Abseits des Weges von Flordelis (Erinnerungen sind wie Fragmente) ================================================================================ Kierans perfektes Ende ---------------------- Eigentlich war er glücklich. Eigentlich. Sein größter Wunsch war ihm erfüllt worden, die Lazari waren von ihrem verfluchten Los befreit und er durfte weiterhin die Welt, die er mitsamt ihren Einwohnern, egal wie verdorben manche von ihnen doch sein mochten, lieben gelernt hatte, beschützen. Zwar gab es nach wie vor Lazari, die gegen Dämonen kämpften, welche es schafften, durch sein Netz zu schlüpfen, aber keiner von ihnen verwandelte sich mehr selbst in einen solchen, keiner musste mehr in Verzweiflung versinken, weil er den Drang zu töten in sich spürte, ehe er selbst getötet werden konnte. Alles war gut. Wenn da nicht dieses nagende Gefühl in seinem Inneren gewesen wäre, das er bislang nicht wirklich gekannt hatte, ihn nun aber wahnsinnig zu machen drohte. So langsam verstand er, wie es Nolan und Landis in ihrer Kindheit ergangen sein musste und er bedauerte sogar schon, Nolan so oft zurechtgewiesen zu haben. Das Gefühl ließ sich mit einem einfachen Wort zusammenfassen: Langeweile. Abgesehen von den inzwischen selten vorbeikommenden Dämonen, gab es in der Seelenwüste nicht viel zu tun und Besuch bekam er selbstredend auch nicht an diesem unwirtlichen Ort. Also saß er zumeist die ganze Zeit auf einem der kunstvoll geformten, zerklüfteten Felsen und starrte in die Entfernung. Außer weiterer dieser Felsen gab es nur noch einen grünlichen, mit Sternen übersäten Himmel und grünen Sand, so weit das Auge reichte. Jeder Stern stand für eine andere Welt, die mit diesem Ort verknüpft war und jedes Sandkorn für eine andere Seele. Seine Welt lud nur Sünder hier ab, während gute Seelen wiedergeboren wurden – aber ob andere Wächter ebenfalls so verfuhren, konnte er nicht sagen, er kannte keinen von ihnen, denn sie kamen nicht hier vorbei und er dachte nicht daran, seinen Posten zu verlassen. Außer es käme ein absoluter Notfall herein, dem er seine Aufmerksamkeit widmen müsste. So war er aber seiner Langeweile ausgesetzt, die nur durch das seltene Vorbeiziehen eines riesigen Wurms unterbrochen wurde. Das Wesen beachtete ihn nie, es tauchte lediglich aus den Tiefen des Sandes auf, wobei es diesen verschlang und versank fast sofort wieder darin, als hätte es nicht mit einem Beobachter gerechnet, von dem es aber nicht gesehen werden wollte. Er hatte dieses Ungetüm auf den Namen Seelenverschlinger getauft und fragte sich oft, wo es eigentlich herkam und was es hier wollte, wenn es schon nicht gefährlich erschien. Aber er bekam keine Antwort darauf, immerhin gab es außer ihm niemandem an diesem Ort. Doch gerade als er sich wieder einmal in einer besonders tiefen Phase der Langeweile befand und er sogar mit dem Gedanken spielte, die Sandkörner zu zählen, fühlte er plötzlich die Anwesenheit einer weiteren Person bei sich. Er wandte dem unerwarteten Besuch den Blick zu und entdeckte eine jung aussehende Frau mit grünem Haar, das zu einem Pferdeschwanz hochgebunden war und nicht länger als bis zu ihren Schultern reichte. Ihre blauen Augen erwiderten seinen Blick durch eine rot gerahmte Brille hindurch. Sie lächelte aufrichtig freundlich und das war es, das ihn trotz ihrer überraschend starken Aura, nicht defensiv sein ließ. Nichts an ihr deutete darauf hin, dass sie ein Feind wäre, ob nun offen oder verborgen. „Du musst Kieran sein“, eröffnete sie das Gespräch ohne jede Begrüßung im Vorfeld. Er nickte schweigend, worauf sie fortfuhr: „Mein Name ist Tuulikka. Ich gehe nicht davon aus, dass du mich kennst.