Abseits des Weges von Flordelis (Erinnerungen sind wie Fragmente) ================================================================================ Willkommen zu Hause ------------------- Der Wagen ruckelte heftig, als der Fahrer sich entschloss, den befestigten Weg zu verlassen. Kieran hob nicht einmal den Kopf, er war es bereits gewohnt, dass seine Mitfahrgelegenheiten es vorzogen, abseits der offiziellen Routen zu reisen. Er fragte nicht, weswegen und sie berechneten ihm keinerlei Kosten für diese Mitnahme. Aus Gründen, die ihm selbst nicht wirklich bewusst waren, warf er immer wieder einen Blick in den Jutebeutel, den er auf seinen Reisen stets mit sich führte, um den Inhalt zu überprüfen. Es waren drei rote Äpfel – Dipaloma, die Lieblingssorte des kleinen Nolan –, ein kunstvoll verzierter Fächer – Aydeen hing diese gern als Wandschmuck aus – und eine Flasche Wein, die normalerweise geradezu unerschwinglich für ihn wäre, ihm aber als Geschenk des Auftraggebers zusätzlich zur finanziellen Entlohnung mitgegeben worden war. Dabei war der Dämon kaum eine Herausforderung. Er war in Gestalt einer Katze erschienen, die Schnelligkeit und die hervorragenden Reflexe waren die einzig wirklich schlimmen Attribute dieses Wesens gewesen. Nichts, was er nicht kontern könnte, besonders da der Dämon nicht sonderlich intelligent gewesen war, so dass er lediglich die Laufbahn seines Gegners abschätzen und dann einen gezielten Bolzen hatte feuern müssen. Dementsprechend fand er die Belohnung viel zu hoch, aber er war auf dieses Geld angewiesen – und noch dazu bedeutete es, dass er so schnell nicht mehr von seiner kleinen Familie fort müsste. Er lächelte unwillkürlich, während er an Aydeen und Nolan dachte und auch daran, sie bald wiederzusehen. Sie waren keine Familie im traditionellen Sinne, sicherlich, aber Kieran war vollauf damit zufrieden, denn allein der Gedanke daran, dass andere sie als solche sahen, machte ihn glücklich. Irgendwie erbärmlich. Ich habe mir eine falsche Frau und einen falschen Sohn gesucht und bezeichne das jetzt wirklich als Verwandtschaft... Aber ob falsch oder nicht, er konnte kaum leugnen, dass er sich inzwischen selbst als Vater sah und diese beiden als seine... Familie. Sich von ihnen zu trennen, wenn er zu einem neuen Auftrag aufbrach, wurde mit jedem Mal schwerer für ihn. Es kam ihm vor als würde er Nolans Fortschritte in seiner Entwicklung verpassen und das gefiel ihm nicht, auch wenn er ihn ursprünglich nur aufgenommen hatte, um ihn zu einem Lazarus auszubilden. Doch je mehr Zeit er mit dem fröhlichen Jungen verbrachte, umso mehr geriet sein Entschluss ins Wanken. Und Aydeen wäre sicher auch nicht sehr glücklich darüber... Sie liebte ihn ebenfalls wie einen eigenen Sohn und wollte nur das Beste für ihn, wie eine echte Mutter eben. Wir sind eben eine Familie... Den Rest der Fahrt hing er weiterhin seinen Gedanken nach, bis der Wagen in der Nähe von Cherrygrove endlich wieder anhielt. Kieran bedankte und verabschiedete sich von dem Fahrer und machte sich dann auf dem Weg zu seinem Haus. In der Woche seiner Abwesenheit hatte sich nichts Großartiges verändert, was ihn ein wenig erleichterte, weil es ihm wieder zeigte, dass er sich lediglich einbildete, jahrelang fort zu sein, während er im Auftrag der Gilde Dämonen jagte. Die Bewohner, die ihm begegneten, begrüßten ihn freundlich, wenn auch oberflächlich, da er ohnehin eher selten etwas mit ihnen zu tun hatte. Es genügte ihm, mit seiner kleinen Familie und auch seinen wenigen Freunden Kontakt