Abseits des Weges von Flordelis (Erinnerungen sind wie Fragmente) ================================================================================ Weltenwanderer -------------- „Mehr Salz.“ „Meinst du nicht eher, Pfeffer?“ „Nein, dieses weiße Zeug... warte, vielleicht doch eher Zucker?“ „Wie kommt es, dass du nicht mal mehr Salz und Zucker auseinanderhalten kannst?“ Landis hielt inne und sah seinen besten Freund nachdenklich an, während dieser auf seine Antwort wartete. „Uhm... na ja... du weißt doch, wie meine Mutter kocht.“ Absolut nicht davon überzeugt, hob Nolan eine Augenbraue. „Ich finde, Tante Asti kocht sehr gut.“ „Deine Geschmacksnerven sind schon tot, oder?“ Er kratzte sich am Kopf. „Vielleicht. Ich koche ja ständig selbst, seit meine Mutter nicht mehr da ist... Aber mein Vater findet es nicht so schlimm.“ Landis zeigte sich von diesem Argument nicht sonderlich überzeugt. „Der hat doch auch keine Geschmacksnerven mehr.“ „Ja, vielleicht...“ Da es Nolan sichtlich unangenehm war, über seinen Vater zu sprechen, wandte Landis sich wieder dem Herd zu. Die aufgesetzte Suppe kochte, der ausgehende Geruch war allerdings nicht unbedingt appetitanregend – auf der anderen Seite wiederum roch es auch nicht ekelhaft, das war aber immerhin schon mal ein Fortschritt zu ihrer letzten Mahlzeit. „Jedenfalls muss noch irgendwas rein, denn bislang riecht es nach nichts“, meinte Nolan. Ehe Landis seine eigene Meinung abgeben konnte, hörten sie Schritte hinter sich, gefolgt von einem empörten Ausruf. „Nolan! Was macht ihr hier schon wieder!?“ Die Jungen zuckten zusammen und sahen die Frau an, die dazugekommen war. Ihre zusammengezogenen Brauen vermehrten die Falten in ihrem Gesicht. Nolan setzte die unschuldigste Miene auf, die er beherrschte. „Wir wollten nur Essen kochen, Oma~“ „Habe ich euch nicht gesagt, dass ihr das lassen sollt?“ „Wir... wollten nur helfen“, erwiderte Nolan kleinlaut. Landis schwieg vorsichtshalber, sorgten seine Worte doch meist dafür, dass Nolans Großmutter noch wütender wurde – immerhin hielt sie ihn für einen schlechten Umgang für ihren Enkel. Dass er überhaupt gemeinsam mit ihm seine Ferien in Jenkan verbringen durfte, verdankte er Nolans Betteln und Flehen – in einem ruhigen Moment hatte er Landis einmal erklärt, dass er ihn mitnehmen wollte, weil es sonst viel zu langweilig in Jenkan war, immerhin kannte Nolan dort sonst niemanden. Nolans Großmutter seufzte schwer, als sie die beiden bat, nach draußen zu gehen, um dort zu spielen, was sie auch sofort taten. Draußen schnaubte Nolan und steckte die Pfeffermühle, die er vor lauter Schreck vergessen hatte wieder zurückzustellen, in seine Tasche. „Als ob wir spielen würden. Wollen wir nicht lieber in Jenkan ein paar Heldentaten vollbringen?“ „Ah, ich weiß nicht...“ Er war nicht oft in dieser Stadt, aber er wusste, dass die Bewohner solchen Leuten wie ihnen gegenüber nicht sonderlich aufgeschlossen waren. Nolans Großmutter hasste ihn schon genug und würden sich die Nachbarn über ihn beschweren, gäbe es mit Sicherheit noch mehr Ärger und er wusste, wieviel Einfluss die Großeltern in letzter Zeit auf seinen besten Freund hatten. Manchmal kam es Landis gar schon vor als würde Nolan tatsächlich abgeneigt sein, wenn es darum ging, Zeit mit ihm zu verbringen – wie in diesem Moment. „Mann, in letzter Zeit bist du voll der Langweiler geworden“, merkte Nolan an. „Was ist denn los mit dir?