte er nicht eingreifen. Er konnte sie nicht einfach ihrem Schicksal überlassen und sich abwenden. Diese Frau war noch so jung, hatte ihr ganzes Leben noch vor sich und es lag nicht an ihm es vorzeitig zu beenden. Also versuchte er sie anzuheben, während sein Rücken entschieden gegen die Last protestierte. Er eben kein junger Hüpfer mehr, so wie die ganzen Jungspunde mit denen er so durch die Gegend zog, da trug man halt nicht einfach so Frauen durch die Gegend, dachte er sich mürrisch und rüttelte probehalber an der Schulter seiner terroristischen Freundin, um ein bisschen Initiative ihrerseits zu erhalten. Sie blinzelte schwach und ihm fiel eine markante Tätowierung unterhalb ihrer Augenpartie auf, die jeden Blick in ihrer hellen blauen Augen ziehen musste, wenn sie nicht um Luft ringend in brennenden Gebäuden lag. Sie schlang ihren Arm um den Hals des Professors, der seine Arme um ihren Oberkörper legte und durch die Halle brachte. Als sie durch die Tür kamen, schnappten beide nach der frischer, unverbrauchter Luft, die jedoch in ihren Lungen stach und erneute Hustenanfälle hervorrief. Der Professor ließ die Frau in seinen Armen zu Boden gleiten, während eine Ohnmacht sich ihrem Verstand bemächtigte. Er selbst schleppte sich mit schweren Schritten über die Straße zu seinem sicherem Auto. Er hatte das Gefühl nur noch schlafen zu wollen, und vielleicht ein bisschen über das Wetter zu schimpfen. Es war einfach genug Heldentum für heute. Das sanfte Rütteln des alten Autos störte ihn beim Schlafen, doch er wollte seine Augen noch nicht öffnen, sich nicht mit der Realität auseinandersetzen, die außerhalb seines Kopfes auf ihn wartete. Lieber konzentrierte er sich auf die sanften Hände, die fürsorglich durch sein Haar strichen und die gedämpften Stimmen, die nur langsam ihren Weg in seinen Kopf fanden. Sie klangen als wären sie weit entfernt und wild durcheinander gewürfelt. Conan erlangte das Bewusstsein nur kurz, bevor ihn die Dunkelheit wieder mit sich zog. An einem anderen Ort trafen sich zu dieser Zeit zwei Personen, die sich sonst nur an Tatorten begegneten. Es war bekannt, dass Detektiven der Tod wie ein Schatten folgte und Kogoro bildete ebenso wenig eine Ausnahme, wie Saguru Hakuba, ein junger Detektiv vom anderen Ende der Stadt. Da dem schlafenden Detektiv die Einfälle ausblieben und der Kummer seinen scheinbar unüberwindbaren Stolz unter sich begraben hatte, beschloss er die Hilfe eines anderen Detektivs in Anspruch zu nehmen. Shinichi Kudo war verschwunden, galt als vermisst und schied aus. Dessen Kollege Heiji war ein Freund von Ran gewesen. Kogoro konnte ihn nicht ansehe, wollte nicht mal an ihn denken. Nicht nachdem er seine geliebte Tochter verloren hatte. Das schränkte die Wahl des Suchenden ein, und er kam zufällig auf Hakuba. Dieser war ein Freund seines Bekannten Ginzo Nakamori, der ihm in dieser Situation zur Seite stand. Er vereinbarte sogar ein Treffen zwischen den beiden Schnüfflern. Hinter verschlossener Tür stimmte der jüngere Detektiv der Anfrage Kogoros beinahe augenblicklich zu. Als dieser den Raum verließ, zog sich der vermeintliche Detektiv die Maske vom Gesicht. „Gott sei Dank ist Hakuba schon vor einer Weile zurück nach England gereist. Es ist Zeit für die etwas unkonventionellen Methoden.“, dachte sich der Dieb und schob sich das Monokel ins Gesicht. Er machte sich auf, um einen alten Bekannten aufzusuchen. Ein metallisches Piepen erfüllte den weißen Raum, in dem die drei letzten führenden Köpfe der ehemals so gefährlichen Organisation lagen. Gin, Chianti und Wodka. Geborgen von Feuerwehrleuten, die sie aus den Trümmern des Gebäudes zogen. Alleine. Die Organisation war zersprungen. Aber es war noch nicht vorbei. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)