Abseits des Weges von Flordelis (Erinnerungen sind wie Fragmente) ================================================================================ Liebe, die in den Sternen steht ------------------------------- Auf den ersten Blick schien der Auftrag wirklich leicht. In die Stadt rein, dort das Haus des Bürgermeisters suchen, einsteigen, das Juwel klauen und wieder abhauen. Jap, wirklich leicht, fast schon lächerlich einfach, Cherrygrove verfügte nicht einmal über Mauern. Das war schon regelrecht langweilig. Ein Grund, warum ich so gern meine Aufträge ausführte, war die Herausforderung. Hier sah ich allerdings keine. Die einzige Herausforderung wäre wohl ich selbst, wenn ich mir wieder im Weg stehen würde. Das tat ich ab und an ganz gerne, wenn ein Auftrag zu leicht war. Jeder andere Söldner wäre wohl froh über einen so einfachen Weg, Geld zu verdienen, ich dagegen... nein, ich, Asterea, die Meisterdiebin, wollte die Herausforderung! Leider suchte ich diese meist vergebens. Lag es daran, dass ich eine Nymphe war? Oder daran, dass ich in den Sternen die Zukunft sehen konnte? Wobei, die beiden Punkte hingen wohl zusammen. Vielleicht war es in der Menschenwelt nicht so vorteilhaft, die Zukunft zu kennen. Ich war allen einen Schritt voraus und das machte mein Leben langweilig. Den anderen Naturgeistern ging es da wirklich besser. Das einzige, was einen in Cherrygrove von einem Diebstahl abhalten konnte, waren die Stadtwachen. Tagsüber patrouillierten zwei von ihnen die Stadt, nachts ganze vier. Sie hielten sich für unsagbar schlau, doch ihr Bewegungsmuster war so einfach zu durchschauen, selbst wenn man nicht in die Zukunft sehen konnte, aber es war trotzdem ein Vorteil. Von einem sicheren Punkt aus – der Baumkrone eines weit genug entfernten Kirschbaums – beobachtete ich den Stadtrand, während ich überlegte, wie ich mich am besten einschleichen sollte. Es gab insgesamt nur vier Straßen, so dass eine Wache immer auf einer entlanglief. Unbeobachtet kam man wohl nur durch die Stadt, wenn man sich auf den Dächern fortbewegte. Allerdings spielte ich mit dem Gedanken, mich tatsächlich auf der Straße einzuschleichen. Das wäre mit Sicherheit ein hübscher Nervenkitzel. Doch ich beschloss, auf Nummer sicher zu gehen. Eine Verfolgungsjagd konnte ich mir mit den Wachen liefern, wenn ich das gewollte Juwel in der Hand hielt. Aber darauf freute ich mich schon besonders. In freudiger Erwartung begann ich leise zu summen, wie vor jeder Mission band ich mein Haar zu einem Pferdeschwanz zusammen, damit es mir nicht in der ungünstigsten Situation ums Gesicht flog und mir sogar die Sicht nahm. Ja, das war mir wirklich mal passiert. Bei dem Gedanken an den Sturz, der darauf gefolgt war, brummte mein Kopf immer noch. Im Wind wehendes Haar war eben nur für Heldenposen zu gebrauchen und nicht für alles andere. Zu schade, das sah nämlich unheimlich gut aus. Als die Wache sich wieder aus meinem Blickfeld entfernte, legte ich los. Geräuschlos ließ ich mich zu Boden gleiten und rannte in Richtung Stadt. Elegant wie eine Katze kletterte ich dort am ersten Gebäude hinauf, bis ich auf dessen Dach wieder innehielt. Mein Blick nach unten verriet mir, dass die nächste Wache mich nicht bemerkt hatte. Was anderes war aber auch nicht zu erwarten gewesen. Zufrieden mit mir selbst, klopfte ich mir auf die Schulter. Geschmeidig setzte ich meinen Weg über die Dächer fort. Da der Auftrag sich ohnehin von selbst erledigen würde, erlaubte ich meinen Gedanken, abzuschweifen. Es musste nun zwei Jahre her sein, seit ich mich als Söldnerin verdingte, um aufregende Abenteuer zu erleben. Als Nymphe lebte man gemütlich, aber das war mir zu wenig. Eine Einstellung, die meine Schwestern zwar nicht teilen