“ Landis überlegte, ihm von seinen Bedenken zu erzählen – doch da lenkte ihn etwas anderes bereits ab: Ein Mann mit auffallend grünem Haar stand mitten auf der Straße und warf immer wieder einen verwirrten Blick umher, ehe er erneut auf den Zettel in seiner Hand blickte – nur um sich direkt danach noch einmal umzusehen. „Der kommt nicht von hier“, meinte Nolan. „Meinst du, wir sollen ihn fragen, was er will?“ Eigentlich war ihnen verboten worden, mit Fremden zu sprechen, aber Landis hatte nicht das Gefühl, dass dieser Mann böse war – und sie waren immerhin bereits Auszubildende der Kavallerie, da würden sie sich doch zu zweit gegen einen bösen Mann wehren können. Also gingen sie zu diesem Mann hinüber und fragten ihn, ob sie ihm irgendwie helfen könnten. Er lächelte regelrecht erleichtert, als er die beiden Jungen ansah. „Oh, endlich. Ich dachte schon, in dieser Stadt gibt es keine freundlichen Menschen.“ „Na ja, wir kommen auch nicht von hier“, erwiderte Landis. „Aber du hast recht, in dieser Stadt wohnen nur Idioten.“ Kaum wurde ihm bewusst, was er da sagte, warf er einen um Entschuldigung heischenden Blick zu Nolan, doch dieser war noch immer damit beschäftigt, den Fremden zu begutachten und schien ihn gar nicht gehört zu haben. „Solange ihr euch hier auskennt, soll es mir recht sein. Ich bin doch in...“ – er warf einen prüfenden Blick auf seinen Zettel – „Király, oder?“ Die Jungen nickten zustimmend. „Gut... Und das hier ist Jenkan, oder?“ Noch ein Nicken, worauf er erleichtert ausatmete. „Sowas wie Ortsschilder würden euch ganz gut tun, wisst ihr das?“ „Keine schlechte Idee“, meinte Nolan, wenngleich Landis sich fragte, wie er sich vorstellte, das durchzusetzen, aber wie er seinen Freund kannte, würde er das ohnehin bald wieder vergessen haben. „Ihr wisst nicht zufällig, wo ich hier einen Führer finden könnte, oder?“ Landis legte seine Stirn in Falten, während er nachdachte, doch Nolan antwortete bereits, bevor er sich auch nur im Geringsten hatte vorstellen können, wo ein Führer sich aufhalten würde: „Sowas gibt es hier nicht. Aber nur keine Sorge~ Mein Freund und ich sind Helden in Ausbildung, wir bringen dich überallhin!“ Sein skeptischer Blick ging zwischen den beiden Jungen hin und her, doch schließlich zuckte er mit den Schultern. Inzwischen war es ihm wohl egal, wer ihn an sein Ziel bringen würde, solange er dort ankam. „Das wäre super von euch. Mein Name ist Russel.“ „Freut mich. Ich bin Nolan und das ist Landis.“ Die beiden schüttelten ihrer neuen Bekanntschaft die Hand, worauf Russel schelmisch lächelte: „Haben eure Eltern euch eigentlich nicht beigebracht, nicht mit Fremden zu sprechen?“ „Doch, natürlich“, antwortete Landis. „Aber meine Mutter sagte auch, wir sollen Leuten in Not helfen und unserem Gefühl vertrauen – und wir glauben, du bist nicht böse.“ „Aww, wie nett~ Ihr habt jedenfalls recht, ich entführe keine kleinen Jungs, ich brauche wirklich Hilfe.“ Nolan schlug sich auf die Brust. „Kein Problem! Sag uns nur, was du suchst.“ Dieser Aufforderung folgend erklärte Russel ihnen, dass er eine Art Pflanze suchte, die in einer Höhle in der Nähe wachsen sollte. Allerdings waren die Berge derart zeklüftet, dass er befürchtete, ewig zu suchen, wenn er sich allein aufmachte. Landis wollte bereits wieder zugeben, dass er keine Ahnung hatte, doch Nolan schnitt ihm das Wort ab: „Oh, ich weiß genau, was du suchst, Rus.“ Das Gesicht des Mannes hellte sich auf, als er diesen Spitznamen hörte. „Wirklich, Kleiner?“ „Klar doch~ Eigentlich sollen wir da nicht allein hingehen, aber wenn du mitgehst, geht das schon.