“ Dennoch blickte sie ihn hoffnungsvoll an, so als erwartete sie trotz ihrer Worte eine Reaktion von ihm, doch er konnte sie nur enttäuschen: „Das ist richtig, ich kenne dich nicht. Deswegen wundert es mich, dass du mich zu kennen scheinst.“ Ihr Lächeln riss nicht ab und wandelte sich um keine einzige Nuance, fast so als wäre sie damit geboren worden. „Ich brauche deine Hilfe. Es gibt, nicht weit entfernt von hier, eine Welt, in der sich eine Katastrophe anbahnt. Ein Gott der Unterwelt versucht, sie zu zerstören.“ In einem ersten Impuls wollte er bereits seine Hilfe anbieten, besann sich dann aber wieder auf seine eigentliche Aufgabe. „Warum sollte mich das kümmern? Es ist nicht diese Welt.“ Für einen kurzen, geradezu flüchtigen Augenblick, runzelte sie die Stirn, offensichtlich erbost über so viel Sturheit, aber ihre Züge glätteten sich sofort wieder – ihr Lächeln schwand dabei nicht. „Wenn jene Welt erst einmal zerstört ist, wird diese hier nicht lange danach folgen.“ Normalerweise, sofern er ruhig geblieben wäre, hätte er nun gefragt, wie sie sich da so sicher sein könnte, woher sie das wissen wolle – aber die Sorge, dass seiner geliebten Welt, in der seine Familie lebte, etwas geschehen könnte, wühlte ihn derart auf, dass er gar nicht lange genug darüber nachdenken konnte, um seine Skepsis zum Ausdruck zu bringen. „Um welche Welt handelt es sich?“ Es hatte nicht lange gedauert, seinen Aufenthaltsort zu wechseln, immerhin war das Tor wirklich nicht weit entfernt und Kieran konnte sich gut vorstellen, dass die Zerstörung der Welt dahinter Energie freisetzen würde, die problemlos bis zu seiner alten Heimat reichen und diese mit in den Abgrund ziehen könnte. Deswegen war es gut, dass er der Bitte nachgegeben hatte, worauf Tuulikka wieder verschwunden war – zwar fühlte er sich immer noch beobachtet, aber es war immerhin gut möglich, dass er einfach nicht allein war, an diesem Ort war es immer schwer zu sagen. Mit einigem Erstaunen stellte er fest, dass die Sterne an diesem Ort der Seelenwüste anders standen und sich dadurch auch das Licht vollkommen änderte. Hier war der Himmel nicht mehr nur grünlich, sondern ging sanft ins Blaue über, was die Sandkörner ihm gleichtaten. Er fragte sich, ob er noch mehr derartige Veränderungen vorfinden würde, sollte er sich entschließen, noch weiter durch die Wüste zu reisen. Doch statt diesem Gedanken weiter nachzugehen, betrachtete er schließlich das Tor eingehender. Es sah nicht so aus wie jenes, das in seine Welt führte, stellte er fest. Dieses hier besaß keinerlei Rundungen, es war eckig und verfügte sogar über eine zweiflügelige Tür, die leicht geöffnet war. Jenseits davon erklang laute, schrammende Musik, die ihn sich wundern ließ, über was für einen Geschmack diese Menschen nur verfügten, aber darunter, wesentlich leiser, konnte er auch das Spiel einer Geige hören, ein Instrument, das er auch aus seiner Welt kannte und ihn wieder beruhigte. Je länger er lauschte desto mehr variierten die Geräusche, irgendwann konnte er Menschen sprechen hören, erst ganz wenige und dann rasch immer mehr, bis die Stimmen, die in einer fremden Sprache redeten, zu einem melodischen Miteinander verschmolzen, das ihn erahnen ließ, wie viele Einwohner diese Welt haben mochte. Auch wenn er kein Wort von dem verstand, was gesagt wurde, so spürte er doch all die Hoffnungen, Wünsche und Träume dieser Menschen – und das bestärkte ihn darin, diese Welt auch um ihretwillen zu beschützen und sich nicht nur auf die Nebenwirkungen für seine Heimat zu beschränken. Ein lautes Knirschen hinter ihm, ließ ihn herumfahren und die andere Person gleichzeitig innehalten. Auf den ersten Blick sah er aus wie ein normaler Mensch, aber die machtvolle Aura, die ihn umgab, sich wellenförmig bewegte und dabei immer wieder für einen kurzen Moment sichtbar wurde, verrieten Kieran sofort, dass es sich hierbei um den Gott handelte, von dem Tuulikka ihm berichtet hatte. „Was tust du hier?