konnten, aber zumindest respektierten. Mir machte es Spaß, auch wenn mir aufgrund meiner Fähigkeiten eben die besondere Herausforderung fehlte. Dafür geschahen manchmal die außergewöhnlichsten Sachen, die ich nicht vorhersehen konnte. So auch dieses Mal. Während ich noch in Gedanken versunken war, spürte ich plötzlich, wie ich den Boden unter den Füßen verlor. Mit einem erschrockenem Schrei fiel ich in die Tiefe. Katzen schafften es, sich im Flug zu drehen, um auf den Beinen zu landen, mein Körper allerdings drehte sich so, dass ich mit dem Rücken aufschlagen würde. Ich hatte keine Angst, zu sterben. Naturgeister waren nie lange tot, sie wurden innerhalb kurzer Zeit wiedergeboren, mit einigen Einschränkungen. Aber ich fürchtete mich vor dem Schmerz. Selbst wenn er nur für den Bruchteil einer Sekunde anhalten würde, so blieb selbst nach meiner Reinkarnation die Erinnerung daran und das war das Schreckliche. So dauerte der Fall in meiner Vorstellung doppelt so lang – doch der Aufprall blieb glücklicherweise aus. Der Sturz stoppte, ohne dass ich Erde unter mir spüren konnte. Verwirrt blinzelte ich, um meinen Blick wieder zu klären und zu erfahren, was geschehen war. Schließlich sah ich in das Gesicht eines entgeistert dreinblickenden Mannes. Er hatte mich aufgefangen, was wahrscheinlich nur ein Reflex gewesen war, aber für mich war er in diesem Moment ein Held, immerhin bewahrte mich das vor furchtbaren Schmerzen. Interessanterweise war das aber nicht das einzige, was mir in diesem Moment durch den Kopf – nein, durch meinen ganzen Körper – ging. Ein flaues, aber wohltuend warmes Gefühl entstand in meinem Bauch, vor meinem inneren Auge konnte ich Bilder sehen, wie bei meinen Visionen. Ich war mir zwar nicht sicher, ob diese Erscheinungen durch die Sterne oder durch diese Tat kamen, aber jede einzelne gefiel mir äußerst gut. Bislang hatte ich mich zwar nicht als liebende Ehefrau gesehen, aber das sah mir immerhin nach einer schönen Aufgabe aus. Man wurde geliebt, hatte jemanden, den man lieben konnte... Ja, vielleicht war es genau das, was ich eigentlich suchte. Von dem Gedanken und dem Wunsch beseelt, mich in diesen Mann zu verlieben, um das auch mal auszuprobieren, musterte ich ihn genauer. In den Augen einer normalen Frau wäre er wohl ein durchschnittlicher Kerl mit seinem braunen Haar und den gleichfarbigen Iriden, aber für mich war er mein Retter in der Not. Trotz der tiefsten Dunkelheit schien die Sonne für mich aufzugehen, ich wollte ihn heiraten und für immer bei ihm bleiben, ihm einfach mal mein Herz schenken. Mir wären wohl noch mehr kitschige Dinge eingefallen, aber dieser Idiot tat etwas absolut Unromantisches: Er ließ mich fallen! Was sollte das? Erst fing er mich auf und dann ließ er mich doch zu Boden fallen. Aber immerhin waren die Schmerzen in meinem Hintern erträglicher, als jene, die mir zugestoßen wären, wäre mein Sturz nicht gebremst worden. Ich hob den Blick und bemühte mich, besonders empört auszusehen. „Was soll das?“ „Eine Frau fällt nachts von einem Dach“, sagte er bedächtig. „Was bedeutet das wohl?“ Abfällig blickte er auf mich herab, was es mir äußerst schwer machte, meine Verliebtheit aufrecht zu erhalten. Dennoch setzte ich ein unschuldig-fragendes Gesicht auf. „Keine Ahnung?“ „Du bist eine Diebin, stimmts? In der letzten Zeit hatten wir öfter Probleme mit solchen.“ Aha, darum die ganzen Wachen und daher auch der hohe Preis für diese eigentlich so leichte Mission. Ich hätte misstrauisch werden müssen, aber immerhin lernte ich so meinen... meinen... wie hieß mein zukünftiger Ehemann eigentlich? Da er mir nicht helfen wollte, stand ich aus eigener Kraft wieder auf. „Ich bin Asterea.