“ Er deutete auf das Schwert an Russels Hüfte. Während dieser geschmeichelt lächelte, sah Landis mit gerunzelter Stirn zu seinem Freund hinüber. Es schien ihm fast als würde dieser sich langsam aber sicher von ihm entfernen – und ihn nicht mehr brauchen. So wie auch niemand anderes sonst... Doch bevor er sich weiter in diesem deprimierenden Gedanken verlieren konnte, holte Nolan ihn wieder in die Wirklichkeit zurück: „Also, Lan, lass uns gehen.“ Landis nickte. „Ja, lass uns gehen...“ Mit Russel zwischen sich, verließen die beiden Jungen die Stadt und strebten direkt auf die Berge zu, wobei Landis sich auf Nolan verlassen musste, immerhin kannte er sich weniger gut aus, wenn er ehrlich sein musste. Allerdings musste er auch zugeben, dass er Jenkan hasste. Nicht nur wegen Nolans Großeltern oder den doch recht seltsamen Leuten, die dort wohnten, es gab weit und breit auch einfach nichts zu sehen oder zu erleben. Ganz anders als die Abwechslung, die Cherrygrove mit seiner vielfältigen Umgebung bot. Aber wenn er genau darüber nachdachte, lag es wohl doch hauptsächlich an Nolans Großeltern. Er selbst besaß keine mehr, weswegen sein bester Freund einst versucht hatte, Landis zu einem Teil seiner Familie zu machen – aber er war den beiden wohl zu... unsympathisch gewesen. Es war schon immer deutlich gewesen, dass sie ihn nicht mochten und das hatte sich nie geändert. Dass er überhaupt noch nach Jenkan ging, lag nur daran, dass Nolan ihn immer darum bat, mitzugehen, damit ihm nicht zu langweilig wurde. „Ihr seid also Freunde, ja?“ Offenbar wollte Russel eine Unterhaltung anzetteln, wusste aber nicht, wie er das besser machen sollte als mit einer solch lächerlichen Frage. Nolan nickte bestätigend. „Die besten Freunde! Schon seit wir klein waren.“ Wieder einmal versuchte Landis, sich ins Gedächtnis zu rufen, wie sie eigentlich Freunde geworden waren, doch es blieb bei einer sehr undeutlichen Erinnerung, weswegen er es schließlich wieder aufgab. Irgendeine äußerst finstere Barriere verhinderte, dass er sich an allzuviele Dinge in seiner Vergangenheit erinnerte. Er wusste nur noch, dass da etwas gewesen war, das ihm furchtbare Angst eingejagt hatte... und wann immer ihm das wieder bewusst wurde, war er ganz froh darüber, sich an nichts zu erinnern. „Oh, das klingt schön“, bemerkte Russel. „Dann hängt ihr bestimmt sehr am jeweils anderen.“ Landis antwortete nicht, aber offenbar war das auch überflüssig, da Nolan es erneut übernahm: „Natürlich! Solche Freunde wie uns gibt es immerhin nur einmal.“ Russel lächelte, worauf auch Landis nicht anders konnte als ebenfalls zu lächeln, wenn auch mit gesenktem Kopf. „Und irgendwann“, fuhr Nolan fort, „werden wir gemeinsam Helden sein und dann wird man auch noch in Büchern von unserer Freundschaft lesen, wenn wir schon lange bei Charon sind.“ „Das klingt nach einem schönen Traum.“ Russels Blick ging gedankenverloren in die Entfernung. „Hoffentlich vergesst ihr ihn nicht“ „Niemals!“, sagte Nolan, auch wenn Landis sich da ganz und gar nicht sicher war, immerhin hatte er selbst ja schon ganz andere Dinge vergessen. Lächelnd klopfte Russel beiden auf die Schultern. „Ihr seid mir schon so zwei. Ich glaube, mein Glück hat mich euch treffen lassen. Ich mag euch.“ „Wirklich?