zu halten. Von letzteren sah er im Moment niemanden, er nahm an, dass sie entweder gerade zu Hause oder allesamt auf der Wachstation bei der Arbeit waren. Bei seinem Haus angekommen, atmete er erst einmal tief durch, ehe er das Gebäude betrat. Der bekannte und vertraute Geruch, der ihm sagte, dass er zu Hause angekommen war, hieß ihn willkommen und umgab ihn sofort wie ein schützender Kokon. Allein deswegen liebte er seine kleine Familie, denn früher hatte er nie einen Ort gekannt, den er als seine Heimat bezeichnen könnte – aber nun gab es dieses Haus und Aydeen und Kieran. Er folgte den Geräuschen, die auf das Aufeinanderschichten von Holzklötzen hinwies und wurde von diesen in das kleine Wohnzimmer geführt. Im Türrahmen stehend, beobachtete er Nolan, der auf dem Boden kniete und hochkonzentriert mit den Klötzen spielte, um seine noch mangelnde Feinmotorik eines Dreijährigen auszugleichen. Aydeen saß ihm gegenüber und lächelte sanft, während sie ihn beobachtete. Sie hob als erstes den Blick und als sie Kieran entdeckte, glaubte dieser, ein freudiges Glitzern in ihren Augen wahrnehmen zu können, was ihn ebenfalls lächeln ließ. Sie sprach ihn allerdings nicht an, sondern blickte erneut zu Nolan. „Sieh mal, wer wieder da ist.“ Er musste sich offensichtlich nicht erst fragen, wovon sie wohl sprechen könnte, er sprang sofort auf und lief auf Kieran zu. „Papa!“ Eigentlich legte er keinen großen Wert auf körperliche Nähe oder Berührungen jeder Art, aber wenn Nolan so freudestrahlend auf ihn zugerannt kam, konnte auch Kieran nicht anders: Er ging in die Knie und schloss den Jungen in seine Arme. „Endlich bist du wieder da“, sagte der Junge freudestrahlend, während er sich an ihn schmiegte. Kieran löste sich vorsichtig wieder von ihm. „Hast du mich vermisst?“ „Aber natürlich“, antwortete Nolan mit dem selbstverständlichen Ton eines Kindes, das glaubte, die gesamte Welt zu kennen. „Hast du mir etwas mitgebracht?“ Kieran griff in seinen Beutel und zog die drei Äpfel hervor, worauf Nolans gespannte Mimik sich in eine vor Freude übersprühende verwandelte. „Dipaloma-Äpfel!“ Er nahm ihm die Früchte sofort ab und betrachtete sie in seinen Händen, als wären sie kostbare Juwelen, die ihm den Reichtum bis ans Ende seines Lebens garantieren würden. Kieran hatte sich lange gefragt, warum Nolan so begeistert von diesen eher durchschnittlichen Äpfeln war, aber dann war ihm schnell der Einfall gekommen, dass er nicht unschuldig daran war – und zwar wegen der folgenden Worte: „Denk daran, wenn du sie gegessen hast, die Kerne zu vergraben und dir etwas zu wünschen. Wenn die Kerne keimen, wird dein Wunsch wahr.“ Nolan nickte begeistert und war bereits in seine eigene Gedankenwelt vertieft, weswegen Kieran aufstand und sich nun Aydeen gegenübersah. Sie lächelte so sanft und geradezu beruhigend, einer der Gründe, warum Kieran so gern bei ihr war. Egal wie vielen Schrecken er sich gegenübersah, wenn er seine Aufträge erfüllte, sobald er Aydeens Lächeln sah, verblasste all das und ließ sein Inneres friedlich und ruhig werden. „Es ist schön, dass du wieder da bist“, sagte sie mit dieser liebevollen Stimme, die einfach jeden in ihren Bann schlagen musste. „Ja, ich bin auch froh“, sagte er seufzend und blickte ihr weiterhin in die gütigen Augen, die ihn bereits vergessen ließen, weswegen er überhaupt fortgewesen war. Sie neigte lächelnd den Kopf und sagte die schönsten Worte, die er jemals gehört hatte: „Willkommen zu Hause, Kieran.“ Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)