“ Die Stimme des Gottes besaß einen unnatürlichen Widerhall, der unzählige Goldschmuck, den er um den Hals und an den Ohren trug, gab dagegen keinerlei Geräusch von sich, egal wie oft er geschüttelt wurde. „Wie konntest du die Welt verlassen?“ „Ich gehöre nicht zu dieser“, antwortete Kieran und deutete dabei mit dem Daumen über seine Schulter. „Aber ich bin dennoch hier, um zu verhindern, dass du ihr schadest.“ Die honigfarbenen Augen des Gottes verengten sich zu Schlitzen, durch die er seinen Gegenüber gefährlich musterte. „Und warum solltest du das tun?“ Natürlich hätte Kieran ihm nun von seinen Beweggründen erzählen können, von der Sorge, dass seiner Heimat etwas zustoßen würde, wenn er sich einfach abwandte, aber stattdessen zuckte er mit den Schultern. „Ich sehe es einfach nicht gern, wenn Leute mit Macht auf anderen herumtrampeln und sie grundlos aus dem Leben reißen.“ Der Gott schnaubte. „Grundlos? Ich bin Bolontiku, der Gott der Unterwelt, ich habe ein Recht darauf, all diese Sünder zur Rechenschaft zu ziehen!“ „Nein, hast du nicht“, erwiderte Kieran immer noch ruhig. „Niemand hat ein Recht darauf, Menschen auszulöschen, nur weil sie sich nicht an deine Moralvorstellungen halten. Du kannst wütend auf sie sein, du kannst sie angemessen bestrafen – aber sie zu töten geht zu weit.“ Er zögerte einen kurzen Moment, überlegte, ob er wirklich fortfahren sollte, aber da Bolontiku keine Anstalten machte, selbst etwas zu tun, tat er es tatsächlich: „Der Tod eines jeden Menschen, egal wie furchtbar er zu Lebzeiten gewesen sein mag, birgt Trauer in sich, die zu Verzweiflung, Verbitterung und Wut führt. Indem du einen tötest, der es deiner Meinung nach verdient hat, schaffst du weitere Menschen, die es dann ebenfalls verdienen und kreierst eine Spirale der Tränen, der Gewalt und des Todes.“ Am liebsten hätte er, genau wie Asterea, sich selbst dafür auf die Schulter geklopft, denn diese Ansprache verdiente es seiner Meinung nach auch – aber Bolontiku ließ sich nicht davon beeindrucken. „Deswegen zerstöre ich gleich die gesamte Welt und lasse andere eine neue Zivilisation aufbauen.“ Kierans Körper begann augenblicklich zu zittern, als er das hörte. Er ballte die Hände zu Fäusten, um das Zittern ein wenig unter Kontrolle zu halten. „Du nimmst also in Kauf, all die Unschuldigen gleich mitzuopfern? Du akzeptierst diesen Kollateralschaden?!“ „Kein Mensch ist wirklich unschuldig – sie alle haben den Tod verdient.“ In diesem Moment zerriss Kierans gespannter Geduldsfaden. Zahlreiche Ketten rissen Löcher in die vorherrschende Realität, um in diese Ebene zu kommen und Bolontiku zu umfassen, bis dieser sich nicht mehr rühren konnte. „Ich kann das nicht zulassen!“, rief Kieran mit zitternder Stimme aus. „Deine Vorgehensweise ist unverzeihlich! Deswegen werde ich-“ Ihm blieb keine Zeit, den Satz zu vollenden, denn mit einem gewaltigen Knall zersprangen alle Ketten auf einmal, so dass Bolontiku wieder frei war. Die Überreste verwandelten sich in weißen Staub, der von einem nicht spürbaren Wind fortgetragen wurde. Kieran konnte ihn nur perplex anstarren, bekam aber sofort von Bolontiku eine Erklärung dazu: „Ich sagte doch, dass ich ein Gott bin. Kein Sterblicher... oder sonstiges Wesen wie du... kann mich aufhalten oder gar besiegen.“ „Das werden wir sehen“, erwiderte Kieran und ließ ein Schwert aus violettem Kristall in seiner Hand erscheinen. „Ich habe schon gegen ganz andere Dinge gekämpft und war siegreich.