“, fragte Nolan erfreut. Es war Landis schon ziemlich oft aufgefallen, dass Nolan Wert darauf legte, selbst von wildfremden Menschen gelobt zu werden, genauso wie er wollte, dass jene ihn mochten. Offenbar genügte es seinem besten Freund nicht, dass so ziemlich jeder in Cherrygrove ihn mochte – und Landis ihn in einem freundschaftlichen Sinne sogar liebte und mehr als einmal seine Beziehung mit Oriana riskiert hatte, um ihm beizustehen. Argh, hör auf damit, Lan, er ist ein toller Kerl und du magst ihn und er mag dich. Wir werden Freunde bleiben, ganz sicher. Erst bei der fraglichen Höhle angekommen – Landis war von Nolans Orientierungssinn geradezu erstaunt – hörte er mit seinen deprimierenden Gedanken wieder auf. Die abgestandene Luft im Inneren verhieß Abenteuer und Spannung, genau das, was er immer wollte. Doch Nolan schlug sich vor die Stirn, kaum dass sie ein paar Schritte hineingewagt hatten. „Wir haben vergessen, eine Laterne mitzunehmen.“ Landis wollte sich gerade entschuldigen, galt es doch immer als seine Aufgabe, an so etwas zu denken, doch Russel winkte bereits ab. „Das ist schon okay.“ Kaum hatte er das gesagt, erschien eine grüne Flamme in seiner Hand, die durch den Luftzug ein wenig flackerte, aber nicht erlosch und genügend Licht spendete, um sich ausgiebig umsehen zu können. „Wie machst du das?“, fragte Nolan neugierig. „Oh, ich bin einfach gut darin“, bekam er die vergnügte Antwort. Offenbar machte es Russel tatsächlich Spaß, seine Zeit mit ihnen zu verbringen. „Wollen wir dann? Ich fürchte, meine Zeit wird langsam knapp.“ Während sie ihren Weg durch die Höhle antraten, beschloss Landis, endlich zu fragen, wofür er diese Pflanze brauchte. Russel legte die Stirn in Falten, während er anscheinend darüber nachdachte, ob er es verraten oder doch lieber für sich behalten sollte. Doch schließlich zuckte er seufzend mit den Schultern. „Jemand, den ich kenne ist schwer krank geworden und nur ein aus dieser Pflanze gewonnenes Gegengift kann ihm helfen. Aber dort, wo ich lebe, gibt es eine solche Pflanze gar nicht mehr.“ Nolan blickte ihn irritiert an, Landis wusste sofort, was ihn so stutzig machte und beschloss, selbst zu fragen: „Ken hat gesagt, diese Pflanze ist nicht sonderlich anspruchsvoll, sie wächst überall auf der ganzen Welt. Sogar in der Wüste – lediglich in Király ist sie eher selten. Woher kommst du, wenn es sie bei dir nicht gibt?“ Im ersten Moment schien es den beiden als würde Russel nicht antworten wollen, doch dann lächelte er schelmisch. „Wenn du schon so fragst, kann ich ja zugeben, dass ich aus einer anderen Welt komme.“ Mit großen Augen sahen die beiden Jungen ihn an. Ein anderer Erwachsener hätte bei diesem Blick zu lachen angefangen und verraten, dass es nur ein Scherz gewesen war, aber Russel blieb vollkommen ernst. „Dann hatte Tante Asti ja recht“, triumphierte Nolan. „Sie hat immer gesagt, dass es andere Welten gibt!“ Fast schon beleidigt, wandte Landis den Blick ein wenig ab. „Ich glaube das trotzdem nicht.“ Es schien, dass Nolan ihn dafür zurechtweisen wollte, doch Russels Lachen hielt ihn davon ab. „Du tust gut daran, nicht alles zu glauben, was andere dir erzählen. Ich zwinge dich also nicht, mir das abzunehmen.