“ Das beantwortete seine Frage zwar nicht, brachte ihn aber vielleicht dazu, mir auch seinen Namen zu verraten. Allerdings ließ er sich nicht so leicht überrumpeln. Überheblich sah er mich immer noch an. Da er einen Kopf größer war, als ich, konnte er immer noch auf mich herabsehen. Ich fühlte mich davon allerdings nicht eingeschüchtert, nein, es gefiel mir. „Was interessiert mich der Name einer Diebin?“, erwiderte er forsch. Ich wollte ihn darauf hinweisen, dass man seine Frau nicht als Diebin bezeichnete, aber er ahnte ja noch gar nichts von seiner glücklichen Zukunft mit mir. „Behandelt man so eine Dame?“, stellte ich die Gegenfrage. Ihm entfuhr ein genervtes Seufzen. „Damen klettern nicht über Dächer.“ „Doch! Wenn es brennt schon.“ Mir fiel selbst auf, wie bescheuert diese Aussage war – aber leider erst nachdem ich sie laut ausgesprochen hatte. Immerhin entlockte ich ihm damit aber ein leichtes Schmunzeln. Awww, ich wollte ihn küssen! Bedauerlicherweise wurde sein Blick sofort wieder ernst. „Genug geplaudert. Du bist wegen versuchtem Diebstahls festgenommen.“ Hastig wich ich seiner nach mir greifenden Hand aus. „Kannst du nicht mal ein Auge zudrücken?“ Ich schenkte ihm mein süßestes Lächeln, doch es musste einfach zu dunkel sein, denn er sprang nicht darauf an. „Das ist nicht möglich.“ Er griff noch einmal nach mir, ich sprang zurück – und geriet ins Sichtfeld der anderen drei Wachen. Glücklicherweise hatte keiner von ihnen meinen Sturz miterlebt, so dass die drei mich erst einmal nur perplex ansahen, als ob sie sich fragen würden, wer ich sei. Mein Liebling trat ebenfalls ins Sichtfeld seiner Kollegen, einer wandte sich ihm zu und so erfuhr ich endlich seinen Namen! „Richard, ist das schon wieder eine Diebin?“ Richard~ Der Name zerging einem quasi auf der Zunge, ich liebte ihn. Es brach mir fast schon das Herz, als er zustimmte und die anderen aufforderte, mich festzunehmen. Offenbar wurde es früher als beabsichtigt Zeit, mir eine Verfolgungsjagd mit den Wachen zu liefern. Zwar ohne Beute, aber die konnte ich mir auch noch ein andermal holen. Dann würde ich auch gleich meinen zukünftigen Mann wiedersehen, darauf freute ich mich bereits, obwohl ich ihm augenblicklich noch gegenüberstand. Lächelnd verabschiedete ich mich von ihm, versprach ihm, ihn bald wieder zu besuchen, was er mit einem konfusen Blick zur Kenntnis nahm, dann fuhr ich herum und lief hastig davon. Es dauerte einen kurzen Moment, in dem die anderen sich unentschlossene Blicke zuwarfen, doch schließlich entschieden sie sich tatsächlich dazu, mir zu folgen. Natürlich war es da bereits viel zu spät. Niemand holte mich ein, wenn ich erst einmal dabei war, wegzurennen. Zumindest kein Mensch. Zufrieden beobachtete ich von meinem Versteck aus, wie die Sonne aufging. Die Mission war zwar nicht gut ausgegangen, aber immerhin spürte ich in meinem Inneren endlich ein angenehmes Kribbeln, das ich immer hatte erleben wollen. Was tat Richard wohl gerade? War er frustriert, dass er mich nicht hatte verhaften können? Ging er gerade ins Bett? Dachte er vielleicht sogar ein ganz klein wenig an mich? Immer wieder rief ich mir die Visionen von mir und Richard ins Gedächtnis. Sie waren warm und versprachen sowohl Heimat als auch Abenteuer, ein schöner Traum. Ich wusste noch nicht, wie es dazu kommen sollte, aber auf das, was die Sterne mir sagten, war Verlass, das war sicher. Nun musste ich dem Ganzen nur noch ein wenig nachhelfen. Zwar besaß ich keinerlei Erfahrung in solchen Dingen, aber ich würde einfach das tun, was ich am besten konnte. Dann konnte doch nichts schiefgehen. Ich, Asterea, die Meisterdiebin würde also meinen größten Coup angehen: Ich würde das Herz eines Mannes stehlen. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)