“ Er würde zwar seine stärkste Technik nicht einsetzen können, aber auch ohne diese sollte seine Entschlossenheit in der Lage sein, die Machtdifferenz zu überwinden. Er ließ seinen Gedanken gar keinen Platz, ins Negative zu driften, denn er hatte keine Wahl, er musste gewinnen. Bolontiku schmunzelte nur amüsiert und gab ihm ein Zeichen, anzufangen – etwas, das Kieran sich nicht zweimal sagen ließ. In einer Geschwindigkeit, der kein menschliches Augen folgen könnte, stürmte er mit erhobenem Schwert auf den Gott zu. Bolontiku hob die Hand, um eine Barriere aufzubauen, doch im selben Moment bekam die Realität wieder Risse, Pfeile flogen aus allen Richtungen durch diese Lücken und schossen direkt auf den Gott zu. Noch ehe er getroffen werden konnte, verschwand er, nur um wenige Meter von diesem Regen entfernt wieder aufzutauchen. Doch gerade als er dazu eine hochmütige Bemerkung machen wollte, tauchte Kieran direkt vor ihm auf. Bolontiku wich gerade noch aus, aber sein Angreifer ließ sich davon nicht stören. Stattdessen beschwor er einen Speer, der von einem weißen Schimmer umgeben war und stach damit in Bolontikus Richtung. Die Waffe prallte an einem hellen Schutzschild ab, das aus zahlreichen Waben bestand, die den Gott vollständig einhüllten. Kieran hatte damit gerechnet, weswegen es ihn nicht überraschte. Noch einmal stieß er den Speer in das Schutzschild, was zu einem amüsierten Grinsen von Bolontiku führte – das allerdings rasch wieder verschwand, als die Barriere einzufrieren begann. Kieran ließ den Speer wieder verschwinden und mit einem einzigen, entschlossenen Hieb, des Kristallschwerts schaffte er es, den Schild zu zerstören. Im selben Moment, in dem es klirrend zerbrach, schleuderte Bolontiku ihn ohne jede Berührung direkt gegen den nächsten Felsen. Schmerzen fuhren durch seinen Oberkörper, in einer Intensität, die er seit seinem Tod, sterbend am Fuß der Treppe seines Hauses, nicht mehr gespürt hatte. Benommen sank er zu Boden, direkt in den Sand, der ihm zuzuflüstern schien, dass es schon in Ordnung wäre, einfach aufzugeben. Doch seine Entschlossenheit holte ihn wieder auf die Füße zurück und ließ ihn die Benommenheit abschütteln. Bolontiku schenkte ihm dafür einen anerkennenden Blick, hob aber dennoch seine Hand, die von einer unheilvollen grauen Flamme umgeben war. „Deine Hartnäckigkeit, für diese fremde Welt zu kämpfen, bringt dir meine Bewunderung ein – aber du wirst nicht mehr von hier wegkommen, um es jemandem zu erzählen.“ Mit diesen Worten warf er Kieran die Flamme entgegen, im Flug nahm sie die Form eines Falken an und wuchs in rasender Geschwindigkeit auf das Zehnfache seiner Größe an. Während er beobachtete, wie das Wesen auf ihn zuschoss, beschwor er einen Fächer in seiner Hand. Er breitete ihn vor sich aus, so dass das Muster mit den rosa Kirschblüten gut sichtbar wurde – und zu Bolontikus Überraschung entfaltete sich gleichzeitig ein Zauber, der die Flamme daran scheitern ließ, Kieran zu erreichen. Doch in dem Moment, als er sich wieder sicher glaubte und das Schild verschwinden ließ, tauchte der Schwanz eines riesigen Skorpions aus dem Sand auf – und ehe Kieran es sich versah, spürte er bereits ein schmerzhaftes Brennen in der Brust, als der Stachel sich in seinen Körper bohrte. Aus Reflex atmete er ruckartig tief ein, nur um zu spüren, wie sich das Brennen verschlimmerte und sich auf seine Lungen auszuweiten begann. Mit wachsender Panik versuchte er, diese wieder unter Kontrolle zu bringen, sich zu beruhigen, um die Situation einzuschätzen und entsprechend handeln zu können. Doch noch ehe er seine Gedanken überhaupt sammeln konnte, schleuderte der Skorpionsschwanz ihn bereits wieder von sich, direkt in das nächste Felsgebilde hinein, das unter dem Aufprall zusammenbrach. Sein Glück verhinderte, dass er von dem herabstützenden Geröll begraben wurde, aber der Schmerz in seiner Brust versuchte dennoch, ihn zu lähmen und breitete sich langsam in seinem ganzen Körper aus. Mühevoll hob er den Kopf. Bolontiku lächelte sichtlich zufrieden mit sich selbst, ehe er sich umdrehte, um Kieran zurückzulassen und die vor ihm liegende Welt zu zerstören, so wie er es geplant hatte. „Du kannst in den letzten Minuten deines Lebens zusehen, wie ich diese Welt vernichte, nur damit du vor deinem Tod noch lernst, wie unsinnig es war, gegen mich anzutreten.