“ Landis erwiderte nichts darauf – nicht zuletzt, weil sie am Ende der Höhle angekommen zu sein schienen. Durch ein Loch in der Decke fiel Sonnenlicht in den kreisrunden Raum, dessen Boden mit Sand bedeckt war und direkt in der Mitte wuchs die gesuchte Pflanze. Russel ging einige Schritte darauf zu, blieb jedoch plötzlich wieder stehen. Sein Blick ging zu Boden, während die beiden Jungen sich nur verwirrt ansahen und sich fragten, was los war. Doch ehe sie die Frage laut stellen konnten, ertönte ein lautes Grollen, der Sand wurde hochgeschleudert und verdeckte damit die Sicht der Jungen auf den Raum – und als Russel wieder zu sehen war, sogen sie überrascht und erschrocken die Luft ein. Der Mann schien sich im Inneren eines Käfigs zu befinden, der allerdings komplett aus grünen, robust aussehenden Ranken bestand. Eine dieser Ranken führte zu dem monströsen Körper eines Wesens, das direkt aus einem Märchen entsprungen zu sein schien. Zwar hatte es einen Stamm, der in der Erde verwurzelt war, genau wie es bei einem Baum der Fall sein sollte, doch statt Laub trug es ein riesiges Maul von dessen Fängen Geifer tropfte, der beim Aufkommen auf dem Sand zischend verdampfte. „Das sieht nicht gut aus“, kommentierte Nolan. Landis war versucht, sich umzudrehen und wegzulaufen – aber er konnte Russel nicht im Stich lassen und Nolan schien ebenfalls nicht vorzuhaben, zu fliehen. Andererseits wirkte er aber auch nicht so als ob er wüsste, wie er nun vorgehen sollte. Hilfesuchend sah er Landis. „Was sollen wir tun?“ Und in dem Moment begriff Landis etwas Essentielles ihrer Freundschaft: Egal wie erwachsen und wie klug Nolan werden würde, es müsste in seinem Leben immer eine Person geben, die ihn unterstützte und ihm notfalls den Kopf aus der Schlinge zog, wenn er mal wieder gedankenlos ins Abenteuer gestürzt war – und Landis übernahm diese Aufgabe mit dem allergrößten Vergnügen. „Hast du noch die Pfeffermühle dabei?“, fragte er sofort. Nolan nickte, zog den Behälter hervor und dann dämmerte ihm, was sein Freund damit vorhatte. „Aber wie willst du das anstellen?“ Das Maul des Wesens war viel zu weit oben, um die Mühle einfach so hineinzuwerfen, aber Landis konnte auch unmöglich daran hinaufklettern. „Ich kriege das schon hin“, versprach er allerdings, als er Nolan das Gefäß abnahm und sich dann dem Monster zuwandte. „Du müsstest es nur ein wenig ablenken.“ „Ja, sicher doch.“ Landis nickte ihm noch einmal zu und lief dann zu Russel hinüber, der erfolglos versuchte, die Ranken mit seinen Schwert zu durchtrennen. „Die Dinger sind widerstandsfähiger als Gummi.“ „Keine Sorge“, bemerkte Landis. „Wir kriegen dich da raus.“ Russel ließ seine Schwert sinken und lächelte sanft. „Es ist schon okay. Ihr solltet lieber weglaufen, ich komme hier schon allein zurecht.“ Landis schüttelte nur den Kopf und begann, an der Pflanze hinaufzuklettern, nachdem er sichergestellt hatte, dass Nolan die Aufmerksamkeit des Monsters auf sich zog und einigen beweglichen Ranken auswich, die immer wieder nach ihm schlugen. Zu ihrem Glück schien das Wesen nicht sonderlich intelligent zu sein, denn es konzentrierte sich vollends auf Nolan ohne Russel oder Landis auch nur Beachtung zu schenken. Letzterer kam gerade auf dem Käfig an, von wo aus er mithilfe der größten Ranke weiterkletterte, um das Maul des Wesens zu erreichen. Dabei überlegte er, ob er irgendwann einmal etwas darüber gelernt hatte, stellte aber fest, dass er noch nicht einmal ein Bild dazu gesehen hatte – Bücher wussten also doch nicht alles und Kenton würde ihnen das hier mit Sicherheit nicht glauben. Warum geschehen so spannende Sachen auch immer, wenn sonst keiner da ist? Die Antwort war allerdings einfach: Kenton hätte ihn diesen Ausflug sofort wieder ausgeredet und es wäre nie dazu gekommen. Er konnte hören, wie eine der Ranken mit mehr Wucht als zuvor auf dem Boden aufschlug, so dass die ganze Höhle zu zittern begann. Nolan stürzte mit einem überraschten Ausruf zu Boden, wie Landis mit einem kurzen Blick feststellte, und bewegte sich nicht mehr. Für einen kurzen Augenblick schoss ihm der Gedanke durch den Kopf, wieder runterzuspringen, um nachzusehen, ob es ihm gutging, aber es war zu hoch dafür und außerdem würde er sich damit auch nur noch unnötig in Gefahr begeben. Ihm blieb keine Zeit mehr, darüber nachzudenken, stattdessen holte er aus und warf die Pfeffermühle in das geöffnete Maul des Monsters. Und tatsächlich – obwohl das Behältnis im Vergleich zu dem Wesen winzig war, so dass Landis befürchtet hatte, es würde diesen nicht einmal bemerken – kaute es darauf herum, bis der Pfeffer wirklich anzuschlagen schien. Hastig kletterte er wieder nach unten. Kaum berührten seine Füße den Boden, gab die Pflanze ein ersticktes Gurgeln von sich und verdorrte innerhalb von Sekunden. Zurück blieb allerdings jene, nach der Russel gesucht hatte, der sie auch sofort an sich nahm. „Das war... seltsam. Ist das in eurer Welt so üblich?“ „Eigentlich nicht“, erwiderte der immer noch aufgeregte Nolan, der inzwischen wieder stand und unverletzt schien. „Aber das macht es doch umso toller!“ Russel lachte leise. „Wie wahr. Aber sehen wir lieber zu, dass wir verschwinden, bevor noch so ein Wesen auftaucht.“ Die beiden Jungen nickten und traten mit ihm den Rückweg an. „Sag mal, Lan“, begann Nolan unterwegs. „Woher wusstest du, dass das Vieh stirbt, wenn du ihm Pfeffer gibst?“ „Na ja... es sah aus wie eine Pflanze – und ich hab es mal geschafft, unabsichtlich natürlich, Mamas Pflanzen mit Pfeffer umzubringen. Ich habe so viel Ärger bekommen, dass ich das nie mehr vergessen werde.“ Während Landis bedrückt den Kopf hängen ließ bei dieser Erinnerung, brachen Russel und Nolan in schallendes Gelächter aus. „Du bist echt unmöglich~“ „Ja, das hat Papa auch gesagt“, brummte Landis. „Nachdem er ebenfalls gelacht hat.“ Doch schon im nächsten Moment hellte sich seine Miene wieder auf. „Aber immerhin sind wir da alle wieder sicher rausgekommen dadurch.“ „Ja und ich danke euch für eure Hilfe, Jungs.“ Russel stutzte einen Moment. „Nein, vielleicht sollte ich euch eher Männer nennen. Immerhin seid ihr im Angesicht der Gefahr nicht weggerannt.“ „Wir lachen der Gefahr ins Gesicht“, erwiderte Nolan. „Nur so wird man zum Helden.“ Russels Lächeln verriet, dass er das nicht glaubte, allerdings widersprach er auch nicht. Am Höhlenausgang wurde es schließlich Zeit, sich von ihm zu verabschieden, auch wenn Nolan das ein wenig unglücklich zu stimmen schien: „Wirst du auch mal wiederkommen?“ „Klar. Keine Sorge, ich werde euch nicht vergessen. Spätestens, wenn ihr Helden seid, bin ich wieder da, um mit euch zu feiern.“ Doch so sehr Nolan ihn auch am Liebsten nicht hätte gehen lassen, wandte er sich dennoch um und ging leise summend davon. Nolan sah ihm ein wenig deprimiert hinterher, aber noch während Landis überlegte, wie er seinen besten Freund aufmuntern sollte, seufzte dieser plötzlich. „Weißt du, was das Schlimmste an der ganzen Sache ist, Lan?“ Da fielen ihm jede Menge Dinge ein. Sie waren schmutzig, das hieß, sie würden Ärger mit Nolans Großeltern bekommen; sie kamen zu spät zum Essen, das bedeutete doppelten Ärger; sie würden diesen Weltenwanderer trotz seines Versprechens mit Sicherheit nie wiedersehen, was Nolan bestimmt deprimierte. Doch statt all das aufzuzählen, schüttelte er nur mit den Kopf, worauf Nolan es ihm erklärte: „Wir haben gerade ein Monster besiegt – und kein Mensch wird uns das glauben!“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)