“ Bolontiku entfernte sich von ihm und mit jedem Schritt, den er tat, wuchs die Verzweiflung in Kierans Inneren. Er würde sich nicht mehr in einen Dämon verwandeln können, das war durch Nolans Wunsch unmöglich geworden, aber jedes bisschen Kummer und Gram vergrößerte die Schmerzen und verringerte seine Bewegungsfreiheit. Um dem zu entgehen, versuchte er, wieder aufzustehen, aber seine Beine gaben sofort wieder unter ihm nach. Doch noch immer weigerte er sich, der Verzweiflung nachzugeben und so versuchte er, sich mit den Armen vorwärtszubewegen, auch wenn der Sand ihm nicht genug Halt dafür bot. Er musste es einfach schaffen, Bolontiku aufzuhalten! Er hatte keine Wahl! Und in diesem Moment, in dem er das dachte, erschien eine weitere Waffe neben ihm. Es war der Meteorhammer, den er nur äußerst ungern benutzte, die zwei Kugeln, die mit einer langen Kette miteinander verbunden waren, kamen ihm oft zu gefährlich und schwer einzuschätzen vor. Aber sie waren erschienen, um ihn, ohne jede fremde Hilfe, wieder auf die Beine zu holen, indem sie sich um einen seiner Arme schlang und wieder auf die Füße stellte. Seine Knie wollten zwar wieder unter ihm nachgeben, aber er schaffte es dennoch, dieses Mal stehenzubleiben. Der Meteorhammer verschwand, so als wüsste er genau, dass Kieran mit ihm nicht kämpfen und schon gar nicht den entscheidenden Schlag durchführen wollte. Stattdessen materialisierte sich eine überraschend simpel aussehende Armbrust in seinen Händen, die keinen Hauch von Magie verstrahlte und von keinerlei Aura umgeben war. Aber genau diese Waffe war es, die Kieran am meisten am Herzen lag. Er legte an und zielte auf Bolontiku. Seine Magie begann aktiv zu werden, sich mit dem Bolzen zu verbinden und als er diesen dann abschoss, wurde er von einer Kette begleitet, die auf ihrem Flug leise klirrte. Bolontiku fuhr, von diesem Geräusch alarmiert, herum, aber er schaffte es nicht mehr rechtzeitig, um die Bedrohung abzuwehren. Der Bolzen schlug in seine Brust ein, die Kette verlängerte sich augenblicklich und schlang sich um den gesamten Körper des Gottes, um ihn bewegungsunfähig zu machen. Er versuchte, sich zu befreien, aber jede Kette, die er zu sprengen schaffte, wurde direkt von zwei neuen ersetzt. „W-wie kann das sein?“ Kieran ließ die Armbrust wieder sinken. „Meine Entschlossenheit kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, Menschen zu beschützen. Selbst wenn ich diese nicht einmal kenne.“ Bolontiku knurrte und versuchte weiterhin, sich zu befreien. „Ich werde dich nicht töten“, fuhr Kieran fort. „Auch du hast den Tod nicht verdient. Aber ich werde dich in eine Gestalt zwingen, in der du die nächsten Jahrhunderte niemandem mehr etwas antun werden kannst. Ich tue das nicht, um dich zu bestrafen, ich wünsche mir nur, dass du die Welt, die du bestrafen wolltest, beobachtest, um sie lieben zu lernen.“ Schon im nächsten Moment leuchteten die Ketten in einem gleißenden Licht auf und dann hielt Kieran einen gläsernen Würfel in seiner Hand, in dessen Inneren ganz undeutlich etwas zu sitzen schien. Er lächelte ein wenig. „Ich wünsche dir eine schöne Erkenntnis.“ Seine Worte waren noch nicht gänzlich verklungen, dann warf er den Würfel in die Welt hinein und schloss die Türen, die sofort von einer Kette umschlungen und mit einem schweren Schloss versehen wurde. „Du hast es wirklich geschafft.“ Kieran, der gedankenverloren, aber mit einem guten Gefühl auf die Tür gesehen hatte, fuhr erschrocken herum, als diese Stimme hinter ihm erklang. Es war kein Mensch und auch nichts menschenartiges, das er da sah, stattdessen war es eine Schlange, die ihn beobachtete. Abgesehen von ihrer Größe – von der Länge wäre sie so groß wie er gewesen, wenn sie sich ausgestreckt hätte – gab es nichts Außergewöhnliches an ihr und ihren smaragdgrünen Schuppen. Aber die weißen Flügel auf ihrem Rücken, die an jene eines Schwans erinnerten, waren durchaus bemerkenswert, wie er sagen musste. „Wer bist du?“, fragte Kieran, in Erwartung, noch einen Feind vor sich zu haben. „Mein Name ist Kukulkan“, antwortete die Schlange, ohne den Mund zu öffnen. „Ich bin ein Gott der Auferstehung und der Reinkarnation. Ich bin nicht dein Feind, im Gegenteil, ich bin gekommen, um dir zu danken, dass du meine Welt gerettet hast.“ Damit neigte die Schlange ihren Körper, so dass es aussah als würde sie sich wirklich vor ihm verneigen. „Leider war ich nicht in der Lage, selbst gegen Bolontiku anzutreten. Deswegen bin ich umso glücklicher, dass es noch Menschen anderer Welten gibt, denen so viel an Gerechtigkeit liegt.“ Kieran sagte darauf nichts, sondern wartete, was Kukulkan noch hinzuzufügen hätte. Es war nicht so, dass er glaubte, dass der Gott falsch lag – die Worte machten ihn nur verlegen, denn wie oft bekam man schon von einem solchen Wesen so etwas gesagt? „Im Gegenzug für deine Hilfe möchte ich dir einen Wunsch erfüllen.“ Kieran wollte abwinken, erwidern, dass er keine Gegenleistung bräuchte – doch dann fiel ihm tatsächlich etwas ein, das er sich mehr als alles andere wünschte. „Egal was für einen Wunsch?“ Ob es ein schlauer Wunsch gewesen war, konnte er nicht sagen. Für ihn war es sehr gut gewesen. Er war nicht mehr einsam, nicht mehr gelangweilt – aber ob sie sich damit ebenfalls abfinden konnte, auf immer und ewig nur bei ihm zu sein, in dieser Seelenwüste, das wusste er nicht. Aber gerade als er wieder einmal in derartige Gedanken und Selbstvorwürfe abzudriften begann, spürte er plötzlich, wie sie ihre Hand auf seine legte. Er hob den Blick und sah direkt in ihre gütigen, grünen Augen. Er musste dem Drang widerstehen, die andere Hand zu heben, um ihr eine Strähne des langen schwarzen Haares aus dem Gesicht zu streichen und dabei auch ihre Wange zu berühren. „Du grübelst schon wieder“, sagte sie mit sanfter Stimme, jener, die er so lange vermisst hatte. „Du musst dir wirklich keine Gedanken machen. Bei dir zu sein, ist auch alles, was ich je wollte. Du hast dir nicht nur deinen, sondern auch meinen Wunsch erfüllt.“ „Aydeen...“ Er wusste nicht, was er sonst noch sagen sollte, alles in ihm war so fassungslos von ihren Worten, dass er einfach keine eigene finden konnte. Direkt nach seinem Wunsch war ihm bewusst geworden, dass sie es möglicherweise als falsch hätte ansehen und ihn dafür verfluchen könnte. Aber stattdessen sagte sie ihm so etwas, das sein Innerstes klingen ließ wie nie etwas zuvor. Sie lächelte beruhigend und strich ihm über die Wange. „Bei dir zu sein, ist für mich das höchste Glück der Welt, egal wo wir sind, selbst an diesem Ort.“ Er errötete ein wenig, als er ihr Lächeln erwiderte. „Danke, Aydeen.“ Zufrieden darüber, ihn beruhigt zu haben, sah sie wieder zu den Sternen hinauf und rutschte ein wenig näher zu Kieran, damit sie ihren Kopf auf seine Schulter legen konnte. Wie selbstverständlich – und inzwischen wusste er, dass das auch in Ordnung war – legte er einen Arm um ihre Schulter und blickte gemeinsam mit ihr den Sternen entgegen, in dem sicheren Wissen, dass sie beide in diesem Moment die glücklichsten Wesen in der Seelenwüste waren. Hosted by Animexx e.V. (http://www.animexx.de)